20
www.caux.ch internationale Konferenzen in Caux 2011 Fruchtbare Böden dank alter techniken 5 Junge muslimische Friedensstifter 8 theorie und Praxis verbinden 14 Die Herausforderung einer nachhaltigen Zukunft 16 Konferenzbericht Caux 2011

Caux Konferenzbericht 2011

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Bericht über die Internationalen Konferenzen in Caux 2011

Citation preview

Page 1: Caux Konferenzbericht 2011

www.caux.ch

internationale Konferenzen in Caux 2011

Fruchtbare Böden dank alter techniken 5

Junge muslimische Friedensstifter 8

theorie und Praxis verbinden 14

Die Herausforderung einer nachhaltigen Zukunft 16

Konferenzbericht Caux 2011

108521_Caux_KB_11_D.indd 1 04.10.11 13:13

Page 2: Caux Konferenzbericht 2011

2  CAUX-KonferenzberiCht 2011

inHalt

Die Internationalen Konferenzen werden alljährlich gemeinsam von CAUX-Initiativen der Veränderung und Initiativen der Veränderung International in Caux bei Montreux organisiert. Seit 1946 rufen sie dazu auf, durch Veränderung des eigenen Verhaltens und Veränderungen in Beziehungen einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme zu leisten. Das Programm 2011 bestand aus einer Reihe von Konferenzen und Trainingsprogrammen, über die in diesem Heft berichtet wird.

Weitere Informationen, Videos, Fotos und vieles mehr finden Sie auf www.caux.ch/2011

Leitartikel

Das Persönliche mit dem Globalen verbinden 3

Menschliche Sicherheit

Wir können die Wüstenbildung stoppen 4Yacouba Savadogo: Fruchtbare Böden dank alter Techniken 5«Arabischer Frühling»: Eine Herausforderung für den politischen Islam 6EDA und Caux Forum für Menschliche Sicherheit: Eine komplementäre Partnerschaft 7

Vielfalt

Junge muslimische Friedensstifter 8Kulturelle Vielfalt als Chance 9Zahra Hassan: Versöhnungsarbeit in der Diaspora 10

Druck und Gestaltung: Brunner AG, Druck und Medien, 6010 Kriens, SchweizRedaktion: Chris Breitenberg, Adriana Borra, Andrew Stallybrass, Philipp ThülerFotos: Abdullah Alwazeen, Maha Ashour, Jean Fichery Dukulizimana, Salim Kassam, Christoph Kaufmann, Raluca Carmen Ocean, Charlotte Sawyer, Kismet Waked, Kosima Weber, Liu Yaya

Training

Konfliktbewältigung mit «Circles of Peace» 12Mary Ella Keblusek: «Eine Gelegenheit, an meinem inneren Frieden zu arbeiten» 13

Caux Scholars Program

Theorie und Praxis verbinden 1420 Jahre «Caux Scholars Program» 15

CAUXexpo

Ruth-Gaby Vermot-Mangold: «Keine Frauen – kein Frieden» 15

Wirtschaftsethik

Göran Carstedt: Die Herausforderung einer nachhaltigen Zukunft 16Jane Royston: Ich hatte den Traum, ein faires Unternehmen aufzubauen 18

Caux und IofC

Caux Konferenzen und IofC: Machen Sie mit! 19

Caux 2012

Internationale Konferenzen in Caux 2012 20

108521_Caux_KB_11_D.indd 2 04.10.11 13:13

Page 3: Caux Konferenzbericht 2011

EDITORIAL

CAUX-KonferenzberiCht  2011  3

leitartiKel

dem  sich  vor  allem  auf  Strukturen konzentrierenden Ansatz des eDA. 

Der Ansatz von Caux versucht, das «Persönliche»  und  das  «Globale» in einem wechselseitigen, kreativen Prozess zu verbinden. initiativen der Veränderung glaubt,  dass  Verände-rung immer aus Veränderungen im eigenen Leben und in persönlichen beziehungen  hervorgeht.  Die  or-ganisation  versammelt  Menschen, die  vom  Wunsch  motiviert  sind, Mitgefühl  und  Gerechtigkeit  reali-tät werden zu lassen. Und von der ewigen  Suche  nach  einer  inneren Weisheit,  die  jeden  Menschen  in seinem  menschlichen  tun  leiten kann. 

edward A. Peters, Geschäftsführender Vizepräsident

initiativen der Veränderung international

Das Persönliche mit dem Globalen verbinden

Göran  Carstedt,  einer  der  promi-nentesten  europäischen  Wirt-schaftsführer,  zitierte Václav havel: «es ist, als ob etwas zerbröckle und zu  ende  gehe  –  während  etwas  anderes, noch Undefinierbares, aus dem  Schutt  entsteht.»  Die  Caux-Konferenzen möchten diese «Wie-dergeburt» unterstützen. 

Das  diesjährige  Programm  war hochaktuell.  Ägypter  und  tunesier brachten  die  energie  des  «Arabi-schen frühlings» mit und suchten in einem  zweitägigen  Workshop  ge-meinsam  mit  europäischen  Politi-kern nach Wegen, die entstehende Demokratie zu stärken. 

norwegen und europa standen un-ter  Schock  nach  dem  von  einem rechtsextremen  Attentäter  ange-richteten Massaker, als sich in Caux 45  junge europäische Musliminnen zu  einem  trainingsprogramm  zu Vertrauensbildung trafen. 

Vor dem hintergrund der globalen Schuldenkrise  versammelte  die Konferenz  Vertrauen und integrität in der Weltwirtschaft  200  Wirt-

schaftsvertreter,  Ökonomen,  Um-weltspezialisten  und  Studierende, um über Wege zu mehr Gerechtig-keit und nachhaltigkeit in der Wirt-schaft zu diskutieren. 

Aufgrund  von  bodenerosion  ver-schwindet  jährlich  fruchtbarer  bo-den von der dreifachen Grösse der Schweiz.  An  einem  diesem  Prob-lem  gewidmeten  tag  wurden  un-ter  anderem  von  Luc  Gnacadja, Vorsitzender  des  Übereinkom-mens der Vereinten nationen  zur bekämpfung  der  Wüstenbildung (UnCCD),  initiativen  vorgestellt, wie  diese  entwicklung  gestoppt werden kann. 

Der  besondere  beitrag  von  Caux besteht  in  seinem  fokus  auf  die menschliche  Dimension,  erklärte Claude Wild,  Chef  der  Politischen Abteilung  iV  des  eidgenössischen Departements  für  auswärtige  An-gelegenheiten  eDA:  «Die  Konfe-renzen  in Caux  konzentrieren  sich sehr stark auf persönliche erfahrun-gen,  auf  die  Verantwortung  des einzelnen  und  ‹Life  Skills›.»  Dies, sagte er, sei eine gute ergänzung zu 

108521_Caux_KB_11_D.indd 3 04.10.11 13:13

Page 4: Caux Konferenzbericht 2011

4  CAUX-KonferenzberiCht 2011

MensCHliCHe siCHerHeit

Wir können die Wüstenbildung stoppen Das Caux Forum für Menschliche Sicherheit beschäftigte sich unter anderem mit den dringenden Problemen der Bodenerosion und Wüstenbildung, die jährlich fruchtbaren Boden von der dreifachen Grösse der Schweiz zerstören.

Auf Anfrage von Luc-Marie Gnacadja, Vorsitzender des Übereinkommens

der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD), widmete das Forum einen ganzen Tag der Diskus-sion über mögliche Lösungen dieser Situa-tion. Das Resultat, so Gnacadja, «übertraf meine Erwartungen und entsprach ganz der Tradition von Caux als treibende Kraft für Veränderungen».

«Nur der Mensch beutet die Erde bis zur Wüstenbildung aus», sagte Gnacadja. «Wir sind die Hautkrankheit des Plane-ten.» Trockene Gebiete seien am meisten von der Erosion betroffen. Sie stellen ein Drittel der gesamten Landfläche dar und 44 % der weltweiten Nahrungsmittel wer-den dort produziert. Der Verlust von fruchtbarem Boden sei ein Hauptgrund für Konflikte, da er Millionen von Men-schen zur Migration zwinge.

Die «vergessene Milliarde»

«So viel hängt von so wenig ab und wir packen das Problem nicht wirklich an der Wurzel», fuhr Gnacadja fort. Acht von zehn Konflikten auf dem Planeten spiel-ten sich in Trockengebieten ab. «Die gute Nachricht ist, dass die Menschen vor Ort etwas unternehmen. Wir müssen ihre An-strengungen unterstützen.» Er rief dazu auf, sich mehr um die «vergessene Milli-arde» zu kümmern, die ärmsten Men-schen der Welt. Wüstenbildung stehe in engem Zusammenhang mit Nahrungs-mittelsicherheit, politischer Stabilität und letztlich menschlicher Sicherheit.

Clare Short, britische Entwicklungsminis-terin zwischen 1997 und 2003, sah die Zeichen der Trockenheit und Wüstenbil-dung in vielen Teilen der Welt mit eige-nen Augen. All diese Zeichen würden letztlich zu Hungersnöten wie derjenigen, die sich gegenwärtig am Horn von Afrika abspielt, führen. «Aber es gibt Antworten, die rasch zu Lösungen führen können. Wir müssen beginnen, die Dinge richtig zu machen», sagte sie.

Nahrung für 2,5 Millionen

Auch Chris Reij, Experte für nachhaltigen Landbau beim Zentrum für Internatio-nale Zusammenarbeit der Freien Univer-sität Amsterdam, unterstrich die positiven Entwicklungen. Er nannte Beispiele aus der Sahelzone, dem grossen, trockenen Gebiet südlich der Sahara. Diese Region leide besonders stark an den immer extre-mer werdenden Klimabedingungen und den immer höheren Nahrungsmittelprei-sen. «Es gibt aber Hoffnung», sagte Reij. Ein gutes Beispiel sei die von Bauern vor-angetriebene Rückgewinnung fruchtba-ren Bodens in Teilen des Niger. «In den letzten 20 Jahren wurden 5 Millionen Hektaren wieder fruchtbar gemacht. Das bedeutet Nahrung für 2,5 Millionen Menschen», sagte Reij. Jetzt gehe es da-rum, die in Niger angewandten Metho-den in weitere Gebiete zu exportieren: «Wir können die Lebensumstände von Millionen von afrikanischen Bauern und Hirten verbessern!»

Experten, Vertreter von Basisorganisatio-nen und Bauern nahmen an diesem Tag des Forums teil – eine Mischung, die ty-pisch ist für Caux. Martin Frick, Pro-grammleiter für Klimadiplomatie bei der

NGO «Third Generation Environmenta-lism E3G», sagte: «Caux gibt uns Raum für Einsichten, Raum, der uns inspiriert und herausfordert. Hier habe ich reali-siert, dass der wichtigste Faktor bisher nicht berücksichtigt wurde – die Men-schen an der Basis der Pyramide.»

Andrew Stallybrass

luc-Marie Gnacadja

108521_Caux_KB_11_D.indd 4 04.10.11 13:13

Page 5: Caux Konferenzbericht 2011

CAUX-KonferenzberiCht 2011  5

Fruchtbare Böden dank alter technikenYacouba Savadogo ist ein 65-jähriger Kleinbauer aus Burkina Faso und Protagonist des Dokumentarfilms «The man who stopped the desert». Mithilfe von traditionellen Techni-ken gelang es ihm, Böden wieder nutzbar zu machen, die bereits als verloren gegolten hatten. Er sprach am Caux Forum nach der Vorführung seines Films.

Was motivierte Sie dazu, Landwirt zu werden?

Ich fing 1979 mit dieser Arbeit an. Meine Familie und ich litten häufig Hunger. Deswegen musste ich etwas unterneh-men. Im Vergleich zu anderen ging es uns noch relativ gut, aber ich wusste, wenn ich nichts unternehme, gehe ich früher oder später bankrott oder wir verhungern. Also gab ich meine Arbeit als Händler auf, um auf dem Land als Landwirt zu arbeiten. Heute läuft meine Produktion sehr gut und das geht allen so, die die gleichen Methoden wie ich anwenden. Je-den Tag kommen Gruppen von fünf oder zehn Leuten zu mir und fragen mich, wie ich mein Land bebaue. Dieser Austausch von Informationen ermöglicht uns, von-einander zu lernen und ermutigt mich dazu, meine Arbeit weiterzuführen.

Welche Techniken nutzen Sie? Ich nutze vor allem verbesserte traditio-nelle Techniken, um mein Land zu be-bauen. Ich versuche, so viele Samen wie möglich von Bäumen zu sammeln, um diese Bäume auf meinem Feld zu pflan-zen. Es ist wichtig, Baumarten anzupflan-zen, die es dort noch nicht gibt, denn das vergrössert die Vielfalt der Pflanzen und der Möglichkeiten. Ich beobachte, wie der Boden und die Pflanzen darauf reagie-ren. Je grösser die Vielfalt der Bäume, desto besser ist das für alle Pflanzen.

Sie hatten nie die Möglichkeit, die Schule zu besuchen. Woher wissen Sie, dass Sie auf dem richtigen Weg sind? Es ist nicht nötig, zur Schule zu gehen, um zu wissen, was zu tun ist. Es kommt vielmehr darauf an, eine Vision zu haben, die Entwicklungen zu beobachten, Dinge wenn nötig zu ändern und weiterzuma-chen.

Denken Sie, dass Ihre Arbeit den Um-gang der Menschen miteinander verän-dert hat? Ja. Wer während der Regenzeit hart arbei-tet, hat in der Trockenzeit genug zu essen und kann sogar teilen. Die meisten Men-schen, die meine Techniken anwenden, sind solidarischer geworden, weil sie alle genug haben, um mit ihren Nachbarn zu teilen. Davor war es schwieriger, zu teilen. Jetzt haben sich die Dinge geändert und das hat auch die Beziehungen zwischen den Menschen verbessert.

Jean Fichery Dukulizimana

Yacouba savadogo: «Der Mann, der die Wüste stoppte»

Caux Forum für Menschliche Sicherheit

Das vierte Caux Forum für Menschliche Sicherheit fand vom 10. bis 17. Juli in Caux statt. Ziel war es, die traditio-nelle Logik der Diplomatie weiterzu-entwickeln und gemeinsames Handeln zu fördern, indem gegenseitiges Zuhö-ren, Bewältigung der Vergangenheit und kreative Initiativen angeregt wur-den. Peter Maurer, Staats sekretär im Eidgenössischen Departement für aus-wärtige Angelegenheiten, eröffnete das Forum. Die Schweizer Regierung sei stolz, die Bemühungen des Forums um ein «innovatives Denken im Be-reich der menschlichen Sicherheit» zu unterstützen, sagte er. Am Forum nahmen rund 350 Diplo matInnen, WissenschaftlerInnen, NGO-Vertre-terInnen und FriedensaktivistInnen teil, um gemeinsam über Wege zur Verbesserung der menschlichen Si-cherheit zu diskutieren.

«Je grösser die Vielfalt der Bäume, desto besser ist das für alle Pflanzen.»

108521_Caux_KB_11_D.indd 5 04.10.11 13:13

Page 6: Caux Konferenzbericht 2011

6  CAUX-KonferenzberiCht 2011

eine Herausforderung für den politischen islamDie politische Position des Islam in Ägypten und Tunesien nach dem Arabischen Frühling stand im Zentrum einer zweitägigen Sonderveranstaltung während des Caux Forums für Menschliche Sicherheit. Die vierzig Teilnehmenden konnten offen und im Vertrauen mit-einander sprechen.

Diplomaten, Aktivisten, Menschen-rechtsspezialisten und Journalisten

sprachen von den Herausforderungen, vor denen die arabische Welt nach der Revolu-tion stehe. Die Ägypterin Anissa Hassouna betonte die Notwendigkeit der Versöhnung mit jenen, die mit dem alten Regime ver-bunden seien. Der tunesische Journalist Lotfi Hajji sagte, dass es an der Zeit sei, das Polizei- und Justizsystem zu reformieren.

Abdelfattah Mourou, Mitbegründer der tunesischen Ennahda-Partei, argumen-tierte, dass es die wohl grösste Herausfor-derung für die arabischen Völker sei, eine Demokratie für alle anstelle einer Pseudo-demokratie mit Herrschern und Unterta-nen zu schaffen. «Einige glauben, Tune-sier seien Islamisten und Feinde der Frei-heit, aber die Muslime wurden unter dem autokratischen Regime verhöhnt, inhaf-tiert und ins Exil getrieben», erinnerte Mourou. Der französische Parlamentarier Etienne Pinte erwiderte: «Euer Schicksal liegt in euren Händen. Es liegt an euch, eine Verfassung zu schreiben, eine Demo-kratie aufzubauen. Wir sind hier, um

euch zu unterstützen, nicht, um euch zu sagen, was ihr zu tun habt.»

Alle Redner betonten die Hoffnung, dass die arabischen Muslime eine wahre De-mokratie aufbauen würden. «Sie [die ara-bischen Muslime] stehen nicht für Re-pression und Polygamie, sie wollen auch nicht die Scharia einführen und eine tra-ditionalistische Gesellschaft aufbauen», sagte Mourou. «Demokratie muss gelebt werden, sie ist das Resultat von Verant-wortung. Wenn Islamisten von der Poli-tik ausgeschlossen werden, werden sie auch von dieser Verantwortung befreit.»

Slim Bouaziz hatte ein Lächeln auf den Lippen, als er nach einer Woche mit vie-len Meetings und Diskussionen seine Sa-chen packte. Es war sein erster Aufenthalt in Europa und der junge tunesische Stu-dent sagte: «Wir sind nun dabei – sie [die westliche Welt] verstehen, dass die Auf-stände in keinem direkten Zusammen-hang mit Religion stehen und dass wir nichts anderes als Demokratie wollen. Es ist der Beginn einer neuen Ära.»

Frédéric Chavanne, zuständig für Afrika und die Mittelmeerländer bei Initiativen der Veränderung Frankreich, zog Bilanz: «Die Gespräche wurden sehr offen geführt, und die Nordafrikaner haben ihre Prob-leme mit der westlichen Welt dargelegt.»

Chavanne ist sich bewusst, dass die Angst vor dem Islam zu einem Scheitern der Re-volutionen führen könnte, aber er hofft, dass die tunesischen Islamisten der Welt zeigen, dass eine Kombination von Islam, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mög-lich ist. «Wir alle waren von der tunesi-schen Revolution überrascht, die uns ein anderes Bild der arabischen Welt offen-barte. Wir haben Vertrauen», sagte er. «Diese Tage haben uns zumindest er-laubt, eine offene Diskussion in einer At-mosphäre des Vertrauens zu führen, mit dem Willen, gemeinsam etwas Neues zu schaffen.»

Jean Fichery Dukulizimana

MensCHliCHe siCHerHeit

Der tunesische Journalist lotfi Hajji

108521_Caux_KB_11_D.indd 6 04.10.11 13:13

Page 7: Caux Konferenzbericht 2011

CAUX-KonferenzberiCht 2011  7

Claude Wild

EDA und Caux Forum für Menschliche sicherheit: Eine komplementäre Partnerschaft

Interview mit Claude Wild, Chef der Politischen Abteilung IV des Eidgenös-sischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA, die das Caux Forum für Menschliche Sicherheit seit dessen erster Ausgabe 2008 unterstützt.

Warum unterstützt das EDA das Caux Forum für Menschliche Sicherheit?Das EDA unterstützt dieses Forum seit 2008. Dies vor allem, weil die Thematik des Forums, die menschliche Sicherheit, zu unserem Mandat passt und weil wir die Zusammenarbeit zwischen Initiativen der Veränderung (IofC) und der Politi-schen Abteilung IV (PA IV), die 2005 in Burundi begann, weiterführen wollen.

Diese Zusammenarbeit ist wichtig, um gewisse Aktivitäten in Bezug auf die Frie-denspolitik der PA IV in Afrika zu reali-sieren (Region der Grossen Seen, West- und Zentralafrika).

Speziell in Burundi hat IofC seit 2003 den Dialog zwischen den Rebellen der Palipehutu-FNL und der Regierung ge-fördert und setzt sich heute für einen demokratischen Dialog zwischen aus ser-par lamentarischer Opposition und Regie-rung ein. Dieses Projekt wird seit Novem-ber 2005 von der PA IV finanziert. In West- und Zentralafrika arbeitet die PA IV seit 2007 mit IofC zusammen, insbe-

sondere in der Weiterbildung von afrika-nischen Mediationsspezialisten und im Bereich der Vergangenheitsarbeit.

Wie passen IofC und Caux in dieschweizerische Aussenpolitik?Die Konferenzen in Caux konzentrieren sich sehr stark auf persönliche Erfahrun-gen, auf die Verantwortung des Einzelnen und «Life Skills». Dies ist für das EDA ein interessanter Ansatz, denn unser Zugang zur menschlichen Sicherheit ist tendenzi-ell eher strukturell. Für die PA IV ist IofC somit ein Partner, der eine interessante Ergänzung zu unserem Ansatz einbringt, insbesondere auch auf operationeller Ebene.

Was können Caux und IofC besser machen? Die Verbindung zwischen den politischen und den sozialen Akteuren könnte noch verstärkt werden, um in den verschiede-nen Ländern, aus denen die Teilnehmen-den kommen, eine aktivere Weiterverfol-gung der Themen der Konferenzen zu ermöglichen.

Was würden Sie in Caux verändern, wenn Sie könnten?Warum eine Initiative verändern, die wunderbar läuft? Die Qualität der Dis-kussionen bei den verschiedenen Ausga-ben des Forums hat dies gezeigt. Nach

dem Forum 2012, welches das fünfte und letzte in dieser Form sein wird, wäre es jedoch nützlich und spannend, die ge-machten Erfahrungen und das Gelernte zu nutzen und noch mehr politische Per-sönlichkeiten für diese Fragen zu mobili-sieren.

Philipp Thüler

108521_Caux_KB_11_D.indd 7 04.10.11 13:13

Page 8: Caux Konferenzbericht 2011

8  CAUX-KonferenzberiCht 2011

VielFalt

Junge muslimische Friedensstifter 45 junge Musliminnen und Muslime aus Bosnien, Deutschland, Frankreich, Grossbritan-nien, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Schweden und der Schweiz kamen vom 20. bis 31. Juli in Caux zusammen, um am Trainingsprogramm «Learning to be a Peace-maker» teilzunehmen. Das Programm fand nach 2009 zum zweiten Mal in Caux statt und wurde vom britischen Imam Ajmal Masroor geleitet.

rem Glauben auseinandersetzen und ler-nen wollten, wie er im europäischen Um-feld praktiziert werden kann. Das Programm war darauf ausgerichtet, die Teilnehmenden dabei zu unterstützen, für Frieden und Verständigung in ihrem nä-heren und weiteren Umfeld einzutreten.

Das Programm bestand aus einem viertä-gigen Kurs, bei dem muslimische Ansätze der Friedensförderung studiert wurden, sowie der Teilnahme an der Konferenz Gemeinsam Vielfalt leben: Diaspora und Friedensförderung in Europa.

Gemeinsamkeiten unterstreichen – Unterschiede respektieren

Sabina Ali, eine junge Frau, die in Gross-britannien lebt und arbeitet, sagte: «Was ich hier in Caux erlebe, erweckt die Ide-ale, die ich durch die Religion kennen ge-lernt habe, zum Leben. Ich kann die hier gemachten Erfahrungen mit nach Hause nehmen und in meinem Berufsleben an-wenden. Dank dem hier Erlernten habe

ich als muslimische Frau viel an Selbstver-trauen gewonnen.» Alle Religionen hätten gewisse Gemeinsamkeiten und es sei wichtig, diese Gemeinsamkeiten zu unter-streichen, aber gleichzeitig auch die Un-terschiede zu respektieren.

Ein weiterer Teilnehmer, Suleyman Sakha, ein Zahnarzt aus Grossbritannien, sagte, er hoffe, dass dieses Programm junge, gebildete Muslime dazu ermutige, ihre Ansichten über das Weltgeschehen auszudrücken, um so das Verständnis zwi-schen Menschen verschiedener Religionen und Kulturen zu verbessern. «Man muss kein Muslim sein, um die Schönheit des Islams zu verstehen. Es geht darum, eine gemeinsame Basis zwischen den Wertvor-stellungen verschiedener Menschen zu fin-den und das zu tun, was am besten für alle ist – ohne die Menschen- und Bürger-rechte einer Gruppe zu verletzen.»

Tanya Wood

«Heute sehen junge britische Mus-lime, wie Grossbritannien

Krieg führt in den Ländern, aus denen ihre Eltern kommen. Das lässt sie daran zweifeln, ob sie sich voll für die Gesell-schaft engagieren sollen, in der sie aufge-wachsen sind. Die Reaktionen der Mehr-heitsgesellschaft können ebenso zwiespäl-tig sein und diese Kombination kann Frustrationen und Wut auslösen», sagt der Engländer Peter Riddell, Koordinator des Programms. «Die muslimische Welt ist nun Teil der europäischen Welt. Euro-päer zu sein bedeutete bis vor wenigen Jahrzehnten noch, weiss und Christ zu sein. Das ist heute ganz anders. Die ‹alten› und die ‹neuen› Europäer sind dabei, ge-meinsam eine neue Kultur zu schaffen. Dies kann ein sehr kreativer Prozess sein, wenn wir den anderen zu verstehen versu-chen und uns in diesem Prozess mit gan-zem Herzen engagieren.» Darin bestehe, glaubt Riddell, die Bedeutung dieses Trai-ningsprogramms.

Die Teilnehmenden des Programms wa-ren junge MuslimInnen, die sich mit ih-

108521_Caux_KB_11_D.indd 8 04.10.11 13:13

Page 9: Caux Konferenzbericht 2011

CAUX-KonferenzberiCht 2011  9

oliver Freeman, experte für das Programm «intercultural Cities» des euro-parats

Kulturelle Vielfalt als ChanceMigration ist eine Tatsache. Doch wie gehen wir mit der daraus entstehenden kulturellen Vielfalt um? Diese Frage stand bei einer Podiumsdiskussion zum Thema «Das neue Wir: Wege zur Förderung einer offenen und respektvollen multikulturellen Gesellschaft» wäh-rend der Konferenz Gemeinsam Vielfalt leben: Diaspora und Friedensförderung in Europa im Zentrum.

Dibyesh Anand, Professor an der Fa-kultät für Politik und Internationale

Beziehungen der Universität Westminster in London, betonte, dass Europa nicht nur ein Problem habe, sondern vielmehr ein Problem sei. Oft würden Werte wie Menschenrechte und Demokratie als ur-europäische Institutionen und gleichzeitig als universell angesehen. Dies sei gefähr-lich, da Demokratie nicht eine Institution an sich sei, sondern ein Idealzustand, auf den immer hingearbeitet werden müsse.

Die ideale Demokratie sei nicht die Ty-rannei der Mehrheit, fuhr Anand fort, sondern müsse vor allem dem Schutz der Rechte von Minderheiten dienen. Die Minarettinitiative in der Schweiz sei ein Beispiel dafür, dass es auch in einer De-mokratie, die den Umgang mit Minder-heiten eigentlich gewohnt ist, zu Diskri-minierungen kommen kann. Letztlich müssten wir alle erkennen, dass wir in ir-gendeiner Weise immer Teil einer Min-

derheit sein werden. Wer dies akzeptiere, werde automatisch bescheidener. Und ge-nau diese Bescheidenheit, nicht der Stolz auf die eigene Identität, öffne den Weg hin zu einem «neuen ‹Wir›», den Weg hin zu einer europäischen Gesellschaft, die kulturelle Vielfalt nicht nur toleriert, son-dern die vielmehr deren Chancen und Potenziale erkennt und nutzt.

Vielfalt positiv nutzen

Oliver Freeman, ehemaliger Vizevorsit-zender der schweizerischen Konferenz der Integrationsbeauftragten und heute unter anderem als Experte für das Europarat-Projekt «Intercultural Cities» tätig, unter-mauerte diese Einschätzung durch seine

Äusserungen. Freeman räumte ein, dass Migration und die daraus resultierende kulturelle Durchmischung Menschen ver-unsichere. Es sei sehr einfach und gleich-zeitig gefährlich, diese Unsicherheiten in Ängste zu verwandeln und daraus poli-tisch Profit zu schlagen.

Freeman stellte verschiedene Möglichkei-ten für den Umgang mit Migration und kultureller Vielfalt vor: Assimilation (a + b = a) führt dazu, dass Gruppe b vollstän-dig in die bestehende Gesellschaft a integ-riert wird; Multikulturalität (a + b = a + b) bedeutet, dass Gruppe b und die beste-hende Gesellschaft a friedlich nebenein-ander existieren, aber eben nebeneinan-der, während die vom Europarat ange-strebte Trans- bzw. Interkulturalität (a + b = c) zur Aufnahme von Gruppe b in der bestehenden Gesellschaft a führt. Daraus kann dann etwas Neues entstehen, näm-lich Gesellschaft c. Freeman illustrierte dies wie folgt: «Wir dürfen die Gesell-schaft nicht als Maschine sehen, die nicht mehr funktioniert, sobald ein Fremdkör-per hineinfällt. Stattdessen vergleiche ich die Gesellschaft mit einem Ökosystem,

das sich anpasst und fremde Elemente aufnimmt.» Das c könne man, so Free-man, auch durch ein h ersetzen, das für Humanitas oder Menschlichkeit steht, welche dadurch gleichzeitig zum ange-strebten Endergebnis wird.

Vom «Ich» zum «Wir»

Menschlichkeit als wichtiges verbinden-des Element war auch das Fazit des drit-ten Redners des Tages, John Battle, eines ehemaligen britischen Parlamentariers. In seinem Quartier in Leeds, in dem 21 Sprachen gesprochen werden und in dem es Moscheen, Kirchen und Kulturen aus aller Welt gibt, sei es unabdingbar, dass alle bereit seien, das «neue Wir» zu schaf-fen. Wahrer Wandel müsse immer von unten kommen. Um das zu erreichen, müssen die Beteiligten aber das verbin-dende Element der Menschlichkeit erken-nen und «vom Ich wegkommen», denn eigentlich, so John Battle, «müsste es nicht heissen ‹Ich denke, also bin ich›, sondern ‹Du bist, also bin ich›.»

Philipp Thüler

«Ich vergleiche die Gesellschaft mit einem Ökosystem, das sich anpasst und fremde Elemente aufnimmt.»

108521_Caux_KB_11_D.indd 9 04.10.11 13:13

Page 10: Caux Konferenzbericht 2011

10  CAUX-KonferenzberiCht 2011

Zahra Hassan: grosses engagement für die somalische Diaspora

Versöhnungsarbeit in der DiasporaZahra Hassan wurde in Somalia geboren und lebt heute in Grossbritannien. An der Kon-ferenz Gemeinsam Vielfalt leben: Diaspora und Friedensförderung in Europa sprach sie über die Rolle von Frauen in der Diaspora.

K önnen Sie uns etwas über die Organisationen erzählen, mit denen Sie arbeiten?

Die drei Organisationen sind ähnlich. Die «Women of the Horn Association» (Verei-nigung der Frauen vom Horn von Afrika) beispielsweise ist eine Organisation, die mit Frauen aus Ostafrika (Somalia, Äthio-pien, Djibouti usw.) arbeitet, die in Gross-britannien leben. Wir versuchen, diese Frauen miteinander zu vernetzen, und hel-fen so der ganzen Diaspora und der Gesell-schaft überhaupt. Die «Somali Commu-nity for Dialogue and Democracy» (Soma-lische Gemeinschaft für Dialog und Demokratie) und Initiativen der Verände-rung (IofC) haben auch ähnliche Ziele, nämlich die Vertrauensbildung zwischen den einzelnen Gruppen. In Somalia herrscht noch immer Bürgerkrieg und es gibt viele Probleme. In der Diaspora haben wir zwar nicht mit Konflikten zwischen Clans zu kämpfen, aber wir sind mit Prob-lemen konfrontiert, die an das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft gekop-pelt sind: Sprachbarrieren, Verständnis-probleme, Informationslücken usw. Dies müssen wir angehen.

Wie sind Sie persönlich in diesen Orga-nisationen engagiert? Bei IofC beispielsweise arbeite ich eng mit

dem Programm «Agenda for Reconcilia-tion» (Agenda für Versöhnung) zusam-men, in dessen Rahmen wir uns treffen und über Versöhnung, Vergebung und Vertrauensbildung innerhalb der Dias-pora diskutieren. Wir wollen verstehen, was Vergebung und Versöhnung bedeu-ten. Der Grund, warum wir in diesem Programm mitmachen, ist unser Ein-druck, dass es in der somalischen Gesell-schaft viel Hass gibt, den wir immer noch spüren. Wir versuchen, eine Plattform an-zubieten, die von Leuten genutzt werden kann, um sich zu versöhnen und so einen echten Dialog zu ermöglichen.

Ich engagiere mich als Moderatorin sol-cher Dialoge und oft bringe ich Frauen-gruppen zusammen, in welchen wir über Probleme in unserem Leben diskutieren. Wir versuchen auch zu klären, was wir erreichen wollen. Frieden ist nicht etwas, das man ignorieren kann, denn wir brau-chen ihn und es ist ein langer Weg dort-hin.

Was motiviert Sie? Ich möchte ein Vorbild sein, denn ich bin Mutter und Ausbilderin. Mein Ziel ist es zu zeigen, dass wir, die Diaspora, zu einer besseren Gemeinschaft werden können, wenn wir zusammenarbeiten. Wenn die

Diaspora zu einer funktionierenden Ge-meinschaft wird, können wir unsere Leute unterstützen, die am Horn von Afrika lei-den. Meine Stärke kommt auch von mei-ner Religion, denn sie sagt, dass man Menschen in Not helfen soll.

Machen Sie persönlich in Sachen Vergebung Fortschritte?Ich versuche, meine Religion zu nutzen, und das bringt mir Frieden. Allah sagt: «Wenn du der Menschheit nicht verzei-hen kannst, dann kann ich dir nicht ver-zeihen.» Wir müssen somit jedem verge-ben, der uns hasst – so wurde ich erzogen. In der Gemeinschaft sprechen wir die Probleme an. Letzthin sprachen wir zum Beispiel über die Unterschiede zwischen der jungen und der alten Generation und wo wir Vermittlung benötigen. Deshalb haben wir jetzt begonnen, Workshops zu organisieren, in denen wir die zwei Gene-rationen zusammenbringen.

Fühlen Sie persönlich, dass Sie jeman-dem vergeben müssen? Das Wort Vergebung ist ein sehr grosses Wort. Und es ist schwierig, Vergebung zu finden und zu vergeben. Wenn ich Work-shops moderiere, sage ich manchmal, dass «Sorry» ein einfaches Wort ist, da es nur aus fünf Buchstaben besteht. Aber dieses

VielFalt

108521_Caux_KB_11_D.indd 10 04.10.11 13:13

Page 11: Caux Konferenzbericht 2011

CAUX-KonferenzberiCht 2011  11

Wort von ganzem Herzen zu sagen – das ist eine andere Sache. Ich persönlich bitte immer um Vergebung. Wir alle sind Menschen und es gibt immer wieder schwierige Momente. Ich gehe immer auf die betroffene Person zu, setze mich mit ihr an den Tisch und schaue, was wir ein-ander vergeben müssen. Es gibt immer Dinge, für die man um Vergebung bitten muss, und Dinge, die man zu vergeben hat.

Gibt es eine Erfolgsgeschichte, die Sie erzählen können?Während einer Gesprächsrunde gab es einmal eine Geschichte, die alle Teilneh-menden berührte. Eine Frau, die am Trai-ning teilgenommen hatte, kehrte nach der Diplomübergabe nach Hause zurück. In dieser Nacht hörte sie Streitereien, die aus einer anderen Wohnung in ihrem Haus kamen. Sie hörte zu und fand heraus, dass es sich um einen Streit zwischen einem Ehepaar handelte. Sie klopfte an und fragte, was los sei. Die Ehepartner redeten wild durcheinander. Sie sagte ihnen, dass sie an einem sechstägigen Training zur Gesprächsmoderation teilgenommen habe und dass das Wichtigste, was sie dort

Diaspora und Friedensförderung

gelernt habe, «Offenheit und Zuhören» sei. Wenn eine andere Person spreche, dürfe sie nicht unterbrochen werden. Sie forderte das Paar auf, sich hinzusetzen und einander zuzuhören. In weniger als 15 Minuten war das Problem gelöst.

Jean Fichery Dukulizimana

Die Konferenz Gemeinsam Vielfalt le-ben: Diaspora und Friedensförderung in Europa fand vom 26. bis 31. Juli 2011 statt. Es war die dritte Ausgabe der Konferenzreihe, die auf die langjährige Erfahrung von Initiativen der Verände-rung im Bereich Dialogprozessbeglei-tung und Vertrauensbildung aufbaut. Dieses Jahr legte die Konferenz ihr Hauptaugenmerk auf den Beitrag der Diasporagemeinschaften zur Friedens-förderung. Eröffnet wurde die Konfe-renz von Anne Catherine Ménétrey-Sa-vary, einer ehemaligen Nationalrätin.

In ihrer Rede verurteilte sie die frem-den- und islamfeindlichen Trends, die im mangelnden Vertrauen zwischen Migranten und der Mehrheitsgesell-schaft begründet seien.

Ziel der Konferenz war es, eine gemein-same Vision von einer inklusiven inter-kulturellen Umgebung zu entwickeln und mögliche Wege auszuloten, diese Vision zu realisieren. Neben Vorträgen und Diskussionen waren auch Weiter-bildungskurse Teil des Konferenzpro-gramms.

108521_Caux_KB_11_D.indd 11 04.10.11 13:13

Page 12: Caux Konferenzbericht 2011

12  CAUX-KonferenzberiCht 2011

Konfliktbewältigung mit «Circles of Peace»Im Rahmen der Konferenz Verändere dich selbst – Verändere die Welt nahmen 35 Frauen aus allen Teilen der Welt an einem Weiterbildungskurs teil, der von «Creators of Peace», einem Programm von Initiativen der Veränderung, organisiert worden war.

Der Kurs bot die Möglichkeit, einen «Peace Circle» – eine der grundle-

genden Methoden von «Creators of Peace» – zu erleben und danach, im zwei-ten Teil des Kurses, zu lernen, einen «Peace Circle» zu moderieren. Bei einem «Peace Circle» wird jede Teilnehmerin dazu aufgefordert, ihre eigene Geschichte zu erzählen. «Das Erzählen ist ein wichti-ges Element der Heilung und Emanzipa-tion», erklärt Jean Brown, die die «Peace Circle»-Methode entwickelt hat. «Viele Teilnehmerinnen wurden von Gefühlen überwältigt, nachdem sie ihre Geschichte erzählt hatten. Einige von ihnen kommen aus sehr schwierigen Situationen und für viele war dies das erste Mal, dass sie diese Erlebnisse jemandem anvertrauten.»

Esther Zando war eine dieser Frauen: «Ich kam hierher, um zu lernen, wie ich zum Frieden in meinem Land beitragen kann, aber ich habe herausgefunden, dass ich

zuerst inneren Frieden finden muss. Die Atmosphäre während des Workshops war sehr freundschaftlich und menschlich und das hat mich beeindruckt.» Die junge Frau aus Côte d’lvoire – ein Land, das kürzlich einen zerstörerischen Konflikt er-lebt hat – sagte, sie werde nach Hause zu-rückkehren, um dabei zu helfen, die Grä-ben, die das Land teilen, zu überwinden: «Sogar innerhalb von Familien gibt es diese Trennlinien. Unter Nachbarn gibt es Misstrauen. Wir müssen dies gemein-sam überwinden. Die ‹Peace Circles› kön-nen dabei helfen, Menschen zu überzeu-gen, dass Unterschiede uns nicht trennen müssen. Ich habe einen ersten Schritt ge-macht. Der zweite Schritt besteht darin, in meiner Familie und Nachbarschaft an Versöhnung zu arbeiten.»

Zando ist nicht allein. Laut Jean Brown gehen viele Frauen mit dem Ziel nach Hause, die Beziehungen innerhalb ihrer

Familie zu verbessern: «Das ist der Beginn eines Prozesses. Viele Frauen wollen zu-erst die Beziehungen mit ihren Familien-mitgliedern verbessern und das kann ei-nen grossen Effekt haben, auch in einem grösseren Kontext. Warum nicht sogar auf nationaler Ebene?»

«Creators of Peace» ist ein Programm von Initiativen der Veränderung, das von Frauen für Frauen entwickelt und 1991 bei einer Konferenz in Caux lanciert wurde. Zurzeit organisiert «Creators of Peace» Aktivitäten in über dreissig Län-dern auf allen Kontinenten.

Jean Fichery Dukulizimana

Die Konferenz Verändere dich selbst – Verändere die Welt fand vom 3. – 8. Juli 2011 statt. Rund 100 Teilnehmende aus aller Welt hatten die Möglichkeit, einen von sieben verschiedenen Trai-ningskursen zu absolvieren. Einer der Kurse gab Einblick in die Methoden

von «Creators of Peace», einem Pro-gramm von Initiativen der Veränderung, ein anderer beschäftigte sich mit dem Erbe des ehemaligen UNO-Generalsekre-tärs Dag Hammarskjöld, ein weiterer mit Mediation und Konfliktbewältigung. Zu-sätzlich zu den Kursen standen Plenarsit-

zungen auf dem Programm mit Red-nern wie Cornelio Sommaruga, ehema-liger Präsident des IKRK, oder dem Schweizer Goldschmied und Pionier in Sachen fair gehandeltes Gold, Jörg Eg-gimann.

traininG

Weiterbildung

108521_Caux_KB_11_D.indd 12 04.10.11 13:13

Page 13: Caux Konferenzbericht 2011

CAUX-KonferenzberiCht 2011  13

Eine Gelegenheit, an meinem inneren Frieden zu arbeiten

den die Bewahrung meines eigenen inne-ren Friedens ist.

Die grösste Überraschung der Woche war, dass mein kaputter Computer im Grunde ein Geschenk war – eine Gele-genheit, die im Kurs gelernten Techniken an mir selbst anzuwenden … und zu er-kennen, dass Leben die Kunst ist, die all-täglichen Sorgen zu bewältigen, ohne den grösseren Sinn unseres Lebens aus den Augen zu verlieren.

Jetzt gehe ich erneuert und inspiriert nach Hause, bereit, «Peace Circles» als meine eigene «Initiative der Veränderung» zu verbreiten.

vor kurzem entdeckte, hatte ich Schwie-rigkeiten, die Grundwerte, die ich an die-ser Organisation so attraktiv fand, wirk-lich zu leben.

In dieser Woche änderte sich das. Die erste Hälfte des Kurses war dem persönli-chen Erleben eines «Peace Circle» gewid-met. In mehreren Schritten wurde uns gezeigt, was Frieden fördern und was ihn zerstören kann. Wir übten nachzuden-ken, auf die innere Stimme zu hören und zu vergeben. Wir hörten die persönlichen Geschichten der einzelnen Teilnehmerin-nen und öffneten unsere Herzen für sie. Wir fanden Inspiration in den Geschich-ten von Frauen, die irgendwo auf der Welt Konflikte und Ungerechtigkeiten überwanden.

In der zweiten Hälfte des Kurses lernten wir, «Peace Circles» zu moderieren. Zwar war dieser zweite Teil strukturierter und verlangte mehr von den Kursleiterinnen, aber wir hatten auch die Möglichkeit und wurden ermutigt, unsere eigene Persön-lichkeit und Sichtweise in den Prozess einfliessen zu lassen.

Ich verlasse Caux mit einer tiefen Freund-schaft zu Frauen aus der ganzen Welt und mit der Absicht, selber «Peace Circles» zu organisieren. Zudem habe ich erkannt, dass mein grösster Beitrag zum Weltfrie-

«Mein Computer hat den Geist aufge-geben. Die Miete steigt. Meine Bezie-hungen sind kompliziert. Wie kann ich eine ‹Friedensstifterin› sein, wenn ich nicht einmal in meinem eigenen Leben Frieden finden kann?» Die in Kanada lebende US-Amerikanerin Mary Ella Keblusek beschreibt ihren ersten Be-such in Caux und die Teilnahme am «Peace Circle»-Kurs.

Ich kam voller Vorfreude nach Caux. Ich bin zum ersten Mal an diesem magischen Ort. Ich hatte gehört, dass die «Peace Cir-cles» ein wunderbares Werkzeug seien, um Verständnis und gegenseitigen Res-pekt zu bilden. Ich wollte die Möglichkeit nutzen, diese Methode kennen zu lernen und sie allenfalls auch in Kanada anzu-wenden.

Was ich allerdings erlebte, überstieg meine Erwartungen bei weitem. Ich lernte, dass Frieden wirklich (ja, wirklich!) bei mir selbst beginnt: bei meiner Fähig-keit, meinen inneren Frieden zu bewah-ren, anderen gut zuzuhören und bei al-lem, was ich tue, mit vollem Herzen dabei zu sein.

Die Idee, dass persönliche Veränderung zu globaler Veränderung führt, scheint ziemlich einfach zu sein. Aber als jemand, der Initiativen der Veränderung (IofC) erst

Mary ella Keblusek

108521_Caux_KB_11_D.indd 13 04.10.11 13:14

Page 14: Caux Konferenzbericht 2011

14  CAUX-KonferenzberiCht 2011

tom Duncan (rechts), ehemaliger Caux scholar

theorie und Praxis verbindenTom Duncan, ein Umweltberater und -aktivist aus Australien, nahm 2009 am «Caux Scholars Program» teil. Seither engagiert er sich als Mitglied des Organisationsteams des Caux Forums für Menschliche Sicherheit.

W arum entschlossen Sie sich, am «Caux Scholars Program» teilzunehmen?

Seit 2000 arbeite ich im Umweltbereich. 2004 arbeitete ich mit einem australi-schen Programm in China an einem Was-serversorgungsprojekt. Ich sah, dass trotz bester Absichten häufig der menschliche Faktor entscheidend ist. Ich hatte das Ge-fühl, dass das «Caux Scholars Program» mir in diesem Bereich helfen und ich die erlernten Eigenschaften gut bei meiner Arbeit anwenden könnte.

Wie sind Ihre Erinnerungen an das Programm?Es war einfach toll, ein Caux Scholar zu sein. Die Programmleiter waren sehr er-fahren und ich habe viele interessante Menschen getroffen. Wenn ein Caux Scholar eine besondere Person kennen lernte, stellte er diese immer den Mitstu-dierenden vor. Ich denke, das ist mit das Beste an dem Programm. Und je länger es existiert und dieser Mechanismus funk-tioniert, desto grösser wird das Netzwerk. Und je mehr Leute aus verschiedenen Ländern, mit verschiedenen Hautfarben und Religionen, sich kennen, desto grös-ser werden die Chancen, Konflikte zu ver-meiden.

Was hat Ihnen die Teilnahme gebracht? Mir wurde klar, dass die Art und Weise,

wie ich die Welt und mich selbst sah, nicht immer richtig war. Ich musste ein-sehen, dass ich einige Dinge falsch einge-schätzt hatte. Ich hatte die Möglichkeit, mit vielen verschiedenen Menschen zu re-den und konnte dadurch einige dieser Fehleinschätzungen korrigieren.

Es war ausserdem eine tolle Erfahrung für meine Arbeit im Umwelt- und Entwick-lungsbereich. Es ist wirklich inspirierend, all diese Leute zu treffen, die im Feld ar-beiten, und ihre Erfahrungen zu hören.

2009 trat ich dem Organisationsteam des Caux Forums für Menschliche Sicherheit bei. Dies ist eine Möglichkeit für mich, meiner Leidenschaft, Menschen zu hel-fen, weiterhin nachzugehen. Ich mache das also nicht nur, weil es mich im Beruf weiterbringt. Vielmehr geht es mir da-rum, meine Inspiration zu erneuern und Leute zu treffen, die ihre Inspiration und ihren Glauben an die Menschheit auch stetig erneuern. Nur so können wir Lö-sungen finden zu den Fragen, mit denen wir heute konfrontiert sind.

Was raten Sie jemandem, der sich über-legt, am «Caux Scholars Program» teil-zunehmen? Wer etwas lernen will über Konflikttrans-formation und -prävention und etwas für eine bessere Welt tun will, ist hier am

richtigen Ort. Im «Caux Scholars Pro-gram» lernt man die Theorie der Frie-densförderung kennen und am Caux Fo-rum für Menschliche Sicherheit sieht man sie in der Praxis. Das gibt es an keiner Universität. Das ist ziemlich einzigartig und genau deshalb funktioniert das Pro-gramm.

Adriana Borra

Caux sCHolars ProGraM

108521_Caux_KB_11_D.indd 14 04.10.11 13:14

Page 15: Caux Konferenzbericht 2011

CAUX-KonferenzberiCht 2011  15

Caux-exPo

20 Jahre «Caux Scholars Program»

Seit der ersten Ausgabe 1991 nahmen mehr als 300 Studierende aus 86 Län-dern am «Caux Scholars Program» teil, das jedes Jahr im Juli in Caux stattfindet. Im Unterricht, im Austausch mit Mit-studierenden und durch die Teilnahme an den Konferenzen lernen sie, wie sie persönlichen Wandel anstossen und da-mit auch eine globale Veränderung initi-ieren können. Das Programm gibt den Teilnehmenden die Möglichkeit, Werk-zeuge der Konfliktlösung und -präven-tion kennen zu lernen, wobei besonderes Augenmerk der spirituellen Dimension von Friedensförderung und der Bezie-hung zwischen persönlichem und globa-lem Wandel gilt.

«Jetzt, da wir den 20. Geburtstag des Programms feiern, sind wir extrem stolz darauf, wo unsere Absolventinnen und Absolventen heute stehen. Sie arbeiten im Kongo, gründen NGOs in Afgha-nistan, Gaza und Kosovo oder sind für die UNO in Sri Lanka, Darfur, Serbien und Ruanda tätig. Sie arbeiten für die Regierung in ihrem Land, sind in der Geschäftswelt engagiert, und einige un-terrichten auch an Universitäten und anderen Schulen», sagt Kathy Aquilina, Koordinatorin des Programms. Weitere Informationen unter www.cauxscholars.org.

«Keine Frauen – kein Frieden» Die Schweizer Feministin und ehemalige Nationalrätin Ruth-Gaby Ver-mot-Mangold stellte am 12. Juli die Sonderausstellung «Keine Frauen – kein Frieden» vor, die den ganzen Sommer im Konferenzzentrum in Caux zu Gast war.

Die Co-Präsidentin von Friedens-Frauen Weltweit, der Organisation,

die die Ausstellung konzipierte, sagte: «Es ist kein Geheimnis: Die Welt der Waffen, der Proliferation und Kriegsfinanzierung ist eine Welt der Männer, von Generälen, von sogenannten Kriegshelden.» Sie gab zu, dass Frauen nicht besser seien als Männer: «Sie unterstützen oft den Krieg und die Zerstörung, stellen sich hinter die Kriegshelden und denken nicht an die Konsequenzen.» Dennoch seien es vor al-lem Frauen, welche die «Verantwortung wahrnehmen, die vom Krieg zerstörte Ge-sellschaft wieder aufzubauen und sich um die traumatisierten Opfer zu kümmern. Solche Frauen sind die Bindeglieder in den Konfliktzonen dieser Welt. Sie haben kein Millionenbudget – Friedensbudgets gibt es nicht, obwohl der Wiederaufbau und die Friedensbildung länger dauern und mehr kosten als Kriege.»

Für den Friedensnobelpreis nominiert

Als Co-Präsidentin von FriedensFrauen Weltweit und in ihrer Arbeit als Abgeord-nete im Europarat lernte Vermot-Man-

gold viele mutige Frauen kennen, die un-ter sehr schwierigen und gefährlichen Be-dingungen Friedensarbeit leisten. Diese Frauen besorgen Nahrung und Medika-mente, suchen Vermisste, kümmern sich um Waisenkinder, entschärfen Landmi-nen, dokumentieren Morde, Vergewalti-gungen und Entführungen. Sie gehen auf die Strasse, organisieren Mahnwachen und Diskussionsrunden. «Wir sind über-zeugt, dass diese Frauen nicht in der Ano-nymität bleiben dürfen. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung. Friedensar-beit endet nie, sie beginnt immer und im-mer wieder neu.»

Genau deshalb lancierte Vermot-Mangold gemeinsam mit anderen die Idee, 1000 Friedensfrauen gemeinsam für den Frie-densnobelpreis zu nominieren – eine Idee, die 2005 Realität wurde. Der Preis wurde zwar an einen Mann verliehen, aber die Nominierung führte zu einem weltweiten Netzwerk von Friedensfrauen, von denen einige auch mit Initiativen der Verände-rung und Caux verbunden sind.

Andrew Stallybrass

Zwei der 1000 Friedensfrauen, die in der ausstellung präsentiert wurden

108521_Caux_KB_11_D.indd 15 04.10.11 13:14

Page 16: Caux Konferenzbericht 2011

16  CAUX-KonferenzberiCht 2011

WirtsCHaFtsetHiK

Die Herausforderung einer nachhaltigen Zukunft Göran Carstedt ist der Präsident von The Natural Step International, einer NGO, die nachhaltige Entwicklung fördert und insbesondere Unternehmen dazu ermutigt, eine Füh-rungsrolle zu übernehmen. Eine nachhaltige Zukunft zu schaffen, ist für ihn die Herausfor-derung unserer Zeit. Carstedt sprach an der Konferenz Vertrauen und Integrität in der Weltwirtschaft.

Sind Sie ein Idealist?

Ja, weil ich sehr stark an Ideen glaube. Mein Leben wird von Leitideen be-stimmt. Natürlich bin ich auch ein Idea-list, weil ich sehr leidenschaftlich an diese Ideen glaube und sie gerne mit anderen teile. Denn ich denke, dass Leadership sehr stark damit zu tun hat, Leute durch gemeinsame Leitideen zu verbinden.

Sie sprachen bei Ihrer Präsentation von nachhaltiger Entwicklung. Wie kam es, dass Sie sich dafür engagieren? Nun, das war ein sehr langer Weg. Ich komme aus Nordschweden, wo die Leute sehr eng mit der Natur verbunden sind. Auch Schweden als Land engagiert sich seit jeher für diese Fragen. 1972 fand die erste UNO-Umweltkonferenz in Stock-holm statt. Warum gerade Stockholm? Es gibt Gründe dafür. Und natürlich gehöre ich der Generation an, die in den späten 60ern und Anfang der 70er an den Uni-versitäten war. In der Zeit also, als das Umweltbewusstsein so langsam aufkam.

Ich begann meine Karriere bei Volvo, weil der damalige Direktor sich für Um-weltfragen engagierte. Es war zu jener Zeit sehr mutig, aufzustehen und zu sa-gen, dass die Autoindustrie Teil dieser grösseren Probleme ist. Dann hörte ich vor etwa zwanzig Jahren zum ersten Mal von The Natural Step und man erklärte mir, wie eine grüne Zelle, die Photosyn-these und das Ökosystem funktionieren. Dinge, die nicht verhandelbar sind. Und sobald man dies verstanden hat, ist man nicht mehr der gleiche Mensch wie zuvor, zumindest ich nicht.

Sie haben uns erzählt, wie Sie beschlos-sen haben, bei IKEA zu kündigen. Können Sie diese Entscheidung etwas genauer erläutern? Ich war schon immer sehr daran interes-siert, den Kontext zu verstehen, das Ge-

samtbild. Ich hatte den Eindruck, dass IKEA auch ohne mich weitermachen kann. Mein Leben jedoch ist zu kurz, um mich nicht für interessante, neue Dinge zu öffnen. Václav Havel sagte 1994: «Es ist, als ob etwas abbröckle, zerfalle und zu Ende gehe – während etwas anderes, noch Undefiniertes, aus diesem Schutt ent-steht.» Ich bin äusserst neugierig darauf zu erfahren, was es ist, das da zu Ende geht, und was es ist, das versucht, geboren zu werden. Diese Neugier veranlasste mich, die Geschäftswelt zu verlassen.

Würden Sie sagen, dass Sie Teil von diesem neuen Etwas sind, das entsteht? Sind alle Teil davon? Das ist eine sehr gute Frage. Wer ist Teil wovon? Ich nehme an, dass wir alle ir-gendwie Teil von beidem sind. Aber na-türlich, wer für eine Ölfirma arbeitet, ist eher Teil des Alten, weil er ja seine Inter-essen und damit die alte Denkweise ver-teidigen muss. Und gleichzeitig ist es leicht zu sagen, man sei Teil des Neuen, wenn man zu einer solchen Gruppe ge-hört wie hier in Caux, weil man nicht wirklich etwas zu verteidigen hat. Das ist das Kontinuum. Aber wenn man diesen Gedanken noch weiter spinnt, dann muss man wohl sagen, dass wir beide zum Al-ten wie auch zum Neuen gehören und dass dies auch ein Kampf in uns ist. Aber so wie ich es getan habe – die Geschäfts-welt zu verlassen und mit Nichtregie-rungsorganisationen zu arbeiten –, gehöre ich wohl zur Gruppe, die dem Neuen zum Durchbruch zu verhelfen versucht.

Aber ist es nicht möglich, dass Sie gleich-zeitig auch Altes behalten wollen? Ja natürlich. Und da müssen wir sehr vor-sichtig sein. Ich mag diese Leute nicht, die sagen, dass man alles verändern und erneuern müsse. Das ist sehr gefährlich. Zu erkennen, was erhalten werden soll, ist vielleicht wichtiger, als zu erkennen, was geändert werden soll. Es scheint mir ent-

Göran Carstedt verliess die Welt der Wirtschaft, um sich im non-Profit-sektor zu engagieren.

Wirtschaftsethik

Die Konferenz Vertrauen und Integri-tät in der globalen Wirtschaft fand vom 2. – 8. August 2011 statt. Vor dem Hintergrund der Schuldenkrise in Europa und den USA suchte sie nach Wegen zu einer gerechteren und nachhaltigeren globalen Wirtschaft. Rund zweihundert Geschäftsleute, Ökonomen, Umweltspezialisten, Stu-dierende und weitere Interessierte nahmen teil. Neben Plenarsitzungen und Diskussionen in kleinen Grup-pen standen auch vier verschiedene Workshops auf dem Programm. Ei-ner davon beschäftigte sich mit Wirt-schaftsethik, zwei mit Leadership-Fragen und der vierte konzentrierte sich auf Fragen rund um Nachhaltig-keit und Ernährung.

108521_Caux_KB_11_D.indd 16 04.10.11 13:14

Page 17: Caux Konferenzbericht 2011

CAUX-KonferenzberiCht 2011  17

scheidend zu sein, in diesem Fluss der Veränderung und Entwicklung gewisse Dinge zu erhalten.

Woher nehmen Sie Ihre Inspiration? Vor allem von aussen. Meine Inspiration kommt vom Lesen, von Musik oder Thea-ter und natürlich auch von meinem gro-ssen Freundeskreis. Ich schaue nie fern, ausser vielleicht ab und zu die Nachrichten oder Sportsendungen. Ich lese keine Ro-mane und schaue auch keine Spielfilme. Denn für mich ist das Leben wie ein Thril-ler. Es ist so spannend und alles ist da. Ich lese Zeitungen aus der ganzen Welt, je-doch auch Lokalzeitungen aus dem Nor-den Schwedens, um zu erfahren, was die Leute dort bewegt. Ich bin sehr offen und ich versuche auch, mit jungen Menschen zu arbeiten, um die Perspektive der Jungen in meine Arbeit einfliessen zu lassen. Diese Zusammenarbeit ist für beide Seiten wich-tig. Deshalb freue ich mich auch, hier in Caux so viele junge Menschen zu sehen.

Wie reagierten Sie, als sie zu dieser Konferenz eingeladen wurden? Wie fühlen Sie sich hier? Die Einladung kam von Michael Smith (einem Mitglied des Organisationsteams der Konferenz). Er hatte in England eine meiner Reden gehört und sagte mir, dass das hier in Caux sehr geschätzt würde. Deshalb bin ich hier. Initiativen der Ver-

änderung ist eine ziemlich interessante Organisation. Was ich sehr mag, ist, dass es so früh begann, gleich nach dem Zwei-ten Weltkrieg. Die Idee war, Deutschland und Frankreich zu versöhnen. Versöh-nung ist ein grosses Thema und wir alle wissen, dass es nur zur Versöhnung kom-men kann, wenn man Leute im Gespräch zusammenbringt. Das war damals so und ist auch heute noch so. Wir müssen uns

Paul Moore (rechts), ehemaliger leiter risikomanagement der Halifax Bank of scotland, der durch seine aussagen nach der Finanzkrise 2008 weltbekannt wurde, forderte einen «arabischen Frühling» der Finanzwirtschaft. links ständerat alain Berset, der zum selben thema sagte: «Die einzigen, die kei-nen Preis für die Krise bezahlen mussten, sind diejenigen, die sie ausgelöst haben.»

für diese Art des offenen Dialogs, bei dem wir einander zuhören, öffnen. Wir müs-sen einander Raum geben. Wir brauchen eine Welt, in der alle fühlen, dass sie gese-hen, gehört und respektiert werden. Das ist eine gute Initiative. Und natürlich ist auch das Programm hier äusserst relevant. Es gibt einige wunderbare Leute, die an solche Orte kommen.

Christoph Kaufmann

108521_Caux_KB_11_D.indd 17 04.10.11 13:14

Page 18: Caux Konferenzbericht 2011

18  CAUX-KonferenzberiCht 2011

WirtsCHaFtsetHiK

ich hatte den traum, ein faires unternehmen aufzubauen

Jane Royston erinnert sich noch gut an den Moment, als ihre Karriere eine

dramatische Wendung nahm. Es war nach einem Fest in Paris im September 1986. Royston war 28 Jahre alt und Leite-rin der IT-Abteilung der französischen Niederlassung des amerikanischen Che-miekonzerns DuPont. Sie war zu diesem Zeitpunkt seit sechs Jahren bei der Firma angestellt.

Das Fest wurde vom Europachef von Du-Pont organisiert. Er gratulierte den Ange-stellten zum erreichten Wachstum und erwähnte nebenbei, dass weltweit etwa 20 Prozent der Angestellten entlassen würden. Einige hätten kaum auf die An-kündigung reagiert, erinnert sich Royston. Sie war wütend.

Royston ging nach Hause und in jener Nacht hatte sie den Traum, eine eigene, faire Firma aufzubauen. «Ich erwachte und sagte zu mir selber, dass ich nicht mehr bei DuPont bleiben kann.» An die-sem Tag kündigte sie.

Sie kehrte nach Genf zurück, wo ihre El-tern lebten. Dort startete sie ihre eigene IT-Firma, NatSoft SA. Sie wollte eine faire Firma, in der Entscheidungen in gegensei-tigem Einvernehmen getroffen werden.

Im März 1987 erhielt Royston einen An-ruf von einer in Genf ansässigen Bundes-behörde und wurde gefragt, ob ihre Firma das ganze IT-System der Behörde erneu-ern könne. «Ja, das können wir», antwor-tete sie sofort. Nach diesem ersten Auf-trag folgten andere: Roche, Nestlé, Dow, Privatbanken, die Weltgesundheitsorga-nisation und sogar vietnamesische Flücht-linge unter der Schirmherrschaft des UN-HCR.

Die Firma wuchs zur grössten IT-Anbiete-rin in der französischsprachigen Schweiz an: 120 Angestellte aus 27 Nationen und ein Ertrag von mehr als 15 Millionen CHF. Fünfzig Prozent des Gewinns wur-

den an die Angestellten in Form von Boni verteilt. «Nicht nur die Entscheidungsfin-dung war bei NatSoft anders», sagte sie, «Es ging auch darum, dass wir unser Wort immer hielten und dass wir nie jemanden ausnutzten. Es ist für jedes Unternehmen sinnvoll, sich korrekt zu verhalten: Wer Angestellte gut behandelt, kann Geld spa-ren, weil weniger Angestellte die Firma wechseln wollen. Wenn Entscheidungen in gegenseitigem Einvernehmen getroffen werden, sind die Angestellten sofort dabei und die Zeit, die sonst dafür benötigt würde, sie zu überzeugen, damit sie dann widerwillig tun, was ihnen der Chef sagt, kann eingespart werden. Wenn die Auf-träge pünktlich und im vereinbarten Bud-get erfüllt werden, kann bei Marketing und Kundenanwerbung Geld gespart wer-den, weil von den gleichen Kunden immer wieder Aufträge kommen.»

Trotzdem verkaufte sie die Firma 1996, nachdem sie ihr Ehemann verlassen hatte. Sie hatte zwei kleine Kinder und sie konnte sich nicht um sie und die Firma gleichzeitig kümmern. «Ich musste eine Entscheidung treffen und entschied mich für die Kinder.»

Nachdem Royston eine Weile ausschliess-lich Freiwilligenarbeit geleistet hatte, be-gann sie, an verschiedenen Schweizer Universitäten zu unterrichten, und heute sitzt sie im Verwaltungsrat von sieben Unternehmen und Stiftungen, unter an-derem dem von PRO, einem Unterneh-men, das in Genf 200 Invalide beschäf-tigt.

Michael Smith

Jane royston hatte den Mut, ein eigenes unternehmen zu gründen.

Kann ein faires Unternehmen erfolgreich sein? Die Schweizer Geschäftsfrau Jane Royston antwortet mit einem nachdrücklichen Ja. Sie sprach während der Konferenz Vertrauen und Integrität in der Weltwirtschaft.

108521_Caux_KB_11_D.indd 18 04.10.11 13:14

Page 19: Caux Konferenzbericht 2011

CAUX-KonferenzberiCht 2011  19

Caux unD ioFC

Machen sie mit!Die Caux Konferenzen sind nur dank vieler freiwilliger Helferinnen und Helfer möglich, die in der Küche arbeiten, Betten für die Teilnehmenden vorbereiten, sich um die Technik kümmern, am Empfang Gäste willkom-men heissen und viele weitere Aufgaben übernehmen.

2011 haben rund 60 junge Menschen aus aller Welt am «Caux Interns Pro-

gram» teilgenommen und dabei einen wertvollen Beitrag zum Funktionieren des Konferenzhaushalts geleistet. Neunzehn KünstlerInnen beteiligten sich am «Caux Artists Program» und lieferten die musi-kalische Unterhaltung für die Konferenz-teilnehmenden an den Abenden und zwi-schen den Sitzungen. Neun talentierte junge Leute mit einem Interesse an Film und Fotografie nahmen am «Caux Creatifs»-Training teil und produzierten Videoclips zu den Konferenzen, die auf www.caux.ch/2011 verfügbar sind, sowie

viele Fotos, von denen einige für diesen Bericht verwendet wurden. Zahlreiche Freiwillige, von denen einige schon seit Jahren und Jahrzehnten regelmässig nach Caux kommen, haben den Konferenz-haushalt über mehr als fünf Wochen am Laufen gehalten.

Möchten Sie 2012 Teil dieser Gemein-schaft sein? Es gibt verschiedene Möglich-keiten, wie Sie mitmachen und sich ein-bringen können. Auf www.caux.ch/2012 finden Sie weitere Informationen.

Wir freuen uns auf Sie!

Die Caux Konferenzen und iofCDie Internationalen Konferenzen, die seit 1946 jedes Jahr in Caux statt-finden, werden von CAUX-Initiativen der Veränderung und Initiati-ven der Veränderung International organisiert.

Initiativen der Veränderung International (IofC) ist eine weltweite Bewegung von

Menschen, die überzeugt sind, dass sich die Gesellschaft durch Verhaltensände-rungen auf persönlicher Ebene nachhaltig verändern lässt – und die mit diesen Ver-haltensänderungen bei sich selbst begin-nen. Sie ist in 60 Ländern aktiv und in 39 Ländern formell organisiert. IofC betont die Verbindung zwischen dem Persönli-chen und dem Globalen und möchte Menschen inspirieren und dabei unter-stützen, ihren Teil zu leisten, um eine ge-rechtere Gesellschaft aufzubauen.

Seit über sechzig Jahren stützt sich IofC auf vier Grundideen: Inspiration suchen, bei sich selber beginnen, anderen zuhö-ren, fokussiert handeln. Daraus entstan-den ganz unterschiedliche Initiativen, von Friedensverhandlungen zu Leadership-Kursen für junge Menschen, internatio-nalen Konferenzen, Kampagnen gegen Korruption und vielem mehr.

Gegenwärtige Initiativen zielen darauf ab, die moralischen und geistigen Grundla-gen der Gesellschaft zu stärken, indem: • In Konflikten Heilung und Versöh-

nung angestrebt werden;• Zwischen unterschiedlichen Gemein-

schaften Brücken des Vertrauens gebil-det werden;

• In der Wirtschaft Ethik, Gerechtigkeit und Transparenz gefördert werden;

• Menschen dazu ermutigt werden, inte-ger zu handeln, uneigennützig zu die-nen und für Wandel einzustehen.

Initiativen der Veränderung International verfügt über den Beobachterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) der UNO und den Teilnehmerstatus für NGOs beim Europarat.

CAUX-Initiativen der Veränderung ist eine gemeinnützige Schweizer Stiftung und Mitglied von Initiativen der Veränderung International.

108521_Caux_KB_11_D.indd 19 04.10.11 13:14

Page 20: Caux Konferenzbericht 2011

Internationale Konferenzen in Caux 2012

Caux 2012

Kontakt

CAUX-Initiativen der VeränderungPostfach 3909CH-6002 LuzernE-Mail: [email protected]: www.caux.chTel. +41 41 310 12 61Fax +41 41 311 22 14

Initiativen der Veränderung International1, rue de Varembé, Postfach 3CH-1211 Genf 20E-Mail: [email protected]: www.iofc.orgTel. +41 22 749 16 20Fax +41 22 733 02 67

25. – 31. JuliVom Persönlichen zum GlobalenDie essenz von initiativen der Veränderung

2. – 8. August Die Dynamik des WandelsWeiterbildung von und mit initia-tiven der Veränderung

Weitere informationen: www.caux.ch/2012regelmässige Updates: Abonnie-ren Sie unseren newsletter auf www.caux.ch und folgen Sie uns auf facebook, twitter, You-tube und flickr. 

1. – 6. Juli Gemeinsam Vielfalt lebenDiasporagemeinschaften als  gesellschaftspolitische Akteure

8. – 15. Juli Caux Forum für Mensch-liche Sicherheitfür all jene, die sich auf allen ebenen und weltweit für frieden einsetzen

17. – 23. Juli Vertrauen und Integrität in der Weltwirtschafteine nachhaltige, integrierte Wirtschaft aufbauen

108521_Caux_KB_11_D.indd 20 04.10.11 13:14