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Christian Zich Das Marketing-Praxisbuch 2018 Ein Webmasters Press Lernbuch Version 1.0.3 vom 22.03.2018 Autorisiertes Curriculum für das Webmasters Europe Ausbildungs- und Zertifizierungsprogramm — www.webmasters-europe.org —

Christian Zich Das Marketing-Praxisbuch 2018 · Persönlichkeitspsychologie und Archetypen in der ... Kreatives Storytelling oder einfache Präsentation? 159 ... Psychologie, München,

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Christian Zich

Das Marketing-Praxisbuch 2018Ein Webmasters Press Lernbuch

Version 1.0.3 vom 22.03.2018

Autorisiertes Curriculum für das Webmasters Europe Ausbildungs- und Zertifizierungsprogramm

— www.webmasters-europe.org —

Inhaltsverzeichnis13Vorwort

15Marketing — Was ist das und warum brauchen wir es?

15Marketing — ein Einstieg

16Die 4 P: Aufgabenbereiche im Marketing

17Marketingphilosophien: vom Marketing 1.0 zum Marketing 4.0

18Marketing 1.0: das goldene Zeitalter der Erfinder und der ungesättigten Märkte

19Marketing 2.0: profitabel überleben in gesättigten Märkten

24Marketing 3.0: Kundenloyalität und Kundenbindung als neuer Marketing-Hype?

25Marketing 4.0: Kundenverhalten, Neuromarketing, Digitalisierung und soziale Netzwerke

28Digital Marketing — eine abschließende Definition und Abgrenzung zum generellenMarketingbegriff

28Testen Sie Ihr Wissen!

30Märkte und Marktsegmentierung

30Investitions- und Konsumgütermärkte

31Die Bestimmung des relevanten Markts

34Marktsegmentierung und Zielgruppenbestimmung

35Geografische Segmentierungsvariablen

36Demografische Segmentierungsvariablen

37Segmentierungsvariable: Kaufverhalten

37Segmentierungsvariablen: Benutzung, Gebrauch, Konsumverhalten

37Psychografische Segmentierungsvariablen

38Segmentierung anhand technischer Parameter

39Testen Sie Ihr Wissen!

40Wie trifft ein Kunde Kaufentscheidungen?

40Der Start- und Angelpunkt aller Kaufentscheidungen: die Entstehung eines Bedürfnisses

44Steve Jobs legendäre iPhone-Keynote oder: Wie man Bedürfnisse weckt

45Das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit

48Alternativenbewertung: Das Rennen um die Spitzenposition in der Kaufentscheidungbeginnt

49Der Auswahlprozess in Form einer Bewertungsmatrix

52Die Bewertungsmatrix in der Praxis — ein Beispiel

57Moments of Truth: die Bewertung nach der Kaufentscheidung

59Übungen

60Testen Sie Ihr Wissen!

61»Verkaufen« — Was bedeutet das eigentlich? Und (wie) lassen sich Erkenntnisse aus derOffline- auf die Onlinewelt übertragen?

62Die drei wichtigsten Entscheidungen aus Kundensicht im Verlauf eines Verkaufsge-sprächs

63»Do I want to fix what's bothering me?«

67»What do I need in order to fix what's bothering me?«

68»Who am I going to allow to fix what's bothering me?«

69Fallbeispiel Thomann: Wie unterstützen Onlineplattformen die drei wichtigsten Entschei-dungen im virtuellen Selbst-Verkaufsgespräch?

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74Anleihen aus der realen Welt des Verkaufens oder: Was uns Menschen ein Einkaufserleb-nis verschafft

79Fachkompetenz

82Persönlichkeit

85Gesprächsatmosphäre

87Marktforschung leicht gemacht: Wie finden Sie heraus, ob Ihr Onlineshop verkauft odernicht?

89Case Study: Frühstücken mit den Jungs oder das Konzept von mymuesli als Beispiel füreine gelungene Unterstützung eines Selbst-Verkaufsgesprächs

93Übungen

94Testen Sie Ihr Wissen!

95Customer Journey: die Integration von Werbung und Vertrieb im Internetzeitalter

95Eigenschaften von Customer Touch Points

98Warum macht Shoppen im Internet so viel Spaß? Die Einkaufserlebnisse während derCustomer Journey

101Die Verknüpfung von Customer Touch Points zu Marketingkanälen

102Die Struktur von vertrieblichen Marketingkanälen

103Direkte Marketingkanäle

103Mehrstufige Marketingkanäle: Agenten, Vertriebspartner, Online- und Offlinehändler

105Die Grenzen der Messbarkeit von Customer Touch Points

106Die Optimierung einer Customer Journey mithilfe der Customer Touch Points

109Übungen

110Testen Sie Ihr Wissen!

111Die Anwendung der wichtigsten Grundkonzepte der Individual- und Sozialpsychologie imMarketing

111Persönlichkeitspsychologie und Archetypen in der Markenführung

112Die Trait-Factor-Theory

114Die Anwendung der Persönlichkeitstheorien in der Markenführung

115Passen Produktspektrum und Markenidentität zusammen?

118Der Archetypus

121Den Archetypus zum Leben erwecken und die Markenidentität zur Leitlinie für dasMarketing-Tagesgeschäft machen

123Weitere Überlegungen zur Entwicklung und Pflege einer Markenidentität

125Die Verwendung des Selbstbilds und -konzepts im Marketing

125Ideales, reales Selbstbild und das »Extended Self«

126Case: Selbstbild und Zielgruppenorientierung bei IKEA

128Das Selbstbild und die Verwendung von Testimonials in der Werbung

131Motivationen, Emotionen und Bedürfnisse

131Was ist eine Motivation?

132Arten von Motivationen

134Case: die Umsetzung von Motivationen im Webdesign von Polar

136Einstellungen

136Die Entstehung und die Komponenten von Einstellungen

139Übungen

139Testen Sie Ihr Wissen!

141Werbung ist ein Lernprozess unter widrigen Umständen

141Kommunikationsmodelle im Internetzeitalter

142Der pragmatische Wert der Information

144Sender-Empfänger-Kommunikationsmodell mit Berücksichtigung sozialer Netzwerke

145Das menschliche Gedächtnis, die Schlüsselkomponente menschlicher Informationsver-arbeitung — eine Übersicht

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146Das nichtdeklarative Langzeitgedächtnis

146Das deklarative Langzeitgedächtnis

147Semantische Netzwerke

149Die vier Hürden auf dem Weg zum Werbeerfolg

149Hürde 1: Aufmerksamkeit erhalten und Konzentration einfordern

149Hürde 2: Verständnisschwelle überwinden

150Hürde 3: hohe individuelle Bedeutung der Werbebotschaft

150Hürde 4: Ist die Werbebotschaft interessant für »echte« und virtuelle Freunde?

151Die Top-down- und Bottom-up-Informationsverarbeitung — Wie man einen viralen Hitmit den Werkzeugen der Informationsverarbeitung erklärt

153Testen Sie Ihr Wissen!

154Kampagnen- und Medienmanagement

154Content is King: die richtige Definition eines Kampagnenkerns

155Die inhaltliche Optimierung verschiedener Medien oder die Kunst, den richtigen Contentin der richtigen Menge auf dem richtigen Kanal zu präsentieren

156Kategorie 1: Multi-Phasen-Medien, die sowohl sachlich-informativ bzw. werblich-aktivie-rend sein können

156Kategorie 2: Single-Phasen-Medien, die entweder sachlich-informativ oder werblich-akti-vierend sein können

157Die Verpackung der Kernbotschaft oder: »Willkommen im Dickicht der Stilmittel«

159Stilmittel, Teil 1: Kreatives Storytelling oder einfache Präsentation?

163Stilmittel, Teil 2: Rationalisierung und Emotionalisierung

165Stilmittel, Teil 3: das Spiel mit verschiedenen Kulturen, Gruppenzugehörigkeiten undsozialem Status

167Stilmittel, Teil 4: Erzeugung eines Handlungsdrucks

168Übungen

168Testen Sie Ihr Wissen!

169Projekt- und Ablaufplan für die Durchführung einer Kampagne bzw. eines Marketingpro-jekts

169Prozessschritt eins: Marketingprojekt/Kampagne starten

170Prozessschritt zwei: der Kampagnenkern, das Briefing und die Festlegung des Budgets

170Der Medienmix

173Briefing

174Prozessschritt drei: Entwicklung und Überprüfung der Kreatividee

176Prozessschritt vier: Go-live, Schaltung und Erfolgskontrolle

177Übungen

177Testen Sie Ihr Wissen!

178Lösungen der Übungsaufgaben

181Lösungen der Wissensfragen

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3 Wie trifft ein Kunde Kaufentschei-dungen?

In dieser Lektion lernen Sie

➤ wie ein Bedürfnis entsteht.➤ welche Prozesse ablaufen, bis ein Kunde sich für ein bestimmtes Produkt entschieden hat.➤ welche Rahmenbedingungen für die Zufriedenheit bzw. die Unzufriedenheit des Kunden mit

einem Produkt verantwortlich sind.➤ welche Faktoren die Loyalität eines Kunden beeinflussen.

Ein Bedürfnis zu haben, ist die wichtigste Entscheidung, die ein Kunde trifft, dicht gefolgt von derbewussten Auswahl eines Produkts und damit der Entscheidung gegen das entsprechende Konkur-renzprodukt. Banale Erkenntnisse? Auf jeden Fall verbergen sich hinter diesen Entscheidungen hochspannende Mechanismen. Wir tauchen hiermit in die interessanten Tiefen der menschlichen Psyche ein,verbunden mit dem Ziel, dieses psychologische Wissen für Marketingentscheidungen zielgerichtet ein-zusetzen.

Der Start- und Angelpunkt aller Kaufentscheidungen: dieEntstehung eines Bedürfnisses

Die bewusste bzw. unbewusste Entscheidung, einen Wunsch, ein Verlangen, eben ein Bedürfnis zuhaben, ist der Ausgangspunkt aller weiteren Schritte im Kaufzyklus. Ohne Bedürfnis kein Kauf. Erstaun-licherweise nimmt diese Entscheidung trotz ihrer Wichtigkeit in klassischen Marketingbüchern wenigRaum ein. Meist wird nur kurz erwähnt, dass es Bedürfnisse gibt. Wir werden uns deutlich ausführlichermit dieser Thematik beschäftigen. Die folgenden Ausführungen basieren auf den Grundgedanken vonChristian Zich29 und Roger D. Blackwell et al.30, ergänzt um die Erkenntnisse aus der Individual-31 undSozialpsychologie32.

Was bedeutet »Bedürfnis«?

Beginnen wir mit einem Blick in den Duden, der zum Stichwort »Bedürfnis« folgende Bedeutungsanga-ben macht:

1. Wunsch, Verlangen nach etwas; Gefühl, jemandes, einer Sache zu bedürfen, jemanden, etwas nötig zuhaben

2. [materielle] Lebensnotwendigkeit; etwas, was jemand [unbedingt] zum Leben braucht

3. (veraltet) Notdurft

Quelle: http://www.duden.de/rechtschreibung/Beduerfnis, Zugriff 01.07.2017

Die drei verschiedenen Bedeutungen weisen auf zwei verschiedene Ebenen hin: Zum einen geht esum Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken und Sicherheit, also das Bedürfnis, ein Dach über dem Kopf

29. Zich, C.: Intelligente Werbung, Exzellentes Marketing, Erlangen, 2012

30. Blackwell, R. D./Miniard, P.W./Engel, J. F.: Consumer Behavior, Mason, 2006

31. Zimbardo, P. G./Gerrig, R. J.: Psychologie, München, 2004

32. Aronson, E./Wilson, T. D./Akert, R. M.: Sozialpsychologie, München, 2004

40 3 Wie trifft ein Kunde Kaufentscheidungen?

zu haben. Diese Bedürfnisse werden meist automatisch durch physische Prozesse gesteuert bzw. sindinstinktmäßig verankert. Zum anderen geht es um eine Kategorie, die sich eher auf einer emotionalenEbene bewegt. Dies kann sowohl das Bedürfnis nach menschlicher Nähe — auch wiederum in der Psy-che des Menschen verankert — als auch das Verlangen nach dem Besitz eines bestimmten Gegen-stands sein.

Die Bedürfnishierarchie von Maslow

Der US-amerikanische Psychologe Abraham Harold Maslow hat ein Modell entwickelt, das menschlicheBedürfnisse und Motivationen in einer hierarchischen Struktur beschreibt. Seine Bedürfnishierarchie33

ist bekannt als Bedürfnispyramide. Die Darstellung in Form einer Pyramide stammt jedoch nicht vonMaslow selbst.

Wir legen hier die von Maslow selbst erweiterte, achtstufige Bedürfnishierarchie aus dem Jahr 1970zugrunde. Neu sind »Transzendenz« als oberste Stufe und die zwei Ebenen der ästhetischen und derkognitiven Bedürfnisse.

Abb. 2 Die bis zur Transzendenz erweiterte, achtstufige Bedürfnishierarchie (1970) von Maslow34

Was verbirgt sich hinter den Kategorien? Zum besseren Verständnis beschreibe ich jede einzelne mit-hilfe von ein paar Stichworten:

➤ Physiologische Bedürfnisse: Bedürfnisse nach Nahrung, Wasser, Sauerstoff, Aktivität, Erholung,Sexualität

➤ Sicherheitsbedürfnisse: Bedürfnisse nach einer geschützten Umgebung, nach Stabilität, Behag-lichkeit, Ruhe, Ordnung

➤ Soziale Bedürfnisse: Bedürfnisse nach Zusammengehörigkeit, Freundschaft, Beziehungen, Part-nerschaft

➤ Individualbedürfnisse: Bedürfnisse nach Achtung, Wertschätzung, Anerkennung, Selbstachtung,Selbstwertschätzung

33. Lesetipp zur Bedürfnishierarchie von Maslow: C. George Boeree: Persönlichkeitstheorien; ABRAHAM MASLOW, Quelle:http://www.social-psychology.de/do/PT_maslow.pdf, Zugriff 04.10.2017

34. https://de.wikipedia.org/wiki/Maslowsche_Bed%C3%BCrfnishierarchie, Zugriff 25.09.2017

3.1 Der Start- und Angelpunkt aller Kaufentscheidungen: die Entstehung eines Bedürfnisses 41

➤ Kognitive Bedürfnisse: Bedürfnisse nach Wissen, Verstehen und Neuem

➤ Ästhetische Bedürfnisse: Bedürfnisse nach Ordnung und Schönheit

➤ Selbstverwirklichung: Bedürfnisse, das eigene Potenzial auszuschöpfen, sinnvolle Ziele zu haben

➤ Transzendenz: spirituelle Bedürfnisse, mit dem Kosmos im Einklang zu sein

Diese Kategorisierung ist ein Ausgangspunkt für unsere weitere Beschäftigung mit Bedürfnissen, sieerklärt aber leider nicht, wie diese entstehen. Wieso haben manche Menschen das Bedürfnis nachSelbstverwirklichung, wohingegen andere damit zufrieden sind, ohne Ziel und Plan in den Tag hineinzu leben? Offensichtlich haben diejenigen, die sich selbst verwirklichen wollen, eine Vorstellung vonihrer Zukunft bzw. sie streben — abstrakt formuliert — einen Sollzustand an. Dies kann ein beruflichesZiel (Karriere im Management) oder ein persönliches Ziel (ein Musikinstrument lernen, einen Marathonlaufen) sein. Aufgrund dieser Vorstellungen entsteht eine gewisse Unzufriedenheit mit dem aktuellenZustand. Im Gegensatz dazu ist derjenige, der in den Tag hinein lebt, anscheinend zufrieden mit seinerSituation und möchte nichts an ihr ändern. Er ist gewissermaßen in einer Balance zwischen Zukunft unddem Hier und Jetzt.

Modell zur Entstehung von Bedürfnissen

Damit sind wir schon mitten im Aufbau eines Modells zur Entstehung von Bedürfnissen. Es bestehtneben der individuellen Wahrnehmung des aktuellen Zustands aus insgesamt fünf Komponenten:einem gewünschten Zustand, der sich aus einer Problemwahrnehmung und einem Wunsch zusam-mensetzt, der Diskrepanz zwischen diesen beiden Polen und einem Entscheidungsfilter bzw. einerHemmschwelle, die jedes Verlangen überwinden muss, um zu einem konkreten Bedürfnis zu werden.In Abb. 3 sind diese Komponenten dargestellt.

42 3 Wie trifft ein Kunde Kaufentscheidungen?

Abb. 3 Modell zur Entstehung von Bedürfnissen

Um diese fünf Komponenten pragmatisch und praktisch zu erläutern, schauen wir uns auf YouTube diePräsentation des ersten iPhone im Jahre 2007 durch Steve Jobs an.35 Diese legendäre Keynote ist nicht

35. Die ausgewählte Präsentation dauert rund eine Stunde und zwanzig Minuten: https://www.youtube.com/watch?v=9hUIxyE2Ns8, Zugriff 04.10.2017

3.1 Der Start- und Angelpunkt aller Kaufentscheidungen: die Entstehung eines Bedürfnisses 43

3.1.1

nur ein brilliantes Beispiel für eine gelungene Verkaufsveranstaltung, sondern sie erklärt auch in hervor-ragender Weise die verschiedenen Komponenten des Modells.

Steve Jobs legendäre iPhone-Keynote oder: Wie man Bedürfnisseweckt

Nach einer kurzen Einleitung zu den wesentlichen Funktionen der Handys (Telefonieren, SMS, E-Mail,Internet), die Anfang 2007 auf dem Markt waren, beginnt Steve Jobs, sich mit den wesentlichen Defizi-ten dieser Produkte zu beschäftigen:

➤ Fehlende Benutzerfreundlichkeit: Jeder, der vor zehn Jahren ein klassisches Handy besaß, erinnertsich sicher noch gut daran, dass viele Funktionen des Handys tief in verschachtelten Menüs verstecktwaren und sich dadurch einer intensiven Benutzung entzogen. Es war einem auf unangenehme Artbewusst, nur einen Bruchteil der vorhandenen Funktionen und damit des Geräts ausnutzen zu kön-nen.

➤ Kleiner Bildschirm: Prinzipiell war das Surfen im Internet mit den damaligen Smartphones möglich,doch es machte schlicht keinen Spaß, sich auf den kleinen Bildschirmen Websites anzeigen zu las-sen, die selbstverständlich zu der Zeit auch nicht im responsive Design entwickelt waren. Auch dieNavigation mithilfe der damals üblichen Mini-Joysticks zog mehr Frust als Lust nach sich. Daherwurde dieses Angebot zu dieser Zeit nur in sehr geringem Umfang genutzt. Nach der Präsentationdes iPhone stiegen sukzessive die Datenraten bei Smartphones an.36

➤ Fixe Tastatur: Der Bildschirm musste in erster Linie deswegen so klein sein, damit auf der Fläche desSmartphones noch eine mehr oder weniger große Tastatur Platz hatte. Bei den Blackberry-Telefonenwar diese relativ groß, bei den einfachen, kleinen Handys eher klein und fummelig. Das Schreibenvon SMS-Nachrichten war von daher kein Vergnügen, wurde aber von den Kunden akzeptiert. DieEingabe einer URL dagegen oder die Suche im mobilen Internet stellten die Nutzer dagegen wirk-lich auf eine harte Geduldsprobe.

»Negative Unzufriedenheit« erzeugen: Defizite aus Kundensicht aufzeigen

Doch zurück zur Methodik. Was genau hat Steve Jobs gemacht? Um den Weg für das Bedürfnis nachdem iPhone zu ebnen, verdeutlicht er dem Kunden seine aktuelle Situation, indem er ihm die Defiziteder damaligen Smartphones vorführt. Aus der latent schwelenden Unzufriedenheit mit den existieren-den Geräten und Technologien macht er ein konkretes Problem. Wahrscheinlich haben sich bis zu die-sem Zeitpunkt viele Handybesitzer mehr oder weniger resignativ mit ihrer aktuellen Situation arrangiertoder überhaupt nie darüber nachgedacht, dass es ein Problem sein könnte. Einfach aufgrund der Tat-sache, dass es keine Alternative gab. Steve Jobs erzeugt mit dieser Präsentation auf geschickte Art undWeise eine »negative Unzufriedenheit« mit der Situation bzw. den Produkten, die aktuell auf dem Marktsind und stellt gleichzeitig eine Lösung in Aussicht.

Fassen wir zusammen: Steve Jobs hat 2007 nicht nur die Unzufriedenheit auf den Punkt gebracht, son-dern diese bei einer breiten Käuferschicht erst erzeugt. Seine Ausführungen beendet er mit der klarenAussage, dass er ein Gerät vorstellen werde, das nicht nur eine Vielzahl von Funktionen erfülle, sondernobendrein auch noch sehr einfach zu bedienen sei und sich damit durch eine für Apple typische Benut-zerfreundlichkeit auszeichne.

»Positive Unzufriedenheit« erzeugen: Wunsch nach besserem Leistungsangebot wecken

Dann beginnt der zweite Teil der Keynote. Steve Jobs stellt die verschiedenen Funktionen vor, in derAbsicht, ein Höchstmaß an Diskrepanz zwischen der frisch erzeugten Unzufriedenheit und der neuen,

36. https://www.heise.de/newsticker/meldung/70-000-verkaufte-iPhones-kurbeln-Datennutzung-an-183331.html undhttp://www.smartphonetarifevergleichen.de/beratung/newsdetails/archive/2008/01/28/article/2338-iphone-kunden-surfen-gerne-im-internet.html, Zugriff 04.10.2017

44 3 Wie trifft ein Kunde Kaufentscheidungen?

3.1.2

erstrebenswerten Welt des iPhone zu schaffen. Die Reihe der Argumente für den Kauf fängt an mitder innovativen Benutzeroberfläche, die auf einem großen Multitouch-Display und einer vollkommenneuen Software basiert, über die sich das iPhone mit den Fingern bedienen lässt. Dazu kommen dasBetriebssystem Mac OS X als Basis für iPhone OS respektive iOS, die einfache Einrichtung und Synchroni-sation mithilfe von iTunes sowie das Design, die Sensoren und Bedienungselemente.

Das internationale Fachpublikum war begeistert, und es gab sicher einige, die nach der Präsentationbeschlossen, dieses neue Mobiltelefon zu kaufen. Was ist aber mit dem Rest des relevanten Markts? EinFachpublikum zu begeistern, ist schon herausfordernd genug, aber eine breite Masse zu finden, die zuder Zeit so viel Geld für ein Smartphone ausgibt, ist deutlich schwieriger. Es leuchtet ein, dass das Miss-verhältnis zwischen der aktuellen Situation und dem Wunsch oder dem Verlangen sehr groß sein muss,damit aus einem »Na ja, ganz nett.« ein »Will ich sofort haben!« wird. Gibt es eventuell eine Möglichkeit,diese Diskrepanz bereits vor der Präsentation eines Produkts zu bestimmen und damit das Produktma-nagement in die richtige Richtung zu lenken?

Das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit

Ja, der Japaner Noriaki Kano entwickelte mit seinem Kano-Modell eine kundenzentrierte Denkweisezur Definition von Produktanforderungen. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die Messung derZufriedenheit von Kunden mit Produkten und deren Eigenschaften. Ein Kunde ist umso zufriedener, jemehr er sich für das Produkt begeistert. Auf Basis dieser Überlegungen entwickelte Kano verschiedeneMerkmalskategorien, die unterschiedliche Stufen der Zufriedenheit des Kunden auslösen:

➤ Basismerkmale: Produkteigenschaften, die so selbstverständlich sind, dass sie dem Kunden erstbewusst werden, wenn sie fehlen. Sind sie vorhanden, entsteht keine Zufriedenheit. Fehlen sie aber,führt dies zur Unzufriedenheit mit dem Produkt. Basisanforderungen sind zum Beispiel Airbags imAuto oder die Fernbedienung für den Fernseher.

➤ Leistungsmerkmale: Produkteigenschaften, deren Erfüllung Unzufriedenheit beseitigt bzw. Zufrie-denheit schafft. Wenn beispielsweise ein Auto einen geringen Kraftstoffverbrauch hat, ist der Kundezufrieden mit der Leistung des Autos. Kano postulierte einen linearen Zusammenhang in seinemModell, was besagt, dass die Zufriedenheit des Kunden mit einer Zunahme der Leistungsmerkmalelinear ansteigt.

➤ Begeisterungsmerkmale: Produkteigenschaften, die der Kunde nicht erwartet, die ihn begeisternund das Produkt von der Konkurrenz abheben. Bei einem Auto können beispielsweise Fahrerassis-tenzsysteme eine solche Begeisterung hervorrufen. Kano postulierte, dass die Kundenzufriedenheitmit Begeisterungsmerkmalen überproportional steigt.

➤ Unerhebliche Merkmale: Produkteigenschaften, die weder Einfluss auf die Zufriedenheit noch aufdie Unzufriedenheit des Kunden haben, unabhängig davon, ob sie vorhanden sind oder fehlen. Beieinem Auto können dies bestimmte Sonderausstattungen sein, die im Rahmen eines Pakets mitge-liefert werden, für die Zielgruppe aber nicht von Belang sind.

➤ Rückweisungsmerkmale: Produkteigenschaften, die, wenn sie vorhanden sind, zur Unzufrieden-heit führen. Fehlen sie, schaffen sie jedoch keine Zufriedenheit. Am Beispiel Auto könnte das Imageder Marke für verschiedene Zielgruppen ein Grund für die Ablehnung eines bestimmten Modellssein.

Das Kano-Modell kann durchaus als kleine Revolution bezeichnet werden, denn es schärft den Blick allerAbteilungen für die Sichtweise des Kunden und hilft gleichzeitig dabei, sich aktiv Gedanken darüberzu machen, wie sich das eigene Produkt von den Konkurrenzprodukten abgrenzen lässt. Richtig ange-wandt, entsteht von Anfang an ein wettbewerbsfähiges Produkt: Man sorge dafür, dass das Produkt100 Prozent Basismerkmale aufweist, und baue darüber hinaus gezielt Leistungs- und Begeisterungs-merkmale ein.

3.1 Der Start- und Angelpunkt aller Kaufentscheidungen: die Entstehung eines Bedürfnisses 45

Das Kano-Modell praktisch angewandt

Um das Kano-Modell in Kombination mit den Ausführungen zur Bedürfnisgenerierung praktisch anzu-wenden, sehen wir uns noch einmal die Präsentation des iPhone genauer an und analysieren die Funk-tionen, die Steve Jobs vorstellt:

➤ Touchscreen

➤ Betriebssystem

➤ Synchronisation mit iTunes

➤ Minimalistisches Design

Die genannten Punkte werden wir etwas genauer anhand der verschiedenen Teilfunktionen betrach-ten, denn nur eine vertiefte Analyse offenbart das Fundament der Erfolgsgeschichte des iPhone.

Touchscreen

Erzeugung von Unzufriedenheit: Die kleinen Bildschirme der Handys verhinderten, die Geräte aus-giebig zu nutzen, um im Internet zu surfen, ein Dokument darzustellen oder sich einen Film anzusehen.Man merkte relativ deutlich, dass sich das Hauptanwendungsfeld der meisten damaligen Smartphonesmit den Aufgaben Telefonieren, SMS-Schreiben und, vielleicht in eingeschränktem Maße, Musikhörenbeschreiben ließ. Die Unzufriedenheit mit existierenden Lösungen konnte durch Steve Jobs Präsenta-tion erzeugt bzw. bekräftigt werden.

Erzeugung eines Verlangens: Alleine durch die Demonstration des Safari-Browsers, der Cover-Flow-Technik und die Vorführung eines Videos wurde vielen klar, welche zusätzlichen Möglichkeiten dasiPhone bot: Endlich konnte man wirklich im Internet surfen, Dokumente in einer vernünftigen Größedarstellen und die eigene Musiksammlung bequem durchstöbern, um nur einige zu nennen.

Kano-Kategorien: Die Größe des Touchscreens und die Art der Bedienung sind eindeutig ein Begeis-terungsmerkmal, so gut wie unabhängig von verschiedenen Zielgruppen. Während Geschäftsleute sichbeispielsweise vorstellten, endlich Powerpoint-Präsentationen und andere Dokumente auf dem Handylesen zu können, waren andere begeistert von der Möglichkeit, sich auf dem Handy Filme und TV-Serienansehen zu können.

Betriebssystem, verbunden mit der für Apple typischen Bedienphilosophie

Erzeugung von Unzufriedenheit: Durch die proprietären Betriebssysteme limitierten die Herstellervon Anfang an die Einsatzmöglichkeiten der Smartphones. Nachdem der kleine Bildschirm die Einsatz-möglichkeiten deutlich einschränkte, machte es auch nicht viel Sinn, über bestimmte Basisanwendun-gen hinauszugehen. In diesem Fall musste man sich als Anwender auch gar nicht großartig Gedankenüber die Bedienphilosophie machen. Was dagegen Apple mit dem iPhone anbot, war ein Riesensprungnach vorn: ein Gerät — einfach einzustellen, intutiv und damit einfach zu bedienen etc.

Erzeugung eines Verlangens: Da PC-Betriebssysteme eine große flexible Plattform darstellen, aufder beliebig viele Anwendungen bzw. Programme laufen können, war mit der Vorstellung des ersteniPhone-Betriebssystems das unausgesprochene Versprechen verbunden, dass alleine durch die Bereit-stellung der Plattform vollkommen neue Einsatzmöglichkeiten geschaffen worden waren. Sieht mansich die verschiedenen Apps an, die in den Stores der verschiedenen Hersteller verfügbar sind, so kannjeder Kunde sein Handy entsprechend seinen Vorstellungen, Anforderungen und Vorlieben entspre-chend anpassen. Ein weiterer Vorteil war die flexible Anpassung der Oberfläche an die entsprechendenAnwendungen. Die Präsentation der Bildschirmtastatur und der Autokorrektur in Kombination mit derSMS-/Safari-App zeigte die deutliche Verbesserung gegenüber existierenden Smartphones auf.

Kano-Kategorien: Auch das Betriebssystem und die damit verbundene Bedienphilosophie sind ein-deutig ein Begeisterungsmerkmal für viele Kundengruppen. Ob es für die meisten Kunden zu diesemZeitpunkt erkennbar war, lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, aber die Möglichkeit, seineigenes Handy individuell zu konfigurieren, ist sicher einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren der moder-

46 3 Wie trifft ein Kunde Kaufentscheidungen?

nen Smartphones. Für die Apple-Kunden ein sicher eindeutiges Signal, dass endlich auf dem Handy diegleiche Bedienphilosophie wie auf dem Mac möglich ist. Darüber hinaus bietet ein nichtproprietäresBetriebssystem auch eine ideale Plattform für die Entwicklung von Programmen. Die Zielgruppe wareneindeutig Entwickler.

Synchronisation mit iTunes

Erzeugung von Unzufriedenheit: Viele Handynutzer werden sich noch mit Grausen an die verschie-denen proprietären PC-Suiten erinnern, die umständlich zu bedienen waren und oftmals nicht daserwünschte Ergebnis brachten. Allerdings gilt es hier, zwischen Apple-Kunden und allen anderen zuunterscheiden. Erstere waren durchaus eine komfortable Synchronisation mit dem iPod gewöhnt, diezuletzt Genannten eher nicht.

Erzeugung eines Verlangens: Da sich die Synchronisation zu diesem Zeitpunkt nur durch die Verbin-dung des Handys mit dem Computer herstellen ließ, blieb es noch immer eine holprige Angelegenheit,verglichen mit den heutigen Möglichkeiten, Daten über die Cloud zu synchronisieren.

Kano-Kategorien: Die Synchronisation mit iTunes ist allerhöchstens ein Leistungsmerkmal. Insbeson-dere für bestehende Apple-Bestandskunden dürfte sie eher ein Basismerkmal sein.

Minimalistisches Design

Erzeugung von Unzufriedenheit: Gleich wie die Tastaturen zu dieser Zeit aussahen — sie warenunkomfortabel zu bedienen, in den meisten Fällen waren die Tasten schlichtweg zu klein. Darüber hin-aus führten die vielen Tasten und die komplizierte Bedienung eher zur Nutzung der Hauptfunktionenund zur Vernachlässigung zusätzlicher Funktionen. Manch ein Benutzer hatte immer das Gefühl, dass ernur einen Bruchteil des Potenzials wirklich nutzte.

Erzeugung eines Verlangens: Durch das minimalistische Design, die wenigen Knöpfe und das durch-dachte Bedienkonzept schaffte es Apple, ein optisch ansprechendes Telefon vorzustellen. Heute eineSelbstverständlichkeit, damals ein Quantensprung.

Kano-Kategorien: Auch hier muss man zwischen verschiedenen Kundengruppen unterscheiden. Fürdiejenigen, denen Design und tolle Optik wichtig ist, ist das minimalistische Design ein Begeisterungs-merkmal. Für andere Kundengruppen stellt es nur ein unerhebliches Merkmal dar: »Nice to have«.

Die exemplarischen Ausführungen zum iPhone zeigen, dass ein Produkt eine umso höhere Erfolgs-chance haben kann, je größer die Anzahl der Leistungs- und Begeisterungsmerkmale für möglichstviele verschiedene heterogene Zielgruppen ist. Die subjektiv empfundene Diskrepanz zwischen aktuel-lem und zukünftigen Zustand wird umso höher, je größer das Verlangen nach bestimmten Funktionenund Eigenschaften des Produkts bzw. je intensiver das subjektive Problemempfinden ist.

Hemmschwellen abbauen

Die letzte Hürde auf dem Weg zur Entstehung eines Bedürfnisses ist die Hemmschwelle. Darunter ver-steht man jedes mentale Hindernis, das ein Individuum davon abhält, ein Bedürfnis zu entwickeln.Beispiele dafür sind der Kaufpreis (eventuell zu hoch), moralische Bedenken (»So etwas kauft mannicht.«), kulturelle Schranken (amerikanische Produkte im Nahen Osten) oder der Druck aus dem sozia-len Umfeld (»Kosmetik ist nichts für Männer!«).

Steve Jobs reduziert in seiner Präsentation an mehreren Stellen die Hemmschwelle. Relativ am Anfangverweist er darauf, dass die Einrichtung und Synchronisation des iPhone mithilfe von iTunes funktioniert,ganz im Gegensatz zu den damals üblichen proprietären Lösungen der anderen Handyhersteller. Wollteman diese mit dem eigenen Computer synchronisieren, so musste man sich immer eine extra Softwareauf den Rechner laden. Da davon auszugehen ist, dass zu diesem Zeitpunkt schon viele potenzielle Kun-den mit iTunes vertraut waren und diese Software auf dem Rechner hatten, baute Jobs hier nicht nureine Hemmschwelle ab, sondern lieferte gleichzeitig auch ein zusätzliches Verkaufsargument.

3.1 Der Start- und Angelpunkt aller Kaufentscheidungen: die Entstehung eines Bedürfnisses 47

3.2

Gegen Ende der Präsentation führt Steve Jobs neben den vielen Vorteilen noch ein finales Argumentan, warum der Preis so hoch ist: Der Kunde erhalte nicht nur ein Telefon, sondern auch einen hochwerti-gen Breitbild-iPod mit Touchscreen. Statt wie früher zwei Geräte anzuschaffen, reiche jetzt eines. Damitleitete er zwar den Niedergang der tragbaren Mediaplayer ein, doch für Apple hat es sich gelohnt.

Die Rolle der Hemmschwelle bei der Bedürfnisgenerierung

Die Wahrnehmung einer Hemmschwelle kann dazu führen, dass eine Leistung oder ein Produkt ent-weder vollkommen aus der »mentalen Wunschliste« des Individuums verschwindet oder die Entschei-dung darüber in die Zukunft verschoben wird. Gerade im Falle von Produktkategorien, die so neu aufdem Markt sind, dass kein Benutzer mit ihnen Erfahrungen gesammelt hat, ist es von großer Bedeu-tung, von Anfang an entweder das Produkt so unwiderstehlich zu machen, dass der Kunde nicht »Nein«sagen kann oder aber nachhaltig die Hemmschwellen für den Kauf zu senken. Aber Vorsicht, erkenntder Adressat auf Seiten des Produkts keinen wirklichen Benefit, so nutzt beispielsweise auch ein niedri-ger Einführungspreis nichts. Der potenzielle Kunde ist schlichtweg der Meinung, dass selbst ein gerin-ger Preis kein Grund für einen Kauf ist. Der größte Glücksfall für den Marketer tritt dann ein, wenn diewahrgenommene Diskrepanz zwischen aktueller und gewünschter Situation so hoch ist, dass sich derWunsch nachhaltig im Gedächtnis der Zielgruppe verankert, sodass er fortan das Denken und Handelnbestimmt.

Neben den oben genannten Aspekten spielt aber auch die subjektive Einschätzung der Erreichbarkeiteiner gewünschten Situation eine große Rolle. Wird diese als schwer erreichbar oder unerreichbareingestuft, stockt hier der Entscheidungsprozess. Sieht dagegen der Betrachter seinen zukünftigenZustand als leicht erreichbar an bzw. wird dies von der Werbung suggeriert, so neigt er unter Umstän-den dazu, die Handlungsschwelle relativ schnell zu überwinden. Aber Vorsicht! Man sollte die Kraft derMotivationen nicht unterschätzen. Vielleicht wird gerade durch die Adressierung bestimmter Ideale dieschwere Erreichbarkeit kompensiert. Denken Sie nur an die Fitness-Werbungen, die versprechen, dassdas Abnehmen mit der beworbenen Methode kinderleicht wird, dass sich das Programm selbstver-ständlich an die Gewohnheiten des Nutzers anpasst und problemlos zu Hause durchführen lässt. Bei-spielhaft ist der TV-Spot 2016 von Gymondo.37

Man kann nicht oft genug betonen, dass es keinen Sinn macht, Kunden etwas vorzugaukeln und ihneneine falsche Einfachheit in Aussicht zu stellen. Spätestens bei der Benutzung des Produkts werden siefeststellen, dass die Versprechungen in der Werbung zu blumig waren und die Realität nicht den Erwar-tungen entspricht. Die Folge wäre eine Unzufriedenheit der Kunden mit dem Produkt, vielleicht sogarmit dem Unternehmen. Nicht selten verschaffen sich unzufriedene Kunden zudem Gehör — sei es inForm von negativen Rezensionen oder sei es in Form von Shitstorms in den sozialen Netzwerken.

Der erste Schritt auf dem Weg zum Kauf ist getan. Der Kunde hat erkannt, dass er ein Bedürfnis hat.Damit ist aber noch nicht die Kaufentscheidung besiegelt. Vielmehr wird sich der Kunde im nächstenSchritt überlegen, wie die Lösung für sein Problem bzw. die Erfüllung seines Wunsches aussehen kann,denn das Bedürfnis ist eher produkt- und markenunabhängig. Im nächsten Schritt aber wird die kon-krete Entscheidung direkt vorbereitet.

Alternativenbewertung: Das Rennen um die Spitzenpositionin der Kaufentscheidung beginnt

Aus Marktsicht ist der erste, wichtigste Schritt geschafft. Der Adressat hat mehr oder weniger bewusstdie Entscheidung getroffen, dass er ein Bedürfnis hat. Mit viel Glück ist er von dem Angebot so begeis-tert, dass er es direkt kauft und gar nicht mehr über Alternativen nachdenkt. Sofern es sich nicht umeinen vollkommen risikoarmen Kauf handelt, wie beispielsweise der Einkauf eines halben Pfunds But-ter oder eines Liters Milch, folgt auf die Entdeckung eines Bedürfnisses in der Regel eine Phase desNachdenkens und Abwägens verschiedener Optionen, die letztendlich durch ein ganzes Paket von Ent-

37. https://www.youtube.com/watch?v=IZ71MumckEc, Zugriff 04.10.2017

48 3 Wie trifft ein Kunde Kaufentscheidungen?

3.2.1

scheidungen abgeschlossen wird: Welches Produkt welcher Marke wird gekauft? Wo und wann wird esgekauft? Wir tasten uns wieder Schritt für Schritt an die verschiedenen Mechanismen heran, die im Kopfeines Kunden ablaufen.

Das Vorwissen des Kunden als wichtiger Einflussfaktor

Bevor wir in den konkreten Ablauf einsteigen, müssen wir kurz innehalten und uns einen wichtigen Ein-flussfaktor, das Vorwissen des Kunden, vor Augen führen. Je größer dieses Vorwissen ist, desto längerund intensiver beschäftigt er sich mit der Auswahl des richtigen Produkts. Gamer beispielsweise stel-len ganz bestimmte Anforderungen an einen Rechner und möchten für ihr Geld die beste Computer-Performance kaufen, die es auf dem Markt gibt, wohingegen sich durchschnittliche Nutzer, die vor-wiegend Texte schreiben, im Internet surfen und zwischendurch einen Film schauen, mit einem ein-facheren PC zufriedengeben. Die erstgenannte Zielgruppe hat ein detailliertes Wissen über die einzel-nen PC-Komponenten und lässt sich wahrscheinlich gerne stundenlang über die optimale Kombina-tion aus Arbeitsspeicher, Prozessor, Grafikkarte und Mainboard aus. Unter den Bedingungen kann sichder ganze Auswahlprozess ziemlich in die Länge ziehen, denn verschiedene Kombinationen wollen ein-gehend geprüft, die Komponenten richtig ausgewählt werden. Für den Durchschnittsnutzer dagegensind Anforderungen wie einfache Bedienbarkeit und ein annehmbares Preis-Leistungs-Verhältnis aus-schlaggebend. Von daher wird er sich nicht eingehender mit einzelnen Komponenten beschäftigen.Der Detaillierungsgrad des ganzen Entscheidungsprozesses stellt sich im Falle des Durchschnittsnutzersalso völlig anders dar, und der Prozess selbst wird wahrscheinlich nicht so viel Zeit brauchen. Den Ein-flussfaktor Vorwissen sollte man bei den folgenden Darstellungen immer im Hinterkopf behalten. DerEntscheidungsprozess in Hinblick auf ein und dasselbe Produkt kann sich aufgrunddessen bei demeinen Kunden extrem in die Länge ziehen und bei einem anderen stark verkürzen.

Der Auswahlprozess in Form einer Bewertungsmatrix

In Abb. 4 ist dieser gesamte Auswahlprozess in Form einer dynamischen Bewertungsmatrix dargestellt.Diese Grafik werde ich Ihnen korrespondierend zur Nummerierung im Einzelnen erläutern.

Abb. 4 Bewusste und unbewusste Entscheidungen bei der Alternativenbewertung

1. Veränderung der Anzahl verschiedener alternativer Hersteller, Marken etc.Bei jeder Entscheidung, welches Produkt die Probleme des Kunden lösen soll bzw. dessen Wünscheerfüllen darf, spielen Alternativen oder Substitute eine sehr große Rolle. Sie sind oft Startpunkt

3.2 Alternativenbewertung: Das Rennen um die Spitzenposition in der Kaufentscheidung beginnt 49

vieler Überlegungen. Gleich ob es um Autos, Computer, Business-Kleidung oder Handys geht, dieAnbieter setzen alles daran, damit sie beim ersten Gedanken an einen Kauf ganz weit oben in derListe des Kunden stehen, die sich im Marketingdeutsch Evoked Set nennt. Dabei handelt es sichum die »Liste« der spontan erinnerten Marken/Produkte. Bei einfachen Entscheidungen werdensich nur wenige Kunden die Mühe machen, diese zu erweitern. Ganz anders bei risikoreicheren Ent-scheidungssituationen: Hier wird relativ lange und intensiv gesucht, ob sich nicht doch noch einebessere Alternative findet, um dann mit einem guten Gefühl den Kauf zu tätigen. Wenn das Indi-viduum eine Entscheidung getroffen hat, dass die Anzahl der Alternativen ausreichend groß ist,spricht man auch vom Relevant Set. Darunter versteht man ein durch aktives Nachdenken, Recher-chieren und Ergänzen komplettiertes Evoked Set.

2. Veränderung der Auswahl durch Einbeziehung verschiedener Varianten einer Produktkate-gorieGibt es innerhalb des Produktprogramms eines Herstellers/einer Marke unterschiedliche Varianten,so erweitert sich der Entscheidungsraum noch einmal. Wer beispielsweise sein erstes Auto kauft,hat inzwischen bei jedem Automobilhersteller eine große Auwahl innerhalb der Kompakt- und Mit-telklasse.

3. Veränderung in der PrioritätenreihenfolgeJeder Kunde wird, je nachdem, was ihm persönlich wichtig ist, schon mit einer gewissen Ranglistestarten. Um beim Beispiel Auto zu bleiben: Bei jemandem, der ein sportliches Auto will, werden mitgroßer Wahrscheinlichkeit die Marken BMW und Audi mit ihren Modellen eher auf den vorderen alsauf den hinteren Plätzen zu finden sein. Mercedes hat zwar in den letzten Jahren das Image sehrstark Richtung Sportlichkeit gelenkt, ist aber in der Wahrnehmung der breiten Bevölkerung nochnicht gleich auf mit den zuvor genannten Marken.

4. Hinzunahme oder Weglassen von BewertungskategorienMit der Suche nach verschiedenen Alternativen werden gleichzeitig Bewertungskriterien definiert,anhand derer diese bewertet werden. Auch haben die Rahmenbedingungen, unter denen die Ent-scheidung getroffen wird, einen sehr großen Einfluss. Handelt es sich um eine einfache, risikoarmeEntscheidung wie den Kauf einer Butter, so wird sich die Anzahl der Bewertungskriterien auf »Hatmir geschmeckt.« und »Habe ich letzte Woche schon gekauft und nicht bereut.« reduzieren. Beikomplexeren Entscheidungen gilt es wiederum zu unterscheiden, ob der Kunde ein großes Vor-wissen oder ob er sich vermutlich nur am Rande mit einer bestimmten Produktkategorie beschäf-tigt hat. Handelt es sich um einen Experten mit entsprechendem Know-how, so wird die Liste derBewertungskategorien relativ umfangreich werden. Hat sich dagegen ein Kunde zuvor noch nie mitdiesem Produkt beschäftigt, so wird er sich je nach Persönlichkeitsstruktur und Begeisterung fürdas Objekt der Begierde tiefer einarbeiten und sich sukzessive an eine Liste mit ausreichend vielenBewertungskriterien heranarbeiten.

Man sollte auch hier nicht unterschätzen, welche Rolle die Werbung gerade bei der eben beschrie-benen Zielgruppe spielen kann. Macht man es geschickt, so kann man bestimmte Produkteigen-schaften in den Vordergrund rücken und auf diese Weise von Schwächen ablenken. Der Herstellerhofft in gewisser Weise, dass die Begeisterungsmerkmale alles andere kompensieren. Springen wirnoch einmal kurz zurück zu Steve Jobs Präsentation des iPhone. Die zwei Megapixel der Kamerawaren bei der Präsentation des Telefons bei Weitem nicht mehr konkurrenzfähig, aber dies küm-merte die Apple-Fans zu diesem Zeitpunkt relativ wenig. Es war ein Bewertungskriterium, das imVergleich zu den Vorteilen in puncto Benutzeroberfäche, Bildschirmgröße etc. absolut zweitrangigfür die Entscheidung der meisten Kunden war.

5. Differenzierung innerhalb einer BewertungskategorieSelbstverständlich gibt es die Möglichkeit, innerhalb einer Bewertungskategorie viele verschiedeneDetails in den Prozess zu integrieren. Ist beispielsweise für den durchschnittlichen Computernutzerin erster Linie die Auflösung und die Bildschirmdiagonale bei einem Monitor von Bedeutung, soachten Profis und Fotografen auf zusätzliche Eigenschaften wie zum Beispiel Kalibrierbarkeit, Blick-winkelstabilität, Farbraum und vieles andere mehr.

6. Veränderung der Prioritätenreihenfolge bei BewertungskategorienAuch hier gibt es, je nach Anwendung und subjektiven Vorlieben eine Prioritätenreihenfolge beiden Bewertungskriterien. Während beispielsweise ein Computermonitor für Gamer sehr kurzeSchaltzeiten aufweisen muss, damit bei hohen Auflösungen auch ein entsprechend tolles Gefühl

50 3 Wie trifft ein Kunde Kaufentscheidungen?

beim Spielen eintritt, ist dies für einen durchschnittlichen Computerbenutzer von untergeordneterBedeutung.

7. Bewertungsregeln, Cut-offs, GewichtungKommen wir nun zum Kern des gesamten Bewertungsprozesses, der aus der Anwendung vonBewertungsregeln, dem Einsatz von Cut-offs und der Gewichtung von Bewertungskriterienbesteht. Bis jetzt hat sich die Darstellung des gesamten Bewertungsprozesses relativ logisch undstrukturiert angehört, doch der eine oder andere von Ihnen hat sich sicher schon gefragt, wie vielRationalität denn tatsächlich in der Praxis übrigbleibt.

→ Gewichtung: Bereits bei der Gewichtung der Bewertungskriterien ist damit bei vielen Entschei-dungen Schluss. Man kann stillschweigend davon ausgehen, dass die Reihenfolge der Prioritä-ten auch eine Gewichtung des jeweiligen Kriteriums aus Sicht des Kunden darstellt: Hohe Prio-rität ist gleich hohes Gewicht, niedrige Priorität ist niedriges Gewicht und damit vernachlässig-bar. Es geht aber auch anders. Betrachten wir ein einfaches Beispiel, den Autokauf. Würde mansich nur anhand der Pannenstatistik orientieren, so würden im Jahr 2016 nur die Marken BMW,Toyota und teilweise die Marken Audi und Mercedes auf den vordersten Plätzen landen.38 Trotz-dem kaufen viele Kunden lieber günstige Modelle oder bleiben ihrer Marke treu, obwohl sieeventuell schlecht abschneidet. Eigentlich ein irrationales Verhalten, aber jeder Käufer gewich-tet seine Kriterien so, dass er am Ende mit seiner Entscheidung rundherum zufrieden ist.

→ Cut-offs: Darüber hinaus können natürlich jederzeit im Entscheidungsprozess sogenannte Cut-offs angewendet werden. Dies sind Restriktionen, die der Kunde als Mindestanforderung defi-niert. Alle Alternativen, die eine geringere Leistung zeigen bzw. eine geringere Ausstattunghaben, werden aus dem Bewertungsprozess ausgeschlossen. Wenn ein Kunde beispielsweiseregelmäßig rechenintensive Aufgaben mithilfe des Computer erledigen will (z.B. Homevideosproduzieren, Fotos bearbeiten etc.), wird er eine Mindestleistung des Prozessors als Cut-off defi-nieren.

→ Bewertungsregeln: Jeder Mensch hat ganz individuelle Bewertungsregeln. Man kann zwi-schen einer kompensatorischen und einer nicht kompensatorischen Regel unterscheiden. Beieiner kompensatorischen Bewertungsregel werden alle Kriterien — unter Einbeziehung derGewichtung — in der Betrachtung berücksichtigt. Schwächen bei einem Merkmal werdendurch Stärken bei einem anderen Merkmal ausgeglichen. Bei einer nichtkompensatorischenBewertungsregel konzentriert sich der Kunde nur auf diejenigen Kriterien, die für ihn besonderswichtig sind und lässt alle anderen aus der Betrachtung heraus.

Ein gutes Beispiel dafür ist wieder ein Apple-Kunde, dem es in erster Linie auf ein schönesDesign, ein einfach zu bedienendes Betriebssystem und eine hohe Benutzerfreundlichkeitankommt. Demgegenüber stelle man sich einen Computerbastler vor, der sich mit dem entspre-chenden Vorwissen in einem langwierigen Prozess die Komponenten für einen Desktop-Com-puter aussucht, dies in Bezug auf ihre Performance vergleicht und dann am Ende das für ihnoptimale System zusammenbaut.

8. Gesamtbewertung einer AlternativeHat sich der Kunde durch diesen Prozess durchgekämpft, so ist er schlussendlich bei der endgülti-gen Entscheidung angelangt, mit der er dann in die finale Phase des Kaufprozesses einsteigt.

Wie bereits angedeutet, läuft dieser Prozess nicht geradlinig Schritt für Schritt ab — von der Festlegungvon Alternativen über die Definition der Bewertungskriterien bis hin zur Auswahl des geeigneten Pro-dukts auf Basis der eigenen Bewertungsregeln. Vielmehr ist dieser Vorgang in der Realität durch vielezusätzliche Schleifen gekennzeichnet, die immer wieder von der Erkenntnis unterbrochen werden,noch zusätzliche Informationen zu benötigen. Dies können Testberichte sein, Tipps von Freunden,Experten, vom besuchten Einzelhändler, detaillierte Beschreibungen auf Websites der Hersteller, the-menspezifische Blogs und viele weitere Quellen. Auf Basis dieser Informationen lassen sich sowohl die

38. http://www.focus.de/auto/ratgeber/kosten/adac-pannen-statistik-2016-ein-deutscher-hersteller-patzt-diese-autos-haben-die-meisten-pannen_id_5466410.html, Zugriff 04.10.2017

3.2 Alternativenbewertung: Das Rennen um die Spitzenposition in der Kaufentscheidung beginnt 51

3.2.2

Bewertungskriterien als auch die Liste der verschiedenen Alternativen überarbeiten und zwar so lange,bis der Kunde beschließt, den Vorgang zu beenden.

Die Bewertungsmatrix in der Praxis — ein Beispiel

Sehen wir uns anhand eines Beispiels an, wie der Aufbau der eben beschriebenen Bewertungsmatrix inder Realität vonstattengehen könnte. Versetzen wir uns in einen musikbegeisterten Kunden hinein, derauf der Suche nach einem hochwertigen Kopfhörer ist, um zu Hause entspannt und in sehr guter Qua-lität Musik zu hören. Nehmen wir zusätzlich an, dass sich der Kunde mit dieser Produktgruppe bislangnoch nicht weiter beschäftigt hat. Er wählt also den Einstieg über Google und füttert die Suchmaschinemit den Begriffen »hochwertige Kopfhörer«.

Das Ergebnis ist in Abb. 5 dargestellt. Ganz weit oben erscheint eine Anzeige der Firma Thomann mitdem Hinweis auf die Geld-zurück-Garantie, den Gratis-Versand ab 25 Euro und der kurzen Ansage: »BeiThomann gibt's das richtige Equipment für Dich: Kopfhörer!« Dieser Einstieg ist eine positive Botschaftan den potenziellen Kunden und als Einladung zu verstehen, dem Link zu folgen. Bevor unser Kundedies jedoch tut, wird er sich noch die anderen Ergebnisse auf dieser ersten Seite der Google-Trefferlisteansehen.

Oben auf der Seite wird er bei den Google-Shopping-Ergebnissen eine Anzeige von Thomann bemer-ken. Die Preisangaben signalisieren ihm, dass hier wirklich hochwertige Kopfhörer zu haben sind. Hätteunser Kunde dagegen nur »Kopfhörer« eingegeben, so wäre Thomann nicht auf der ersten Seite derTrefferliste erschienen, sondern erst auf der dritten oder vierten. Darüber hinaus finden sich Anzeigendes Onlineshops Stylight, des Anbieters MHW-Audio mit der klaren Positionierung »High End Kopfhörer«und von Amazon mit dem Hinweis auf Testsieger. Würde unser Kunde diesem Link folgen, so befände ersich bereits so tief in den Details, dass er vermutlich desorientiert den Weg zurück zur Google-Ergebnis-seite wählen würde. Der Versandhändler Amazon hätte hier deutlich mehr punkten können, zum Bei-spiel durch einen Link auf eine Übersichtsseite, die unserem fiktiven Kunden helfen würde, sich weiterdurch seinen Bewertungsprozess durchzuhangeln. Für eine Verarbeitung von Testberichten fühlt er sichdefinitiv nicht bereit, da er sich noch in einem sehr frühen Stadium der Definition von Bewertungskrite-rien befindet.

Die organischen Suchergebnisse führt Computer Bild mit einer Bestenliste an, gefolgt vom Vergleich-sportal Testsieger.de und dem Magazin Connect, das einen Testbericht anbietet.

52 3 Wie trifft ein Kunde Kaufentscheidungen?

Abb. 5 Trefferliste der Google-Suche »hochwertige Kopfhörer«, Stand 18.05.2016

Kommen wir zurück zu der Anzeige von Thomann, Europas größtem Onlineversender in der Musikbran-che. Folgt unser Kunde dem Link zur Seite des Onlineshops, so gelangt er auf eine Übersichtsseite. Sieunterstützt durch die einfachen, aussagekräftigen Bezeichnungen von verschiedenen Kopfhörer-Kate-gorien die ersten Schritte beim Aufbau einer Bewertungsmatrix. Da unser fiktiver Kunde weder DJ nochDrummer ist, keinen Kopfhörer für Kinder und auch keine Hör-Sprechgarnituren braucht, wird er sichwahrscheinlich entweder für die Kategorie Studio- oder Hi-Fi-Kopfhörer entscheiden oder auch denkabellosen Kopfhörern bzw. Noise-Cancel-Kopfhörern eine Chance geben.

3.2 Alternativenbewertung: Das Rennen um die Spitzenposition in der Kaufentscheidung beginnt 53

Abb. 6 Übersichtsseite Kopfhörer des Onlineshops von Thomann39

Unser fiktiver Kunde wird eventuell auf dieser Übersichtsseite schon einen Blick auf die Detailkategorienwerfen und, ein gewisses Vorwissen vorausgesetzt, mit den aufgelisteten Parametern wie linearer Fre-quenzgang40, Übertragungsbereich41, Klirrfaktor42 und Schalldruckpegel43 etwas anfangen können.Vielleicht wird er den einen oder anderen Kopfhörer bereits seiner Liste von Alternativen hinzufügen.

39. https://www.thomann.de/de/kopfhoerer.html, Zugriff 15.06.2016

40. Ein linearer Frequenzgang bedeutet, dass der Kopfhörer in keinem Frequenzbereich die Signale anhebt. Beliebt sind bei-spielsweise bei Kopfhörern eine Bassverstärkung. Will man eine möglichst neutrale Wiedergabe des Originalsignals, so willman einen möglichst linearen Frequenzgang ohne Anhebungen in den Frequenzbereichen. Ein Kopfhörer mit einem linea-ren Frequenzgang klingt neutral.

41. Der Übertragungsbereich beschreibt das Intervall der Frequenzen, beginnend bei den tiefsten Tönen und endend bei denhöchsten Tönen, die der Kopfhörer übertragen kann. Je größer der Übertragungsbereich, desto besser bildet der Kopfhörerdas Originalsignal ab.

42. Der Klirrfaktor ist das Verhältnis zwischen Störsignalen/Verzerrungen und dem Originalsignal. Je höher der Klirrfaktor, destoverzerrter das Signal. Je geringer der Klirrfaktor, desto besser bildet der Kopfhörer das Originalsignal ab.

43. Je höher der Schalldruckpegel, desto größere Lautstärken kann der Kopfhörer wiedergeben. Bei einem Kopfhörer, der zuHause benutzt wird, sind moderate Schalldruckpegel sinnvoll; in lauten Umgebungen sollte der Kopfhörer einen hohenSchalldruckpegel haben.

54 3 Wie trifft ein Kunde Kaufentscheidungen?

Bewertungskriterien Alternativen

AKGK-812 Pro

AKGK-712 Pro

Audio-TechnicaATH M50 X

BeyerdynamicDT 770 Pro 250

Preis 900,00 € 250,00 € 150,00 € 120,00 €

Linearer Frequenzgang 10 8 1 8

Übertragungsbereich 10 8 6 8

Klirrfaktor 10 8 6 8

Schalldruckpegel 10 8 6 8

Statussymbol 10 8 6 8

entspannt Musikhören 10 8 6 8

Tragekomfort 10 8 6 8

Analytischer Klang 10 8 6 8

Luftiger Klang 10 8 6 8

Summe 90 72 49 72

Preis-Cut-off ! ok ok ok

Risiko des Kaufs hoch mittel niedrig niedrig

Tabelle 3.1 Beispiel für eine Bewertungsmatrix

In Tabelle 3.1 finden sich in den Kopfzeilen der Spalten drei verschiedene Marken wieder, von einerMarke hat unser fiktiver Kunde zwei verschiedene Modelle ausgewählt. Gleichzeitig hat er bereits dieersten Bewertungskriterien anhand der aufgelisteten Parameter festgelegt. Das sind relativ objektivier-bare, technische Parameter, anhand derer sich verschiedene Alternativen vergleichen lassen.

Dazu kommen aber auch individuelle, nicht objektivierbare Kriterien wie zum Beispiel ein guter Trage-komfort und die kundenspezifische Definition von analytischem und luftigem Klang. In gleicher Weiseist die Anforderung zu sehen, dass der Kopfhörer gewissermaßen ein Statussymbol darstellen sollte.Genau wie bei einem Autokauf — auch hier spielt im sozialen Umfeld des Käufers die Marke eine sehrgroße Rolle — kann unser fiktiver Kunde mit dem Erwerb eines teuren Kopfhörers von einem bekann-ten Hersteller auf seine musikbegeisterten Freunde Eindruck machen und bei ihnen bewusst Neiderzeugen.

In der Bewertungsmatrix in Tabelle 3.1 wurden die vier verschiedenen Kopfhörer — die Auflistung istnur beispielhaft und keineswegs vollständig — anhand der Bewertungskriterien bewertet. Die Maxi-malpunktzahl ist Zehn. Darüber hinaus finden sich noch zwei Cut-offs: der Preis und das subjektiv emp-fundene Risiko der Kaufentscheidung. Da sich unser fiktiver Kunde ein Budget von 250 Euro gesetzt hat,kommt einer der Kopfhörer nicht mehr infrage. Gleichzeitig schätzt er das Risiko des Kaufs sehr hochein, denn ihm ist bewusst, dass er dieses Produkt eine geraume Zeit lang verwenden muss, um denKlang wirklich beurteilen zu können. In diesem Fall könnte die Rückgabefrist eventuell abgelaufen sein,und er hätte einen tollen Kopfhörer, der nicht seinen Erwartungen entspricht. Bei Anwendung einerkompensatorischen Bewertung würde der Kopfhörer der Marke Beyerdynamic am besten abschneiden.Damit hätte unser fiktiver Kunde eine Entscheidung getroffen.

Wie das Beispiel zeigt, kann diese Bewertungsmatrix in der Praxis durchaus ihre Anwendung finden,doch werden die wenigsten Kunden so strukturiert und formal vorgehen.

Bislang haben wir noch einen Cut-off nicht angesprochen, der den einfachsten Weg der Entscheidungs-findung darstellt: Man fragt einen Fachmann um Rat und folgt diesem uneingeschränkt und ohne nach-

3.2 Alternativenbewertung: Das Rennen um die Spitzenposition in der Kaufentscheidung beginnt 55

zudenken. Dies passiert vor allem bei Produkten, bei denen jemand wenig Motivation verspürt, sichintensiver einzuarbeiten. Ein gutes Beispiel ist der Kauf einer Waschmaschine im ersten eigenen Haus-halt eines jungen männlichen Berufsanfängers. Während wahrscheinlich die Auswahl des Fernsehersund der Stereoanlage deutlich mehr Zeit verschlingt, ist die Vorbereitung des Waschmaschinenkaufsmit einer einzigen Frage an die eigene Mutter erledigt. Der Sohn vertraut schlicht und einfach auf derenlangjährige Erfahrung in Bezug auf eine Produktkategorie, die ihn selbst nicht interessiert.

Die Auswahl einer bestimmten Alternative ist aber noch nicht das Ende des gesamten Prozesses, viel-mehr muss der Kunde noch zwei weitere Entscheidungen treffen: Wo und wann soll das Produktgekauft werden? Bewegt sich der Kunde in einem Onlineshop, so muss er nur noch den Favoriten inden Warenkorb legen und den Bezahlvorgang abschließen. Soll es dagegen offline, im stationären Han-del gekauft werden, so sind Zeitpunkt und Geschäft noch auszuwählen. In Abb. 7 ist dieser Sachverhaltgrafisch dargestellt. Darüber hinaus berücksichtigt sie die bereits erwähnte individuelle Bewertung, obdie Matrix aus Sicht des Entscheiders komplett ist. Dies beinhaltet den Detaillierungsgrad der Alterna-tiven und Bewertungskriterien genauso wie den Umfang der zur Verfügung stehenden Informationen.Das können Bedeutungen von Bewertungskriterien (in unserem Kopfhörer-Beispiel die Bedeutung deslinearen Frequenzgangs) oder Rezensionen und Testberichte sein. Der nächste logische Schritt ist dieBenutzung des Produkts und die damit einhergehende Bewertung der zuvor getroffenen Kaufentschei-dung. Dazu mehr im nächsten Abschnitt.

56 3 Wie trifft ein Kunde Kaufentscheidungen?

3.3

Abb. 7 Schematische Darstellung der Entscheidungsfindung und Alternativenbewertung

Moments of Truth: die Bewertung nach der Kaufentschei-dung

Das Objekt der Begierde bzw. die Lösung aller Probleme ist gekauft worden. Nun steht eine weitereBewertung an, die die folgenden Kaufentscheidungen beeinflussen kann. Es geht um den Vergleichzwischen den Erwartungen, die der Kunde während der Entscheidungsfindung und Alternativenbewer-tung aufgebaut hat und seinen wirklichen Erfahrungen mit dem Produkt selbst.

Im Vergleich zu früher ist dieser Prozess deutlich risikoärmer geworden, denn das Bürgerliche Gesetz-buch (BGB) schreibt vor, dass alle Gegenstände, die über das Internet erworben wurden, innerhalb von14 Tagen zurückgesandt werden können.44 In diesem kurzen Zeitraum lässt sich also noch testen, obdie Versprechungen der Unternehmen den Tatsachen entsprechend oder doch zu vollmundig waren.In vielen Rezensionen lässt sich nachlesen, dass nicht wenige Personen diesen Umstand nutzen: Siebestellen mehrere Produkte, vergleichen diese zu Hause miteinander und wählen dann das beste Pro-

3.3 Moments of Truth: die Bewertung nach der Kaufentscheidung 57

dukt aus. Pech für den Konsumenten, wenn er erst nach diesem Zeitraum von 14 Tagen feststellt, dassder gekaufte Gegenstand eine versprochene Eigenschaft nicht aufweist oder im Langzeitbetrieb denErwartungen nicht entspricht. Obwohl Verbraucher innerhalb der zweijährigen Garantiefrist die Mög-lichkeit haben, bei Mängeln Nachbesserung zu verlangen, sorgt dies nicht zwingend zur Zufriedenheitmit dem erworbenen Gegenstand. Ist man aber nicht zufrieden, so kann dies dazu führen, dass jetztschon die Weichen für den nächsten Kauf gestellt werden und die Entscheidung fällt, dem Unterneh-men treu zu bleiben und ein ähnliches Produkt wiederzukaufen oder eben nicht. Die Zufriedenheit desKunden lässt sich also dadurch erklären, dass Erwartungen vor dem Kauf mit den Erfahrungen währenddes Gebrauchs verglichen werden. War die Erwartungshaltung sehr hoch, die Erfahrung mit dem Pro-dukt dagegen sehr enttäuschend, wird sich eine Unzufriedenheit mit dem Produkt einstellen.

Der Vergleich von Erwartungen und Erfahrungen

Für die weitere Verwendung dieser Erkenntnisse ist es von Bedeutung, dass wir kurz konkretisieren,welche Erwartungen — analog zu den oben genannten Bewertungskriterien in der Alternativenbewer-tung — mit welchen Erfahrungen verglichen werden:

1. Vergleich der Erwartung an die technisch, funktionelle Leistung mit der gezeigten LeistungHier muss man unterscheiden zwischen objektivierbaren Leistungsparametern (Spritverbrauchbeim Auto, Akkulaufzeit beim Computer) und subjektiv empfundenen Parametern (starkeBeschleunigung, glasklarer Klang, starke Bässe). Gerade Letztere können sowohl Händlern als auchHerstellern zu schaffen machen, denn jeder Kunde generiert während des Bewertungsprozessesseine eigenen Vorstellungswelten und Konnotationen und vergleicht diesen subjektiven Erwar-tungshorizont mit der subjektiv empfundenen Leistung. Selbst wenn die objektive Leistungstimmt, heißt das noch nicht, dass sich auch das entsprechende Gefühl einstellt.

2. Vergleich der Erwartung bezüglich der individuellen Vorteile mit den tatsächlichen Erfahrun-gen mit dem ProduktWenn sich beispielsweise ein Kunde von einer Software eine deutliche Steigerung seiner Produkti-vität erwartet, dann aber feststellen muss, dass deren Bedienkonzept so gewöhnungsbedürftig ist,dass er sich erst intensiv einarbeiten muss, so wird er vermutlich relativ schnell die Lust verlierenund unzufrieden sein. Auf der anderen Seite wird kaum ein Hersteller in der Produktbeschreibungauf eine lange und schwierige Einarbeitungszeit hinweisen. Auch hier werden eventuell die Wei-chen für die Kundenloyalität gestellt.

3. Vergleich der erwarteten Reaktionen des sozialen Umfelds mit den wirklichen ReaktionenViele Konsumgüter werden in erster Linie aus Statusgründen heraus gekauft. Bleibt die entspre-chende Reaktion des sozialen Umfelds aus, so kann sich auch hier relativ schnell Unzufriedenheiteinstellen.

Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass der leichtfertige Umgang mit superlativischen Werbebot-schaften einerseits zwar Aufmerksamkeit und Interesse seitens der Kunden erzeugt, andererseits aberauch Unzufriedenheit mit dem gekauften Produkt zur Folge haben kann. Hier zeigt sich schon diegrößte Herausforderung, was das Verfassen von Produktbeschreibungen angeht. Sie besteht darin, dierichtige Balance zwischen farbenfroher, aktivierender und gleichzeitig wahrheitsgetreuer Darstellungzu finden. Sieht man sich verschiedene Onlineshops an, so lässt sich feststellen, dass viele Betreiberoffensichtlich auf Nummer sicher gehen und sehr sachliche, neutrale Texte zur Verfügung stellen. Sievermeiden so tunlichst, zu hohe Erwartungen zu schüren. Allerdings verschenken sie damit auch eingroßes Aufmerksamkeitspotenzial. Wie sich beides in Einklang bringen lässt, werden wir später in denAbschnitten über Werbung, Informationsverarbeitung und Medien- und Kampagnenplanung sehen.

Es gibt aber durchaus noch eine andere denkbare Reaktion, denn der Mensch ist kein hundertprozentigrational denkendes Wesen. Nehmen wir an, ein Student hat sich mit Beginn seines Arbeitslebens einengroßen Wunsch erfüllt und sich sein Traumauto gekauft. Was passiert nun, wenn das Vehikel einen

44. Zum »Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen« gemäß § 355 BGB vgl. bitte: https://dejure.org/gesetze/BGB/355.html § 355BGB Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen, Zugriff 04.10.2017

58 3 Wie trifft ein Kunde Kaufentscheidungen?

3.4

deutlich zu hohen Verbrauch hat? Darüber sieht er in der ersten Euphorie hinweg. Aber wenn das guteStück auch noch sehr viel Kraftstoff und/oder Öl benötigt und bereits in den ersten Monaten mit einemkaputten Turbolader auf dem Weg in den Urlaub liegen bleibt, beginnt er vielleicht über die Sinnhaftig-keit seiner Entscheidung nachzudenken. Dies würde direkt zur Unzufriedenheit führen.

Nachdem er mit großer Wahrscheinlichkeit seinem ganzen Umfeld schon lange in allen Details erzählthat, welches Auto er sich anschaffen wird, diesen beabsichtigten Kauf gegenüber Kommilitonen undseinem familiären Umfeld mit Vehemenz verteidigt hat, müsste er auf einmal zugeben, dass die Ent-scheidung nicht zum Traum, sondern zum Albtraum geführt hat. Gibt er die Fehlentscheidung zu?Wenn er ehrlich wäre, ja. Dann macht er sich aber eventuell zum Gespött seines Umfelds. Da erscheintes doch einfacher, sich eine Argumentationsstrategie zu überlegen, die eine Fehlentscheidung nicht alssolche erscheinen lässt, z.B. »Ein Rennwagen braucht halt mehr Sprit.« oder »Ich fahre flott, da fließteben mehr Sprit und Öl durch den Motor.« Er wird nach Argumenten suchen, um nach außen hin einkonsistentes Bild zu erzeugen und nicht den geringsten Verdacht aufkommen lassen, dass er an sichselbst zweifelt. Er wird darauf hinweisen, dass ein so schnelles und sportliches Auto eben etwas emp-findlicher ist als ein Familienauto, oder er wird andere Aspekte wie beispielsweise den hochgezüchtetenMotor, die Fahrdynamik etc. in den Vordergrund stellen. Wenn er dies lange genug macht, glaubt er esirgendwann vielleicht sogar selbst und wird zum treuen Kunden dieser Marke werden.

In der Psychologie wird dies als kognitive Dissonanz bezeichnet.45 Der Begriff bezeichnet einenZustand innerer Spannung. Wer ihn erlebt, ist bestrebt, diesen Spannungszustand aufzuheben. Wie imvorangegangenen Beispiel genauer beschrieben, hat jeder Mensch zwei verschiedene Alternativen, umseine »innere Konsonanz« wiederherzustellen. Er gibt zu, dass es ein Fehlkauf war, oder aber er suchtnach Argumenten, um die Entscheidung zu rechtfertigen. Gerade bei Produkten, die man sich langeund innig gewünscht hat, ist eine Enttäuschung schwer zu verkraften. Aber auch wenn man ein loyaler,langjähriger Kunde einer bestimmten Marke, eines Herstellers oder eines Einzelhändlers war und einenegative Erfahrung gemacht hat, so wird man diese unter der Rubrik »Kann ja mal passieren« ablegenund hoffen, dass es beim nächsten Mal besser werden wird.

Damit sind die drei wichtigsten Entscheidungen aus Kundensicht beschrieben. Wie sich diese Erkennt-nisse in der Definition von Produkten niederschlagen, werden wir in der nächsten Lektion sehen.

Übungen

Übung 1: Merkmalskategorien von Kano

Suchen Sie sich ein Produkt aus und versuchen Sie herauszufinden, wie sich in Bezug auf diesesProdukt Ihrer Wahl für zwei verschiedene Zielgruppen die Merkmalskategorien von Kano darstel-len. Versuchen Sie gleichzeitig, sowohl die kundenspezifischen Hemmschwellen zu ermitteln alsauch die Mechanismen zur Erzeugung einer negativen und einer positiven Unzufriedenheit anzu-wenden.

Übung 2: Informationsquellen

Listen Sie die Informationsquellen auf, die Sie für Ihr selbst gewähltes Beispiel aus der vorange-gangenen Übung heranziehen würden, um über genügend Informationen, Bewertungskriterienund Alternativen zu verfügen. Überlegen Sie kurz, welchen Einfluss diese Informationsquellen aufIhre Entscheidung haben (von hoch bis niedrig; beeinflusst die Reihenfolge der Prioritäten; zeigtneue Alternativen/Bewertungskriterien auf ).

45. Zur Theorie der kognitiven Dissonanz siehe Fischer, L./Wiswede, G.: Grundlagen der Sozialpsychologie, München, 2009, Seite304 ff.

3.4 Übungen 59

3.5 Testen Sie Ihr Wissen!

1. Nennen Sie die verschiedenen Bedürfnisse der Bedürfnishierarchie von Maslow (erweitertes, acht-stufiges Modell von 1970).

2. Erklären Sie die Mechanismen zur Erzeugung einer negativen und einer positiven Unzufriedenheit.

3. Welche Rolle spielt der Entscheidungsfilter bzw. die Hemmschwelle bei der Generierung einesBedürfnisses?

4. Was versteht man unter einem »Evoked Set«?

5. Was versteht man unter einem »Relevant Set«?

6. Welchen Einfluss hat das Vorwissen des Kunden auf den Detaillierungsgrad, die Menge/Anzahl derBewertungskriterien?

7. Was versteht man unter einem »Cut-off«?

8. Was versteht man unter einer »kompensatorischen« und einer »nichtkompensatorischen Bewer-tungsregel«?

9. Erklären Sie die Mechanismen, die einen Käufer zufriedenstellen.

60 3 Wie trifft ein Kunde Kaufentscheidungen?