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Praktikumsskript Chemische Verfahrenstechnik (Einführung in die CVT / Technische Chemie für Chemiker / Reaktions- technik) Lehrstuhl für Chemische Verfahrenstechnik Prof. Dr.-Ing. A. Jess Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften Universität Bayreuth Stand: Sommersemester 2011

Chemische Verfahrenstechnik - LCVT · Verfahrenstechnik der Universität Bayreuth durchgeführt. Die Anmeldung für das Praktikum „Chemische Verfahrenstechnik“ ist bis zum 13.05.2011

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Praktikumsskript

Chemische

Verfahrenstechnik

(Einführung in die CVT / Technische Chemie für Chemiker / Reaktions-

technik)

Lehrstuhl für Chemische Verfahrenstechnik

Prof. Dr.-Ing. A. Jess

Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften

Universität Bayreuth

Stand: Sommersemester 2011

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- I -

Inhaltsverzeichnis

Testatbogen für ...................................................................................................................... III

Praktikumsordnung für Ingenieure ...................................................................................... V

1 Kinetik exothermer Reaktionen / Zünd-Lösch-Verhalten .......................................... 1

1.1 Theoretischer Teil ............................................................................................. 1

1.2 Versuchsdurchführung .................................................................................... 13

1.3 Versuchsauswertung und Diskussion ............................................................. 16

2 Vom Erdgas zum Ammoniak (Steamreformer) ......................................................... 19

2.1 Die technische Ammoniaksynthese ................................................................ 19

2.2 Synthesegaserzeugung aus Erdgas .................................................................. 27

2.3 Versuchsdurchführung .................................................................................... 31

2.4 Anhang ............................................................................................................ 37

3 Thermische Reaktorstabilität ...................................................................................... 38

3.1 Einleitung ........................................................................................................ 38

3.2 Theoretische Grundlagen ................................................................................ 38

3.3 Versuchsapparaturen und Versuchsdurchführung .......................................... 47

3.4 Versuchsauswertung und Diskussion ............................................................. 49

4 Naphtha-Pyrolyse nach dem Steamcracker-Verfahren ............................................ 51

4.1 Einleitung ........................................................................................................ 51

4.2 Reaktionsmechanismus der Pyrolyse .............................................................. 55

4.3 Einflussgrößen auf die Produktverteilung ...................................................... 57

4.4 Wirtschaftliche Aspekte .................................................................................. 60

4.5 Technische Durchführung ............................................................................... 60

4.6 Kinetische Analyse nichtisothermer Daten ..................................................... 64

4.7 Aufgabenstellung ............................................................................................ 65

4.8 Versuchsdurchführung und Beschreibung der Anlage ................................... 66

4.9 Versuchsauswertung ....................................................................................... 68

5 Flüssig-Flüssig-Extraktion ........................................................................................... 72

5.1 Einleitung ........................................................................................................ 72

5.2 Flüssig-Flüssig-Extraktion .............................................................................. 73

5.3 Theoretischer Teil ........................................................................................... 75

5.4 Das Dreiecksdiagramm ................................................................................... 78

5.5 Versuchsbeschreibung .................................................................................... 80

5.6 Literatur .......................................................................................................... 82

6 Rektifikation .................................................................................................................. 85

6.1 Fragen & Aufgaben zur Vorbereitung ............................................................ 85

6.2 Einleitung ........................................................................................................ 85

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Inhaltsverzeichnis

- II -

6.3 Phasengleichgewichte idealer, mischbarer Flüssigkeiten ............................... 85

6.4 Bestimmung der Trennstufenzahl ................................................................... 89

6.5 Betriebsbegriffe einer arbeitenden Kolonne .................................................... 94

6.6 Versuchsbeschreibung und Versuchsauswertung ......................................... 101

6.7 Versuchsdurchführung .................................................................................. 101

6.8 Abkürzungsverzeichniss ................................................................................ 103

6.9 Konstanten .......................................................................................................... 103

7 Verweilzeitverhalten realer homogener und quasihomogener Reaktoren ............ 105

7.1 Theoretische Grundlagen .............................................................................. 105

7.2 Durchführung ................................................................................................ 117

7.3 Auswertung ................................................................................................... 119

8 Strömung durch Schüttungen (Wirbelschicht) ......................................................... 121

>> Link zum Skript ................................................................................................... 121

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- III -

Testatbogen für

„Chemische Verfahrenstechnik“

Name: ...............................................

Matrikel-Nr.: ....................................

Praktikumsschein ausgestellt am: .............................................

Die Versuche müssen bis spätestens 26.08.11 vom Assistenten testiert worden sein.

Sollten bis zu diesem Zeitpunkt die Testate nicht vorliegen, so gilt das Praktikum als

nicht bestanden.

Der Testatbogen ist ebenfalls bis spätestens 26.08.11 im Sekretariat (FAN-A 1.04

0921/55-7431) abzugeben.

Versuch Vorgespräch und

Versuchsdurchführung

Protokoll

1)

2)

3)

4)

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- V -

Praktikumsordnung für Ingenieure

Das Praktikum Reaktions- und Prozesstechnik wird vom Lehrstuhl für Chemische

Verfahrenstechnik der Universität Bayreuth durchgeführt. Die Anmeldung für das

Praktikum „Chemische Verfahrenstechnik“ ist bis zum 13.05.2011 unter FlexNow

durchzuführen!

Allgemeiner Aufbau des Praktikums

Das Praktikum gliedert sich in drei Versuche (mit z. T. entsprechenden Teilversuchen) und

wird in der Regel nur in Gruppen aus jeweils maximal 3 Studenten durchgeführt. Ein Versuch

dauert etwa einen halben Tag.

Zu Beginn des Praktikums wird im Rahmen der Vorlesung eine Einführungsveranstaltung

durch die Assistenten durchgeführt. Hierbei erfolgt auch die Sicherheitsbelehrung der

Studenten. Ohne die durch Unterschrift des Studenten bestätigte Teilnahme an der

Sicherheitsbelehrung ist ein Besuch des Praktikums nicht möglich.

Um das Praktikum zu bestehen, müssen alle Versuche erfolgreich durchgeführt und von den

Assistenten testiert worden sein. Ist dies nicht der Fall, gilt das Praktikum als nicht bestanden.

Zugangsvoraussetzungen

Die Zugangsvoraussetzung für das Praktikum ist das Vordiplom. Der Besuch der Vorlesung

Reaktions- und Prozesstechnik wird empfohlen.

Zeitraum der Durchführung

Das Praktikum kann während der gesamten Vorlesungszeit (vom 16.05. bis 31.07.2011)

durchgeführt werden. Falls die drei Versuche ohne triftigen Grund nicht in der Vorlesungszeit

beendet werden, muss das gesamte Praktikum wiederholt werden. Die Praktikumsgruppen

bearbeiten die Versuche in beliebiger Reihenfolge. Die Terminabsprache für die Versuche

erfolgt eigenverantwortlich durch die jeweiligen Gruppen bis zum 21.05.2011 beim

Praktikumsassistenten. Die Ansprechpartner für die Versuche sind:

Allgemeine Fragen zum Praktikum Dr. Wolfgang Korth

([email protected], FAN A 1.06)

Kinetik exothermer Reaktio-

nen/Zünd-Lösch-Verhalten

Dipl.-Ing. Stephan Aschauer

([email protected], FAN A 1.01)

Vom Erdgas zum Ammoniak Dipl.-Ing. Johannes Thiessen

([email protected], FAN A 1.09)

Rektifikation Dipl.-Phys. Florian Heym

([email protected], FAN A 1.01)

Verweilzeitverhalten Dipl.-Chem. Lisa Schilder

([email protected], FAN A 1.09)

Rajabhau Bajirao Unde

([email protected], FAN A 1.09)

Druckverluste durch Schüttungen Dr. Heymann

([email protected], FAN C 2.47)

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Praktikumsordnung für Ingenieure

- VI -

Aufbau der Praktikumsversuche

Vor jedem Versuch findet ein Vorgespräch statt. Im Anschluss an den Versuch ist durch die

Praktikumsgruppe innerhalb von einer Woche das Protokoll zu verfassen und beim

Assistenten einzureichen.

Vorgespräch

Eine erfolgreiche Vorbesprechung ist die Voraussetzung zur praktischen Durchführung des

jeweiligen Praktikumsversuchs. Vor jedem Versuch findet ein Vorgespräch über den Inhalt

des jeweiligen Versuchs statt, um zu überprüfen, ob die Studenten den Inhalt des Versuchs

verstanden haben und den Versuch durchführen können. Der Assistent beurteilt, ob die

Vorbesprechung eine ausreichende Kenntnis der Studenten über den Versuch geliefert hat.

Bei unzureichender Vorbereitung wird vom Praktikumsassistenten ein neuer Termin zur

Versuchsdurchführung festgesetzt. Eine Gruppe hat nur einmal die Möglichkeit, einen

Versuch zu wiederholen. Sollten auch hier die Kenntnisse nicht ausreichend sein, so wird

der Versuch als nicht bestanden gewertet, was zur Folge hat, dass das Praktikum nicht

bestanden wurde.

Praktische Durchführung der Experimente

Nach dem Vorgespräch geben die Versuchsbetreuer die genauen Reaktionsbedingungen aus,

weisen die Gruppe in die Versuchsapparatur ein und sind Ansprech- und Diskussionspartner

während der Versuchsdurchführung. Außerdem überprüfen und testieren sie das Protokoll

(s. u.).

Die Versuche dürfen nur nach der Einweisung durch den Assistenten durchgeführt werden!

Protokoll

Über jeden Versuch ist ein Protokoll anzufertigen und dem jeweils betreuenden Praktikums-

assistenten maschinengeschrieben zum Verbleib abzugeben. Falls mathematische

Herleitungen gefordert sind, können diese auch (sofern leserlich) handschriftlich ausgeführt

werden.

Die erste Abgabe des Protokolls hat spätestens eine Woche nach der Durchführung des

jeweiligen Versuchs zu erfolgen. Wird diese Frist überschritten, so gilt die erste Ausarbeitung

des Protokolls als nicht ausreichend. Weiterhin muss das Protokoll selbstverständlich den

grundlegenden Anforderungen an die deutsche Sprache gerecht werden und sich von den

Protokollen der anderen Gruppen deutlich unterscheiden. Ist die erste Abgabe des Protokolls

aus zeitlichen oder inhaltlichen Gründen nicht ausreichend, muss eine zweite verbesserte

Version des Protokolls abgegeben werden. Hierfür hat die Gruppe wiederum eine Woche

Zeit. Falls die zweite Version ebenfalls nicht ausreichend für ein Testat sein sollte, so kann

innerhalb einer weiteren Woche dem Assistenten eine dritte Version vorgelegt werden. Sollte

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Praktikumsordnung für Ingenieure

- VII -

auch dieses dritte Protokoll nicht den Anforderungen entsprechen, gilt der Versuch als nicht

bestanden.

Es kann aufgrund eines immer noch mangelnden dritten Protokolls oder einer

mangelhaften Vorbesprechung nur ein Versuch wiederholt werden, wobei der Betreuer

einen Nachholtermin festsetzt.

Das Protokoll sollte folgenden Aufbau haben:

Auf der ersten Seite (Deckblatt) werden alle Namen der Studenten/innen der jeweili-

gen Praktikumsgruppe (in der Regel 2 Studenten/innen) mit Matr.-Nr. angegeben. Die

Versuchsbezeichnung und das Datum der Versuchsdurchführung werden ebenfalls

aufgeführt.

Die Aufgabenstellung sollte kurz umrissen werden (etwa 2 - 3 Seiten).

Die Messwerte werden in Tabellen und Graphiken wiedergegeben (Angaben mit

Einheiten!).

Berechnungen und verwendete Gleichungen sollten klar ersichtlich und nachvollzieh-

bar sein. Eine Aufstellung in der Art „Messwerte x führt nach vielfacher und im Prak-

tikumsskript gezeigter Umstellung zum Resultat y“ ist nicht ausreichend!

Am Ende des Protokolls sollen die Versuchsergebnisse diskutiert werden. Auch

sonstige Beobachtungen bei der Versuchsdurchführung oder auch positive und negati-

ve Kritikpunkte und Anregungen können hier ggfs. festgehalten werden.

Alle in der Versuchsbeschreibung gestellten Fragen sind zu beantworten.

Soweit vorhanden, sollten wichtige Messunterlagen (z.B. Analysenausdrucke) als

Anhang beigefügt werden.

Absage eines Versuchs

Kann ein Teilnehmer nicht zu einem vereinbarten Versuchstermin erscheinen, ist dieser

Umstand 2 Tage im Voraus per Email oder persönlich anzukündigen. Ansonsten wird der

Versuch als nicht bestanden gewertet.

Erscheint ein Teilnehmer nicht pünktlich zu Versuchsbeginn, hat keine Laboratoriums

gerechte Kleidung bei sich oder befindet sich nicht in geistiger oder körperlicher Verfassung,

die es erlaubt den Versuch gefahrlos durchzuführen, ist dies ein Grund für den Praktikumslei-

ter, den Versuch abzusagen und diesen als nicht bestanden zu werten.

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Praktikumsordnung für Ingenieure

- VIII -

Sicherheit im Laboratorium und allgemeine Ordnung im Labor

Im Praktikum gelten die vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaft

herausgegebenen "Richtlinien für chemische Laboratorien". Folgende Regelungen sind

besonders zu beachten:

1. In den Praktikumsräumen sind stets eine Schutzbrille und ein Kittel zu tragen.

2. Die Praktikanten werden zu Beginn des Praktikums vom Assistenten informiert, wo

sich Alarmmelder, Not-Dusche, Verbandkasten, Augen-Spülflüssigkeit, Feuerlöscher

etc. und die Ausgänge befinden. Im Falle eines Alarms informiert der Assistent die

Praktikanten umgehend über weitere Maßnahmen.

3. Flaschen mit flüssigen Chemikalien dürfen nur in hierfür vorgesehenen Behältern

transportiert werden.

4. Geräte und Chemikalien dürfen nicht von anderen Versuchen entfernt werden. Sollten

Geräte während des Versuchs zu Bruch gehen, so ist dies unverzüglich einem Assis-

tenten zu melden, damit für Ersatz gesorgt werden kann.

5. Am Ende eines Arbeitstages ist der Arbeitsplatz aufzuräumen und zu reinigen. Am

Ende des Versuchs werden die Chemikalien und die gesäuberten, nicht fest installier-

ten Geräte in die jeweiligen Schränke gelegt. Entliehene Geräte müssen am Ende des

Versuches an den Assistenten zurückgegeben werden.

6. Gebrauchte Lösungsmittel werden nicht in die Wasserbecken, sondern in die speziel-

len Abfallkannen geschüttet!

7. Die Praktikumsversuche dürfen nie ohne Aufsicht bleiben.

8. Der Genuss von alkoholischen Getränken, das Aufbewahren und Verzehren von

Lebensmitteln sowie das Rauchen ist in den Praktikumsräumen nicht zulässig.

9. Nach der Benutzung der Waage sind Wägeplatz und Waage zu säubern.

10. Für Kühlzwecke kann Eis aus einer Eisbox im Raum A 1.31 entnommen werden.

Nach der Entnahme muss der Deckel geschlossen werden.

Die Praktikumsassistenten stehen für alle hier nicht aufgeführten Punkte ständig zur

Verfügung und sollten bei wichtigen Fragen angesprochen werden. Eine ausführliche

Sicherheitseinweisung erfolgt im Rahmen der zentralen Praktikumsvorbesprechung.

Empfohlene Literatur

Literatur zur Vertiefung des Praktikumsstoffes kann den Vorlesungen Reaktionstechnik und

Einführung in die Chemische Verfahrenstechnik entnommen werden.

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- 1 -

1 Kinetik exothermer Reaktionen / Zünd-Lösch-Verhalten

1.1 Theoretischer Teil

1.1.1 Einführung

Heterogene Reaktionen sind von großer technischer Bedeutung. Dies betrifft sowohl die

heterogene Katalyse (mehr als 90 % aller chemischen Produkte werden mit Hilfe von festen

Katalysatoren erzeugt) als auch Gas/Feststoff-Reaktionen wie z. B. die Verbrennung und

Vergasung von Kohle oder Biomasse.

Katalysatoren werden anhand der Selektivität und der Aktivität charakterisiert. Die Aktivität

wird über eine Geschwindigkeitskonstante (bzw. den Häufigkeitsfaktor km,0 und die

Aktivierungsenergie EA) charakterisiert. Um sie zu bestimmen, werden meist isotherme

Bedingungen eingestellt, was jedoch bei stark exothermen Reaktionen insbesondere bei hohen

Reaktivgaskonzentrationen (z. B. die von Sauerstoff bei Oxidationen) experimentell schwierig

zu realisieren ist. Bei stark exothermen Reaktionen liefert jedoch auch die relativ einfache und

schnelle Messung des Zündpunkts eine erste Information über die Aktivität eines Katalysa-

tors. Ebenso kann die Reaktivität bei Gas/Feststoff-Reaktionen mit der Zündpunktsmethode

abgeschätzt werden.

Im Rahmen des Praktikumsversuches soll die Kinetik der Koksverbrennung mit Hilfe

isothermer Versuche und der Zündpunktsmethode bestimmt und die jeweiligen Ergebnisse

verglichen werden. Bei der Verbrennung von Aktivkohle mit Sauerstoff entsteht im

wesentlichen Kohlendioxid:

C + O2 → CO2 RH0

298 = – 393,5 kJ/mol.

Als Nebenprodukt entsteht Kohlenmonoxid:

C + ½ O2 → CO RH0

298 = – 110,5 kJ/mol.

1.1.2 Bestimmung der Reaktivität eines Feststoffes und der Aktivität eines

Katalysators mit Hilfe der Zündpunktmethode

Theoretische Grundlagen der Zündung (eines Einzelkorns)

Zwischen Gas/Feststoff-Reaktionen wie z. B. der Verbrennung fester Brennstoffe und

heterogen-katalysierten Reaktionen besteht eine grundsätzliche Analogie: Die Reaktion findet

nur an der Feststoffoberfläche statt und wird daher möglicherweise von den Transportvorgän-

gen in der freien Gasphase bzw. im Porensystem beeinflusst. „Liefert“ die Diffusion nicht

schnell genug Edukt nach, kommt es zu einem Konzentrationsabfall in der äußeren

Gasgrenzschicht bzw. im Porensystem der Partikel. Sind die Reaktionsprodukte bei der Gas-

/Feststoff-Reaktion ebenfalls gasförmig, ist der einzige „Unterschied“ von Gas-/Feststoff-

Reaktion und heterogener Katalyse, dass sich durch die Abreaktion des Feststoffes bei der

Gas-/Feststoff-Reaktion der feste Reaktand mit fortschreitender Reaktion verändert und

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1.1 Theoretischer Teil

- 2 -

schließlich nur noch inerte Reste übrig bleiben (wie Asche bei der Koksverbrennung). Doch

auch bei Katalysatoren können Veränderungen auftreten (Sinterung, Vergiftung und

Ablagerungen von festen Reaktionsnebenprodukten wie Koks).

Die Feststofftemperatur, die sich bei exothermen Reaktionen z. T. erheblich von der

Temperatur in der freien Gasphase unterscheidet, wird durch das Zusammenspiel von

Wärmeerzeugung und Wärmeabfuhr bestimmt. Für das Verständnis des Zündvorgangs

wird nachfolgend die Stoff- und Wärmebilanz sowie die effektive Reaktionsgeschwindigkeit

am Beispiel einer einfachen irreversiblen, heterogen katalysierten Reaktion von A nach B an

einem Einzelkorn betrachtet.

Stoffbilanz: Für die Stoffbilanz des Eduktes A gilt:

(1-1)

mit reff: effektive (massenbezogene) Reaktionsgeschwindigkeit (in mol·kg–1

·s–1

),

Molenstrom der abreagierenden Komponente A (in mol·s–1

),

mp: Masse des Katalysatorpartikels (in kg).

Der Beobachter stellt einen bestimmten Umsatz bei bestimmten vorgegebenen Bedingungen

(Eingangskonzentrationen, Temperatur, eingesetzte Katalysatormasse etc.) fest. Er kann

zunächst nicht entscheiden, wie der Umsatz zustande gekommen ist, d. h. ob etwa der

Stofftransport die Umsetzung beeinflusst oder sogar bestimmt. Daher werden Größen wie die

Reaktionsgeschwindigkeit reff und die Reaktionsgeschwindigkeitkonstante keff als effektive

Größen bezeichnet, die nachfolgend noch näher erläutert werden.

Wärmebilanz: Die durch die chemische Reaktion im Partikel erzeugte Wärmemenge ist

proportional zur Reaktionsgeschwindigkeit reff und zur molaren Reaktionsenthalpie, d. h. der

pro Mol umgesetzter Komponente A freiwerdenden Wärme, die hier vereinfacht als

temperaturunabhängig betrachtet wird. Für die durch die Reaktion freiwerdende Wärmemen-

ge

(1-2).

Reaktionsgeschwindigkeit: Für die effektive Reaktionsgeschwindigkeit reff soll dabei

vereinfacht ein Ansatz 1. Ordnung bezüglich der Konzentration ca der Komponente A gelten:

reff = keff · ca (1-3),

mit ca: Konzentration von A (in mol·m–3

),

keff massenbezogene effektive Geschwindigkeitskonstante (in m3·kg

–1·s

–1).

peffA dmrnd

An

kg

WinHcTkHTrq 0

aeff0

ReffChem

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1. Kinetik exothermer Reaktionen / Zünd-Lösch-Verhalten

- 3 -

Die Größe reff gibt an, welche Menge von A pro Zeit und Masse Katalysator (oder Feststoff)

umgesetzt wird. Für heterogene Umsetzungen gibt es bezüglich der Reaktionsgeschwindigkeit

reff drei charakteristische Temperaturbereiche:

Bereich A:

Im Bereich tiefer Temperaturen wird die Umsetzung allein durch die Geschwindigkeit der

chemischen Reaktion bestimmt. Die gesamte Oberfläche des porösen Feststoffkorns nimmt

gleichmäßig an der Umsetzung teil. Eine Konzentrationsverarmung im Inneren des Korns

macht sich noch nicht bemerkbar, da die im Verhältnis zur chemischen Reaktion an der Fest-

stoffoberfläche sehr große Diffusionsgeschwindigkeit im Porensystem des Korns einen

schnellen Stoffaustausch im Porenraum gewährleistet. Die Konzentration von A entspricht

damit an jedem Punkt im Korn der Konzentration der freien Gasphase (Abbildung 1-1, Kurve

a).

In diesem „Tieftemperatur“gebiet entspricht somit die effektive Reaktionsgeschwindigkeits-

konstante keff(T) der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten der chemischen Reaktion km(T).

Nach Arrhenius lässt sich der quasi-exponentielle Anstieg von km(T) durch die Akti-

vierungsenergie EA und den Häufigkeitsfaktor km,0 charakterisieren (allgemeine Gaskonstante

R = 8,314 J · mol-1

· K-1

):

(1-4).

Als grobe Faustregel gilt in diesem Temperaturbereich, dass sich die Reaktionsgeschwindig-

keit bei einer Temperaturerhöhung um nur 10 K verdoppelt.

Bereich B:

Während die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante der chemischen Reaktion km(T) (vgl. Gl.

(1-4)) quasi-exponentiell mit der Temperatur ansteigt, nimmt der Diffusionskoeffizient nur

mit etwa T1,5

zu. (Begründen Sie diese Temperaturabhängigkeit des Diffusionskoeffizienten.

Hinweis: kinetische Gastheorie.) Bei höheren Temperaturen wird deshalb die Konzentration

ca im Korninneren absinken: Die Porendiffusion liefert nicht mehr genügend Gas an, um die

innere Oberfläche für die Reaktion voll ausnutzen zu können. Die Konzentration der

Komponente A im Innern des Porengefüges sinkt im Vergleich zur freien Gasphase ab (vgl.

Abbildung 1-1, Kurve b). Die Porendiffusion besitzt jetzt einen merklichen Einfluss auf die

effektive Reaktionsgeschwindikeit.

RT

E

0,mm

A

ekTk

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1.1 Theoretischer Teil

- 4 -

Abbildung 1-1: Konzentrationsverläufe in der Gasgrenzschicht und im Katalysatorkorn für ver-

schiedene Temperaturbereiche (schematisch)

Dies wird formal durch einen sogenannten Porennutzungsgrad berücksichtigt. Für keff(T)

gilt in diesem mittleren Temperaturbereich:

; ≤ 1 (1-5).

Der Porennutzungsgrad kann anschaulich so verstanden werden, dass das Produkt aus η∙ca,0

(ca,0= Konzentration in der freien Gasphase) der mittleren Konzentration im Korn entspricht.

Die nachfolgende Bestimmungsgleichung für ergibt sich aus einer Differentialgleichung

(Bilanz Einzelpore, Näheres in Lehrbüchern der Chem. Verfahrenstechnik). Für beliebige

Partikelgeometrien gilt:

= tanh / (1-6)

Für den sogenannten Thielemodul gilt:

= L · [km · schein / Deff] 0,5

(1-7)

Mit L: charakteristische Länge (Verhältnis Volumen zu Oberfläche; für Kugeln

folglich 1/6 · Durchmesser),

km: Geschwindigkeitskonstante der chem. Reaktion (Ansatz 1. Ordnung, in

m3/(kg·s)),

schein: scheinbare Dichte des Katalysators (mP/VP; in kg/m3),

Deff: effektiver Diffusionskoeffizient im Porensystem (m2/s).

Der effektive Diffusionskoeffizient Deff setzt sich zusammen aus:

)T(k)T(k meff

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1. Kinetik exothermer Reaktionen / Zünd-Lösch-Verhalten

- 5 -

Deff = · · DG (1-8)

mit DG: Diffusionskoeffizient in der freien Gasphase (in m2/s),

: Hohlraumanteil,

: Labyrinthfaktor.

Vereinfachend wird für das Produkt · häufig der Wert 0,1 eingesetzt.

Es sei angemerkt, dass die (scheinbare) Aktivierungsenergie bei ausgebildeter Porendiffusion

nur halb so groß wie die der chemischen Reaktion ist. (Begründen Sie, warum dies so ist.)

Bereich C:

Bei sehr hohen Temperaturen wächst der Einfluss des Diffusionswiderstands in der hydro-

dynamischen Gasgrenzschicht und wird schließlich allein für den Umsatz verantwortlich. Die

Konzentration ca fällt schließlich bei sehr hohen Temperaturen in dieser Grenzschicht prak-

tisch bis auf Null (bzw. bis auf die entsprechende Gleichgewichtskonzentration bei

reversiblen Reaktionen) an der äußeren Oberfläche des Korns ab (vgl. Abbildung 1-1, Kurve

c); die Grenzschichtdiffusion, also der Stofftransport durch die Gasgrenzschicht, ist in diesem

Hochtemperaturgebiet allein geschwindigkeitsbestimmend. Für die effektive Reaktionsge-

schwindigkeitskonstante gilt dann:

(1-9),

mit Am: massenbezogene äußere Oberfläche des Katalysators (in m2 · kg

–1),

DG: Diffusionskoeffizient in der Gasphase (in m2 · s

–1),

δ: Grenzschichtdicke (in m, vgl. Abbildung 1-1),

: Stoffübergangskoeffizient (in m · s–1

).

(Anmerkung: Die Konzentration fällt nur bei irreversiblen Reaktionen auf Null ab, bei

reversiblen Reaktionen stellt sich an der äußeren Partikeloberfläche der entsprechende

Gleichgewichtswert ein.)

In diesem Bereich ist die Temperaturabhängigkeit von keff klein, da nur noch die schwache

Temperaturabhängigkeit des Diffusionskoeffizienten (T1,5

) in und damit in keff(T) eingeht;

für den Stoffübergangskoeffizienten gilt mit der Sherwood-Zahl Sh, dem Diffu-

sionskoeffizienten Da von A und dem Korndurchmesser dp:

(1-10)

Näheres zur Bestimmung der Sherwoodzahl ist z. B. im VDI-Wärmeatlas zu finden. Die

effektive Reaktionsgeschwindigkeitskonstante lässt sich für alle drei angesprochenen

Bereiche angeben durch

mmG

eff AAD

)T(k

p

a

d

DSh

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1.1 Theoretischer Teil

- 6 -

(1-11).

Abbildung 1-2 zeigt schematisch den Verlauf von keff mit der Temperatur in der üblichen

Auftragung ln keff = f(1/T). Zusätzlich ist noch angedeutet, dass bei manchen katalytischen

Reaktionen und sehr hohen Temperaturen die thermische Reaktion in der freien fluiden Phase

auch noch einen Beitrag leisten kann (Bereich D). Im Regelfall ist dies technisch allerdings

nicht relevant, ebenso spielt dieser Fall bei Gas-Feststoff-Reaktionen naturgemäß keine Rolle.

Aus den Gl. (1-2).), (1-4) und (1-11) folgt:

(1-12).

Für Gl. (1-12) existieren zwei wichtige Grenzfälle:

Grenzfall I:

Im Bereich tiefer Temperaturen wird die Reaktionsgeschwindigkeit allein durch die

Geschwindigkeit der chemischen Reaktion bestimmt:

reff = rchem = km · ca (1-13).

<< m und ≈ 1.

Gl.(1-12) vereinfacht sich dann zu:

(1-14).

Die erzeugte Wärmemenge steigt in diesem Bereich exponentiell mit T.

Abbildung 1-2: ln keff = f(1/T) (schematisch)

)T(k

1

A

1

1)T(k

mm

eff

0Ra

mTR

E

0,m

mTR

E

0,mChem Hc

Aek

Aekq

A

A

TR

E

0,mm

A

ekk A

0Ra

TR

E

0,mChem Hcekq

A

Chemq

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1. Kinetik exothermer Reaktionen / Zünd-Lösch-Verhalten

- 7 -

Grenzfall II:

Im Bereich sehr hoher Temperaturen wird die Reaktionsgeschwindigkeit praktisch nur durch

die Gasgrenzschicht diffusionsbestimmt, d. h.:

<<

Aus Gl. (1-12) wird dann:

(1-15).

Die erzeugte Wärmemenge steigt in diesem Temperaturbereich nur noch schwach mit

der Temperatur (T1,5

; siehe oben). Insgesamt ergibt sich für die Temperaturabhängigkeit von

qualitativ die in Abbildung 1-3 gezeigte charakteristische S-Kurve. Vereinfacht zeigt

die Abbildung 1-3 die Auftragung als dimensionslose Größe

In Abbildung 1-3 sind zusätzlich sogenannte Wärmeabfuhrgeraden eingezeichnet. Sie

beschreiben die vom Feststoffkorn je Massen- und Zeiteinheit abgeführte Wärmemenge

(ebenfalls in dimensionsloser Darstellung). Die Bestimmungsgleichung für lautet mit dem

Wärmeübergangskoeffizienten und der Gas- bzw. Korntemperatur TG und TK:

(1-16)

mA TR

E

0,mm

A

ekk

0RamChem HcAq

Chemq

Chemq

0Ram

Chem

max

Chem

HcA

q

q

q

abq

abq

GKab TTAq

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1.1 Theoretischer Teil

- 8 -

Abbildung 1-3: Wärmeerzeugungskurve und Wärmeabfuhrgeraden

Mit zunehmender Gastemperatur verschiebt sich die Wärmeabfuhrgerade nach rechts; die

Steigung in der dimensionslosen Darstellung entspricht:

Im stationären Fall muss die Wärmeabfuhr (Gl. (1-16)) genau der Wärmefreisetzung durch

die chemische Reaktion (Gl. (1-12)) entsprechen:

(1-17).

Dieser Bedingung genügen in Abbildung 1-3 die Schnittpunkte der Wärmeerzeugungskurve

mit den Wärmeabfuhrgeraden. Für einen stabilen Betriebspunkt ist es allerdings erforderlich,

dass am jeweiligen Schnittpunkt die Wärmeerzeugungskurve flacher verläuft als die

Wärmeabfuhrgerade kleinerer Steigung. Ansonsten würde bei einer kleinen Temperatursteige-

rung mehr Wärme erzeugt als abgeführt und die Temperatur des Feststoffkorns würde weiter

ansteigen. Entsprechend würde bei einem kleinen Temperaturabfall mehr Wärme abgeführt

als erzeugt und die Feststofftemperatur würde weiter fallen (Verdeutlichen Sie sich diesen

Sachverhalt anhand der Abbildung 1-3). Stabile Betriebspunkte sind also nur P1a, P2a, P2c, P3c

und P4c. Instabil ist also P2b. Wird demnach die Gastemperatur von TG,2 (entsprechend dem

unteren stabilen Punkt P2a) auf TG,3 erhöht, so steigt die Temperatur des Korns schlagartig auf

TK,3c, dem oberen stabilen Betriebspunkt P3c, an. Dieser Vorgang wird als Zündung

bezeichnet, die zugehörige Gastemperatur - hier TG,3 - heißt Gaszündtemperatur TG,Z mit der

zugehörigen Feststoffzündtemperatur TF,Z (Abbildung 1-3).

0Ra Hc

chemab qq

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1. Kinetik exothermer Reaktionen / Zünd-Lösch-Verhalten

- 9 -

Ist die Strömungsgeschwindigkeit konstant, d. h. sind ungefähr konstant, so sind die

Wärmeabfuhrgeraden parallel und nur noch eine Funktion der Gastemperatur und die

Wärmeerzeugungskurve nur noch eine Funktion der kinetischen Größen km,0 und EA.

Im Falle zunehmender Aktivität eines Katalysators, d. h. mit zunehmendem Häufig-

keitsfaktor bzw. abnehmender Aktivierungsenergie verschieben sich die Wärmeerzeugungs-

kurven nach links (Abbildung 1-4). Dadurch fällt die Zündtemperatur. Der Katalysator mit

der niedrigeren Zündtemperatur TG,Z,2 ist also aktiver (bzw. ein reagierender Feststoff

reaktiver).

Die gemessene Zündtemperatur hängt aber auch von den Versuchsbedingungen (Gas-

konzentration von A, Strömungsgeschwindigkeit und Partikelgröße) ab. Einzelne Katalysato-

ren oder Feststoffe sollten daher bei stets gleichen Bedingungen untersucht bzw. verglichen

werden. Wird z. B. die Eduktkonzentration ca erhöht (z.B. O2 bei der Kohleverbrennung), so

erhöht sich die Wärmeerzeugung bei gleichbleibender Wärmeabfuhr und die Zündtemperatur

sinkt.

Abbildung 1-4: Wärmeerzeugungskurven für unterschiedlich aktive Katalysatoren und die

entsprechenden Zündtemperaturen TG,Z (schematisch)

Das oben erläuterte Zündverhalten tritt übrigens nicht nur an Einzelpartikeln bzw. wie im

Praktikumsversuch in Festbettreaktor auf, was naturgemäß in technischen Festbettreaktoren

sehr unerwünscht ist und unbedingt durch entsprechende Kühlung vermieden werden muss.

Auch bei der Lagerung von reaktiven Feststoffen (Aktivkohlen, gebrauchte Katalysatoren,

reduzierte Erze) kann es zur Zündung kommen. Darüberhinaus können auch Rührkesselreak-

toren, in denen eine exotherme Reaktion abläuft, „durchgehen“. Die Gesetzmäßigkeiten sind

dabei qualitativ die gleichen wie bei der hier diskutierten Einzelpartikelzündung, ein

exponentieller Anstieg der Wärmeerzeugung mit der Temperatur und eine lineare bzw. (zu)

schwache Abhängigkeit der Kühlung von der Temperatur. Der Praktikumsversuch soll daher

auch einen Beitrag zum Verständnis der allgemeinen Problematik des Zünd-Lösch-Verhaltens

chemischer Reaktoren leisten.

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1.1 Theoretischer Teil

- 10 -

1.1.3 Bestimmung kinetischer Daten aus dem Zündverhalten

Unter der Annahme der nachfolgend genannten Vereinfachungen lässt sich bis zur Zündung

eines Einzelpartikels (bzw. für ein Partikel eines Festbetts) folgende Wärmebilanz - hier

verdeutlicht am Beispiel der Koksverbrennung - aufstellen:

(1-18).

Analoge Gleichungen gelten für heterogen katalysierte Gasphasenreaktionen. Auf der rechten

Seite von Gl. (1-18) steht die Wärmeerzeugung durch die chemische Reaktion (in W/kg) und

auf der linken Seite stehen die Terme, die die Wärmeabfuhr durch die Aufheizung des

Partikels und die Wärmeübertragung durch Konvektion beschreiben. Dabei sind zwei Fälle zu

unterscheiden:

Bei tiefen Temperaturen spielt die Wärmeerzeugung durch die chemische Reaktion

noch keine Rolle. Die Temperatur des Gases ist höher als die des Partikels, und die

Aufheizung erfolgt durch den konvektiven Wärmestrom vom Gas an den Feststoff.

Mit zunehmender Temperatur steigt die Wärmeerzeugung durch die chemische

Reaktion an, bis schließlich die Partikeltemperatur größer als die Gastemperatur wird.

Die Richtung des konvektiven Wärmestroms kehrt sich nun um (TF > TG). Die durch

die Reaktion freigesetzte Wärme entspricht dann der Summe aus dem Wärmever-

brauch durch die Aufheizung des Partikels und der an die Gasphase konvektiv über-

tragenen Wärme.

Die Zündung erfolgt bei der Gastemperatur (TG,Z in Abbildung 1-3), bei der die Wärmeerzeu-

gung durch die chemische Reaktion der Wärmeabfuhr entspricht und außerdem die Steigung

der Wärmeerzeugungskurve gleich der der Wärmeabfuhrgeraden ist. Folgende Vereinfachun-

gen - wiederum verdeutlicht am Beispiel der Koksverbrennung - wurden bei der Aufstellung

von Gl. (1-18) gemacht:

Die Verbrennung von Koks ist eine Reaktion 1. Ordnung bezüglich Sauerstoff. Dies

ist eine gute Näherung, da die meisten in der Literatur angegebenen experimentell be-

stimmten Werte zwischen 0,5 und 1 liegen. Auch bei den katalytischen Reaktionen

wird häufig eine Ordnung von n = 1 angenommen.

Die Reaktionsgeschwindigkeit wird bis zum Zeitpunkt der Zündung nur durch die

chemische Reaktion bestimmt, d. h. Einflüsse der Poren- und der Grenzschichtdiffusi-

on spielen keine Rolle.

Bei Erreichen der Zündtemperatur ist der Reaktivgasumsatz maximal 5 % und daher

kann in guter Näherung in Gl. (1-18) für die Reaktivgaskonzentration der Eingangs-

wert angesetzt werden.

Wird die Zündung im Festbett untersucht, ist die einfache Wärmebilanz nach Gl. (1-18) nur

geeignet, das Verhalten des Festbettes bzw. eines Einzelpartikels innerhalb des Bettes bis zur

Zündung in guter Näherung zu beschreiben. Nach der Zündung mit den damit verbundenen

HckHrTTAdt

dTc R2OmRmGFm

Fm

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1. Kinetik exothermer Reaktionen / Zünd-Lösch-Verhalten

- 11 -

starken axialen Temperatur- und Konzentrationsgradienten im Festbett ist eine solche

„Einzelpartikelbetrachtung“ nicht mehr zulässig.

Vernachlässigt man in Gl. (1-18) den Aufheizterm cm · dT/dt (quasistationär), so gilt am

Zündpunkt:

(1-19),

(1-20).

Bei Einführung der Konstante k1 und einer Beziehung (ideales Gasgesetz) für die Konzentra-

tion ca ergibt sich:

(1-21),

(1-22),

mit und .

Aus Gl. (1-21) und (1-22) folgt für die hier vorliegenden Reaktionen (bei denen gilt: R · TZ,F

<< EA) für den Zündpunkt:

(1-23).

Mit Gl. (1-23) kann die exakte Temperatur des Partikels aus der gemessenen Gastemperatur

bestimmt werden. Die Gleichung zur Auswertung kinetischer Daten aus dem Zündverhalten

lautet also mit Gl. (1-21) und (1-23):

(1-24).

Der Wert für den Wärmeübergangskoeffizienten α (= Nu · /dp) wird mit Hilfe von

Korrelationen für die Nu-Zahl (= f(Re, Pr)) bestimmt. Für kleine Reynoldszahlen, wie sie für

die Festbettzündversuche typisch sind (0,8 < Re < 40; Re = uL · dp/ ), werden von

verschiedenen Autoren jedoch unterschiedliche Korrelationen gefunden, so dass eine einfache

Berechnung nicht möglich ist. Für das Praktikum soll folgende Gleichung für durchströmte

Kugelschüttungen eingesetzt werden,

α = 0,015 · ( G / dp) · Re1,8

(1-25),

0qq chemab

F,ZFF,ZF TTF

chem

TTF

ab

dT

qd

dT

qd

0eT

1TTk F

A

TR

E

FGF1

1

TR

E

F,Z2

F,Z

A

F,Z

keT

1

TR

E

T

1 F,Z

A

Faa

TR

pyc

0,maR

m1

kpyH

RAk

A

2Z,F

Z,FZ,GE

TRTT

F,Z

A

0,mAaR

3

F,Z

2

m

TR

E

kEpyH

TRAln

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1.1 Theoretischer Teil

- 12 -

die im Mittel die Literaturangaben am besten wiedergibt. Neben den kinetischen Größen

hängt die Zündtemperatur demnach noch (durch und Am) vom Partikeldurchmesser dp, vom

Reaktivgasgehalt ya und (durch ) von der Leerrohrgeschwindigkeit uL bzw. vom Gesamtvo-

lumenstrom ab.

Zur Bestimmung von EA und km,0 mit Hilfe von Gl. (1-24) kann grundsätzlich die Abhängig-

keit der Zündtemperatur von einer dieser Größen (dp, ya, ) herangezogen werden; für die

Genauigkeit der Methode ist allerdings entscheidend, dass sich die Zündtemperatur möglichst

deutlich ändert. Variiert man nun z. B. bei der Koksverbrennung den O2-Gehalt von 5 bis

100 %, so kann man nach Gl. (1-24) aus der Auftragung von ln(TZ,F3 / yO2) über 1/TZ,F die

Aktivierungsenergie und den Häufigkeitsfaktor bestimmen. Die wahre Feststoffzündtempera-

tur wird mit den Gl. (1-23) und (1-24) iterativ bestimmt. Im Rahmen des Praktikums wird

allerdings aus Zeitgründen der Zündpunkt nur bei einer konstanten Gaskonzentration

bestimmt. Gl. (1-23) und (1-24) werden allerdings benötigt, um den Zündpunkt auf der Basis

kinetischer Daten zu berechnen (und mit dem gemessenen Wert zu vergleichen).

1.1.4 Bestimmung der Reaktionskinetik heterogener Reaktionen unter

isothermen Bedingungen ("klassische Methode")

Die isotherme Methode zur Bestimmung der chemischen Kinetik ist das Standardverfahren in

der chemischen Reaktionstechnik. Als Versuchsapparatur dient meist ein durchströmter

Rohrreaktor, in dessen Achse ein Thermoelementführungsrohr angebracht ist, um die

Isothermie innerhalb der Schüttung in axiale Richtung durch mehrere Thermoelemente bzw.

ein verschiebbares Thermoelement zu überwachen. Ein isothermes Festbett kann bei

Reaktionen mit einer starken Wärmetönung allerdings nur bei kleinen Umsätzen erreicht

werden. Die Auswertung der Versuche basiert auf einem Ansatz für die Reaktionsgeschwin-

digkeit rm der chemischen Reaktion, wie er in Gl. (1-4) für eine Reaktion 1. Ordnung zum

Ausdruck kommt.

Die differentielle Stoffbilanz für den Molenstrom lautet beispielsweise bei der

Koksoxidation in einem Rohrreaktor, wenn die Stofftransportvorgänge vernachlässigt werden

können:

(1-26)

mit und .

Die Lösung der Differentialgleichung lautet für den Fall, dass die Koksmasse mKoks und der

Gasvolumenstrom annähernd konstant sind und eine Reaktion erster Ordnung bezüglich

Sauerstoff vorliegt (n = 1):

(1-27).

V

V

2On

2OmKoks

2O cTkdm

nd

d

cd

md

cdV

md

nd 2O

Koks

2O

Koks

2O

)T,p(V

mKoks

V

m

aus,2O

ein,2O

k2Om

c

c 2O

2O e1Ukc

cd

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1. Kinetik exothermer Reaktionen / Zünd-Lösch-Verhalten

- 13 -

Aus Gl. (1-27) kann die Geschwindigkeitskonstante km aus dem Umsatz UO2 unmittelbar unter

Kenntnis der modifizierten Verweilzeit ′ errechnet werden.

Im Praktikumsversuch soll für vier gegebene Temperaturen der Umsatz bestimmt werden, um

anschließend auf Basis dieser Daten die kinetischen Parameter der Reaktion zu bestimmen.

1.2 Versuchsdurchführung

1.2.1 Zündpunktsmessung

1.2.1.1 Aufbau der Apparatur

Die Zündpunktsapparatur (Abbildung 1-5) besteht aus:

1. Reaktor und Ofen,

2. Temperaturregler (TIC),

3. Gasmengenregulierung und -messung (FIC, FI),

4. Temperaturmessung und -registrierung (TIR).

Als Einsatzgas wird ein Stickstoff/Sauerstoff-Gemisch verwendet, die exakte Zusammenset-

zung wird vom Praktikumsassistenten vorgegeben. Der Volumenstrom wird mit Hilfe eines

Seifenblasenströmungsmessers (FI) gemessen. Ein Manometer (PI) vor dem Reaktor dient zur

Überprüfung des Überdrucks, um eine Zerstörung des Quarzreaktors (Abbildung 1-5) durch

Verstopfungen zu verhindern.

Der verwendete Quarzreaktor besteht aus zwei konzentrischen Rohren, die unten mittels einer

Verschraubung zentriert sind. Durch den Gaseinlass strömt das Gas zunächst durch den

Ringspalt zwischen den beiden Rohren, wird erwärmt und gelangt im oberen Teil des

Reaktors in das innere Rohr, in dem sich die Feststoffschüttung befindet. Die Schüttung ruht

auf einer Glasfritte und wird von dem im Ringspalt vorgeheizten Einsatzgas von oben nach

unten durchströmt. Der Reaktor befindet sich in einem elektrisch beheizten Ofen, der durch

einen Temperaturregler (TIC) nach einem vorgewählten Temperaturprogramm mit einer

konstanten Heizrate aufgeheizt wird.

Eine Besonderheit der Anordnung Ofen/Reaktor ist, dass die Feststoffschüttung sich im

gekrümmten, abfallenden Bereich des Temperaturprofils befindet, d.h., dass die Ofenwand-

temperatur längs der Feststoffschüttung in Strömungsrichtung abnimmt. Dadurch erfolgt die

Zündung in der stets heißeren ersten Schicht des Feststoffes und ist unabhängig von der Höhe

der Schüttung. Sonst würde die Zündung innerhalb der Schüttung erfolgen und als

„wandernde Zündfront” zum Schüttungsanfang wandern; der Zündpunkt wäre in diesem Fall

nur ungenau zu bestimmen. Bei der Messung des Zündpunkts wird die Feststoffprobe durch

den Ofen mit einer konstanten Aufheizrate aufgeheizt, bis sie zündet. Durch zwei Thermoe-

lemente (TIR) wird die Temperatur des Gases unmittelbar vor dem Eintritt in die Schüttung

und zusätzlich im ersten Segment des Feststoffes gemessen und aufgezeichnet.

Zu Beginn des Versuchs liegt die Gastemperatur über der Feststofftemperatur, da der Feststoff

noch vom Gasstrom aufgeheizt wird und die freigesetzte Wärme am Feststoff noch zu gering

ist. Streng genommen müsste in diesem Fall daher in Abbildung 1-3 die S-Kurve (Wärmeer-

zeugung) nach unten verschoben werden, d. h. in der Wärmebilanz müsste die Wärmekapazi-

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1.2 Versuchsdurchführung

- 14 -

tät der Schüttung berücksichtigt werden (Wärmeerzeugung minus durch die Wärmekapazität

der Schüttung verbrauchte Wärme). Erst etwa 100 K unterhalb der eigentlichen Zündtempera-

tur übersteigt die Feststofftemperatur die Gastemperatur und der Feststoff wird vom Gasstrom

gekühlt. Abbildung 1-6 zeigt schematisch ein typisches Schreiberprotokoll.

Als Zündtemperatur wird die „Gaszündtemperatur” gewählt, da der Verlauf der Gastempera-

tur einen scharfen Knick aufweist; die „Feststoffzündtemperatur” kann häufig nur relativ

ungenau durch eine Tangentenkonstruktion bestimmt werden.

Abbildung 1-5: Messanordnung zur Zündpunktsbestimmung

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1. Kinetik exothermer Reaktionen / Zünd-Lösch-Verhalten

- 15 -

Abbildung 1-6: Der Zündvorgang im Praktikumsreaktor (schematisches Schreiberprotokoll)

1.2.1.2 Durchführung der Zündpunktsmessungen

Zunächst wird der Reaktor mit der Schüttung von etwa 10 mm eingebaut. In den Dewar wird

Eis und Wasser gefüllt. Es wird überprüft, ob die Flaschen im Flaschenschrank geöffnet sind

(O2 und N2). An der Anlage werden die benötigten Ventile geöffnet. Nach der Einstellung der

jeweiligen Massendurchflussregler (Werte der Einstellungen werden vom Assistenten

vorgegeben) im Reaktorbypass wird der Volumenstrom im Seifenblasenströmungsmesser

gemessen und berechnet (aus dem Volumen, das eine einzelne Blase in einer bestimmten

Messzeit verdrängt). Mit Hilfe der Gasanalyse wird ferner die Eduktgaszusammensetzung

ermittelt bzw. überprüft.

Nun wird der Hahn hinter dem Reaktor geöffnet und der Dreiwegehahn vor dem Reaktor von

Bypass auf Reaktor umgestellt. Jetzt wird der Reaktor mit Reaktionsgas durchströmt. Der

Zündpunktsversuch wird gestartet, indem der Temperaturregler eingeschaltet wird, und so

eine Temperaturrampe mit einer Rate von 10 K/min gestartet wird. Ist der Zündpunkt erreicht,

steigt erst die Schüttungstemperatur und danach die Gastemperatur stark an. Schon vorher ist

eine leichte Abweichung vom linearen Temperaturanstieg zu erkennen und die Ausgangsgas-

zusammensetzung verändert sich (Anstieg des CO2-Wertes).

Bei starkem Temperaturanstieg sofort O2 abdrehen!

Der Sauerstoffstrom wird kurz nach der Zündung abgedreht, da erheblich höhere Temperatu-

ren den Reaktor schädigen. Danach wird der Ofen ausgeschaltet. Der Reaktor und der Ofen

werden abgekühltund alte Feststoffreste werden entfernt.

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1.3 Versuchsauswertung und Diskussion

- 16 -

1.2.2 Isotherme Methode

Für die isotherme Methode wird ein kontinuierlich durchströmter, von außen elektrisch

beheizter Festbettreaktor aus Quarzglas eingesetzt (Abbildung 1-7). Die Reaktionsbedingun-

gen für die jeweiligen Versuche werden vom Assistenten ausgegeben. Die Gase (Stickstoff

und Sauerstoff) werden als Reinstgase handelsüblichen Gasflaschen entnommen. Die

Gasdosierung erfolgt über elektronische Massendurchflussregler, der Druck wird am Ausgang

des Reaktors über ein mechanisches Druckminderventil eingestellt. Eine Kontrolle der

Volumenströme erfolgt wiederum mit einem in die Abgasleitung eingebauten Seifenblasen-

strömungsmesser. In den Reaktor wird eine Aktivkoksschüttung von etwa 10 mm Höhe

eingefüllt (vorher wiegen) und in einem Stickstoffstrom auf die gewünschte Reaktionstempe-

ratur aufgeheizt. Die Zusammensetzung und der Volumenstrom des Einsatzgemisches wird

zunächst im Reaktorbypass eingestellt und erst nach der Aufheizphase über die Probe geleitet.

Die Reaktionstemperatur und die Einstellungen der Massendurchflussregler sind dem

Merkblatt am Abzug der Versuchsanlage zu entnehmen. Das Produktgas wird durch eine

Gasanalyse geleitet, in der der Sauerstoff-, Kohlenmonoxid- und der Kohlendioxidgehalt

gemessen werden. Daraus kann der Umsatz aus einer einfachen Stoffbilanz ermittelt werden.

Abbildung 1-7: Isotherme Versuchsapparatur

1.3 Versuchsauswertung und Diskussion

1.3.1 Zündpunktsmessung

Gemäß der in Abbildung 1-6 dargestellten Tangentenmethode wird der Zündpunkt der

Aktivkohle bei einer vom Assistenten vorgegebenen Sauerstoffkonzentration be-

stimmt. Anschließend wird mit Gleichung (1-24) der theoretische Wert für den Zünd-

punkt berechnet, und mit dem gemessenen Wert verglichen. (Achten Sie darauf, kor-

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1. Kinetik exothermer Reaktionen / Zünd-Lösch-Verhalten

- 17 -

rekte Einheiten einzusetzen!) Wie erklären Sie die eventuellen Abweichungen? (Hin-

weis: Gehen Sie für die Berechnung von einer Aktivierungsenergie von EA=170

kJ/mol sowie einem Häufigkeitsfaktor von km,0 = 7*109 m³/(kg*s) aus.)

Für das Verhältnis gilt in guter Näherung: = D. Begründen Sie, warum dies

so ist. Berechnen Sie mit dieser Näherung die max. Temperaturdifferenz, die theore-

tisch nach der Zündung eintritt (obere stationäre Punkte in Abbildung 1-3).

Mit den im Theoriekapitel angegebenen Gleichungen wird ferner berechnet, wie groß

bei der Zündung die Temperaturdifferenz „Aktivkoks-Umgebung“ ist. (Vernachlässi-

gen sie hierbei die Aufheizung des Partikels in Gleichung (1-18)). Dieser Wert wird

mit der maximalen Temperaturdifferenz (oberer stationärer Punkt nach der Zündung,

vgl. Abbildung 1-3) verglichen. Welchen Schluss können Sie aus dem Vergleich

ziehen (bezüglich des geschwindigkeitsbestimmenden Schrittes bei der Zündung)?

1.3.2 Isothermer Versuch

Eingesetzt wird hier nur die Aktivkohle. Bei der Auswertung sollen 5 der 7 Aufgaben

bearbeitet werden, die erst während des Versuches vom Betreuer bekannt gegeben werden:

1. Aus dem ermittelten Umsatz und den Reaktionsbedingungen wird die Reaktionsge-

schwindigkeitskonstante bei der Versuchstemperatur bestimmt. Unter der Annahme einer

Aktivierungsenergie von 170 kJ/mol wird das Arrheniusdiagramm gezeichnet.

2. In wie weit ist die Annahme einer Reaktion 1. Ordnung bezüglich Sauerstoff gerechtfer-

tigt? Handelt es sich hierbei um eine Reaktion pseudo-erster Ordnung? Stellen sie als

Dikussionsgrundlage hierzu die nötigen Differentialgleichungen auf.

3. Stellen Sie mit den von der Gasanalyse aufgezeichneten CO und CO2-Konzentrationen

eine Massenbilanz auf.

4. Mit den im Theoriekapitel angegebenen Gleichungen wird der Zündpunkt berechnet und

mit dem gemessen Wert verglichen.

5. Für das Verhältnis gilt in guter Näherung: = /D. Begründen Sie, warum dies so

ist, welche Überlegung dahinter steckt und welche Annahmen sie hierfür treffen (Tip:

Dimensionslose Kennzahlen). Berechnen Sie mit dieser Näherung die max. Temperatur-

differenz, die theoretisch nach der Zündung eintritt (obere stationäre Punkte in Abbildung

1-3).

6. Mit den im Theoriekapitel angegebenen Gleichungen wird ferner berechnet, wie groß bei

der Zündung die Temperaturdifferenz „Aktivkoks-Umgebung“ ist. Dieser Wert wird mit

der maximalen Temperaturdifferenz (oberer stationärer Punkt nach der Zündung, vgl.

Abbildung 1-3) verglichen. Welchen Schluss können Sie aus dem Vergleich ziehen

(bezüglich des geschwindigkeitsbestimmenden Schrittes bei der Zündung)?

7. Nennen sie mindestens 4 Prozess-Maßnahmen die Stofftransportlimitierung bei der

Kohleverbrennung zu verringern. Erläutern sie ob und warum diese Maßnahmen Potenzi-

al im industriellen Maßstab besitzen oder nicht besitzen.

*

*

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1.3 Versuchsauswertung und Diskussion

- 18 -

1.3.3 Zusatzinformationen zur Auswertung

Luft : kinematische Viskosität von Luft (273 K, 1 bar): 0,13 · 10

-5 m

2 ·

s

–1

DGas : Diffusionskoeffizient von Sauerstoff (273 K, 1 bar): 0,17 · 10

-5 m

2 ·

s

–1

Luft : Wärmeleitfähigkeit von Luft (1 bar, 273 K): 0,024 W/(m · K)

Für λ und sind bei den Berechnungen ggf. die temperaturkorrigierten Werte gemäß

in die Rechnung einzusetzen. Hierbei gilt λ ~ T 0,75

, sowie ~ T 1,75

.

Für die massebezogene äußere Oberfläche Am gilt:

Der Reaktordurchmesser beträgt beim isothermen Versuchsteil dReaktor = 2 cm. Für den

Hohlraumanteil in der Schüttung wird ein Wert von 40 % angesetzt.

Der Partikeldurchmesser der eingesetzten Aktivkohle beträgt dp = 1,5 mm.

dR : Durchmesser des Zündpunktsreaktors (zur Berechnung von ul):

n

0

1TT

T

Txx

01

Partikelpm

1

d

6A

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- 19 -

2 Vom Erdgas zum Ammoniak (Steamreformer)

2.1 Die technische Ammoniaksynthese

2.1.1 Grundlagen

2.1.1.1 Bedeutung

Ammoniak (ammonia) ist die technisch bedeutendste Stickstoffverbindung. Nur der Weg über

Ammoniak ermöglicht eine Nutzung des Luftstickstoffs zur Herstellung von Stickstoffverbin-

dungen. In der Bundesrepublik Deutschland wurden 1993 2,1 Mio. t Ammoniak produziert,

die Weltjahresproduktion lag im gleichen Jahr bei 118 Mio. t. Rund 75 % des produzierten

Ammoniaks gehen in den Düngemittelsektor. Weitere Anwendungen werden in Abbildung

2-1 vorgestellt.

Abbildung 2-1: Verwendung des Ammoniaks

2.1.1.2 Entwicklung der Ammoniaksynthese

Der Weg zur Fixierung des Luftstickstoffs in Form von Ammoniak wurde von Fritz Haber

aufgezeigt. Er übertrug bereits bekanntes Wissen über Gleichgewichtsreaktionen auf die

Ammoniaksynthese aus Wasserstoff und Stickstoff.

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2.1 Die technische Ammoniaksynthese

- 20 -

N2 + 3 H2 2 NH3

Durch die Wahl der Reaktionsbedingungen lässt sich die Lage des Gleichgewichts so

verschieben, dass der Produktanteil im Reaktionsgemisch möglichst groß wird. Gleichzeitig

ist meist die Anwesenheit eines Katalysators notwendig, um eine möglichst hohe Reaktions-

geschwindigkeit zu erzielen, d.h. eine weitgehende Annäherung an das thermodynamische

Gleichgewicht. Mit beiden Aspekten hat sich Haber beschäftigt. Darüber hinaus konzipierte er

die Synthese als Kreislaufverfahren, bei dem die nicht umgesetzten Edukte nach der

Produktabtrennung in den Reaktor zurückgeführt wurden. Dieses Konzept trug wesentlich zur

wirtschaftlich akzeptablen Durchführung der industriellen Synthese bei. Welche Bedeutung

Habers Erkenntnisse zu ihrer Zeit hatten, ersieht man aus der Tatsache, dass die schwedische

Akademie der Wissenschaften den Chemienobelpreis 1918 an Haber verlieh, obwohl er zur

gleichen Zeit von den alliierten Gegnern des Deutschen Reiches wegen seiner Förderung des

Giftgaseinsatzes im 1. Weltkrieg als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen werden

sollte. Bereits 1908 hatte die BASF Haber verpflichtet. 1909 gelang es ihm in Karlsruhe

erstmalig, in einer Kreislaufapparatur kontinuierlich 80 g Ammoniak/h bei 200 bar und 550°C

zu produzieren.

Alwin Mittasch, der schon in Karlsruhe der entscheidenden ersten Vorführung beigewohnt

hatte, wurde mit der Entwicklung eines auch unter Produktionsbedingungen einsetzbaren

Katalysators beauftragt. Dazu entwickelte er kleine Testreaktoren, deren Inhalt rasch zu

wechseln war. Letztendlich wurden bis zu 30 Apparaturen parallel betrieben. Schon 1911

fand Mittasch die Katalysatorrezeptur auf Basis von kaliumdotiertem Eisen mit Tonerde, der

auch in technischen Reaktoren einsetzbar war. In weiteren 20.000 Untersuchungen, die sich

über viele Jahre hinzogen, wurde nur noch eine geringe Verbesserung durch Zusatz von

Kalzium beobachtet.

Mitverantwortlich für die erfolgreiche Realisierung der Ammoniaksynthese war Carl Bosch,

der die Generalvollmacht für den Aufbau des ersten Werkes zur Ammoniaksynthese nach

dem Haberschen Verfahren erhielt. Zusammen mit Krupp gelang es ihm, neue Stahlsorten zu

entwickeln, die eine für den Einsatz in Hochdruckprozessen hinreichende Stabilität besitzen.

Dazu gründete er eine Abteilung zur Untersuchung der Korrosionsprobleme und Materialprü-

fung. Seinem Bestreben, mehr über die aktuellen Betriebszustände in Versuchs- und

Produktionsanlagen zu erfahren, ist der intensive Ausbau der Mess- und Regeltechnik zu

verdanken.

2.1.1.3 Chemie der Ammoniaksynthese

In einer modernen Ammoniakanlage wird aus Erdgas, Wasserdampf und Luft unter

Freisetzung von Energie Ammoniak produziert. Dazu müssen aus den Rohstoffen zuerst die

für die Synthese erforderlichen Komponenten H2 und N2 erzeugt werden. Diese sind soweit

zu reinigen, dass der Ammoniaksynthesekatalysator über eine lange Zeit ohne Aktivitätsver-

lust betrieben werden kann. Damit muss anstelle der eigentlichen Reaktionsgleichung

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2. Vom Erdgas zum Ammoniak (Steamreformer)

- 21 -

N2 + 3 H2 2 NH3 RH - 91 kJ/mol (2-1)

für das Gesamtverfahren eine Bruttogleichung angesetzt werden, die wie folgt lautet:

CH4 + 0,3035 O2 + 1,131 N2 + 1,393 H2O CO2 + 2,262 NH3 (2-2)

RH - 86KJ/mol

Im Primärreformer wird zunächst Wasserstoff aus Erdgas erzeugt. Dazu wird Erdgas, das

zum Großteil aus Methan besteht, zusammen mit Wasserdampf bei hohen Temperaturen über

einen Ni-Katalysator geleitet. Dabei bildet sich annähernd das Gleichgewicht der folgenden

Reaktionen aus:

CH4 + H2O CO + 3 H2 RH 206 kJ/mol (2-3)

CO + H2O CO2 + H2 RH - 41 kJ/mol (2-4)

Im Sekundärreformer wird die eingebrachte Luft mit dem wasserstoffreichen Gas des

Primärreformers zur Reaktion gebracht und das restliche Methan umgesetzt:

CH4 + ½ O2 + 2 N2 CO + 2 H2 + 2 N2 (2-5)

Real erhöht sich dabei zunächst durch die Totaloxidation von H2 (und CH4) die Temperatur,

bevor das restliche Methan mit Wasserdampf gemäß Gl. (2-3) umgesetzt wird. Gl. (2-5)

repräsentiert daher nur die Bruttogleichung der Vorgänge im Sekundärreformer. Im

Sekundärreformer wird über den Luftstrom außerdem der für die Ammoniaksynthese

erforderliche Stickstoffanteil im Rohgas eingestellt.

In der Konvertierung wird ausschließlich CO aus dem Rohgas mit Wasser zu CO2 und H2

umgesetzt:

CO + H2O CO2 + H2 RH - 41 kJ/mol (2-6)

Die Konvertierung erfolgt zweistufig in einem Hoch- und einem Tieftemperatur-Konverter,

die sich durch die eingesetzten Katalysatorsysteme unterscheiden. Nach der Konvertierung

beträgt der CO-Gehalt im Rohgas rund 0,3 %.

Es folgt eine Gaswäsche, bei der der CO2-Anteil im Rohgas weitgehend entfernt wird. In

einem geeigneten Lösungsmittel wie z. B. einer Methyldiethanolamin-Lösung wird der CO2-

Gehalt im Rohgas dadurch auf weniger als 0,1 Vol.-% reduziert. Das gelöste CO2 wird durch

Entspannen und Erwärmen aus dem Lösungsmittel ausgetrieben und kann z. B. zur Synthese

von Harnstoff verwendet werden.

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2.1 Die technische Ammoniaksynthese

- 22 -

Im anschließenden Schritt der Methanisierung werden die verbliebenen Spuren von CO mit

H2 zu Methan umgewandelt, da CO den Ammoniak-Synthesekatalysator schädigt. Bei der

Umsetzung handelt es sich um die umgekehrte Reaktion, nach der bei hohen Temperaturen im

Primärreformer das Synthesegas gebildet wurde (Gl. (2-3)). Bei niedrigen Temperaturen von

etwa 250 °C wird Methan gebildet, der Gehalt an CO im NH3-Synthesegas lässt sich so auf

weniger als 1 ppm reduzieren.

CO + 3 H2 CH4 + H2O RH -206 kJ/mol (2-7)

CO2 + 4 H2 CH4 + 2 H2O RH -165 kJ/mol (2-8)

Im Synthesekreis findet die eigentliche Ammoniaksynthese statt. Aus der Synthesegleichung

(siehe Gl. (2-1)) geht hervor, dass gute Ammoniakausbeuten nur bei hohem Druck und

niedrigen Temperaturen zu erwarten sind (Molzahlverminderung und exotherme Reaktion).

Allerdings ist die Reaktionsgeschwindigkeit bei tiefer Temperatur sehr niedrig, so dass durch

den Einsatz eines möglichst effizienten Katalysators versucht werden muss, die notwendige

Reaktionsgeschwindigkeit bereits bei möglichst niedrigen Temperaturen zu erreichen. Der

unvollständige Synthesegasumsatz wird durch Rückführung der nicht umgesetzten Anteile an

Stickstoff und Wasserstoff ausgeglichen. Da sich mit der Zeit im Kreisgas Edelgase (aus der

Luft) und Methan (aus der Methanisierung zur Feinreinigung des Synthesegases) anreichern,

muss ein Teil des Kreisgases als Purgegas ausgeschleust werden, um eine Anreicherung

dieser inerten Komponenten im Kreisgas zu verhindern. Das erzeugte Ammoniak wird aus

dem Kreislauf entfernt.

Das Verfahren zur großtechnischen Ammoniaksynthese lässt sich demnach durch sechs große

Funktionsblöcke beschreiben (Abbildung 2-2).

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2. Vom Erdgas zum Ammoniak (Steamreformer)

- 23 -

Abbildung 2-2: Blockschaltbild der großtechnischen Ammoniaksynthese

2.1.1.4 Dimensionen einer großtechnischen Anlage

Die meisten modernen Ammoniakanlagen sind Einstranganlagen, bei denen die hintereinan-

der geschalteten Apparate jeweils nur einmal, ohne Reserve, vorhanden sind. Trotzdem

rechnet man mit einer Verfügbarkeit von mehr als 330 Tagen pro Jahr. Der Vorteil der

Einstranganlage besteht in der Einsparung von Investitionskosten: Zum Beispiel liegen die

Investitionskosten für 3 Anlagen zur Produktion von je 600 Tagestonnen (tato) Ammoniak bei

rund 210 Millionen €, für 2 Anlagen zu je 900 tato Ammoniak bei rund 185 Millionen €. Für

eine Anlage mit Tagesproduktion von 1.800 t Ammoniak betragen sie dagegen nur rund 150

Millionen €.

Einige Zahlenangaben zu Anlagenkomponenten:

Im Primärreformer erfolgt die Methanspaltung in mehr als 300 parallelen, über 10

Meter langen und 10 cm dicken Rohren aus hoch legiertem Stahl, die 40 bar Innen-

druck bei Wandtemperaturen von über 930°C im Feuerraum des Primärreformers aus-

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2.1 Die technische Ammoniaksynthese

- 24 -

halten. Da ein Austausch dieser Rohre die Anlage bis zu 2 Monate „lahm legen“ kann,

werden trotz der extremen Bedingungen Laufzeiten von 10 Jahren erwartet.

Besondere Anforderungen an den Ingenieur stellt der Bau zuverlässiger Abhitzekessel;

Heizflächenbelastungen von 0,4 GJ/(m2

h) sind üblich.

Der Waschturm einer CO2-Wäsche in einer Anlage mit einer Tagesproduktion von

1.200 Tonnen Ammoniak kann über 70 Meter hoch sein.

Im Turboverdichter wird das Synthesegas durch eine Reihe von auf einer Welle

hintereinander angeordneten Laufrädern auf den gewünschten Enddruck verdichtet.

Dabei werden Drehzahlen von 11000 U/min und Umfangsgeschwindigkeiten von bis

zu 1100 km/h erreicht. Die Laufradbreite der letzten Verdichtungsstufe bewegt sich im

Millimeterbereich.

Auch die Abmessungen der Synthesereaktoren haben sich im Laufe der Zeit gewaltig

verändert. In der oben genannten Beispielanlage haben diese etwa einen Innendurch-

messer von 2 Meter, eine Länge von 22 Meter und ein Stahlgewicht von rund 400

Tonnen. Dazu kommen rund 100 Tonnen Katalysator.

Wesentlich für die Wirtschaftlichkeit einer Ammoniakanlage ist die Integration aller

Verfahrensschritte mit intensivem Wärmeaustausch zwischen den Prozesseinheiten. Während

im klassischen Haber-Bosch-Verfahren auf Koks-Basis noch etwa 90 GJ für 1 t Ammoniak

benötigt wurden, liegt der Energiebedarf moderner Anlagen auf Erdgasbasis nur noch bei

rund 30 GJ pro Tonne Ammoniak. Das entspricht einem Wirkungsgrad von rund 70%.

Dennoch werden heute ungefähr 1,5% der Weltenergie-Erzeugung zur industriellen

Produktion von Ammoniak verwendet.

Für Bedienung und Überwachung der weitgehend automatisierten Anlagen sind bei einer

Tagesproduktion von 1000 bis 1500 Tonnen Ammoniak etwa 8 Arbeitsplätze rund um die

Uhr zu besetzen. Im Kontrollraum laufen mehr als 1.000 Prozessdaten und über 250

pneumatische und elektrische Regelfunktionen zusammen. Für Reparaturen und Änderungs-

arbeiten werden während der Tagesschicht circa 9 Schlosser, 3 Mess- und Regeltechniker

sowie 1 Elektriker eingesetzt. Für die gleiche Produktion waren 1940 noch 1.600 Mitarbeiter

erforderlich. Nach 2 bis 3 Jahren möglichst ununterbrochenen Betriebs wird eine Ammoniak-

anlage planmäßig etwa 4 Wochen abgestellt. In dieser Zeit werden Reparaturarbeiten,

Revisionen und Katalysatorwechsel durchgeführt. Die Lebensdauer der Katalysatoren beträgt

bis zu 10 Jahren. Während eines großen Stillstandes sind bis zu 300 Handwerker in der

Anlage tätig.

2.1.2 Simulation als Forschungs- und Planungsinstrument

Unter Simulation versteht man allgemein die Nachbildung realer oder denkbarer Vorgänge

am Modell. In der Verfahrensentwicklung beginnt der Einsatz von Simulationen mit der

Ermittlung von Stoffeigenschaften und Reaktionsmechanismen und führt bis zur Prozesskon-

figuration. Die Simulation ergänzt Versuche zur Bewertung unterschiedlicher Konzepte mit

dem Ziel, wirkungsvolle, kostengünstige, schadstoffarme und sichere Prozesse zu gestalten.

Unterschiedliche Prozesskonfigurationen können am Modell vergleichend beurteilt werden.

Die dynamische Wechselwirkung zwischen den Prozessstufen kann untersucht, Empfindlich-

keitsuntersuchungen hinsichtlich Parameteränderungen und Störeinflüssen können

durchgeführt und Sicherheitsanalysen können erstellt werden, um kritische Betriebszustände

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2. Vom Erdgas zum Ammoniak (Steamreformer)

- 25 -

frühzeitig zu erkennen und geeignet zu reagieren. Die Ergebnisse der Prozesssimulation

bilden die Grundlage für den Entwurf geeigneter Mess- und Regelkonzepte. Die Simulation

ermöglicht auch die Schulung von Operatoren bereits vor Inbetriebnahme einer Anlage.

2.1.3 Verfahrenstechnische Symbole

Zur Beschreibung und Abbildung von Prozessen bedient man sich unterschiedlich

detailreicher Darstellungsformen. Alle sind jedoch dadurch gekennzeichnet, dass eine Reihe

von Symbolen verwendet wird, die als Platzhalter für einen komplexeren Sachverhalt dienen

und somit eine Art Formelsprache darstellen. Eine kleine Menge dieser Symbole wird in der

Bildschirmdarstellung des Programmes „Ammoniaksynthese“ verwendet. Es handelt sich

dabei nur um Grundsymbole für wichtige Apparatetypen. Diese sind in Abbildung 2-3

zusammengestellt und erläutert.

Abbildung 2-3: Beispiele für verfahrenstechnische Symbole

Die verwendeten Symbole sind entweder in nationalen (DIN, ANSI, BSI) oder internationalen

(ISO) Normen festgelegt.

Die übersichtlichste Darstellung eines Verfahrens besteht aus einem Blockschaltbild, auch

Grundfließbild genannt, wie es bereits in Abbildung 2-2 für die Ammoniaksynthese

vorgestellt wurde. Dabei symbolisieren Rechtecke große Funktionsblöcke einer Anlage, die

Darstellung zeigt nur die wichtigsten Massenströme. Die nächste informationsreichere Stufe

stellen Verfahrensfließbilder dar, in denen die wichtigsten Apparate symbolisiert sind. Sie

geben Aufschluss über alle Massen- und einen Teil der Wärmeströme eines Verfahrens und

enthalten meist auch wichtige Kennwerte der Apparate. Damit können erfahrene Verfahrens-

techniker schon grob die Komplexität und die Kosten abschätzen. Die Bildschirmdarstellun-

gen des Programms „Ammoniaksynthese“, das im vorliegenden Versuch verwendet wird,

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2.1 Die technische Ammoniaksynthese

- 26 -

entsprechen dieser Stufe. In einem detaillierten Fließbild eines Verfahrens finden dann auch

Mess- und Regeltechniksymbole Eingang. Sie erlauben eine Beschreibung der technischen

Abläufe und Regelungskonzepte. Abbildung 2-4 zeigt einen Ausschnitt aus einem solchen

Fließbild, das im Allgemeinen auch eine Tabelle mit den Zusammensetzungen der

gekennzeichneten Ströme enthält.

Abbildung 2-4: Ausschnitt aus einem Verfahrensfließbild

2.1.4 Hilfsmittel zum Bedienen und Beobachten von Prozessen

Sowohl in der historischen Entwicklung der Methoden zur Prozesskontrolle als auch im mess-

und regelungstechnischen Aufwand lässt sich ein klarer Trend erkennen. Der Zwang zu einer

immer besseren Kontrolle der Prozessparameter in Verbindung mit einer Verringerung des

Personaleinsatzes vor Ort hatte beispielsweise im Falle der Ammoniaksynthese die

nachstehenden Entwicklungsstufen der Bedientechnik zur Folge.

In der Anfangsphase der Ammoniaksynthese wurden die Anlagen nahezu ausschließlich mit

direkter Bedienung der Armaturen durch das Bedienpersonal gefahren, das gleichzeitig auch

vor Ort die aktuellen Messwerte ablas.

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2. Vom Erdgas zum Ammoniak (Steamreformer)

- 27 -

Ein wichtiger Fortschritt konnte durch das Zusammenführen von Mess- und Steuergrößen in

Leitständen erzielt werden. Auf Messtafeln lassen sich logisch zueinander gehörende Größen

nebeneinander darstellen. Damit wird der Bedienungsaufwand verringert, die Betriebssicher-

heit erhöht und Optimierungspotential erschlossen.

Durch die Einführung leistungsfähiger elektronischer Baugruppen konnte die Prozesskontrol-

le auf mehrere Ebenen aufgeteilt werden, die vom eigentlichen Prozess über die prozessnahen

Komponenten bis zu den Anzeige- und Bedienkomponenten reichen. Dabei nimmt das

Abstraktionsniveau erheblich zu. Der Bediener sieht auf einem Bildschirm eine Vielzahl von

Werten, die so aufbereitet wurden, dass sie ihm einen möglichst raschen Überblick über den

aktuellen Zustand der Anlage oder eines Anlagenteils erlauben. Gleichzeitig erlauben

moderne Systeme die Anbindung von Prozessrechnern zur Optimierung des Betriebs oder zur

Diagnose.

Die Entwicklung geht heute in Richtung auf Systeme mit eingebauter Online-Unterstützung

der Bedienungsmannschaft zur Vermeidung von Störungen durch Präventivmaßnahmen. Ein

weiteres wichtiges Ziel ist der Einbau von Online-Simulationsprogrammen, die durch

Vorausberechnung auf Basis der momentan gültigen Parameter und Messwerte einen

optimalen Anlagenbetrieb gestatten.

2.2 Synthesegaserzeugung aus Erdgas

2.2.1 Theoretischer Teil

Ein wichtiger Verfahrensschritt der Ammoniak-Synthese ist die katalytische Herstellung von

Synthesegas bzw. Wasserstoff auf Erdgasbasis durch Reformierung von Erdgas (CH4) mit

Wasserdampf an Ni-Katalysatoren. Die Reformierreaktion läuft nach der Gleichung

ab. Das entstandene Spaltgas wird konvertiert und das entstehende CO2 entfernt:

Heute arbeitet man in der industriellen Praxis mit zwei Reaktoren. Im ersten wird das CH4 bei

700 bis 950°C und 30 bis 35 bar Druck durch außen beheizte Rohre geleitet, in denen der Ni-

Katalysator in einem Festbett angeordnet ist. Am Reaktorausgang liegt dann aus thermody-

namischen Gründen noch etwa 7 Vol.-% CH4 vor. Um diesen Anteil auf etwa 0,2 % zu

senken, wird in einem Sekundärreformer bei etwa 1000°C autotherm unter Zugabe von Luft /

O2 ein praktisch vollständiger Umsatz erreicht.

2.2.2 Chemisches Gleichgewicht

Für die Berechnung des Ablaufes chemischer Reaktionen sind die thermodynamischen

Gesetzmäßigkeiten von großer Bedeutung, denn alle stofflichen Umwandlungen sind durch

den thermodynamischen Gleichgewichtsumsatz begrenzt. Durch die Berechnung des

Minimums der freien Enthalpie kann auch die Zusammensetzung eines komplexen

Reaktionssystems mit vielen Komponenten und möglichen Reaktionswegen im thermodyna-

mischen Gleichgewicht ermittelt werden. Solche Systeme können mit Computerprogrammen

CH4 + H2O CO + 3 H2R + 205 kJ/mol

R -42 kJ/molCO2 + H2CO + H2O

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2.2 Synthesegaserzeugung aus Erdgas

- 28 -

für einen vorgegebenen Druck und eine vorgegebene Einsatzgaszusammensetzung berechnet

werden.

Bei der Reformierung von Methan ist erst bei Temperaturen oberhalb von etwa 700°C im

thermodynamischen Gleichgewicht nur noch wenig Methan zu erwarten (Abbildung 2-5) Das

zuerst entstehende Kohlenmonoxid kann mit Wasserdampf zu H2 und CO2 weiterreagieren.

Diese Konvertierung ist eine exotherme Reaktion, d.h. das Gleichgewicht verschiebt sich mit

zunehmender Temperatur auf die Seite der Edukte (CO und Wasserdampf).

Abbildung 2-5: Gleichgewichtszusammensetzung bei der Methanreformierung (äquimolarer Einsatz

von Methan und Wasserdampf, Gesamtdruck 1 bar)

Ein reagierendes System ist dann im Gleichgewicht, wenn Hin- und Rückreaktion gleich

schnell sind und nach außen keine Veränderung mehr auftritt. Die Gibbssche freie Enthalpie

hat ihren Minimalwert erreicht. Die allgemeine Gleichgewichtsbeziehung G = 0 kann

präzisiert werden zu:

RG(T,p) = 0 = RH(T,p) – T RS(T,p) (2-9)

mit (für ideale Gase):

RH(T, p) = RH0(T,p0) (p0 = 1,013 bar),

RS(T,p) = i SProdukte(T,p) - i SEdukte(T,p)

Si(T,p) = Si0(T,p0) – R ln p/p0.

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2. Vom Erdgas zum Ammoniak (Steamreformer)

- 29 -

Daraus folgt:

(2-10)

( i ist der stöchiometrische Koeffizient (positiv für Produkte, negativ für Edukte). Der

Quotient der Partialdrücke wird als Gleichgewichtskonstante Kp bezeichnet:

RH0(T) – T RS

0(T) = - RT ln Kp (2-11)

Mit

RG0(T) = RH

0(T) - T RS

0(T) (2-12)

folgt schließlich die Grundgleichung

RG0 = - RT ln Kp (2-13).

Darin ist RG0 die (nur noch temperaturabhängige) freie Standardreaktionsenthalpie.

„Standard“ bedeutet dabei, dass die in RG0 eingehenden Größen RH

0 und S

0 für jede

Komponente auf einen Standarddruck bezogen sind, 1 atm = 1,013 bar.

Diese Beziehung ermöglicht es, die Gleichgewichtskonstante Kp und damit die Lage eines

chemischen Gleichgewichtes aus thermodynamischen Daten zu berechnen.

Der maximal erzielbare Gleichgewichtsumsatz U* einer Ausgangskomponente des

Reaktionsgemisches (hier z. B. Methan) kann bei gegebenem Druck und gegebener

Temperatur aus dem Kp-Wert und einer Stoffbilanz berechnet werden. Man drückt unter

Berücksichtigung des Gesamtdruckes die Partialdrücke der Reaktanden durch die Stoffmen-

genanteile Xi aus. Im Falle der Methanreformierung mit Wasserdampf gelangt man zu

folgenden Gleichungen:

keine Verdünnung mit Inertgas: XCH4 + XH2O + XH2 + XCO = 1 (2-14)

äquimolarer Einsatz der Edukte: XCH4 = XH2O bzw. XH2 = 3 XCO (2-15)

Gleichgewichtskonstante: 2

0OHCH

CO

3

H

Pppp

ppK

24

2 bzw.

Aus diesen Gleichungen folgt:

2

ges

0OHCH

CO

3

H

P

p

px

xxK

24

2

x

(2-16)

(2-17)

Eduktei

i

oduktePri

i0R

0R

p

plnRT)T(ST)T(H

4

4

4

CH

CHCH

X21

X21U

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2.2 Synthesegaserzeugung aus Erdgas

- 30 -

4 ln (0,25 - 0,5 X*CH4 ) + 3 ln 3 - 2 ln X*CH4 = 2 ln (p0/pges) + ln Kp (2-18)

Mit diesen Gleichungen lässt sich der Gleichsgewichtsumsatz UCH4* bestimmen. Man

berechnet zunächst aus den thermodynamischen Daten Kp und dann mit Hilfe von Gl. (2-18)

iterativ den Gleichgewichtanteil von Methan X*CH4. (Hinweis: Man kann auch zunächst die

Funktion Kp = f(X*CH4) graphisch darstellen und den zu Kp gehörigen Wert von X*CH4

ablesen.)

2.2.3 Chemische Kinetik und Stofftransport: Effektive Reaktionsgeschwin-

digkeit

In guter Näherung ist der Logarithmus der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten eine lineare

Funktion der reziproken absoluten Temperatur. Diese Abhängigkeit wurde erstmals 1889

durch Arrhenius ausgedrückt:

(2-19)

In dieser Gleichung bedeutet EA die so genannte Aktivierungsenergie der Reaktion in J/mol,

die man graphisch oder numerisch bestimmen kann. Aus dem Arrhenius-Ansatz folgt, dass

sich die chemische Reaktionsgeschwindigkeitskonstante k quasi-exponentiell mit der

Temperatur erhöht (Faustregel: Für chemische Reaktionen erfolgt alle 10 K eine Verdopplung

der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten). Für die Reaktionsgeschwindigkeit r (Ansatz erster

Ordnung) gilt:

(2-20).

Aufgrund des Zusammenspiels von chemischer Reaktion und Stofftransport (Porendiffusion,

Grenzschichtdiffusion) kann je nach Temperatur und Korndurchmesser die Geschwindigkeit

der chemischen Reaktion nicht voll genutzt werden, sondern nur die so genannte effektive

Reaktionsgeschwindigkeit reff. (Die entsprechenden Erläuterungen und Gleichungen können

der Anleitung zu Versuch Kinetik exothermer Reaktionen entnommen werden. Wenn Sie

diesen Versuch noch nicht gemacht haben, sind zur Vorbereitung des vorliegenden Versuches

die angegebenen Seiten zu lesen!) An dieser Stelle sollen nur die wesentlichen Gleichungen

kurz angegeben werden. Für die effektive Reaktionsgeschwindigkeit gilt:

(2-21)

Für die effektive Reaktionsgeschwindigkeitskonstante gilt:

(2-22),

RT

E

CH,0,mCH,m

A

44ek)T(k

444 CHCH,mCH,m ckr

444 CHCH,effCH,eff ckr

)T(k

1

A

1

1)T(k

mm

eff

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2. Vom Erdgas zum Ammoniak (Steamreformer)

- 31 -

mit:

(2-23),

(2-24),

(2-25).

Ist der äußere Stofftransport geschwindigkeitsbestimmend ( Am << km), gilt für die

effektive Reaktionsgeschwindigkeitskonstante:

(2-26).

Hat nur die Porendiffusion einen Einfluss ( . Am >> km), gilt:

(2-27).

2.3 Versuchsdurchführung

2.3.1 Teil 1: Simulation einer Ammoniakanlage

Ziel des Computerprogramms ,,Ammoniaksynthese“ ist es, durch Variation einer größeren

Zahl von Parametern einen günstigeren Arbeitspunkt für die gesamte Produktionsanlage zu

finden. Dieser Arbeitspunkt hängt natürlich von der Bewertung der Produkte und Nebenpro-

dukte sowie den Kosten für die Einsatzstoffe ab. Das Programm „Ammoniaksynthese“ nimmt

eine Bewertung des jeweiligen Anlagenzustandes vor. Grundlage dafür ist der erwartete Erlös

der Anlage über 7 Tage. Um eine hohe Punktzahl zu erzielen, geht es folglich nicht darum,

möglichst viel Ammoniak zu produzieren, sondern darum, eine große Menge Ammoniak mit

möglichst geringem Einsatz an Erdgas (als Rohstoff und Energiequelle) herzustellen.

2.3.1.1 Die Einflussgrößen

Das Simulationsprogramm basiert auf gewissen Vereinfachungen gegenüber den Program-

men, die im industriellen Alltag eingesetzt werden. Dies ist vor allem eine Konzession an den

PC als Rechner. Die Vereinfachungen sind allerdings so gewählt, dass die grundsätzlichen

Zusammenhänge und Verhaltensweisen korrekt wiedergegeben werden.

Im großtechnischen Ammoniakverfahren stehen dem Anlagenfahrer eine sehr große Zahl von

Stellmöglichkeiten zur Verfügung, um die Anlage zu beeinflussen. Davon ist allerdings nur

eine sehr kleine Zahl relativ frei wählbar, während die übrigen sich aus den Randbedingungen

der sie umgebenden Anlagenteile mehr oder weniger zwangsläufig ableiten. Wie sich im

Praktikumsversuch beim „Spielen“ sehr rasch herausstellen wird, ist der optimale Betriebsbe-

reich eng begrenzt. Es muss daher an dieser Stelle deutlich gemacht werden, dass die

tanh

eff

scheinm

D

kL

p

CHG,

d

DShβ 4

meff A)T(k

meff k)T(k

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2.3 Versuchsdurchführung

- 32 -

Bandbreiten der Variationen und Wirkungen, die im „Spiel“ genutzt werden können, in der

Realität nicht vorkommen.

Die im Programm zu beeinflussenden Parameter wurden so ausgewählt, dass sie nahezu alle

Stufen des Produktionsverfahrens umfassen. Dadurch soll noch einmal verdeutlicht werden,

dass eine großtechnische Produktion nicht nur auf einer einzigen Reaktionsgleichung beruht,

sondern die Bereitstellung der Reaktanden und die Aufarbeitung einen erheblichen Aufwand

erfordern und die Wirtschaftlichkeit eines Verfahrens in starkem Maße beeinflussen.

2.3.1.2 Vermeidung unzulässiger Betriebszustände

Alle Parameter haben einen eingegrenzten Wertebereich. Die Grenzen sind dabei meist durch

Werkstoffeigenschaften gegeben oder durch Ausbleiben der gewünschten Reaktionen

festgelegt. Damit werden auch solche Anlagenzustände abgefangen, die vom sicherheitstech-

nischen Standpunkt bedenklich sein könnten. In der großtechnischen Anlage werden diese

Begrenzungen durch die Mess- und Regeltechnik festgelegt. Dabei vernachlässigt die

Simulation die Tatsache, dass zum Anfahren einer Anlage die meisten Untergrenzen außer

Kraft gesetzt werden müssen. Auf diesen Vorgang, der das Können der Bedienungsmann-

schaft in erheblichem Umfange fordert, sei an dieser Stelle nur hingewiesen, da die

Simulation ihn nicht wiedergeben kann.

Störfälle, wie das Austreten von Produkten durch schadhafte Dichtungen, lassen sich zwar

grundsätzlich simulieren (und werden auch für sicherheitstechnische Betrachtungen

vorausberechnet), ihr Auftreten ist allerdings nicht vorhersagbar und sehr selten, so dass auf

einen Einbau in dieses Programm verzichtet wurde. Allerdings treten durchaus auch

Störungen im simulierten Betriebsablauf auf, zum Beispiel Deaktivierung des Katalysators als

Folge einer Vergiftung. Diese können zum Teil direkt wieder rückgängig gemacht werden,

zum Teil müssen sie aber durch Parameterverstellung kompensiert werden.

2.3.1.3 Elektronische Einführung und Dokumentation

Zunächst sollten die Kapitel „Einführung“ und „Bibliothek“ durchgearbeitet werden. Beide

Abschnitte enthalten ergänzende Erklärungen zum vorliegenden Skript. Insbesondere im

Kapitel „Bibliothek“ erhält man Hinweise, die zum Verständnis der Simulation beitragen. Es

wird empfohlen, wesentliche Hinweise zu notieren, um während einer Simulation leichter auf

die Informationen zurückgreifen zu können.

2.3.1.4 Einführung in die Simulation

Zuerst sollen die Simulationsfunktionen kennen gelernt werden. Dazu wird das Programm mit

den eingestellten Grundparametern gestartet. Im Hauptmenü wählt man Simulation und

bestätigt durch [Return]. Es erscheint ein Menü zur Auswahl der Simulation. Hier werden die

unterschiedlichen Darstellungen zur Auswahl gestellt:

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2. Vom Erdgas zum Ammoniak (Steamreformer)

- 33 -

Tastenbelegung für die Anzeigemodi der Prozesssimulation

Funktionstaste „F2“ liefert Daten aus der Messwarte eines Funktionsblocks der Anlage.

Funktionstaste „F3“ liefert das Zeitdiagramm aus der Messwarte eines Funktionsblocks.

Für beide Anzeigemodi kann durch zusätzliche Eingabe einer Zahl zwischen 1 und 7 der

gewünschte Funktionsblock ausgewählt werden, dabei entspricht

1 = Primärreformer;

2= Sekundärreformer;

3= Konverter;

4= CO2-Wäsche;

5= Methanisierung;

6= Synthese Übersicht;

7= Synthese-Reaktoren.

Funktionstasten „F4 und F5“ liefern den Prozessleitstand des Gesamtprozesses.

Funktionstaste „F6“ zeigt die gesamte Online-Analytik der Anlage.

Funktionstaste „F7“ dient zum Speichern der aktuellen Parameter

Funktionstaste „F8“ zeigt den aktuellen Punktestand an

2.3.2 Versuchsauswertung und Diskussion: Ammoniakanlage

Man mache sich bei laufender Simulation mit den verschiedenen Darstellungsformen vertraut,

die das Simulationsprogramm „Ammoniaksynthese“ anbietet. Bevor die eigentliche

Simulation unter selbständiger Variation der Betriebsparameter fortgesetzt wird, sollte man

folgende Informationen über die Grundeinstellung der Anlage mit Hilfe der unterschiedlichen

Bildschirmdarstellungen schnell erarbeiten können:

Testfragen:

Wie groß ist in Grundeinstellung der Anlage die zugeführte Menge an Prozessluft?

Welche Temperatur des Rohgasstromes wird in der Grundeinstellung der Anlage am

Ausgang des Hochtemperatur-Konverters gemessen?

Wie groß ist in der Grundeinstellung der Anlage die abgeschiedene Menge an produ-

ziertem Ammoniak?

Wie viel CO befindet sich in der Grundeinstellung der Anlage nach der CO2-Wäsche

noch im Rohgas?

Wie ist in der Grundeinstellung der Anlage das Synthesegas vor dem Eintritt in den

Reaktor R1 zusammengesetzt?

2.3.2.1 Die Wirkung der Parameter

Starten Sie die Simulation in der Grundeinstellung der Anlage. Während des Betriebs können

9 verschiedene Parameter variiert werden. Die geschickte Variation dieser Parameter

entscheidet über den erfolgreichen und effizienten Anlagenbetrieb.

Starten Sie zunächst eine neue Simulation. Dazu Funktionstaste „F7“ drücken und mit den

Cursortasten „Grundzustand starten“ auswählen. [Return] drücken. Nach Wahl der geeigneten

Funktionstaste (siehe unten Kasten) kann die Simulation in der gewünschten Weise verfolgt

werden. Auch während der Simulation ist das Umschalten zwischen unterschiedlichen

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2.3 Versuchsdurchführung

- 34 -

Anzeigemodi jederzeit möglich. Es empfiehlt sich am Anfang, die Parametervariation von der

Messwarte eines Funktionsblockes durchzuführen. Durch Funktionstaste „F2“ und die

Eingabe der Zahl „1“ gelangt man z. B. in die Messwarte des Primärreformers. Hier lassen

sich durch Cursortasten 4 Parameter anwählen und variieren. Für alle Parametereinstellungen

gilt:

Tastenbelegung für die Parametereinstellung

Cursor rechts/links: Auswahl des Parameters

Cursor auf/ab: Grobeinstellung des Parameters

Einfg/Entf: Feineinstellung

Pos1/Ende: Max./Min. Stellwert des Parameters

Die übrigen Parameter lassen sich in gleicher Weise von den Messwarten der jeweils

relevanten Funktionsblöcke aus variieren.

2.3.2.2 Variation eines Parameters

Zunächst soll nur je ein Parameter variiert werden, alle anderen werden konstant auf den

Werten der Grundeinstellung der Anlage gehalten. Es sollen jeweils 4 unterschiedliche

Einstellungen miteinander verglichen werden: 1. die vorgegebene Grundeinstellung; 2. der

maximale Parameterwert; 3. der minimale Parameterwert und 4. der optimale Parameterwert.

Als Vergleichskriterium soll der aktuell bei diesem Parametersatz erzielte Erlös der Anlage

sein (dargestellt durch den Trendbalken).

Diskutieren Sie die erhaltenen Ergebnisse auf der Grundlage ihres Wissens über die

chemischen und verfahrenstechnischen Aspekte der Ammoniaksynthese.

2.3.2.3 Variation mehrerer Parameter (Groboptimierung)

Wählen Sie nun für jeden Parameter die optimale Einstellung und kombinieren Sie diese zu

einem neuen Parametersatz für die Anlage. Betreiben Sie die Anlage mit diesem Parameter-

satz über den Zeitraum von 7 Tagen (Systemzeit etwa 15 min). Wie viel lässt sich mit einer

solchen groben Optimierung erwirtschaften? Wie beeinflussen sich die variierten Parameter

gegenseitig?

Hinweis: Beim Auftreten betriebsbedingter Störungen empfiehlt es sich, den gestörten

Parameter möglichst rasch (falls möglich) auf den Sollwert zu korrigieren.

2.3.2.4 Optimierungsversuche

Als Abschluss des Praktikumsversuches soll nun die Anlage ohne zusätzliche Einschränkun-

gen und Vorgaben optimiert werden. Als betriebswirtschaftliches Szenario gelten die Preise

der Grundeinstellung des Programms.

Es empfiehlt sich, auf die bisher erarbeiteten Grundsätze zum wirtschaftlichen Betrieb der

Anlage zurückzugreifen. Ausgehend davon soll eine Feinoptimierung der Anlage zum

optimalen Betriebspunkt versucht werden. Bewertungskriterium ist die vom Programm unter

Funktionstaste „F8“ ausgewiesene Punktzahl, die ein Maß für den innerhalb von 7 Tagen

(Systemzeit) erwirtschafteten Ertrag darstellt.

Es besteht die Möglichkeit die Anlage über die Funktionstaste „F7“ in der Grundeinstellung

neu zu starten.

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2. Vom Erdgas zum Ammoniak (Steamreformer)

- 35 -

Notieren Sie die maximal erreichte Punktzahl und den dazugehörigen optimierten Satz an

Betriebsparametern. Was wurde im Gegensatz zur Groboptimierung variiert? Wie lässt sich

das nun erzielte Betriebsergebnis erklären?

Benutzen Sie für ihre Argumentation die erhaltenen Messwerte aus den Messwarten/dem

Prozessleitsystem, der Online-Analytik sowie das Hilfsmittel der Trendanalyse.

Viel Spaß beim Produzieren von Ammoniak!

2.3.3 Teil 2: Kinetik der Methanreformierung

Im Praktikumsversuch soll die Kinetik der Methanreformierung experimentell bestimmt

werden. Auf der Basis der experimentellen Daten soll der Einfluss der Thermodynamik und

des Stofftransportes diskutiert werden.

Die Methanreformierung wird in einem Festbettreaktor (Abbildung 2-6) an einem technischen

Nickelkatalysator durchgeführt. Die für die Reaktion notwendigen Gase werden über MFC´s

(Mass Flow Controller) zudosiert. Die Einstellung des Wassergehaltes erfolgt durch einen mit

Wasser gesättigten Stickstoffstrom. Nach dem Verlassen des Reaktors wird die Zusammen-

setzung des Produktgases mit einer Gasanalyse bestimmt.

Abbildung 2-6: Versuchsanlage zur Reformierung von Methan

Im bestehenden Praktikumsversuch wird die Reaktion bei Ofentemperaturen von 500 bis

700 °C (in Schritten von 40 °C) und einem Gesamtdruck von 4 bar durchgeführt. Führen Sie

eine Messreihe zur Abhängigkeit des Umsatzes von der Temperatur durch, und bestimmen sie

den Produktvolumenstrom für diese Temperatur. Die Temperatur im Reaktor wird vom

Thermometer abgelesen.

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2.3 Versuchsdurchführung

- 36 -

2.3.4 Versuchsauswertung und Diskussion: Methanreformierung

1) Bestimmen Sie aus den Analysenwerten den Umsatz an Methan.

2) Aus der Stoffbilanz eines Rohrreaktors folgt für eine Reaktion erster Ordnung:

3) Erstellen Sie aus den Messungen bei niedrigen Temperaturen ein Arrheniusdiagramm.

Ermitteln Sie die Aktivierungsenergie und den Häufigkeitsfaktor. Tragen Sie die Er-

gebnisse für hohe Temperaturen in das Arrheniusdiagramm ein. Diskutieren Sie die

Abweichung von der Arrheniusgeraden.

4) Bestimmen Sie, ob Diffusionseinflüsse vorliegen. Gehen sie dabei wie folgt vor:

Vergleichen Sie zunächst die experimentellen Werte von keff mit dem entsprechenden

Grenzwert für Stofftransportlimitierung (Gl. (2-25) und (2-26)). Der Stoffübergangs-

koeffizient ist über die Sherwood-Zahl abhängig von der Reynolds-und der Schmidt-

Zahl. Für geringe Strömungsgeschwindigkeiten soll hier gelten: Sh = 3,6, d.h. = 3,6 .

DG,CH4/dp.

5) Schätzen Sie den Porennutzungsgrad für eine Reaktionstemperatur und 2000°C mit

Gl. (2-23)und (2-24) ab.

6) Berechnen Sie dann für eine Temperatur von 800 °C die Abhängigkeit der effektiven

Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten vom Partikeldurchmesser (0,1 mm bis 10 mm)

und stellen Sie dies graphisch dar.

7) Berechnen Sie die Abhängigkeit der effektiven Geschwindigkeitskonstanten von der

Temperatur (600 - 1200 °C) für eine technisch relevante Partikelgröße von 10 mm und

stellen Sie dies graphisch dar.

Weitere Fragen (die im Protokoll beantwortet werden müssen):

1) Berechnen Sie bei Reaktionstemperaturen von 400 und 900 °C den Gleichgewichts-

umsatz bei Drücken von jeweils 1 bzw. 30 bar, wenn Methan und Wasserdampf im

äquimolaren Verhältnis eingesetzt werden.

Zahlenwerte für die Berechnung:

H0(T) CH4 = - 90 kJ/mol bei 1000 K S

0CH4 = 248 J/mol K bei 1000 K

H0(T) CO = -112 kJ/mol bei 1000 K S

0CO = 235 J/mol K bei 1000 K

H0(T) H2O = -248 kJ/mol bei 1000 K S

0H2O = 233 J/mol K bei 1000 K

S0

H2 = 166 J/mol K bei 1000 K

(Hinweis: Vernachlässigen sie bei der Berechnung des Gleichgewichtsumsatzes die

Temperaturabhängigkeit von RH0 und RS

0.)

2) Wozu werden Synthesegas und Wasserstoff noch verwendet?

3) Warum arbeitet man in der Technik bei einem Druck von 30 bar, obwohl dies im

Sinne der Thermodynamik ungünstig ist?

4) Wodurch ist in einem technischen Reaktor der Synthesegaserzeugung (Primärrefor-

mer) die maximale Reaktionstemperatur auf etwa 900 °C limitiert?

5) Warum sind die Rohre etwa 10 cm dick und nicht z. B. 1 m?

τ´

)Uln(1k 4CH

messeff,

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2. Vom Erdgas zum Ammoniak (Steamreformer)

- 37 -

2.4 Anhang

Arrhenius Gleichung:

mit km,CH4(T) = chem. Reaktionsgeschwindigkeitskonstante

km,0,CH4 = Häufigkeitsfaktor

EA = Aktivierungsenergie

R = allg. Gaskonstante

T = Temperatur in K

mit keff(T) = effektive Reaktionsgeschwindigkeitskonstante

= , Stoffübergangskoeffizient

= , Porennutzungsgrad

= , Thielemodul

L =

dp = Partikeldurchmesser

Schein = scheinbare Dichte des Katalysators, 2,83 g/cm3

Deff = 1/10 DCH4,G = 2,08 ·10-6

m2/s (normiert auf 450 °C, 3,5 bar)

´ = , massenbezogene Verweilzeit

ges,Reaktor = auf Reaktorbed. normierter Gesamtvolumenstrom

Am = massenbezogene äußere Oberfläche des Kats.

=

=

U = 1-[c(CH4,Reaktor) / c(CH4,Bypass)]

RT

E

4CH,0,m4CH,m

A

ek)T(k

)T(k

1

A

1

1)T(k

mm

eff

p

a

d

DSh

tanh

eff

Scheinm

D

kL

6

dp

aktorRe.,ges

.Kat

V

m

V

Kat

Kat

M

O

Schein3

2

r3

4

r4

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3.1 Einleitung

- 38 -

3 Thermische Reaktorstabilität

Zünd- und Löschvorgänge an katalytisch wirksamen Drähten bei der Oxidation von

Kohlenwasserstoffen in Luft am Platindraht

Hinweis: Der Versuch wurde an der TU Chemnitz (Lehrstuhl für Technische Chemie, Prof. E.

Klemm) entwickelt und wurde in etwas abgewandelter Form mit freundlicher Genehmigung

durch Prof. Klemm in Bayreuth aufgebaut.

3.1 Einleitung

Bemerkung: Die theoretischen Grundlagen zu diesem Versuch entsprechen größtenteils den

Ausführungen zum Versuch „Kinetik exothermer Reaktionen/Zünd-Lösch-Verhalten“

Kapitel 1. Aus diesem Grund beschränkt sich der theoretische Teil auf die zur Versuchsdurch-

führung nötigen Zusammenhänge, wobei auf die Unterschiede eingegangen wird, die sich bei

einer Reaktion an einer unporösen Katalysatoroberfläche im Vergleich zu porösen Partikeln

ergeben. Der Hauptunterschied besteht darin, dass bei der katalytischen Kohlenwasserstoff-

oxidation der innere Stofftransportwiderstand entfällt. Außerdem wird der Katalysator (hier

der Platindraht) bis zur Zündung elektrisch aufgeheizt und nicht die Temperatur des

Einsatzgases kontinuierlich erhöht. Bei Verständnisfragen sollte stets der Theorieteil in

Kapitel 1.1 hinzugezogen werden.

Exotherme heterogen katalysierte Gasphasenreaktionen spielen in der Praxis eine wichtige

Rolle, so z.B. bei der katalytischen Verbrennung, der Ammoniakoxidation oder der partiellen

Oxidation (Synthesegas aus Erdgas, Ethylenoxid).

Als Beispiel wird beim vorliegenden Praktikumsversuch die katalytische Totaloxidation eines

Kohlenwasserstoffs betrachtet, wobei bei der Umsetzung mit Sauerstoff Kohlenstoffdioxid

und Wasser als alleinige Reaktionsprodukte entstehen. Die Reaktion läuft an einem elektrisch

beheizbaren Platindraht ab, der die Oxidation katalysiert. Die Reaktion läuft bei entsprechend

niedrigen Temperaturen nur an der äußeren Oberfläche des Katalysators ab, erst bei höheren

Temperaturen kommt es zur Oxidation in der freien Gasphase.

In dem hier durchgeführten Versuch soll das Zündverhalten der Oxidationsreaktion untersucht

werden. Als Zündtemperatur wird die Temperatur an der Katalysatoroberfläche bezeichnet,

bei der die durch die Reaktion entstehende Wärmemenge nicht mehr hinreichend durch den

Gasstrom konvektiv abgeführt wird. Für die detaillierte Darstellung sei auf Kapitel 1.1

verwiesen.

3.2 Theoretische Grundlagen

3.2.1 Reaktionsgeschwindigkeitsansatz bei der katalytischen Oxidation

Bei der hier betrachteten katalytischen Totaloxidation handelt es sich um die Umsetzung eines

Kohlenwasserstoffs mit Sauerstoff zu CO2 und H2O:

C2H4 + 3 O2 2 CO2 + 2 H2O (3-1)

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3. Thermische Reaktorstabilität

- 39 -

Die intrinsische Reaktionskinetik erfolgt hierbei nach dem Langmuir-Hinshelwood-

Mechanismus, d.h. die gasförmigen Edukte werden zunächst aus der Gasphase an der

Katalysatoroberfläche adsorbiert. Anschließend reagieren die adsorbierten Edukte zu den

Produkten und desorbieren.

2

OOads,KWKWads,

KWOKWads,Oads,

)cKcK(1

ccKKkr

22

22 (3-2)

mit: r: Oberflächenbezogene Reaktionsgeschwindigkeit [mol/(s m2)]

k: Reaktionsgeschwindigkeitskonstante [m/s]

Kads,O 2: Gleichgewichtskonstante der Adsorption von Sauerstoff [m

3/mol]

Kads,KW: Gleichgewichtskonstante der Adsorption von Ethen [m3/mol]

cO 2: Konzentration Sauerstoff [mol/m

3]

cKW: Konzentration Kohlenwasserstoff [mol/m3]

Da Ethen an der Platinoberfläche wesentlich stärker adsorbiert wird ( 1cK KWKWads,

22 OOads, cK ) und Sauerstoff im Überschuss vorhanden ist ( konstant2Oc ), vereinfacht sich

Gleichung (3-2) zu:

py

TRkeff

KW

effc

1kr (3-3)

mit: keff: Effektive Reaktionsgeschwindigkeitskonstante [mol2 s

-1 m

-5]

y: volumetrischer Anteil Kohlenwasserstoff [-]

p: Umgebungsdruck [Pa]

Für die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante gilt der Arrheniusansatz, d.h. der Anstieg der

Reaktionsgeschwindigkeit mit der Temperatur verläuft quasi-exponentiell:

D

A

RT

E-

eff,0Deff ek=)(Tk , (3-4)

mit: keff,0: Häufigkeitsfaktor [mol2 s

-1 m

-5]

EA: Aktivierungsenergie [J mol-1

]

R: Idealgaskonstante [J mol-1

K-1

]

TD: Drahttemperatur [K]

Übertrifft die effektive Reaktionsgeschwindigkeitskonstante bei höheren Temperaturen den

Wert des Stofftransportkoeffizienten der Diffusion, d.h. der Nachlieferung von

Eduktgasmolekülen an die Katalysatoroberfläche, so verläuft die Reaktion im stofftransport-

limitierten Bereich und die beobachtete Reaktionsgeschwindigkeit entspricht der des äußeren

Stofftransports

. (3-5)

mit: : Stofftransportkoeffizient [m/s]

Eine mathematisch geschlossene Lösung im Übergangsgebiet zwischen chemischem und

diffusionslimitiertem Bereich existiert in diesem speziellen Fall nicht.

KWeff cr

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3.2 Theoretische Grundlagen

- 40 -

3.2.2 Das Wärmebilanz bei der katalytischen Oxidation

Bei der Aufstellung der Wärmebilanz muss im (quasi-)stationären Zustand die vom

Platindraht abgeführte Wärmemenge gleich der Summe der elektrisch zugeführten und der

von der Reaktion freigesetzten Wärmemenge sein (Gl. (3-6)).

(3-6)

Für die durch die chemische Reaktion erzeugte Wärmemenge gilt:

D

KW

effRchem Ac

1k)HΔ-(=Q (3-7)

mit: R: Reaktionsenthalpie [J mol-1

]

AD: Katalysatoroberfläche [m2]

Für die konvektiv an den Gasstrom abgeführte Wärmemenge gilt Gl. (3-8):

)T(TAαQ GDDab (3-8)

mit: : Wärmeübergangskoeffizient [W m-2

K-1

]

TG: Temperatur des Gases am Eintritt [K]

Bei der elektrisch erzeugten Wärme handelt es sich um die im Platinwiderstand dissipierte

elektrische Energie. Die dabei freigesetzte Wärmemenge entspricht der Leistung, die der

Draht verbraucht:

(3-9)

mit: Pel: elektrische Leistung [W]

UPt: Spannung am Platindraht [V]

IPt: Stromfluss durch den Platindraht [A]

Unter der Voraussetzung, dass der Stofftransportkoeffizient wesentlich größer ist als der

Parameter der chemischen Reaktionsgeschwindigkeit ( ka) lässt sich die Wärmebilanz mit

Gleichung (3-4) wie folgt darstellen:

)T(TAα GDD PtPt IU + D

A

RT

E-

eff,0 ekKW

DRc

1A)ΔH( (3-10)

Abbildung 3-1 und Abbildung 3-2 verdeutlichen die Wirkung der zugeführten elektrischen

Leistung auf das Zündverhalten der Reaktion. Die Lage der Wärmeabfuhrgeraden bleibt

aufgrund der konstanten Gaseintrittstemperatur TG unverändert. Wird keine elektrische

Leistung zugeführt, ist die durch die Reaktion entstehende Wärmemenge stets geringer als die

abgeführte Wärmemenge (Abbildung 3-1) und es stellt sich ein Betriebspunkt ein, bei dem

praktisch keine Reaktion abläuft.

chemelab QQQ

PtPtelel IUPQ

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3. Thermische Reaktorstabilität

- 41 -

Abbildung 3-1: Wärmeerzeugungskurve und Wärmeabfuhrgerade ohne Zuführung elektrischer

Leistung

Wird nun elektrische Leistung zugeführt, so erhöht sich die vom Platindraht abgegebene

Wärmemenge um den Betrag dieser Leistung, was in Abbildung 3-2 A durch eine Parallelver-

schiebung der Gesamt-Wärmeerzeugungskurve zu erkennen ist. Die Temperatur des

Platindrahtes (Schnittpunkt der Wärmeerzeugungskurve mit der Wärmeabfuhrgeraden) erhöht

sich zunächst und damit nach Arrhenius auch die Reaktionsgeschwindigkeit der Oxidations-

reaktion. Dies führt wiederum zu einer Erhöhung der Wärmefreisetzung durch die chemische

Reaktion chemQ . Erreicht die zugeführte elektrische Leistung den kritischen Wert, besitzen die

Wärmeerzeugungskurve und die Wärmeabfuhrgerade die gleichen Steigungen Abbildung 3-2

B. Die dabei am Draht herrschende Temperatur entspricht dann der Zündtemperatur. Erwärmt

sich das am Zündpunkt befindliche System minimal, so kommt es zur Zündung, und es stellt

sich schlagartig der obere stabile Betriebspunkt ein, an dem die Reaktionsgeschwindigkeit

vom Stofftransport bestimmt wird Abbildung 3-2C.

0

4

8

12

16

300 450 600 750 900 1050 1200

iQ

in W

Max. chem. Wärmeproduktion bei

Filmdiffusion

RKWDchem HcAQ max,

Effektive

Wärmeproduktion

Wärmeabfuhr

)T(TAα GDDabQ

Chem. Wärmeproduktion (durch

Kinetik limitiert)

RD

KW

eff

chem HAc

kQ .

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3.2 Theoretische Grundlagen

- 42 -

Abbildung 3-2: Verschiebung Zündung während der Oxidation von Ethen am Platindraht. A:

schrittweise Erhöhung des Betriebspunktes durch Erhöhung der elektrischen Leistung;

B: Zündung (Reaktionsrate bestimmt durch chemische Reaktion, Pel = 7 W); C: stabiler

oberer Betriebspunkt nach der Zündung (Reaktionsrate komplett bestimmt durch

Filmdiffusion)

0

5

10

15

20

25

300 450 600 750 900 1050 1200

HRQ

0

4

8

12

16

300 450 600 750 900 1050 1200

0

5

10

15

20

25

300 450 600 750 900 1050 1200

Temperatur in K

abQ

elchem QQ max,

TD,Zünd

elchem QQ

7 W

5 W

iQ

in W

iQ

in W

Max. chem. Wärmeproduktion

RKWDchem HcAQ max,

max,chemQ

B

C

chemQ (ohne Filmdiffusion)

chemQ (ohne Filmdiffusion)

iQ

in W

A

elchem QQ (ohne Filmdiffusion)

chemQ (Filmdiffusion) +

)6( WQel

3 W

1 W

TD,O

abQ

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3. Thermische Reaktorstabilität

- 43 -

3.2.3 Ermittlung der Drahttemperatur aus dem elektrischen Widerstand

Mit Hilfe des Ohm’schen Gesetzes, lässt sich aus der angelegten Spannung UPt und dem

daraus resultierenden Strom IPt der Drahtwiderstand berechnen.

Pt

Pt

I

UR (3-11)

Aus der Temperaturkennlinie des Platindrahtes ergibt sich so die sich einstellende Drahttem-

peratur:

273

0

10775,51022,411.0)(

DD TTR

TR (3-12)

mit: R0: Widerstand des Platindrahtes bei 273 K

und D

D

Pt lA

R0 D

D

lA

m][ 7-1·10

3.2.4 Ermittlung kinetischer Daten aus dem Zündverhalten

Ausgangspunkt für die Ermittlung kinetischer Daten aus dem Zündverhalten ist die

Bedingung, dass am Zündpunkt die Steigung der Wärmeabfuhrgeraden gleich der Steigung

der Wärmeerzeugungskurve ist:

ZDDZDD TTD

elchem

TTD

ab

T

QQ

T

Q

,,

d

)(d

d

d (3-13)

Für die einzelnen Terme ergeben sich dabei die folgenden Ausdrücke:

Für die Wärmeabfuhr folgt bei Annahme einer konstanten Gaseingangstemperatur TG

mit der Ableitung der Gleichung (3-8):

D

ZD

ab AdT

Qd

,

(3-14)

Die Ableitung der chemischen Wärmeerzeugung (Gl. (3-7)) ergibt unter der Annahme,

dass der Stofftransport gegenüber der chemischen Reaktion noch sehr schnell ist ( >>

keff (T)):

ZD

chem

dT

Qd

,

=

KW

DRc

AH1

ekRT

E)( ZD,

A

RT

E-

eff,02ZD,

A (3-15)

Für die Veränderung der elektrischen Wärmeerzeugung bei Veränderung der Draht-

temperatur gilt:

0,ZD

el

dT

dQ (3-16)

Durch Einsetzen dieser Einzelterme in Gl. (3-11) ergibt sich somit:

ZD

A

A

KWZD

RT

E

E

cTR

,eff,0R

2

,

kH-ln (3-17)

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3.2 Theoretische Grundlagen

- 44 -

Durch eine sinnvolle Anwendung der Logarithmusgesetze und anschließende Auftragung

über der reziproken Zündtemperatur TZ ergibt sich nach Gl. (3-17) eine Gerade mit der

SteigungR

EA . Der Stoßfaktor keff,0 kann anschließend berechnet werden:

TR

E

RA

KWZeff

A

eHE

cTRk

2

0, (3-18)

3.2.5 Nötige Parameter

Zur Auswertung des Versuches sind einige Anlagenparameter notwendig. Der Spezifische

Widerstand des Platindrahtes bei 0°C beträgt 1·10-7

·m. Der Draht hat eine Länge von

0,21 m und einen Durchmesser von 2,5·10-4

m. Der Glasreaktor hat einen Innendurchmesser

von 2 cm. Die Reaktionsenthalpie HR ist Temperaturabhängig, kann aber im untersuchten

Bereich als konstant (-1400 kJ/mol) angenommen werden.

Für die Auswertung wird ebenso der Wärmeübergangskoeffizient benötigt. Dieser kann aus

Korrelationen nach dem VDI-Wärmeatlas abgeschätzt werden („Wärmeübertragung bei

Queranströmung um einzelne Rohre, Drähte und Profilzylinder“, VDI-Wärmeatlas 9. Auflage

2002, Gf1).

D

N

d

λNuα 2 (3-19)

31m PrReCNu (3-20)

330.0989.0 mundC (für 0,4 < Re < 4)

385.0911.0 mundC (für 4 < Re < 40)

466.0683.0 mundC (für 40 < Re < 4.000)

618.0193.0 mundC (für 4.000 < Re < 40.000)

805.0027.0 mundC (für 40.000 < Re < 400.000)

(3-21)

22

22

2

2 ,Pr;Re

NN

NpN

N

ND

M

cdu (3-22)

Die Lehrrohrgeschwindigkeit u berechnet sich aus dem Volumenstrom und der Reaktorgeo-

metrie. Unbekannte Werte sind noch die Dichte [kg/m3], Wärmeleitfähigkeit [W/m/K],

spezifische Wärmekapazität [J/mol/K] und dynamische Viskosität [Pa.s]. Diese können aus

der NIST-Datenbank erhalten werden, wobei die Werte für Stickstoff verwendet werden

(http://webbook.nist.gov/cgi/cbook.cgi?ID=C7727379&Units=SI). Die Daten sind unter

„Fluid Properties“ zu finden. Da sich das Gasgemisch kaum aufwärmt, werden in obige

Formel alle Daten für Raumtemperatur (25°C) bei örtlich mittleren Luftdrucks von 0,98 bar

eingesetzt:

N2 (25°C, 0,98 bar) = 1,9064 kg/m3

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3. Thermische Reaktorstabilität

- 45 -

N2 (25°C, 0,98 bar) = 1,7811·10-5

Pa.s

N2 (25°C, 0,98 bar) = 0,025733 W/m/K

cp,N2 (25°C, 0,98 bar) = 29,17 J/mol/K

M = 0,028 kg/mol

3.2.6 Vergleich der Versuchsdaten mit dem Reaktormodell

Mit Hilfe einer kommerziellen Software (Femlab) wurde ein FE-Modell des Zündpunktreak-

tors erstellt, in dem die Zündung des Ethen-Luft-Gemisches simuliert werden kann. Das

Modell wurde in geometrischer Hinsicht vereinfacht, indem der spiralförmige Platindraht

durch einen geraden Draht ersetzt wurde, wie in Abbildung 3-3 dargestellt. Auf diese Weise

ergibt sich eine rotationssymmetrische Geometrie, die den nötigen Rechenaufwand stark

verringert.

Abbildung 3-3: Geometrie des Reaktormodells für die Simulation

Die physikalischen Phänomene wie konvektiver und diffusiver Stofftransport, die Reaktions-

kinetik, die Wärmeleitung und die elektrischen Effekte, die während des Versuchs auftreten,

wurden jedoch mathematisch vollständig implementiert.

Mit Hilfe des Modells können somit beispielsweise die Temperaturverteilung und die

Strömungsverhältnisse im Zündpunktreaktor berechnet werden. Darüber hinaus liefert die

Rechnung auch das Konzentrationsprofil, das sich im Reaktor einstellt.

In Abbildung 3-4 sind beispielhaft die Temperaturprofile des Reaktorquerschnitts dargestellt,

die sich beim Anlegen einer Spannung von 3 V im stationären Fall am Platindraht und im

Reaktor einstellen (oberer stabiler Betriebspunkt). Dabei ist an der Farbverteilung der

Darstellung deutlich zu erkennen, dass sich der Platindraht unter Inertbedingungen (ohne

Reaktion, linke Teilabbildung) weniger stark erhitzt als bei ablaufender Reaktion (rechte

Teilabbildung).

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3.2 Theoretische Grundlagen

- 46 -

Abbildung 3-4: Simulation des Temperaturprofils im Zündpunktreaktor ohne Reaktion (links) und mit

ablaufender Reaktion (rechts)

Während die Drahttemperatur im inerten Fall 600 K beträgt, erhöht sie sich durch die

exotherme Reaktion um ca. 180 K. Die Konturlinien in der rechten Teilabbildung stellen die

Isolinien der Ethenkonzentration dar. Am geringen Abstand dieser Isolinien in Drahtnähe ist

erkennbar, dass die Konzentration dort stark abfällt, während sie in der freien Gasphase am

Rand des Reaktors fast gleich bleibt. Eine genauere Betrachtung des Simulationsergebnisses

für das radiale Konzentrationsprofil (Abbildung 3-5) bestätigt die Erwartung, dass die

Reaktion im oberen stabilen Betriebspunkt durch den Stofftransport limitiert ist, da die

Konzentration an der Platinoberfläche auf Null absinkt.

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3. Thermische Reaktorstabilität

- 47 -

Abbildung 3-5: Simulation des radialen Konzentrationsprofils im Zündpunktreaktor

Die Reaktionsgeschwindigkeit wird hier also nur durch den Stofftransportkoeffizienten

bestimmt.

3.3 Versuchsapparaturen und Versuchsdurchführung

3.3.1 Aufbau der Apparatur

Der Zündpunkt bei der Oxidation von Ethen in Luft an einem Platin-Katalysator soll

gemessen werden. Bei dem Katalysator handelt es sich um einen Platindraht, d.h. um einen

Vollkatalysator, bei dem nur die äußere Oberfläche katalytisch aktiv ist.

Die Zündpunktapparatur (Abbildung 3-6) besteht aus:

1. Quarzglasreaktor mit Platindraht,

2. Elektrischer Widerstandsheizung,

3. Gasmengenregulierung und –messung (FIC, FI).

Abbildung 3-6: Messanordnung zur Zündpunktbestimmung

Als Einsatzgas wird ein Gemisch von Luft und Ethen außerhalb der Explosionsgrenzen

verwendet. Der Volumenstrom wird von den Massendurchflussmessern (FIC) eingestellt und

0

0.1

0.2

0.3

0.4

0.5

0 0.01 0.02 0.03

Reaktorkoordinate (m)

Ko

nzen

trati

on

in

(m

ol/

m3)

Platinoberfläche

QI FI

FIC

FIC

Ethen

Luft

AbgasMess-

schaltung

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3.3 Versuchsapparaturen und Versuchsdurchführung

- 48 -

mit Hilfe eines Seifenblasenströmungsmessers (FI) gemessen. Das Reaktionsgas strömt in den

Reaktor, in dem am Platinkatalysator die Reaktion stattfindet. Das Abgas, das vor allem Luft

und geringe Mengen an CO2 und H2O enthält, wird in den Abzug geleitet.

Der Platindraht ist in den Glasreaktor eingeschmolzen. Bei Anlegen einer Spannung an den

Platindraht wirkt dieser wie eine elektrische Widerstandsheizung und wird erhitzt (Abbildung

3-7). Hierfür wird über eine regulierbare Spannungsquelle ein Stromfluss erzeugt, der

wiederum mit Hilfe eines Festwiderstands gemessen werden kann. Dies geschieht durch

Messung des Spannungsabfalls am Festwiderstand nach dem Ohmschen Gesetz.

Abbildung 3-7: Messschaltung zur Temperaturbestimmung des Platindrahtes

3.3.2 Durchführung der Zündpunktmessungen

3.3.2.1 Vorbereitung

Zunächst wird überprüft, ob die Ethenflasche im Flaschenschrank geöffnet ist. An der Anlage

werden die benötigten Ventile geöffnet.

Zunächst wird der vom Assistenten vorgegebene Luftstrom mit Hilfe des Massendurchfluss-

reglers eingestellt und mit dem Seifenblasenströmungsmesser gemessen.

Vor dem Versuch wird der Platindraht zur Gewährleistung der Reproduzierbarkeit der

Zündtemperaturen für 10 Minuten geglüht und anschließend 5 Minuten abgekühlt.

3.3.2.2 Ermittlung der Temperatur-Leistungs-Kennlinie des Platindrahtes

Zur Ermittlung der Drahttemperatur in Abhängigkeit von der angelegten Spannung wird die

Spannung am Draht beginnend mit niedrigen Spannungswerten in ca. 20 Schritten auf den

Maximalwert erhöht und der Spannungsabfall am Festwiderstand bestimmt. Der Luftstrom ist

auf den vorgegebenen Wert einzustellen.

Dadurch kann der Widerstand des Drahtes und somit auch dessen Temperatur berechnet

werden.

3.3.2.3 Ermittlung der Zündtemperatur

Achtung: Der Kohlenwasserstoff darf nur bei laufendem Luftstrom zudosiert werden,

so dass die Explosionsgrenze nicht überschritten wird.

Zunächst wird am Massendurchflussregler der höchste vom Assistenten vorgegebene

Kohlenwasserstoffstrom eingestellt.

R Pt R

S

S

M1 M2

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3. Thermische Reaktorstabilität

- 49 -

Der Zündpunktversuch wird gestartet, indem die Spannung und damit die Temperatur am

Platindraht beginnend bei niedrigen Spannungswerten in ca. 20 Schritten auf den Maximal-

wert erhöht wird.

Die Zündung der Reaktion ist an der sprunghaften Widerstandsänderung des Platindrahtes

und an der daraus resultierenden plötzlichen Verringerung des Gesamtstromes zu erkennen.

Das Messinstrument M2 ist mit einem Maximalwertspeicher ausgestattet, der den Zündstrom

IZ speichert. Aus der Zündspannung UZ am Platindraht und dem Zündstrom IZ können der

Widerstand des Platindrahts und damit die Drahttemperatur zum Zündzeitpunkt bestimmt

werden.

Nach ca. 3 Minuten sollte sich ein stationärer Zustand ausgebildet und die Reaktion sich am

oberen stabilen Betriebspunkt eingependelt haben. Es wird erneut der Strom an M2 gemessen

und die korrespondierende Drahttemperatur berechnet.

Anschließend wird der Kohlenwasserstoffstrom auf den nächsten Wert verändert und die

Bestimmung der Zündtemperatur nach 10 Minuten in gleicher Weise wiederholt. Die

Konzentration des Kohlenwasserstoffs soll dabei, beginnend bei 2,1 Vol.-% in Schritten von

jeweils 0,2 Vol.-% bis 0,7 Vol.-% vermindert werden.

3.3.2.4 Vergleich der experimentell ermittelten Daten mit dem FE-Modell

Im Anschluss an den experimentellen Teil des Praktikums wird das FE-Modell vom

Assistenten vorgestellt und erklärt.

Die im Versuch ermittelten Daten für die Zündspannung werden mit den vom Modell

errechneten Werten verglichen und sollen in der Auswertung diskutiert werden. Als

Ausgangspunkt für die Berechnung im Modell werden hierbei nur die jeweilige

Ethenkonzentration und der Gasvolumenstrom benötigt, bei dem der Zündpunkt gemessen

wurde.

3.4 Versuchsauswertung und Diskussion

1. Berechnen sie den Widerstand R0 (T = 273 K) des Platindrahtes bei geringer zugeführ-

ter Leistung über den Spezifischen Widerstand, der Länge des Drahtes und der

Querschnittsfläche. Stellen Sie die Drahttemperatur in Abhängigkeit von der zugeführ-

ten elektrischen Leistung im Stickstoffstrom (ohne chem. Reaktion) grafisch dar.

2. Bestimmen Sie die Abhängigkeit der Temperatur des Platindrahtes von der zugeführten

elektrischen Leistung bei ablaufender chemischer Reaktion bei allen Kohlenwasser-

stoffkonzentrationen. Stellen Sie das Ergebnis grafisch dar und ermitteln Sie den Anteil

der durch die Reaktion verursachten Drahterwärmung.

3. Stellen Sie in einem Diagramm die Zündtemperatur und die Temperatur des Pt-Drahtes

am oberen stabilen Betriebspunkt als Funktion der KW-Konzentration bei konstantem

Volumenstrom dar.

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3.4 Versuchsauswertung und Diskussion

- 50 -

Ermitteln Sie durch geeignete Auswertung (es gehen die Zündpunkte bei unterschiedli-

cher Ethenkonzentration ein) die Aktivierungsenergie und den Häufigkeitsfaktor

der Oxidationsreaktion.

4. Stellen Sie in einem Diagramm auf Basis Ihrer Messwerte und der berechneten Werte

von und folgende Zusammenhänge dar:

a) Abgeführte Wärmemenge in Abhängigkeit der Drahttemperatur

b) Durch die chemische Reaktion erzeugte Wärmemenge in Abhängigkeit von

der Drahttemperatur für einen Wert von yconst.

5. Ermitteln Sie davon ausgehend die theoretisch benötigte elektrische Leistung, die

zugeführt werden muss, um das System zum Zünden zu bringen. Vergleichen Sie diese

Leistung mit der tatsächlich in diesem Versuch gemessenen.

AE

0,ak

AE0,ak

abQ

chemQ

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- 51 -

4 Naphtha-Pyrolyse nach dem Steamcracker-Verfahren

4.1 Einleitung

Erdöl stellt heutzutage den mit Abstand wichtigsten Rohstoff für Kraftstoffe (Benzin,

Dieselöl, Heizöle) und für alle weiteren (organischen) Produkte der chemischen Industrie dar,

angefangen von den Kunststoffen bis zu den Pharmazeutika.

Erdöl, wie es aus den Lagerstätten gefördert wird, ist eine komplexe Mischung der

verschiedensten Kohlenwasserstoffe (Abbildung 4-1). Es muss also aufbereitet werden, um

für die vielfältigen Verwendungszwecke dienen zu können.

Abbildung 4-1: Ausschnitt aus der Zusammensetzung von Erdöl

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4.1 Einleitung

- 52 -

Die erste Aufgabe besteht darin, das Erdöl in geeignete Fraktionen zu trennen. Dies gelingt

durch fraktionierte Destillation in der Raffinerie. Die so erhaltenen Siedeschnitte (Tabelle

4-1) werden dann einer weiteren Aufarbeitung unterzogen, um z. B. Kraftstoffe zu erzeugen.

Tabelle 4-1: Einteilung der Spaltverfahren

Fraktion Siedebereich Zusammensetzung

1 Gase < 0 °C

Raffineriegas (v. a. Methan)

Flüssiggas (v. a. Propan und

Butan)

2 leichtes Naphtha 70-140 °C C5-C9 Kohlenwasserstoffe

3 schweres Naphtha 140-200 °C C7-C9 Kohlenwasserstoffe

4

atmosphärisches Gasöl

Kerosin

Dieselöl

175-275 °C

200-370 °C

C9-C16 Kohlenwasserstoffe

C15-C22 Kohlenwasserstoffe

5

schwere Fraktionen

Schmieröle

Rückstands- oder Schwerben-

zinöle

Asphalt oder „Rückstand“

> 370 °C im Hochvakuum nicht destillierba-

re Kohlenwasserstoffe

Der überwiegende Teil der Erdölfraktionen dient der Erzeugung von Benzin, Flugturbinen-

kraftstoff, Dieselöl und von Heizölen; nur etwa 10 % wird in der chemischen Industrie

verbraucht (v. a. leichtes Naphtha). Die wichtigsten Grundchemikalien der industriellen

organischen Chemie, die aus Naphtha zunächst erzeugt werden müssen, sind Olefine (Ethen,

Propen, Butene etc.) und Aromaten. Insbesondere Ethen und Propen sind aufgrund der

Vielfalt möglicher Endprodukte bei weiteren Reaktionen die wichtigsten organischen

Grundstoffe. So ist Ethen die Ausgangsbasis für rund 30 % aller Petrochemikalien. Die hohe

Bedeutung des Ethens verdeutlicht Abbildung 4-2.

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4. Naphtha-Pyrolyse nach dem Steamcracker-Verfahren

- 53 -

Abbildung 4-2: Die wichtigsten Ethenderivate

Propen ist die zweitwichtigste organische Primärchemikalie in der chemischen Industrie.

Auch hier zeigt ein Blick auf die Propenderivate seine Bedeutung als Grundstoff für die

chemische Industrie (Abbildung 4-3).

Abbildung 4-3: Die wichtigsten Derivate des Propens

Die niederen Alkene finden sich allerdings nur in geringen Anteilen im Erdöl. Um sie der

chemischen Industrie in ausreichendem Maße zur Verfügung zu stellen, müssen sie folglich

von der petrochemischen Industrie hergestellt werden.

Diese lassen sich folgendermaßen einteilen:

1. nach der Temperatur

2. nach der Art der Durchführung: - thermisch (radikalischer Mechanismus)

- katalytisch (ionischer Mechanismus)

3. nach der Art der Wärmezufuhr: - autotherm (partielle Verbrennung)

- allotherm

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4.1 Einleitung

- 54 -

Zur Spaltung von Kohlenwasserstoffen sind je nach Einsatzmaterial verschiedene Verfahren

entwickelt worden (Tabelle 4-2).

Tabelle 4-2: Einteilung der Spaltverfahren

T in °C bevorzugtes

Einsatzmaterial wichtigste Produkte

Cracken

- (therm.) Visbreaking

- (therm.) Coking

- katalytisches Cracken

450 - 500

500 - 600

270 - 540

hochsiedende

Rückstände der

atmosph. Destillation

Rückstände d.

Vakuumdestillation

leichtes Gasöl

Heizöl, n-Olefine,

n-Paraffine

Heizöl, Benzin,

Petrolkoks

i-Paraffine, i-Olefine

Pyrolyse 750 - 950 Naphtha, nasses Erdgas Ethen, Propen,

Diene, Aromaten

Hochtemperaturpyrolyse > 1200 Methan Ethin

Zur Herstellung der Olefine Ethen und Propen hat sich die Pyrolyse von Kohlenwasserstoffen

nach dem Steamcracker-Verfahren durchgesetzt (Abbildung 4-4). Die Herstellung erfolgt

technisch durch die Spaltung flüssiger Kohlenwasserstoffe bei Temperaturen um 850 °C in

kurzkettige Kohlenwasserstoffe.

Abbildung 4-4: stark vereinfachtes Fließschema des Steamcrackers

Als Rohstoffquelle dient dabei hauptsächlich Naphtha, d. h. Rohbenzin (Siedebereich 30 °C

bis 180 °C). Meist wird Leichtbenzin (30 °C bis etwa 100 °C) eingesetzt. Das Einsatzöl wird

unter Verdünnung mit Wasserdampf thermisch in die gewünschten Produkte gespalten. Das

Spaltprodukt besteht überwiegend aus Ethen und Propen und enthält außerdem C4- und C5+-

Kohlenwasserstoffe (z. B. das aromatenreiche Pyrolysebenzin) sowie etwas Methan und

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4. Naphtha-Pyrolyse nach dem Steamcracker-Verfahren

- 55 -

Wasserstoff. Die Abkühlung des Produktes liefert beträchtliche Mengen Hochdruckdampf,

der zum Betrieb des Steamcrackers verwendet wird und zur Entlastung der Energieversorgung

beiträgt. Der Steamcracker der BASF spaltet z. B. jährlich 1,3 Mio. t Naphtha/a und erzeugt

etwa 400.000 t Ethen/a. Die Produktionskapazitäten für Ethylen liegen weltweit bei ca. 88

Mio. t/a (1997), von denen der überwiegende Teil durch thermisches Cracken dargestellt

wird.

Neben der thermischen Spaltung werden technisch auch katalytische Spaltverfahren

eingesetzt. Das thermische und katalytische Cracken von Kohlenwasserstoffen unterscheidet

sich entscheidend in der Zusammensetzung der erhaltenen Produkte. Diese Unterschiede

liegen begründet im Mechanismus der ablaufenden Reaktionen. Die Art des gewählten

Verfahrens sowie die Bedingungen hängen also dabei stark vom eingesetzten Rohstoff und

vor allem von den gewünschten Produkten ab. Der thermische Crackprozess wird genutzt, um

kurzkettige Olefine zu gewinnen. Das katalytische Spaltverfahren dient in der Raffinerie der

Herstellung verzweigter Kohlenwasserstoffe (hochoctaniges Benzin).

4.2 Reaktionsmechanismus der Pyrolyse

Im Steamcracker werden mit Hilfe zugeführter Energie C-C- und C-H-Bindungen gespalten.

Dabei werden zuerst die C-C-Bindungen in einem Kohlenwasserstoff homolytisch gecrackt.

Hierdurch entstehen Radikale - zwei unbeständige Bruchstücke -, die sich stabilisieren

wollen. Dies führt zu Folgereaktionen, wobei sich erst nach einer größeren Anzahl von

Reaktionsschritten stabile Endprodukte bilden. Die Reaktionen im Cracker laufen mithin nach

Mustern ab, die für die Chemie der Radikale typisch sind. Das thermische Cracken verläuft

also über Radikalkettenreaktionen. Bei größeren Molekülen sind mehrere Zerfalls- und

Zwischenreaktionen möglich, so dass bei der Spaltung von Naphtha insgesamt weit über 100

verschiedene Komponenten im Produktgemisch vorliegen. Neben der Spaltung unter Bildung

der kurzkettigen Olefine, Ethen und Propen, laufen Isomerisierungen, Cyclisierungen und

Aromatisierungen ab. Sekundärreaktionen wie Alkylierungen und Kondensation der

Aromaten zu mehrkernigen Produkten finden ebenso statt.

Die Vielzahl der Radikalreaktionen sowie die Art und der Umfang der Nebenreaktionen

erschweren eine quantitative Berechnung der Spaltgaszusammensetzung. Die Thermodyna-

mik liefert allerdings Hinweise für die Vorhersage der dominierenden Produkte:

o Kurzkettige Moleküle sind stabiler als langkettige.

o Bei Temperaturen oberhalb 500°C sind ungesättigte Kohlenwasserstoffe stabiler als

gesättigte.

o Cycloalkane verhalten sich ähnlich wie Alkane (nicht wie Aromaten).

o Aromaten sind am stabilsten.

o C-C-Einfachbindungen sind am leichtesten spaltbar, danach folgt die C-H-Bindung an

Alkanen und mit geringem Unterschied an Cycloalkanen.

Aus thermodynamischer Sicht sind alle gesättigten und ungesättigten Kohlenwasserstoffe

gegenüber ihren Elementen bei den technisch gewählten Spalttemperaturen instabil. Bei

einem Crackvorgang, der bis zur Einstellung des thermodynamischen Gleichgewichtes

ablaufen würde, bedeutet dies den vollständigen Zerfall der Kohlenwasserstoffe in die

Elemente Kohlenstoff und Wasserstoff (ggfs. entsteht in gewissem Umfang noch das relativ

stabile Methan).

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4.2 Reaktionsmechanismus der Pyrolyse

- 56 -

Die Grundreaktion des Crackvorganges ist die homolytische Spaltung einer C-C-Bindung

oder einer C-H-Bindung unter Bildung zweier Radikale. Die Spaltung einer C-C-Bindung ist

thermodynamisch gegenüber der C-H-Spaltung bevorzugt (siehe Tabelle 4-3).

Tabelle 4-3: C-C- und C-H-Dissoziationsenthalpien von Kohlenwasserstoffen

Wie aus der Tabelle ersichtlich, sind die chemischen Bindungen sehr stabil und die

Bindungsenthalpien betragen durchschnittlich 400 kJ/mol.

Bei Pyrolysereaktionen, wie sie im Spaltrohr verlaufen, beobachtet man vorwiegend die

Bildung homologer linearer -Olefine. Dies lässt sich folgendermaßen erklären (Abbildung

4-5): Im ersten Schritt wird, wie erwähnt, ein Kohlenwasserstoffmolekül thermisch unter C-

C-Bindungsspaltung homolytisch gecrackt, wodurch zunächst zwei primäre Radikale

entstehen. Im darauf folgenden Reaktionsschritt entsteht durch eine -Spaltung Ethen und ein

neues primäres Radikal. Dieses Radikal unterliegt weiteren Folgereaktionen.

Die zuerst gebildeten primären Radikale können sich alternativ auch über 5- oder 6-gliedrige

Übergangszustände in stabilere sekundäre Radikale umlagern. Hieraus kann sich wiederum

über eine -Spaltung aus dem sekundären Radikal ein Propenmolekül abspalten unter

gleichzeitiger Bildung eines primären Radikals, das weiteren radikaltypischen Reaktionen

unterliegt.

Neben den beiden Hauptprodukten Ethen und Propen werden noch zahlreiche Nebenprodukte

im Spaltgas erhalten, die sich gut verwerten lassen. Die CH4-Fraktion dient zur Wärmeerzeu-

gung für die endotherme Crackreaktion, die H2-, C3- und C4-Fraktionen beinhalten wertvolle

Zwischenprodukte für die chemische Industrie. Hier ist vor allem das Butadien zu nennen.

Das Pyrolysebenzin enthält Aromaten.

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4. Naphtha-Pyrolyse nach dem Steamcracker-Verfahren

- 57 -

Abbildung 4-5: Mechanismus der Pyrolyse

4.3 Einflussgrößen auf die Produktverteilung

4.3.1 Einfluss des Rohstoffes

Die höchste Ethenausbeute wird beim Einsatz von n-Alkanen erhalten. Bei i-Alkanen nimmt

die Ethenausbeute um so mehr ab, je verzweigter das Molekül ist; es entstehen umso mehr

Methan und Wasserstoff. Die Spaltung von 6-Ring-Cycloalkanen liefert mehr Ethen und

Butadien als die Pyrolyse der 5-Ring-Cycloalkane. Bei der Spaltung von Aromaten werden

lediglich die Seitenketten abgespalten, während die Kerne kaum angegriffen werden.

Die Ausbeute an Ethen nimmt mit steigendem Molekulargewicht und damit verbundenem

Siedepunkt des zu spaltenden Moleküls ab; zusätzlich wächst der Anteil an höhermolekularen

Verbindungen, die sich durch Oligomerisation und Kondensation in Konkurrenz zur

Abbaureaktion bilden. Die Ethenausbeute nimmt also in folgender Reihenfolge ab:

n-Alkane > Cycloalkane ≈ i-Alkane > Aromaten

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4.3 Einflussgrößen auf die Produktverteilung

- 58 -

4.3.2 Einfluss des Druckes und Zusatz von Verdünnungsmitteln

Der thermische Zerfall liefert aus 1 mol eingesetztem Kohlenwasserstoff etwas 2 bis 3 mol

Spaltprodukte. Nach dem Prinzip von Le Chatelier (Prinzip des kleinsten Zwanges)

begünstigt daher ein niedriger Partialdruck die Olefinausbeute. In der technischen Anlage

wird bei Drücken von ungefähr 2 bis 3 bar gearbeitet (Druckverluste). Um den Partialdruck

der Kohlenwasserstoffe zu erniedrigen, mischt man ein Fremdgas, in der Regel Wasserdampf,

dem zu spaltenden Einsatzöl zu. Wasserdampf ist anderen Gasen wie z. B. Stickstoff

vorzuziehen, weil er deutlich günstiger bereitzustellen ist, auf einfache Weise auskondensiert

werden kann und folglich die Kompressions- und Spaltgastrennanlage nicht belastet.

Allerdings ist bisher ungeklärt, ob und wie der Wasserdampf in das Reaktionsgeschehen

eingreift. Es wird angenommen, dass der Wasserdampf den Dampfdruck hochsiedender,

molekularer Aromaten und Teerbestandteile erniedrigt, so dass eine Abscheidung und

Koksbildung an den Rohren sowie Foulingprozesse am Kühler vermindert werden. Weiterhin

scheint der Dampf den katalytischen Effekt des Rohrmaterials, welches die Koksbildung

promotiert, zu unterdrücken. Wasserdampf reduziert zusätzlich die Foulingprozesse der

Röhren, die durch Reaktion des Metalls mit dem Koks herrühren, in dem er die Bildung von

Metallcarbonylen verhindert. Bei der Wasserdampfmenge ist ebenfalls ein wirtschaftliches

Optimum einzuhalten, da mit wachsendem Verhältnis Wasserdampf/Kohlenwasserstoff zwar

die Wertprodukte relativ zunehmen und die Verkokungsgeschwindigkeit sinkt, andererseits

der Wasserdampf aber Reaktorvolumen „blockiert“ und zusätzliche Heiz- und Kühlenergie

erfordert.

4.3.3 Einfluss der Temperatur

Bei Temperaturen ab etwa 400 °C werden Kohlenwasserstoffketten zunächst bevorzugt in der

Mitte gespalten. Mit steigender Temperatur verschiebt sich die Spaltung zum Kettenende, so

dass vermehrt niedere Alkene gebildet werden. In der Technik werden Pyrolysetemperaturen

zwischen 700 °C und 900 °C angewandt, da die Ausbeute für die meisten Alkene in diesem

Temperaturbereich (bei ansonsten konstanten Bedingungen) ein Maximum durchläuft

(Abbildung 4-6).

Abbildung 4-6: Einfluss der Cracktemperatur auf die Spaltgaszusammensetzung (Naphtha-Spaltung)

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4. Naphtha-Pyrolyse nach dem Steamcracker-Verfahren

- 59 -

Die höchsten Ausbeuten an Ethen und Propen werden bei Spalttemperaturen zwischen 800 °C

und 850 °C erreicht. Bei höherer Temperatur erhöht sich die Konzentration der Radikale, so

dass sich auch die Crackgeschwindigkeit erhöht.

4.3.3.1 Einfluss der Verweilzeit

Neben der Temperatur hängen die Lage und die Maxima der Alkenausbeuten wesentlich von

der Verweilzeit im Röhrenofenreaktor ab (Abbildung 4-7).

Abbildung 4-7: Einfluss der Verweilzeit u. der Temperatur auf die Ethenausbeute (Naphtha-Spaltung)

Bei kurzer Verweilzeit überwiegen die Primärreaktionen, die zu den gewünschten Produkten

führen; bei längerer Verweilzeit kommen Sekundärreaktionen wie z. B. Oligomerisierung und

Koksabscheidung zum Zuge, die die Bildung weniger wertvoller Spaltprodukte begünstigen.

4.3.4 Kinetic Severity Function (KSF)

Temperatur und Verweilzeit stellen die wichtigsten Einflussgrößen des Pyrolyseprozesses dar.

Die Temperaturerhöhung bewirkt einen Anstieg der Reaktionsgeschwindigkeit und damit

einen höheren Umsatz, wodurch die Bildung des kinetisch und thermodynamisch bevorzugten

Zielproduktes Ethen begünstigt wird. Andererseits erhöht eine Steigerung der Temperatur

Aufbau- und Verkokungsreaktionen. Folglich muss die Verweilzeit des Reaktionsgases

verkürzt werden. In der Technik unterscheidet man zwei Verfahren der Naphtha-Pyrolyse:

- low severity: T = 800 °C = 1 s

- high severity: T = 900 °C = 0,5 s

Der Einfluss der Verweilzeit und der Temperatur auf die Produktbildung der Pyrolyse wird

durch die Crackschärfe beschrieben und über die „Kinetic Severity Function (KSF)“ definiert:

Die Ausbeute an Ethen steigt mit der KSF bis zu einem Sättigungswert von circa 30 % an.

Eine Erhöhung der Crackschärfe bewirkt keine Steigerung der Ausbeute (siehe Abbildung

4-8).

t

0t

d)T(kKSF

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4.4 Wirtschaftliche Aspekte

- 60 -

Abbildung 4-8: Kinetic Severity Function

4.4 Wirtschaftliche Aspekte

Eine Betrachtung der Produktzusammensetzung der Naphtha-Spaltung zeigt, dass weniger als

die Hälfte des eingesetzten Rohbenzins beim Cracken in Ethen oder Stoffe, die als

Energielieferant für den Steamcracker selbst dienen können, umgewandelt wird. Der

überwiegende Teil erscheint in Form von Nebenprodukten. Damit wird ersichtlich, dass die

Wirtschaftlichkeit des Prozesses nicht nur von der Spaltschärfe und vom Erlös der

Ethenderivate abhängt, sondern maßgeblich von den Gutschriften der Nebenprodukte

bestimmt wird.

4.5 Technische Durchführung

Die Arbeitsweise der Naphtha-Pyrolyse lässt sich in vier Einzelschritte unterteilen:

1. Naphtha-Spaltung im Röhrenöfen

2. Quenchen, d. h. „Abschrecken“ des Spaltgases

3. Rohgasverdichtung und Reinigung (Gaswäsche)

4. Trocknung, Kühlung und Destillation

Diese Einzelschritte werden in einer Steamcrackeranlage (Abbildung 4-9) durchgeführt.

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4. Naphtha-Pyrolyse nach dem Steamcracker-Verfahren

- 61 -

Abbildung 4-9: Steamcracker der BASF

4.5.1 Spaltung des Naphthas in Röhrenöfen

Moderne Spaltrohröfen zeichnen sich durch sehr kurze Verweilzeiten von 0,1 bis 0,5 s und

Gastemperaturen von bis zu 880 °C am Ende der Crackschlange aus. Das verdampfte Naphtha

wird mit überhitztem Wasserdampf vermischt, auf 600 °C erwärmt und in der 20 m bis 70 m

langen und 40 mm bis 100 mm weiten Rohrschlange auf etwa 840 °C gebracht. Die Rohre

werden durch seitlich und/oder am Boden des Spaltofens angebrachte Gasbrenner beheizt;

durch die direkte Verbrennung von Gas werden die Rohre an der heißesten Stelle auf circa

1200 °C erhitzt. Im Strahlungsraum eines Ofens sind je 6 bis 8 Schlangen senkrecht

angeordnet. Der Ofenteil eines Steamcrackers besteht aus parallel geschalteten Einheiten mit

Kapazitäten von 40000 t/a bis 120000 t/a Ethen. Die Massenanteile der Einzelkomponenten

des so gewonnenen Spaltgases sind in Gewichtsprozent in Tabelle 4-4 dargestellt.

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4.5 Technische Durchführung

- 62 -

Tabelle 4-4: Produktausbeuten bei der Naphthaspaltung

4.5.2 Quenchen (Abkühlen)

Die heißen Spaltgase werden unmittelbar nach dem Verlassen der Crackstrecke innerhalb

kürzester Zeit so weit gequencht, dass eine Rekombination der kleineren Spaltprodukte zu

größeren Molekülen weitgehend verhindert wird. Die Temperatur wird zunächst indirekt

durch Quenchkühler auf 400 °C abgesenkt und dann direkt durch Einspritzen von Öl auf

200 °C gebracht. Die Kühler liefern im indirekten Wärmeaustausch zwischen dem Spaltgas

und Speisewasser Hochdruckdampf, der zum Antrieb der Gaskompressoren genutzt wird. Das

Spaltgas der Öfen wird in einer Sammelleitung vereinigt und dann weiter aufgearbeitet.

4.5.3 Verdichtung und Reinigung

Mittels stufenweiser Kühlung in Öl- und Wasserwäschen werden Rückstandsöl, Teile des

Pyrolysebenzins und das Prozesswasser auskondensiert. In einer Strippkolonne wird das

Wasser von organischen Bestandteilen befreit, in Dampf umgewandelt und wieder als

Verdünnungsmittel den Spaltöfen zugeführt.

Aus wirtschaftlichen Gründen wird das Rohgas vor der bei tiefen Temperaturen erfolgenden

destillativen Trennung in einem fünfstufigen Turboverdichter von 1,3 bar auf 32 bar

komprimiert (Abbildung 4-10). Die Verdichtung erfolgt in 5 Stufen mit Zwischenkühlung,

um eine Temperatur von 95 °C nicht zu überschreiten (Vermeidung der Bildung von

Polymerisaten).

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4. Naphtha-Pyrolyse nach dem Steamcracker-Verfahren

- 63 -

Abbildung 4-10: Einfaches Schema eines Steamcrackers (Spaltung, Kühlung, Verdichtung)

Bei jeder einzelnen Stufe fällt Pyrolysebenzin als Kondensat aus. Zwischen der vierten und

fünften Stufe der Rohgaskompression werden Schwefelwasserstoff und Kohlendioxid durch

eine Wäsche mit 1 % bis 5 %iger Natronlauge aus dem Gemisch entfernt (Sauergaswäsche).

Diese Verunreinigungen dürfen in den Endprodukten nicht enthalten sein (Warum nicht?).

4.5.4 Trocknung, Kühlung und Destillation

Über ein Molsieb wird bis zu einem Taupunkt von mindestens -60 °C getrocknet, um das

Wasser aus dem Rohgas zu entfernen; so wird verhindert, dass die nachfolgende Tieftempera-

turdestillation durch Eisbildung gestört wird. Durch zwei Kältekreisläufe wird das getrocknete

Rohgas stufenweise auf -160 °C abgekühlt und in mehreren Kolonnen in einzelne Fraktionen

zerlegt. Dabei erfolgt im so genannten C2/C3-Splitter die Trennung in ein C2- und

C3+-Gemisch. Abbildung 4-11 zeigt ein Fließschema der Trennschritte.

Abbildung 4-11: Aufarbeitung der Rohgase aus dem Steamcracker

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4.6 Kinetische Analyse nichtisothermer Daten

- 64 -

Die Reinheitsanforderungen an die Endprodukte bestimmen die Trennschärfe und damit

verbunden die Investitions- und Betriebskosten der Destillationskolonnen. Reinheiten für

Ethen von 99,95 % und für Propen von 99,9 % sind für eine anschließende Polymerisation

unbedingt notwendig.

4.6 Kinetische Analyse nichtisothermer Daten

Kinetische Untersuchungen lassen sich relativ einfach für Reaktionen in Reaktoren mit einem

isothermen Temperaturprofil durchführen. In einigen Fällen lässt sich ein isothermes

Temperaturprofil nicht realisieren. Die thermische Spaltung von Kohlenwasserstoffen, wie sie

in diesem Versuch durchgeführt wird, stellt ein typisches Beispiel für diesen Sachverhalt dar.

Die Auswertung und Berechnung kinetischer Daten solcher Reaktionen mit einem

nichtisothermen Temperaturprofil erweist sich als kompliziert und nur numerisch durchführ-

bar. Das nichtisotherme Temperaturprofil entsteht aus verschiedenen Gründen: Das

Reaktionsgemisch hat am Reaktoranfang noch nicht die Reaktionstemperatur bzw. kann nicht

„unendlich“ schnell auf die gewünschte Temperatur gebracht werden, die Heizung selbst

arbeitet nicht homogen und die Wärmetönung der Reaktion beeinflusst die Temperaturvertei-

lung. Im Gegensatz zu einer katalytischen Reaktion gibt es bei thermischen Reaktionen

grundsätzlich keine eindeutige Trennung zwischen der Aufheizzone und dem eigentlichen

Reaktionsraum.

Um mit solchen experimentellen Vorgaben dennoch eine kinetische Auswertung der

Versuchsdaten durchführen zu können, lassen sich verschiedene Wege beschreiten. Ein

Verfahren ist das Konzept des Äquivalentreaktorvolumens von Hougen und Watson, das hier

benutzt werden soll. Dieses Konzept erlaubt es, Daten aus nichtisothermen Reaktionen durch

bestimmte Vereinfachungen kinetisch auszuwerten. Zum einen werden die Ergebnisse

wiederum auf isothermes Verhalten zurückgeführt und zum anderen wird nur noch die

Temperaturabhängigkeit der Parameter berücksichtigt. Man kann dieses Verfahren als eine

pseudoisotherme Analyse betrachten.

Das Äquivalentreaktorvolumen ist als das Volumen definiert, in dem bei der konstanten

Bezugstemperatur TR der gleiche Umsatz Uj der Verbindung j erreicht wird wie im

verwendeten nicht isothermen Reaktor.

(4-1)

Für den Umsatz eines Kohlenwasserstoffs j im realen Rohrreaktor gilt mit der Temperatur Tx

an der Stelle x des Reaktors und der Reaktionsgeschwindigkeit r(T):

(4-2)

Analog wird der Umsatz für den isothermen Reaktor (T = konstant) berechnet:

(4-3)

Für die Reaktionsgeschwindigkeit r(T) gilt mit der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten k(T)

und unter Einbeziehung des Arrhenius´schen Ansatzes:

isotherm,jreal,j UU

XV

0

xx

ein,j

real,j dV)T(rn

1U

RV

0

RR

ein,j

isotherm,j dV)T(rn

1U

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4. Naphtha-Pyrolyse nach dem Steamcracker-Verfahren

- 65 -

(4-4)

Die Funktion f(ci,cj) hängt von der Reaktionsordnung der Komponenten i und j ab. Die

geringe Temperaturabhängigkeit der Konzentrationen wird vernachlässigt. Aus den

Gleichungen (4-1), (4-2) und (4-3) folgt:

(4-5)

Umformung ergibt:

(4-6)

Gl. (4-6) gibt das Volumen des isothermen Reaktors an, der den gleichen Umsatz liefert wie

der reale Reaktor. V ist das Produkt aus Fläche und Länge des Reaktors. Die Grundfläche F

beider Reaktoren ist gleich. Daher kann man über die Länge integrieren und man erhält:

(4-7)

Integration liefert die endgültige Gleichung:

(4-8)

Der Wert für das Äquivalentreaktorvolumen VR bzw. für die Äquivalentreaktorlänge LR gilt

jedoch nur für eine bestimmte Reaktion. Im Praktikumsversuch wird vereinfacht angenom-

men, dass EA und somit der ermittelte Wert VR für alle ablaufenden Reaktion gleich ist.

Bei kinetischen Untersuchungen ist es häufig der Fall, dass Aktivierungsenergien nicht

bekannt sind. Mit dem Konzept des Äquivalentreaktorvolumens kann in einem „Trial-and-

Error-Verfahren” ein Wert für EA abgeschätzt werden: Zunächst wird ein Startwert für EA

angenommen und mit diesem Wert sowie dem gemessenen Temperaturprofil dann VR mittels

grafischer oder numerischer Integration berechnet. Daraus wird die Geschwindigkeitskonstan-

te berechnet. Aus Versuchen auf unterschiedlichem Temperaturniveau erhält man mehrere

Werte und mit der Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstante nach Arrhenius

erhält man dann einen Wert für EA. Stimmt dieser Wert nicht mit dem Startwert für EA

überein, der für die Berechnung von VR eingesetzt wurde, dann muss das Verfahren

wiederholt werden, bis eine gute Übereinstimmung erzielt wird.

4.7 Aufgabenstellung

Es sind Crackversuche bei unterschiedlichen Temperaturen und Verweilzeiten durchzuführen,

die vom Assistenten angeben werden. Als Verdünnungsgas wird anstatt von Wasserdampf

Stickstoff verwendet. Die Ausbeuten und Umsätze bezogen auf die Massenströme des

Ausgangsstoffes sollen berechnet und diskutiert werden. Des Weiteren wird eine Berechnung

des Äquivalentreaktorvolumens durchgeführt und der erhaltene Wert mit der Länge des realen

Reaktors verglichen und diskutiert.

RT

E

oijij

a

ek)c,c(f)T(k)c,c(f)T(r

X

V

0

RT

EV

0

R

RT

E

dVedVeX

X

AR

R

A

X

Rx

AV

0

X

T

1

T

1

R

E

R dVeV

X

RX

aL

0

T

1

T

1

R

E

RR dLeFLFV

X

T

1

T

1

R

E

R LeL XR

a

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4.8 Versuchsdurchführung und Beschreibung der Anlage

- 66 -

4.8 Versuchsdurchführung und Beschreibung der Anlage

Die Versuchsapparatur (Abbildung 4-12) lässt sich in die drei Hauptteile einteilen.

Abbildung 4-12: RI - Fließbild der Versuchsapparatur

Gasdosierung und Sättiger: Der Stickstoff wird über die Hausleitung aus einer handelsübli-

chen Druckgasflasche entnommen und mit Massendurchflussreglern in die Anlage

eingespeist. Der bei Raumtemperatur flüssige Kohlenwasserstoff n-Heptan wird als

Modellkomponente in der Naphtha-Pyrolyse über den beheizten Sättiger zudosiert, der mit

Stickstoff als Trägergas durchströmt wird. Nach den Sättigern sind alle Rohrleitungen bis zu

den Kühlfallen beheizt (ca. 200 °C). Alle Gasströme werden zusammengeführt und entweder

in den Reaktor oder zur Analyse des Einsatzgases über eine Bypassleitung um den Reaktor

geleitet.

Reaktor: Der Reaktor der Versuchsanlage besteht aus Edelstahl und wird von oben nach

unten durchströmt. Im Reaktor befindet sich zur Messung des Temperaturprofils ein

Thermoelementführungsrohr. Der Reaktor wird von außen in einem Bereich von etwa 30 cm

durch einen elektrischen Rohrofen beheizt.

Analytik: Die quantitative und qualitative Bestimmung der Kohlenwasserstoffe erfolgt durch

Gaschromatographie und Gasanalyse. Der austretende, heiße Gasstrom wird zum Teil durch

eine mit Eis und eine mit Trockeneis gekühlte Kühlfalle geleitet. Hierdurch werden die

flüssigen von den gasförmigen Bestandteilen abgetrennt. Die analytische Bestimmung der

gasförmigen Verbindungen (CO, CO2, CH4, H2) erfolgt dann in der Gasanalyse.

Der andere Teil des Gasstroms wird über eine beheizte Rohrleitung zum Onli-

ne-Gaschromatographen geführt. Aus den Chromatogrammen erhält man dann die relativen

Anteile der gebildeten Kohlenwasserstoffe zueinander. Hieraus können bei Kenntnis des

Volumenstromes der Kohlenwasserstoffe die Volumenanteile der einzelnen Komponenten im

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4. Naphtha-Pyrolyse nach dem Steamcracker-Verfahren

- 67 -

Produktgasstrom ermittelt werden. Aus diesen Daten wiederum lassen sich die Massenströme

der einzelnen Verbindungen erhalten.

Abbildung 4-13: Aufbau der Praktikumsanlage

Versuchsdurchführung: Mit Hilfe des Assistenten werden die gewählten Parameter

eingestellt und die Anlage angefahren. Bis die Betriebsparameter erreicht werden, wird

über den Bypass der gewählte Stickstoffstrom durch den Reaktor geleitet. Nachdem durch die

Rohr- und Sättigerheizungen die entsprechenden Betriebstemperaturen erreicht wurden und

der Volumenstrom des Stickstoffes sowie der Systemdruck eingestellt sind, wird vom Bypass

auf den Sättiger umgestellt und das Eduktgas durch den Reaktor geleitet. Nach Erreichen des

stationären Zustandes (typischerweise nach 20 Minuten) wird der Volumenstrom am Ausgang

des Reaktors mit einem Seifenblasenströmungsmesser gemessen. Nach weiteren circa

zwanzig Minuten (abhängig von den gewählten Parametern) werden eine Gasprobe sowie

eine Flüssigprobe entnommen und gaschromatographisch analysiert. Danach werden die

neuen Parameter eingestellt und wie beschrieben verfahren.

Die Messung des Temperaturprofils erfolgt mit einem Thermoelement, welche in Abständen

von einem Zentimeter in dem Thermoelementführungsrohr des Reaktors gemessen werden.

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4.9 Versuchsauswertung

- 68 -

4.9 Versuchsauswertung

4.9.1 Berechnung der Verweilzeit I:

Die Verweilzeit des Gasstromes im Reaktor berechnet sich nach:

(4-9)

mit VReaktor= Volumen des Rohrreaktors

und = Volumenstrom des Gasstromes bei den Betriebsbedingungen

(4-10)

4.9.2 Berechnungen der Massenströme:

4.9.2.1 Berechnung des n-Heptan-Volumenstromes

Zur Berechnung des n-Heptan-Volumenstromes ist die Kenntnis des Sattdampfdrucks des

n-Heptans bei der jeweiligen Sättigertemperatur notwendig. Dieser lässt sich mit Hilfe der

Antoine-Gleichung

(4-11)

berechnen.

Hierbei gelten für die Antoine-Konstanten im Falle des n-Heptans folgende Werte:

Unter der Voraussetzung, dass sich die Gase ideal verhalten, gilt für den Volumenstrom an

n-Heptan, der den Sättiger verlässt und in den Reaktor eintritt, folgende Gleichung:

(4-12)

mit:

pges : Gesamtdampfdruck der Anlage in bar

pn-Heptan(Tsätt): Sattdampfdruck von n-Heptan bei der Sättigertemperatur in bar

: n-Heptan-Volumenstrom am Sättigerausgang in l/h

: Stickstoff-Volumenstrom, der den Sättiger durchströmt

: Gesamtvolumenstrom in l/h

.

Re

B

aktor

V

V

B

.

V

n

B

B

ngesnB

T

T

p

pVV ,

..

])/[(]/[log10

KTC

BAbarp

sätt

tanHepn

199,56C

636,1268B

02832,4A

tanHepn

tanHepn

tanHepn

2

...

1)(

1)(N

sätttanHepn

ges

ges

ges

sätttanHepntanHepn V

Tp

pV

p

TpV

tanHepn

.

V

2N

.

V

ges

.

V

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4. Naphtha-Pyrolyse nach dem Steamcracker-Verfahren

- 69 -

4.9.2.2 Berechnung der Massenströme

Für die Massenströme im Reaktor gilt, wobei der Wasserstoff vernachlässigt wird:

(4-13)

mit : Massenstrom n-Heptan (g/h)

: eingestellter Massenstrom N2 (g/h)

: Massenstrom flüssige Kohlenwasserstoffe (g/h)

: Massenstrom der Kohlenwasserstoffe in der Gasphase (g/h)

: Massenstrom N2 am Reaktorausgang (g/h)

: Im Reaktor gebildete Koksmenge (kg)

: Versuchszeit (h)

Weiterhin gilt:

(4-14)

Hieraus lässt sich der Volumenstrom der gebildeten gasförmigen Kohlenwasserstoffe

berechnen und mit Hilfe der Gaschromatogramme lassen sich mit der Annahme idealen

Verhaltens der Gase die Massenströme der Produktgase berechnen.

4.9.2.3 Quantitative Analyse mittels Gaschromatogramm

Um eine quantitative Aussage über die Produktverteilung machen zu können, ist die

Auswertung des Gaschromatogramms eine geeignete Möglichkeit.

Abbildung 4-14: Chromatogramm des Produktspektrums der Steamcracker Praktikumsanlage

KoksVnaus,fl,KW,iaus,gas,KW,iVNeintan,Hepn mt)mmm(t)mm(22

ein,Hnm

ein,N2m

aus,flRe,m

aus,Gas,KWm

aus,N2m

Koksm

Vt

gas,aus,KW,i

.

Naus,ges

.

VVV2

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4.9 Versuchsauswertung

- 70 -

Dazu liefert die Messung den in Tabelle 4-5 gezeigten Datensatz:

Tabelle 4-5: Messwerte Gaschromatographie

Retentionszeit Area (mV.s) Heigh (mV) Area (%) Heigh (%)

4,322 218,158 167,872 13 14,2

4,358 1080,349 767,751 64,2 64,9

4,513 206,977 151,215 12,3 12,8

4,632 7,745 4,289 0,5 0,4

4,915 11,296 9,375 0,7 0,8

4,948 86,51 56,737 5,1 4,8

6,928 16,863 7,651 1 0,6

10,993 35,35 12,09 2,1 1

Total 1681,875 1183,301 100 100

Ohne weitere Information ist dieser allerdings wenig aufschlussreich. Durch das Vermessen

von Standards, in denen ein genau definiertes Gasgemisch vorliegt, ist es möglich ohne

weitergehende Bestimmung der Stoffzusammensetzung des Produktes (z.B. über Massen-

spektroskopie, Elementaranalyse oder Thermogravimetrie) eine qualitative und quantitative

Aussage zur Produktverteilung zu machen.

Unter Kenntnis des jeweils eingespritzten Volumens, des idealen Gasgesetztes und der

Tatsache, dass bei einer Messung durch einen Flammenionisationsdetektor (FID) pro

oxidiertes Kohlenstoffatom eine „Signaleinheit“ registriert wird, ist es möglich die

Massenanteile der verschiedenen Komponenten zu berechnen. Die entsprechenden Daten zur

Berechnung erhalten Sie am Versuchstag vom Betreuer.

4.9.3 Bestimmung des Äquivalentreaktorvolumens:

Die Bestimmung der Äquivalentreaktorlänge bzw. des Äquivalentreaktorvolumens erfolgt

graphisch. Hierfür ist es notwendig, das reale Temperaturprofil des Reaktors zu messen. Die

gemessene Temperatur TX am Ort LX wird folglich gegen die Reaktorlänge L in einem

Diagramm aufgetragen. Aus diesem Diagramm ermittelt man die Bezugstemperatur TR. Zur

Berechnung des Äquivalentreaktorvolumens bzw. der Äquivalentreaktorlänge trägt man in

einem weiteren Diagramm gegen die Reaktorlänge LX auf.

Die Fläche unter der erhaltenen Funktion wird ermittelt. Hieraus wird über der Bezugstempe-

ratur TR eine Rechteckfläche gleichen Flächeninhalts gespannt. Diese Fläche ist gleich der

Fläche, die einem idealen Temperaturprofil bei der konstanten Bezugstemperatur TR

RX

AX

TTR

ETy

11exp)(

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4. Naphtha-Pyrolyse nach dem Steamcracker-Verfahren

- 71 -

entspricht. Aus dieser Rechteckfläche lassen sich direkt die Äquivalentreaktorlänge und das

Äquivalentreaktorvolumen bestimmen.

Berechnen sie unter der Voraussetzung des Äquivalentreaktorvolumens noch einmal die

Verweilzeit. Diskutieren Sie die Ergebnisse!

Temperaturprofil

670

680

690

700

710

720

730

740

0 10 20 30 40 50 60

Reaktorlänge in cm

Tem

pera

tur

in °

C

Äquivalentreaktorvolumen

0

0,1

0,2

0,3

0,4

0,5

0,6

0,7

0,8

0,9

1

0 10 20 30 40 50 60

Reaktorlänge in cm

exp

(-E

A/R

* (1

/TX-1

/TR)) real

isotherm

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5.1 Einleitung

- 72 -

5 Flüssig-Flüssig-Extraktion

5.1 Einleitung

Neben der Rektifikation gehört die Extraktion zu den wichtigsten Prozessen der thermischen

Stofftrennung. Unter Extraktion wird das selektive Herauslösen einer oder mehrerer

Substanzen aus festen oder flüssigen Stoffgemischen mit Hilfe flüssiger Lösungsmittel

verstanden. Die technisch wichtigste Anwendung ist die Flüssig-Flüssig-Extraktion [Sattler

2001].

Die Flüssig-Flüssig-Extraktion beruht auf der unterschiedlichen Löslichkeit des Extraktstoffes

in zwei flüssigen Phasen. Hierbei kann es sich sowohl um einen Feststoff wie um einen

flüssigen Stoff handeln. Voraussetzung muss nur sein, dass sich dieser Stoff in dem

Lösungsmittel besser löst als in der Flüssigkeit, in der der Stoff gelöst ist.

Ein einfaches Beispiel hierfür ist aus der präparativen Chemie bekannt: eine organische

Substanz wird aus einer wässrigen Phase – in der sie synthetisiert wurde – durch mehrfaches

Ausschütteln, z.B. mit Ether, extrahiert.

Die Phase, aus der der Wert- oder Schadstoff (Extraktstoff) extrahiert werden soll, wird als

Abgeber- oder Raffinatphase bezeichnet (vor der Extraktion als Feed). Die Abgeber- oder

Raffinatphase gibt den Extraktstoff an die Aufnehmer- oder Extraktphase ab (vor der

Extraktion als Lösemittel- oder Extraktionsmittel bezeichnet). Nach erfolgter Extraktion wird

der verarmte Feed als Raffinat, das beladene Extraktionsmittel als Extrakt bezeichnet

(Abbildung 5-1).

Abbildung 5-1:Extraktion (schematisch)

Um einen Stoffaustausch zwischen den zwei flüssigen Phasen herbeizuführen, muss eine

möglichst große Phasengrenzfläche geschaffen werden. Zu diesem Zweck muss in der

Extraktionsapparatur eine der zwei Phasen in Tropfen zerteilt werden. Man bezeichnet diese

Phase als disperse Phase, die andere als kontinuierliche Phase.

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5. Flüssig-Flüssig-Extraktion

- 73 -

5.2 Flüssig-Flüssig-Extraktion

5.2.1 Grundlagen

Die Flüssig-Flüssig-Extraktion steht bei Stofftrennprozessen in Konkurrenz zu anderen

thermischen Verfahren, insbesondere der Rektifikation. Da die Extraktion oft bei Umge-

bungsbedingungen mit geringem Energieeinsatz durchgeführt werden kann, kann die Flüssig-

Flüssig-Extraktion eine gute Alternative zur Rektifikation sein. Jedoch muss bei der

Verfahrensauswahl berücksichtigt werden, dass eine zusätzliche Aufbereitung des Extrakti-

onsmittels nötig ist. Tabelle 5-1 zeigt eine Übersicht typischer Anwendungsbereiche der

Flüssig-Flüssig-Extraktion.

Die Flüssig-Flüssig-Extraktion kommt v.a. dann zum Einsatz, wenn temperaturempfindliche

Stoffe abgetrennt werden sollen, die sich bei Temperaturerhöhung verändern oder zersetzen.

Weiterhin wird sie auch zur Abtrennung von hochsiedenden Gemischkomponenten aufgrund

der entsprechend hohen Betriebskosten für eine Rektifikation eingesetzt. Wenn die

Siedepunkte der zu trennenden Stoffe sehr eng beieinander liegen, ist eine effiziente Trennung

durch Rektifikation nur mit großem Aufwand möglich. Aufgrund der hohen Verdampfungs-

enthalpie von Wasser wird die Flüssig-Flüssig-Extraktion häufig zur Abtrennung unterschied-

lichster Stoffe aus wässrigen Lösungen eingesetzt, z.B. für die Abtrennung von Hochsiedern

aus Wasser (Phenol) sowie die Abtrennung von organischen Säuren und Basen oder

Metallsalzen aus wässrigen Lösungen. Eine große Bedeutung hat die Flüssig-Flüssig-

Extraktion auch für die Abtrennung geringkonzentrierter Stoffe aus Gemischen, da hier eine

destillative Trennung zu aufwändig wäre. Die Flüssig-Flüssig-Extraktion findet daher

verstärkt Anwendung im Bereich des Umweltschutzes, z.B. bei der Abwasserreinigung.

Tabelle 5-1: Typische Anwendungsfälle der Flüssig-Flüssig-Extraktion

Temperaturempfindliche Stoffe

Abtrennung hochsiedender Komponenten

Azeotrope Gemische

Geringe Siedepunktsdifferenz

Abtrennung gering konzentrierter Stoffe

Entwässerung organischer Flüssigkeiten

Abtrennung unterschiedlicher Stoffe aus wässrigen Lösungen

5.2.2 Auswahl des Extraktionsmittels

Die Wahl des Extraktionsmittels bei der Konzeption und Auslegung von Extraktionsprozes-

sen entscheidet letztlich über die Konkurrenzfähigkeit des Verfahrens. Die Extraktionsmittel-

auswahl wird durch verschiedene Faktoren und Anforderungen beeinflusst, die in Tabelle 5-2

zusammengefasst sind.

Tabelle 5-2: Anforderungen an Extraktionsmittel

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5.2 Flüssig-Flüssig-Extraktion

- 74 -

Thermodynamische Faktoren

Physikalisch-chemische

Faktoren

Administrativ-logistische

Kriterien

Verteilungskoeffizient

Selektivität

Mischbarkeit

Thermische Stabilität

Chemische Stabilität

Siedepunkt

Verdampfungsenthalpie

Azeotropbildung

Grenzflächenspannung

Dichte

Viskosität

Korrosivität

Spezifische Wärmekapazi-

tät

Preis

Verfügbarkeit

Toxizität

Sicherheitsmaßnahmen

Umweltbelastungen

Integration in den

Gesamtprozess

Beispielhaft sei hier das AREX-Verfahren zur Gewinnung der BTX-Aromaten (Benzen,

Toluen, Xylen) aus Erdöl-Reformatschnitten und hydroraffinierten Pyrolysebenzin-Fraktionen

genannt. Als Extraktionsmittel mit hoher Selektivität und Lösefähigkeit wird eine Kombinati-

on von N-Methyl-ε-caprolactam (NMC) und Ethylenglykol verwendet. Das Verfahren

zeichnet sich neben dem geringen Energieeinsatz durch seine geringen spezifischen

Lösemittelverluste sowie die gute thermisch-chemische Stabilität und nichtkorrosive Wirkung

des Extraktionsmittelgemisches im Dauerbetrieb aus.

5.2.3 Bauformen von Extraktionsapparaten

Um den Stoffaustausch zwischen zwei Phasen zu ermöglichen, muss eine der beiden Phasen

dispergiert werden. Nach erfolgtem Stoffaustausch muss die disperse Phase wieder

koaleszieren, um die beiden Phasen wieder voneinander zu trennen. Extraktionsapparate

sollten daher die in Tabelle 5-3 aufgeführten Anforderungen erfüllen.

Tabelle 5-3: Anforderungen an Extraktionsapparate

schnelle Tropfenbildung

enge Tropfengrößenverteilung

große Phasengrenzfläche

homogene Tropfenverteilung in der kontinuierlichen Phase

Vermeidung vorzeitiger Koaleszenz

Die bekanntesten industriellen Extraktionsapparate sind:

- Mixer-Settler-Kaskaden

- Zentrifugalextraktoren

- Füllkörper-, Rühr-, und Drehscheibenkolonnen

Bei den meisten Extraktionsproblemen ist die Beladung der Trägerflüssigkeit vorgegeben,

und ein gutes Ausbringen an dem zu gewinnenden Extraktstoff oder eine Mindestreinheit des

Raffinats wird gefordert. Das Ziel soll mit möglichst geringem Lösungsmittelverbrauch in

einer relativ einfachen Apparatur erreicht werden. Da sich zwischen Extrakt und Raffinat ein

Verteilungsgleichgewicht einstellt, wird nur in seltenen Fällen die gewünschte Trennung in

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5. Flüssig-Flüssig-Extraktion

- 75 -

Apparaten mit nur einer einzigen Extraktionsstufe erreicht, meist sind mehrere Stufen

erforderlich. Heute wird in der Technik oft in kontinuierlich betriebenen Gegenstromappara-

ten extrahiert. Es sind dies entweder Kolonnen mit oder ohne Einbauten (Siebböden,

Füllkörper, Glockenböden usw.) oder hintereinander geschaltete Mischer und Absetzer (engl.

mixer-settler). Jedem Mischer ist ein Absetzer zugeordnet. Im Mischer erfolgt der Stoffaus-

tausch. Im Absetzer trennen sich die schwere und die leichte Phase aufgrund ihrer Dichteun-

terschiede. Die Hintereinanderschaltung mehrerer Mischer-Absetzer-Apparate wird als

Mixer-Settler-Batterie (Mischer-Scheider-Batterie, Abbildung 5-2) bezeichnet. Mischer und

Scheider werden so dimensioniert, dass sich im Ersteren praktisch ein Gleichgewicht einstellt

und sich im Letzteren die Phasen möglichst vollständig trennen, um eine Rückvermischung

zu vermeiden.

Eine wesentliche Vereinfachung im Aufbau von Mischer-Scheider-Batterien wird durch die

Zusammenfassung mehrerer Mischer-Scheider zu einer apparativen Einheit erreicht. Eine

besonders raumsparende Anordnung für große Durchsätze ist der Lurgi-Turmextraktor (LTE),

in dem mehrere Mixer-Settler-Stufen senkrecht übereinander angeordnet sind. Anlagen dieser

Bauart sind nicht nur auf wenige Stufen beschränkt, die bisher größte Anlage enthält in einer

Einheit 30 Stufen. Ein besonders großer Vorteil des Mixer-Settler-Prinzips besteht darin, dass

die Maßstabvergrößerung im Vergleich zu anderen Extraktionsapparaten weniger problema-

tisch ist (numbering-up). Von Nachteil kann unter Umständen die große Zahl von Pumpen

(für jede Stufe eine) sein, zumal ein Turmextraktor schon beim Ausfall einer einzigen Pumpe

nicht mehr arbeitet.

Abbildung 5-2: Die Mixer-Settler-Batterie (Aufsicht)

5.3 Theoretischer Teil

5.3.1 Der Nernstsche Verteilungssatz

Bei konstanter Temperatur und konstantem Druck gilt für die Verteilung eines gelösten

Stoffes zwischen zwei nicht mischbaren Phasen die Gleichgewichtsbeziehung

rμsμ ii (5-1)

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5.3 Theoretischer Teil

- 76 -

Dabei bezeichnet µi(s) das chemische Potential des Stoffes i in der Solvensphase, µi(r)das

Potential des Stoffes i in der Raffinatphase. Mit

(5-2)

erhält man

(5-3)

und

Kera

saRT

sr

i

iii00

(5-4)

Die Aktivität a des Stoffes i kann in hinreichend verdünnten Lösungen durch den Molenbruch

ersetzt werden und man erhält

(5-5)

Diese Gleichung bezeichnet man auch als Nernstsches Verteilungsgesetz, welches besagt,

dass das Verhältnis der Konzentration eines Stoffes in zwei flüssigen Phasen konstant ist. Im

Idealfall ist K unabhängig von der Stoffkonzentration und auch bei mehrstufigen Extraktionen

konstant.

Die zugehörige Kurve, die Verteilungsfunktion, ist eine Gerade. Die Konstante lässt sich

durch eine einzige Messung ermitteln. Meist wird aber bei höheren

Extraktstoffkonzentrationen die Konstante K konzentrationsabhängig.

Bei technischen Extraktionsproblemen arbeitet man nicht mit der Konzentration, sondern mit

der Beladung des Extraktionsmittels

(5-6)

und der Beladung der Trägerflüssigkeit

(5-7)

Es = Masse an Extraktstoff im Extraktionsmittel

Er = Masse an Extraktstoff in der Trägerflüssigkeit

S = Masse des Extraktionsmittels

R = Masse der Trägerflüssigkeit.

5.3.2 Das McCabe-Thiele-Diagramm

Die Herabsetzung der Beladung der Trägerflüssigkeit, die mit einer n-stufigen (im Beispiel

n = 4) Extraktionsbatterie oder Extraktionskolonne erzielt werden kann, lässt sich nach dem

Verfahren von McCabe-Thiele auf graphischem Wege ermitteln, unter der Voraussetzung,

ralnRTrsalnRTs i

0

ii

0

i

.constRT

sr

ra

saln

0

i

0

i

i

i

Krx

sx

i

i

S

EY s

R

EX r

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5. Flüssig-Flüssig-Extraktion

- 77 -

dass in jeder Stufe die Gleichgewichtseinstellung erreicht wird. Weiterhin kann die Zahl der

theoretischen Trennstufen eines Extraktionsapparates ermittelt werden, wodurch ein

Vergleich verschiedener Apparate möglich ist.

Handelt es sich um nicht ideale Systeme, bei denen die gegenseitige Löslichkeit von

Aufnehmer und Abgeber nicht zu vernachlässigen ist, muss die Ermittlung der Trennstufen-

zahl mittels eines Dreiecksdiagramms erfolgen.

Die Gleichgewichtsbedingungen liegen wie bereits erwähnt auf der Verteilungsfunktion. In

Abbildung 5-3 ist das die Funktion l. In diesem Diagramm wird die Beladung des Extrakti-

onsmittels (Y) gegen die Beladung der Trägerflüssigkeit (X) aufgetragen.

Abbildung 5-3: Arbeitsweise einer ideal arbeitenden Extraktionsbatterie (dient auch zur Veranschauli-

chung der Arbeitsweise einer Extraktionskolonne)

Wir stellen zunächst die Stoffbilanz für den Extraktstoff auf:

Der Abgeberstrom sei R´ und der Aufnehmerstrom S´. Die Stoffbilanz des Extraktstoffes ist

dann, da in jeder Austauschstufe Massenkonstanz besteht, für die

1. Stufe: R´Xa + S´Y2 = R´X1 + S´Ye

2. Stufe: R´X1 + S´Y3 = R´X2 + S´Y2

3. Stufe: R´X2 + S´Y4 = R´X3 + S´Y3

4. Stufe: R´X3 + S´Ya = R´Xe + S´Y4

Daraus ergibt sich nach Umformen:

(5-8)

S

R

YX

YY

YX

YY

YX

YY

XX

YY

e3

a4

32

43

21

32

1a

2e

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5.4 Das Dreiecksdiagramm

- 78 -

Aus dieser Gleichung folgt, dass alle Punkte (Xn;Yn+1) auf einer Geraden liegen müssen,

deren Anstieg tan = R / S ist. Man nennt diese Gerade Bilanz- der Arbeitsgerade. Sie hat

folgende Form:

Y = (R´/S´) X + (Ya – (R´/S´) Xe) (5-9)

Diese Arbeitsgerade wird durch die Stoffbilanz bzw. durch die Konzentration der den

Bilanzraum verlassenden Ströme festgelegt. Als Bilanzraum wird der Ort des Stoffaustau-

sches bezeichnet.

Zeichnet man nun einen Treppenzug von Xa ausgehend zwischen Gleichgewichts- und

Arbeitsgerade, bedeutet jede Stufe eine theoretische Bodenzahl. Die letzte Stufe soll über dem

Wert Ye enden. Die Höhe dieser letzten Stufe sowie die Strecke s zwischen der

Extraktkonzentration und dem Anfang der letzten Stufe werden gemessen.

Die theoretische Bodenzahl des Extraktionsapparates ergibt sich aus der Anzahl g der ganzen

Stufen plus dem Quotienten s/h (Abbildung 5-4).

Abbildung 5-4: Ermittlung der theoretischen Bodenzahl nach McCabe-Thiele

5.4 Das Dreiecksdiagramm

Sind die beiden flüssigen Phasen teilweise ineinander löslich, dann verwendet man zur

Darstellung der Gleichgewichtsverhältnisse Dreiecksdiagramme. Jede Ecke des gleichseitigen

Dreiecks entspricht einem reinen Stoff, die Dreiecksseiten kennzeichnen die Mischungen aus

zwei Komponenten (binäre Systeme). Jeder Punkt innerhalb des Dreiecks repräsentiert eine

Mischung aus drei Stoffen (ternäre Systeme).

Zur Durchführung einer Extraktion ist mindestens eine Mischungslücke über einen größeren

Bereich zwischen den beiden Phasen erforderlich. Diese Mischungslücke wird im Dreiecksdi-

agramm durch die Binodalkurve begrenzt. Unterhalb der Binodalkurve zerfallen alle

Mischungen in zwei koexistierende Phasen, die miteinander im Gleichgewicht stehen und

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5. Flüssig-Flüssig-Extraktion

- 79 -

jeweils auf der Binodalkurve liegen. Die Verbindungslinien zwischen diesen Gleichgewichts-

phasen werden als Gleichgewichtslinien oder Konnoden bezeichnet. Oberhalb der

Binodalkurve liegt unbegrenzte Mischbarkeit vor; man befindet sich im einphasigen Gebiet

(s. Abbildung 5-5).

Liegt das Dreiecksdiagramm für ein ternäres Stoffgemisch vor, so kann auch hier graphisch

die erforderliche Stufenzahl für ein gegebenes Trennproblem ermittelt werden. Im Falle einer

Kreuzstromextraktion kann direkt im Dreiecksdiagramm gearbeitet werden, bei einer

Gegenstromextraktion wird eine sog. Polkonstruktion (Polstrahlverfahren, siehe angegebene

Literatur) zu Hilfe genommen.

Abbildung 5-5: Dreiecksdiagramm

Zweiphasengebiet

Einphasengebiet

Konnoden

Binodalkurve

krit. Punkt

P

x(B)

x(

A)

x(C)

A B

C

A – primäres Lösungsmittel (Extraktionsmittel)

B – sekundäres Lösungsmittel (Trägerflüssigkeit)

C – Übergangskomponente

Zweiphasengebiet

Einphasengebiet

Konnoden

Binodalkurve

krit. Punkt

P

x(B)

x(

A)

x(C)

Zweiphasengebiet

Einphasengebiet

Konnoden

Binodalkurve

krit. Punkt

P

x(B)

x(

A)

x(C)

A B

C

A – primäres Lösungsmittel (Extraktionsmittel)

B – sekundäres Lösungsmittel (Trägerflüssigkeit)

C – Übergangskomponente

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5.5 Versuchsbeschreibung

- 80 -

5.5 Versuchsbeschreibung

5.5.1 Aufgabenstellung

Es soll die Extraktionsleistung (Wirkungsgrad) einer Labor-Mixer-Settler-Batterie mit 4

praktischen Trennstufen ermittelt werden. Als zu untersuchendes Modellsystem soll ein

schwefelhaltiges Öl (n-Dodekan mit Diphenylsulfoxid) mit Hilfe von Wasser als Extrakti-

onsmittel entschwefelt werden.

5.5.2 Versuchsaufbau

Zur Durchführung des Praktikums wird die kontinuierlich arbeitende Labor-Mixer-Settler-

Anlage MSU-0,5 der Firma MEAB Metallextraktion AB eingesetzt. Die Anlage ist modular

aufgebaut und kann zwei- bis zehnstufig im Gegenstrom betrieben werden. Extraktionsmittel

und Trägerflüssigkeit werden mit Hilfe von Membrankolbenpumpen in die Anlage

eingebracht. In der Anlage wird die schwere, wässrige Phase durch Saugrührer gefördert, die

Ölphase läuft über Überlaufwehre frei durch die Anlage. In Abbildung 5-6 ist eine

Schnittzeichnung durch eine Mixer-Settler-Einheit dargestellt. Jede Einheit besitzt ein

Mischervolumen von 0,12 l und ein Settlervolumen von 0,48 l. Bei den Extraktionsversuchen

werden Proben aus jeder Settler-Einheit sowie am Eingang und am Ablauf entnommen und

mittels Elementaranalyse (Antek NS 9200) untersucht.

Abbildung 5-6: MEAB Mixer-Settler-Anlage: Schnittzeichnung

5.5.3 Versuchsdurchführung

Bestimmung des Verteilungskoeffizienten

Zunächst muss der Verteilungskoeffizient des entsprechenden Systems ermittelt werden.

Dazu wird in einem Extraktionsgefäß ein einfacher Rührversuch durchgeführt. Die

Trägerflüssigkeit (n-Dodecan mit Diphenylsulfoxid) wird vom Assistenten zur Verfügung

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5. Flüssig-Flüssig-Extraktion

- 81 -

gestellt und zusammen mit dem Extraktionsmittel Wasser eingewogen (Verhältnis

Trägerflüssigkeit : Extraktionsmittel = 1:3). Nach 15 min Rühren bei 700 U/min mit dem

Magnetrührer wird die Phasentrennung abgewartet und die Ölphase beprobt. Aus der

Abnahme der Schwefelkonzentration in der Ölphase unter Berücksichtigung der eingewoge-

nen Massen lässt sich der Verteilungskoeffizient ermitteln.

Extraktion in der Mixer-Settler-Batterie

Die Mixer-Settler-Batterie wird wie in Abbildung 5-7 gezeigt an die Pumpen sowie die

Auffangbehälter für Extrakt und Raffinat angeschlossen. Das Verhältnis von Extraktionsmit-

tel zu Trägerflüssigkeit beträgt 1:3. Mit der entsprechenden Pumpenleistung für Trägerflüs-

sigkeit und Extraktionsmittel ist die Mixer-Settler-Batterie zu füllen. Die Rührerleistung der

einzelnen Stufen ist jeweils auf Stufe 7 einzustellen. Beim Anfahren der Extraktionsanlage ist

auf eine gleichmäßige Befüllung mit dem eingestellten Verhältnis von Trägerflüssigkeit und

Extraktionsmittel zu achten. Evtl. muss der Überlauf der schweren Phase per Hand

nachgeregelt werden (die Höhe des Überlaufpunktes kann mit einem Drehgriff reguliert

werden).

Abbildung 5-7: Anlagenschema Mixer-Settler-Batterie

Nach der vollständigen Befüllung der Mixer-Settler-Kaskade und der Einstellung eines

stabilen Zustandes werden Proben der Trägerflüssigkeit am Kaskadeneingang sowie jedem

Überlauf der einzelnen Stufen entnommen.

Für einen zweiten Messpunkt wird die Pumpenleistung um 50 % erhöht und die entsprechen-

den Proben nach Einstellung eines neuen Gleichgewichtszustands entnommen. Alle Proben

werden auf ihren Schwefelgehalt mit Hilfe einer Elementaranalyse hin untersucht.

Am Ende des Versuchs ist die Mixer-Settler-Batterie zu leeren und zu reinigen.

5.5.4 Auswertung

Berechnen Sie den Verteilungskoeffizient nach Nernst sowohl aus der einstufigen Extraktion

als auch aus jeder der Extraktionsstufen im Mixer-Settler.

Extrakt

1 2 43

Pumpe 2

(Wasser)Raffinat

Pumpe 1

(Dodecan mit

Diphenylsulfoxid)

Mixer-Settler-Batterie

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5.6 Literatur

- 82 -

Die theoretische Stufenzahl der Anlage soll auf graphischem Weg nach McCabe-Thiele

ermittelt werden. Weiterhin soll der Wirkungsgrad der Anlage für beide Messpunkte

bestimmt werden.

Weitere Fragen:

1. Welche Vor- und Nachteile besitzt eine Mixer-Settler-Batterie im Vergleich mit einer

Siebbodenkolonne.

2. Wie können Sie den Wirkungsgrad der von Ihnen betriebenen Mixer-Settler-Anlage

steigern?

3. Schätzen Sie ab, wie sich die Effektivität der Mixer-Settler-Batterie bei einem Scale-

up verhält.

4. Beschreiben Sie und ermitteln Sie graphisch die erforderliche Stufenzahl für eine

Kreuzstrom- und Gegenstromextraktion für den Fall, dass Trägerflüssigkeit und Ex-

traktionsmittel zu einem gewissen Maße mischbar sind. Tragen Sie die Auswertung in

die beigefügten Dreiecksdiagramme ein. Geben Sie die Zusammensetzungen von Ex-

trakt und Raffinat für jede Extraktionsstufe an.

Erforderliche Daten:

Anfangskonzentration des Wertstoffes in der Trägerflüssigkeit: 50 %

Geforderte Endkonzentration im Raffinat: < 15 %

Verhältnis Extraktionsmittel:Trägerflüssigkeit (inkl. Wertstoff) = 1:1

5.6 Literatur

Extraktion

Jess, A.: Allgemeine Verfahrenstechnik II bzw. Technische Chemie, Vorlesungsskript

Emons, H.-H. et al: Lehrbuch der Technischen Chemie. Grundoperationen chemischer

Verfahrenstechnik. 5. Aufl., VEB Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1974.

Gmehling, J.; Brehm, A.: Grundoperationen. Lehrbuch der Technischen Chemie – Bd. 2.

Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York, 1996.

Sattler, K.: Thermische Trennverfahren. 3. Auflage, Wiley-VCH Verlag, Weinheim, 2001.

Entschwefelung von Kohlenwasserstoffen durch Extraktion

Bösmann, A.; Datsevich, L.; Jess, A.; Lauter, A.; Schmitz, C.; Wasserscheid, P.: Deep

Desulphurization of diesel fuel by extraction with ionic liquids. Chem. Commun.

2001, 2494-2495.

Eßer, J.; Wasserscheid, P.; Jess, A.: Deep Desulphurization of Oil Refinery Streams by

Extraction with Ionic Liquids. Green Chem. 2004, 6, 316-322.

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5. Flüssig-Flüssig-Extraktion

- 83 -

0

1

10

1

0

xExtraktionsmittel

xWertstoff

xTrägerflüssigkeit

0,50,5

0,50

1

10

1

0

xExtraktionsmittel

xWertstoff

xTrägerflüssigkeit

0,50,5

0,5

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- 84 -

0

1

10

1 0

xE

xtra

ktio

nsm

ittel

xW

ertstoff

xT

räg

erflüssig

keit

0,5

0,5

0,5

0

1

10

1 0

xE

xtra

ktio

nsm

ittel

xW

ertstoff

xT

räg

erflüssig

keit

0,5

0,5

0,5

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- 85 -

6 Rektifikation

6.1 Fragen & Aufgaben zur Vorbereitung

(Die folgenden Fragen & Aufgaben sind im Voraus schriftlich von jedem einzelnen

Teilnehmer zu beantworten. Liegen die Antworten nicht vor, kann sich der Betreuer

vorbehalten den Versuch abzusagen. Er gilt damit als nicht bestanden.)

1. Berechnen Sie die Trennfaktoren für die binären Gemische EtOH – i-PrOH und

EtOH– n-PrOH.

2. In welchen Bereichen gelten das Raoultsche und das Henrysche Gesetz?

3. Wie wird in der Verfahrenstechnik der Zwischenbereich beschrieben (Skizze und

Beschreibung)?

4. Leiten sie die Funktion für Gewichtsprozent wt1(M1, M2, x1) her.

5. Wie ist der Brechungsindex definiert (Skizze und Beschreibung)?

6. Wie funktioniert ein Refraktometer (Skizze und Beschreibung)?

7. Zeichnen Sie das Gleichgewichtsdiagramm für das binäre Gemisch EtOH– n-PrOH.

8. Skizzieren Sie das Gleichgewichtsdiagramm für das binäre Gemisch EtOH– H2O

(Daten müssen selbst besorgt werden) und diskutieren Sie kurz die Unterschiede zum

binären Gemisch EtOH– n-PrOH.

9. Nennen Sie ein gängiges Verfahren zu Wassergehaltsbestimmung.

Sollten Unklarheiten zu den Fragen- & Aufgabenstellungen bestehen, sind diese mit dem

Betreuer rechtzeitig vorher zu klären.

6.2 Einleitung

Wenn ein Gemisch aus zwei Flüssigkeiten zum Sieden erhitzt wird und die Dampfphase eine

andere Zusammensetzung als die Flüssigphase besitzt, dann besteht die Möglichkeit,

Flüssigkeitsgemische destillativ aufzutrennen. Eine mehrstufige Destillation, bei der sich das

Gleichgewicht zwischen Dampfphase und Flüssigphase mehrfach hintereinander einstellen

kann und deshalb auch eine bessere Trennung möglich ist, wird als Rektifikation bezeichnet.

Eine Rektifikationsanlage besteht aus einem Verdampfer mit Rektifikationskolonne und

einem oder mehreren Kondensatoren. In eine Kolonne können verschiedene Einbauten

eingesetzt werden, die den Stoff- und Wärmeaustausch zwischen Kondensat und Dampf

verbessern. In der Technik werden meist kontinuierliche Rektifikationsanlagen verwendet. In

Fällen nur periodisch anfallender Produkte oder empfindlicher Fraktionierung findet man aber

auch einen diskontinuierlichen Betrieb.

6.3 Phasengleichgewichte idealer, mischbarer Flüssigkeiten

Die Gleichgewichtseinstellung zwischen flüssiger und gasförmiger Phase in Mehrkompo-

nentensystemen wird durch die Eigenschaften der Reinkomponenten (und bei „realen“

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6.3 Phasengleichgewichte idealer, mischbarer Flüssigkeiten

- 86 -

Mischungen auch durch die der Mischung) bestimmt. Besondere Bedeutung kommt dabei den

Zweistoffgemischen zu, die rechnerisch leicht zu erfassen sind.

6.3.1 Dampfdruck und Phasenzusammensetzung

Der Dampfdruck über der Flüssigkeitsmischung hängt von der Zusammensetzung der

Mischung ab. Idealgemische liegen vor, wenn die intermolekularen Kräfte der reinen

Komponenten (A-A und B-B) denen in der Mischung (A-B) gleichen. In diesem Falle lassen

sich beide Flüssigkeiten im beliebigen Verhältnis ohne Auftreten von Wärmeeffekten und

Volumenänderungen mischen. Die Dampfdrücke von A und B werden bei einer idealen

Mischung folglich nur durch die Molanteile xa und xb der Komponenten bestimmt. Betragen

bei gegebener Temperatur die Dampfdrücke der reinen Komponenten Pao und Pb

o, so gilt für

die Partialdrücke pa und pb der Komponenten in der Dampfphase über dem flüssigen

Idealgemisch das Raoultsche Gesetz:

pa = xa Pao (6-1)

pb = xb Pbo (6-2)

Da für Zweistoffgemische xa + xb = 1, folgt:

pb = (1-xa)Pbo (6-3)

und für das Teildruckverhältnis der Zweistoffgemische:

(6-4)

Der Gesamtdruck P über einer idealen Flüssigkeitsmischung ist nach Dalton gleich der

Summe der Partialdrücke

P = pa + pb = xa Pao + xb

Pb

o = xaPa° + (1-xa) Pb

o = xa (Pa° - Pb°) + Pb° (6-5)

Nach dem Daltonschen Gesetz gelingt es, Molanteile der Komponenten idealer Gas- oder

Dampfphasen durch ihre Teildrücke und den Gesamtdruck des Gemisches auszudrücken.

(6-6)

Aus (6-1), (6-5) und (6-6) folgt:

(6-7)

Für Zweistoffgemische gilt yb = 1 – ya und damit als Teildruckverhältnis

ab

aa

b

a

x1P

xP

p

p

ba

a

ba

aa

pp

p

nn

ny

bbaa

aaa

PPPx

Pxy

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6. Rektifikation

- 87 -

(6-8)

Das Verhältnis der temperaturgleichen Dampfdrücke Pao und Pb

o der reinen Komponenten

binärer Gemische wird als relative Flüchtigkeit oder Trennfaktor bezeichnet.

(6-9)

Aus (6-7) und (6-9) folgt die Gleichung der Gleichgewichtskurve für eine ideale binäre

Mischung bei konstanter Temperatur und unter der Annahme, dass sich der Dampf ideal

verhält:

(6-10)

Eine Rektifikation wird allerdings normalerweise nicht bei konstanter Temperatur, sondern

bei konstantem Druck durchgeführt. Da noch von der Temperatur abhängt, nimmt man

näherungsweise für das arithmetische Mittel der Trennfaktoren, die für die Siedetemperatu-

ren Tsa und Tsb der reinen Komponenten berechnet werden:

(6-11)

Nicht ideale Gemische weichen in ihren Eigenschaften mehr oder weniger von denen der

Idealgemische ab. Die Abweichungen sind physikalischer und chemischer Natur, wie z.B.

Dipolmomente, Polarisation, inter- und intramolekulare Kräfte, Assoziationen und

Solvatationen. Diese Einflüsse bewirken Abweichungen vom Raoultschen Gesetz und werden

durch die Aktivitätskoeffizienten berücksichtigt.

6.3.2 Siede- und Gleichgewichtsdiagramme

Das Dampfdruckdiagramm beschreibt das Verhalten eines Zweistoffgemisches bei konstanter

Temperatur. In der Praxis werden Destillationen dagegen normalerweise (von Druckverlusten

über der Destillationskolonne abgesehen) isobar durchgeführt. Das Siedediagramm (T,x-

Diagramm) und das Gleichgewichtsdiagramm (y,x-Diagramm) stellen die Siedetemperaturen

und die Gleichgewichtszusammensetzungen der Phasen bei konstantem Druck dar. Abbildung

6-1b zeigt beispielhaft das Gleichgewichtsdiagramm der Idealmischung Benzol-Toluol bei

Normaldruck. Die Gleichgewichtskurve stellt den Zusammenhang her zwischen der

Flüssigkeitszusammensetzung xBenzol (Abszisse) und der Dampfzusammensetzung yBenzol

(Ordinate) im Gleichgewichtszustand. Der vertikale Abstand der Diagonale von der

Gleichgewichtskurve gibt den Unterschied zwischen Flüssigkeits- und Dampfzusammenset-

a

a

b

a

b

a

y1

y

y

y

p

p

b

a

P

P

a

aa

x11

xy

2

TP

TP

TP

TP

2

TT sbb

sba

sab

saa

sasb

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6.3 Phasengleichgewichte idealer, mischbarer Flüssigkeiten

- 88 -

zung an. Gleichgewichtsdiagramme bilden die Grundlage des grafischen Verfahrens nach

McCabe-Thiele zur Bestimmung der theoretischen Trennstufenzahl für die Gegenstromdestil-

lation.

Abbildung 6-1: (a) Siedediagramm und (b) Gleichgewichtsdiagramm des idealen Zweistoffgemisches

Benzol-Toluol bei 101.3 kPa

Zwei Siedediagramme nicht idealer Mischungen zeigt Abbildung 6-2.

Abbildung 6-2: (a) hochsiedendes Azeotrop (Aceton/Chloroform), (b) tiefsiedendes Azeotrop

(Aceton/Hexan)

Negative Abweichungen vom Raoultschen Gesetz mit Dampfdruckminimum nach Abbildung

6-2 a ergeben ein Siedediagramm mit Siedepunktsmaximum und eine positive Abweichung

mit Dampfdruckmaximum nach Abbildung 6-2 b ergibt ein Siedediagramm mit

Siedepunktsminimum. An den Siedepunktmaxima oder -minima berühren Siedekurve und

Kondensationskurve einander. Derartige als Azeotrope bezeichnete Gemische haben somit

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6. Rektifikation

- 89 -

konstante Siedetemperaturen und die Dampfzusammensetzung gleicht der Zusammensetzung

des flüssigen Gemisches.

6.4 Bestimmung der Trennstufenzahl

Bei Gleichheit der molaren Verdampfungsenthalpie aller Komponenten des Einsatzgemisches

verdampfen und kondensieren stets gleiche Molmengen. Auf der Annahme annähernd

gleicher molarer Verdampfungsenthalpien der Mischungskomponenten sowie vernachlässig-

barer Mischungswärmen baut die theoretische Betrachtung der Rektifikation nach W.L.

McCabe und E.W. Thiele (McCabe-Thiele-Diagramm) auf.

6.4.1 McCabe-Thiele-Diagramm bei totalem Rücklauf

Das McCabe-Thiele-Diagramm besteht im vereinfachten Fall des unendlichen Rücklaufs aus

der Gleichgewichtskurve der leichter siedenden Komponente und der Diagonalen x = y. In

einer Glockenbodenkolonne sprudelt der aufsteigende Dampf durch die auf dem Boden

gestaute Flüssigkeit, und das Siedegleichgewicht stellt sich auf jedem der Böden ein. Auf

einem idealen Boden stehen demnach der zum nächst höheren Boden aufsteigender Dampf

und die als Rücklauf zum nächst tieferen Boden abfließende Flüssigkeit im Gleichgewicht.

Abbildung 6-3 zeigt eine ideale, ohne Wärmeverluste arbeitende Glockenbodenkolonnen mit

drei Böden neben dem Gleichgewichtsdiagramm eines Zweistoffgemisches. Die Kolonne

wird ohne Destillatabnahme betrieben. Das in der Destillierblase vorliegende Zweistoffge-

misch enthält die tiefer siedende Komponente mit einem Molanteil xa1 und der aufsteigende

Gleichgewichtsdampf dieser Komponente mit einem Molanteil ya1. Dieser Dampf ergibt

kondensiert die Bodenflüssigkeit des unteren Bodens xa2 gleich ya1. Der von der Destillierbla-

se aufsteigende Dampf tauscht mit der Bodenflüssigkeit Wärme aus und verdampft die

Bodenflüssigkeit xa2 zu einem Gleichgewichtsdampf ya2, der aufsteigt, kondensiert und so die

Bodenflüssigkeit xa3 gleich ya2 des zweiten Bodens liefert. Dieser Vorgang setzt sich nach

oben von Boden zu Boden fort. Der vom dritten Boden aufsteigende Gleichgewichtsdampf

mit einem Molanteil ya4 an tiefer siedender Komponente kondensiert an der Kühlschlange zu

xa5 gleich ya4 und tropft als totaler Rücklauf zum dritten Boden zurück, der wiederum seinen

Flüssigkeitsüberschuß durch das Rücklaufrohr an den tieferen Boden abgibt, usw.. Würde

eine geringe Destillatmenge am Kühler abgezogen, so entspräche deren Zusammensetzung

einem Molanteil xa5 an tiefer siedender Komponente.

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6.4 Bestimmung der Trennstufenzahl

- 90 -

Abbildung 6-3: Gleichgewichtsdiagramm eines Zweistoffgemisches und dessen Rektifikation in einer

idealen Glockenbodenkolonne bei totalem Rücklauf (xa1 = x1; xa2 = x2; usw.)

Da der Anteil der tiefersiedenden Komponente in der Kolonne von unten nach oben zunimmt,

sinken die Siedetemperaturen der Bodenflüssigkeiten in gleicher Richtung. Die Vertikalab-

stände zwischen Diagonale und Gleichgewichtskurve kennzeichnen die Konzentrationsände-

rungen Flüssigkeit/Gleichgewichtsdampf in der Destillierblase und auf jedem Boden.

6.4.2 Theoretische Trennstufen

Die theoretische Trennstufe ist ein fiktiver Ort (Boden) innerhalb der Kolonne, wo sich das

Gleichgewicht zwischen den Phasen einstellen kann. Folgende Annahmen werden getroffen:

die Flüssigkeit ist ideal durchmischt

der Wärme- und Stofftransport zwischen Dampf und Flüssigkeit ist ideal

es herrscht Gleichgewicht zwischen den Phasen

der Dampf reißt keine Flüssigkeitstropfen mit

Da diese Bedingungen im Allgemeinen nicht auf einem praktischen Boden erfüllt werden, ist

die Einführung des Begriffes der theoretischen Trennstufe bzw. Trennstufenzahl notwendig.

Der Wirkungsgrad einer Kolonne ist das Verhältnis von theor. Trennstufenzahl zur Zahl der

wirklich benötigten Böden:

(6-12)

Eges nimmt für Glockenbodenkolonnen meist Werte zwischen 0.6 und 0.8 an. Da der örtliche

Wirkungsgrad (Bodenwirkungsgrad) innerhalb der Kolonne sich ändern kann, entspricht Eges

dem mittleren Bodenwirkungsgrad.

n

nE th

ges

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6. Rektifikation

- 91 -

Die theoretische Trennstufenzahl kann auch mathematisch erfaßt werden. Bei totalem

Rücklauf gilt Gleichung (6-10) für das thermodynamische Gleichgewicht zwischen der

flüssigen Phase mit der Zusammensetzung xa und ihrem Dampf ya, wobei x bzw. y der

Molenbruch der tiefer siedenden Komponente des Zweistoffgemisches ist. Durch Umformen

ergibt sich:

(6-13)

Infolge vollständiger Kondensation des Dampfes ya auf dem unteren Kolonnenboden entsteht

eine Bodenflüssigkeit

xb = ya (6-14)

und es folgt mit Gleichung (6-13):

(6-15)

Erneutes Verdampfen der Flüssigkeit xb läßt vom Boden einen Gleichgewichtsdampf yb

(6-16)

aufsteigen, der auf dem folgenden Boden zu

xc = yb (6-17)

kondensiert. Nach nth-maligem Wiederholen des Verdampfungs-Kondensations-Vorganges

wird anschließend ein Dampf ye erhalten,

(6-18)

d.h., es ist eine Potenzierung der Trennwirkung erreicht worden. Der Exponent nth gleicht der

notwendigen theoretischen Trennstufenzahl für das Anreichern der tiefer siedenden

Komponente von xa im Einsatzgemisch auf ye im Kolonnenkopf. Umformen der Gleichung

(2-9) ergibt die theoretische Trennstufenzahl bei unendlichem Rücklauf zu:

(6-19)

a

a

a

a

x1

x

y1

y

a

a

b

b

a

a

x1

x

x1

x

y1

y

a

a2

b

b

b

b

x1

x

x1

x

y1

y

a

an

e

e

x1

x

y1

yth

ln

y1x

x1yln

nea

ae

th

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6.4 Bestimmung der Trennstufenzahl

- 92 -

Diese theoretische Trennstufenzahl hat die Bedeutung einer Mindest-Trennstufenzahl nmin..

Die theoretische Trennstufenzahl der Rektifikation in Abb. 3 beträgt vier, analog den vier im

Gleichgewichtsdiagramm gezeichneten Stufen. Davon entfallen drei theoretische Trennstufen

auf die drei idealen Böden der Kolonne und eine Trennstufe auf die Destillierblase.

6.4.3 McCabe-Thiele-Diagramm bei endlichem Rücklauf

Bei realen Destillationsprozessen wird natürlich kein unendlicher Rücklauf eingestellt, da

dann auch keine Produktion erfolgen würde.

Die Destillatabnahme und damit verbunden das endliche Rücklaufverhältnis verändern das

Trennstufen-Gleichgewichtsdiagramm. Die Kolonne gelangt zu einem neuen Gleichgewichts-

zustand, da ein Teil der tiefer siedenden Komponente mit dem Destillat ne die Kolonne

verläßt. Die Vertikalabstände, die die Konzentrationsänderungen je Trennstufe angeben,

gehen dann nicht mehr von der Diagonalen aus, sondern von einer für die Trennaufgabe zu

bestimmenden Verstärkungsgeraden oder Arbeitslinie, deren Lage aus der Massenbilanz der

tiefer siedenden Komponente folgt.

Unter praktischen Verhältnissen fließt ein Teil des am Kolonnenkopf kondensierten

Dampfmassenstroms md als Rücklaufmassenstrom mr in die Kolonne zurück, während der

Endproduktmassenstrom me die Anlage als Destillat verläßt. Es gilt für die Kolonne die

Massenbilanz:

md = mr + me (6-20)

Eine gleiche Materialbilanz läßt sich aufstellen mit den Summen der Komponentenmolzahlen

des Dampfes nd, des Rücklaufes nr und des Destillates ne. Es gilt folgende Material-

Mengenbilanz:

nd = nr + ne (6-21)

Treten nd Mole Dampf mit einem Molanteil yb aus der Destillierblase kommend unten in die

Kolonne ein, tropfen nr Mole Rücklauf mit einem Molanteil xb aus der Kolonne in die Blase

zurück und verlassen ne Mole Destillat mit einem Molanteil xe den Kolonnenkopf, so gilt

für die Molbilanz der tiefer siedenden Komponente:

y nd = xb nr + xe ne (6-22)

Einsetzen der Materialgleichung (6-21) für nd und Umformen führt zu:

(6-23)

Man definiert nun das Rücklaufverhältnis oder Rücklaufzahl als:

eer

eb

er

rx

nn

nx

nn

ny

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6. Rektifikation

- 93 -

(6-24)

Diese Materialbilanz gilt allgemein nicht nur für die Destillierblase, sondern für jeden

theoretischen Boden. Aus 3.12 und 3.13 folgt dann allgemein:

(6-25)

Dies ist die Gleichung der Austauschgeraden (Arbeitsgeraden). Bei endlichem Rücklauf wird

stetig Produkt abgezogen; dieser Effekt lässt sich auf jedem einzelnen Boden verfolgen, wo

sich das Gleichgewicht ständig neu einstellen muss, indem leichter Siedendes an den Dampf

abgegeben wird. Die abfließende Flüssigkeit hat einen geringeren Anteil an leichter siedender

Komponente als der zu ihr aufsteigende Dampf.

Abbildung 6-4: Bestimmung der theoretischen Trennstufenzahl nach McCabe-Thiele

Der Zustand zwischen den Böden wird also nicht mehr durch Punkte auf der Diagonalen

ausgedrückt, sondern durch Punkte auf der Arbeitsgeraden. Die Steigung der Austauschgera-

den lässt sich nach Gleichung (6-25) angeben mit:

(6-26)

Je größer also das Rücklaufverhältnis, umso steiler verläuft die Austauschgerade, bis sie

schließlich bei unendlichem Rückfluß (tg = 1) mit der Diagonalen zusammenfällt.

e

r

n

n

1

xx

1y e

Gleichgewichtskurve

Arbeitsgerade ( = min)

Arbeitsgeraden bei

endlichem Rücklauf

Arbeitsgerade ( = )

1tg

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6.5 Betriebsbegriffe einer arbeitenden Kolonne

- 94 -

6.4.4 Bestimmung der theoretischen Trennstufenzahl

Das Einzeichnen der theoretischen Trennstufen erfolgt am Schnittpunkt b (siehe Abb. 4) der

Flüssigkeitszusammensetzung xb in der Destillierblase mit der Gleichgewichtskurve und wird

treppenartig fortgesetzt, bis die letzte Horizontale die Vertikale xe schneidet. Ebenso kann

umgekehrt auch bei Punkt a mit dem Einzeichnen der Stufen begonnen werden. Die

horizontalen Abschnitte der Stufen gehen nur bis zum Schnittpunkt mit der Verstärkungsge-

raden im Gegensatz zu dem Beispiel für totalen Rücklauf nach Abbildung 6-3. Die Anzahl der

theoretischen Böden ist abhängig von der Art des Gemisches, dem Rücklaufverhältnis, der

Belastung der Kolonne und weiteren Parametern.

6.4.5 Bestimmung des Mindestrücklaufverhältnisses

Um von einer bestimmten Blasenkonzentration xb zu der gewünschten Reinheit des Produktes

xe zu gelangen, gibt es ein Mindestrücklaufverhältnis, bei dem unendlich viele Trennstufen

benötigt würden. Vergrößert man das Rücklaufverhältnis, kann der gewünschte xe-Wert mit

endlich vielen Trennstufen erreicht werden. Der min.-Wert läßt sich nach Gleichung

(6-27)

berechnen, wobei ymin. der Achsenabschnitt der Geraden durch die Punkte a und b ist.

6.5 Betriebsbegriffe einer arbeitenden Kolonne

6.5.1 Belastung

Die Belastung ist eng verknüpft mit der Dampfgeschwindigkeit wd und der je Zeiteinheit

(bezogen auf den Kolonnenquerschnitt) durchgesetzten Substanzmenge G, die am Kolonnen-

kopf kondensiert und flüssig als Rücklauf R oder Erzeugnis E vorliegt:

(6-28)

Hierbei ist L das pro Zeiteinheit am Kolonnenkopf kondensierte Flüssigkeitsvolumen, l die

mittlere Dichte von L:

l = xa la + (1-xa) lb (6-29)

A ist die Kolonnenquerschnittsfläche:

A = r2 (6-30)

d ist die Dichte des Dampfes in G, wobei der Dampf als ideales Gas angesehen wird:

(6-31)

1

xy

min

emin,1

)ms(A

L

A

Gw 1

d

1

dd

md

TR

MP

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6. Rektifikation

- 95 -

P ist der mittlere Druck innerhalb der Kolonne:

(6-32)

P ist der Druckverlust und M die mittlere molare Masse von L:

M = xaMa + (1-xa)Mb (6-33)

Tm ist die mittlere Kolonnentemperatur:

(6-34)

l, P, xa, r, Tm werden gemessen, Ma, Mb, la, lb werden aus Handbüchern entnommen, und

damit ist wd bestimmt. Die Belastung F ist nun definiert als:

(6-35)

Für die Belastung ergeben sich folgende Grenzen:

die untere Belastungsgrenze bezeichnet man als den Punkt, an dem die Rektifikations-

anlage beginnt, voll zu arbeiten.

an der Mitreißgrenze wird die Trenngüte dadurch verringert, dass

Flüssigkeitströpfchen vom Dampf auf den nächst höheren Boden mitgerissen werden.

am Flutungspunkt ist die Strömungsgeschwindigkeit so hoch, dass die Flüssigkeit

nicht mehr von den Böden abfließen kann.

6.5.2 Druckverlust

Der Druckverlust ist eine unangenehme Begleiterscheinung der Einbauten und der

Flüssigkeit, die dem aufsteigenden Dampf einen Widerstand entgegensetzen. Er ist abhängig

von den Kolonnendimensionen, den Einbauten und von der Belastung bzw. der Dampfge-

schwindigkeit (Abbildung 6-5).

2

Pbar1P

2

TTT

SumpfKopfm

ddwF

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6.5 Betriebsbegriffe einer arbeitenden Kolonne

- 96 -

Abbildung 6-5: Druckverlust P in Abhängigkeit von der Dampfgeschwindigkeit wd für verschiedene

Einbauten

6.5.3 Rektifikationen in der Technik

6.5.3.1 Kolonnenbeschreibung

6.5.3.2 Geometrische Größen

Die Höhe der Kolonne hängt davon ab, bis zu welcher Reinheit ein Gemisch getrennt werden

muss und wie viele Trennstufen dafür benötigt werden. Der Durchmesser wird im Wesentli-

chen nach der Durchsatzmenge bemessen.

6.5.3.2.1 Einbauten

In einer Rektifikationskolonne wird der Stoff- und Wärmeaustausch zwischen beiden Phasen

durch innige Durchmischung an Einbauten wesentlich erhöht. Man unterscheidet grob

zwischen zwei Arbeitsweisen dieser Einbauten:

a) Die herabfließende Flüssigkeit wird auf gasdurchlässigen Böden angestaut. Der

Dampf steigt durch diese Flüssigkeitsschicht auf. In der dabei entstehenden Sprudel-

schicht findet der Stoffaustausch statt.

b) Die Kolonne ist mit Füllkörpern gefüllt, deren große Oberfläche von der herabfließen-

den Flüssigkeit benetzt wird. Hier kann im Kontakt mit dem Dampf der Austausch

sehr gut erfolgen.

6.5.3.3 Bodenkolonnen

6.5.3.3.1 Glockenbodenkolonnen

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6. Rektifikation

- 97 -

In Abständen von 60 – 1500 mm sind Böden in diesen Kolonnentyp eingebaut, die durch

Dampfzuleitungsrohre und Flüssigkeitsablaufrohre miteinander verbunden sind. Auf den

Böden wird die Flüssigkeit durch die Ablaufrohrhälse gestaut. Die Dampfzuleitungsrohre sind

durch eine in die Flüssigkeitsschicht tauchende Glocke bedeckt. Der vom unteren Boden

kommende Dampf muss daher um den Rand der Glocke herum in Blasen durch die

Flüssigkeitsschicht treten. Je nachdem, wie groß der Kolonnenquerschnitt ist, hat man bis zu

20 Glocken pro Boden. Der Glockendurchmesser beträgt im Allgemeinen 50 – 150 mm. Im

Laufe der Entwicklung haben sich verschiedene Glockenformen bewährt, sie funktionieren

aber alle nach demselben Prinzip.

Abbildung 6-6: a) konventionelle Glocke; b) Flachglocke; c) Sigwart-Glocke; c) Regenschirmglocke;

e) Varioflex-Glocke

Ausschlaggebend für das Einstellen des Gleichgewichtes zwischen beiden Phasen ist die

Höhe der Flüssigkeitsschicht, die davon abhängt, wie hoch das Ablaufrohr angesetzt ist.

Außerdem entstehen durch eine feine Zahnung der Glocken kleinere Blasen, wodurch ein

Austausch verbessert wird. Die Rücklaufrohre werden meist versetzt angeordnet, so dass die

Flüssigkeit auf ihrem Weg zum nächsten Ablaufrohr den ganzen Boden überqueren muss

(gegensinniger Fluss). Der aufsteigende Dampf erzeugt je nach den Eigenschaften der

Komponenten eine Schaum- oder Sprudelschicht direkt über der Flüssigkeit, in der noch

kleinste Flüssigkeitsteilchen vom Dampf mitgerissen werden (Mitreißgrenze).

6.5.3.3.2 Siebbodenkolonne

In Siebbodenkolonnen werden einfache durchlöcherte Metallplatten in die Kolonne eingebaut.

Der Dampf steigt durch die Löcher auf, die ablaufende Flüssigkeit wird durch den

Dampfdruck auf den Böden gestaut und fließt über Ablaufrohre hinunter. Sobald der

Dampfdruck aber einen Mindestwert unterschreitet, läuft die Kolonne leer. Dies ist ein großer

Nachteil der Siebbodenkolonne, da nach geringsten Störungen das Gleichgewicht wieder

vollkommen neu aufgebaut werden muss. Die Löcher der Siebböden haben im Allgemeinen

einen Durchmesser von 4 – 13 mm. Dadurch ergibt sich die Gefahr, dass die Löcher auf

Dauer verkrusten und eine sehr aufwendige Reinigung notwendig wird.

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6.5 Betriebsbegriffe einer arbeitenden Kolonne

- 98 -

Abbildung 6-7: Siebboden

6.5.3.3.3 Ventilbodenkolonnen

Ventilböden sind Siebböden mit Ventilklappen über den Löchern, die für eine gleichmäßige

Dampfgeschwindigkeit sorgen und ein Leerlaufen verhindern.

6.5.3.3.4 Tunnelbodenkolonnen

Abbildung 6-8: a) Aufsicht auf einen Tunnelboden; b) Schnitt A-A; c) seitliche Ansicht eines Tunnels

Tunnelböden sind den Glockenböden ähnlich, allerdings geschieht hier die Flüssigkeitsfüh-

rung gleichsinnig.

6.5.3.4 Füllkörperkolonnen

Füllkörper können aus Metall, Porzellan, Glas, Kunststoff oder Keramik bestehen. Auch in

ihren Formen gibt es zahlreiche Varianten: Raschig-Ringe, die gleich große Durchmesser wie

Höhen haben, Kugeln, die sich durch einfache Reinigung auszeichnen und kompliziert

geformte Metallspiralen und Sattelkörper.

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6. Rektifikation

- 99 -

Abbildung 6-9: a) Raschig-Ring; b) Pallring; c) Berlsattel; d) Intaloxsattel

Um sich eine Vorstellung von der resultierenden Oberfläche zu machen, hier ein Beispiel:

1 m3 Raschig-Ringe (15 mm Höhe und Durchmesser) entsprechen einer Oberfläche von

345 m2.

Um eine gleichmäßige Benetzung der Füllkörper zu erreichen, hat sich eine lose, unregelmä-

ßige Schüttung von exakt gleich großen Füllkörpern bewährt. Die Gefahr der Randgängigkeit

- dass sich nämlich Kanäle am Kolonnenmantel bilden - kann durch Ablenkbleche oder

eingezogene Zwischenböden bis zu einem gewissen Maß gemildert werden. Die

Randgängigkeit wird aber mit zunehmendem Kolonnendurchmesser immer größer.

Da für Füllkörperkolonnen der Begriff der theoretischen Trennstufe wenig anschaulich ist,

führt man den HETP-Wert ein, der die Packungshöhe in einer Füllkörperkolonne angibt, die

der Dampf durchlaufen muss, um die Wirksamkeit eines theoretischen Bodens zu erreichen.

Man erhält diesen Wert, indem man die gesamte Packungshöhe durch den aus dem McCabe-

Thiele-Diagramm entnommenen nth-Wert dividiert. Außerdem besteht bei Füllkörperkolonnen

die Möglichkeit, die Anzahl der kontinuierlichen Stoffübergangseinheiten (NTU-Wert) und

den HTU-Wert (Höhe dividiert durch NTU) zu berechnen.

An sonstigen, etwas abgewandelten Füllkörperkolonnen seien hier nur die Rieselkolonnen

und die Dünnschichtkolonnen, die für Trennungen besonders empfindlicher Gemische im

Vakuum eingesetzt werden, genannt.

6.5.3.5 Vergleich der Kolonnen anhand der Begriffe: Trennstufenzahl, Druckverlust,

Belastbarkeit

6.5.3.5.1 Trennstufenzahl

Füllkörperkolonnen haben pro m Kolonnenhöhe eine wesentlich bessere Trennwirkung als

Bodenkolonnen. Dies umso mehr, je größer die Oberfläche der Füllkörper ist.

6.5.3.5.2 Druckverlust

Der Druckverlust in Füllkörperkolonnen ist wesentlich geringer als in Bodenkolonnen.

Während in Ersteren nur der Strömungswiderstand der zurückfließenden Flüssigkeit zum

Druckabfall führt, setzt in Bodenkolonnen jede Flüssigkeitsschicht eine Summe von

hydrostatischen Widerständen dem aufsteigenden Dampf entgegen. Der Druckverlust muss

durch eine höhere Sumpftemperatur ausgeglichen werden. Die Bodenkolonnen sind somit

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6.5 Betriebsbegriffe einer arbeitenden Kolonne

- 100 -

energieaufwendiger und eignen sich nicht zur Trennung temperaturempfindlicher Gemische

im Vakuum.

6.5.3.5.3 Belastbarkeit

Füllkörperkolonnen sind erst kurz vor der oberen Belastungsgrenze am wirkungsvollsten.

Glockenbodenkolonnen dagegen sind in einem weiten Belastungsbereich einsetzbar.

6.5.3.6 Beurteilung von Kolonnentypen

Füllkörperkolonnen ermöglichen je nach Füllkörper eine schonendere und bessere Trennung.

Trotzdem werden in der Industrie häufig Boden-, vornehmlich Glockenbodenkolonnen,

eingesetzt, da sie sich für hohe Durchsatzmengen, d.h. großen Durchmesser (Randgängigkeit)

wesentlich besser eignen und aufgrund des hohen Betriebsinhaltes die Wirkung eines

Regelungsschrittes oder eines Störfalles gepuffert wird. Die Glockenbodenkolonnen laufen

selbst im Ruhezustand nicht leer. Füllkörperkolonnen eignen sich für empfindliche und

schwer zu trennende Gemische, oder wenn aus Platzmangel die Höhe der Kolonne beschränkt

ist.

6.5.3.7 Optimierung des Rücklaufverhältnisses

Neben der Frage nach der Art der Einbauten muss auch das Rücklaufverhältnis festgelegt

werden. Hier muss je nach gewünschter Reinheit des Produkts ein Kompromiss zwischen

Anschaffungspreis, also der Höhe der Kolonne, und laufenden Energiekosten eines hohen

Rücklaufverhältnisses gefunden werden. Abbildung 6-10 liefert hierzu zwei Optimierungs-

kurven:

Abbildung 6-10: a) Investitions-, Energie- und Gesamtkosten einer Kolonne in Abhängigkeit von der

Bodenzahl (nmin. = Trennstufenzahl bei unendlichem Rücklauf);

b) Zusammenhang zwischen Trennstufenzahl n und Rücklaufverhältnis

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6. Rektifikation

- 101 -

6.6 Versuchsbeschreibung und Versuchsauswertung

Anhand der Systeme Ethanol/n-Propanol oder Ethanol/Isopropanol sollen die Kenngrößen der

Praktikums-Kolonne ermittelt werden.

6.6.1 Berechnung der Gleichgewichtskurve

Gegeben sind die Dampfdrücke der reinen Komponenten bei den beiden Siedetemperaturen:

P°EtOH (97,8 °C) = 1571,0 Torr

PoEtOH (82,4

oC) = 891,1 Torr

PoEtOH (78,5

oC) = 765,2 Torr

Poi-PrOH (82,4

oC) = 765,2 Torr

Poi-PrOH (78,2

oC) = 653,1 Torr

P0n-PrOH (97,8°C) = 765,2 Torr

P0n-PrOH (78,5°C) = 400,0 Torr

Nach Gleichung (6-11) soll die relative Flüchtigkeit bestimmt werden, und mit Gleichung

(6-10) kann dann die Gleichgewichtskurve für eine ideale Mischung berechnet und graphisch

dargestellt werden.

6.6.2 Messungen bei unendlichem und endlichem Rücklauf

Man beachte, dass die Kolonne zwei Stunden zur Gleichgewichtseinstellung benötigt. Die

Zusammensetzung des Kopf- und des Sumpfproduktes soll als Funktion des Rücklaufverhält-

nisses bestimmt werden. Die Solltemperatur (proportional der Belastung) bleibt konstant bei

110 °C. Es wird nacheinander für zwei verschiedene Rücklaufverhältnisse gemessen, die über

das Programm „Dr. Kolonnel“ eingestellt werden. Diese werden vom Assistenten vorgegeben.

1) = 2) =

6.6.3 Versuchsauswertung

Nach Gleichung (6-11) soll die relative Flüchtigkeit bestimmt werden und nach Gleichung

(6-10) soll dann die Gleichgewichtskurve für die ideale Mischung Ethanol/n-Propanol bzw.

Ethanol/Isopropanol berechnet bzw. graphisch dargestellt werden.

Für die vom Assistenten angegebenen Rücklaufverhältnisse werden dann die Arbeitsgeraden

in das erstellte Diagramm eingetragen und daraus nach McCabe-Thiele die Bodenzahl der

Kolonne bestimmt.

6.7 Versuchsdurchführung

Die Siebbodenkolonne, die in Abbildung 6-11 dargestellt ist, hat eine Höhe von 1,3 m. Das zu

trennende Gemisch wird in den Sumpfkolben eingefüllt und von einem Heizpilz aufgeheizt.

Die Temperaturen im Sumpf, in der Kolonne und am Kolonnenkopf werden von Thermoele-

menten gemessen und von einem Rechner angezeigt. Die Kolonne hat 12 Siebböden. Der

Rückflussteiler am Kopf der Kolonne ist ein Elektromagnet, der über das Programm „Dr.

Kolonnel“ gesteuert wird. Das Rücklaufverhältnis wird mit Hilfe des Programms eingestellt.

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6.7 Versuchsdurchführung

- 102 -

Die Probennahme geschieht am Kopf und am Sumpf. Der Ablauf wird in einem Kolben

aufgefangen. Die Proben werden dann am Refraktometer analysiert. Für die Analyse der

Proben am Refraktometer werden jeweils die Brechungsindizes der Reinsubstanzen sowie

Mischungen der Substanzen in den Verhältnissen 90:10, 80:20, 70:30, 60:40, 50:50, 40:60,

30:70, 20:80 und 10:90 gemessen. Anhand der dadurch erhaltenen Kalibriergerade

(Zusammensetzung gegen Brechungsindex) kann die Zusammensetzung der Proben ermittelt

werden.

Abbildung 6-11: Skizze der Versuchsapparatur

Kühler

Durchflussmesser/

Rückflußteiler

optionale Temperaturmess-

stellen/

Probennahme

Feed-Strom-Zulauf

Sumpf

Überlauf/

Sumpfproduktabtrennung

Überlauf/

Sumpfproduktabtrennung

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6. Rektifikation

- 103 -

6.8 Abkürzungsverzeichniss

= relative Flüchtigkeit

A = Kolonnenquerschnittsfläche

Eges = Wirkungsgrad der Kolonne (mittlerer Bodenwirkungsgrad)

fi = Aktivitätskoeffizient der Komponente i

F = Belastung

H = Betriebsinhalt

Indices d,r,e,a,z

= Dampf, Rücklauf, Destillat (Erzeugnis), Ablauf, Zulauf

L = kondensiertes Flüssigkeitsvolumen

mi = Masse der Komponente i

Mi = molare Masse der Komponente i

ni = Molzahl der Komponente i

nth = theoretische Trennstufenzahl

= Rücklaufverhältnis

pi = Partialdruck der Komponente i

Pio = Dampfdruck der reinen Komponente i

P = Gesamtdruck

P = Druckverlust

i = Dichte der Komponente i

Tm = mittlere Kolonnentemperatur

Tsi = Siedetemperatur der Komponente i

Tu = Umgebungstemperatur

wd = Dampfgeschwindigkeit

wti = Massenbruch der Komponente i in der Flüssigphase

xi = Molenbruch der Komponente i in der Flüssigphase

yi = Molenbruch der Komponente i in der Dampfphase

6.9 Konstanten

A = 5.03 . 10

-3 m

2

Ma = 46.07 g mol-1

Mb = 60.11 g mol-1

1a = 0.7893 g cm-3

1b = 0.7855 g cm-3

R = 8.314 J K-1

mol-1

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- 105 -

7 Verweilzeitverhalten realer homogener und quasihomogener

Reaktoren

7.1 Theoretische Grundlagen

7.1.1 Bedeutung des Verweilzeitspektrums

Das oberste Ziel bei der Verfahrensentwicklung besteht stets in der Herstellung einer

möglichst großen Menge an marktfähigem Produkt bei möglichst geringem Einsatz an Zeit,

Energie und Material. Nachdem im Labor eine technisch interessante chemische Reaktion

gefunden und hinsichtlich Thermodynamik und Kinetik charakterisiert worden ist, besteht der

nächste Schritt auf dem Weg zu einem optimalen Prozess darin, den Reaktor für den

Industriemaßstab auszulegen.

Dabei muss nicht nur über Betriebsparameter wie Druck und Temperatur, sondern auch über

Form, Größe und Betriebsweise des Reaktors entschieden werden. Ein Reaktor kann

beispielsweise im Satzbetrieb (engl.: Batch) betrieben werden, d.h. befüllt, geschlossen und

nach Ablauf der Reaktionsdauer wieder entleert werden. Wird der Reaktor dagegen

andauernd mit einem Zustrom an Edukten versorgt und gleichzeitig am Reaktorausgang die

Produkte und nicht abreagierten Edukte abgezogen, spricht man von einem kontinuierlichen

Betrieb. Die Zeit, die den Reaktionspartnern bleibt, um im Inneren des Systems miteinander

zu reagieren, entscheidet dabei maßgeblich über die erzielbare Ausbeute. Ist die Reaktions-

dauer zu gering, bleibt ein Teil der Ausgangsstoffe ungenutzt. Verzögert sich andererseits der

Aufenthalt der Stoffe im Reaktor können unerwünschte Neben- und Folgeprodukte entstehen.

Obwohl in realen Systemen das Verhalten idealer Reaktoren niemals vollständig erreicht

werden kann, ergeben sich in der Praxis häufig Fälle, in denen der reale Reaktor von dem

eines idealen nur wenig abweicht, sodass die Gleichungen idealer Reaktoren zur Abschätzung

der Auslegungsparameter oder sogar zu einer zufrieden stellenden Reaktorberechnung

angewendet werden können. In anderen Fällen ist eine solche Betrachtung jedoch unzulässig,

da diese zu einer Fehlbeurteilung der Reaktorleistung und/oder der Produktqualität führt. Dies

gilt vor allem, wenn hohe Umsätze und, bei komplexen Reaktionssystemen, hohe Selektivitä-

ten gefordert werden.

Die Ursachen für das abweichende Verhalten sind vielfältig. In Rohrreaktoren können sich

radiale Konzentrations- und Temperaturunterschiede ergeben. Bei turbulenter Strömung

kommt es wegen der Geschwindigkeitsfluktuation zu einer axialen Dispersion, in gepackten

Rohren kann es zu ungleichmäßiger Strömung (Kanalbildung) kommen, während andere

Teile des Reaktors nur schlecht durchströmt werden (Totzonen). Unvollständig durchmischte

Zonen und damit Inhomogenitäten können auch in kontinuierlichen Rührkesseln (CSTR)

auftreten, vor allem bei viskosen Medien. Eine ungeschickte Anordnung von Zu- und Ablauf

kann dazu führen, dass ein Teil des Zulaufstroms den Reaktor verlässt, bevor er mit der

Reaktionsmasse vermischt werden kann (Kurzschlussströmung).

Ziel des Praktikumsversuches ist, den Einfluss der genannten Abweichungen vom

Idealverhalten auf die Leistung des Reaktors und die Zusammensetzung des Produktstroms zu

bestimmen. Prinzipiell wäre es möglich das Reaktorverhalten vorherzusagen, die hierzu

benötigten Informationen sind jedoch nicht zu beschaffen. Leichter zugänglich sind dagegen

Daten über die Eingangs- und Ausgangsströme des Reaktors. So lässt sich am Reaktoraus-

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7.1 Theoretische Grundlagen

- 106 -

gang bestimmen, wie sich das System auf eine am Eingang aufgezwungene Störung

verändert. Solche Antwortfunktionen können wertvolle Hinweise auf das Reaktorverhalten

geben und sind Grundlage für die Aufstellung von Reaktormodellen, die gemeinsam mit

kinetischen Modellen die Abschätzung der Leistung realer Reaktoren ermöglichen und als

Grundlage für die Auslegung dienen. Bei der Entwicklung komplizierter Reaktoren kann man

häufig nicht auf Literaturdaten zurückgreifen. In solchen Fällen werden die Untersuchungen

an Modellen durchgeführt, die dem geplanten Reaktor geometrisch ähnlich sind und in denen

keine chemischen Reaktionen ablaufen (Kaltmodelle).

7.1.2 Verweilzeitverteilung in chemischen Reaktoren

Die Zeit, welche ein Teilchen braucht, um den Reaktionsraum von Anfang bis Ende zu

durchwandern, ist bei kontinuierlichen Systemen nicht immer konstant und hängt von den

Strömungsverhältnissen im Reaktor ab. Ein wichtiges Charakteristikum eines Reaktors stellt

daher sein typisches Spektrum der Verweilzeiten dar, auch bezeichnet als Verweilzeitvertei-

lung E(t). Diese Verteilungsfunktion gibt an, welcher Anteil einer Menge von Fluidteilchen

(n0), die zum Zeitpunkt t = 0 in den Reaktor eingetreten ist, diesen nach einer bestimmten Zeit

t wieder verlässt. Die Dimension von E(t) ist: Bruchteil der Gesamtmenge pro Zeiteinheit.

(7-1)

Die Verweilzeitverteilung ist eine normierte Größe. Nach unendlich langer Beobachtungsdau-

er haben alle Volumenelemente den Reaktor wieder verlassen.

(7-2)

Für praktische Zwecke ist es notwendig, Verteilungsfunktionen durch wenige „Kenngrößen“

für die Lage und die Streuung zu kennzeichnen. Dies ist besonders nützlich, wenn

verschiedene Messungen miteinander verglichen werden sollten. Die Lage der Verteilung ist

durch ihren Mittelwert gekennzeichnet, wobei für das vorliegende Problem der Verweilzeit-

verteilung lediglich der arithmetische Mittelwert ( ) betrachtet wird, der dem ersten Moment

der Verteilungsdichte entspricht.

(7-3)

Als Maß für die Streuung der Verweilzeiten um den Mittelwert wird die mittlere quadrierte

Abweichung benutzt, die dem Moment 2. Ordnung bezüglich des Mittelwerts entspricht.

(7-4)

Durch die dimensionslose, auf die mittlere Verweilzeit τ normierte Zeit θ, lassen sich

Reaktoren unterschiedlicher Größe miteinander vergleichen.

(7-5)

Abbildung 7-1 zeigt beispielhaft den Verlauf einer solchen Verweilzeitverteilung.

00 n

tcV

n

tn)t(E

1)(0

dttEt

0

)(t

dttEt

0

22

0

22 )()()(tt

dttEtdttEt

t

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7. Verweilzeitverhalten realer homogener und quasihomogener Reaktoren

- 107 -

Abbildung 7-1: Verweilzeitverteilungsfunktion E(θ)

Die Teilflächen, die sich durch Integration eines beliebigen Zeitintervalls ergeben,

entsprechen dann dem Anteil der Teilchen, die im betreffenden Zeitintervall aus dem Reaktor

austreten. Beispielhaft beträgt in

Abbildung 7-1 der Wert der grau markierten Fläche 0,06. Der Anteil der Teilchen an der

Gesamtmenge, die das Zwei- bis Dreifache der mittleren Verweilzeit τ brauchen, um den

Reaktor zu durchwandern, liegt demnach bei 6 %.

7.1.3 Experimentelle Bestimmung der Verweilzeitverteilung

Die Verweilzeitverteilung für ein zu untersuchendes Reaktorsystem lässt sich in der Praxis

durch Markierungsexperimente erfassen. Dazu wird dem Fluidstrom am Reaktoreingang eine

inerte Substanz zugegeben (Markierungssubstanz oder Marker), deren Austreten aus dem

Reaktor anhand ihrer optischen, konduktiven oder radioaktiven Eigenschaften quantitativ

detektierbar ist. Der über die Zeit aufgezeichnete Konzentrationsverlauf des Markers im

Ausgangsstrom stellt die Systemantwort oder Übergangsfunktion auf eine vorgegebene

Anregung dar. Diese Methodik ist vergleichbar mit der Analyse elektronischer Komponenten

in der Regelungstechnik.

Der Strömungszustand sollte dabei unverändert bleiben, um zu gewährleisten, dass das

Verhalten der Markermoleküle repräsentativ für sämtliche Teilchen ist, die den Reaktor

durchwandern. Weiterhin darf der Marker die physikalischen Eigenschaften (z.B. Viskosität

und Dichte) des Reaktorinhaltes nicht beeinflussen, nicht von Reaktorteilen adsorbiert werden

und seine Zugabe sollte isokinetisch erfolgen.

Die Markerzugabe erfolgt in der Regel nach einer bekannten Funktion. Üblich sind

Pulsfunktion, Sprungfunktion, sinusförmige Änderungen oder auch Zufallssignale mit

bekannten Eigenschaften. Da die beiden erstgenannten Funktionen am häufigsten angewandt

werden, sollten diese hier eingehender erörtert werden.

7.1.3.1 Pulsfunktion

Bei dieser Art der Eingabe wird die gesamte Markierungssubstanz durch impulsartige Zugabe

innerhalb sehr kurzer Zeit zugegeben, so dass sich ein Konzentrationsverlauf in Form einer

Nadelfunktion am Eingang ergibt. Idealisiert betrachtet wird das für die Zugabe der

E(θ)

0,2

0,15

0,1

0,05

1 2 3 θ4

Ver

weil

zei

tver

teil

un

gE

)

5 6

0,25

Dimensionslose Zeit θ

E(θ)

0,2

0,15

0,1

0,05

1 2 3 θ4

Ver

weil

zei

tver

teil

un

gE

)

5 6

0,25

Dimensionslose Zeit θ

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7.1 Theoretische Grundlagen

- 108 -

Markierungssubstanz benötigte Zeitintervall unendlich kurz und der Konzentrationsverlauf

hat die Form eines Dirac-Impulses δ(t).

Abbildung 7-2: Pulsfunktion (links) und Sprungfunktion (rechts)

(7-6)

In der Praxis sollte die Eingabezeit klein sein im Vergleich zur mittleren Verweilzeit (

01,0t ).

Die Verweilzeitverteilung E(t) ergibt sich bei Stoßmarkierungsexperimenten unmittelbar aus

der am Ausgang aufgenommenen Messkurve. E(t) entspricht dem zum Zeitpunkt t

austretenden Stoffmengenstrom des Markers, bezogen auf die gesamte zugegebene

Stoffmenge n. Der Stoffmengenstrom entspricht dem Produkt aus Volumenstrom und

der Konzentration c, die am Ausgang gemessen wird. Die Stoffmenge n ergibt sich durch

Integration von über die gesamte Zeit.

(7-7)

Wie aus Gleichung (7-7) ersichtlich ist, genügt es bei konstantem Volumenstrom, den

gemessenen Konzentrationsverlauf auf das Integral der Konzentration zu beziehen.

(7-8)

Analog kann mit jeder gemessenen Größe verfahren werden, die zur Konzentration c direkt

proportional ist. Da in der Praxis eine endliche Anzahl i an diskreten Messwerten aufgezeich-

net wird, ersetzt man in der Formel für die Verweilzeitverteilung das Integral durch eine

Summe über alle Messwerte ci und das Differential dt durch den zeitlichen Abstand zwischen

den Einzelmessungen Δti. Somit ergeben sich für die Verweilzeitverteilung E(t) und die

mittlere Verweilzeit τ folgende Zusammenhänge.

(7-9)

(7-10)

Zum Vergleich von Reaktoren unterschiedlicher Größe lässt sich die dimensionslose

Verweilzeitverteilung nach Gleichung (7-11) berechnen.

cein

tt = 0

0tfür

0tfür0t

t

n

n V

n

dttcV

tcV

n

tntE

0

)(

00

)(

dttc

tc

dttcV

tcVtE

i

i

i

ii

tc

c)t(E

i

i

ii

0

t)t(Etdt)t(Et

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7. Verweilzeitverhalten realer homogener und quasihomogener Reaktoren

- 109 -

(7-11)

Ohne direkte Messungen im Innenraum, die sich zumeist schlecht realisieren lassen, gewinnt

man mithilfe der experimentellen Verweilzeitanalyse wertvolle Informationen über die

tatsächlichen Stofftransportverhältnisse in einem technischen Reaktor. Zur näheren

Berechnung und Modellierung des Reaktors vergleicht man dessen Verweilzeitspektrum mit

idealisierten Modellen.

7.1.3.2 Sprungfunktion

Bei einer Sprungfunktion wird die Konzentration eines Markers sprunghaft zur Zeit t = 0

geändert. Die aktuelle Markerkonzentration c(t) wird auf die konstante Eingangskonzentration

c0 bezogen. Die sich so ergebende dimensionslose Antwortkurve, auch als F-Kurve

bezeichnet, nimmt Werte zwischen 0 und 1 an und entspricht der Summenkurve der

Verweilzeitverteilung. Sie bezeichnet den Volumenbruchteil, der von Beginn der Zugabe bis

zum Zeitpunkt t der Messung den Reaktor durchströmt hat.

(7-12)

Den Zusammenhang zwischen der äußeren Verweilzeitverteilungsfunktion und der F-Kurve

gibt Gleichung (7-13) an. Die mittlere Verweilzeit erhält man aus der F-Kurve gemäß Gl.

(7-14) Da in der Regel die Messpunkte in regelmäßigen Zeitabständen Δt aufgenommen

werden, ist es aus praktischen Gründen vorteilhafter eine Integration über die Zeit vorzuneh-

men und Gl. (7-14)in Gl. (7-15) zu überführen.

''

0

dttEtF

t

; dt

dFtE (7-13)

1

0

1

00

FtdFtdttE

(7-14)

i

ii tFdtFFdtdFt 111

0

1

0

1

0

(7-15)

Für die Streuung um den Mittelwert erhält man analog

0

2

1

0

2

1

0

2

0

212 dtFtdFtdFtdttEt

(7-16)

7.1.4 Verweilzeitverteilung in idealen Reaktoren

Das Verhalten idealer Reaktoren wird beschrieben, bevor auf das Verweilzeitverhalten realer

Systeme eingegangen wird.

7.1.4.1 Ideales Strömungsrohr

Eines der theoretischen Reaktormodelle ist der ideale Rohrreaktor mit pfropfenförmigem

Strömungsprofil (engl.: plug flow tubular reactor, PFTR). Abbildung 7-3 zeigt eine

Schemazeichnung.

)()( tEE

0

)()(

c

tctF

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7.1 Theoretische Grundlagen

- 110 -

Abbildung 7-3: Idealer Rohrreaktor (PFTR)

Im idealen Rohrreaktor findet definitionsgemäß keine Rückvermischung statt. Alle Teilchen

fließen genau gleich schnell und haben demnach auch alle dieselbe Verweilzeit. Das ideale

Strömungsrohr wirkt lediglich als Verzögerungsglied, ohne die Form des Eingangssignals zu

verändern. Die Antwort auf eine Markierung in Form des Dirac-Impulses ist beim PFTR ein

auf der Zeitachse um die mittlere Verweilzeit nach rechts verschobener Dirac-Impuls. Das

gleiche gilt für die Sprungfunktion und deren Antwort.

(7-17)

Abbildung 7-4: Verweilzeitverteilungsfunktion des PFTR

7.1.4.2 Idealer kontinuierlich betriebener Rührkessel

Das Gegenstück zum idealen Rohrreaktor stellt der ideale, kontinuierlich betriebene

Rührkesselreaktor (engl.: continuous-flow stirred tank reactor, CSTR; Abbildung 7-5) dar.

Zustrom und Ausstrom sind gleich groß und es herrscht stets vollständige Rückvermischung.

Abbildung 7-5: idealer, kontinuierlich betriebener Rührkessel (CSTR)

Wird pulsförmig die Menge nges an Marker zugegeben, so stellt sich augenblicklich im

Reaktor die maximale mittlere Konzentration ein (Gl. (7-18)).

(7-18)

Der Konzentrations-Zeit-Verlauf kann dann aus der Stoffbilanz durch Integration ermittelt

werden. Der austretende Stoffmengenstrom entspricht dem Produkt aus Volumenstrom und

der Konzentration c(t), die am Ausgang und im gesamten Reaktor identisch ist.

(7-19)

1tE

0 1 2

E(θ)

θ

Rges Vnc /0

V

tcVtn

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7. Verweilzeitverhalten realer homogener und quasihomogener Reaktoren

- 111 -

Der austretende Stoffmengenstrom muss gleich groß sein wie die zeitliche Änderung der

Stoffmenge im Reaktor. Diese lässt sich ausdrücken als das Produkt aus Reaktorvolumen VR

und der zeitlichen Änderung der Konzentration:

(7-20)

Durch Trennung der Variablen lässt sich diese Differenzialgleichung lösen.

(7-21)

Wird von der unteren Grenze t0 = 0 mit der Anfangskonzentration c0 integriert bis t mit der

Konzentration c(t), so ergibt sich:

tV

V

c

tc

R

0

ln (7-22)

tV

V

c

c

R

exp

0

(7-23)

Die insgesamt zugegebene Stoffmenge n entspricht dem Produkt aus Anfangskonzentration c0

und Reaktorvolumen VR.

Rges Vcn 0 (7-24)

E(t) lässt sich mit den Zusammenhängen (7-19) und (7-24) folgendermaßen ausdrücken:

Rges Vc

Vc

n

tntE

0

(7-25)

Die mittlere Verweilzeit τ darf gleichgesetzt werden mit der hydrodynamischen Verweilzeit,

wenn die Dichte des Fluids als konstant angesehen werden kann. Die hydrodynamische

Verweilzeit ist definiert als Verhältnis des Reaktorvolumens zum Volumenstrom.

(7-26)

Einsetzen dieses Zusammenhangs in (7-23) und (7-25) ergibt schließlich für die Verweilzeit-

verteilungsfunktion E(t) des idealen, kontinuierlich betriebenen Rührkessels:

(7-27)

Eine Normierung auf τ führt zu Gleichung (7-28).

(7-28)

Abbildung 7-6: Verweilzeitverteilungsfunktion des CSTR

tcVdt

tdcVR

dtV

Vdc

tc R

1

V

VR

t

c

ctE exp

1

0

eE

0 1 2 3 4 5

E (θ

)

E(θ)

θ

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7.1 Theoretische Grundlagen

- 112 -

7.1.4.3 Laminare Rohrströmung

Ein Rohrreaktor mit laminarem Strömungsprofil nach Hagen-Poiseuille, skizziert in

Abbildung 7-7, gehört nicht zu den definierten Idealreaktoren. Er besitzt jedoch ein genau

bekanntes hydrodynamisches Verhalten, so dass sein Verweilzeitverhalten formelmäßig

beschrieben werden kann. Werden diffusive Effekte ausgeschlossen, liegt die unterschiedliche

Zeit, die ein Volumenelement im Reaktor verweilt, in dem ausgebildeten Geschwindigkeits-

profil begründet. Jedes Element durchströmt den Reaktor unbeeinflusst von anderen entlang

eines Stromfadens in konstanter radialer Position.

Abbildung 7-7: Laminare Rohrströmung nach Hagen-Poiseuille

Für die Geschwindigkeit auf den parallelen Stromlinien im Abstand r von der Rohrachse gilt,

mit der mittleren Geschwindigkeit die Gleichung (7-29). Im mittleren Bereich nahe

bewegen sich die schnellsten Teilchen, nach außen hin nimmt die Geschwindigkeit mit dem

Quadrat des Radius ab, und an der Rohrwand mit Radius R wird die Haftbedingung

erfüllt.

mit (7-29)

Es treffen daher am Reaktorausgang zunächst viele Teilchen sehr kurz hintereinander ein, die

nachkommenden Teilchen brauchen zunehmend länger. Den Funktionsterm der Verweilzeit-

verteilung des laminar durchströmten Rohrreaktors gibt Gleichung (7-30) an.

(7-30)

Die Mindestverweilzeit tmin eines Teilchens in einem Rohr der Länge L ergibt sich mit

aus Gleichung (7-29).

mit (7-31)

Der Anteil der Gesamtflüssigkeit, der sich in der Position y befindet und damit die

Verweilzeit t hat, ergibt sich aus der Fläche des Kreisringes mit dem Radius R nach

Gleichung (7-32).

(7-32)

Mit folgt:

(7-33)

für (7-34)

Durch Integration folgt die Verweilzeitsummenkurve.

2

2'

4

11

21

min

tdttEF

t

t

(7-35)

Die Verläufe der Verweilzeit- und Verweilzeitsummenfunktion ist in Abbildung 7-8

dargestellt.

u 0r

0u

2

2

max2

2

112)(R

ru

R

ruru

qA

Vu

32

1)(E

Rry /

)1()1( 2

min

2

max y

t

yu

L

u

Lt

22max

minu

L

u

Lt

dttERu

dRRu

uR

dRRu

V

Vd)(

222

0

2

0

)1(/ 2

min ytt

dtt

dtt

tdttE

3

2

3

2

min

2

2)(

35,0)()( tEE 5,0

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7. Verweilzeitverhalten realer homogener und quasihomogener Reaktoren

- 113 -

Abbildung 7-8: Verweilzeit- & Verweilzeitsummenfunktion eines laminaren Rohrreaktors

7.1.5 Verweilzeitverhalten realer Reaktoren

Reale Reaktoren weichen von den beiden Grenzfällen mehr oder weniger stark ab. Die

entscheidende Frage im Einzelfall ist daher, ob die Abweichungen so gering sind, dass eine

idealisierte Beschreibung zufrieden stellende Ergebnisse bringt oder eine komplexere

formelmäßige Beschreibung notwendig ist. Dabei wird der Reaktor nach dem Grad der in ihm

auftretenden Vermischung eingeordnet, der zwischen dem des idealen Strömungsrohres und

des kontinuierlich betriebenen Rührkessels liegt. Das aufgestellte Modell dient dann in

Verbindung mit dem kinetischen Modell zur Vorausberechnung der Reaktorleistung und der

realisierbaren Selektivitäten und Ausbeuten. Hierbei sollte man sich bewusst machen, dass

gerade technische Reaktoren aufgrund ihrer Größe nahezu immer vom Idealverhalten

abweichen.

Durch die Auswertung von Verweilzeitverteilungen können außerdem unerwünschte

Kurzschlussströmungen oder für die Reaktion nicht verfügbare Totzonen erkannt und

eventuell durch konstruktive Maßnahmen beseitigt werden.

7.1.5.1 Dispersionsmodell

Das Dispersionsmodell modelliert die Strömung durch den Reaktor als Überlagerung einer

Pfropfenströmung mit idealer Vermischung im Rohrquerschnitt und einer axialen Rückvermi-

schung, deren Stärke durch den axialen Dispersionskoeffizienten Dax angegeben wird. Die

Dispersion umfasst in dieser Betrachtung drei Phänomene, dargestellt in Abbildung 7-9. Die

Abweichung vom Pfropfenprofil ist bedingt durch die unterschiedlich schnellen Geschwin-

digkeiten der Teilchen, die sich auf verschiedenen Stromlinien durch den Reaktor bewegen,

durch die konvektive Vermischung aufgrund von Turbulenzen, und zu einem geringen Teil

durch molekulare Diffusion im Fluid. Da alle diese auf unterschiedliche Weise hervorgerufe-

0

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

4

0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5

Θ

E(Θ

)

0

0,2

0,4

0,6

0,8

1

F(Θ

)

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7.1 Theoretische Grundlagen

- 114 -

nen Ausgleichsvorgänge linear vom Konzentrationsgradienten abhängen, können diese

zusammengefasst und analog dem Fick’schen Gesetz behandelt werden.

Abbildung 7-9: Dispersionsmodell

In die allgemeine Stoffbilanz des Rohrreaktors wird zusätzlich zum Konvektionsterm ein

Diffusionsterm eingeführt.

(7-36)

Durch Zusammenfassen der Parameter und Einführen relativer Größen Θ=t/τ=t∙u/L und

Z=z/L folgt die dimensionslose Stoffbilanz.

(7-37)

Als dimensionslose Kennzahl wird die Bodensteinzahl Bo eingeführt, in die neben Dax noch

die mittlere Fließgeschwindigkeit u, sowie die Gesamtlänge L des Reaktors eingehen. Diese

kann als das Verhältnis von Konvektionsstrom zu axialem Diffusionsstrom aufgefasst

werden.

(7-38)

Für verschiedene Bodensteinzahlen kann der Verlauf der Verweilzeitverteilung E(Θ) nach

Gleichung (5-39) theoretisch berechnet und graphisch dargestellt werden (vgl. Abbildung

7-10).

(7-39)

Um die Bodensteinzahl eines realen Reaktors zu bestimmen, zeichnet man das experimentell

bestimmte Verweilzeitspektrum in ein solches Diagramm ein und überprüft, ob eine der

Lösungskurven aus dem Dispersionsmodell mit dem Versuchsergebnis in guter Näherung

übereinstimmt. Aus der so erhaltenen Bodenstein-Kennzahl kann der Dispersionskoeffizient

Dax berechnet und in der Bilanzierung des Reaktors verwendet werden. Die Dispersion ist

umso geringer, je größer Bo ist. Ein Reaktor mit unendlich großer Bodensteinzahl und daher

mit verschwindender Rückvermischung entspricht dem PFTR.

2

2

z

cD

z

cu

t

cax

2

2

2

2 1

Z

c

BoZ

c

Z

c

Lu

D

Z

cc ax

axD

LuBo

4

)1(exp

2

1)(

2 BoBoE

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7. Verweilzeitverhalten realer homogener und quasihomogener Reaktoren

- 115 -

Abbildung 7-10: Verweilzeitverteilungen nach dem Dispersionsmodell

Die Verweilzeitsummenfunktion kann durch Integration des Verweilzeitverlaufes gewonnen

werden. Analytische Ausdrücke sind für keine Kurve verfügbar.

7.1.5.2 Kaskadenmodell

Nicht immer findet sich mit dem Dispersionsmodell eine gute Übereinstimmung zur

Messkurve. Je weniger das untersuchte System einem typischen Rohrreaktor ähnelt, d.h. je

mehr Rückvermischung stattfindet, desto schlechter lässt es sich auf diese Art und Weise

beschreiben. Eine Alternative bietet, insbesondere bei Reaktortypen, die dem CSTR nahe

kommen, das Kaskadenmodell. Hier wird das reale, durch lokale Rückvermischung

gekennzeichnete Verhalten angenähert, indem der gesamte Reaktionsraum als eine

Hintereinanderschaltung von mehreren Kompartimenten betrachtet wird, für die das

Verhalten von idealen Rührkesseln unterstellt wird. In der gedanklich entstehenden

Rührkesselkaskade entspricht jeweils das Ausgangssignal des vorangehenden Kessels dem

Eingangssignal des nachgeschalteten Kessels. Mit dieser Annahme lässt sich die folgende

theoretische Verweilzeitverteilung berechnen:

(7-40)

Hierbei ist N die Anzahl der Einzelkessel. Die Graphen für verschiedene Kesselzahlen N, die

mit der im Experiment ermittelten Kurve verglichen werden können, finden sich in Abbildung

7-11.

0

0,5

1

1,5

2

2,5

0 0,5 1 1,5 2 2,5

Θ

E(Θ

)

10

5

20

50

Bo=100

4

1

)exp()!1(

)()(

1

NN

NNE

N

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7.1 Theoretische Grundlagen

- 116 -

Abbildung 7-11: E- und F-Kurve nach dem Kaskadenmodell

Je größer die theoretische Kesselzahl N ist, desto enger wird das Verweilzeitspektrum und

desto mehr zeigt sich rohrreaktorartiges Verhalten. Die Modellfunktionen aus dem

Dispersions- und dem Kaskadenmodell werden sich im Bereich für Bo > 50 sehr ähnlich und

es lässt sich folgender Zusammenhang zwischen beiden Kennzahlen herstellen:

(7-41)

Durch direkte Anpassung des Modellparameters N kann die berechnete Verteilungskurve an

die gemessene angepasst werden.

7.1.5.3 Weitere Verweilzeitmodelle

Die Beschreibung des Verweilzeitverhaltens von realen Systemen mit den vorgestellten

einparametrigen Modellen ist beschränkt auf relativ einfache Fälle. Treten z.B. großräumige

Rückströmungen, Kurzschlussströmungen oder Totzonen auf, so ist eine modellmäßige

Erfassung dieser Phänomene nur mit mehrparametrigen Modellen möglich. Grundelemente

dieser Modelle sind ideale Reaktoren, die auf verschiedene Weise miteinander kombiniert

werden. Mit wachsender Anzahl der Einzelelemente und damit wachsender Parameterzahl im

Modell wird es jedoch immer schwieriger, allein aus Messungen der Verweilzeitverteilung

physikalisch sinnvolle Parameterwerte zu ermitteln. Demzufolge muss die Vollständigkeit

eines Modells auf die zur Verfügung stehende experimentelle Information abgestimmt

werden.

7.1.6 Vermischung in realen Reaktoren (Segregation)

In den bisher dargelegten Überlegungen wurde davon ausgegangen, dass die Reaktionsmi-

schung bis in den molekularen Bereich hinein vermischt ist, wobei man von einem Mikrofluid

und maximaler Vermischung spricht. Niederviskose Flüssigkeiten und Gase fallen fast immer

in diese Kategorie. Bilden sich jedoch Volumenelemente aus etwa 1010

-1012

Molekülen aus,

so kommt es im molekularen Bereich zu Inhomogenitäten und somit zu örtlichen Konzentra-

tionsdifferenzen. Im Extremfall behalten diese Volumenelemente ihre Identität während der

gesamten Aufenthaltszeit bei und jedes Volumenelement verhält sich wie ein kleiner

0

0,5

1

1,5

2

2,5

0 0,5 1 1,5 2 2,5

Θ

E(Θ

)

N=50

20

10

5

4

2

1

50BofürN2Bo

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7. Verweilzeitverhalten realer homogener und quasihomogener Reaktoren

- 117 -

diskontinuierlicher Reaktor. Dieser Zustand wird als vollständige Segregation und die

Reaktionsmischung als Makrofluid bezeichnet. Vollständige Segregation liegt z.B. bei

Suspensionen oder Emulsionen vor, in denen die Reaktion in einem Partikel oder Tröpfchen

abläuft. Ein Konzentrationsausgleich zwischen den Elementen ist hier nicht möglich. In

einphasigen Systemen wird es dagegen, abhängig von der Diffusion im Fluid, zu einem

partiellen Austausch zwischen den einzelnen Volumenelementen kommen, sodass lediglich

eine partielle Segregation vorliegt. Das Ausmaß der Segregation in einphasigen Systemen

hängt von drei charakteristischen Zeitkonstanten ab. Der charakteristischen Reaktionszeit

(Relaxationszeit) tr der chemischen Reaktion, der Mikromischzeit tD, die die Ausgleichsvor-

gänge zwischen den Volumenelementen charakterisiert und der mittleren Verweilzeit τ, die

die Strömungsverhältnisse charakterisiert. Ist z.B. , so können sich die durch

Reaktion hervorgerufenen Konzentrationsunterschiede nicht genügend schnell ausgleichen

und es entstehen Volumenelemente unterschiedlicher Zusammensetzung. Gilt bei getrennter

Zuführung der Edukte , so kann keine ideale Vermischung der Reaktionsmasse

erwartet werden. Bei der Auslegung realer Reaktoren muss der Prozess auf Segregation

überprüft werden und entsprechend in den Berechnungen Beachtung finden. Für eine

genauere Betrachtung und formelmäßige Erfassung sei hier auf weiterführende Literatur

verwiesen.

7.2 Durchführung

Im Praktikumsversuch werden Sie an einem Rohrreaktor und einer Rührkesselkaskade im

Labormaßstab Verweilzeitanalysen durchführen. Durch Einspritzen einer eingefärbten 0,5 M

Kochsalzlösung werden Stoßmarkierungen gesetzt. Die Leitfähigkeit der Flüssigkeit, die der

Salzkonzentration proportional ist, wird durch Elektroden an mehreren Stellen im Reaktor

gemessen. Zusätzlich kann die Verteilung der Markierungssubstanz im Reaktor optisch

mitverfolgt werden.

Achten Sie während der gesamten Versuchdauer darauf, dass der Vorratsbehälter mit

VE-Wasser niemals leer läuft oder überläuft!

7.2.1 Rohrreaktor

Überprüfen Sie, ob die Kabel von den fünf Messstellen des Rohrreaktors am Mikrocontroller

angeschlossen sind. Am PC wird das Programm „Verweilzeit“ im Ordner „Praktikum

Verweilzeit“ auf dem Desktop gestartet. Stellen Sie nun die Benutzeroberfläche des

Messprogramms auf den Rohrreaktor um, indem Sie den Button Umschalten auf Rohrreaktor

anwählen. Es werden Messungen bei laminarer und bei turbulenter Durchströmung des

Rohres aufgenommen. Um den Nettowert der Leitfähigkeitserhöhung durch die Salzlösung

aufzuzeichnen, muss die stets vorhandene Grundleitfähigkeit des VE-Wasserstromes durch

einen Mausklick auf die Schaltfläche Kalibrieren zu 0 µS/cm gesetzt werden. Der Reaktor

muss hierzu mit VE-Wasser durchströmt werden. Stellen Sie einen Volumenstrom von etwa

4 L/min ein, indem Sie die Pumpenspannung auf 8 V einstellen.

Dr tt

Dt

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7.2 Durchführung

- 118 -

7.2.1.1 Laminare Strömung

Stellen Sie den Volumenstrom auf ca. 1 L/min ein, indem Sie die Pumpenspannung auf 2,6 V

stellen. Die Reynoldszahl liegt bei dieser Geschwindigkeit bei etwa 1200 und somit deutlich

unterhalb von 2300 und damit im laminaren Bereich.

(7-42)

d: Rohrdurchmesser

: Volumenstrom

u : mittlere Fließgeschwindigkeit

A: Querschnittsfläche

ν: kinematische Viskosität von Wasser

Befindet sich der Rohrreaktor im stationären Betrieb, klicken Sie auf Kalibrieren. Starten Sie

die Aufzeichnung der Messwerte durch Betätigen des Buttons Messwerte aufzeichnen. Geben

Sie ihrer Messdatei einen prägnanten Namen und wählen Sie als Speicherort einen separaten

Ordner auf dem Desktop. Bestätigen Sie das Fenster mit OK exakt in dem Moment, in dem

Sie die Stoßmarkierung setzen. Dazu spritzen Sie 2 ml der mit Tinte eingefärbten Marker-

Lösung zügig in die Mitte des VE-Wasser-Stroms.

Beobachten Sie, wie der Marker den Rohrreaktor durchwandert und stoppen Sie die Messung

durch Anwählen der Schaltfläche Aufzeichnung beenden, wenn das Wasser wieder überall

klar ist und wenn die Anzeigen aller Sensoren wieder bei dem Wert 0 µS/cm angekommen

sind. Wiederholen Sie gegebenenfalls die Stoßmarkierung und vergleichen Sie ihre optischen

Beobachtungen mit den gemessenen Leitfähigkeitskurven.

Die Beschreibung der optischen Beobachtungen und der Vergleich mit den Messwerten

ist Teil der Auswertung!

Machen Sie sich Stichpunkte zu folgenden Punkten:

Beschreibung der Stromfäden

Wirbelbildung

Vergleich maximale Färbung – maximale Leitfähigkeit

7.2.1.2 Turbulente Strömung

Überprüfen Sie den Füllstand des VE-Wasser-Behälters!

Stellen Sie die Drehzahl der Pumpe auf 8 V, so dass der Rohrreaktor von etwa 4 L/min VE-

Wasser durchflossen wird. Die Strömung ist nun turbulent.

(7-43)

Starten Sie erneut die Aufzeichnung in dem Moment, wenn Sie die Stoßmarkierung setzen

und beenden Sie die Aufzeichnung, nachdem die Marker-Lösung den Reaktor vollständig

durchlaufen hat durch Aufzeichnung beenden. Schalten Sie die Pumpe gleich nach Abschluss

der Messung aus.

23001200

4

d

V

A

dVduRe

V

23004600

4

d

V

A

dVduRe

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7. Verweilzeitverhalten realer homogener und quasihomogener Reaktoren

- 119 -

Auch hier machen Sie sich Stichpunkte zu den oben genannten Punkten.

7.2.2 Rührkesselkaskade

7.2.2.1 Schnelle Rührgeschwindigkeit

Stellen Sie nun die Benutzeroberfläche des Messprogramms auf die Rührkesselkaskade um,

indem Sie den Button Umschalten auf Rührkesselkaskade anwählen. Verbinden Sie die Kabel

zur Datenaufnahme der Kaskade mit dem Mikrocontroller. Drehen Sie den Dreiwegehahn in

die Position, dass die Kaskade durchströmt wird, schalten Sie das Netzgerät der Pumpe ein

und stellen sie die Spannung auf 3,5 V ein. Der Volumenstrom beträgt dann etwa 1,5 L/min.

Achten Sie stets darauf, dass das Wasser sich in keinem der Kessel zu stark anstaut – es darf

nicht in das Glasröhrchen in der Mitte überlaufen, da sonst die Kugellager der Rührerwelle

nass werden und die gesamte Kaskade zerlegt werden muss. Die Rührkesselkaskade muss

sich im stationären Betriebszustand befinden, wenn die Markierungslösung eingespritzt wird.

Schalten Sie auch den Rührermotor ein und stellen Sie die Geschwindigkeit auf Stufe 4.

Droht einer der Kessel zu voll zu laufen, drehen Sie umgehend die Pumpenspannung

niedriger, bis sich der Pegel wieder normalisiert hat!

Um den Nettowert der Leitfähigkeitserhöhung durch die Salzlösung aufzuzeichnen, muss

wiederum die vorhandene Grundleitfähigkeit des VE-Wasserstromes durch Mausklick auf die

Schaltfläche Kalibrieren zu 0 µS/cm gesetzt werden.

Die Sprungmarkierung erfolgt durch Einspritzen von 2 ml Marker-Lösung durch die Öffnung

im obersten Deckel. Betätigen Sie die Schaltfläche Messwerte aufzeichnen, wählen Sie die

Zieldatei und starten Sie die Messwertaufzeichnung durch Klicken auf OK in dem Moment,

in dem Sie die Stoßmarkierung setzen. Beobachten Sie, wie sich der Marker in den Kesseln

mit dem Wasser vermischt und nach und nach ausgewaschen wird. Warten Sie ab, bis die

Färbung überall verschwunden ist und am Bildschirm für alle Sensoren wieder der Wert

0 µS/cm angezeigt wird, bevor Sie auf Aufzeichnung beenden klicken.

7.2.2.2 Langsame Rührgeschwindigkeit

Es soll überprüft werden, wie sich die unvollständige Durchmischung bei geringerer

Rührerdrehzahl auf das Verweilzeitspektrum auswirkt. Verringern Sie dazu die Rührge-

schwindigkeit auf die niedrigste Einstellung und führen Sie eine weitere Messung durch.

7.3 Auswertung

Um E(t) zu erhalten, muss zunächst die Fläche unter den aufgenommenen Messkurven

durch numerische Integration bestimmt werden. Da die elektrische Leitfähigkeit ρ der

Lösung im vorliegenden Fall direkt proportional zur Markerkonzentration ist, können

ohne weitere Umrechnung die gemessenen Werte ρi verwendet werden, um die Ver-

weilzeitverteilung E(t) in der Einheit s-1

zu erhalten. Berechnen Sie für jede Messstelle

des Rohrreaktors und der Rührkesselkaskade die Verweilzeitverteilung E(t) und die

mittlere Verweilzeit τ nach Gleichungen (7-9) und (7-10). Geben Sie diese im Proto-

koll an und diskutieren Sie die Werte.

Normieren Sie die Zeit t nach Gleichung (7-5), um die dimensionslose Verweilzeitver-

teilung nach Gleichung (7-11) angeben zu können. Stellen Sie die dimensions-)(E

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7.3 Auswertung

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losen Verweilzeitverteilungen für jede Messstelle dar. Benutzen Sie hierzu für jeden

Versuch ein Diagramm, d.h. stellen Sie die fünf Messstellen pro Versuch in einem

Diagramm dar.

Berechnen Sie für jede Verweilzeitverteilung die dazugehörige mittlere quadrierte

Abweichung nach Gleichung (7-4) für jeden Versuch und erläutern Sie die Ergebnisse.

Betrachten Sie insbesondere die normierte Verweilzeitverteilung des Rohrreak-

tors und der Rührkesselkaskade im Ganzen, also die vom letzten Sensor aufgenomme-

ne Kurve. Skalieren Sie die Graphen so, dass Sie diese in das Diagramm für das Dis-

persionsmodell und für das Kaskadenmodell einfügen können. Lesen Sie so Bo und N

für die Reaktoren ab.

Vergleichen und diskutieren Sie des Rohrreaktors mit den Kurven der Kessel-

kaskade.

Welcher Unterschied (beobachtet, nicht berechnet!) ergibt sich für den hohen und

den niedrigeren Volumenstrom des Rohrreaktors. Erläutern Sie Ihre Beobachtungen

und gehen Sie auf die in Absatz 7.2.1.1 genannten Punkte ein.

Vergleichen Sie die Messkurve des ersten Rührkessels der Kaskade mit dem theoreti-

schen Verweilzeitspektrum des idealen kontinuierlichen Rührkessels (Abb. 5-6). Wel-

chen Unterschied sehen Sie zwischen den Ergebnissen bei hoher und bei niedriger

Rührgeschwindigkeit?

)(E

)(E

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8 Strömung durch Schüttungen (Wirbelschicht)

>> Link zum Skript