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Carlsen - Neptunplatz (9. Teil)

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9. Teil des Prolgos

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Page 1: Carlsen - Neptunplatz (9. Teil)

© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 58

TRESENTALK

Der-Bernd hatte den Film über kein Sterbenswörtchen mehr gesagt. Als

das Licht den Kinosaal erhellte und die wenigen Besucher sich von ihren

Sitzen erhoben, war sein Platz gottseidank verwaist. Rudi blieb sitzen und

las den Abspann. Irgendwann würde auch ihr Name auf einer Leinwand zu

lesen sein. Sie verließ den Saal als letzte. Draußen vor dem Kino herrschte

geschäftiges Treiben. Kein Vergleich mit Bielefeld, wo um diese Uhrzeit

schon großflächig die Bürgersteige hochgeklappt wurden. Rudi sah auf ihr

Handy. Keine neue Nachricht von Hannes. Also genug Zeit für einen

Absacker. Vielleicht würde sie ein paar Unileute treffen. Mit denen hatte

sie bisher nicht viel Kontakt. An den Wochenenden fuhr sie immer noch

viel zu oft nach Hause, und unter der Woche verbrachte sie ihre Zeit

entweder in der Unibibliothek oder im Kino.

Noch geflasht von Joaquin Phoenix‘ Optik und Performance, fuhr Rudi

auf ihrem Rad Richtung Belgisches Viertel, direkt ins Hallmackenreuther.

Der Laden war gut gefüllt mit den üblichen Verdächtigen: Kreative, die

gebannt in ihre Laptops starrten, frisch Verliebte, die einander zum Glück

unverständliche Liebeserklärungen zuraunten, und Styler,

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© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 59

die auf geübt nebensächliche Art ihre Blicke schweifen ließen. Hier wurde

gelacht, da diskutiert und dort sogar gestritten.

Rudi ging einmal ganz durch den Laden und sog die Atmosphäre in sich

auf. Leider entdeckte sie dabei kein bekanntes Gesicht. Aber deswegen

würde sie nicht unterkriegen lassen. Jetzt, wo sie einmal hier war, wollte

sie auch bleiben.

„Na, wenn das kein Zufall ist.“

Der-Bernd. Der Stetson-Behütete aus dem Kino. Er stand vor ihr, lässig an

den Tresen gelehnt. Heute war irgendwie der Wurm drin. „Auch ein

Kölsch?“, fragte er und hob zwei Finger in die Luft. Prompt bekam er zwei

Gläser in die Hand gedrückt.

„Hier.“ Er hielt Rudi ein Glas hin. „Und jetzt verrätst du mir hoffentlich

deinen Namen.“

„Rudi.“ Irgendwas in seinem Gesicht irritierte sie.

„Rudi? Wie Rudolf?“

„Wie Gertrud.“

Plötzlich wusste sie, was sie schon die ganze Zeit irritiert hatte: Der-Bernd

hatte entweder keinen Bartwuchs, oder er epilierte sich sein Gesicht. Seine

Haut war glatt wie ein Babypopo. Und der ganze Typ sowieso absolut

nicht ihr Fall.

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© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 60

„Ah. Na dann Prost, Rudi.“

„Prost, der-Bernd.“ Rudi nahm einen Schluck und überlegte, wie lange er

wohl an seinem Outfit herumgebastelt hatte. Zu Hut und Hornbrille trug er

einen schwarzen, knielangen Ledermantel. Darunter blitzen Jeans und ein

rosafarbenes Hemd hervor.

„Jetzt mal im Ernst“, fragte der-Bernd mit gespielter Entrüstung, „warum

hast du dir bloß Signs angesehen? Du studierst Film, oder? Bei mir an der

KHM? Du kommst mir bekannt vor.“

„Nee, ich studier Medienwissenschaft. An der Uni.“

„Oh Gott. Wirklich? Dann kennst du bestimmt Katinka. Obwohl – die

bricht gerade ab und geht nach München. Hat Blut geleckt in meinem

Abschlussfilm. Großes Schauspieltalent.“

Rudi schüttelte wortlos den Kopf und nuckelte an ihrer Flasche. Der-Bernd

schien sich ziemlich geil zu finden. Hinterm Tresen warf ihr ein großer,

schlanker Typ einen aufmunternden Blick zu. Vermutlich sah er ihr an,

wie sehr sie sich gerade langweilte.

„Aber noch mal zurück zum Film“, schob sich der-Bernd wieder in ihren

Fokus, „den kannst du nicht ernsthaft gut finden. Hast du dir dieses CGI-

Monster am Schluss mal genauer angesehen? Wie im Legoland! Und diese

inszenierte Langeweile! Jeder Rosamunde-Pilcher-Sonntag hat mehr Pep!“

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© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 61

„Seh ich total anders,“ trotzte Rudi. Sie hatte zwar noch keinen Schimmer

von Film-Theorie. Aber von so einem Stetson-Poser würde sie sich

Joaquins zweitbesten Film nicht kaputtreden lassen.

„Ich finde Signs spielt mit der Isolation und der Bedrohung, die von außen

einbricht. Das ist ein brandaktuelles Thema, kuck dir nur Japan an. Und ob

ein Alien echt aussieht, soll meinetwegen Erich von Däniken entscheiden,

da halte ich mich raus.“

Der-Bernd musterte Rudi, als hätte sie ihm soeben ins Gesicht gerotzt.

„Schätze, du studierst noch nicht so lang“, presste er herablassend hervor.

Dann exte er sein Kölsch und knallte es eine Spur zu laut auf den Tresen.

„Ich muss mal weiter. War nett, mit dir zu diskutieren, kleine Rudi.“

„Gleichfalls, der-Bernd“, gab Rudi lächelnd zurück.

Der-Bernd tippte sich an seinen Hut und suchte das Weite. Zurück blieb

Rudi. Mit dem Gefühl, eine große Schlacht gegen einen übertrieben

selbstbewussten Goliath gewonnen zu haben.

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© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 62

EVA VS. CARMEN, LIVE

Nichts rettet ein Wasserschweinferkel vor einer Anaconda. Außer einer

zweiten Anaconda. Mark fühlte sich unwohl.

Er hatte sich ganz auf seinen Job konzentriert. Hatte Carmen einen zweiten

Mai Thai gemacht und ein Kölsch und einen Wodka vor Eva gestellt.

Katze hatte gar nichts trinken wollen. Sie wollte nicht abgelenkt werden,

keine Sekunde dieser peinlichen Schlammschlacht verpassen. Das, was

sich gerade live vor dem Tresen abspielte, war das krasseste Verbal-

Sparring in der Geschichte des nationalen Damen-Debattiersports.

Als das Gezicke zwischen Eva und Carmen irgendwann zu unübersichtlich

wurde, begann Katze Fragen zu stellen. Und mit jeder Frage schickte sie

Mark ein Lächeln mit der Fußnote ‚Hör dir genau an, was die beiden

Mädels für Probleme haben, Mark. Dann nimm es hoch Zehn. Und das

sind dann die Probleme, die du mit mir bekommst, wenn du noch ein

einziges Mal zulässt, dass sich so ein würdeloses Schauspiel in meinem

Laden abspielt‘.

Mark verstand. Er wusste, dass Katze Recht hatte, und versuchte,

irgendwas von dem zu verstehen, was Carmen und Eva sich an den Kopf

schmissen. Vorwürfe vorwiegend, aber unverständlich. Beleidigungen.

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© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 63

Derbe. Konkrete Attacken. Darin häufig Männernamen und Begriffe wie

„Schlampe“, gelegentlich in der Kombination mit „dreckig“, „untreu“ und

„pimmelsüchtig“.

Carmen und Eva, begriff sogar Mark mit der Zeit, teilten nicht nur eine

Wohnung. Sie teilten auch ihre Männer, indem sie sie einander munter

ausspannten. Um Männer oder Liebe ging es dabei allerdings so wenig wie

um Sex. Es ging nur darum, die andere zu verletzen, aus der Wohnung zu

treiben. Zu siegen.

Frauen.

Carmen grinste plötzlich dämonisch. „Weiter so, Eva. Warum heulst du

noch nicht? Keine Tränchen heute?“

Carmen lächelte. Magnetisch. Fast hätte Mark zurückgelächelt. Doch mit

einem Blick auf Katze fing er sich gleich wieder.

„Eins muss man dir lassen“, Carmen musterte Mark, „süß ist er.“

„Hast du ihn deshalb gleich angebaggert, als er aus meinem Schlafzimmer

kam?“, keifte Eva, „der war noch bettwarm!“

Carmen lachte. „Dass deine Männer einen guten Geschmack haben und

früher oder später in meinem Bett landen, ist ja nicht mein Problem. Das

ist Evolution, Eva. Kapier das endlich.“

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© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 64

Carmen stand auf, pulte einen 20-Euro-Schein aus ihrer Hose und reichte

ihn Mark. „Der Rest ist für dich.“ Sie nickte Richtung Katze, ließ Mark

aber nicht aus den Augen. „Vielleicht kaufst du deinem Sidekick ein paar

Aspirin. Die sieht nach Kopfschmerz aus.“

Damit packte sie ihren Mantel und ging zur Tür, wo sie sich, schon eine

Kippe zwischen den Lippen, nochmal umdrehte und Marks Augen fixierte.

„Besuch mich, Torero. Du weißt ja, wo ich wohne.“

Ihr Feuerzeug flammte auf, und mitsamt ihrer Rauchschwade verschwand

Carmen nach draußen in die Spätherbst-Nacht. Mark sah ihr nach, ebenso

Katze und Eva.

„Besuch mich, Torero“, äffte Eva abfällig nach.

„Hör zu, Eva, es tut mir leid.“ Mark lächelte ermutigend. „Das mit uns

beiden wird nix. Und keine Sorge. Das gleiche gilt für deine

Busenfreundin. Die Getränke heute gehen aufs Haus. Und ihr würdet mir

eine große Freude machen, wenn ihr euch für diese kranken

Psychospielchen eine andere Bar sucht.“

Mark sah auf der Suche nach Bestätigung zu Katze. Ihr zufriedenes

Nicken kam seinem Blick entgegen.

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© eckermann&müller Prologe „Wir vom Neptunplatz“ Seite 65

Eva nahm sich einen 10-Euro-Schein, wickelte ihn langsam um ihren

Mittelfinger und tauchte ihn in ihr halbvolles Kölsch. Dann verschwand

auch sie aus der Bar.

Es dauerte eine Weile, bis Mark sich traute, Katze in die Augen zu sehen.

„Sorry, Katze, kommt nicht wieder vor. Lektion gelernt.“

Katze musterte Mark mit einem Nagel-Blick. Plötzlich rissen ihre

Lachfalten auf.

„Respekt, Mark. Du schleppst nicht einfach irgendwelche Frauen ab. Du

nimmst immer die Psychopathinnen.“

Sie grölte hustend. Mark lachte nur Playback mit. Er fühlte sich

keineswegs befreit. Nicht von Eva, nicht von Carmen. Vor allem nicht von

Carmen.

Er hatte seine Lektion gelernt, sicher. Aber irgendwie hatte er den

Eindruck, dass ihm das in seinem Leben nicht zum ersten Mal passiert

war. Und nicht zum letzten.

Frauen, Mann, Frauen.