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Internationale Akademie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität Berlin Mag. Linda Kaszubski Dr. Thomas Koditek 3 © Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Coaching Contemporary · Das System hat eine Ordnung und produziert eine Folge bzw. Wirkung, die durch Aktionen, Reaktionen und Wirkung, die durch Aktionen, Reaktionen und Interaktionen

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Internationale Akademie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität Berlin

Mag. Linda KaszubskiDr. Thomas Koditek

3

©

Coaching ContemporarySammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

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Impressum

Herausgeber:Mag. Linda Kaszubski, Dr. Thomas KoditekInternationale Akademie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität BerlinInstitut Organisation und Management

Redaktion:Mag. Linda Kaszubski, [email protected]. Thomas [email protected] Akademie, Guerickestr. 27, 10587 BerlinTel: +49 30 57701098-0

Autorinnen und Autoren:Mag. Thomas TölzerDr. Sandra GruberDI Ingeborg Steiner Mag. Birgit Krenmayr Dr. Natalie Ségur-Cabanac Ann-Katrin SuckowMag. Sabine SauerzapfMag. Barbara Weber-KainzDr. Gerald Pail Claudia Krenn-CisséMag. Michael QuasUniv. Doz. Dr. Nina-Maria Wanek Mag. Michala FlatzbauerKonstanze HörburgerSylvie ReidlingerRenè BartalProf. Mag. Emmerich BachmayerMag. Heidemarie TruppeClaudia HammerlerManuela MuckenauerMag. Barbara Moser

Diesen dritten Band einer Buchreihe zum Thema Coaching verantwortet das Institut Organisation und Management der Internationalen Akademie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität Berlin, Guerickestr. 27, 10587 Berlinim Sinne des Presserechts.www.ina-coaching.de

Layout / Design: designerie WERBEAGENTUR; www.designerie-werbeagentur.de

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Coaching Contemporary

Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Internationale Akademie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität Berlin

Herausgeber:

Mag. Linda Kaszubski,Dr. Thomas Koditek

Wien 2013

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Einleitung

Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Wir freuen uns sehr, Ihnen den Band 3 der vom Institut Organisation und Management der Internationalen Akade-

mie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität Berlin und der Firma C Plus Unternehmensberatung Wien

herausgegebenen Coachingbücher vorstellen zu dürfen. Es handelt sich dabei um Texte, die im Rahmen unserer

Coachingausbildungen in Wien entstanden sind, bei welchen die AbsolventInnen sich zum Abschluss mit einem

für sie relevanten Themenbereich auseinandersetzen und dies schriftlich festhalten. In diesem Band finden Sie eine

ausführliche Sammlung dieser Outputs.

Coaching ist nach wie vor ein Berufsfeld ohne eindeutige Abgrenzung zu anderen aus dem Feld der „helfenden und

beratenden“ Professionen. Coaching ist ohne Zweifel eine personenbezogene Dienstleistung, die sich in der Regel

in einem organisatorischen Kontext an Gruppen, Teams oder Einzelpersonen wendet, mit dem Ziel, kommunikative

Wirkzusammenhänge analysierbar zu machen und Individuen zu befähigen, sich in systemisch-interaktiven Kon-

texten mit gesteigerter Selbstbewusstheit erfolgreicher – im Sinne der Unternehmensziele und/oder der eigenen

wertebasierten Überzeugungen – zu positionieren.

Professionsgeschichtlich steht Coaching noch am Anfang seiner Entwicklung. Es existieren bis heute keine wissen-

schaftlich elaborierten Theorieansätze. Mit der Gründung von akkreditierten Masterstudiengängen in jüngster Zeit

(www.ina-coaching.de) steigen die Chancen für empirische Forschung im Feld und Theoriebildung. In Folge ist ein

ernstzunehmender Professionsschub zu erwarten, der das Berufsbild aus dem Dunstkreis der Beliebigkeit befreit

und auch bei den Anbietern von Coaching Ausbildungen sich die „Spreu vom Weizen“ trennen wird.

Eine Grundlage unseres wissenschaftlichen Zugangs ist eine Interpretation verschiedener systemtheoretischer

Schulen (Parsons, Luhmann, Wilke u.a.), die im Kern kommunikationstheoretische Prämissen zur Voraussetzung

haben.

Eine Organisation, d.h. in unserem Kontext ein Profit- oder Non-Profit-Unternehmen, wird als ein System betrach-

tet, dessen innerer Zusammenhang durch seine Struktur geprägt wird. Der hochkomplexe soziologische Strukturbe-

griff meint hier zunächst nichts anderes, als die ART und WEISE der Verbindung/Beziehung zwischen Abteilungen,

MitarbeiterInnen etc.. Die ART und WEISE regelt sich immer – d.h. grundsätzlich – über formelle und informelle

Kommunikation. Kommunikation ist das „Schmiermittel“ für Beschleunigung oder auch Störungen aller Verfah-

rensweisen und systemimmanenten Abläufe. Diese sensiblen WIRKZUSAMMENHÄNGE sind in der Regel von

Individuen und ihren (kommunikativen) Kompetenzen, ihrer „INNEREN HALTUNG“ und ihrer SELBSTBEWUSST-

HEIT abhängig. Sie bestimmen die DYNAMIK und damit QUALITÄT der interaktiven Prozesse, deren Optimierung

– im Sinne einer möglichst störungsfreien Kommunikation – sich Coaching zum Ziel gesetzt hat.

Führungskräfte haben – nach unseren Erfahrungen – in Dax notierten Unternehmen und im Mittelstand eine beson-

dere Verantwortung. Das Format Coaching ist in unserem Verständnis in erster Linie eine Dienstleitung für diesen

spezifischen Personenkreis, wird in der aktuellen Fachliteratur nach wie vor als Personalentwicklungsinstrument

Nr. 1 bezeichnet und somit auf allen Führungsebenen eingesetzt.

Alle weiteren Artefakte, d.h. Vereinbarungen zur Qualität von Wissens- und Wertemanagement etc. bis hin zur

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Produktqualität stehen in einem direkten, aber nachgeordneten Abhängigkeitsverhältnis zu den basalen kommuni-

kativen Wirkzusammenhängen, die direkten Einfluss auf die KULTUR eines Unternehmens haben.

Die Texte der Autorinnen und Autoren in diesem dritten Band greifen diesen ROTEN FADEN auf, alle Arbeiten basie-

ren auf Coaching als ständiger Veränderungsprozess und greifen aktuelle Entwicklungen und Tendenzen in diesem

Feld auf. Der Sammelband ist in mehrere Bereiche unterteilt:

Der erste Teil, „Coaching allgemein“, bei dem es um den systemischen Ansatz und die Sicht auf Sprache, Neuro-

wissenschaft und Dynamiken innerhalb des Ansatzes geht.

Im zweiten Teil, „Lösungsorientiertes Vorgehen“, widmen sich die AutorInnen dem Vorgehen von Insoo Kim Berg

und Steve de Shazer und auch der Anwendung von Sprache in diesem Prozess.

In Teil drei, „Coaching und praktische Anwendung im Unternehmen“, schauen die AutorInnen auf Anwendungs-

bereiche von Coaching im Führungsalltag, der Führungskräfteentwicklung und ebenfalls als Tool für Mystery Shop-

ping und Lehrlingsausbildung.

Dann gibt es einen Exkurs in die systemische Organisationsberatung, in welcher Coaching einen Teilbereich

abdeckt.

Zum Abschluss werden Tools dargestellt, die einerseits in der Arbeit „Tools. Funktion der Sprache im Coaching-

prozess“ und andererseits am Ende des Buches dargestellt sind.

Jetzt bleibt uns noch, Ihnen viel Freude und Erkenntnisfortschritte beim Lesen zu wünschen.

Linda Kaszubski und Thomas Koditek

Wien und Berlin im September 2013

Dynamik

Produkt

Lernende Organisation

Werte / Wertemanagement

Information / Wissensmanagement

Glaube

Werte

System

ElementeStruktur

Kommunikation

QualitätssicherungStrukturqualität

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Inhaltsverzeichnis

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COACHING ALLGEMEINSystemischer Ansatz 09 - 22Mag. Thomas Tölzer

Coaching-Fragen im Überblick 23 - 30Dr. Sandra Gruber

Grundhaltung des Coach im systemischen Coaching 31 - 42DI Ingeborg Steiner

Funktion der Sprache im Coachingprozess 43 - 57Mag. Birgit Krenmayr

„Jetzt hab’ ich’s!“. Motivation im Coachingprozess 58 - 74Dr. Natalie Ségur-Cabanac

Krise oder Konfliktlösung? Die Rolle der Emotionen im Coaching 75 - 83Ann-Katrin Suckow

Coaching aus Sicht der Neurowissenschaften 84 - 98Mag. Sabine Sauerzapf

Das Innere Team als Modell zum Verständnis von 99 - 109Aufbau und Dynamik der Persönlichkeit in der Coachingpraxis

Mag. Barbara Weber-Kainz

Psychodynamisches/psychoanalytisches Coaching 110 - 116

für Individuen und Organisationen

Dr. Gerald Pail

Interviews zum praktischen Einsatz des systemischen 117 - 130Ansatzes im Einzelsetting

Claudia Krenn-Cissé

LÖSUNGSORIENTIERTES VORGEHENLösungsorientierte Kurzzeittherapie nach Insoo Kim Berg und Steve de Shazer 131 - 136

Mag. Michael Quas

„Funktion der Sprache im Coachingprozess“ 137 - 158Univ. Doz. Dr. Nina-Maria Wanek

Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching für den Schulalltag 159 - 170Mag. Michala Flatzbauer

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Teamcoaching 171 - 193Konstanze Hörburger

Mama-Coaching nach dem A M W E G Modell 194 - 214Sylvie Reidlinger

COACHING UND PRAKTISCHE ANWENDUNG IM UNTERNEHMENCoaching als Tool für Führungskräfte. Aus dem Alltag einer Führungskraft 215 - 238

Renè Bartal

Coaching in der Führungskräfteentwicklung der öffentl. Verwaltung Österreich 239 - 244Prof. Mag. Emmerich Bachmayer

Coaching in der Führungskräfteentwicklung 245 - 254Mag. Heidemarie Truppe

Coaching. Ein Tool zur Verbesserung von Mystery Shopping Ergebnissen 255 - 267Claudia Hammerler

Coaching – ein neuer Bestandteil des Lehrlingsausbildungsprogramms 268 - 279Manuela Muckenauer

SYSTEMISCHE BERATUNGSystemische Organisations- und Organisationsberatung. 280 - 297Zielsetzungen und Perspektiven diesees Ansatzes

Mag. Barbara Moser

TOOLS 298Rollenspiel 299Solution Circle 300 - 301Zauberstab 302Zirkuläres Interview 303 - 304

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Systemischer AnsatzMag. Thomas Tölzer

Inhaltsverzeichnis

1. Grundlagen des Systemischen Coachings

1.1. Die Systemtheorie

1.2. Kybernetik 1. Ordnung

1.3. Kybernetik 2. Ordnung

1.4. Konstruktivismus

2. Grundprinzipien des systemischen Denkens

2.1. Was ist ein System

2.2. Menschen entstehen im System

2.3. Systemisch denken heißt zirkulär denken

2.4. Systemisch denken heißt, in Auswirkungen zu denken

2.5. Systemisches Denken ist zielorientiert

2.6. Menschen denken in ihren ureigenen Mustern

2.7. Problemlösungen können durch hilfreiche Verstörung angeregt werden

2.8. Systemische Arbeit bedeutet Prozessarbeit

2.9. Wir arbeiten im Beratungs- nicht im Heimatsystem

3. Grundannahmen des Coachingsalon Wien

3.1. Es gibt keine objektive Wirklichkeit

3.2. Probleme als Konstrukte

3.3. Probleme anderer können nicht verstanden und gelöst werden

3.4. Probleme wollen wertgeschätzt werden

3.5. Wir entscheiden jede Minute unbewusst, was wir wahrnehmen und was nicht

3.6. Alles Erleben ist Aufmerksamkeitsfokussierung

3.7. Jede Intervention ist eine strukturierte Form der Aufmerksamkeitsfokussierung

3.8. Ressourcenstärkung: Fokussierung auf den Zielzustand

3.9. Jedes Verhalten hat einen Nutzen

3.10. Coach ist ein Prozessbegleiter – Coachee hält die inhaltliche Verantwortung

3.11. Der Mensch ist nicht, sondern verhält sich

4. Literaturverzeichnis

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1. Grundlagen des Systemischen Coachings1

Was ist eigentlich Systemisches Coaching? Eine Frage, die jeder Coach früher oder später einmal beantworten muss.

„Coaching“ ist in Mode gekommen, genauso wie „systemisch“. Aber was steckt dahinter? In diesem Kapitel des vor-

liegenden Buches werden wir dieser Frage nachgehen. Woher kommen die Begriffe? Welche Grundannahmen liegen

dahinter?

Der Begriff „Coach“ stammt aus dem Englischen und bedeutet ursprünglich (Pferde-) Kutsche. Er beschreibt ein Instru-

ment, das es Menschen ermöglicht, von einem Ort zum anderen zu gelangen. Coaching kann vor diesem Hintergrund auf

der Metaebene als Entwicklungsinstrument bezeichnet werden. Allgemein bekannt ist der Begriff aus der Sportwelt. Dort

ist der Coach nicht nur Trainer sportlicher Fertigkeiten, sondern darüber hinaus zielorientierter Begleiter und Motivator.2

Ein „System“ (aus dem Griechischen „das Gebilde, Zusammengestellte, Verbundene“) ist eine Gesamtheit von Ele-

menten, die so aufeinander bezogen sind und in einer Weise wechselwirken, dass sie als eine aufgaben-, sinn- oder

zweckgebundene Einheit angesehen werden können und sich in dieser Hinsicht gegenüber der sie umgebenden Umwelt

abgrenzen.

Systeme organisieren und erhalten sich durch Strukturen. Struktur bezeichnet das Muster (Form) der Systemelemente

und ihrer Beziehungsgeflechte, durch die ein System entsteht, funktioniert und sich erhält.3

Jedes System besteht aus mehreren einzelnen Teilen. Jeder dieser Teile ist wichtig und steht zu allen übrigen Teilen in

einer Beziehung, wobei es darum geht, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen; jeder Teil fungiert für die übrigen Teile als

Stimulus. Das System hat eine Ordnung und produziert eine Folge bzw. Wirkung, die durch Aktionen, Reaktionen und

Interaktionen der einzelnen Teile untereinander bestimmt ist. Dieses ständige Zusammenwirken ist ausschlaggebend

dafür, wie das System sich manifestiert. Ein System ist nur im Jetzt lebendig, nämlich dann, wenn seine Bestandteile

vorhanden sind. […] Um Brot zu backen, geben Sie Hefe, Mehl, Wasser und Zucker zusammen. Das Brot gleicht keinem

seiner Bestandteile, enthält sie jedoch alle.4

Der systemtheoretische Ansatz bezeichnet die Auffassung eines abgegrenzten Wirklichkeitsbereiches als „System“. Er

geht davon aus, dass dieser Wirklichkeitsbereich aus einer „Reihe von Elementen“ zusammengesetzt ist, „die in angeb-

baren Beziehungen zueinander stehen, aus denen sich das Verhalten dieser Elemente und das Gesamtsystem ableiten

lassen“.5

Die inzwischen sehr weit verbreiteten systemischen Beratungskonzepte haben ihre Wurzeln in der Tradition der Famili-

entherapie (Hoffmann 1982; von Schlippe und Schweitzer 1996). Im Laufe der letzten 25 Jahre haben sie sich darüber

hinaus zu einem allgemeinen Metakonzept entwickelt, innerhalb dessen systemisch-familientherapeutische Arbeit nur

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ein (wenn auch relativ wichtiges) Anwendungsfeld ist. Heute werden systemische Konzepte nicht nur für die Beratung

von Familien, sondern auch intensiv für die Beratung anderer sozialer Systeme genutzt. Insbesondere auch in der An-

wendung auf Organisations- und Teamberatung hat sich geradezu ein Boom entwickelt.6

Eine Zusammenfassung in einem Kernsatz könnte lauten: Systemisches Coaching bedeutet, nicht nur auf die Einzelper-

son zu schauen, sondern den Blick auf das soziale System zu richten.7

Doch was liegt dem Systemischen Gedankengut zu Grunde? Was heißt es, „systemisch“ zu coachen? Dazu ein kurzer

Rückblick: Die Wurzeln der Systemischen Beratung liegen in der Systemtheorie, der Kybernetik 1. und 2. Ordnung und

dem Konstruktivismus.

1.1. Die Systemtheorie

Die Systemtheorie ist Ende der 1940er-, Anfang der 1950er-Jahre entstanden. Damals wurde immer deutlicher, dass das

traditionelle lineare Ursache-Wirkungs-Denken nicht mehr ausreicht. Komplexe biologische Prozesse lassen sich nicht

einfach aus einer Ursache erklären. Es wirken verschiedene Faktoren wechselseitig aufeinander. Um komplexe Situatio-

nen zu erklären, entwickelten die Begründer der Systemtheorie, wie der Biologe Ludwig von Bertalanffy oder die Mathe-

matiker A.D. Hall und R.E. Fagen, ein neues Modell, das Systemmodell. Sie verdeutlichten es an der Kommunikation:

Kommunikation ist kein einseitiger Prozess, sondern ein „Regelkreis“, und zwar so, dass beide Kommunikationspartner

wechselseitig aufeinander einwirken: Der Sender wirkt auf den Empfänger – und zugleich wirkt der Empfänger auf den

Sender.8 Hall/Fagen definieren den Begriff System: „A system is a set of objects together with relationships between the

objects and between the attributes.”9

Damals gingen die frühen Vertreter der Systemtheorie davon aus, eine Supertheorie entwickeln zu können. Im Laufe der

Diskussion zu solchen Konzepten stellte sich aber heraus, dass eine solche „allgemeine Systemtheorie“ nicht haltbar

ist. Ein soziales System wie die Familie verhält sich nun mal anders als ein physikalisches System. Daher kam es zur

Entwicklung von verschiedenen systemtheoretischen Ansätzen. Einer davon ist die „Personale Systemtheorie“ in der Tra-

dition von Gregory Bateson. Der Anthropologe Gregory Bateson hat in den 1950er-Jahren in Zusammenarbeit mit dem

Psychiater John D. Jackmann versucht, die früheren systemtheoretischen Ansätze in Bezug auf praktisches Handeln zu

einer Theorie sozialer Systeme weiterzuentwickeln. Das Buch „Menschliche Kommunikation“ von Paul Watzlawick, Janet

H. Beavin und Don D. Jackson versucht eine allgemein verständliche Zusammenfassung von Batesons Systemtheorie.10

Das Verhalten eines sozialen Systems lässt sich nicht kausal erklären, wie man auf der Basis des Ursache-Wirkungs-

Denkens meinte, sondern resultiert aus dem Zusammenwirken verschiedener Faktoren:

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

- den handelnden Personen,

- ihren subjektiven Deutungen,

- sozialen Regeln,

- immer wiederkehrenden Verhaltensmustern,

- der (materiellen oder sozialen) Systemumwelt sowie

- der bisherigen Entwicklung.

1.2. Kybernetik 1. Ordnung

Der Begriff der Kybernetik wurde von Norbert Wiener geprägt. Sie erklärt, wie komplexe Systeme unter welchen Umstän-

den funktionieren. Man spricht von „Kybernetik, wenn Effektoren, wie z.B. ein Motor, eine Maschine, unsere Muskeln

usw. mit einem sensorischen Organ verbunden sind, das mit seinen Signalen auf die Effektoren zurückwirkt. Es ist diese

zirkuläre Organisation, die die kybernetischen Systeme von anders organisierten Systemen unterscheidet.“11 Die Kyber-

netik 1. Ordnung ist die Lehre von Regelkreisen und beschäftigt sich mit der Theorie über beobachtete Systeme. Der Fo-

kus liegt dabei auf Regelung und Steuerung. Die Zirkularität ist dabei das fundamentale Prinzip. Deshalb kommen in der

Kybernetik als Systeme in erster Linie geregelte Mechanismen in Betracht. Die Regelung beruht immer auf Prozessen,

die mit der mathematischen Systemtheorie der Technik beschrieben werden. Ludwig von Bertalanffy hat sich gegen die

Vermischung seiner Systemlehre und der Kybernetik ausgesprochen, weil er das mechanistische Denken der Kybernetik

für die Beschreibung von Leben als nicht adäquat erachtete. Heute wird der Ausdruck „Systemtheorie“ aber beliebig für

beides auf drittes verwendet.12

1.3. Kybernetik 2. Ordnung

In diesem Schritt geht es von einem physikalischen zu einem biologischen Weltbild. „In der Kybernetik liefen von Anfang

an zwei grundlegende Orientierungen nebeneinander her. Die eine beschäftigte sich mit der Konzipierung und Planung

technischer Systeme, die auf den Mechanismus der Selbstregelung mit Hilfe von Rückkoppelung und zirkulärer Kausa-

lität beruhen. Zu ihren Errungenschaften gehören Industrieroboter, automatische Piloten […] und natürlich Computer.

[…] Die zweite Orientierung hat sich auf die allgemeine Frage des menschlichen Wissens konzentriert.“13

In der Kybernetik 1. und 2. Ordnung geht es um zwei fundamental unterschiedliche kybernetische Blickwinkel auf die

Realität, die Heinz von Foerster entwickelt hat. Erst die Rückkoppelung zwischen erster und zweiter Ordnung liefert die

entscheidenden praktischen Konsequenzen für den Erfolg, insbesondere für das Phänomen der Selbstorganisation.

In einem Interview, das Prof. Dr. Bernhard Pörksen – er ist Professor für Medienwissenschaften an der Universität Tü-

bingen – mit dem 2002 verstorbenen Physiker und Begründer der Kybernetik zweiter Ordnung, Heinz von Foerster, 1998

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geführt hat, werden die Kernpunkte der Kybernetik zusammengefasst:

B. Pörksen: „Gibt es ein verbindendes Prinzip, das all diesen Vorstellungen über die Kybernetik gemeinsam ist?“

H. von Foerster: „Das fundamentale Prinzip kybernetischen Denkens ist, so meine ich, die Idee der Zirkularität. Da beginnt

alles, von dort aus muss man weiterdenken, das ist die Basis. Das Prinzip der Zirkularität zeitigt enorme Folgen, wenn

man es zu Ende und in die Tiefe denkt und mit erkenntnistheoretischen Fragen verknüpft. Man betritt auf einmal verbo-

tenes Terrain, befasst sich mit der unter den Logikern verpönten Selbstbezüglichkeit. Allerdings dauert es seine Zeit, bis

man die Konsequenzen zirkulärer Kausalität voll ausgelotet hat. Ich erinnere mich, dass ich einmal darauf hinwies, dass

die Zirkularität doch das Wesentliche der Kybernetik sei und dass man dieses Prinzip noch viel fundamentaler untersu-

chen müsste. Ich schrieb über eine neue Dimensionalität des Argumentierens, die die lineare Kausalität ablöst. Mein Pa-

pier, das als ein Vorwort zu den Berichten einer Reihe von wichtigen Kybernetik-Konferenzen gedacht war, schickte man

mir zurück und forderte mich auf, doch lieber über das Wasserklosett, den Thermostat und den Maxwellschen Regulator

in einer Dampfmaschine zu schreiben. Ich antwortete, dass ich mich nicht besonders für das Wasserklosett interessiere,

und der Thermostat macht das Leben angenehm, aber ich finde ihn nicht so schrecklich wichtig.“

B. Pörksen: „Die Beispiele, über die man damals sprach, luden ja auch wirklich nicht zu erkenntnistheoretischen Refle-

xionen ein: Thermostate, Wasserklosetts und das Steuern von Booten standen im Zentrum. Können Sie trotzdem eines

dieser Beispiele herausgreifen, um die Zirkularität zu erläutern?“

H. von Foerster: „Am besten sprechen wir über das Steuern eines Bootes, da der Begriff Kybernetik, den Norbert Wiener

prägte und im Jahre 1948 zum Titel seines Buches machte, auf das griechische Wort für Steuermann (kybernetes) zu-

rückgeht, das im Lateinischen zum gubernator und im Englischen zum governor wird. Ein amerikanischer Gouverneur

müsste eigentlich, folgt man der Wortgeschichte, ein Kybernetiker sein. Aber zurück zu unserem Beispiel: Was macht ein

Steuermann, der sein Schiff sicher in den Hafen hineinmanövrieren möchte? Er absolviert kein ein für allemal festgeleg-

tes Programm, sondern er variiert dies permanent. Wenn das Boot vom Kurs und seinem Ziel nach links abweicht, weil

der Wind so stark bläst, schätzt er diese Kursabweichung ein, sodass er weiterhin auf den Hafen zufährt. Er versucht, den

Fehler zu korrigieren. Und vielleicht steuert er etwas zu stark gegen. Das Ergebnis ist womöglich eine Kursabweichung

nach rechts und die Notwendigkeit, erneut gegenzusteuern. In jedem Moment wird die Abweichung in Relation zu dem

ins Auge gefassten Ziel, dem Telos, das zum Beispiel ein Hafen sein kann, korrigiert. Das Betätigen des Steuers, eine Ur-

sache, erzeugt also eine Wirkung; das ist die Kurskorrektur. Und diese Wirkung wird wieder zu einer Ursache, denn man

stellt eine neue Kursabweichung fest. Und diese erzeugt ihrerseits eine Wirkung, nämlich wiederum eine Kurskorrektur.

Solche Steuerungsvorgänge sind ein wunderbares Beispiel zirkulärer Kausalität.“

B. Pörksen: „Was hier passiert, ist im Grunde genommen ein Prozess der Informationsauswertung, der jeweils das

eigene Verhalten verändert. Man bemerkt eine Kursabweichung und handelt entsprechend, indem man gegensteuert.“

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

H. von Foerster: „Die frühen Kybernetiker – Norbert Wiener, Claude Shannon, Warren Weaver, Ross Ashby – haben ge-

nau diesen Aspekt immer wieder betont. Sie machten deutlich, dass beispielsweise der Steuermann seinem motorischen

System „mitteilen“ muss, wie und in welchem Ausmaß es das Steuer bewegen soll. Und diese Mitteilung über die Art und

Weise der Bewegung im Verhältnis zu einem bestimmten Ziel kann man als einen Vorgang der Informationsauswertung

begreifen.““14

In der Kybernetik zweiter Ordnung geht es, vereinfacht ausgedrückt, um die Beobachtung der Beobachtung. Das heißt,

dass auch die Beobachtung des Beobachters Auswirkungen auf die zu beobachtende Situation hat. Dieser Aspekt ist

wichtig für die Eigenreflexion des Beobachters. Ein Coach sollte sich bewusst sein, mit welchen Kriterien und Annahmen

er seinem Coachee im Coachingprozess gegenübersteht. Das heißt, ein Bewusstwerden von allem, was der Coach wäh-

rend des Coachingprozesses wahrnimmt und auch reflektiert, was das mit ihm als Individuum macht.

1.4. Konstruktivismus

Der Konstruktivismus ist eine allgemeine Bezeichnung für verschiedene Richtungen in Wissenschaften und kulturellem

Leben, für die das Augenmerk bei der Betrachtung von Wirklichkeit auf deren Konstruktion bzw. Konstruiertheit liegt.

Anders gesagt fragt der Konstruktivismus, ob die Welt, wie wir sie sehen, Wirklichkeit ist oder ob sich jeder sein Weltbild

selbst konstruiert.

Im Bezug auf die Haltung des Coaches ist der radikale Konstruktivismus ausschlaggebend. Die Kernaussage besagt,

dass eine Wahrnehmung niemals ein Abbild der Realität liefert, sondern immer nur eine Konstruktion aus Sinnesreizen

und Gedächtnisleistung eines Individuums ist. Deshalb ist die Objektivität im Sinne einer Übereinstimmung von wahr-

genommenem (konstruiertem) Bild und Realität unmöglich, das heißt, jede Wahrnehmung ist ausnahmslos subjektiv.

Darin besteht die Radikalität, also die Kompromisslosigkeit des radikalen Konstruktivismus, als deren Begründer Ernst

von Glaserfeld gilt.15

Wenn wir beobachten, sind wir immer Teil der Beobachtung. „Ohne Beobachter gibt es keine Beobachtung“. Oder wie

Heinz von Foerster sagte, „Die Umwelt, wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung.“16

Nachdem wir uns mit dem grundlegenden systemischen Gedankengut beschäftigt haben, wollen wir uns in einem nächs-

ten Schritt den Grundprinzipien des systemischen Denkens und den Grundannahmen des Coachingsalon Wien zuwen-

den, welche die Basis für die praktische Umsetzung im systemischen Coaching bilden.

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

2. Grundprinzipien des systemischen Denkens

Der Terminus des systemischen Denkens wird in sehr vielen unterschiedlichen Kontexten verwendet. Für den Kontext

der Beratung ist es wichtig, zwischen der systemischen Haltung und der Verwendung von systemischen Werkzeugen

klar zu unterscheiden:

Die systemische Haltung bestimmt, wie ein Coach in der Beratung agiert und welche Grundannahmen seinem Handeln zu

Grunde liegen (vergleiche Kapitel Grundannahmen des Coachingsalon Wien). Die Systemischen Werkzeuge wiederum

bestimmen, was der Berater tut, welche Interventionen und Methoden er einsetzt, um zum Beratungserfolg zu gelangen.

Im Folgenden widmen wir uns der systemischen Haltung, sprich den Grundannahmen, die hinter einer systemischen

Beratung liegen:17

2.1. Was ist ein System

Ein System ist ein Konstrukt (ein Hilfsmittel zum einfachen Arbeiten), das aus Strukturen, Regeln, Beziehungen, Kom-

munikationen und Handlungen besteht – die von Menschen (dem Systemumfeld), die dieses System bilden, erzeugt

werden. Im Coaching wird auf den Menschen mit seinen inneren Strukturen und damit auf das innere System des Indi-

viduums geschaut.

2.2. Menschen entstehen im System

Menschen bilden von der ersten Minute der Zeugung an Systeme und verhalten sich in verschiedenen Systemen völlig

unterschiedlich. Es macht einen Unterschied, ob man sich beispielsweise gerade im Familiensystem oder Organisati-

onssystem befindet. Das Handeln verändert sich oft grundlegend, da am Arbeitsplatz beispielsweise ein ganz anderes

Kommunikationsmuster als in der Familie herrscht.

2.3. Systemisch denken heißt zirkulär denken

Alles hat wechselseitig Einfluss aufeinander. Es gibt daher keine eindeutigen „Ursachen“ oder „Schuldige“, sondern

nur Beteiligungen von unterschiedlicher Art und unterschiedlichem Ausmaß. Lineare Denkweisen reduzieren zwar die

Komplexität, damit werden aber Zusammenhänge oft nicht richtig erkannt. Zirkuläres Denken berücksichtigt die vielen

verschiedenen Wechselwirkungen. Jedes Verhalten jedes Beteiligten ist gleichzeitig Ursache und Wirkung des Verhal-

tens der anderen Beteiligten.18

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2.4. Systemisch Denken heißt, in Auswirkungen zu denken

Wir können stets frei wählen, übernehmen dabei aber die Verantwortung für die Folgen unseres Handelns. Das heißt,

indem wir uns bewusst für eine Handlung entscheiden, verzichten wir auf alle anderen Handlungsoptionen. Oder anders

ausgedrückt: Jede Medaille hat auch ihre Kehrseite. Jede Handlung hat ihren „Preis“.

2.5. Systemisches Denken ist zielorientiert

D.h. nicht „ursachen-“ und vergangenheitsorientiert. Das Problem hat nichts mit der Lösung zu tun. Anstatt Probleme,

Schwierigkeiten oder Gründe zu diskutieren, erkundet der Coach mit dem Klienten erwünschte Ziele, Lösungen und

Erfahrungen, die in der Vergangenheit bereits zu Erfolg führten.19 „Problem talk creates problems. Solution talk creates

solutions“, fasste es Steve de Shazer zusammen.20

2.6. Menschen denken in ihren ureigenen Mustern

Jeder Mensch hat individuelle „innere Landkarten“, die sich infolge seiner Sozialisation etabliert haben. Nach diesen

Mustern erfolgt in der Regel das Verhalten in bestimmten Situationen. Als Coaches unterstützen wir dabei, weniger hilf-

reiche Denkmuster beim Klienten zu unterbrechen bzw. neue zu finden.

2.7. Problemlösungen können durch hilfreiche Verstörung angeregt werden

Durch die Problemsicht und die dazugehörenden Denkmuster empfinden Klienten oft eine Ausweglosigkeit. Es braucht

daher eine „hilfreiche“ Verstörung“ von außen, um bisherige Denkschemata zu durchbrechen. Wir übernehmen als Coach

stets die Verantwortung für die Intensität und Art der Verstörung. „Wenn man hinterher ganz andere als die gewohnten

Antworten haben will, darf man nicht auf die gewohnte Art fragen“ (Bernd Schmid). Oder wie Albert Einstein sagte: „Die

signifikanten Probleme, die sich uns stellen, können nicht mit dem gleichen Grad des Denkens gelöst werden, den wir

hatten, als wir sie kreiert haben.“

2.8. Systemische Arbeit bedeutet Prozessarbeit

Der Kunde bleibt Experte für die Inhalte (Problem- und Lösungswelt). Durch hilfreiche Verstörungen wird bewirkt, dass

es bei ihm zu neuen inneren Abläufen kommt. Der Coach übernimmt dabei die Rolle des Prozessgestalters. Er ist verant-

wortlich für den Ablauf des Coachingprozesses.

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2.9. Wir arbeiten im Beratungs-, nicht im Heimatsystem21

Wir können im Coaching mit dem Kunden nur Maßnahmen für dessen Leben erarbeiten, wir können nicht mit ihm sein

Leben leben. In das Heimatsystem, aus dem der Kunde sein Problem schildert, ist der Coach nicht involviert. Lösungen

kann der Kunde nur selbst umsetzen. In der Praxis, im „Leben“, ist der Coach nicht dabei.22

3. Grundannahmen des Coachingsalon Wien23

Die Grundannahmen bilden die Basis für das Coachingsetting, sie sind sozusagen das MindSet und damit die Grund-

haltung, mit dem ein Coach einem Kunden begegnet. Im Folgenden sollen die wichtigsten dieser Grundannahmen

beschrieben werden.24

3.1. Es gibt keine objektive Wirklichkeit

Unser Denken und Handeln ist bestimmt von Wirklichkeitskonstruktionen. Wie auch immer die Außenwelt sein mag,

ein Mensch nutzt seine Sinne (sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken), um sie zu erforschen und innere Landkarten

davon anzulegen.

Die Welt bietet unendlich viele Sinneseindrücke, der Mensch kann davon nur einen kleinen Teil wahrnehmen. Der Teil,

der wahrgenommen werden kann, wird weiter gefiltert durch Erfahrungen, Kultur, Einstellungen und Werte, Interessen

und Annahmen. Somit hat jedes Individuum eine eigene innere Landkarte und Struktur und damit eine individuelle (und

damit nicht objektive) Wahrnehmung der Wirklichkeit. Damit ist eine einzige, objektive Wirklichkeit von Grund auf aus-

geschlossen.

Will ein Coach die Themen (Probleme) von Kunden nachvollziehen, ist es wichtig, in die Welt (und damit innere Struktur

des Systems) einzutauchen (vgl. Kapitel Systemerkennung).

3.2. Probleme als Konstrukte

Probleme als Konstrukte, die zeit- und situationsabhängig nur von den beteiligten Personen wahrgenommen werden.

Jedes Problem ist einzigartig und stellt für den Einzelnen die Wirklichkeit dar.

Probleme werden im Coachingsetting als Wirklichkeitskonstruktionen gesehen. Jeder Coachee beschreibt, bewertet und

erklärt diese Konstrukte in der systemeigenen Weise. Andere Beteiligte würden dieselbe Situation ganz anders beschrei-

ben, bewerten und erklären. Das heißt auch, dass ein Problem nicht für alle wahrnehmbar ist, sondern vom Coachee aus

der Sicht und Interpretation des eigenen Erlebens und der individuellen inneren Landkarte wahrgenommen wird. Ohne

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Wahrnehmenden gibt es auch kein Problem.25 Und die individuelle Wahrnehmung des Problems ist für den Coachee

wirklichkeitsbestimmend.

Es wird niemals zwei Menschen geben, die zugleich auf die gleiche Art und Weise das Gleiche erleben. Wir tun zwar

immer so, als ob es eine abgesprochene Wirklichkeit gäbe. Paul Watzlawick hat das in seinem Buch „Vom Sinn des

Unsinns“ anhand eines Beispiels sinngemäß so beschrieben: Wenn wir auf einer Speisekarte ein Menü auswählen,

haben wir eine Vorstellung darüber, wie es aussehen und schmecken wird. Leider stimmen die gebotene Realität und

die vermutete Realität nur selten überein. Dadurch entstehen zwangsläufig Enttäuschungen, die daher kommen, dass wir

Bezeichnungen mit klaren Vorstellungen davon, „wie es sein soll“, verbinden. Wir gehen davon aus, dass alle Menschen

auf dieser Welt ähnlich denken und ähnliche Wertvorstellungen haben wie wir selbst.26

Nehmen wir den Begriff „Erfolg“. Würde man eine Befragung in einem Unternehmen über die Bedeutung dieses Begriffes

durchführen, würde man mit Sicherheit viele unterschiedliche Antworten erhalten. Genauso verhält es sich auch mit der

„Entstehung“ von Problemen. Genau genommen gibt es ohne die subjektive Wahrnehmung kein Problem. Und die Wahr-

nehmung ist bestimmt durch subjektive Interpretationen. Probleme sind Konstrukte der Beteiligten und jeder Beteiligte

beschreibt, erklärt und fühlt diese Konstrukte auf eine völlig individuelle Weise. Im Moment der Wahrnehmung ist es

für den Betroffenen wirklichkeitsbestimmend und wird mit dem Problemfokus gescannt (das beschriebene Problem wird

häufig als groß und nur schwer veränderbar wahrgenommen).

Im Coaching geht es häufig darum, mit dem Coachee neue Beschreibungen, Erklärungen oder Bewertungen von Situ-

ationen zu finden, die dann wiederum zu einer Veränderung der Situation und/oder des Verhaltens (zum Beispiel durch

eine andere Art der Kommunikation, ein anderes Wording) führen.

3.3. Probleme anderer können nicht verstanden und gelöst werden

Nachdem die Problemdarstellung eine Folge der Wirklichkeitskonstruktion des Kunden ist, kann ein Coach die Situation

weder verstehen und noch weniger lösen. Aus diesem Grunde arbeiten wir eben mit der inhaltsfreien und lösungs-

orientierten Vorgehensweise und sehen die Coachees für die absoluten Experten ihrer Themen an und bleiben in der

Grundhaltung der Prozessbegleiter. Diese Grundhaltung ist manchmal herausfordernd, weil es auch sein kann, dass die

eigenen Wirklichkeiten angesprochen werden und diese zu (unerwünschten) Interpretationen und Bewertungen kommt.

Wichtig ist, dies als Coach wahrzunehmen und sich bewusst wieder in die genannte Grundhaltung zu bewegen.

3.4. Probleme wollen wertgeschätzt werden

Ein wichtiger Punkt ist es, dem Problem den entsprechenden Platz einzuräumen. Auch wenn das Problem von außen

noch so einfach und klar erscheinen mag, ist es wichtig, ihm wertschätzend und anerkennend zu begegnen. Zeigt die

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Reaktion des Coaches einen „Ist doch alles halb so schlimm, ist doch gar kein Problem“-Ansatz, wird beim Kunden eine

massive Abwehrhaltung ausgelöst und er gelangt in eine Verteidigungshaltung, warum das Problem ein „wahnsinniges

Problem“ ist und der Problemfokus wird vertieft und das neuronale Muster bekommt neue Kraft.27 (vgl. Kapitel Hirnfor-

schung und das Muster der Veränderung)

3.5. Wir entscheiden jede Minute unbewusst, was wir wahrnehmen und was nicht

Wir können uns entscheiden, diese Aufmerksamkeit zu beeinflussen.

Peter Szabó schreibt in einem Artikel sinngemäß: „Wenn es keine objektive Wirklichkeit gibt und jeder von uns seine

eigene Wirklichkeit auf der Basis der subjektiven Erkenntnis konstruiert, warum sollten wir nicht unseren Klienten helfen,

eine hilfreiche und mögliche Realität zu konstruieren?“.28

Systemisches Coaching ist ziel- und lösungsorientiert. Dieses Prinzip ist geprägt von Steve de Shazer. Das Besondere

an diesem Ansatz ist, dass der Fokus nicht zu sehr auf das Problem, sondern zukunftsweisend – also nach vorne – hin

zur Lösung orientiert ist.

Als Coaches können wir natürlich auch viel Zeit in die Problemschilderung investieren. Zielführender für den Coachee

ist aber, nach Lösungen zu suchen. Nach Möglichkeiten, die ihm Energie bringen, neue Wege zu gehen oder alte Muster

zu verlassen.

Es gilt daher, den Coachee durch entsprechende Begleitung zur eigenen Lösungskompetenz zu führen. Denn nur er

selbst ist der Experte für die Lösung. Gerade als systemischer Coach sollte man sich mit Ratschlägen zurückhalten. Das

wäre kontraproduktiv und schwächt die Handlungskompetenz des Betroffenen.

3.6. Alles Erleben ist Aufmerksamkeitsfokussierung

Wir entscheiden jede Minute unbewusst, was wir wahrnehmen und was nicht, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf

etwas fokussieren (vgl. Kapitel Hirnforschung). Daraus folgend ist alles Erleben Aufmerksamkeitsfokussierung und der

Coachee kann jederzeit entscheiden, die Aufmerksamkeit auf etwas anderes (zum Beispiel die Lösung zu fokussieren).

Wichtig dabei ist, dass der Coachee eine bewusste Entscheidung trifft und damit eine Veränderung initiiert.29

„So bin ich nun mal, da kann man nichts ändern“. Diese Aussage hat jeder schon einmal gehört. Dabei sagt sie im Grun-

de nur aus: „Man“ kann es wirklich nicht ändern, das kann die Person nur selbst. Sie sagt auch aus, dass die Person

vielleicht tatsächlich in bestimmten Situationen sich immer gleich verhält. Aber eben nur bis jetzt. Es steht jeder und

jedem frei, ab sofort dieses Verhalten zu ändern.

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3.7. Jede Intervention ist eine strukturierte Form der Aufmerksamkeitsfokussierung

Jede Intervention im Coachingsetting (aufbauend auf der inneren Struktur des Coachees und der Hypothesenüberprü-

fung des Coaches) bietet demnach eine strukturierte Form der Aufmerksamkeitsfokussierung und damit eine Unterstüt-

zung für einen erfolgreichen Coachingprozess.

3.8. Ressourcenstärkung: Fokussierung auf den Zielzustand

Der Coach kann beispielsweise durch die „Wunderfrage“ den Coachee auf einen wünschenswerten Zustand fokussieren.

Durch Beispiele aus der Vergangenheit, wo Ähnliches schon einmal gut funktioniert hat, wird die Aufmerksamkeit des

Coachees auf einen wünschenswerten Zielzustand gelenkt. Der Coachee schildert möglichst detailliert, wie es sich im

gewünschten Zustand anfühlt, wie Dinge sich genau geändert haben müssen, um dieses Gefühl zu erlangen. Dadurch

wird auch die Problemlösungskompetenz gestärkt.

3.9. Jedes Verhalten hat einen Nutzen

Menschen tun immer das, was zu diesem Zeitpunkt für sie am meisten Sinn macht. Wenn ein Verhalten Sinn macht und

ein Nutzen daraus hervorgeht, agiert der Mensch in allen Situationen für ihn (zu diesem Zeitpunkt) bestmöglich. Zum

Beispiel kann Jähzorn einem Menschen zeigen, dass eine innere Grenze überschritten wurde. Das Verhalten ist grund-

sätzlich vom Coachee nicht gewünscht, aber das Wahrnehmen der Grenze wird dadurch forciert.

Im Coaching ist es Ziel, den Nutzen des Verhaltens herauszufiltern, um dann gegebenenfalls ein neues Verhalten zu

finden, in dem der Nutzen auch integriert ist. (Das Gegenteil davon wäre, dem Menschen klar machen zu wollen, dass

das Verhalten nichts bringt und dass er doch anders agieren sollte.)

3.10. Coach ist ein Prozessbegleiter – Coachee hält die inhaltliche Verantwortung

Das Verhalten von Menschen wird durch die Entscheidung bestimmt, in einer ganz individuellen Art zu reagieren, die

nicht vorhersagbar ist.30 Auf das Coaching übertragen heißt das, dass wir die Auswirkungen auf unsere Interventionen

zwar erahnen, aber letzten Endes nicht vorhersagen können. Knackpunkt ist hier im Beratungsprozess, dass der Coachee

von sich aus Sinn findet und bereit ist, die Veränderung anzugehen. Im Rahmen eines Einstiegsgespräches kann die

Thematik folgendermaßen angesprochen werden: „Es ist Ihre Entscheidung. Wenn Sie X wollen, dann geben Sie mir

Bescheid. Ich möchte aber auf jeden Fall, dass Sie sich bewusst dafür entscheiden.“

Durch eine solche Herangehensweise bleibt die Verantwortung für das Tun und für die Veränderung beim Kunden, der

Coach ist lediglich Prozessbegleiter.

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3.11. Der Mensch ist nicht, sondern verhält sich

Die Unterscheidung zwischen „ein Mensch ist“ und „ein Mensch verhält sich“ hat große Auswirkungen: Die Konstel-

lation „ein Mensch ist“ beinhaltet eine fixe Zuschreibung und führt zwangsläufig zu einer statischen Situation, die als

unveränderbar dargestellt wird.

Die Konstellation „ein Mensch verhält sich“ lässt offen, dass er sich beim nächsten Mal komplett anders verhält.

1) Ich habe aufgrund des einfacheren Schreib- und Leseflusses in meinen Ausführungen die männliche Schreibweise zugrundegelegt, meine aber damit gleichermaßen beide Geschlechter.2) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Coach, 9.4.2011, 16:00 Uhr.3) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/System, 9.4.2011, 18:00 Uhr.4) Satir, Virginia, 1999: Kommunikation Selbstwert Kongruenz, S. 179f.5) Steinert, Heinz, 1997: Systemtheorie. In: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hg.): Fachlexikon der Sozialen Arbeit. 4. Aufl. Stuttgart, Berlin, Köln: Eigenverlag, S 942. In: Systemisches Coaching im Prozess, 2008. Internationale Akademie an der Freien Universität Berlin (Hg.), S 14.6) Schmidt, Gunther, 2004: Liebesaffären zwischen Problem und Lösung, S. 18.7) Vgl. König, E., Volmer, G., 2009: Handbuch Systemisches Coaching, S 18 ff.8) Vgl. König, E., Volmer, G., 2009: Handbuch Systemisches Coaching, S 18.9) Hall/Fagen 1956: Definition of Systems. In: König/Volmer, 2009, Handbuch Systemisches Coaching, S. 18.10) Watzlawick, Paul u.a. 2007: Menschliche Kommunikation, ursprünglich 1969.11) Von Foerster, Heinz, 1993: KybernEthik. Merve Verlag, S. 61.12) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Systemtheorie, 19.8.2011, 09:00 Uhr.13) Von Glaserfeld, Ernst, 1996: Radikaler Konstruktivismus. Suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1326, S. 240f.14) http://www.heise.de/tp/artikel/6/6240/1.html, 19.8.2011, 11:00 Uhr.15) http://de.wikipedia.org/wiki/Radikaler_Konstruktivismus, 20.8.2011, 08:00 Uhr.16) Von Foerster, Heinz. In: Renate Daimler, Basics der Systemischen Strukturaufstellungen, 2008, S 386.17) Vgl. Kaszubski, Linda, 2010: Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und der Freien Universität Berlin_Einheit 1.18) Schmidt, Gunther, 2004: Liebesaffären zwischen Problem und Lösung, S. 21.19) Vgl, Szabó, Peter: Introduction to Solution-focused Brief Coaching, Artikel S. 1.20) Vgl. de Shazer, Steve, Dolan, Yvonne, 2008: Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute.21) Die Begriffe „Beratungssystem“ und „Heimatsystem“ stammen von Gunther Schmidt.22) Vgl. Radatz, Sonja, 2009: Beratung ohne Ratschlag. S. 75ff.23) Vgl. Radatz, Sonja. In: Kaszubski, Linda (2010). Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und Freie Universität Berlin_Einheit 1.24) Vgl. Kaszubski, Linda, 2010: Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und der Freien Universität Berlin_Einheit 1.25) Schmidt, Gunther Seminarmitschrift LK.26) Vgl. Watzlawik in Radatz, Sonja, 2009, Beratung ohne Ratschlag, S. 33.27) Vgl. Kaszubski, Linda, 2010: Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und der Freien Universität Berlin_Einheit 1.28) Szabó, Peter: Introduction to Solution-focused Brief Coaching, Artikel S. 2.29) Vgl. Kaszubski, Linda, 2010. Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und der freien Universität Berlin_Einheit 1.30) Vgl. Radatz, Sonja. In: Kaszubski, Linda (2010). Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und Freie Universität Berlin_Einheit 1.

4. Literaturverzeichnis

De Shazer, Steve, Dolan, Yvonne, 2008: Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute

Hall/Fagen 1956: Definition of Systems. In: König/Volmer, 2009, Handbuch Systemisches Coaching

http://de.wikipedia.org/wiki/Coach, 9.4.2011, 16:00 Uhr

http://de.wikipedia.org/wiki/Radikaler_Konstruktivismus, 20.8.2011, 08:00 Uhr

http://de.wikipedia.org/wiki/System, 9.4.2011, 18:00 Uhr

http://de.wikipedia.org/wiki/Systemtheorie, 19.8.2011, 09:00 Uhr

http://www.heise.de/tp/artikel/6/6240/1.html, 19.8.2011, 11:00 Uhr

Kaszubski, Linda, 2010: Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und der Freien Universität Berlin_Einheit 1

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

König, E., Volmer, G., 2009: Handbuch Systemisches Coaching

Radatz, Sonja, 2000 bzw. 2009: Beratung ohne Ratschlag

Satir, Virginia, 1999: Kommunikation Selbstwert Kongruenz

Schmidt, Gunther, 2004: Liebesaffären zwischen Problem und Lösung

Steinert, Heinz, 1997: Systemtheorie. In Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hg.): Fachlexion der So-

zialen Arbeit. 4. Aufl. Stuttgart, Berlin, Köln: Eigenverlag, In: Systemisches Coaching, im Prozess, 2008. Internationale

Akademie an der Freien Universität Berlin (Hg.)

Szabó, Peter: Introduction to Solution-focused Brief Coaching, Artikel

Von Foerster, Heinz, 1993: KybernEthik. Merve Verlag

Von Foerster, Heinz. In: Renate Daimler, Basics der Systemischen Strukturaufstellungen, 2008

Von Glaserfeld, Ernst, 1996: Radikaler Konstruktivismus. Suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1326

Watzlawick, Paul u.a. 2007: Menschliche Kommunikation, ursprünglich 1969

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Coaching-Fragen im Überblick Dr. Sandra Gruber

„Der Glaube, es gebe nur eine Wirklichkeit, ist die gefährlichste Selbsttäuschung.“

Paul Watzlawick

Inhaltsverzeichnis

1. Allgemeines

2. Fragen ins Thema

3. Fragen ins Ziel

4. Dissoziierende Fragen

5. Assoziierende Fragen

6. Fragen nach Ressourcen

7. Fragen nach Future Pace

8. Literatur- bzw. Quellenverzeichnis

1. Allgemeines

Coaching lebt von Fragen. Der Coach stellt dem Coachee abwechslungsreiche und anregende Fragen und verhilft dem

Coachee so zu unterschiedlichen Sichtweisen. Erst der breit gefächerte und neue Blick auf die Gesamtzusammenhänge

im System eröffnen dem Coachee eine Vielfalt an Handlungsmöglichkeiten. Mit Hilfe von Fragen unterstützt der Coach

den Coachee darüber hinaus, sich die eigenen Potenziale bewusst vor Augen zu führen und hilft, die persönlichen Res-

sourcen zur Lösungsfindung zu aktivieren.1

Obwohl Fragen eine zentrale Stellung im Coachingprozess einnehmen, existiert in der anerkannten Coaching-Literatur

zum aktuellen Zeitpunkt keine einheitlich und allgemein gültige Kategorisierung von Fragen. Im Gegenteil, es liegen

vielfältige Typisierungsansätze vor. Darüber hinaus ist es für den angehenden Coach vielfach schwierig, eine umfassende

Liste an Coachingfragen zu finden, aus der er/sie auswählen kann. Aus diesem Grund ist es Ziel des nachfolgenden Bei-

trags, eine kompakte Kategorisierung von Fragen vorzuschlagen und je Fragenkategorie praxiserprobte Coachingfragen

zur Verfügung zu stellen.2

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2. Fragen ins Thema

Zu Beginn des Coachingprozesses geht es darum, eine Situationsanalyse vorzunehmen. Mit „Fragen ins Thema“ wird

das Anliegen des Coachees klar auf den Punkt gebracht. Nachfolgende Beispiele führen gut zum aktuellen Zustand des

Coachees:3

- Bei welchem Thema kann ich Ihnen helfen?

- Was kann ich für Sie tun? Was führt Sie zu mir?

- Welche Erwartungen/Wünsche haben Sie an mich?

- Wessen Idee war es, dass Sie heute hier sind?

- Was müssten Sie tun, um xx davon zu überzeugen, dass Sie nicht zum Coaching kommen müssen?

- Wie beschreiben Sie Ihre momentane Situation? Was möchten Sie stattdessen?

Was ist an der jetzigen Situation bewahrenswert?

- Wie lautet Ihr Anliegen/Thema?

- Haben Sie bislang schon Lösungsversuche unternommen? Bitte schildern Sie diese.

Was war noch wichtig? Was noch? Fehlt noch etwas?

- Aus welchen Gründen möchten Sie Ihr Anliegen gerade jetzt bearbeiten?

- Wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es darum, dass ich Sie dabei unterstützen darf …

- Würden Sie mir bitte noch ein wenig mehr Input zu xx geben?

- Was soll heute das Thema sein?

- Was wäre für Sie heute nützlich?

- Sie haben viel genannt. Womit sollen wir Ihrer Meinung nach starten?

- Erzählen Sie bitte etwas über sich. Was führt Sie zu mir?

- Worüber möchten Sie heute mit mir sprechen?

- Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Coaching?

- Wann wäre ich als Coach aus Ihrer Sicht erfolgreich?

- Ich habe da so eine Idee. Könnte es sein, dass ?

- Sie sagten gerade, dass … Ist das so?

- Können Sie das bitte noch einmal für mich formulieren?

- Gibt es noch etwas, was ich wissen sollte?

- Wenn Sie in sich hineinhören, wer meldet sich zu diesem Thema noch zu Wort?

- Wer ist in welcher Form noch in Ihre Situation involviert?

Was unternimmt jede einzelne dieser Personen, um diese Situation herbeizuführen?

- Welches Bild/Symbol finden Sie für Ihre jetzige Situation?

- Gibt es mit Bezug auf Ihre Situation etwas, was Sie noch nicht beschrieben haben?

- Was sind die „rote Fäden“ bei Ihrem Thema?

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Gibt es Bilder, Worte, Verhaltensweisen etc., die immer wieder vorkommen?

- Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in der Zeit zwischen der Anmeldung zu einem Coaching-Termin

und der ersten Stunde eine Veränderung stattfindet, die dazu dienen soll, ein bestimmtes Problem zu lösen.

War das bei Ihnen auch so?4

- Was genau wollen Sie mittels Coaching erreichen?

- Nehmen Sie bitte an, Ihr Anliegen sei ein Wesen. Beschreiben Sie mir dieses Wesen.

Welches Geschlecht hätte es? Wie würde es heißen? Wie würde es aussehen?

Wäre es groß oder klein, alt oder jung? Welche Charaktereigenschaften würde es haben? Was noch?

- Was kann ich und was können Sie tun, um den Erfolg unserer gemeinsamen Arbeit zu sichern?

- Was müsste die letzten 20 Minuten dieser Coaching-Einheit passieren, damit die Stunde für Sie gut war?

- Was muss am Ende des Coaching für Sie herauskommen, damit Sie sagen, es war nützlich für Sie,

dass Sie sich die Zeit dafür genommen haben?

3. Fragen ins Ziel

Fragen ins Ziel helfen einerseits dem Coachee, Klarheit über sein Anliegen zu gewinnen. Andererseits richten sie den

Blick des Coachees auf ein konkretes, erwünschtes Endergebnis des Coaching-Prozesses5:

- Welches Ziel möchten Sie in dieser Situation erreichen?

- Erkennen Sie Zwischenziele, in die wir dieses große Ziel teilen können?

- Wenn ich Sie richtig verstanden habe, gibt es für Sie mehrere Ziele.

Welches ist denn das wichtigste Ziel für Sie? Welches dieser Ziele sollten wir als erstes behandeln?

- Woran merken Sie, dass das Coaching beendet ist / Sie Ihr Ziel erreicht haben?

- Welchen Zustand wünschen Sie sich am Ende des Coaching? Wie fühlt sich das an?

- Welchen Schritt können/wollen Sie setzen, um Ihr Ziel zu erreichen? Was wird danach anders sein?

- Was gelingt / ist jetzt schon gut?

- Was würden Sie tun, damit Ihr Lösungsversuch mit Sicherheit daneben geht?

- Sie haben jetzt xx Mal das Wort „Problem“ benutzt. Können Sie sich vorstellen, dass wir dieses Wort

quasi als erste Veränderung weglassen und stattdessen das Wort „Thema/Anliegen“ verwenden?

- Wie schätzen Sie Ihre gegenwärtige Situation auf einer Skala von 1 bis 10 ein? 1 bedeutet, dass xx, und 10

bedeutet, dass xx maximal stattgefunden hat? Sie haben den Wert xx genannt, woran würden Sie merken,

dass Sie eine Stufe auf dieser Skala nach oben gewandert sind? Woran noch? Ist xx gut für Sie auf dieser

Skala oder wollen Sie noch weiter?

- Wie sieht Ihre aktuelle Situation mit Bezug auf Ihre Vision aus? Auf einer Skala von 1 bis 10, wo 1 xx bedeutet

und 10 xx bedeutet, wo wären Sie da?

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- Wenn Sie jetzt ICH wären, was würden Sie jetzt fragen?

- Hat sich seit der letzten Coaching-Stunde schon etwas getan? Was ist besser geworden?

Was muss noch verändert werden?

- Was ist Ihnen in Bezug auf Ihr Anliegen bereits gelungen?

- Was würde Ihnen xx raten, anders zu machen?

- Was würde Ihnen xx sagen, womit Sie beginnen müssen, damit sich Ihre Situation verändert?

- Woran werden Sie erkennen, dass Sie genug getan haben? Woran noch?

- Welchen Nutzen, Vorteil, Gewinn, erhoffen Sie sich durch die Erreichung Ihres Ziels?

- Was in Ihren Augen wäre eine große und was eine kleine Veränderung?

- Wann fühlen Sie sich Ihrem Ziel näher? Wann fühlen Sie sich weiter davon entfernt?

Was oder wer löst diese Gefühle aus?

4. Dissoziierende Fragen

Diese Art der Fragen hilft dem Coachee, das System auf der Metaebene zu betrachten. Der Coachee kann u.U. eine

bislang nicht mögliche Beobachtung vornehmen und ist nicht direkt in das Geschehen involviert. Die dissoziierte Er-

lebensweise steht für das Wahrnehmen von außen. Mit anderen „Beobachtungsbrillen“ (z.B. die eines/einer Freundes/

Freundin – „Du-Position; die des/der neutralen Beobachters/Beobachterin – „Beobachter/innen-Postition“) wird dem

Coachee gestattet, auf die Situation zu blicken. „Blinde Flecken“ können so ausgemacht oder „verkleinert“ werden.6

Ausgewählte Fragen ermöglichen es dem Coachee bspw., einen veränderten zeitlichen Blick auf die eigene Situation zu

werfen. Negatives kann so in einem anderen, distanzierten Licht betrachtet werden. Mit Hilfe anderer Sichtweisen gelingt

es dem Coachee eventuell leichter, neue Lösungswege zu finden. Es geht vielfach auch darum, weg von der Problem-

orientierung und hin zur Lösungsorientierung zu gelangen. Eine geänderte Betrachtungssicht wird mit Hilfe folgender

Fragen aktiviert:7

- Wie würde Ihr/Ihre Freund/in Ihre Situation beschreiben?

- Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Vogel. Was würden Sie dann sehen?

- Stellen Sie sich vor, es wird ein Theaterstück über Ihre Situation aufgeführt.

Wo würden Sie im Zuschauer/innen-Raum sitzen? Was wäre anders, wenn Sie Ihren Sitzplatz wechseln würden?

- Wie würde die andere Seite darüber sprechen?

- Was würde Ihnen Ihr Gegenüber raten?

- Wäre die Veränderung für Ihre Kolleg/inn/en eine große Überraschung?

- Wie würden Ihre Freunde die Situation auf derselben Skala von 1 bis 10 einordnen?

1 bedeutet xx und 10 bedeutet xx.

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- Wie würde das Bild eines Malers aussehen, der Ihre Situation beschreibt?

- Wie erleben andere Personen das Geschehen/Ihre Situation?

- Wie würden Sie Ihre Situation beschreiben, wenn Sie nicht hier, sondern auf Urlaub wären?

- Wie hat Ihre Situation früher ausgesehen?

- Was halten Sie für das Gute im Schlechten und für wen?

- Was glauben Sie, denkt xx darüber?

- Wie werden Ihre Signale/Handlungsweisen von anderen gedeutet?

- Welche „Glaubenssätze“ könnten andere Personen von Ihrer Verhaltensweise ableiten?

- Wenn es im Unternehmen eine Krise gibt, wie würden dann Ihre Mitarbeiter/innen/Kolleg/inn/en

Ihre Reaktion beschreiben? Was würden sie wahrnehmen?

- Welche Zusammenhänge sehen Sie zwischen Ihrem Verhalten und dem Verhalten von xx?

Gibt es Unterschiede, Gleichheiten oder Abhängigkeiten? Welche sind das?

- Welche Zusammenhänge zwischen Ihrem Verhalten und dem Verhalten von xx würde

eine neutrale Person erkennen?

- Wann tritt diese Situation nicht auf, obwohl man dies eigentlich erwarten könnte?

Welche Bedingungen sind erfüllt, wenn das Problem nicht auftritt?

- Stellen Sie sich bitte Zeiten vor, in denen das Problem nicht auftritt. Wie würde xx Sie dann beschreiben?

- Was denkt xx, dass Sie anders machen würden, wenn Ihr/e Vorgesetzte/r das nicht mehr machen würde?

- Was würden Ihre besten Freund/inn/e/n darüber sagen, was Sie tun, damit Sie diese schwierige Situation

im Moment meistern?

- Woran würden andere Personen erkennen, dass es sich um eine passende Lösung für Sie handelt?

- Wie könnte eine andere Person genau zu einer umgekehrten Schilderung Ihrer Situation kommen?

- Stellen Sie sich bitte vor, dass es eine/n weltweit anerkannte/n Top-Expertin/Top-Experten für Ihr Anliegen gibt.

Diese Person hätte Ihr Problem völlig im Griff. Diese Person kommt zur Tür herein. Wie würde diese Person

die Situation sehen und was würde Ihnen diese Person raten?

- Stellen Sie sich bitte vor, Sie sind eine Fliege an der Zimmerdecke und sehen auf sich.

Was sehen Sie? Was wäre jetzt wichtig zu tun?

- Was sagt Ihre innere Gegenstimme zu der im Moment lautesten Stimme von Ihnen?

5. Assoziierende Fragen

Im assoziierten Zustand fühlt sich eine Person direkt „in einer konkreten Situation“. Die Wahrnehmung erfolgt aus der

eigenen, ganz persönlichen Perspektive. Die Person ist „mitten im Erleben“ und kann sich nicht von der Situation dis-

tanzieren.8

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Mit dem Einsatz „positiv assoziierender Fragen“ wird dem Coachee ermöglich, bewusst oder unbewusst eine bejahende

Verknüpfung von Gedanken und Zielen vorzunehmen. Nachfolgend sind „Assoziierende Fragen“ beispielhaft dargestellt:9

- Nehmen wir an, alles, was für die Problemlösung notwendig ist, wäre bereits passiert.

Woran würden Sie feststellen, dass eine positive Veränderung eingetreten ist?

- Woran würden andere erkennen, dass sich Ihre Situation positiv verändert hat?

- Stellen Sie sich vor, das Wunder ist passiert, was würden Sie danach als Erstes anders machen?

Wenn Sie etwas anders machen würden, wie würden die Menschen um Sie herum darauf reagieren?

- Wie sähe die Beziehung zwischen Ihnen und den Menschen um Sie herum – xx Monate nach dem Wunder – aus?

- In welches Tier würden Sie sich verwandeln, wenn Sie die Veränderung geschafft haben?

Was verbinden Sie mit diesem Tier?

- Wir haben Ihre Situation betrachtet. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

- Woran genau werden Sie erkennen, dass Sie Ihr Ziel erreicht haben? Woran noch? Und was noch?

Woran würden es andere Personen feststellen?

- Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihr Ziel erreicht. Wie fühlt sich das an?

- Welche Vorteile haben Sie aufgrund Ihrer momentanen Situation?

- Wenn Sie ein Buch schreiben würden, wie würde der Titel lauten und wem würden Sie es widmen?

- Stellen Sie sich vor, Sie kennen zehn gute Lösungen für Ihr Anliegen. Was wäre es, das all diese Lösungen

gemeinsam hätten? Anhand welcher Kriterien würden Sie die für Sie beste Lösung heraussuchen?

- Was müssen wir beachten, wenn wir nach einer guten Lösung für Sie suchen?

6. Fragen nach Ressourcen

In der Tradition der lösungsorientierten Beratung wird der Fokus der Betrachtung/ Wahrnehmung bewusst auf die Lösung

gelenkt. Das Problem des Klienten rückt gezielt in den Hintergrund. Zudem wird die „Problemsprache“ vermieden. Der

Aspekt der fördernden und hilfreichen Ressourcen gewinnt damit automatisch an Bedeutung.10 Die nachfolgende Aus-

wahl an Fragen soll helfen, positive Ressourcen in den Vordergrund zu stellen:

- Was hat sich seit der letzten Coaching-Stunde getan?

- Was haben Sie bislang unternommen? Welche Ressourcen haben Sie dafür verwendet?

- Hat es eine derartige oder ähnliche Situation in Ihrem Leben schon einmal gegeben?

Wie haben Sie diese Situation erlebt? Wie haben Sie diese Situation gemeistert?

Welche Strategien waren die erfolgreichsten?

- Was war der Impuls für den ersten Erfolg?

- Wenn Sie sich vorstellen, es wären xx Monate vergangen, was könnten Meilensteine der Lösung gewesen sein?

- Welchen Preis und/oder welche Konsequenzen hat die Lösung für Sie?

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Wie gestalten sich die Auswirkungen auf andere?

- Welche Ressourcen benötigen Sie zur Problemlösung? Welche davon haben Sie bereits?

Welche fehlen noch? Wie könnten Sie zu den fehlenden Ressourcen kommen?

- Wer würde Sie bei der Lösung unterstützen?

- Welche Handlung ist am einfachsten durchzuführen und erhält am meisten Unterstützung von wem?

- Was sind Ihre wichtigsten Kriterien, nach denen Sie knappe Ressourcen verteilen? Wer oder was geht leer aus?

- Welche Ihrer Fähigkeiten und Stärken könnten Sie als erstes einsetzen, um Ihrem Ziel einen ersten

Schritt näher zu kommen?

- Was oder wer kann dazu beitragen, dass Sie Ihr Zutrauen für den Veränderungsschritt stärken?

- Was steht in Ihrem Einflussbereich? Was genau können Sie tun?

Welche Unterstützung benötigen Sie zusätzlich? Von wem?

- Wer würde sich freuen, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben? Könnte diese Person etwas zur

Zielerreichung beitragen? Was? Was noch? Wer oder was kann Sie zusätzlich unterstützen?

- Welche Ressourcen sehen andere Menschen bei Ihnen, die Sie selbst nicht sehen?

7. Fragen nach Future Pace

Fragen nach „Future Pace“ veranlassen den Coachee, einen Schritt in die Zukunft zu gehen und eine bestimmte, noch

nicht realisierte Situation, vor dem geistigen Auge betrachten, erfühlen und für sich bewerten bzw. überprüfen zu können.

Positive Erlebnisse sollen hervorgehoben und somit Veränderung erleichtert werden. Es geht um den Aufbau einer „Hin-

zu - Motivation“ und um das Setzen eines „geistigen Ankers“, der in unterschiedlichen Situationen aktiviert werden kann.

Fragen nach „Future Pace“ können wie folgt lauten:11

- Wenn Sie diese Qualität für sich haben, wie sieht Ihre Situation dann aus?

- Was hat sich ganz konkret verändert, wenn Sie sich das Bild Ihrer Zukunft vor Ihr geistiges Auge rufen?

- Welchen Einfluss hat Ihr Thema nun auf Ihr Leben?

- Ich fürchte, ich habe kein Wunder für Sie. Aber angenommen, ich hätte eines, was wäre danach anders?

- Stellen Sie sich bitte vor, Sie gehen heute Abend schlafen und wenn Sie morgen aufwachen, wäre alles so,

wie Sie es möchten. Was wäre dann anders? An welchen Dingen können Sie die Veränderung erkennen?

Lassen Sie uns diese bitte genauer betrachten.

- Wofür wollen Sie bekannt sein?

- Was von dem, das bislang noch nicht passiert ist, würde dann in Ihrem Leben stattfinden?

- Was sehen, hören, fühlen, riechen Sie, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben?

- Stellen Sie sich bitte vor, Sie malen ein Bild Ihrer Zukunft. Wie sieht dieses Bild aus? Woran denken Sie,

wenn Sie dieses Bild betrachten? Welche Sinneswahrnehmungen haben Sie dabei? Was hören, riechen,

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

schmecken, fühlen Sie? Was geschieht auf diesem Bild?

- Stellen Sie sich Ihr neues Verhalten bitte in einer Situation in der Zukunft vor.

Was empfinden Sie dabei? Was läuft jetzt gut?

1) Vgl. Lindemann, 2008, S. 42ff; Müller, 2006, S. 27. 2) In diesem Kontext ist wichtig, dass die vorliegende Auswahl an Coachingfragen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Im Einzelfall kann die Zuordnung einer Frage zu mehreren Kategorien durchaus Diskussionspunkt sein. Die Darstellung in diesem Beitrag basiert auf Erkenntnissen und Beispielen aus dem „Coachinglehrgang von c+unternehmensberatung“ (Jahrgang 2011), Mitschriften sowie Handouts des „Neuwaldegger Curriculums für systemische Unternehmensentwicklung“ (Jahrgang 2008/2009) und berücksichtigt anerkannte Coachingliteratur.3) Vgl. Koditek, 2008, 31ff; vgl. Müller, 2006, S. 69f; vgl. Dehner, S. 353ff; vgl. Szabò, Kim Berg, 2009, S. 35ff; vgl. Radatz, 2009, S. 122f, S. 181ff. 4) Müller, 2006, S. 27.5) Vgl. Szabò, Kim Berg, 2009, S. 49ff; vgl. Radatz, 2009, S. 141ff, S. 181ff.6) Vgl. Koditek, 2008, S. 31ff; vgl. Lindemann, 2008, S. 49ff; vgl. Müller, 2006, S. 7ff, S. 101 und S. 132f; vgl. Radatz, 2009, S. 158f und S. 200ff.7) Vgl. Koditek, 2008, S. 31ff; vgl. Lindemann, 2008, S. 49ff; vgl. Müller, 2006, S. 7ff; vgl. Szabò, Kim Berg, 2009, S. 106ff, vgl. Radatz, 2009, S. 181ff.8) Vgl. Müller, 2006, S. 101 und S. 132f; vgl. Radatz, 2009, S. 159f.9) Vgl. Müller, 2006, S. 24ff.10) Vgl. Lindemann, 2008, S. 45ff, vgl. Radatz, 2009, S. 71 und S. 181ff.11) Vgl. Szabò, Kim Berg, 2009, S. 39.

8. Literatur- bzw. Quellenverzeichnis

U. Dehner: Leitfaden für das erste Coaching-Gespräch, In: Ch. Rauen (Hrsg.): Handbuch Coaching, 3. überarbeitete und

erweiterte Auflage, Hogrefe Verlag, Göttingen 2005.

T. Koditek (Hrsg.): Ein Lehr- und Arbeitsbuch zur Coaching-Ausbildung der Internationalen Akademie an der Freien

Universität Berlin, Arbeitsbereich Organisation und Management, Berlin 2008.

H. Lindemann: Systemisch beobachten - lösungsorientiert handeln; Ein Lehr-, Lern- und Arbeitsbuch für die pädagogi-

sche und betriebliche Praxis; Ökotopia Verlag; Münster 2008.

G. Müller: Systemisches Coaching im Management, Das Praxisbuch für Neueinsteiger und Profis, 2. Auflage, Beltz

Verlag, Weinheim, Basel, Berlin 2006.

S. Radatz: Beratung ohne Ratschlag; Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen; Ein Praxisbuch mit

den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten; 6. unveränderte

Auflage; Verlag systemisches Management; Wien 2009.

P. Szabò, I. Kim Berg: Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung, 2. Auflage, Verlag Borgmann Media, Dortmund 2009.

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Grundhaltung des Coach im systemischen CoachingDI Ingeborg Steiner

1. Einleitung

1.1. Aufbau der Arbeit

2. Kriterien für die Haltung des Coach in einem erfolgreichen

und zielführenden systemischen Coachingprozess

2.1. Die innere Haltung des Coach gegenüber seinem Coachee

2.2. Behutsamkeit

2.3. Respekt

2.4. Wert- und wertungsfreies Anerkennen des Themas

2.5. Ziel- und Lösungsorientiertheit statt Problemfokus

3. Humanistisches Welt- und Menschenbild

3.1. Grundpfeiler personenzentrierter Gesprächsführung nach Carl R. Rogers

3.1.1. Wertschätzung (Akzeptanz)

3.1.2. Authentizität (Echtheit, Kongruenz)

3.1.3. Empathie (Einfühlungsvermögen)

3.2. Rapport

4. Systemisch-konstruktivistisches Denken als Grundlage der Berater-Haltung im Coaching

4.1. Was ist ein System?

4.1.1. Eigenschaften eines Systems

4.1.2. Systemtheorie und Coaching

4.2. Konstruktivismus

4.2.1. Grundannahmen konstruktivistischen Denkens

5. Abschluss/Zusammenfassung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Thema „Haltung“ im systemischen Coachingprozess löste sofort etwas in mir aus, brachte etwas zum Schwingen.

Ich spürte, dass es mit der Haltung, der Einstellung des Coach etwas ganz Wesentliches auf sich hatte, und dass die ent-

sprechende Grundhaltung, nebst fachlicher Qualifikation, einer der gelingenden Faktoren im Coaching sei. Im Idealfall

verfügt ein Coach über besondere Eigenschaften wie beispielsweise eine realistische Selbsteinschätzung, emotionale

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Stabilität, ein gesundes Selbstwertgefühl, Verantwortungsbewusstsein, intellektuelle Beweglichkeit und Einfühlungsver-

mögen. Tiefes Verständnis für das menschliche Sein sowie Achtung und Respekt vor dem individuellen Weg und den

individuellen Lernaufgaben jedes Menschen und vor der innewohnenden Intelligenz jedes Systems jedoch, stellen für

mich Grundlage und Krönung eines jeden Coachings dar.

Im Coachingprozess, eine Begegnung gleichrangiger Beteiligter, soll der Coachee dabei unterstützt werden, Ziele zu

finden, für die es sich für ihn persönlich lohnt, aktiv zu werden.

Coaching fokussiert die Aufmerksamkeit des Coachee auf seine Ressourcen, auf das Machbare und somit weg von einer

Konzentration auf angeblich oder tatsächlich vorhandene Defizite (vgl. Juchniewicz 2008, S. 9). Systemisches Coaching

ist ein Veränderungsprozess auf der Basis von Kooperation. Da der Coachee selbst als Experte für die anstehende Ver-

änderung gilt, legt er die Richtung und Geschwindigkeit des Prozesses fest (vgl. Müller 2003, S. 8 ff).

Ziel ist es, den Klienten auf der Grundlage eines ebenbürtigen Vertrauensverhältnisses anzuregen, seine Wahrnehmun-

gen, Bewertungen, Handlungs- und Verhaltensmuster offen und frei zu hinterfragen. In diesem Rahmen wird es auch

ermöglicht, die persönlichkeitsprägenden Glaubenssätze des Coachee zu überprüfen und ihn in seiner Lösungsfähigkeit

zu stärken und damit ein Klima zu schaffen, in welchem der Wunsch nach Veränderung aus eigener Erkenntnis und

Einsicht entstehen kann (vgl. Juchniewicz et al. 2008, S. 9).

Haltung soll im Rahmen dieses Beitrags als Gesinnung des Coach verstanden werden und seine Vorgehensweise im

Coachingprozess und die Bedeutung dessen vor dem Hintergrund des systemisch-konstruktivistischen Ansatzes mit-

einschließen.

Roswita Königswieser bezeichnet den gesamten systemischen Ansatz als Haltung: „Allerdings ist die Aneignung dieses

Ansatzes nicht so einfach, da es sich letztlich um eine Haltung und damit um mehr als um kognitiv erlernbares Knowhow

handelt“ (Königswieser/Hillebrand 2005, S. 7).

1.1. Aufbau der Arbeit

Zu Beginn des Beitrags erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Haltung im Coaching, anschließend werden

die Kriterien für die Haltung des Coach in einem systemischen Coachingprozess erläutert.

In der Folge wird die Grundhaltung des Coach im Prozess anhand der personenzentrierten Gesprächsführung nach

Rogers beschrieben.

Wie bereits erwähnt, basiert die Haltung des Coach auf einem humanistischen Welt- und Menschenbild in Verbindung

mit dem systemisch-konstruktivistischen Ansatz. Diese Basis der inneren Haltung als auch die zugrundeliegenden Denk-

haltungen (Systemtheorie, Konstruktivismus) sollen im Anschluss genauer betrachtet werden. Am Ende der Arbeit sollen

die wichtigsten Kriterien für die Haltung des Coach im systemisch-konstruktivistischen Coachingprozess nochmals

zusammengefasst werden.

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

2. Kriterien für die Haltung des Coach in einem erfolgreichen und zielführenden systemischen Coachingprozess

2.1. Die innere Haltung des Coach gegenüber seinem Coachee

Der Coach tritt seinem Coachee mit Respekt für die Gestaltung seines Lebens in der Vergangenheit, Gegenwart und

Zukunft entgegen und geht von dessen Autonomie aus, sein Leben selbst verändern und gestalten zu können (vgl. Toma-

schek 2009, S. 134). Neben einer fundierten Ausbildung und Anwendung entsprechender Techniken und Werkzeuge ist

für einen lösungsorientierten Coachingprozess eine ganz bestimmte innere Haltung des Coach unabdingbar. Was diese

innere Grundhaltung betrifft, so möchte ich hier zwei Betrachtungsweisen heranziehen:

Zum einen ist die persönliche Grundhaltung des Coach gemeint, die einem humanistischen, wertschätzenden Men-

schenbild entspricht und die in jeder Coaching-Einheit zum Tragen kommt.

Zum anderen die Grundhaltung des Coach im Coachingprozess, der in eine systemisch-konstruktivistische Umwelt

eingebettet ist.

Der Begriff „Haltung“ hat unterschiedliche Bedeutungen. Königswieser und Hillebrand (2005, S. 39) verstehen unter

Haltung „die Art und Weise, wie wir uns zu uns selbst und zu unserer Umwelt in Beziehung bringen, wie wir uns mit

unserer Außen- und Innenwelt auseinandersetzen, wie wir Beziehungen gestalten, in welchen Schienen wir denken und

wahrnehmen. Sie umschreibt, was wir für „wahr nehmen oder für falsch halten.“

Der Fokus der vorliegenden Arbeit wird daher auf folgende Bedeutungen gelegt:

- Gesinnung im Sinne der auf ein bestimmtes Ziel gerichteten Grundhaltung eines Menschen

- Einstellung im Sinne der persönlichen Meinung zu einer Angelegenheit

- Körperhaltung, die Stellung des menschlichen Körpers

„Haltung steht in enger Verbindung mit Identität, Charakter, Einstellung, Wahrnehmungsweisen und Wirklichkeitskonst-

ruktionen“ (Königswieser 2005, S. 39).

Die Haltung des Coach bildet die Grundlage für einen professionellen Coachingprozess, bei dem der Coach erklären

kann, warum er etwas macht.

Königswieser/Sonuc/Gebhardt (2006, S. 103 f.) unterscheiden in Anlehnung an das Eisbergmodell der Kommunikation

drei Ebenen der Haltung:

1. Die oberste, sichtbare Ebene bildet die Interventionsrichtung und besteht aus Themen, Handlungen und Verhalten

2. Die mittlere Ebene ist jene der Regeln und Normen sowie der Gestaltung von Beziehungen und dem

Rollenselbstverständnis des Coach

3. Die unterste Ebene und somit die Basis bilden persönliche Werte, das Weltbild sowie Glaubenssätze

Die in der Basis verankerten Werte, Einstellungen und Haltungen können nicht unmittelbar verändert werden, es bedarf

der Reflexion sowie des Willens zur Veränderung, um beim Coachee einen nachhaltigen Prozess in Gang zu bringen.

Um einen erfolgreichen Coachingprozess zu initiieren, sollte die innere Haltung des Coach gegenüber seinem Coachee

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

folgende Kriterien umfassen:

- Behutsamkeit

- Respekt

- uneingeschränkte Wertschätzung und Akzeptanz (in Anlehnung an das humanistische Welt- und Menschenbild)

- wert- und wertungsfreies Anerkennen des Themas (Neutralität)

- Coach als Experte für den ziel- und lösungsorientierten Prozess

- Beobachtungen relativieren

- Leading/Pacing

- Ziel- und Lösungsorientierung

Einige der hier genannten Punkte werden in der Folge genauer betrachtet:

2.2. Behutsamkeit

Die große Kunst beim systemischen Coaching besteht vor allem darin, behutsam mit dem Coachee umzugehen. Das

impliziert, dass seine Einstellungen, Themen und die jeweilige persönliche Geschichte achtsam behandelt werden. Es ist

darauf zu achten, den Coachee nicht mit schlecht vorbereiteten und nicht an seine Bedürfnisse angepassten Fragen und

Interventionen abzuschrecken oder gar seine Integrität oder Würde zu verletzen (vgl. Tomaschek 2009, S. 119).

2.3. Respekt

Der systemisch-konstruktivistische Coachingprozess wird als Expertentreffen gesehen: Der Coach ist Experte für den

ziel- und lösungsorientierten Prozess, der Coachee für seinen spezifischen Kontext. Daher muss das Klientensystem mit

seiner Eigenlogik und Eigendynamik respektiert und wertgeschätzt werden. Der Coach nimmt sich zurück und begleitet

den Coachee auf dem Weg zu seiner Lösung. Der Coach anerkennt die Einzigartigkeit des Coachee und enthält sich dabei

auch moralischer Belehrungen. Wichtig ist auch, dass er Diskretion bezüglich des Themas des Coachee bewahrt.

2.4. Wert- und wertungsfreies Anerkennen des Themas

Der Coach vermeidet eine Bewertung der Aussagen und somit eine Be- oder Verurteilung des Coachee. Im Konflikt

zwischen Erhalten und Bewahren des Problems und dessen Veränderung (Mut zum Bewahren vs. Mut zur Veränderung)

agiert der Coach neutral, denn nur so ist es ihm möglich, beim Coachee nachzufragen, was die Kosten der Veränderung

bzw. des Bewahrens wären (vgl. Schlippe/Schweitzer 2003, S. 119).

Eigene Hypothesen oder Empfindungen kann der Coach äußern, indem er sie dem Coachee als unverbindliches Angebot

darlegt. Dies kann durch Formulierungen im Konjunktiv oder durch hypnosystemische Techniken realisiert werden.

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2.5. Ziel- und Lösungsorientiertheit statt Problemfokus

“Problem talking creates problems. Solution talking creates solutions.”

Dieses Zitat von Steve de Shazer lenkt den Fokus des Coachingprozesses auf die Lösung und fokussiert somit direkt die

Ressourcen des Coachee.

Als zentraler Bestandteil einer systemischen Coachinghaltung ist das inhaltliche, sprachliche (z.B. durch positives Wor-

ding) und körperliche Fokussieren auf Vision, Ziel und Lösung zu sehen.

Die „Rolle“ bzw. Situation des Coachee lässt sich folgendermaßen beschreiben:

ist Experte für sein Thema

- ist selbst Teil mehrerer Systeme (z. B. Familie, Organisation)

- Handeln macht in seinem Kontext Sinn

- handelt aufgrund persönlicher Wahrnehmungen, Erlebnisse und Erfahrungen

3. Humanistisches Welt- und Menschenbild

Exemplarisch für ein Welt- und Menschenbild und somit für eine Grundhaltung im Coaching kann das humanistische

Welt- und Menschenbild angesehen werden.

Es umfasst folgende Annahmen: Der Mensch ist im Grunde gut. Er ist fähig und bestrebt, sein Leben selbst zu bestimmen

(Autonomie), ihm Sinn und Ziel zu geben. Der Mensch ist eine ganzheitliche Einheit (Körper-Seele-Geist).1

In neueren Ansätzen wird die stark individuelle Sichtweise ergänzt durch die Betonung der sozialen und gesellschaftli-

chen Bezogenheit des Menschen.

Welchen Bezug beide Bilder (Welt- und Menschenbild) auf das Coaching haben, beschreibt folgendes Zitat:

„Für ein erfolgreiches Coaching ist die Grundhaltung – die Lebensanschauung – des Coach von großer Bedeutung.

Der Coach muss sich seines ethischen Verständnisses bewusst sein, da dies maßgeblich die Qualität der Gespräche

bestimmt. Das Menschenbild des Coach ist das Fundament, auf dem sich das Coaching entwickelt.“2

3.1. Grundpfeiler personenzentrierter Gesprächsführung nach Carl R. Rogers

Basierend auf dem zuvor beschriebenen humanistischen Welt- und Menschenbild wird hier genauer auf die Basis der

personenzentrierten Gesprächsführung eingegangen. Nach Carl Rogers, dem Begründer der personenzentrierten Ge-

sprächsführung, aktiviert der Berater durch Authentizität und Empathie positive Kräfte des Klienten. Um eine relevante

Veränderung im Coachee zu bewirken, sollte der Coach folgende Eigenschaften in die Beziehung zum Coachee einbrin-

gen (vgl. Wingchen 2006, S. 56 ff.):

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3.1.1. Wertschätzung (Akzeptanz)

Bedingungslose positive Wertschätzung gegenüber dem Coachee mit allen Schwierigkeiten und Eigenheiten. Die An-

nahme des Gegenübers und seines Problems bedeutet nicht, dass der Coach alles gutheißen oder verstehen muss und

schließt auch wertschätzend formulierte Kritik am Verhalten nicht aus.

3.1.2. Authentizität (Echtheit, Kongruenz)

Diese Offenheit schließt auch Echtheit in dem Sinne ein, dass Coaches nicht nur als Fachpersonen auftreten, sondern

sich auch und besonders als Person dem Coachee gegenüber zu erkennen geben. Bei der Kongruenz können verschie-

dene grundsätzliche Echtheitsformen unterschieden werden. Echtheit im Sinne von Konfrontation mit dem Coachee,

Echtheit im Sinne von Klärung des Beziehungsgehaltes mit dem Coachee oder im Sinne einer Selbstmitteilung des

Erlebens des Coach an den Coachee (vgl. Finke, 2004). Es gilt der Grundsatz, dass man sich als Coach im Zweifelsfall

authentisch verhalten soll.

3.1.3. Empathie (Einfühlungsvermögen)

Mitfühlen, Mitschwingen (ohne Mitleid zu haben)

Empathie ist die Fähigkeit einer Person, den Zustand einer anderen Person genau wahrzunehmen und ihr das auch

angemessen mitzuteilen. Grundformen sind beispielsweise die Wiederholung beziehungsweise die Konkretisierung des

vom Coachee Gesagten, die Empathie mit Bezug auf das Selbstkonzept des Coachee sowie auch mit Bezug auf dessen

Erleben, das seine Haltung prägt (vgl. Finke, 2004). Empathie steht auch in engem Zusammenhang mit dem Terminus

Rapport auf den im folgenden Abschnitt näher eingegangen wird. Diese empathische, authentische und wertschätzende

Haltung des Coach prägt die Beziehung zum Coachee, der sich aufgrund dessen selbst zunehmend empathisch, authen-

tisch und wertschätzend zuwenden kann (wachsende Selbstakzeptanz). Die konkrete Realisierung dieser Haltungen ist in

jedem Coachingprozess auf den jeweiligen Coachee abzustimmen und mündet somit in einen individuellen, personen-

zentrierten Prozess.

3.2. Rapport

Der Begriff Rapport stammt aus dem Französischen und bezeichnet den intensiven Kontakt zwischen interagierenden

Personen, der von Vertrauen und emotionaler Offenheit geprägt ist (vgl. Rückerl 2006, S. 381 f.).

Diese starke Form der Empathie ist unerlässlich für einen gelungenen Einstieg in eine Coachingeinheit und in weiterer

Folge für einen gelungenen Coachingprozess.

Aus meinen Beobachtungen und eigenen Erfahrungen ist dies – neben einer offenen und unvoreingenommenen Einstel-

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lung dem Coachee gegenüber – einer der wesentlichsten Punkte. Und womöglich auch DAS Geheimnis.

Rapport bedeutet unmittelbarer Kontakt, auf dem die Verständigung zweier Menschen basiert.

Ein guter Rapport zwischen Coach und Coachee zeigt sich, wenn sich ihre Bewegungen aufeinander beziehen (wenn z.B.

der Coach den Coachee spiegelt) und sich ihre Körpersprache synchronisiert (vgl. Rückerl 2006, S. 382).

Entsprechend des Leading und Pacing bleibt der Coach mit dem Coachee in Rapport und übernimmt dessen Sprach-

muster, Themen und das Sprechtempo (vgl. Tomaschek 2009, S. 136).

Treten Menschen miteinander in Kontakt, passt sich in der Regel meist unbewusst ihre verbale und nonverbale Kom-

munikation einander an. Je positiver der Kontakt durch den Einzelnen bewertet wird, desto stärker ist seine Anpassung

(Bezogenheit) an das Gegenüber.

Menschen neigen bei bestehendem Rapport dazu, einander tendenziell positiv zu bewerten, sich eher zu vertrauen und

Gesagtes weniger kritisch aufzunehmen.

Rapport wird hergestellt durch:

- angeglichenen Atemrhythmus

- ähnliche Körperhaltung und Bewegungen

- Pacing

4. Systemisch-konstruktivistisches Denken als Grundlage der Berater-Haltung im Coaching

4.1. Was ist ein System?

Ein System ist ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes, ein vereinfachtes, nicht angreifbares Modell der Realität.

Jedes System hat eine Struktur, bestehend aus:

- Regeln, die im jeweiligen System gelten

- bestehenden Beziehungsmustern

- Handlungs- und Kommunikationsmustern der jeweiligen Menschen im System

Die Beziehungen und die Sprache im jeweiligen System werden von der Struktur eben dieses Systems geprägt.

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Systemisch-konstruktivistisches Modell eines Systems:

Erstellt in Anlehnung an Radatz 2000, S. 58

4.1.1. Eigenschaften eines Systems

Jedes System ist dynamisch und komplex, d. h. jeder Mensch wird von der Dynamik der Systeme, in denen er Mitglied

ist (z. B. Familie, Unternehmen, Gemeinde, Gesellschaft) beeinflusst und geprägt. Je nach System, in dem sich ein

Mensch befindet, verhält er sich entsprechend unterschiedlich. Systeme bleiben nicht statisch, sie verändern und ent-

wickeln sich ständig weiter.

4.1.2. Systemtheorie und Coaching

„Individuen und soziale Systeme werden als autonome, sich selbst organisierende Systeme aufgefasst, die ihre jeweili-

gen Wirklichkeiten konstruieren.“ (Grau, Möller 1990)

Für das Coaching bedeutet dies, dass für den Coachee neue Beobachtungsmöglichkeiten geschaffen werden, die ihm

helfen sollen, sein System neu und aus einem anderen Blickwinkel sehen zu können.

Ein soziales System kann nur dann von außen verändert werden, wenn die Maßnahme zum inneren Zustand des Systems

passt.

Aus systemischer Sicht haben Probleme immer einen Sinn. Jedes Problem hat Nach-, aber auch Vorteile, bietet Chancen

und Gefahren. Bei der Beratung ist deshalb zu beachten, was der Nutzen und die Kosten der Problemlösung im Vergleich

zur Problemerhaltung sind. Für das Coaching bedeutet dies wiederum, dass der Coach eine Intervention entsprechend

der Befindlichkeit des Systems auszuwählen hat.

Strukturim engeren

Sinn

Beziehungen

Handlungen,Kommunikationen

Soziale Systeme

Struktur im weiteren Sinn

Rahmenbedingungen, die wir intern weitergeben

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Systemisches Denken heißt zirkulär denken (vgl. Radatz 2009, S. 62).

Die in der Systemtheorie angewandte zirkulär-kausale Denkweise (im Gegensatz zur linear-kausalen Denkweise) bedeu-

tet, gewissermaßen im Kreis zu denken. Alles ist mit allem vernetzt, das eigene Verhalten und das der Anderen stehen im

System in Wechselbeziehung zueinander.

Im Coaching heißt das, der Coach stellt gezielte zirkuläre und systemische Fragen, um die Wechselbeziehungen und das

Verhalten des Coachee im System zu beleuchten.

Systemisches Denken bedeutet, in Auswirkungen zu denken (vgl. Radatz 2009, S. 67). Aus systemischer Sicht gibt es

kein „richtig“ oder „falsch“, sondern nur ein „passend“ (zu System, Situation, Kultur, zu Forderungen, die von außen

gestellt werden) oder „nicht passend“.

Für das Coaching bedeutet dies, was „passend“ oder „nicht passend“ ist, bewertet einzig der Coachee nach seinen Er-

fahrungen, Einstellungen und Zielen.

4.2. Konstruktivismus

4.2.1. Grundannahmen konstruktivistischen Denkens

„Die Umwelt, die wir wahrnehmen, ist unsere Erfindung.“ (Heinz von Foerster, 1973). Basierend auf diesem Zitat Heinz

von Foersters sollen nun diverse Aussagen des Konstruktivismus in Hinblick auf ihre Bedeutung für den Coachingpro-

zess näher beleuchtet werden.

Eine objektive Wirklichkeit gibt es nicht

Dies ergibt sich daraus, dass jeder Mensch in seiner einzigartigen Welt lebt, die sich durch seine Sinneswahrnehmungen

und seine individuellen Erfahrungen geformt hat.

Jeder Mensch legt sich ein eigenes Bild von der Wirklichkeit zu („Wirklichkeitskonstruktionen“), gegründet auf die Wahr-

nehmung seiner fünf Sinne, egal, wie die Außenwelt tatsächlich sein mag.

So wird die Welt von uns erforscht und wahrgenommen und eine eigene innere Landkarte angelegt. Obwohl die äußere

Welt eine Unendlichkeit an möglichen Sinneseindrücken darstellt, können wir nur einen kleinen, ganz spezifischen Teil

davon wahrnehmen. Und dieser kleine Teil durchläuft in weiterer Folge unsere inneren Filter von erlebten Erfahrungen,

Einstellungen, Werten, Interessen und Annahmen und unserer Kultur. Auf diesen „Wirklichkeitskonstruktionen“ und

inneren Landkarten basiert unser ganzes Denken und Handeln.

Für das Coaching bedeutet dies, dass sich ein Coach zunächst mit der inneren Landkarte des Coachee beschäftigen

muss, da er nie von seinem eigenen Verständnis der Welt ausgehen kann. Und dass er einen Blick hinter dessen Begriffs-

welt machen muss, um zu erkennen, was das Gegenüber mit einem bestimmten Begriff verbindet.

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Niemand kann objektiv beobachten

Für einen Coach muss es klar sein, dass ein neutrales Beobachten nicht möglich ist. Denn auch die Sichtweise von

Außenstehenden ist stets von deren subjektiven Vorstellungen und Einstellungen gefärbt. Außerdem ist jeder Beobachter

immer auch Teil der Beobachtung.

Dieser Punkt wird auch ausschlaggebend für die Wahl der Problemlösung sein, die wohl gemäß der eigenen inneren

Wirklichkeit ausfallen wird.

Jedes Handeln macht Sinn für den Handelnden und hat einen dahinter liegenden Nutzen

Menschen handeln immer so, wie es in ihrem Kontext und zum Zeitpunkt des Handelns für sie am meisten Sinn macht.

Insofern handeln Menschen auch in allen Situationen im Augenblick des Handelns bestmöglich.

Für das Coaching bedeutet dies, dass Ziel und Nutzen des Handelns herauszufiltern sind, für den Coachee erkennbar

gemacht werden

und dann gegebenenfalls gemeinsam mit dem Coachee ein neues Verhalten

gefunden werden soll, in dem ebenfalls der Nutzen des vorangegangenen Verhaltens integriert ist.

Menschen „sind“ nicht, Menschen „verhalten“ sich

Diese Tatsache ist vor allem im Coaching-Kontext sehr positiv, denn sie lässt einfach offen, dass ein Mensch sich in

einer neuen Situation, in einem neuen Umfeld, völlig anders verhalten kann.

5. Abschluss/Zusammenfassung

Abschließend und zusammenfassend eine treffende Auflistung von Kriterien (vgl. Tomaschek 2009, S. 134 ff), die für

ein kompetentes systemisch-konstruktivistisches Coaching als erfolgversprechend gelten und die in der Haltung eines

Coach Ausdruck finden und darin widergespiegelt werden:

- Atmosphäre schaffen

- Respekt zeigen

- Vorurteile vermeiden und positiv werten

- Vernetzung bedenken

- zirkulär-systemisch fragen

- Ausnahmen hervorheben

- Ziele einführen

- konkretes Handeln erfragen

- Führung behalten (Leading)

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- Schritt halten (Pacing)

- Polarität nützen

- Entscheidungsfreiheit wahren

„Ziel ist es, die Lernenden ein Stück ihres Weges zu begleiten, zu sensibilisieren, gemeinsam für sie relevante Themen

und Arbeitsformen auszuwählen und mögliche Wege und Erkenntnisse aufzuzeigen und zu probieren.“ (Carl Rogers)

Gleich zu Beginn meiner Ausbildung – sowohl jeweils in der Rolle der Coach als auch in der Rolle der Coachee – merkte

ich, welche Wirksamkeit das Setting des systemischen Coachings in sich birgt, ja, welcher Zauber ihm innewohnt.

Mich berührte genau diese Herangehensweise, diese Haltung, nämlich den Coachee seinen eigenen Experten sein zu

lassen und gemäß dem ressourcenorientierten Ansatz, mit ihm gemeinsam zu erarbeiten, wieviel schon an Fähigkeiten

und Fertigkeiten – an Ressourcen – da ist und mehr davon zu generieren und ins tägliche Leben einfließen zu lassen.

Anstatt in Form einer „Problemtrance“ im Problem hängen zu bleiben, wird sowohl mit dem nötigen Know-how und

jeweils passenden Tools, als auch mit Feingefühl, Respekt und einer guten Portion Humor, empathisch auf Lösung und

Vision fokussiert.

Einen Menschen auf diese Weise, mit dieser Grundhaltung, auf dem Weg zu seinem Ziel zu begleiten und im besten Fall

in sein volles Potenzial zu führen, mitzuerleben, was möglich wird, erfüllt mich jedes Mal mit einer tiefen Rührung und

Ehrfurcht vor dem menschlichen Sein, mit all seinen Höhen und Tiefen.

Abschließen möchte ich mit einem Zitat von Königswieser/Exner: “Die wirkungsvollsten Interventionen sind solche, die

‘Herzen öffnen’ und somit Strukturveränderungen tragen. Den Ausschlag gibt letztlich die Haltung, wenn wir eine Inter-

vention setzen” (Königswieser/Exner 1998).

6. Literaturverzeichnis

Finke, Jobst (2004): Gesprächspsychotherapie. Grundlagen und spezifische Anwendungen.

3. Auflage. Stuttgart: Thieme

Grau, Uwe und Möller, Jens (1990): Was wäre, wenn? – Problem(auf)lösungshilfen; in:

Königswieser, Roswita / Lutz, Christian (Hg.): Das systemisch evolutionäre Management. Wien: Orac

Juchniewicz, Bernhard; Ulkan, Angelica; Niessing, Frank (2008): Das Menschenbild. Leitbild im Coaching

oder Lehr- und Wanderjahres eines Coaches. 57. ECA (European Coaching Association) Fachartikel, Düsseldorf.

http://www.european-coaching-association.de/i/57%20%20eca%20fachartikel%20-%20das%20menschenbild%20

-%20leitbild%20im%20coaching.pdf (abgerufen am 1.09.2010)

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Kretz, Heike (o.J.): Grundhaltung im Coaching.

http://www.infoquelle.de/Management/Coaching/Coaching_Voraussetzung.php (abgerufen am 23.8.2010)

Müller, Gabriele (2003): Systemisches Coaching im Management.

Das Praxisbuch für Neueinsteiger und Profis. Weinheim: Beltz Verlag

Königswieser, Roswita und Exner, Alexander (1998): Systemische Intervention.

Architekturen und Designs für Berater und Veränderungsmanager, Stuttgart: Klett-Cotta

Königswieser, Roswita und Hillebrand, Martin (2005): Einführung in die systemische Organisationsberatung.

Heidelberg: Carl-Auer Verlag

Königswieser, Roswita; Sonuc, Ebru; Gebhardt, Jürgen (2006): Komplementärberatung.

Das Zusammenspiel von Fach- und Prozeß-Know-how. Stuttgart: Schäffer-Poeschel

Radatz, Sonja (2009): Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen.

6. Auflage, Wien: Verlag Systemisches Management

Rückerl, Thomas und Rückerl, Torsten (2008): Coaching mit NLP-Werkzeugen. Weinheim: Wiley-VCH Verlag

Schlippe, Arist von und Schweitzer, Jochen (2003): Lehrbuch der Systemischen Therapie und Beratung.

10. Auflage, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht

Tomaschek, Nino (2009): Systemisches Coaching. Ein zielorientierter Beratungsansatz.

2. Auflage, Wien: Facultas

Wingchen, Jürgen (2006): Kommunikation und Gesprächsführung für Pflegeberufe. Ein Lehr- und Arbeitsbuch.

2. Auflage, Köln: Kunz Verlag

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Funktion der Sprache im CoachingprozessMag. Birgit Krenmayr

„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu

vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“

Antoine de Saint-Exupéry

1. „Zauberkraft“ der Sprache in Wissenschaft, Gesellschaft und individueller Kommunikation

Sprache wird in zahlreichen Kulturen als wirkungsvolles Vehikel zur Vermittlung von Leitbildern der Gemeinschaft ge-

nutzt. Die tradierten und eigenen Erfahrungen schaffen neuronale Verschaltungen im Gehirn, die Denken, Fühlen und

Handeln bestimmen. Durch gezielten Einsatz der Sprache im Coaching können neue Bahnungen im Gehirn erzeugt

werden, die die Kraft besitzen, „innere Bilder“ und Einstellungen zu verändern.

1.1 Soziale Bedeutung der Sprache

In einem wissenschaftlichen Kontext das Wort „Zauber“ zu verwenden, erscheint gewagt. Und doch war es Sigmund

Freud, der im Rahmen einer Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse 1915 sagte: „Worte waren ursprünglich

Zauber, und das Wort hat noch heute viel von seiner alten Zauberkraft bewahrt. Durch Worte kann ein Mensch den

anderen selig machen oder zur Verzweiflung treiben ... Worte rufen Affekte hervor und sind das allgemeine Mittel zur

Beeinflussung der Menschen untereinander.“1 Für die Relevanz dieser Sätze spricht die zigfache Zitierung dieser Aussage

seitens zahlreicher Experten im Coachingbereich wie u.a. von Steve de Shazer, Gründer des Brief Family Therapy Centers

in Milwaukee (Wisconsin) und Leitfigur des Systemischen Coachings.

Die Wirkung der Sprache zur Vermittlung von Visionen und Botschaften einzusetzen, machen sich Schriftsteller, aber

auch zahlreiche Kulturen zur Weitergabe von Traditionen und „Weisheiten“ ihrer sozialen Gemeinschaft u.a. in Form von

Gleichnissen und Märchen zunutze. Der Neurobiologe Gerald Hüther verwendet hierfür den Begriff der „inneren Bilder“:

„Mit Hilfe der Sprache wurden handlungsleitende innere Bilder ... von einer Person zur anderen übertragbar, kommuni-

zierbar ... Auf diese Weise entstand ein ständig wachsender, kulturell tradierter Schatz kollektiver Bilder von im Verlauf

der bisherigen Entwicklung einer Gemeinschaft bei der Bewältigung innerer und äußerer Probleme gemachten Erfahrun-

gen“ (Hüther, S. 37)2. Bekannt hierfür ist insbesondere die persische Erzählkunst – allen voran die Geschichten aus „Tau-

sendundeiner Nacht“: In der Rahmenhandlung dieser Märchensammlung fasst König Schahrayâr, der von seiner Frau

betrogen wurde, den Entschluss, sich von keiner Frau mehr hintergehen zu lassen. So heiratet er jeden Tag eine neue

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Frau, die er am nächsten Morgen töten lässt. Um diesem Treiben ein Ende zu setzen, lässt sich die kluge Scheherazade,

Tochter des Wesirs des Königs, von ihrem Vater dem König zur Frau geben. In der ersten Nacht beginnt sie, ihrem Mann

Geschichten zu erzählen, die jedes Mal an einer entscheidenden Stelle am nächsten Morgen abbrechen. Interessiert am

Ausgang der jeweiligen Geschichte, lässt der König seine Frau am Leben. Nach 1001 Nächten und der Geburt dreier

gemeinsamer Kinder ist der König aufgrund der weisen Geschichten seiner Frau von deren Treue und Klugheit überzeugt,

hat seine Einstellung zum Leben sowie seiner Frau gegenüber geändert und lässt sie leben.

1.2 Wirkung der Sprache auf die neuronalen Verschaltungen des Gehirns

Unser Sprachgebrauch ist unter anderem dafür verantwortlich, welche neuronalen und synaptischen Verschaltungen in

unserem Gehirn gebahnt und gefestigt werden. Abgespeicherte synaptische Verschaltungsmuster bzw. „innere Bilder“

können zur Vorlage für eigene Handlungen werden und Denken, Fühlen und Handeln bestimmen. „Je häufiger diese

einmal entstandenen Verschaltungsmuster durch eigene Erfahrung und Erlebnisse aktiviert, durch eigenes Handeln er-

neut abgerufen oder in der bloßen Vorstellung wieder wachgerufen werden, desto stärker werden die daran beteiligten

synaptischen Verbindungen und neuronalen Verschaltungen gefestigt“ (Hüther, S. 87)3. Die moderne Gehirnforschung

konnte nachweisen, dass sich das menschliche Gehirn bis ins hohe Alter entsprechend seiner Nutzung weiterentwickeln

kann und somit auch neue synaptische Bahnungen geschaffen werden können. Im Coaching ist es Ziel, diese Fähigkeit

des Gehirns zu nutzen und lösungsfokussiert neue „innere Bilder“ zu schaffen, die nicht uns, sondern die wir selbst

bestimmen.

Im Coaching wird diese Macht der Sprache im Rahmen von verschiedenen Interventionen, auf die in der Folge näher

eingegangen wird, bewusst eingesetzt: u.a. um die Aufmerksamkeit auf die eigenen Ressourcen zu lenken, neue Vernet-

zungen im Gehirn zu bahnen und letztendlich die innere Haltung eines Menschen zu verändern, mit der sich automatisch

auch dessen Umwelt wandelt – denn äußere Prozesse sind stets ein Spiegelbild der inneren Einstellung bzw. Prozesse.

2. Keywords: Subjektivität von Begriffen

Im Coachinggespräch fallen immer wieder Keywords, die Schlüssel zur Welt des Coachees darstellen. Diese Schlüssel-

begriffe sind jedoch mit den ganz persönlichen Erfahrungen des Coachees aufgeladen, sodass der Coach niemals mit

Sicherheit wissen kann, was sein Klient unter diesen konkret versteht. Hypothesen sind daher zu prüfen, der Coach kann

durch Fragen inhaltsfrei führen – Experte für sein Problem bleibt immer der Coachee.

Bei einem Coachinggespräch ist präzise auf die Keywords und -sätze zu achten, die ein Coachee zur Darstellung seines

Themas verwendet. Diese fallen häufig noch vor dem „offiziellen“ Beginn eines Coachinggesprächs im Rahmen der

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Begrüßung: Äußerungen in dieser Phase werden vom Coachee zumeist unbewusst bzw. spontan getätigt und unterliegen

weniger stark seiner Kontrolle, welche Information über sein Thema er dem Coach vermitteln soll. Die Keywords und

-sätze sind Schlüssel dazu, wie der Coachee sein Thema und die Welt um sich wahrnimmt und liefern dem Coach wert-

volle Ansatzpunkte für das Coachinggespräch.

Allerdings ist die einem Begriff immanente Bedeutung stets subjektiv, d.h. der Coach ist niemals in der Lage, genau zu

wissen, was sein Coachee unter einem bestimmten Begriff konkret versteht. “Weder der Autor oder Sprecher noch der

Leser oder Zuhörer können mit irgendeiner Sicherheit wissen, was der andere wirklich gemeint hat, denn jeder von ihnen

bringt in die Begegnung seine gesamte bisherige und einzigartige Erfahrung mit ein.“, bringt Steve de Shazer diese Er-

kenntnis auf den Punkt.4 Auch wenn wir annehmen, dass wir die Sprache des Coachees verstehen, dürfen wir uns nicht

Spekulationen hingeben, sondern haben Details – die Art, wie etwas gesagt wird, sowie Körpersprache und somatische

Marker – genau zu beachten und nachzufragen bzw. zu überprüfen, ob unsere Annahme berechtigt ist.

Praxisbeispiel:

Im Rahmen einer Intervention zur Ressourcenstärkung zählt eine Designerin ihre besonderen Fähigkeiten auf – unter an-

derem nennt sie im Zuge dessen „Das Auge“. Naheliegend ist die Interpretation, dass darunter ihr Blick für u.a. Farbkom-

binationen und verschiedene mit Design verbundene Eigenschaften zu verstehen sind. Bei Überprüfen dieser Hypothese

stellt sich jedoch heraus, dass dieser Begriff für die Coachee Menschenkenntnis, genaue Beobachtungsgabe, Wachheit,

Offenheit für Neues, die Fähigkeit, hinter Dinge zu blicken, etc. umfasst. Es ist davon auszugehen, dass die näheren

Ausführungen der Coachee nur einen Teil dessen definieren, was „Das Auge“ tatsächlich für sie bedeutet – weshalb es

wesentlich ist, mit dem von ihr eingebrachten Begriff weiterzuarbeiten.

Im Coaching wird der Coachee – im Gegensatz zur Therapie – als Experte seines Problems und Besitzer des gesamten

zur Problembewältigung erforderlichen Wissens gesehen. Der Coach folgt lediglich den Hinweisen überall hin und ist

Experte dafür, wonach er wo suchen muss.5 Alleine der Hinweis darauf, dass Coaching keine Beratung ist, sondern eine

Begleitung bei der Selbstreflexion – im Rahmen der ein Coach den Coachee gezielt zum eigenen Lösungsansatz führt –

stärkt das Vertrauen des Coachees in seine eigenen Lösungskompetenzen.

2.1 Herstellung von Rapport durch Verwenden der Sprache des Coachees

Empathisches Angleichen der Sprache an den Coachee – ähnliche Sprachmuster, Wiederholung des Gesagten, Anpas-

sung des Sprachrhythmus – fördert eine stärkere Beziehung zwischen dem Coach und seinem Klienten. Der Coachee

fühlt sich dadurch seinem Gegenüber näher und von ihm verstanden, was seine Bereitschaft fördert, sich im Gespräch

zu öffnen.

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Praxisbeispiel:

Ein Coachee schildert ausschweifend sein Anliegen, ohne dieses auf den Punkt zu bringen. Dies lädt den Coach dazu

ein, die Ausführungen zusammenzufassen, um den Coachingauftrag zu präzisieren. Da der Coach jedoch seine eigenen

Begriffe bzw. Interpretationen für diese Kurzfassung der Ausführungen verwendet, wehrt sich der Coachee dagegen und

korrigiert diese mit – zahlreichen – eigenen Worten. Der Coach versucht es abermals mit einer Kurzfassung, bis sich

sein Klient schließlich beschwert, dass die Zusammenfassungen immer weniger mit seinem Anliegen zu tun haben.

Erst nachdem der Coach die Keywords seines Klienten durch Wiederholung hervorhebt und seine Formulierungen den

sprachlichen Eigenheiten des Coachees anpasst, fühlt sich dieser verstanden und kann sich mit dem in seiner Sprache

verfassten Vorschlag des Coaches zur Auftragsformulierung identifizieren.

Trotz Anpassung der Sprache seitens des Coaches kann es in einem Gespräch vorkommen, dass ein Coachee sprachlich

Widerstand leistet und sich immer wieder verneinend oder ablehnend äußert. In diesem Fall bewährt es sich, verständ-

nisvolle verneinende Sprachformen – wie etwa: „es ist nicht leicht ...“ – zu verwenden. „Wenn man mit „schwierigen“

Menschen mit „Widerstand“ verständnisvolle verneinende Sprachformen verwendet, so hat das vor allem den Vorteil,

dass der Kampf überflüssig wird, da es nichts mehr gibt, wogegen man Widerstand leisten und sich wehren muss“ (Prior,

S. 85)6 .

3. Installieren einer Vision als Ausgangspunkt des Coachingprozesses

Bisherige Sicht- und Verhaltensweisen sind dem Coachee sehr vertraut. Jede Änderung erfordert Anstrengung und be-

deutet Ungewissheit, was diese bringen wird. Um seine gewohnten Denkmuster zu verlassen, braucht der Coachee daher

eine starke Motivation in Form eines attraktiven Zielzustandes bzw. einer Vision sowie das Vertrauen, dass er diese(n)

auch erreichen kann.

Eine Vision muss mit allen Sinnen erlebt werden, sodass sich eine neue Welt des Empfindens, Fühlens und Wahrneh-

mens erschließt. Dass Überzeugungen dissoziierte Ansammlungen von Konzepten und Ideen bleiben, bis sie durch ihre

Verbindung zu unserer Physiologie, unseren inneren Zuständen und Emotionen Kraft erhalten, bringt ein altes Sprich-

wort aus Neu Guinea auf den Punkt: „Wissen ist nur ein Gerücht, bis es sich in den Muskeln befindet“.7

Wird der Zielzustand durch detaillierte, emotionale Beschreibungen mit allen Sinnen (Sehen, Hören, Spüren, Riechen,

Schmecken) erlebbar, prägt sich dieser beim Coachee ein. Es wird unmittelbar spürbar und dadurch das Vertrauen

gestärkt, dass aus eigener Kraft Veränderung möglich und das Gewünschte zugänglich ist. Es bewährt sich, beständig

weitere Details zu erfragen – was es denn noch an Empfindungen gebe –, um ein möglichst umfassendes Erleben zu

ermöglichen. Je differenzierter und detaillierter der Coachee den Wunschzustand beschreibt, desto intensiver ist die

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Vision erlebbar, wodurch sie erst tatsächlich realisierbar wird und wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirkt. Nach-

haltig effektiv ist es, dieses Zielerleben mit einem Symbol für diesen Zustand – wie z.B. Einnehmen einer bestimmten

Körperhaltung – zu koppeln und dadurch „abrufbar“ zu machen. Diese Erkenntnis wird auch beim „Zielgehen“ genutzt.

s. TOOLBOX

4. „Lösungstrance“ durch Aufmerksamkeitsfokussierung

Indem die Aufmerksamkeit des Coachees auf entlastende, schutz-, kraft- und zuversichtsorientierte Erfahrungen gelenkt

wird, kann ein aktiver Prozess unbewussten Lernens in Gang gesetzt werden. Statt der bis dahin empfundenen Ein-

schränkungen werden damit die eigene Gestaltungsfähigkeit und die Existenz verschiedener Wahlmöglichkeiten erlebbar.

Die vielleicht häufigste fehlgeleitete Aufmerksamkeitsfokussierung erfolgt im Rahmen der Kindererziehung – wenn Eltern

ihrem Kind zum Beispiel eindringlich erklären, dass es nicht auf die Straße laufen soll. Effekt ist, dass genau das „Auf

die Straße Laufen“ in den Wahrnehmungsfokus des Kindes rückt. Ebenso wirken Paradoxien wie ein Straßenschild mit

der Aufschrift „Dieses Zeichen nicht beachten“.8 Bewusst eingesetzt spricht man von einer paradoxen Intervention, mit

der die Aufmerksamkeit eines Menschen indirekt und ohne, dass er sich dagegen wehren kann (gerade weil er sonst

Widerstand leisten würde), in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Manfred Prior nennt diese Interventionen bzw. Ir-

ritationen auch „Nicht-Vorschläge“. „Die Annahmequote der therapeutischen Vorschläge steigt bei manchen Menschen

erheblich, wenn man seine Vorschläge in Negationen verpackt ... Dabei nutzt man die Erkenntnis, dass alles, was hinter

einer Negation steht, unweigerlich für kurze Zeit innerlich aktiviert wird.“ 9

Während in einem therapeutischen Setting versucht wird, das Problem zu verstehen und dadurch eine stärkere Ausein-

andersetzung mit dem Problem in Gang gebracht wird, steht in einem Coachinggespräch die Lösung im Vordergrund.

Da es generell unmöglich ist, konkret zu erfassen, was für einen Coachee z.B. der Begriff Depression bedeutet, arbeitet

ein Coach konsequenterweise mit dem Begriff „Nicht-Depression“. Steve de Shazer dazu: „Mit dem Klienten darüber zu

sprechen, was das Problem/die Beschwerde nicht ist, z.B. „Nicht-Depression“, ist die Möglichkeit, Missverständnisse

kreativ zu nutzen. Der Fokus der „Nicht-Depression“ erlaubt es der Therapeutin und dem Klienten, auf Basis der Erfah-

rungen des Klienten außerhalb des Problembereichs gemeinsam eine Lösung zu konstruieren ... Während sie weiter über

das Nicht-Problem/die Nicht-Beschwerde sprechen, tun sie etwas anderes anstatt mehr desselben, was nicht funktioniert

hat. Je mehr sie über die „Ausnahmen“, „Wunder“ usw. sprechen, umso realer wird das, worüber sie da sprechen“.10

D.h. der Coachee wird dazu aufgefordert, sich mit dem Nicht-Problem-Zustand bzw. in weiterer Folge seinem subjektiven

Idealzustand auseinanderzusetzen, sodass dieser für ihn real greifbar wird (s. Wunderfrage). Damit wird der Coachee in

einen ressourcenstarken Zustand versetzt und motiviert, mehr von dem zu tun, was bereits einmal funktioniert hat.

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Praxisbeispiel:

Ein Manager beklagt im Rahmen eines Coachinggesprächs, dass er von seinem Job extrem frustriert ist. Auf die Frage,

ob es positive Ausnahmen gibt, führt er an, dass ihm die Arbeit im Team sehr wohl Spaß macht und er auch seinen

Aufgabenbereich durchaus spannend findet. Durch weitere Fragen zur einschränkenden Präzisierung des Frustrations-

gefühls kristallisiert sich heraus, dass der Coachee ein ausgeprägter Teammensch ist und sich in seiner erst kürzlich

erlangten Führungsrolle sehr einsam fühlt. Geführt durch lösungsfokussierte Fragen schildert der Coachee Situationen,

in denen er sich als Führungskraft tatsächlich wohl gefühlt hat und beschreibt, wie er diese herbeigeführt und wahrge-

nommen hat. Allen Beispielen ist gemeinsam, dass es ihm gelungen ist, sich mit einem oder mehreren Mitarbeitern

auszutauschen und eine persönliche Vertrauensebene aufzubauen. Die Frage, welche Führungskraft für ihn in diesem

Sinne Vorbildcharakter hat, motiviert den Coachee, sich damit auseinanderzusetzen, wie erfolgreiche Manager mit ihrer

beruflichen Rolle konstruktiv umgehen. Dieses Gedankenspiel ist für den Coachee zugleich Ansatzpunkt, zu reflektieren,

aus welchen Verhaltensweisen er für sich lernen könnte.

4.1 Prinzipien der hypnosystemischen Therapie

Gunther Schmidt, Begründer der hypnosystemischen Therapie und Leiter des Milton-Erickson-Instituts in Heidelberg,

sieht „Trancephänome“ als alltägliche Ergebnisse von Aufmerksamkeitsfokussierung – so werden z.B. stets vorhandene

Empfindungsreize erst bewusst wahrgenommen, wenn die Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird. Die Hypnotherapie ge-

mäß Milton Erickson macht sich dieses Phänomen zunutze, indem der Coachee im Rahmen eines Gesprächs zu einer

Fokussierung eingeladen wird, sodass sich die gewünschten Erlebnisprozesse von selbst einstellen. Denn systemische

Angebote der Aufmerksamkeitsfokussierung auf entlastende, schutz-, kraft- und zuversichtsorientierte Erfahrungen kön-

nen ein Problemmuster, das durch Fokussierung der Aufmerksamkeit auf Angst- und Stressprozesse aufrecht erhalten

wird, entscheidend beeinflussen. Der Coachee wird bei der hypnosystemischen Therapie durch z.B. Fragen, Konfusi-

onstechniken, Metaphern s. TOOLBOX, Symbole, Anekdoten und andere Interventionen zu selbstorganisierten Fokus-

sierungsprozessen angeregt.

Die „Trance“ im Sinne der hypnosystemischen Therapie stellt einen aktiven Prozess unbewussten Lernens dar, durch

das die im üblichen Alltagsbezugsrahmen gelernten Begrenzungen erweitert werden. Gunther Schmidt präzisiert dies

folgendermaßen: „Ein Prinzip Erickson‘scher Arbeit ist außerdem, dass unwillkürliche Prozesse auf unbewusster Ebene

quasi autonom (also auch ohne ein dabei aktiv beteiligtes bewusstes, gezieltes Wollen) wirksam werden können. Das

sogenannte unbewusste Wissen kann so verstanden werden als sehr wichtiger, vertrauenswürdiger Bereich, dessen hilf-

reiche Kompetenzen man wie eine eigenständig funktionsfähige „Abteilung nutzen kann“.11 Durch „Trance“ können die

eigene Gestaltungsfähigkeit und die Existenz verschiedener Wahlmöglichkeiten erlebbar gemacht werden. Wesentlich ist

es dabei nicht, das Problem zu verstehen, sondern die Prozesse, die zu einem gewünschten Lösungserleben beitragen.

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Gunther Schmidt knüpft an die Erkenntnisse des Neurobiologen Gerhard Roth an, dass Reize und Informationen von au-

ßen in unser neurologisches System eindringen, dieser Effekt jedoch verschwindend klein gegenüber dem internen Ge-

schehen ist. Schmidt geht daher davon aus, dass somit jede Fremdsuggestion nur als selbstgesteuerte umgesetzte Idee

wirkt. Grundlegender Gedanke der Hypnotherapie ist, dass niemals von außen etwas in einen Menschen hineingebracht

werden kann, was nicht ohnehin schon als gelebtes Potenzial gespeichert ist. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass

jeder Mensch bereits alle Kompetenzen für eine hilfreiche Lösung als Potenzial in sich trägt – auch wenn diese aufgrund

der zur jeweiligen Zeit am meisten aktiven Synapsennetzwerke zunächst noch schwer zugänglich sind.

5. Lösungssprache zur Formung der „inneren Bilder“

Unsere sprachliche Kommunikation ist Spiegel unserer Einstellungen und seelischen Prozesse – zugleich besitzt sie je-

doch auch die Kraft, unsere „inneren Bilder“ zu formen. Worte sind damit mächtige Werkzeuge des Denkens und anderer

bewusster sowie unbewusster Prozesse12, die im Coaching effektiv eingesetzt werden können.

5.1 Verbales und inhaltliches Reframing

Über die Sprache treten wir mit unseren „inneren Bildern“ in Kontakt, die weit über die Worte in ihrer allgemeinen

Bedeutung hinausreichen. „Im Widerspruch zum Alltagsverständnis findet Veränderung ... innerhalb der Sprache statt:

Worüber wir sprechen und wie wir darüber sprechen, macht einen Unterschied ... einen Unterschied in der Art, wie wir

über diese Dinge sprechen, als auch darin, wo wir nach Lösungen suchen“, präzisiert Steve de Shazer.2 Die Sprache kann

dazu genutzt werden, Glaubenssätze zu verändern, Aussagen oder Situationen neu zu interpretieren sowie anders darauf

zu reagieren und neue Perspektiven zu verankern. Wesentlich dabei ist es, die Problemsprache durch Reframing in eine

lösungsorientierte Sprache zu verwandeln, durch die der Coachee eine neue Sichtweise und ein verändertes Verständnis

der eigenen Person sowie seiner Umwelt entwickelt. Die „Neurahmung“ (Reframing), mit der lösungsfokussierende

Aspekte in den Vordergrund gestellt werden, modifiziert seine Art, die Realität wahrzunehmen und mit der Außenwelt zu

interagieren: Anstelle einengender Überzeugungen, die wie ein Wahrnehmungsfilter wirken, werden hilfreiche Perspek-

tiven entdeckt. Die Sichtweise eingeschränkter Möglichkeiten weicht derWahrnehmung zahlreicher (Entscheidungs-)

Optionen.

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Problemsprache Lösungssprache (verbales und inhaltliches Reframing)

immerBeispiel: „Immer sagt mir mein Vater, was ich tun soll.“

Relativieren des Problems – statt „immer“ Verwendung von: oft; in der Vergangenheit; bisher

Beispiel: „Bisher hat mir mein Vater gesagt, was ich zu tun habe.“Durch Erfragen von „Wann nicht“ positive Ausnahmen finden und dadurch das Problem für den Coachee etwas abschwächen:

Beispiel: „Wann haben Sie sich nicht von ihrem Vater sagen lassen, was sie tun sollen?“

Andere Sichtweise durch Nennung von „Noch-nicht-Kompeten-zen“ schaffen – mittels Einsatz von „noch nicht genügend“:

Beispiel: „Ich habe noch nicht genügend Möglichkeiten gefunden, meinen eigenen Weg zu gehen.“

ob (Fragen mit „ob“ betreffen Informationen, Entscheidungen) Beispiel: „Ich will wissen, ob ich diese Ausbildung machen soll.“

Konkretes Reflektieren und Aktivieren von Lösungssuchprozessen durch Fragen, die beginnen mit:

welche; was; wie; welcheBeispiel: „Ich will wissen, was mir diese Ausbildung bringt.“

nicht mehrBeispiel: „Ich will nicht mehr dauernd mit meiner Kollegin streiten.“

Entwickeln eines lösungsorientierten Konzeptes durch den Zusatz von „sondern“:

Beispiel: „Ich will nicht mehr dauernd mit meiner Kollegin streiten, sondern einen konstruktiven Weg finden, mit ihr zusammenzuarbeiten“

hoffentlichBeispiel: „Hoffentlich falle ich nicht wieder bei der Prüfung durch.“

Vermeiden eines ängstlichen „hoffentlich“ und ersetzen durch: bestimmt; sicherlich; wahrscheinlich

Beispiel: „Wenn ich jetzt konsequent lerne, falle ich bestimmt nicht mehr bei der Prüfung durch.“

aberBeispiel: „Die Präsentation ist mir gut gelungen, aber ich war sehr unsicher.“

obwohl

Beispiel: „Die Präsentation ist mir gut gelungen, obwohl ich sehr unsicher war.“

sein (Veränderung erscheint schwer möglich)Beispiel: „Ich bin ein ungeduldiger Mensch.“

verhalten

(mögliche Veränderung greifbar) Beispiel: „Ich verhalte mich ungeduldig.“

negativ besetzter BegriffBeispiel: hyperaktiv

Suchen nach positivem Synonym

Beispiel: lebhaft

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ProblembeschreibungBeispiel: „Ich habe Angst davor, alleine zu sein.“

Vergleich des Problems mit einer Stärke und Aufdecken von Gemeinsamkeiten

Beispiel: „In meinem Job bin ich gut, weil ich Leute gut miteinander vernetzen kann.“ -> Lösung: Ein Abendessen wie ein Arbeitsprojekt organisieren und soziale Kontakte pflegen, um nicht alleine zu sein.

VorwurfBeispiel: „Immer kommst Du zu spät.“

Umformulierung des Vorwurfs in einen Wunsch

Beispiel: „Komme doch bitte nächstes Mal pünktlich.“

Misserfolg / Fokussierung eines möglichen VersagensBeispiel: „Ich muss meine Fähigkeiten beim Bewerbungsgespräch unbedingt gut verkaufen.“

Verständnis des Scheiterns als Feedback, um sich erfolgreich weiterentwickeln zu können / Fokussierung eines positiven Ergebnisses (Fortschritt durch Lernen)

Beispiel: „Wenn ich es nicht schaffe, mich beim Bewerbungsgespräch gut zu verkaufen, lerne ich, wie ich dies in Zukunft besser machen kann.“

Wahrnehmung der Existenz eines Problems Beispiel: Angst vor Versagen

Entdecken der Vorteile eines Problems

Beispiel: Aufgrund der Angst bin ich vorsichtig und überlegter, übersehe nichts, etc.

Verkleinerung des Problems durch Erfragen der genauen Eigenschaften und Grenzen

Formulierung drückt Unsicherheit ausBeispiel: „Falls ich einmal weniger Arbeit haben sollte, denke ich daran, wieder Sport zu betreiben.“

Formulierung, die Zuversicht / Ziel impliziert

Beispiel: „Sobald ich Zeit habe, betreibe ich wieder Sport.“

Quelle: Vgl. Prior 2009, Robert Dilts 2008, Sonja Radatz, 2000 13

5.2. Lösungsorientierte Fragen

Fragen – in erster Linie zum Sammeln von Informationen gedacht – werden im Coaching dazu eingesetzt, eine Reflexion

des Coachees in Gang zu bringen, sodass dieser neue Möglichkeiten der Wahrnehmung und der Handlung in Betracht

zieht. Bereits bei der Auftragsklärung zu Beginn des Coachings kann durch Fragen zum Thema, das oft hinter dem

genannten Thema steht, geführt und für den Coachee eine erste Klärung seiner Situation bewirkt werden. Im Coaching

werden verschiedenste Fragetechniken als Interventionen zur Selbstreflexion angewandt – wie zum Beispiel:

5.2.1 Dissoziierende Fragen

Wer zu nahe am Problem steht, kann nur einen schmalen Ausschnitt seiner Situation und nur beschränkte Auswege aus

seiner Lage sehen. Um den Blick auf die Gesamtsituation zu eröffnen, sind Fragen wirksam, die dem Coachee helfen, auf

die Metaebene zu gehen und seine Situation z.B. aus Sicht bzw. aus der Rolle eines Regisseurs oder Memoirenschreibers

zu sehen.

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5.2.2 Ressourcenorientierte Fragen

Vielen Coachees sind die eigenen Stärken, bereits bewältigte Herausforderungen oder hilfreiche Menschen, nutzbare

Ressourcen, in ihrem Umkreis gar nicht bewusst. Durch Fragen kann die Aufmerksamkeit auf diese „Kraftwerke“ gelenkt

und darauf aufmerksam gemacht werden, dass viel schon gelungen bzw. da ist und es „nur“ noch gilt, mehr davon zu

schaffen.

5.2.3 Zirkuläre Fragen – s. TOOLBOX

Da jedes Verhalten aller zu einem System gehörigen Menschen zugleich Ursache und Wirkung des Verhaltens der ande-

ren „Zugehörigen“ ist, gilt es, durch Fragen die Wechselwirkungen besser nachvollziehbar zu machen.

5.2.4 Hypothetische Fragen

Durch hypothetische Fragen kann seitens des Coaches ein erweitertes Blickfeld eröffnet werden, ohne die Eigenkompe-

tenz des Coachees zu unterlaufen. Sie sind eine Einladung (in Form eines Angebots mit freier Möglichkeit zur kritischen

Prüfung und Wahl seitens des Coachees) zur Aktivierung bzw. Entwicklung lösungsorientierter innerer Erlebnismuster.

5.2.5 Skalierungsfrage – s. TOOLBOX

Diese Fragemethode ermöglicht eine Standort- und Zielbestimmung des Coachees anhand einer Skala. Insbesondere

geht es jedoch um

- die Unterschiede im Verhalten auf einer bestimmten Stufe der Skala im Vergleich zum Verhalten auf einer anderen Stufe

sowie

- die Handlungsweise, die der Coachee setzen muss, um auf dem Skalenwert zu bleiben (Erreichtes festigen) bzw. diesen

in Richtung des auf der Skala definierten Zielzustandes zu verändern.14

Steve de Shazer setzt die Skalierungsfrage zur Lösungsfokussierung ein: „...Skalierungsfragen erleichtern es allen Be-

teiligten, auf der Seite der Lösung zu bleiben. Die Skalen sind so angelegt, dass alle Zahlen auf der Lösungsseite liegen.

Das heißt, „1 bis 10“ wird verwendet, um Erfolge zu bezeichnen, wogegen „0“ einfach den Ausgangspunkt vor Beginn

der Therapie markieren soll.“15

5.2.6 Wunderfrage – s. TOOLBOX

Eine wirkungsvolle Intervention ist es, den Coachee in das Gefühl hineinzuversetzen, wie es wäre, wenn das Ziel erreicht

ist. Steve de Shazer hat hierfür die „Wunderfrage“ erarbeitet, um den Coachee von augenblicklich wahrgenommenen

Einschränkungen loszulösen und seine Imagination zu nutzen. Dabei geht es darum, die Auswirkungen des veränder-

ten inneren Zustands für die eigene Person und das persönliche Umfeld für den Coachee erlebbar zu machen. „Innere

Bilder“ vom Zielzustand werden mit Emotionen und Inhalten aufgeladen, sodass sich dieser real anfühlt und die dazu

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erforderlichen Verhaltensweisen geübt werden können. „Die Wunderfrage ist ... dazu entwickelt worden, damit die Kli-

enten beschreiben können, was sie von der Therapie wollen, ohne sich dabei um das Problem und um die traditionelle

Annahme kümmern zu müssen, dass die Lösung in irgendeiner Weise damit verbunden sein müsste, das Problem zu

verstehen und zu eliminieren“.16

6. Dissoziierung durch Humor, Experiment und Spiel

Eine effektive Methode – um der Ernsthaftigkeit der Problemwahrnehmung des Coachees entgegen zu wirken und ihn

aus der Problemtrance zu führen – ist es, humoristische Elemente in das Coachinggespräch einzubauen. Zudem kann

der Coachee neue Verhaltensweisen im Rahmen eines Experiments oder Spiels – ausprobieren, ohne negative Konse-

quenzen be fürchten zu müssen – dies erhöht zugleich seine Bereitschaft, sich auf eine ihm noch unbekannte Art des

Agierens einzulassen.

Sich für eine neue Sichtweise zu entscheiden oder einen noch niemals betretenen Weg zu gehen, löst bei einem Coa-

chee oft Angst vor den Auswirkungen aus. Zudem sind oft alte, problembehaftete Verhaltensweisen liebgewonnen und

der Gedanke, nun einiges anders zu machen, ist schwer zu akzeptieren. In diesem Fall hilft es, neuen Perspektiven oder

Lösungsansätzen eine gewisse Leichtigkeit zu geben und diese mit Humor, als Experiment oder als Spiel zu präsentieren.

Auf diese Weise betrachtet der Coachee sein Problem mit der zur Lösungsorientierung erforderlichen Distanz aus der

Metaebene und kann verschiedene Lösungsszenarien auch im realen Leben für sich austesten.

Praxisbeispiel:

Eine junge Frau erzählt, dass ihre Familie ihr sehr nahesteht. Sie könne es allerdings nicht ertragen, dass sich ihre Mutter

bei ihr ununterbrochen über ihren Vater beschwere – dies vergifte immer die Stimmung. Allerdings habe ihre Mutter

sonst niemanden zum Reden und so müsse sie ihr doch zuhören. Durch den Vorschlag, diese Situation als Gesellschafts-

spiel zu sehen, kommt im Coachinggespräch Humor ins Spiel: Beim vorgeschlagenen Spiel geht es (ähnlich wie bei dem

Kinderspiel, bei dem verliert, wer „Ja“ oder „Nein“ ausspricht) darum, auf keine der Beschwerden einzugehen – und falls

dies doch geschieht, als „Wiedergutmachung“ sofort einen positiven Vorschlag (wie z.B. gemeinsames Kochen) einzu-

bringen. Die Coachee spielt dieses Spiel gedanklich durch, ist von der Wirkung noch nicht ganz überzeugt (auch davon

nicht, ihrer Mutter keine „Klagemauer“ mehr zu sein). Überzeugt ist sie erst von dem Vorschlag, es abwechselnd einen

Tag mit dem Gesellschaftsspiel und einen Tag mit der bisherigen Verhaltensweise zu versuchen, um die Auswirkungen

wie bei einem Experiment testen zu können. In einem weiteren Coachinggespräch erzählt die Coachee, dass sich ihre

Spielregeln sehr positiv auf die gesamte Atmosphäre zu Hause ausgewirkt hätten und sie diese nun beibehalten wolle.

Rein sprachlich kann ein Coachee durch „angenommen, Sie würden“ zu einem Gedankenexperiment eingeladen werden,

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bei dem er spielerisch – ohne etwaige Angst hervorrufende Konsequenzen – verschiedene lösungsorientierte Möglich-

keiten bzw. Verhaltensalternativen durchprobieren kann.

7. Grenzen der sprachlichen Wirkung

Der Wirkung sprachlicher Interventionen ist insbesondere bei „Kopfmenschen“, die ihr Problem in vielen Fällen sehr klar

zu erkennen und durchschauen glauben, oftmals eine Grenze gesetzt. Hilfreich ist es hier, Interventionen zu nutzen, die

darauf abzielen, die Problemsituation etwa durch eine Systemaufstellung aus einer neuen Perspektive auf unwillkürlicher

Ebene emotional intensiv erlebbar zu machen.

Gunther Schmidt bringt die begrenzte Macht der Sprache wie folgt auf den Punkt: „Interventionen der kognitiven, auch

mit Sprache assoziierten Art von Gedächtnis, können die Prozesse des expliziten Gedächtnisses oft sehr gut und wirksam

erreichen und dadurch zu hilfreichen Veränderungen von Problemmustern beitragen. Das implizite Gedächtnis aber,

das ganz oder teilweise unbewusst funktioniert, setzt je nach Auslöser Bruchstücke von Erinnerungen, Einschätzungen,

Körperreaktionen und Handlungsimpulsen frei, die sich auch gegen willkürliche Gegensteuerung meist kraftvoll durch-

setzen. ... Deshalb greifen auch Interventionen, die vor allem auf sprachliche Beeinflussung setzen, für viele Themen viel

zu kurz und wirken schlicht nicht hilfreich genug“.17

Um die Bereitschaft zu einer emotional intensiven Intervention auf unwillkürlicher Ebene zu erhalten, ist es sinnvoll, die-

se als etwas „verrückt“ oder Experiment anzukündigen – wodurch die Neugier geschürt wird. Bereitschaft fördert zudem

die Erklärung, dass das Problem offensichtlich mit dem Verstand bisher nicht gelöst werden konnte und ein Zugang über

das Unterbewusste bzw. den „Bauch“ neue Perspektiven vermittle.18

1) Vgl. de Shazer 2010, S. 18 2) Hüther 2010, S. 373) Hüther 2010, S. 874) de Shazer 2010, S. 255) de Shazer 2010, S. 107 ff6) Prior 2009, S. 857) Vgl. Dilts 2008, S. 1438) Vgl. Watzlawick 2010, S. 25 ff9) Prior 2009, S. 71 f10) de Shazer 2010, S. 7411) Gunther Schmidt 2010, S. 23 ff12) Vgl. Dits 2008, S. 2013) Vgl. Prior 2009, Dilts 200814) Vgl. Radatz 2009, S. 186 ff15) de Shazer 2010, S. 12216) de Shazer 2010, S. 28517) Gunther Schmidt 2010, S. 3218) Vgl. Prior 2009, 66 f

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„Jetzt hab’ ich’s!“. Motivation im CoachingprozessDr. Natalie Ségur-Cabanac

1. Einleitung

2. Motivation – was ist das? Woraus entsteht sie?

3. Gefühle und Emotionen versus Verstand

4. Flow

5. Wille, um zu wollen

6. Motivation und Handeln – Das Rubikon Modell der Handlungsphasen

7. Gedächtnis – Erfahrungen - Emotionen

8. Verstand – Emotion - Somatische Marker

9. Was bedeutet das für die Arbeit im Coaching?

10. Zusammenfassung

11. Literaturliste

1. Einleitung

Der Coachingprozess ist immer anders. Nicht zuletzt hat das auch mit der Persönlichkeit des/der Coach zu tun, aber –

bzw. vielmehr – und auch von der des Coachees/der Coachee1. Das Gelingen, der Fluss im Coachingprozess zur Lösung

hin hängt von vielen Faktoren ab. Zunächst davon, wie gut sich der Coach auf seinen Coachee einstellen kann, wie gut

ihm das „Pacing“ und „Leading“ gelingt, wie aktiv sich beide in das jeweils individuelle “Coachingfeld“ begeben und

einlassen können und wollen. In diesem Feld versucht der Coach den Blick auf die Ressourcen zu lenken, die Res-

sourcen in dem/der Coachee, aber auch die Ressourcen des Coachingprozesses an sich und auch die Ressourcen des

Coaches. Diese schaffen schließlich den Raum und die Linie für den Weg zur Lösung, zum Ziel, den der/die Coachee im

Coaching geht, um dann „anzukommen“.

Pacing und Leading beschreiben (ursprünglich im NLP) das Einstellen und Einklingen des Coaches auf seinen Coa-

chee und seine Verhaltensweisen, was ihm ermöglicht, den emotionalen Kontakt herzustellen, die Führung im Ge-

spräch mit dem Coachee sowie im Coachingprozess der Person zu übernehmen und ein Vertrauensverhältnis zu

schaffen und zu vertiefen. Dadurch wird durch die intuitive oder bewusste Anwendung von Führung und Anpassung

eine Verbindung zum Coachee im Gespräch hergestellt. Priorität hat hierbei nicht die Manipulation des Gegenübers,

sondern der bewusste emotionale Kontakt.

Pacing („Schritt halten“) meint, dass der Coach den Coachee in seinem Verhalten spiegelt, indem er bewusst sein

Verhalten in Körpersprache (Angleichen der Haltung, Gestik, Atemfrequenz), Mimik (Angleichen des Gesichtsaus-

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drucks), Stimme (Stimmlage, Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit), Sprache (Wortwahl) auf die Verhaltensweise des

Coachees angleicht.

Leading: Ist das Vertrauen durch Pacing hergestellt, geht der Coach über körpersprachliche und/oder tonale Signale

zum Leading („Führen“) über, um im Gespräch die Führung zu übernehmen. Dabei muss dies nicht im selben Augen-

blick wie beim Gegenüber geschehen, sondern kann auch zeitversetzt ablaufen und sollte sich im Gespräch mit Pacing

abwechseln.

Ankommen, das Ziel erreichen

Was bedeutet das? Im Allgemeinen könnte man meinen, dass das Ergebnis eines Coachings darin besteht, dass ein

Thema, eine Fragestellung, ein Problem des Coachees tatsächlich gelöst ist. Das kann ein angenehmer Nebeneffekt sein,

doch dieses „Ankommen“ ist mehr ein Schlüssel zu der Tür, die dem Coachee den Blick auf einen Weg, eine Ressource,

eine Option etc. oder sogar auf eine Lösung öffnet.

Naturgemäß verläuft nicht jedes Coaching gleich, ein „Schema F“ gibt es nicht. Jeder Coach arbeitet anders, doch auch

nach vielen Jahren Coachingpraxis erfordert jedes Coaching eine individuelle besondere Aufmerksamkeit des Coaches

im Coaching. Der Coach lässt sich mit seinen ganzen Sinnen und Fähigkeiten gezielt auf den Coachee ein, begibt sich

in das Feld des Coachings mit genau diesem Coachee und führt den Coachee durch den Coachingprozess. Dabei hin-

terfragt der Coach auch sich selbst, seine eigenen Wahrnehmungen, seine eigenen Empfindungen, stellt seine Antennen

ganz fein auf die Schwingungen im Coachingfeld ab und schafft dadurch dem Coachee einen gesicherten Raum, die

eigenen Ressourcen zu entdecken, zu spüren, und auf die Tauglichkeit für eine angestrebte Lösung zu überprüfen.

Wovon hängt es nun ab, dass ein/e Coachee von einem für ihn/sie selber gelungenen Coaching sprechen kann? Was

passiert, wenn der/die Coachee in die manchmal lang ersehnte Lösungsenergie kommt? Was muss passieren, damit er/

sie in dieser Lösungsenergie bleibt und die Dinge in ihrem Leben so umsetzt, dass er/sie zu ihrem Ziel kommt?

2. Motivation – was ist das? Woraus entsteht sie?

Zunächst bedarf es eines gewissen Anlasses, eines inneren Impulses, überhaupt Coaching zu machen. Dies gilt sowohl

für Coach als auch für Coachee. Was ist es, das uns Menschen zu gewissen Handlungen, Entscheidungen, Veränderun-

gen etc. bewegt?

Motivation ist für uns bei anderen Menschen als solches unsichtbar, sichtbar wird sie in bestimmten Antriebszeichen,

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die Menschen zeigen, starke Impulse zu handeln, sich zu bewegen.

Es geht also darum, dass jemand

(1) ein Ziel hat,

(2) dass er sich anstrengt und

(3) dass er ablenkungsfrei bei der Sache bleibt 1

Sind wir motiviert, erleben wir uns selbst in einem Zustand des Angezogenseins, Gefesseltsein, des Verlangens, Wollens

und Drängens, der Spannung, Aktivation und Ruhelosigkeit.

In jedem Fall ist es so, dass wir zwar in einem der oben beschriebenen Zustände mehr oder weniger kurz vor dem er-

sehnten Ziel sind, aber doch noch etwas tun müssen, um zugreifen zu können.2

Welche Rolle spielt dabei das genannte „Ziel“? Es scheint ja, dass die Motivation nichts sich selbst Befriedigendes bzw.

ein sich selbst begründender Zustand ist, sondern auf etwas hin gerichtet ist. Wir tun etwas, um etwas zu erreichen. Wir

erleben Motivation in bestimmten Motivationszuständen, die sich z.B. in Streben, Wollen, Bemühen, Wünschen, Hoffen

etc. ausdrücken. Gemeinsam ist ihnen eine gewisse aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzuges auf

einen positiv bewerteten Zielzustand.1

Es ist daher eher ein Anziehen als ein Antreiben, das motiviertem Verhalten zu Grunde liegt. Relevant ist hier also der

zukünftige Zustand, den eine Person herbeiführen will. Nicht zurückliegende Ereignisse treiben und drängen, sondern

Erwartetes zieht und richtet aus.2

Andrea ist seit ein paar Monaten als Vertriebsleiterin in einem mittelgroßen Unternehmen beschäftigt. Das Unterneh-

men war bis vor einem Jahr in Familieneigentum und wurde schließlich vom Geschäftsführer und Familienoberhaupt,

der das Unternehmen bis dahin sehr patriarchalisch geführt hatte, an einen japanischen Konzern verkauft. Andrea hat

das Gefühl, dass sich einige Mitarbeiter, vorwiegend Männer, ihr gegenüber immer noch nach den alten patriarchali-

schen Mustern verhalten, was sich insbesondere in ihrer Einstellung zu Frauen, und zwar vor allem Frauen in Füh-

rungspositionen, äußert. Sie ist mittlerweile total verunsichert, was sich sogar auf ihre Arbeit auswirkt.

Was bewegt nun Andrea wirklich, etwas zu verändern? Es ist offensichtlich, dass sie nicht zufrieden ist, dass eine

Veränderung dringend ansteht. Doch was macht es aus, dass sich Andrea verändern möchte?

Neben unseren primären Bedürfnissen wie Hunger, Durst etc. werden in der Psychologischen Literatur3 auch sogenann-

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te sekundäre Bedürfnisse genannt wie Leistungsbedürfnis (need Achievement), Anschlussbedürfnis (need Affiliation),

Unabhängigkeitsbedürfnis (need Authority) etc., die im Verlauf der individuellen Entwicklung eines Menschen erworben

werden, und zwar durch Lernerfahrung in einer Welt, in der es bestimmte physikalische, soziale und kulturelle Struktu-

ren gibt. „Dabei ordnet Murray die Bedürfnisse nach der Art bzw. dem Thema der Beziehung, die zwischen Person und

Umwelt besteht. Wenn z.B. nahezu alles, woran jemand zur Zeit denkt, wonach er sich sehnt, worauf er in seiner Umwelt

achtet und was er in ihr tut, etwas mit der Herstellung oder Aufrechterhaltung einer engen freundschaftlichen Beziehung

zu tun hat, so wäre dies ein inhaltlich abgegrenztes Thema eines Person- Umweltbezugs.“4

Needs:

Entscheidend ist das Ziel, auf das das Verhalten hingerichtet ist, nicht das Verhalten selbst. Aus Verhaltensmerkmalen

lässt sich jedoch mitunter auf das Ziel schließen.

Press:

Press ist das, was durch eine bestimmte Situation, in der sich ein Mensch befindet, als Verlockung oder Bedrohung

bedürfnisspezifisch in Aussicht gestellt ist. 5

Für Andrea ist der äußerliche Druck aus ihrer derzeitigen Situation spürbar durch von ihr empfundene Anfeindungen

und Ausgrenzungen durch ihre Kollegen. Ihr Ziel ist es, unbeschwert und offen und frei ihren Job zu machen. Es

scheint für jeden von uns verständlich zu sein, weil wir alle in ähnlichen Gefühlssituationen waren, in denen wir

Ablehnung, Ausgrenzung und Unfreiheit zu spüren bekommen haben und können Andrea sehr gut verstehen. Wir

meinen, in ihrem Veränderungswillen eine gute und begründete Motivation zu erkennen. Wenn es um das Ziel, auf

das die Veränderung gerichtet ist, geht, würde vielleicht jeder von uns ein anderes wählen. Für den einen wäre es im

Fall von Andrea etwa die Firma verlassen, für einen anderen, Zähne zeigen und die Macht als Vertriebsleiterin aus-

spielen, für einen anderen wiederum wäre es vielleicht eine zweite dicke Haut aneignen, um die Angriffe nicht mehr zu

spüren etc.

Andrea fühlt sich nicht wohl, sie möchte als Frau akzeptiert werden und gleichwertig mit den männlichen Kollegen am

Erfolg des Unternehmens arbeiten. Dabei ist sie durchaus bereit, zu erfahren, wie sie sich selbst anders verhalten soll/

kann, bzw. auch interessiert zu erfahren, wieso die männlichen Kollegen ihr gegenüber dieses Verhalten zeigen.

Ihr Ziel ist also ein sehr lösungsorientiertes. Sie möchte schon herausfinden, was das Problem ist, aber es geht ihr

hauptsächlich darum weiterzukommen und das ohne die Einschränkungen im Jetzt. Was bewegt sie dabei, was treibt

sie, wieso ist ihr gerade das zu diesem Zeitpunkt so wichtig? Hängt es mit den Erfahrungen zusammen, die sie in

ihrem Leben bereits gemacht hat? Hat es etwas mit ihren Ängsten zu tun, die sie überwinden möchte? Ist es etwas

Unbewusstes oder etwas ganz Bewusstes, was sie „motiviert“?

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3. Gefühle und Emotionen versus Verstand

Wir wollen etwas erreichen. Bei dem Bedürfnis, etwas erreichen zu wollen, werden wir oft von Gefühlen und Emotionen

geleitet, ja sozusagen getrieben, gedrängt, gezwungen. Wer kennt das nicht: Der Verstand kämpft mit den Emotionen um

die Oberhand im Entscheidungsprozess, wann welches Ziel wie und warum als solches definiert wird und auch tatsäch-

lich verwirklicht wird.

Roth1 hat das Zusammenspiel von Vernunft und Emotion einleuchtend erklärt3. Roth unterscheidet zwei Ebenen des

limbischen Systems, das bei der Erzeugung von Emotionen eine entscheidende Rolle spielt3:

1. Die kortikale Ebene – hier finden bewusste und bewusstseinsfähige Lern- und Bewertungsvorgänge statt, die dem

entsprechen, was wir in der Alltagssprache mit dem Begriff „Vernunft“ bezeichnen. Hier finden sich bewusste und

detaillierte Wahrnehmungen sowie autobiographische Gedächtnisinhalte, die „durch Erziehung stark beeinflusst wer-

den und in der Regel in gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen einmünden“1.

2. Die Subkortikale Ebene – wo die Vorgänge unbewusst erfolgen. Hier sind zunächst die primären Affekte, die Zustän-

de wie z.B. Wut, Furcht, Lust, reaktive Aggression zur Verteidigung oder Flucht hervorbringen, zu subsumieren. Diese

unterste Ebene des limbischen Systems sei durch bewusste Einflussnahme nicht einfach zu erreichen. Diese Ebene

zeichnet laut Roth mitunter das aus, was wir Persönlichkeit nennen. Zum anderen finden sich auf der subkortikalen

Ebene die sekundären Gefühle, die Roth das „emotionale Erfahrungsgedächtnis“ nennt. Dieses beruht auf Konditio-

nierungsprozessen und beginnt in uns zu wirken, lang bevor es ein bewusstes Denken gibt, nämlich schon im Mut-

terleib. Hier wird alles, was der Körper tut, nach den positiven und negativen Konsequenzen dieses Tuns bewertet und

diese Bewertung abgespeichert. Bewusst lässt sich diese Ebene eigentlich nicht erreichen, sie wirkt daher – ohne,

dass wir es bewusst steuern können.

Andrea hat als nunmehrige weibliche Führungskraft schon einige Erfahrung in ihrem Berufsleben gesammelt.

Vielleicht waren dabei auch Begegnungen mit männlichen Kollegen, die in ihrem (Unter)bewusstsein bestimmte

Reaktionen, Gefühle, Verhaltensmuster auslösen, wenn sie nun erneut auf eine bestimmte Art von männlichem Kolle-

gen trifft. Vielleicht sind dort auch Erfahrungen aus ihrer frühesten Kindheit abgespeichert, die ebenfalls dazu beitra-

gen, dass ihr Unterbewusstsein bestimme Befehle an den Körper gibt, die dann die Zustände, die sie beschrieben

hat, hervorrufen. Aus ihren Erzählungen im Coaching wird aber klar, dass sie ihre Muster langsam bewusst wahr-

nehmen kann, sie merkt, dass der Körper in einer gewissen Weise reagiert, die ihr nicht passt. Sie merkt, dass sie das

verändern möchte und kommt damit letztendlich zum Coaching.

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4. Flow

Als Flow Zustand wird ein Zustand bezeichnet, in dem eine völlige Harmonie zwischen dem limbischen System (siehe

oben), das die Emotionen steuert, und dem kortikalen System/Neocortex (siehe dazu ebenfalls oben), dem der Sitz für

Bewusstsein und Verstand zugeordnet wird, herrscht.2 Im Flow liegen Herzschlag, Atmung und Blutdruck in einer op-

timalen Synchronisation. Körper, Geist und Umwelt sind im Gleichklang, was sich sogar quantitativ über die Messung

der Herzratenvariabilität (die eine messbare, biologische Bezugsgröße für Stresstoleranz und Funktionstüchtigkeit bietet)

erfassen und beschreiben lässt.3

Mihaly Csikszentmihalyi1 geht in seiner Theorie vom Flow der Frage nach und untersucht, wann Menschen sich am

glücklichsten fühlen. Was ist Glück und was muss passieren, damit wir Glück als solches empfinden können? Csiks-

zentmihalyi hat erforscht, was es ausmacht, dass eine Tätigkeit Flow erzeugen kann, die Person, die die Tätigkeit ausübt,

sich im Flow Zustand befindet.

Flow hilft, das Selbst zu integrieren, weil das Bewusstsein im Zustand höchster Konzentration gewöhnlich gut geord-

net ist. Gedanken, Absichten, Gefühle und alle Sinne sind auf das gleiche Ziel gerichtet. Diese Erfahrung heißt Harmonie.

Und wenn diese Flow Episode vorbei ist, fühlt man sich „gesammelter“ als zuvor, nicht nur innerlich, sondern auch mit

„Blick auf andere Menschen“.4 Flow ist wichtig, weil er den Moment der Gegenwart erfreulicher macht und weil er das

Selbstvertrauen stärkt, das uns ermöglicht, Fähigkeiten zu entwickeln und bedeutsame Beiträge für die Menschheit zu

leisten.5

Flow bereitet nicht nur Vergnügen (das ist ein Gefühl von Zufriedenheit, das man immer dann empfindet, wenn eine

Information im Bewusstsein uns sagt, dass die Erwartungen erfüllt wurden, die das biologische Programm oder gesell-

schaftliche Konditionierungen gesetzt haben), sondern vielmehr Freude: Freude findet statt, wenn man nicht nur eine

bestehende Erwartung, ein Bedürfnis oder einen Wunsch erfüllt hat, sondern über seine Vorprogrammierung hinausging

und etwas Unerwartetes ereichte, vielleicht etwas, das man sich vorher nicht einmal vorgestellt hat.4

Insgesamt sind es sieben Komponenten, wobei drei als Vorraussetzung gegeben sein müssen und vier von der

Person im „Flow“ im Bewusstsein erlebt werden können:

1. Die Aktivität hat deutliche Ziele, die Ziele sind klar und es gibt unmittelbare Rückmeldung:

Wir wissen, was wir tun müssen, um das Ziel zu erreichen. Die Aktivität hat unmittelbare Rückmeldung. Nur wenn

man lernt, sich ein Ziel zu setzen und Rückmeldungen in diesen Aktivitäten zu erkennen und zu beurteilen, wird

man sich über sie freuen.7 Dies zeigt sich vor allem in vielen sportlichen Disziplinen und künstlerischen Betäti-

gungen. Diese gehören deshalb zu den „klassischen“ Flow-Aktivitäten. Eine Tennisspielerin weiß, was nötig ist, um

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ein Match zu gewinnen, die Regeln sind klar, und Erfolg wie Misserfolg einer jeden Handlung werden unmittelbar

erlebt.

2. Wir sind der Aktivität gewachsen, die Fähigkeiten und die besondere Geschicklichkeit für die

Anforderungen sind vorhanden:

Der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe muss im richtigen Verhältnis zu den Fähigkeiten der handelnden Person

stehen. Ein zu schwieriges Stück wird einen Musiker über kurz oder lang frustrieren und entmutigen, ein zu leichtes

dagegen wird ihn schnell langweilen.

3. Wir sind fähig, uns auf unser Tun zu konzentrieren:

Wir konzentrieren uns vollständig, sind nicht abgelenkt und lassen uns nicht ablenken. Wir hinterfragen die Aktivität

nicht. Gleichzeitig (oder auch: dadurch) sind die Sorgen des Alltags aus dem Bewusstsein verdrängt. Nur eine

begrenzte Anzahl von Informationen kann ins Bewusstsein dringen, alle beunruhigenden Gedanken, die einem nor-

malerweise durch den Kopf schießen, werden vorübergehend ausgeschlossen.1

Die folgenden vier Komponenten beschreiben die subjektiven Empfindungen, die mit Flow-Erfahrungen einhergehen.

4. Wir haben ein Gefühl erhöhter Kontrolle:

Dabei ist es nicht wichtig, ob wir tatsächlich die Kontrolle haben - unser Gefühl für die Kontrolle ist entscheidend

„Beim Flow haben wir unsere psychische Energie unter Kontrolle, und alles, was wir tun, trägt zu unserem Bewusst-

sein bei“.2

5. Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein:

Die Bewusstheit von sich selbst geht verloren. Manchmal erlebt man die Ausweitung des Selbst über die Körper-

grenzen hinweg. Es ist keine Zeit zur Selbsterforschung – wir sind einfach. Unsere Sorgen um uns selbst ver-

schwinden. Man ist so in eine Tätigkeit vertieft, dass sie spontan, fast automatisch wird. Man nimmt sich nicht mehr

als unabhängig von der verrichteten Tätigkeit wahr.3

6. Mühelosigkeit des Handlungsablaufs

7. Veränderung des Zeiterlebens:

Wir haben das Gefühl, dass die Zeit schneller vergeht. „Die Freiheit von der Tyrannei der Zeit trägt zu der Erregung

bei, die man bei etwas verspürt, mit dem man vollständig eins ist.“4

Carina kommt ins Coaching mit dem Anliegen, in ihrem Leben (privat und beruflich) wieder „etwas weiterzu-

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bringen“, sich aufzuraffen zu Dingen, die sie gerne tun möchte, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und

einen Plan dafür zu haben. Im Coaching werden die verschiedenen Lebenssysteme von Carina mithilfe von

Aufstellungen, Bodenankern, Rollenspielen und kreativen Systemdarstellungen dargestellt und in Verhältnis zu-

einander gebracht. Die Coach unterstützt Carina zunächst dabei, einen Plan zu finden und zu etablieren, der Ca-

rina helfen soll, die ersten Schritte zur Veränderung zu tun. Die Aufstellungen zeigen, dass Carina zum Teil sehr

von der Außenwelt abhängig ist, wenn es um Bestätigung ihres Könnens und ihrer Fähigkeiten, vor allem im

beruflichen Umfeld, ging. Ganz besonders macht ihr das Zustoßen einer neuen Kollegin in ihre Abteilung zu

schaffen, die sie als starke Konkurrentin empfindet. Im Laufe des Coachings lernt Carina, sich auf sich selbst zu

konzentrieren, sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst zu werden und auch die Signale ihres Körpers in der

Reaktion auf andere Menschen wahrzunehmen und einzuordnen.

Carina schafft es wieder, Bewegung in ihr Leben zu bringen, Dinge anzupacken und Dinge, die sie gerne macht,

auch wirklich zu machen. Sie bekommt ein Gefühl der Kontrolle über die Dinge, die in ihrem Leben passieren, sie

kann sich gut auf das, was sie tut, konzentrieren, es fällt ihr zunehmend leichter, Handlungen zu setzen, für die

sie früher viele Anläufe und Überwindungen gebraucht hatte. In der letzten Coachingsitzung strahlt sie über das

ganze Gesicht, ihre ganze Körperhaltung hat sich aufgerichtet und Carina ist in ihrer Erscheinung viel präsenter

als sie es zu Beginn des Coachings gewesen ist. Es ist wieder zunehmend „Flow“ in ihr Leben eingekehrt, der

Motor läuft wie von selbst.

Doch was war es, was Carina geholfen hat, diese Brücke zu mehr Selbstbestimmung, zu mehr Plan in ihrem Leben zu

überqueren. War das die Coach, war sie es selber. Was hat die Coach beigetragen oder war sie das ganz allein?

5. Wille, um zu wollen

„Der Wille zählt“; „Wenn Du etwas wirklich willst, dann schaffst Du es auch“; „Wo ein Wille, da auch ein Weg“. Oft hören

wir solche Ratschläge, wenn es darum geht, uns zu stärken, ein Vorhaben umzusetzen, unser Selbstbewusstsein in unse-

re Fähigkeiten, etwas zu erreichen, zu unterstützen. Doch was genau heißt das? Es hängt vom Willen ab, etwas Gewolltes

zu erreichen? Reicht es, wenn ich etwas will? Oder gehört noch mal ein besonderer Wille dazu?

Auch die psychologische Wissenschaft hat sich seit den letzten zwanzig Jahren des vergangenen Jahrhunderts vermehrt

mit dem Thema Wille und Wollen in der Motivationspsychologie auseinandergesetzt. Zuvor lag der Fokus in diesem Zu-

sammenhang mehr auf Bedürfnissen, Motiven, Konflikten und Entscheidungen, nicht aber auf dem Willen und Wollen.1

Letztere beschäftigte sich vorwiegend mit dem Problem der Zielsetzung, also mit dem von den Wünschen, Bedürfnissen

und Interessen einer Person bestimmten „Kampf der Motive“, als mit der Frage des Zielstrebens und damit mit den

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zielrealisierenden Handlungen selbst. Die Willenspsychologie hingegen beschäftigt sich mit (Vertreter hier waren

insbesondere Heinz Heckhausen, Peter M. Gollwitzer und Julius Kuhl. Von Heckhausen stammt auch das so genannte

Rubikon Modell, auf das ich gleich noch näher eingehen werde):

6. Motivation und Handeln – Das Rubikon Modell der Handlungsphasen

Woher kommt also die Motivation und was passiert, damit wir aus einer bestimmten Motivation heraus eine Handlung

setzen, um das angestrebte Ziel zu erreichen?

Jutta und Heinz Heckhausen haben in Fortsetzung der Forschungen von Gollwitzer und Heckhausen2 das Rubikon-

Modell der Handlungsphasen beschrieben und etabliert.

Am 11.1. des Jahres 49 v. Chr. hatte sich der spätere römische Kaiser Julius Cäsar mit den Worten „Alea jacta est“

(„Die Würfel sind gefallen“) entschlossen, mit seinen Legionen den Rubikon, einen kleinen Fluss in Italien, zu über-

schreiten. Damit hatte er sich endgültig für einen Krieg entscheiden, von dem es nun kein Zurück mehr gab. Von nun

an setzte er zielstrebig alles daran, den Krieg zu gewinnen. Die vorangegangene Phase des Zauderns und Abwägens

war damit endgültig vorbei.

Heckhausen vergleicht den für die Zielrealisierung wichtigen Schritt der Umwandlung eines Wunsches in ein

konkretes Ziel mit dem Vorgang der Rubikonüberquerung und auch mit deren Bedeutung und Auswirkung auf die

späteren Handlungen und hat seinem Modell daher auch den Namen des Flusses gegeben.2

Das Rubikon Modell versucht Antworten auf folgende Fragen zu geben:

- Wie wählt ein Handelnder seine Ziele aus?

- Wie plant er deren Realisierung?

- Wie führt er diese Pläne durch?

- Wie bewertet er seine Bemühungen um die Erreichung seines Handlungsziels?

Das Rubikon Modell kennt im Handlungsverlauf 4 Phasen:

1. Phase des Abwägens verschiedener Wünsche und Handlungsoptionen und deren jeweiliger positiver und

negativer Konsequenzen (prädezisionale Handlungsphase):

Welche Wünsche und Anliegen möchte ein Handelnder überhaupt in die Tat umsetzen? Dazu muss er zunächst

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die Wünschbarkeit (d.h. den Wert des erwarteten Handlungsergebnisses) und die Realisierbarkeit (d.h. die Er-

wartung, dass das eigene Handeln zum Erfolg führt) der verschiedenen Wünsche und Anliegen gegeneinander

abwägen. Die Abwägung der Wünsche und der potentiellen Ziele erfolgt dabei nicht isoliert voneinander, sondern

in Relation zu

einander. Am Ende dieser Handlungsphase wird schließlich ein verbindliches Ziel gesetzt, das der Handelnde zu

erreichen versucht – der „Rubikon“ vom Wunsch zum Ziel überschritten. Hierbei entsteht ein Gefühl der Ver-

pflichtung („Commitment“), dieses Ziel auch wirklich in die Tat umzusetzen.3

Am Beispiel von Carina lässt sich diese Phase darstellen wie folgt: Carina ist in ihrem Beruf erfolgreich und

hat ihn bisher gerne ausgeübt. Sie spürt, dass sie eine Veränderung haben möchte, sie erinnert sich an ihren

früheren Job und an die dabei erlebte Zufriedenheit und Erfülltheit, die sie im jetzigen Job nicht (mehr) empfin-

den kann. Sie will aber andererseits den Weg, den sie begonnen hat, die Veränderungen, die sie eingeleitet hat in

ihrer Abteilung, nicht einfach stehen, unfertig zurücklassen, zumal es jetzt auch noch eine neue Kollegin gibt, die

Carina als Konkurrentin, ja fast als Bedrohung ihrer Stellung in der Abteilung, im Unternehmen, ansieht. Soll sie

sich mit der neuen Kollegin (Doris) arrangieren? Klein beigeben? Die Macht der Dienstälteren ausspielen und sie

bekämpfen? Soll sie sich auf etwas ganz Neues konzentrieren und ihren Weggang planen? Soll sie sich auf ihr

Privatleben konzentrieren, in dem es in letzter Zeit immer wieder zu Konflikten mit ihrem Partner gekommen ist?

Sie ist unzufrieden, schafft es irgendwie nicht, die Dinge, die sie gerne macht, auch wirklich zu tun. Radfahren,

Reiten, ihre Wohnung verschönern, Initiativen für Freizeitbeschäftigungen zu setzen. Es braucht einige Coaching

interventionen, damit Carina klar wird, dass Doris ein Spiegel für ihre Unzufriedenheit mit sich selber ist, sie

sieht, dass sie sich im Kreis dreht und von den wesentlichen Fragen in ihrem Leben ablenken lässt. Ihr Wunsch

ist es schließlich, wieder „Frau“ über die Handlungen und Ereignisse in ihrem Leben zu werden, und sie nicht

„passieren“ zu lassen. Sie nimmt sich vor, erste Schritte zu tun, auch wenn es Kraft und Anstrengung bedarf, in

die „Tun“-Energie zu kommen. Kaum hat sie den Wunsch für sich klar formuliert und die ersten Schritte getan, ist

das Ziel klar: Sie will in den nächsten zwei Jahren den Job wechseln.

2. Phase des Planes konkreter Strategien, mit denen eine Person versucht, das am Ende der Phase des Abwägens

etablierte Ziel zu realisieren (präaktionale/postdezisionale Handlungsphase):

Der Handelnde bedient sich bei der Realisierung des gesetzten Ziels einerseits bereits routinierter und gut ein

geübter Verhaltensweisen, die mehr oder weniger automatisch ablaufen, aber er wird vielleicht auch neue, noch

nicht etablierte Verhaltensweisen, über die er sich zunächst noch Gedanken machen muss, einsetzen.1

In dieser Phase werden günstigerweise entsprechende Pläne (beispielsweise in Form von Vorsätzen („Durchfüh-

rungsintentionen“) entwickelt, die für das Erreichen des gewünschten Zielzustandes förderlich erscheinen.2 Vorsätze

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helfen bei der Initiierung, Durchführung und Beendigung von Handlungen, Realisierungsschwierigkeiten zu über-

winden. Solche Realisierungsschwierigkeiten sind insbesondere bei der Initiierung von Handlungen zu erwarten, da

diese oft verpasst und auf die lange Bank geschoben wird. Häufig werden auch günstige Gelegenheiten, zielför-

derndes Verhalten zu initiieren, übersehen. Mir der Überwindung solcher Probleme ist ein Handelnder in dieser

Phase beschäftigt.3

Kaum ist das Ziel definiert, merkt Carina, dass ihr der Alltag im Job, insbesondere mit Doris, viel leichter fällt.

Sie empfindet Auseinandersetzungen mit Doris nicht mehr als Konflikt, als Bedrohung, ganz im Gegenteil, sie

kann sie sogar als Bereicherung sehen, die Arbeit effizienter gestalten. Was macht Carina da anders? Im Coaching

stellt die Coach konkrete Arbeitssituationen im Alltag von Carina mithilfe von Aufstellungsfiguren nach. Da

durch wird das System, in dem Carina arbeitet, für Carina nicht nur visualisiert, sondern auch die Kräfte der

Personen zueinander und weg voneinander werden sichtbar. Carina sieht, dass sie selbst manche Konfliktsituati-

onen verursacht, beeinflusst oder verstärkt hat, indem sie „teamschädliches“ Verhalten setzt und insbesondere

Doris von notwendigen Informationen etc. abschneidet. Carina lernt, dass sie selbst den Arbeitsalltag positiv

(und auch negativ) beeinflussen und gestalten kann durch ihr eigenes Verhalten. Carina fällt es natürlich anfangs

gar nicht so leicht, sich selbst von außen zu betrachten in bestimmten Situationen und sich zu überlegen,

was genau gerade passiert. Aber sie lernt, auf diese Weise zu reflektieren und eine Sicht von außen als korrigie-

rendes Element zuzulassen. Und wie immer, wenn in einem System Veränderungen initiiert werden, reagiert auch

hier das System, reagieren die beteiligten Personen auf diese Veränderungen. Carina merkt, dass Doris sich

entspannt und so das gemeinsame Arbeiten nicht mehr ein Konkurrenzverhältnis ist, sondern mitunter zu einem

gemeinsamen konstruktiven Erfolgserlebnis wird.

3. Phase der Durchführung dieser Strategien (aktionale Handlungsphase)

Der Handelnde versucht, die geplanten zielfördernden Handlungen auch wirklich durchzuführen und sie zu einem

erfolgreichen Ende zu bringen bzw. das zuvor gesetzte Ziel zu erreichen. Dies wird am besten durch beharrliches

Verfolgen des Ziels und durch Steigerung von Anstrengungen bei Auftreten von Schwierigkeiten erreicht. Geleitet

wird die Handlungsdurchführung in dieser Phase durch die mentale Repräsentation des Ziels, auf welches ein

Handelnder sich verpflichtet hat, das Ziel muss aber dabei nicht im Bewusstsein gegenwärtig sein. Die Handlungs-

durchführung wird von der Volitionsstärke des Ziels bestimmt.1

Carina hat die Aufgabe, ein neues großes Projekt zu realisieren. Doris soll sie dabei unterstützen. Carina macht

einen Projektplan, bindet Doris dabei ein und gemeinsam legen sie den Fahrplan fest und machen eine konkrete

Aufgabenteilung. Carina schafft es sogar, Aufgaben, die sie früher allein für sich beansprucht hatte, an Doris zu

delegieren. Sie merkt, dass sie wieder gerne zur Arbeit geht. Sie achtet wieder mehr auf ihre Gesundheit und auf

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ihren Körper, macht mehr Bewegung, achtet auf ihr Gewicht und bekommt vermehrt ein Gefühl von Kontrolle in

ihrem Leben und über ihr Wohlbefinden.

4. Phase der Bewertung des sich daraus ergebenden Handlungsergebnisses (postaktionale Handlungsphase)

In dieser Phase bewertet ein Handelnder sein erreichtes Handlungsergebnis. Ist er mit diesem zufrieden, deakti-

viert er das am Ende der ersten Phase gesetzte Ziel. Ist er nicht zufrieden, senkt er entweder sein Anspruchsni-

veau und deaktiviert das Ziel oder er behält dieses bei und plant neue Handlungen, die dafür geeignet erscheinen,

den erwünschten Zielzustand doch noch zu erreichen.

Carina hat ein Zwischenziel erreicht, nämlich in ihrem jetzigen Umfeld zufriedener zu sein. Dadurch kann sie sich

mehr und mehr auf das eigentliche Ziel, die berufliche Veränderung und das berufliche Weiterkommen konzent-

rieren. Sie weiß, dass ihr allgemeines Wohlbefinden, das sie sich bisher erarbeitet hat, wichtig und Vorausset-

zung für die Realisierung des eigentlichen Ziels ist und fast auch als Maßstab für den Erfolg der Zielumsetzung

herangezogen werden kann. Je besser sie ihr jetziges Leben wahrnimmt, sie die definierten Handlungs- und

Verhaltensziele erfüllt, desto besser kann sie sich auf den geplanten Jobwechsel konzentrieren. Indem sich Cari-

na das bewusst macht, hat sie sogar eine Art Maßstab gefunden, anhand dessen sie die Effektivität der Zielreali-

sierung bemessen kann.

7. Gedächtnis – Erfahrungen - Emotionen

Bisher wurde erörtert, wie es der Coachee gelingt, Ziele zu finden, zu setzen und diese umzusetzen. Es klingt mitunter

einfach und anschaulich, doch woran merkt die Coach im Coaching, dass sich etwas bei der Coachee verändert, wo es

noch hakt, ob das ursprünglich gesetzte Ziel auch noch das aktuelle, gewollte ist etc.? Hängt es von der Begabung der

Coach ab, bedarf es eine Art Röntgenblick der Coach? Reicht es, wenn die Coachee sagt, dass sie die Lösung hat, in der

Zielenergie ist?

Im Coaching gibt es viele Wege, von der Auftragsklärung weg hin zum Ziel zu gelangen. Welche Methoden und Inter-

ventionen gewählt werden, hängt von den Vorlieben und Begabungen und Einstellungen der/des Coach/s ab, der sich

wiederum auf die Eigenheiten und Persönlichkeitsstruktur seiner Coachee einstellt und seine Werkzeuge danach wählt

und einsetzt. In allen Coachings, die erfolgreich sind, gibt es aber den Moment, in dem klar ist: „Jetzt hab ich‘s“.

Das menschliche Gehirn sammelt im Laufe seines Lebens Erfahrungen und speichert diese ab. Diese Erfahrungen

werden bewertet, und zwar im Hinblick darauf, ob sie dem Wohlbefinden des Menschen zuträglich oder abträglich sind,

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um dieses Wissen dann – je nach Situation – entweder ad hoc oder zur Handlungsplanung einzusetzen. Ein Teil unseres

Wissens stammt aus den Erfahrungen unserer Vorfahren, dem sogenannten Ahnenschatz, einen anderen Teil erwerben

wir im Laufe des Aufwachsens.5 Entscheidend und am prägendsten sind dabei die frühen Erfahrungen, die wir in der

Kindheit machen. Hier entscheidet sich oft für später, wie wir mit Angst- und Stresssituationen umgehen, aber genauso

werden da auch positive Erfahrungen im Gehirn nachhaltig gespeichert.1

Die moderne Hirnforschung (insbesondere Hüther) setzt sich mit der Frage auseinander, wie dann diese Erfahrun-

gen im Gehirn gespeichert werden. Ausgehend vom Modell der „Hebbschen Plastizität“, wonach zwei oder mehr

Nervenzellen, die gleichzeitig Signale und Informationen feuern, sich verdrahten und dadurch verstärken, gelangt Hüther

zudem zu der Erkenntnis, dass Verbindungen zwischen Gehirnsynapsen7 dadurch stärker und breiter („Bahnungen“)

werden, indem sie immer wieder und wieder angeregt und benutzt werden. So funktioniert schließlich auch Lernen:

Lernen im neurowissenschaftlichen Sinn bedeutet häufige gemeinsame Benutzung von Nervenzellen.8 In der Folge

werden nicht nur zwei, sondern ganze Gruppen von Nervenzellen miteinander verbunden, was in der Summe („neuronale

Netze“)9 letztendlich unser Gedächtnis ausmacht.5

Das Gedächtnis beruht also auf neuronalen Netzen, verbundenen Gruppen von Nervenzellen, die gemeinsam Signale und

Informationen in das Gehirn und in den Körper schicken. Es bleiben Erinnerungen an bestimmte Ereignisse, Erfah-

rungen, Informationen, Erlebnisse. Dabei speichert der Körper aber nicht nur sensorische Aspekte wie Farbe, Form oder

Klang, sondern auch emotionale Reaktionen.

Gerhard z.B. ist als das dritte von 4 Kindern einmal in der Woche mit seiner Oma auf den Spielplatz gegangen. Er

erinnert sich an die Schaukel, an den Sandkasten, diese sind gemeinsam mit dem Lärm der herumtollenden

Kinder und dem Geruch nach Würstel vom nahen Würstelstand in seinem Gedächtnis gespeichert. Denkt Gerhard

daran zurück, fühlt er sich gleich stolz und aufmerksam behandelt. Er, der sonst immer im Kreis seiner Geschwis-

ter mitgelaufen ist, durfte allein mit seiner Oma auf den Spielplatz und sie hat sich nur mit ihm beschäftigt. Das

bedeutet, dass neuronale Netze auch Informationen auf Körperebene, in Form von Gefühlen, die sich in körperli-

chen Reaktionen zeigen, speichert.6

8. Verstand – Emotion - Somatische Marker

Die Emotionen sind es auch, die als Bewertungssystem des Gedächtnisses auf das Verhalten des Organismus Ein-

fluss nehmen, „indem sie aufgrund angeborener „Schaltkreise“ oder aufgrund von Erfahrungen aus allen Reaktions- und

Verhaltensweisen, die dem Organismus zur Verfügung stehen, eine Auswahl treffen“.1

Dieses Bewertungssystem macht sich über körperliche Signale bemerkbar. Diese nennt Damasio somatische Marker.

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Wenn ein Organismus einem Objekt oder einer Situation ausgesetzt ist, werden nicht nur die entsprechenden Infor-

mationen über das entsprechende Objekt oder die Situation in einem neuronalen Netz gespeichert, sondern auch die

Emotionen und die Körperempfindungen, die sich aus der Begegnung mit diesem Objekt oder dieser Situation ergeben

haben. Jedes Objekt oder jede Situation, mit denen ein Organismus Erfahrungen gesammelt hat, hinterlassen einen

somatischen Marker, der eine Bewertung dieser Begegnung im Sinne von „das ist gut, das ist wieder anzustreben“ oder

„das ist schlecht und sollte vermieden werden“ speichert.

Dabei können alle Körperempfindungen als somatische Marker fungieren. Somatische Marker lenken die Aufmerk-

samkeit entweder auf ein positives oder negatives Erlebnis, “das eine bestimmte Handlungsweise nach sich

ziehen kann.” (Damasio 1997, S. 237).

Auf diese Weise nehmen wir eine Körperempfindung zum Beispiel als intuitives Start- oder Stoppsignal bezüglich einer

bestimmten Entscheidung wahr. Somatische Marker müssen nicht bewusst wahrgenommen werden, sie wirken auch

unbewusst. Somatische Marker spielen nicht nur in realen Situationen eine Rolle, sondern können auch nur in der

Vorstellung eines Menschen, der gerade in einer Phase des Planens und Abwägens ist, eine Rolle spielen, indem der

Mensch sich vorstellt, wie sich die körperlichen Reaktionen anfühlen könnten/würden.2

Emotionen und auch die damit einhergehenden körperlichen Begleiterscheinungen sind daher neben den rationalen

Überlegungen wesentlich für Entscheidungsprozesse. Ja, ohne Emotion und somatische Marker sind rationale Entschei-

dungen nicht möglich.3

9. Was bedeutet das für die Arbeit im Coaching?

Somatische Marker helfen der Coach, direkte Rückmeldungen aus dem inneren System der Coachee zu bekommen,

indem sie eine direkte Spiegelung dessen sind, was das tiefste Selbsterleben der Coachee ausmacht. „Das Auftauchen

von positiven somatischen Markern ist ein direkter Wegweiser zu den Themen, Inhalten, Absichten und Plänen, die von

dem Selbstsystem unserer Klienten unterstützt werden. Somatische Marker können in diesem Zusammenhang als diag-

nostisches Leitsystem für Selbstkongruenz eingesetzt werden. Sie zeigen an, wenn ein Mensch eine Entscheidung gefällt

hat, die er als zu sich selbst passende erlebt.“4

Die Coach beobachtet die Coachee ganz genau. Jede Intervention dient ja letztlich dazu, der Coachee zu helfen, die Stei-

ne, die auf dem Weg zu ihrem Ziel liegen, freizulegen, bei Seite zu legen, hinter sich zu lassen und das Ziel zu erreichen.

Erinnern wir uns an den Fall von Andrea: Sie möchte herausfinden, wie sie sich besser gegenüber ihren

männlichen Kollegen behaupten kann. Die Coachee wählt als Intervention die Nachstellung einer konkreten

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Arbeitssituation. Gemeinsam arrangieren sie die vorhandenen Möbel so, dass sie den tatsächlichen Büro-

räumlichkeiten von Andrea weitgehend entsprechend. Die Coach bittet Andrea, bei der Tür hereinzukom-

men, während die Coach in die Rolle des männlichen Arbeitskollegen schlüpft, der Andrea zurzeit am meis-

ten zu schaffen macht.

Aus der systemischen Aufstellungsarbeit wissen wir, dass beim Repräsentieren von realen Personen bei den Re-

präsentanten tatsächliche Gefühle, Emotionen und sogar körperliche Reaktionen hervorgerufen werden, die die reale

– repräsentierte Person – ebenfalls hat bzw. hätte. Diese Methode hilft zunächst, Systeme zu visualisieren und Bezie-

hungen innerhalb eines Systems darzustellen und offenzulegen; ferner und insbesondere auch, Reaktionen der einzelnen

Personen auf die Systemsituation und die darin befindlichen Beteiligten ans Licht zu bringen. Wie? Indem die Repräsen-

tanten diese am eigenen Körper spüren und wahrnehmen.

Andrea kommt herein und fragt die Coach in ihrer Rolle als Kollege von Andrea, bis wann sie mit der Erle-

digung einer Aufgabe rechnen kann. Andrea ist nervös und unsicher. Ihre Körperreaktionen darauf sind

unsicherer Blick, Zurückweichen und auf Abstand halten.

Hier scheinen somatische Marker als Warnung auf negative Erfahrungen zu fungieren.

Die Coach in ihrer Rolle als Kollege spürt eine unheimliche Unsicherheit und ein Gefühl von Verlorensein.

Dieses Gefühl hat jedoch eigentlich nichts mit Andrea zu tun, im Gegenteil: für Andrea empfindet die Coach

in ihrer Rolle als Kollege Respekt und Achtung. Als die Coach dies Andrea rückmeldet, erhellt sich das Ge-

sicht von Andrea zunehmend und sichtbar. Gemeinsam erörtern sie, was der Hintergrund für diese Reaktion

sein könnte. Sie finden heraus, dass dieser Kollege von einem Vorgesetzten aus der deutschen Mutterge-

sellschaft immer wieder mit Aufgaben betraut wird, aber ohne Unterstützung und Hilfe ist der Kollege mitt-

lerweile total verunsichert, vor allem, weil er sich seiner Stellung in der Hierarchie nicht sicher ist. Als

Andrea darauf kommt, dass es sich offenbar um ein strukturelles Problem handelt, das gar nichts mit ihr

persönlich zu tun hat, richtet sich ihr Körper auf, sie steht plötzlich ganz klar und gerade vor der Coach und

sagt mit fester Stimme: „Jetzt hab ich es verstanden. Der Kollege tut mir jetzt eigentlich wirklich leid und ich

sollte ihn unterstützen. Mir selbst geht es viel besser, ich habe wieder Mut, mich auf meine Arbeit zu kon-

zentrieren und mich als Frau und Führungskraft in dem Unternehmen zu etablieren.“

Im eigentlichen Sinne geben somatische Marker einen Hinweis darauf, ob sich der Körper in einer bestimmten Situation

an eine gute oder nicht so gute Erfahrung erinnert. Im weiteren Sinne und speziell für das Coaching kann man jedoch

auch jegliche Körperreaktion im Coachingprozess wahrnehmen und als Zeichen deuten, ob die Coachee am richtigen

Weg zu sich selber ist oder nicht. Jeder Coach braucht gewisse Rückmeldungen, Bestätigungen, Zeichen, ob das Coa-

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ching richtig läuft. Die verbale Rückmeldung des/der Coach reicht dazu nicht, denn was der Coachee im Kopf vielleicht

rational als Verbesserung wahrnimmt, muss nicht eine echte Verbesserung für sein inneres System sein, wo unbewusst

so viele Informationen abgespeichert sind, die wir rational gar nicht wahrnehmen können.

Wenn der Coach lernt, auf solche somatischen Marker zu achten, auf ganz feine körperliche Signale, kann dies viel

Aufschluss darüber geben, wo sich der/die Coachee gerade befindet. Oft stimmen die mit den rationalen Wahrnehmun-

gen des/der Coachee überein, oft aber vielleicht nicht. Hier kann der/die Coach einhaken und noch mal nachfragen,

erarbeiten, warum und wo Körper/Emotion/Verstand divergieren. So kann im Coaching schon zu einem frühen Stadium

sichtbar gemacht werden, was zwar vielleicht später eh sich gezeigt hätte, aber vielleicht noch viele Schleifen und viel

Zeit gekostet hat. Oder ein Coachee hat vermeintlich das Gefühl, dass das Coaching erfolgreich war, letztlich muss er

aber einige Zeit später feststellen, dass da doch noch was ist, was ihn an der Zielrealisierung hindert.

Auch der Coach selber ist mit seinen eigenen somatischen Markern, seinen speziellen körperlichen Reaktionen auf die

Vorgänge im Coaching konfrontiert. Dies ist ebenso eine große und starke Ressource im Coaching. Achtet der Coach

genau und sensibel auf seine eigenen Reaktionen, somatischen Marker, setzt er sich eben auch mit sich selber auseinan-

der, kann er lernen, daraus Fragen, Unklarheiten oder sogar auch Antworten aus dem Coachingprozess zu interpretieren.

Noras Thema wird im Coaching mittels Bodenankern (Karten, die jeweils einer Person, einer Eigenschaft,

einem gewünschten oder aktuellen Zustand, Ziel etc. zugeordnet wird bzw. diese repräsentiert) aufgestellt.

Im Laufe des Prozesses hat der Coach nach und nach vermehrt das Gefühl, dem Prozess nicht mehr ge-

wachsen zu sein, es zieht ihn förmlich hinaus aus dem Raum, aus dem aufgestellten System. Zunächst fühlt

er eine Art von Versagen und Hilflosigkeit. Der Coach versucht, diese Gefühle zu interpretieren und über-

legt, ob sie mit dem Coaching an sich oder mit seiner Coachee zusammenhängen und kommt darauf, dass

diese Gefühle genau das repräsentieren, was die Karten am Boden, was das aufgestellte und visualisierte

System im Raum sagen wollen. Genau darum geht es offenbar. Der Coach meldet dies an Nora zurück und

gemeinsam reflektieren sie, dass es offenbar in Wirklichkeit um Noras Gefühle/Reaktionen auf das System

geht, die der Coach spürt. Nun können sie im Coachingprozess genau da einhaken und reflektieren, ob das

Nora ihrem Ziel näherbringt. Ob diese Gefühle, Reaktionen z.B. in anderen Zusammenhängen aufgetaucht

sind oder eine Rolle spielen, ob es da um alte Muster geht etc.

10. Zusammenfassung

Ein Coachee kommt mit einem bestimmten Anliegen ins Coaching. Manchmal wird es im Coaching gemeinsam von

Coachee und Coach erst ans Licht gebracht, benannt, konkretisiert, bevor die eigentliche Arbeit, die Bearbeitung des

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Themas, eines Ziels etc. beginnt. All dies setzt eine bestimmte Einstellung, eine gewisse Motivation des Coachees

voraus, welche aus ganz unterschiedlichen Beweggründen entstanden sein kann. Es ist Aufgabe und Expertise eines

Coaches, auch diese Beweggründe mit zu ergründen, mit in den Coachingprozess aufzunehmen, und sei es auch nur in

seinen Hypothesen und Steuerungsgedanken, mit denen er den Prozess begleitet. Dabei achtet der Coach insbesondere

darauf, ob sein Coachee in Bezug auf Verstand, Gefühle, Wille, Gesundheit, körperliche Befindlichkeiten etc. in Einklang

ist mit dem Thema, dem Auftrag, dem Ziel, dem Prozess und der Vorgangsweise des Coaches. Coach und Coachee ler-

nen, die im Raum spürbaren Empfindungen einzuordnen und zuzuordnen und daraus direkt Fragen und Antworten direkt

aus dem Coachingprozess zu reflektieren.

11. Literaturliste

Falko Rheinberg, Motivation, Grundriss der Psychologie Band 6 (2008), Verlag Kohlhammer und Urban

Maja Storch, Frank Krause. Selbstmanagement – ressourcenorientiert – Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit

mit dem Zürcher Ressourcenmodell 2005, Huber Verlag

Peter Findeisen 2006. Die Qualitäten des Herzens in der Psychotherapie (Vortrag 4.11.2006 Bad Salzuflen)

Dr.Dr. med Herbert Mück (Köln) und Prof. Dr. Michael Mück-Weymann 2007. Herzvariabilität Zusammenhang von Flow

und Herzvariabilität. (zu finden auf http://www.herzratenvariabilitaet.de/HRV-Perspektiven.htm)

Flow 2008. Das Geheimnis des Glücks, Klett-Cotta Verlag

Mihaly Csikszentmihalyi: Flow. Das Geheimnis des Glücks, 2008, Klett-Cotta Verlag

Jörg Schumacher, „Das Überschreiten des Rubikon: Willensprozesse und deren Bedeutung für Therapie und Rehabilita-

tion, erschienen in Schröder, H&H Heckhausen, W. (Hrsg.) (2001). Persönlichkeit und Individualität in der Rehabilitati-

on. Frankfurt a.M.: Verlag für Akademische Schriften (zu finden auf http//pp-praxis.ch/de/docs/Das Ueberschreitendes

Rubikon.pdf)

Jutta und Heinz Heckhausen: Motivation und Handeln, 2006, Springer Verlag

Roth G. (2001). Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main.

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Krise oder Konfliktlösung?Die Rolle der Emotionen im CoachingAnn-Katrin Suckow

1. Einleitung:

Unbestreitbar spielen Emotionen im Coaching eine wichtige Rolle. Was aber genau bedeuten sie? Was bringen sie für

den Prozess? Und wie lassen sie sich im Coachingsetting nutzen, ohne dass sie aus dem Ruder laufen?

Ziel dieses Kapitels ist es, die Herkunft und Bedeutung von Emotionen im Coaching zu erklären und Hinweise auf den

lösungs- und nutzenorientierten Umgang im Coachingsetting und für den Coachee in der Selbstanwendung zu geben.

Der einfachen Lesbarkeit halber verwende ich „der Coach“ und „er“ – gemeint sind selbstverständlich männliche und

weibliche Coaches.

2. Hintergrund und Theorie: Was sind Emotionen, und woher kommen sie?

Die Erforschung von Emotionen befindet sich in einem Stadium der Entwicklung. Viele Aspekte sind bekannt, andere

werden aber durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse immer wieder berichtigt oder spezifiziert.

Antonio Damasio beschreibt die Entstehung von Emotionen wie z.B. Glück, Trauer, Verlegenheit oder Mitgefühl als einen

komplexen Ablauf chemischer und neuraler Reaktionen, die das Gehirn als Reaktion auf einen emotional besetzen Stimu-

lus produziert – der entweder konkret oder in der Erinnerung vorhanden ist1. Die Reaktionen laufen automatisch ab und

bewirken eine zeitweilige Veränderung des Zustands des Körpers und der Hirnstrukturen, die das Substrat des Denkens

bilden. Zweck dieser Veränderung ist es, die Bedingungen wiederherzustellen, die dem Überleben und Wohlbefinden

des Organismus dienen. Emotionen sind also ein natürliches Mittel für Gehirn und Geist, die Umwelt zu beurteilen und

passend darauf zu reagieren.

Für den Neurobiologen Michael Gershon2 ist der eigentliche Sitz von Emotionen der Bauch. Dieser ist mit denselben

Nervenzellen ausgestattet wie unser Gehirn und laut Gershon eine Art zweite Kommandozentrale, die oft kompetenter ent-

scheidet als der Kopf – nämlich „aus dem Bauch heraus“. Dieses Bauchgehirn besitzt eigene somatische Marker, die dem

Menschen eine Art „Vorgefühl“ vermitteln. Es sendet Informationen vom Bauch an das Großhirn, wo die Übersetzung in

Unwohlsein, Fröhlichkeit, schlechte oder gute Laune, geschieht.

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Diese Sichtweise passt auch zur traditionellen chinesischen Medizin: sie ordnet Emotionen Organen des Körpers zu.

Bestimmte Emotionen werden immer im Zellgedächtnis des dazugehörigen Organs gespeichert, beispielsweise Trauer

in der Lunge, Wut in der Leber oder Ärger im Magen. Gershon bezeichnet Emotionen entsprechend als die Quintessenz

unserer Lebenserfahrungen. Auch Joachim Bauer schreibt, dass die Erfahrungen jedes Menschen in seinem emotionalen

Erfahrungsgedächtnis gespeichert sind.3

Wenn Emotionen ausgelöst werden, dann aktivieren sie die passend dazu gespeicherten Handlungsmuster4. Diese Ak-

tivierungen dienen dem Überleben und Wohlbefinden des Körpers und sind in der Vergangenheit angelegt worden, um

den Menschen – damals wahrscheinlich noch ein Kind – vor einer vermeintlichen Gefahrensituation zu schützen. Bei

einem Erwachsenen können diese alten Handlungsmuster sich als ein riesiges Hindernis herausstellen. Ein Beispiel:

gelingt jemandem der finanzielle Erfolg einfach nicht, obwohl er scheinbar alle richtigen Schritte befolgt, so kann es an

einem alten Muster liegen, das ihm suggeriert, bloß nicht aufzufallen oder sich selbst klein zu halten. War dieses Muster

für ein Kleinkind vielleicht angemessen, um sich vor elterlichen Ausbrüchen zu schützen, so steht es dem erwachsenen

Geschäftsmann nun im Weg und verhindert buchstäblich den Erfolg.

2.1. Emotion und Vergessen

Interessant ist die Tatsache, dass der auslösende Impuls nicht einmal bewusst wahrgenommen werden muss, um eine

Emotion freizusetzen. In „Das Gedächtnis des Körpers“ beschreibt Bauer, dass bei Trauma-Patienten, die eine extreme

Gefahrensituation erlebt haben, schon ein bewusst nicht wahrnehmbares Bild oder eine für das Gehirn ähnlich schei-

nende Situation ausreicht, um die ursprünglichen Emotionen der Situation wieder herbeizuführen.5 So kann es einem

Autofahrer durchaus passieren, dass er nach einem schweren Unfall eine ähnliche Strecke nicht befahren kann, ohne eine

Panikattacke zu bekommen – obwohl die tatsächliche Gefahr in der Vergangenheit liegt und real nicht vorhanden ist, und

obwohl er während des Fahrens nicht an den Unfall gedacht hat.

In Coachingsettings kann man beobachten, dass die auslösenden, ursprünglichen Situationen aus dem bewusst ab-

rufbaren Gedächtnis sogar ganz verschwunden zu sein scheinen. Offensichtlich überdauern Emotionen das Vergessen.

Das bestätigt auch eine Pressemitteilung der University of Chicago aus dem Juni 2010, die beschreibt, dass bei Amne-

sie-Patienten auch dann Emotionen zu beobachten waren, wenn die auslösende Situation vollständig aus dem Gedächt-

nis gelöscht, also vergessen ist.6

Mit anderen Worten: das Gedächtnis für Situationen und das Gedächtnis von Emotionen ist ganz unterschiedlicher Art

und nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft auch an unterschiedlichen Stellen im Körper gespeichert – nicht nur

im Gehirn.

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2.2. Emotions-Auslöser

Ein Emotionen auslösender Stimulus kann schon der Gedanke an eine Person – nennen wir sie „X“ – sein, die man in

Kürze treffen wird. Je nach Art des Verhältnisses zu X und Erwartung an das Treffen kann der Gedanke Emotionen von

Vorfreude bis Furcht oder Widerwillen auslösen – ohne dass der auslösende Faktor, also X selbst, überhaupt in der Nähe

ist. Die Reaktion des Körpers ist gleich stark, egal ob der Körper auf einen real vorhandenen oder einen gedachten Impuls

reagiert.

Emotionen sind immer mit einer Information verknüpft. Die Information: „X ist ein Mensch, der mir sehr fehlt“, führt

dazu, dass wir beim Gedanken an ein Treffen Aufregung, Vorfreude und Glück verspüren. Lautet die Information „X ist

jemand, der mir schaden möchte“, dann führt der Gedanke an ein Treffen zu negativen Emotionen, zum Beispiel Ärger,

Furcht oder Verwirrung.

Für das Coachingsetting bedeutet diese Erkenntnis, dass Emotionen einen direkten Zugang zu Blockaden legen können,

die das Weiterkommen behindern oder die Bewältigung des Alltags erschweren. Und das ist selbst dann möglich, wenn

es zunächst keine bewusste Verknüpfung des vergangenen Geschehens mit der Gegenwart zu geben scheint – oder die

auslösende Begebenheit ganz und gar aus dem bewussten Gedächtnis verschwunden zu sein scheint.

Umgekehrt ist es möglich, durch eine Verknüpfung von gewünschten Ereignissen mit einer positiven Emotion dieses

Ereignis positiv zu „überschreiben“. Person X kann dann von einem Feind zu einem Freund werden, das Thema Beruf

von Angstbesetzung zu Mut und Selbstvertrauen. Dafür ist es lediglich nötig, die Negativ-Emotion, die im Zellgedächtnis

gespeichert ist und die alten Handlungsmuster aktiviert, wahrzunehmen und loszulassen.

Das Ziel eines Coachings ist es, alte, hinderliche Handlungsmuster durch neue, angemessene Muster zu ersetzen, die

zum gewünschten Ziel führen – sei es nun Erfolg, Wohlstand oder ein glückliches Grundgefühl.

3. Anwendung: Emotionen im Coaching

Emotion und Intuition – es gibt wohl kaum vergleichbare Aspekte im Coaching, die einerseits so schwer zu erklären sind,

andererseits aber die kraftvollsten Ergebnisse erzielen. Nicht nur entziehen sie sich bisher einer eindeutigen Zuordnung

und finaler wissenschaftlicher Erkenntnisse, sie können auch nicht mit einer einzigen standardisierten Herangehenswei-

se verwendet werden. Beide erfordern einfach die volle Aufmerksamkeit und eine starke Präsenz des Coaches.

Im Verlauf des Coachingsettings gibt es zwei Arten des Arbeitens mit Emotionen:

1. das Lesen/Verstehen des Themas aufgrund der vorhandenen (meist negativen) Emotionen des Coachees: hier wird

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das System nach seinen Handlungsmustern untersucht, vorhandene Blockaden können klar erkannt werden.

2. das Anlegen von positiven Emotionen, die in der Arbeit mit einer Vision mit dem zu erreichenden Zielzustand verknüpft

werden: diese positive Emotion hilft dem Coachee im Alltag, aus seinen Handlungsoptionen immer wieder die zielfüh-

rendste (diese positive Emotion auslösende) auszuwählen.

3.1. Die Wahrnehmung von Emotionen

Emotionen sind anhand von somatischen Markern leicht zu erkennen (spürbare körperliche Veränderungen, z.B. Herz-

klopfen, geweitete Augen, aufrechte Haltung, Erröten). Emotionen müssen keine Aufsehen erregenden Ausbrüche in z.B.

Wut oder Trauer sein. Oft ist zum Beispiel einfach Verwirrung im Raum. Auch das ist eine Emotion, die es zu beachten

gilt.

Die italienischen Forscher Giacomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia berichten, dass der Mechanismus der Spiegelneu-

rone das unmittelbare Verstehen der Emotionen der anderen ermöglicht. Dies ist die notwendige Voraussetzung für die

Einfühlung, das empathische Verhalten.7

Dieses „Mit-Fühlen“ muss nicht einmal eine bewusste Handlung sein. Jede Emotion, die der Coach spürt, ist Teil des

Prozesses. Wenn dieses Bewusstsein erst einmal in den Coachingprozess eingeflossen ist, wird die Coachingarbeit

leichter und effektiver. Die Emotionen, die der Coach vonseiten des Coachees spürt, sind – selbst, wenn sie sich so

anfühlen – nicht persönlich gemeint. Auch eine direkte Kritik, die sich vermeintlich an den Coach richtet, ist erstmal nur

das: Ausdruck einer Emotion.

Die wichtigste Aufgabe des Coaches ist das Spüren, Annehmen und Aussprechen – und zwar dessen, was er selbst

empfindet. Statt sich beunruhigen zu lassen, ist die Emotion ein Beitrag, der ganz neutral wahrgenommen und als Beitrag

zur Klärung des Themas herangezogen werden sollte.

Im Grunde ist das eine sehr gute Nachricht für all diese Coaches, die immer wieder an ihren Fähigkeiten zweifeln – bleibt

man in der reinen Wahrnehmung und spricht man aus, was als Emotion im Raum ist, dann lassen sich die Themen des

Coachees viel leichter lösen. Auf diese Weise kann die Angst vor dem Scheitern (um nur ein Beispiel zu nennen) statt

einer Bremse für den Coach ein wertvoller Beitrag zur Konfliktlösung sein.7

3.2. Unterscheidung der eigenen Emotionen von denen des Coachees

Emotionen sind eine zutiefst subjektive Erfahrung. Man kann nicht von vorneherein sagen: „das ist meine Emotion“, oder

das ist nur mein Mit-Fühlen. Um nicht in die Falle von Projektionen zu laufen (also die eigenen Themen im Coachee zu

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sehen), ist die beste Vorgehensweise immer ein Praxis-Check.

Idealerweise wird der Coachee zuallererst nach seiner Emotion befragt, z.B. „wie geht es Ihnen damit? Wie fühlt sich das

an?“. Erst dann ist es sinnvoll, mit Hilfe der eigenen Empfindung eine Vermutung anzustellen bzw. die eigene Emotion

zu benennen: „Mir scheint, Sie sind sehr aufgebracht“ oder „Ich fühle mich ein wenig verwirrt – kann es sein, dass diese

Verwirrung gerade im Raum ist? Kann das etwas mit Ihrem Thema zu tun haben?“

Nach und nach wird jeder aufmerksame Coach den Unterschied zwischen eigenen Emotionen und denen des Coachees

unterscheiden lernen und in solchen Fällen, in denen das eigene Thema tatsächlich mit betroffen ist, eine Supervision in

Anspruch nehmen – d.h. den Hinweis dankend für den eigenen Prozess nutzen, diesen aber aus der Sitzung auslagern.

3.3. Emotion als Wegweiser zum Thema

Wie in Kapitel 2 beschrieben, sind Emotionen eine körperliche Reaktion auf einen Impuls, der vom System als Unru-

hestifter erkannt wird. Der Körper tritt in einen besonders wachen und aufgeregten Zustand ein – so lange bis die als

„richtig“ gespeicherten Handlungsmuster aktiviert und durchgelaufen sind.

Nachdem im Coachingsetting versucht wird, durch Interventionen neue Möglichkeiten aufzuzeigen – also die Möglich-

keiten der inneren Bilder zu erweitern – weisen Emotionen deutlich auf das zu behandelnde Thema hin – das, worum es

in diesem Moment und Zusammenhang „wirklich“ geht. Sie führen den Coach direkt zum Kern des Problems. Verlässlich

zeigen sie auf: hier ist das Thema. Darum geht es jetzt.

Wie wir in Teil 2. gesehen habe, überdauern Emotionen das Vergessen und können selbst dann in Erscheinung treten,

wenn die auslösende Situation aus dem – bewussten – Gedächtnis verschwunden ist. Durch das Nutzen der emotionalen

Information erhalten wir also eine zusätzliche Quelle für die Themen des Coachees. Indem wir auf das Zellgedächtnis

zugreifen, haben wir mehr und tiefere Informationen, um Blockaden zu lösen, als bei der reinen Befragung (bei der wir

auf bewusste Erinnerungen zugreifen).

3.4. Das Lesen und Verstehen von Emotionen

Um angemessen mit Emotionen umgehen zu können, ist es wichtig, zu verstehen, dass jede emotionale Reaktion des

Systems der Wiederherstellung der Ordnung und des Wohlbefindens im System des Coachees gilt.

Worin diese Ordnung besteht und was als angemessene Reaktion einzustufen ist, lässt sich außerhalb dieses Systems

nicht beurteilen. Je neutraler der Blick auf die Reaktion und je wertfreier die Beobachtung, desto leichter ist der Coachee

zu erreichen.

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Ein Beispiel: Eine Klientin bemüht sich seit Jahren um Erfolg in der Selbständigkeit. Als das Gespräch zufällig auf ihre

Mutter kommt, verändern sich Körperhaltung und Blick – sie scheint auf der Hut zu sein und sich vor einer Gefahr

schützen zu wollen. Auch wenn die Mutter mit ihrem Business nicht das Geringste zu tun hat, ist ihr Erfolg für ihr Sys-

tem direkt mit der kritischen Betrachtung durch die Mutter verknüpft. Für das System der Klientin ist diese Verknüpfung

vollkommen logisch, auch wenn die zwei Bereiche sachlich und inhaltlich nichts miteinander zu tun haben. Für das

Wohlbefinden und die Ordnung des Systems ist es wichtig, dass die Klientin erfolglos bleibt – der Mutter wegen. Es

schlägt Alarm, sobald die Mutter im Zusammenhang mit dem Thema des geschäftlichen Erfolgs ins Gespräch kommt.

Dieser Alarm wird in Form von somatischen Markern als Emotion sichtbar.

3.5. Interventionen: Mit Emotionen arbeiten

3.5.1. Disassoziation

Die somatischen Marker, die auf starke Emotion hinweisen, zeigen, dass der Coachee im Thema verhaftet, also mit dem

Thema assoziiert bzw. identifiziert ist. Diese Anzeichen sind bei jedem Menschen anders, sie können aber zum Beispiel

so aussehen:

Der Coachee

- zeigt starke Emotionen (verbal und nonverbal)

- sitzt sehr aufrecht (versus zurückgelehnt)

- wiederholt sich in Aussagen bzw. findet keine Worte für die Beschreibung der Situation

- spricht sehr aufgeregt

- zeigt häufig einen schweren, kurzen Atem

- hat oft keine Idee, welche Lösung es geben könnte (d.h. ist in einer Blockade

verankert). Mit der Intervention der Disassoziation lässt sich diese enge Verbindung in den meisten Fällen lösen. Hier

wird durch die Einnahme einer neutralen Position das Problem von einer anderen Seite aus betrachtet. Was würde ein

Außenstehender sagen? Wie würde eine nahestehende Person (Partner, gute Freunde, Kollegen) in dieser Situation

agieren? Was würde ein ganz Fremder (ein Außerirdischer) zur Situation und den Verhaltensweisen sagen? Dieses

Vorgehen löst den Coachee aus der Identifikation mit dem Thema.

3.5.1. Emotionen erzeugen

Um somatische Marker auch dem Coachee bewusst zu machen, lassen sich Emotionen bewusst vertiefen. Dazu bittet

man den Coachee, bewusst in seine Wahrnehmung zu gehen, also die Körperwahrnehmung und alle Gedanken und

Emotionen zu spüren und auszudrücken. So lernt der Coachee, seine eigenen Emotionen bewusst zu spüren und wahr-

zunehmen.

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Scheint ein Coachingsetting zu stagnieren, ist es auch möglich, Emotionen zu erzeugen. Auf diese Weise werden neue

Informationen aus dem (Zell-)Gedächtnis abgerufen.

Beispiel-Interventionen:

- absurde Intervention: das Problem in einen ganz anderen, absurden Zusammenhang zu stellen,

z.B. das Büro als Aquarium mit Gold- und Haifischen

- Tabus ansprechen: bisher Ungesagtes offen ansprechen, auch, wenn es sich um Vermutungen handelt.

Wichtig ist dabei eine positive Grundhaltung, so dass diese Offenheit als Unterstützung, nicht als Angriff gesehen wird

3.5.2. Tapping / EFT

Durch Klopfen der Energie-Meridiane, das sogenannte „Tapping“, lassen sich feste neuronale Verbindungen lockern und

auflösen. Diese relativ leicht zu erlernende Technik kann auch dann helfen, wenn ein Coachee in einer Emotion „fest-

zuhängen“ scheint.8 Ähnlich wie eine Akupunktur harmonisiert diese Technik die Energieflüsse des Körpers und ist seit

etwa zwanzig Jahren eine anerkannte Heilmethode, die auch bei emotionalen Blockaden sehr wirkungsvoll funktioniert.

3.6. Emotionen und die Zielvision

Sind die Blockaden erkannt bzw. vorhandene Gefühle wahrgenommen und anerkannt worden, entsteht Platz für das Neue.

Man könnte bildhaft sagen, dass durch den Wegfall eines alten Glaubenssatzes „Platz im Hirn“ entstanden ist. Um das

Ziel des Coachees zu unterstützen, geht es jetzt darum, neue Beschreibungen und Bewertungen und neue Verhaltenswei-

sen zu erarbeiten. Eine neue Sichtweise ist der erste Schritt zu einer neuen Interaktion mit der Umwelt.

Um nachhaltig Wirkung zu erzielen, werden die so entstehenden Emotionen von Begeisterung, Freude etc. mit der

gemeinsam erarbeiteten Vision des Ziels verknüpft. Während vorher bestehende Emotionen gesehen, herausgefordert,

angenommen worden sind, geht es nun darum, absichtlich Emotionen mit Zielbildern und Handlungen zu verknüpfen.

Damit entsteht eine Überschreibung von neuronalen Bahnen. Genau wie in der Krise ein Coachee wieder und wieder

über das Problem nachdenkt und es auf diese Weise verstärkt, so wird nun dieser Mechanismus genutzt, um die „Um-

programmierung“ ins Positive bleibend im Körper und im Zellgedächtnis zu verankern.

Auf diese Weise wird der Coachee ermächtigt, selbst seinen Prozess voranzutreiben: indem er in Situationen seine Hand-

lungsalternativen prüft und jene wählt, die seinem Ziel am nächsten kommt, bewegt er sich automatisch auf sein Ziel zu.

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Ein Beispiel:

Der Mitarbeiter eines Konzerns hat im Coaching erfahren, dass seine wiederkehrenden Konflikte mit einem ganz be-

stimmten Kollegen ihre Ursache in seiner Vergangenheit haben. Sein Ziel, auf der sachlichen Ebene zu bleiben und so

erfolgreich zu werden, ist mit einem Gefühl der Erleichterung, des Friedens und einem Gefühl von Freiheit verknüpft.

Tritt nun eine Situation ein, die früher zu einem Streit geführt hätte, kann er nun seine Optionen prüfen: laut werden, den

Raum verlassen oder ruhig um einen sachlichen Tonfall und die Darlegung des Problems bitten. Option C ist der Ziel-

Emotion am nächsten. Deshalb und „weil es sich gut anfühlt“ wählt er nun diese Option bewusst aus. Innerhalb kurzer

Zeit verwandelt sich die Feindschaft in eine kollegiale Beziehung, neuerdings sind sogar gemeinsame Interessen zur

Sprache gekommen.

3.7. Lassen sich Emotionen im Coaching ignorieren?

Das ist eine Frage, die aus der Angst vor Emotionen resultiert. Emotionen im Coaching sind ein Geschenk und eine der

wertvollsten Informationsquellen. Sie lassen sich lesen, mit etwas Übung „wie ein Buch“, und geben die wertvollsten

Hinweise, die das Unterbewusstsein aussenden kann. Denn vieles, das im Coaching gelöst werden soll, ist nicht mehr im

aktiven Gedächtnis gespeichert. Oft haben Coachees scheinbar keine Ahnung, woher ein bestimmtes Problem kommen

kann. Emotionen sind wie ein Wegweiser zu den größtenteils uralten, verdrängten oder vergessenen Auslösern von ganz

aktuellen Problemen. Sie sind eine Einladung: „Hallo, hier geht es lang! Und bitte dranbleiben.“

Weigert sich ein Coach, den „elephant in the room“ wahrzunehmen und zu benennen, wird das Coaching sich am Ende

halbgar und unbefriedigend anfühlen – für beide Seiten. Möglicherweise wird der Coachee sich auch aus der Zusam-

menarbeit verabschieden, denn er/sie spürt, dass etwas an seiner Wahrheit dem Coach unangenehm war. Es bleibt

ein unbestimmtes Gefühl der Ablehnung zurück, dem sich ein Coachee höchstwahrscheinlich nicht ein weiteres Mal

aussetzen wird.

Um aber beim Thema zu bleiben: auch die Angst vor Emotionen ist eine Emotion und eine Einladung, mit dem Thema zu

arbeiten. Möglicherweise gab es in der Kindheit heftige Ausbrüche von Bezugspersonen – in jedem Fall hat das System

daraufhin entschieden, Emotionen (besonders die negativen) um jeden Preis zu verhindern. Ich lade Sie ein, diese Ängs-

te bewusst wahrzunehmen und einer Vertrauensperson oder einem supervisierenden Coach gegenüber anzusprechen.

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4. Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Emotionen im Coaching sind der erste Schritt zur Konfliktlösung und ein idealer Motor, um den gewünschten Zustand –

sei es Glück, beruflicher Erfolg oder eine gute Entscheidung – durch passende Handlungen zu erreichen.

Während das bewusste Gedächtnis nur einen begrenzten Zugriff auf vergangene Erlebnisse hat (und das oft mit voller

Absicht), lassen emotionale Erinnerungen sich nicht ohne Weiteres aus dem Zellgedächtnis löschen. Sie aber steuern

unsere Handlungen, meist, ohne dass uns das bewusst ist. Menschen vermeiden auf diese Weise ein erfülltes Leben

oder nennenswerten beruflichen Erfolg, obwohl sich das Handlungsmuster bei seiner Entstehung auf eine völlig andere

Situation bezogen hat – also längst hinfällig ist.

Das bewusste Wahrnehmen von Emotionen hilft dabei, diese Handlungsmuster aufzuspüren.

Das Wissen, dass Emotionen Handlungen lenken können, wird in neueren Coaching-Ansätzen darüber hinaus dafür

genutzt, zielführende Handlungen zu verankern und eindeutig zu markieren. Diese Verknüpfung von positiven Emotionen

mit der Zielvision hilft dem Coachee dabei, im Alltag seine Handlungsoptionen zu prüfen und zu bewerten und diejenigen

auszusuchen, die ihm zur Erreichung der eigenen Vision am nützlichsten sind. Außerdem dienen sie als Motor: eben

weil positive Gefühle „so schön“ sind, steckt in ihnen bereits ausreichend Motivation, um sie immer wieder erzeugen zu

wollen.

Wohl der wichtigste Hinweis für Coaches bei der Nutzung von Emotionen im Coachingsetting ist, nicht auf Emotionen

„anzuspringen“. Jede Wahrnehmung im Coachingsetting ist nur das: eine Wahrnehmung, die ausgedrückt werden muss,

um dann mit ihr weiterarbeiten zu können. Das Thema, um das es geht, ist immer das des Coachees. Auch wenn sich

das häufig anders anfühlt.

1) Antonio Damasio, Der Spinoza-Effekt, 2006, S. 67f. 2) Michael Gershon, Der kluge Bauch, 20013) Joachim Bauer, Das Gedächtnis des Körpers, 2007, S. 1684) Gerald Huther, Die Macht der inneren Bilder, 20065) Joachim Bauer, Das Gedächtnis des Körpers, 2007, S.164f.6) Spektrum der Wissenschaften, Juni 20107) Giacomo Rizzolatti, Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone, Die biologische Basis des Mitgefühls. Aus dem Italienischen von Friedrich Griese; Suhrkamp Verlag, 20088) Christian Reiland, EFT: Klopfakupressur für Körper, Seele und Geist, Goldmann, 2006

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Coaching aus Sicht der NeurowissenschaftenMag. Sabine Sauerzapf

Hinführung

1. Neurowissenschaftliche Grundlagen unseres Gehirns

1.1 Erfahrung, Lernen und Gedächtnis

1.2 Neuroplastizität

1.3 Das limbische System

1.4 Somatische Marker

1.5 Neurotransmitter

2. Coaching vor einem neurowissenschaftlichen Hintergrund

2.1 Sichtbarmachung neuronaler Vorgänge mittels bildgebender Verfahren

2.2 Four-Faces-of-Insight Modell im Coaching

2.3 Implikationen der Neurowissenschaften für Coaching

2.4 Problem talk creates problems, solution talk creates solutions?

2.5 Ausblick und Implikationen der Neurowissenschaften für das Coaching

3. Literatur

Hinführung

„Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“

Franz Kafka

Die im Zusammenhang mit Coaching oft zitierte Aussage des deutsch-tschechischen Schriftstellers Franz Kafka erweist

sich in vielen systemisch-konstruktivistischen Coachingprozessen als Schlüssel zur Lösung.

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen Coaching und den Neurowissenschaften

und soll einen Überblick über aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich bieten.

In Zeiten von ständigem Wandel und zunehmender Vernetzung erscheint es sinnvoll, Synergien und neue Erkenntnisse

aus unterschiedlichen Bereichen vor neuen Hintergründen zu beleuchten und durch systemische Betrachtung und In-

tegration auch die Neurowissenschaften für das Coaching nutzbar zu machen. Der Coach als Begleiter des (geistigen)

Veränderungsprozesses seines Coachees kann die Erkenntnisse der Neurowissenschaften über menschliches Verhalten,

Wahrnehmung und Lernen in den Coachingprozess einfließen lassen und diesen somit effektiver gestalten.

Ein neurowissenschaftlich basierter Ansatz ermöglicht einerseits, die Vorgänge im Gehirn des Coachees besser zu ver-

stehen und somit als Coach entsprechend zu handeln. Andererseits bietet er eine physische und konkret nachvollziehbare

Komponente: In einer materialistischen Welt ist es sowohl für Einzelpersonen als auch für Organisationen wichtig, dass

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Aktionen greifbar und auch messbar gestaltet werden1, die Neurowissenschaften bieten hierbei einen neuartigen Zugang.

Konkret soll im Rahmen dieses Beitrags folgenden Fragen nachgegangen werden:

- Was passiert bei Lern- und Veränderungsprozessen auf neurophysiologischer Ebene im menschlichen Gehirn?

- Bieten die Neurowissenschaften einen Erklärungsansatz für den Lösungsfokus im Coaching?

- Welche Regionen des menschlichen Gehirns werden im Coaching aktiviert und wie kann der Coach

neurowissenschaftliche Erkenntnisse in den Coachingablauf integrieren?

1. Neurowissenschaftliche Grundlagen unseres Gehirns

Während Wissenschaftler bis vor einigen Jahren das menschliche Gehirn mit einem Computer verglichen, auf dessen

Festplatte wir unsere Erfahrungen abspeichern, hat sich diese Sichtweise in den letzten Jahren sehr stark gewandelt – vor

allem aufgrund neuer Erkenntnisse der Neurowissenschaften.

Schätzungen zufolge besteht das menschliche Gehirn aus ungefähr 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), deren

Hauptaufgabe darin besteht, untereinander Informationen zu übermitteln.2

In den Neurowissenschaften wird das Gehirn als dynamisches, selbstorganisierendes, vernetztes und nicht-lineares Sys-

tem verstanden, das auf Erfahrungen beruht, Informationen über Menschen auswählt, bewertet und schließlich speichert.

Der in den USA lehrende Neurowissenschaftler A. Damasio bezeichnet das menschliche Gehirn als ein „Supersystem

von Systemen“3, das keine einzelnen Zentren für Sprache oder Sozialverhalten enthält, sondern aus vielen miteinander

vernetzten Regionen besteht.

Die Hirnforschung wies in den letzten Jahren nach, dass alle menschlichen Verhaltensweisen (inklusive der rationalen

und emotionalen Funktionen) auf bestimmten neuronalen Verarbeitungsprozessen basieren4 und dass unser Sein und

Handeln somit untrennbar mit den Strukturen unseres Gehirns verbunden ist.5

Will man die Funktionsweise des Gehirns verstehen und die Erkenntnisse der Neurowissenschaften auf Bereiche wie

Coaching übertragen, bedarf es zuerst des Verständnisses der funktionellen Grundeinheit des menschlichen Gehirns,

des Neurons. Die Grundlage der Erregungsverarbeitung im menschlichen Nervensystem bildet die elektrische Ladung

der neuronumgebenden Hülle.6

Das Neuron empfängt über den Zellkörper und dessen faserförmige Fortsätze (Dendriten) elektrochemische Informati-

onen, die durch einen elektrischen Reiz über eine Faser (Axon) weitertransportiert werden.7,8 Die Spannung entlädt sich

kurzfristig und erzeugt einen Impuls, der im Axon entlangläuft.9 Dieses Axon spaltet sich in dünne Verästelungen auf,

die in einzelne Verdickungen münden, an denen eine Synapse sitzt, die mit einer naheliegenden Zelle in Kontakt tritt

und somit die Information mittels eines chemischen Reizes überträgt. Diese Übertragung erfolgt über den synaptischen

Spalt, der zwischen dem Axon des einen und dem Zellkörper bzw. den Dendriten des nachfolgenden Neurons liegt (siehe

Abb. 1). Ein Neuron kann eine sehr hohe Anzahl synaptischer Verbindungen mit anderen Nervenzellen eingehen, das

menschliche Gehirn weist schätzungsweise eine Billiarde (1015) Synapsen auf.10

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Abb. 1: Reizübertragung zwischen den Neuronen

Quelle: Erstellt und modifiziert nach Kent11

Das ankommende elektrische Signal wird in ein chemisches umgewandelt. Die Neurotransmitter werden in den Ner-

venzellen produziert und wandern (verstaut in kleinen Vesikel, genannten Bläschen) über das Axon der präsynaptischen

Nervenzelle in den synaptischen Spalt. Ihr gegenüber liegt die postsynaptische „Empfängerzelle“, welche mit Rezeptoren

bestückt ist, an der die freigesetzten Neurotransmitter binden können. Im synaptischen Spalt können sich die verschie-

denen Stoffe mehr oder weniger frei bewegen.

Durch die Wechselwirkung von Neurotransmitter und Rezeptor am postsynaptischen Neuron wird das elektrische Signal

weitergeleitet. Danach wird der Neurotransmitter entweder über Enzyme abgebaut oder vom präsynaptischen Neuron

wiederaufgenommen und recycelt. Durch die Wirkung von abbauenden Enzymen verschwinden die Transmitter an der

Synapse schnell wieder, bei einigen Transmittern erfolgt gar kein Abbau: Sie werden wieder vom Axon aufgenommen.

Störungen der Neurotransmitter-Freisetzung sind die Ursache vieler psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen.

Beispielsweise kann es zu einer Depression führen, wenn nicht genügend Serotonin gebildet oder ausgeschüttet wird.

Synapsen unterstützen die netzwerkartige Synchronisation der Gehirntätigkeit in größeren Systemen und bieten so die

wesentliche Voraussetzung für Lernen.12

Zusammenfassend lässt sich also festellen, dass Synapsen durch Erfahrungen gebildet und verändert werden.13

Präsynaptisches Neuron

Postsynaptisches NeuronZellkernDendrit

Axon

Elektrische Reizleitungentlang des Axons

Zellkörper

Präsynaptisches Neuron

Synaptischer Spalt

Postsynaptisches Neuron

Abbauende Enzyme Vesikel

Rückaufnahme

Postsynaptischer Rezeptor

Abbauende EnzymeNeurotransmitter

Recycling

Chemische Reizübertragungim synaptischen Spalt

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Die Leistungen des menschlichen Gehirns basieren auf der Organisation von Struktur und Funktion der Neuronen sowie

auf deren elektrischer und chemischer Interaktion, Vernetzung und gegenseitiger Einflussnahme.14 Letztlich entscheiden

Art und Intensität der Nutzung des Gehirns darüber, wie viele Milliarden von Verschaltungen zwischen Nervenzellen im

Gehirn entstehen, welche Verhaltensmuster sich dort stabilisieren und wie hoch die Komplexität der Verschaltungen

untereinander ist.15

1.1 Erfahrung, Lernen und Gedächtnis

„Erfahrung ist die Ursache, die Welt ist die Folge.“

Heinz v. Foerster16

Unter dem Begriff Lernen versteht man den Erwerb von Informationen oder von motorischen Fähigkeiten, während sich

der Begriff Gedächtnis auf deren Anwendung oder Abrufung bezieht.17

Im Lexikon wird Erfahrung einerseits als ein Erlebnis im Sinne eines wahrgenommenen Ereignisses und andererseits

als die Summe aus Wahrnehmungen, Sinneseindrücken und kognitiven Prozessen beschrieben. Erfahrung bleibt in

unserem Gedächtnis, sie ist jederzeit abrufbar und schließlich anwendbar.18 Erfahrungen werden durch wiederholte Akti-

vierung der Synapsen im menschlichen Gehirn gespeichert.19

Eine Synapse ist jene Stelle, an der zwei Nervenzellen durch chemische Botenstoffe (Neurotransmitter) miteinander

in Verbindung treten und Signale austauschen können.20 Dies stellt die Basis von Lernen und Gedächtnis dar. Je öfter

die Synapse und in weiterer Folge Gruppen von Synapsen erregt werden, desto stärker wird die Verbindung und umso

schneller die Informationsübertragung.21

Neurowissenschaftlich passiert der Akt des Lernens, indem die Information eines sinnlich wahrnehmbaren Reizes vom

Gehirn erfasst wird. Dieser Reiz kann visueller, auditiver, haptischer, olfaktorischer oder gustatorischer Art sein. Er trifft

auf eine Sinneszelle, die ihn sofort in Form eines elektrischen Erregungsimpulses an eine Nervenzelle und deren Fasern

weiterleitet. Der elektrische Erregungsimpuls bewegt sich nun zwischen den Nervenfaserenden auf bestimmten Bahnen

und hinterlässt dabei molekulare Spuren, die sich auch chemisch im Gehirn einprägen. Die zunächst noch nicht fest

zusammengeschalteten Nervenbahnen festigen sich.

Werden diese synpatischen Verbindungen zwischen den Nervenzellen durch wiederholte Benutzung immer mehr ver-

stärkt, spricht man von „Bahnung“ (englisch: priming).22

Dies hat zur Folge, dass der Inhalt ins Langzeitgedächtnis gelangt23 und so gelernt wird.

Hirnforscher veranschaulichen den Begriff der Bahnung mittels eines Weges, der, je öfter er benutzt wird, an Breite ge-

winnt und sich nach einigen Jahren in eine breite, gut begehbare Straße verwandelt hat, während Wege, die selten oder

gar unbenutzt bleiben, im Laufe der Zeit verwildern und zuwachsen.24;25 In einer anderen Quelle wird der Vergleich mit

einem Muskel gewählt, der durch häufige Aktivierung kräftiger wird. Dies erklärt auch, warum in unserem Nervensystem

bei neuen Reizen vor allem solche Verbindungen reagieren, bei denen bereits kräftige Verknüpfungen zwischen den

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beteiligten Neuronen bestehen. Auch hier passt der Vergleich mit den Muskeln: Wer nur kräftige Beinmuskeln hat, wird

zum Heben schwerer Gegenstände vor allem diese einsetzen. Der daraus resultierende Nachteil ist, dass die Beine immer

kräftiger werden und andere Muskeln – mangels Benutzung – möglicherweise verkümmern.26

Die eben beschriebenen Bilder verdeutlichen auch, dass es Menschen so gut wie immer möglich ist, neue Wege im

Gehirn zu „bahnen“, gleichzeitig bleiben die alten Bahnen lange erhalten, verkümmern aber zunehmend. Je mehr sie

emotional gespeichert sind, umso schwieriger ist es, sie durch neue Erfahrungen zu löschen oder zu „überschreiben“.

So erklärt sich, warum es anfänglich immer wieder zu Rückfällen in die alten Bahnen (Gewohnheiten) kommt. Der neu

gebahnte Weg ist vorhanden und soll nach einigem „Üben“ anstelle des alten benutzt werden.27

Wie bereits erwähnt, ist menschliches Wissen nicht in einzelnen Neuronen sondern in neuronalen Netzen gespeichert,

Lernen ist daher die oftmalige gemeinsame Benutzung von Neuronengruppen. Diese sind multicodiert, was bedeutet,

dass sensorische, kognitive, emotionale und physische Informationen ebenfalls mitabgespeichert werden.28;29

1.2 Neuroplastizität

„Neurons that fire together, wire together.“

D. Hebb

Neuroplastizität bezeichnet die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, seine Struktur und Organisation an veränderte

Umwelterfordernisse zu adaptieren, kleinere Defizite auszugleichen und vorhandene Funktionen entsprechend zu verän-

dern.30;31 Dies geschieht im Rahmen von Lernprozessen oder auch nach Läsionen32 (z.B. Schlaganfall, Tumor).

In Zeiten von ständigem Wandel und Vernetzung kann der Mensch daher besser überleben, weil sich sein Gehirn und

letztlich auch sein Körper an neue Anforderungen anpassen können.

Die synaptische Plastizität (von D. Hebb beschrieben) erklärt das Zustandekommen von Lernen in neuronalen Netzwer-

ken. Das obige Zitat besagt, dass je häufiger ein Neuron mit einem anderen Neuron aktiv ist, die beiden umso bevor-

zugter aufeinander reagieren.33

Das Gehirn als hochdynamisches, nicht-lineares System kann aufgrund der Fähigkeit des Lernens und der Neuroplasti-

zität neue Eigenschaften hervorbringen. Wahrnehmung oder motorische Programme sind hoch komplexe raum-zeitliche

Aktivitätsmuster in diesen neuronalen Netzwerken.34 Trotz der hohen Komplexität kann sich unser Gehirn ständig struk-

turell und funktionell reorganisieren.35

1.3 Das limbische System

Im Laufe der evolutionären Entwicklung des Menschen verringerten sich biologisch fix verankerte Verhaltensweisen,

dies führte zu einer größeren Vielfalt des emotionalen Erlebens sowie zu einer Verbesserung der Lernfähigkeit und der

Gedächtnisfunktionen.36

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Abb. 2: Die Lage des limbischen Systems im menschlichen Gehirn

Quelle: Multhaup37

Um durch Lernen bzw. Bahnung entstandene kodierte Informationen für das menschliche Verhalten nutzbar zu machen,

wird ein Bewertungssystem benötigt. Erfahrungen werden im menschlichen Gehirn danach gespeichert, ob sie das psy-

chobiologische Wohlbefinden erhöhen oder senken.

Eine der Kernaufgaben des gesamten Nervensystems besteht darin, diese Umweltveränderungen zu identifizieren und

entsprechende Signale weiterzuleiten.38

Unterschiede zwischen äußerer Welt und innerer Wahrnehmung, die eine Störung der inneren menschlichen Ordnung

bewirken, sollen ausgeglichen oder verhindert werden. Eine Nervenzelle leitet einen Impuls immer dann weiter, wenn

sie durch die ankommenden Impulse anderer Nervenzellen stark genug aktiviert wird. Das Gehirn reagiert, wenn die

wahrgenommene Veränderung so groß ist, dass auch tieferliegende Nervennetzwerke (im limbischen System, s.u.) erregt

werden. Diesen Impuls empfindet der Mensch als Störung seines emotionalen Gleichgewichts.39

Der Bewertungsvorgang der Wahrnehmungen erfolgt im limbischen System, das den Hirnstamm wie ein Saum (lat. lim-

bus) umgibt und somit die Grenze zur Hirnrinde bildet. Besonders die Regionen Hippocampus, Amygdala und anteriores

Cingulum nehmen hierbei im limbischen System zentrale Funktionen ein.40

Abb. 3: Der Aufbau des limbischen Systems

Quelle: Erstellt in Anlehnung an Thompson41

Großhirn

Hirnstamm

LimbischesSystem

Kleinhirn

Anteriores Cingulum

Amygdala

Septum

Hypothalamus

Hippocampus

PräfrontalerCortex

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Amygdala (Mandelkern)

Die Amygdala ist für das kontextabhängige schnelle Erkennen, Bewerten und Speichern von emotional wichtigen Reizen

(positiver oder negativer Art) verantwortlich und auch für die entsprechende Reaktion (z.B. Furcht oder Aggression)42 auf

diese Reize.

Hippocampus

Die aufgrund ihrer Form als Hippocampus (Seepferdchen) bezeichnete Hirnregion steuert gemeinsam mit anderen Teilen

des Gedächtnisnetzwerks den Erwerb, das Koordinieren und Speichern neuer Gedächtnisinhalte, ist für Bewegungspla-

nung und Orientierung im Raum verantwortlich und beeinflusst somit in weiterer Folge die Steuerung des menschlichen

Verhaltens.43;44

Der Hippocampus vergleicht jeden Reiz mit bereits gespeicherten Erfahrungen, sollte eine mit einer Gefahr verbundene

Erinnerung auftauchen, sendet die Amgydala, welche stark mit dem Hippocampus vernetzt ist, einen Angstreiz aus.45

Anteriores Cingulum

Das anteriore Cingulum ist für Aufmerksamkeitsfokussierung, Strategiebildung und Handlungsauswahl zuständig46, ins-

besondere letztere ist in Coachingprozessen essentiell.

Die drei genannten Hirnstrukturen weisen eine intensive neuronale Vernetzung miteinander auf und werden durch über-

geordnete Hirnbereiche wie z.B. dem präfrontalen Cortex (siehe unten) moduliert.

Im limbischen System sind Emotion, Kognition und Verhalten vereint47, es fungiert als Bewertungszentrum für Sinneser-

fahrungen und beeinflusst das menschliche Verhalten maßgeblich.

Zusammengefasst hat das limbische System zum Teil wesentlichen Einfluss auf:48

- gemütsbedingte Antriebe wie Angst, Wut, Ärger, Trauer, Erregung

- die Innervation innerer Organe und die hormonale Steuerung, in weiterer Folge beeinflusst das

limbische System vegetative Funktionen (Herzschlag, Atmung etc.)

- Gedächtnissteuerung, Motivation und Lernen

Strukturelle oder funktionelle Beeinträchtigungen des limbischen Systems führen häufig zu neurologischen oder psychi-

schen Erkrankungen (Neurosen, Suchterkrankungen, Schizophrenie, Depression etc.) sowie auch zu Gedächtnisstörun-

gen oder Halluzinationen.49

1.4 Somatische Marker

In der Hirnforschung werden die im präfrontalen Cortex (siehe Abb. 3) angesiedelten somatischen Marker als emotiona-

les Erfahrungsgedächtnis des Gehirns beschrieben.50

Bereits im Beitrag von Natalie Ségur-Cabanac in diesem Buch wurde auf die somatischen Marker und ihre praktische

Bedeutung im Coachingprozess eingegangen, hier sollen sie nun auch neurowissenschaftlich beleuchtet werden.

90

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Der präfrontale Cortex kann Signale aus allen sensorischen Regionen des menschlichen Körpers empfangen und macht

so nahezu jede Aktivität im menschlichen Körper oder Geist überprüfbar. Überdies bekommt der präfrontale Cortex auch

Signale aus der Amygdala und den Neuronen, die Botenstoffe wie Serotonin, Dopamin oder Noradrenalin ausschütten.

Durch die Zusammenführung aller Signale werden dem präfrontalen Cortex die wesentlichen Inhalte des biologischen

Wertesystems des Menschen übermittelt und in weiterer Folge die Basis für Denken und Entscheidungen geliefert.51 Der

präfrontale Cortex unterhält auch Verbindungen zu jeder im Gehirn vorhandenen Route für chemische oder motorische

Reaktionen.52

Bereits vor der Geburt wurden Erfahrungen auf unbewussten Ebenen in Form von Gefühlen und Körperempfindun-

gen in den somatischen Markern gespeichert. Jede Erfahrung, die sich in diesem Gedächtnisspeicher befindet, ist an

das menschliche Bewertungssystem gekoppelt.53 Damasio bezeichnet dieses bewertende Signalsystem des emotiona-

len Erfahrungsgedächtnisses als somatische Marker54 und betont damit den körperlichen Aspekt, den neuronale Netze

zusätzlich zu Informationen sensorischer, emotionaler und kognitiver Natur beinhalten.55 Somatische Marker richten

die Aufmerksamkeit auf die Konsequenzen einer Handlungsalternative und wirken daher als körpereigenes Warn- oder

Startsignal bei zu treffenden Entscheidungen. Damit werden Entscheidungsprozesse vermutlich präziser und nutzenma-

ximierender gestaltet.56

Neurowissenschaftlich betrachtet sind somatische Marker vom limbischen System abhängig, das bestimmte Ereignisse

mit der Aktivierung eines positiven oder negativen Körperzustands in Verbindung bringt.57

1.5 Neurotransmitter

Botenstoffe (sogenannte Neurotransmitter) dienen in den Synapsen als chemisches Kommunikationsmedium zwischen

zwei Nervenzellen.

Sie spielen bei der Regulierung des Aktivitätslevels der Gehirnregionen und damit des Verhaltens eine besondere Rolle.

Jeder Mensch weist einen spezifischen Spiegel dieser Neurotransmitter auf, der als Indikator und Maßstab für bestimmte

Reaktionen auf Umweltreize dient.58

Im synaptischen Spalt sind Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin oder Noradrenalin für die Weiterleitung des im

präsynaptischen Neuron ankommenden elektrischen Impulses an das postsynaptische Neuron zuständig. Nach der

Reizübertragung erfolgt entweder der Abbau des Neurotransmitters durch spezifische Enzyme oder ein „Recycling“ mit

Rückaufnahme des Neurotransmitters in das präsynaptische Neuron.59 (siehe auch Abb. 1).

Dopamin

Forschungen zeigten, dass Dopamin die synaptische Plastizität während des Lernens im Hippocampus initiiert. Ein

„Neuigkeitssignal“ im Gehirn wird in eine Region gesendet, wo sich dopaminhaltige Neuronen befinden. Dadurch wer-

den Neuronen aktiviert und setzen unter anderem auch im Hippocampus Dopamin frei. Dies verbessert die synaptische

Plastizität und verstärkt das Lernen.60

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Die Langzeitverstärkung des Lernens wird durch Dopamin, aber auch durch den Neurotransmitter Serotonin gesteuert.

Einer Studie von Waelti61 zufolge passiert Lernen dann, wenn dopaminerge Neuronen in Bezug auf ein erwartetes Er-

eignis einen Vorhersageirrtum feststellen; erst wenn eine Abweichung des Erwarteten (bzw. eine Überraschung) eintritt,

werden die Neuronen aktiviert und Lernen wird ermöglicht.62

Forschungen zu Wechselwirkungen zwischen Gedächtnis und Affekt zeigten, dass jene Informationen eher erinnert wer-

den können, die interessieren, überraschen, erstaunen oder Angst hervorrufen.63

Serotonin

Serotonin beeinflusst die Steuerung verschiedener neurophysiologischer Prozesse wie Bewegung, Gedächtnis, Schlaf,

Nahrungsaufnahme, Stimmung, Schmerzempfindung, Regulation der Hormonausschüttung. Ist ausreichend Serotonin

im menschlichen Körper vorhanden, fühlt man sich ruhig und ausgeglichen, ein extremer Mangel führt oft zu Aggression

oder emotionaler Überempfindlichkeit. Ein dauerhafter Serotoninmangel begünstigt das Auftreten psychischer Erkran-

kungen wie Angst-, Belastungs-, Ess- oder Schlafstörungen oder auch Depressionen.64

2. Coaching vor einem neurowissenschaftlichen Hintergrund

Die Neurowissenschaften bieten Erklärungsmechanismen an, wie und warum Coaching funktioniert. Ein neurowissen-

schaftlich basierter Ansatz bietet auch für den Coach die Möglichkeit, seine intuitiv oft sinnvollen Handlungen auf einer

neurowissenschaftlichen Ebene zu reflektieren und noch stärker auf die Lösung zu fokussieren65, um den Coachee beim

Lernen bzw. der Bahnung neuer „Wege“ nachhaltig zu unterstützen.

Neue empirische Ansätze der Gehirnforschung sowie der Einsatz bildgebender Verfahren für die Sichtbarmachung von

Gehirnaktivitäten unterstützen bei der Erweiterung bzw. Veränderung herkömmlicher menschlicher Denkmuster.

2.1 Sichtbarmachung neuronaler Vorgänge mittels bildgebender Verfahren

„Eng ist die Welt und das Gehirn ist weit.“

Schiller

Mit bildgebenden Verfahren können allgemeine Prozesse, neuronale Netzwerke, Synapsen oder auch Neurotransmitter

im lebenden menschlichen Gehirn abgebildet werden.

Die Positronenemissionstomografie (PET) oder die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) zeigen in sehr hoher

Auflösung wie viel Energie in welcher Hirnregion benötigt wird.66

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PET

Mit PET können die Interaktionen der Neurotransmittersysteme abgebildet werden, wobei hierfür eine Injektion eines

radioaktiven Tracers in die menschliche Blutbahn benötigt wird.67

Die PET ermöglicht das Sichtbarmachen energieverbrauchender Prozesse und somit der neuronalen Aktivität und bildet

in der jeweiligen Hirnregion geleistete Arbeit ab. Weiters kann mittels PET die Verteilung molekularer Strukturen, die

an der synpatischen Übertragung mitwirken (z. B. neurotransmitterspezifische Rezeptoren und Transporter), abgebildet

werden.68

PET-Studien zeigten, dass Menschen bewusst die Menge und Qualität der Aufmerksamkeit auf vom Gehirn generierte

Gefühle wie Angst oder Stress beeinflussen können und dadurch auch die Funktionsweise ihres Gehirns verändern kön-

nen.69 Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse lässt sich für Coachingprozesse feststellen, dass der Coachee durch das

Fokussieren seiner Aufmerksamkeit auf sein Ziel nicht erwünschte Gefühle in Bezug auf sein Problem verändern kann.

fMRI

Mittels funktioneller Magnetresonanztomografie kann der Aktivitätszustand bestimmter Hirnregionen anhand des ver-

änderten Bluttransports in diesen Regionen dargestellt werden. Einerseits kann damit die Reaktion auf äußere Reize,

andererseits auch die Wirkung mentaler Vorstellungen untersucht werden. Im Rahmen von fMRI Untersuchungen werden

dabei die Aktivitätsveränderungen in den untersuchten Hirnregionen aufgezeigt, während die Probanden Aufgaben lösen.

Die Ergebnisse einer fMRI Untersuchung hängen daher sehr stark mit der Motivation und der Leistung der untersuchten

Person zusammen.70

Mit Hilfe des fMRI lässt sich beobachten, dass im Gehirn eines Menschen, der gerade intensiv über seine Problemlösung

(z.B. im Coaching) nachdenkt, gleichzeitig viele und weit voneinander entfernte neuronale Netzwerke im Gehirn aktiviert

werden. Bisher voneinander getrennt abgelegte Wissens- und Gedächtnisinhalte werden also vernetzt und gleichzeitig

aufgerufen (Näheres dazu auch im Four-Faces-of-Insight Modell, das im nächsten Punkt vorgestellt wird).

Die bildgebenden Verfahren ermöglichen einerseits einen Einblick in regional unterschiedlich ausgeprägte Gehirnaktivi-

täten und andererseits die Identifizierung von Einflüssen wie Medikamenteneinnahme, aber auch von psychotherapeuti-

schen Interventionen71 und Coachingsituationen.

2.2 Four-Faces-of-Insight Modell im Coaching

Der amerikanische Coach und Autor D. Rock hat sich gemeinsam mit dem Neurowissenschaftler J. Schwartz mit den

Auswirkungen von Coaching auf das menschliche Gehirn beschäftigt.

Veränderung während einer Coachingsitzung passiert, indem man innehält und eine bestimmte Handlungsweise fokus-

siert, dann die Betrachtungsweise in Gedanken reflektiert, um sie in einem neuen Licht zu betrachten und so neue Ver-

netzungen zu generieren. Schließlich sollen diese neu erschaffenen Verbindungen im Gehirn des Coachees gespeichert

werden und abrufbar sein.72

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Rock hat im Laufe seiner Arbeit als Coach das „Four-Faces-of-Insight Modell“ entwickelt, das zeigt, wie ein lösungsori-

entierter Coachingansatz zu einer „Einsicht“ (insight) beim Coachee führt und wie dies auch für den Coach an der Mimik

und Gestik des Coachees erkennbar ist.73

Die folgende Beschreibung basiert auf dem Artikel von David Rock74:

Abb. 4: Das Four-Faces-of-Insight-Modell

Quelle: Rock75

Ad 1) Awareness of Dilemma

Die Emotionen im Gesicht des Coachees zeigen Traurigkeit, Ratlosigkeit oder Verwirrung. Der Coachee macht sich sein

Problem bewusst und fühlt, dass es gelöst werden muss. Der Coachee befindet sich oft in einer Art Dilemma, wenn es

sich zum Beispiel um organisationsbezogene Themen zwischen Mitarbeitern und Führungskräften oder Mitarbeitern

untereinander handelt. Das Dilemma bezieht sich auf konkurrierende Werte oder Ressourcen und zeigt sich im Gehirn

durch verschiedene neuronale Vernetzungen, die miteinander in Konflikt stehen. Das Gehirn hat den Konflikt noch nicht

gelöst, weder durch Bildung neuer Vernetzungen noch durch die Veränderung der alten Verbindungen, und wartet ab.

Ein oft genanntes Beispiel für ein Dilemma ist, dass der Coachee gerne erfolgreich sein möchte, dafür aber länger arbei-

ten und somit seine Freizeit oder die Zeit mit seiner Familie opfern muss.

Ad 2) Reflection

In der Phase der Reflexion verändert sich das Gesicht des Coachees, oft blickt er nach unten oder oben, der Blick wirkt

etwas verschwommen. Der Coachee spricht nicht. Studien zeigten, dass während dieser Phase keine logischen oder ana-

lytischen Gedanken gefasst werden. Durch neuartige Fragen des Coaches wird der Coachee dazu motiviert, auf neuartige

Art und Weise über seine Situation nachzudenken.

Ad 3) Illumination

In der Phase der Illumination kommt es zu einem „Energierausch“, im Moment der Einsicht (insight) werden Neuro-

transmitter wie Adrenalin und teilweise auch Serotonin und Dopamin ausgestoßen. Während dieser Phase erschafft der

Coachee in seinem Gehirn eine Art Metanetz, das viele verschiedene Teile des Gehirns miteinander verbindet und ihm

eine mögliche Lösung zeigt.

1. Awareness of Dilemma

2. Refelction 3. Illumination 4. Motivation

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Ad 4) Motivation

Kurz nach einer Einsicht, einem Erkennen der Zusammenhänge, blicken die Augen geradeaus und der Coachee ist be-

reit, seinen Gedanken Taten folgen zu lassen. Jedoch ist dieser Moment sehr kurz und genau hier sollte der Coach den

Coachee dazu bringen, Handlungen zu setzen oder falls dies nicht möglich ist, sollte sich der Coachee wirklich darauf

festzulegen, diese später zu realisieren. Denn so können die eben gewonnenen Ideen auch Wirklichkeit werden.

Nur wenn der Coachee selbst die Idee für die Lösung seines Problems findet, kann er in seinem Gehirn neue Verbindun-

gen generieren und somit die entsprechenden Handlungen setzen.

„The power is in the focus“, meint J. Schwartz und betont damit, dass das, worauf wir uns konzentrieren, unser Gehirn

verändert und auch Einfluß auf unsere Interaktion mit der Welt hat76 und ein Coachee daher nur zu einer für ihn akzep-

tablen Lösung kommen kann, wenn er über sein Problem reflektiert und daraus die Kraft für eine Veränderung beziehen

kann.

Für viele Coachees ist es in diesem Zusammenhang hilfreich, ihre Einsichten und Gedanken aufzuschreiben und mit

anderen Menschen darüber zu sprechen.77

2.3 Implikationen der Neurowissenschaften für Coaching

Wie bereits eingangs erwähnt, ist es in Zeiten des ständigen Wandels auch für den Menschen unerlässlich, sich zu ver-

ändern, um sich an neue Umweltbedingungen anzupassen.

Neurowissenschaftliche Studien der letzten Jahre ergaben, dass nachhaltige Veränderungen schwieriger herbeizuführen

sind als erwartet, denn das Thema benötigt außer dem bloßen Gedanken daran auch eine dauerhafte Zuwendung und

den nötigen Willen78 zur Veränderung.

Das menschliche Nervensystem ist darauf ausgerichtet, Veränderungen in der Umwelt wahrzunehmen, zu bewerten und

uns positive oder negative Signale weiterzuleiten, die unsere Handlungen leiten. Der Versuch, eine übliche Routine zu

verändern, führt zu einem Signal, dass etwas nicht stimmt, wir sind verwirrt und rationale Veränderungsgedanken kön-

nen schnell durch unser Gehirn zunichte gemacht werden. Alltägliche Routinen wie beispielsweise Auto fahren werden

nach einiger Zeit automatisiert, um im Gehirn Ressourcen einzusparen. In Ländern, wo auf der anderen Seite gefahren

wird, müssen wir als Autofahrer nun plötzlich umdenken und benötigen wieder mehr Ressourcen, um das Auto tatsäch-

lich auf die richtige Straßenseite steuern zu können. Auch hier zeigt sich: Wir versuchen tendenziell, Veränderungen zu

vermeiden, da diese unserem Gehirn sehr viel mehr an Energie abverlangen als Routineaufgaben.79

Die Bahnung bildet das Grundprinzip jeder Veränderung durch Lernen im menschlichen Leben, somit auch im Coaching.

Um einen Coachee zum Lernen zu motivieren, muss ein neuronales Erregungsmuster aktiviert und somit gebahnt wer-

den. Dies benötigt anfangs ständige Wiederholung und eine lange Aufrechterhaltung.

Im Coaching werden Qualitäten wie bewusste Reflexion der eigenen Handlungen, systemische Betrachtung der eigenen

Person im Gesamtsystem, Ausdrucksfähigkeit und Perspektivenwechsel, bewusst angeregt und bilden somit die für eine

Veränderung notwendigen Ressourcen.

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2.4 Problem talk creates problems, solution talk creates solutions80?

Das Zitat von Steve de Shazer zeigt die Orientierung vom Problemfokus hin zum Lösungsfokus im systemischen Coa-

ching. Der Coachee ist also angehalten, sich nicht mehr mit seinem Problem, sondern mit dessen Lösung zu beschäfti-

gen, da es de Shazer zufolge keinen Zusammenhang zwischen Problem und Lösung gibt.81 Doch kann die Sinnhaftigkeit

dieser Haltung auch von den Neuro-wissenschaften bestätigt werden?

„Where you focus your attention, you make connections.“

Jeffrey Schwartz82

Die Aussage des Neurowissenschaftlers J. Schwartz verdeutlicht, dass wenn sich der Coachee auf etwas Neues (wie bei-

spielsweise die Lösung seines Problems oder eine neue vom Coach initiierte Betrachtungsweise) konzentriert, er auch

neue synaptische Verbindungen im Gehirn ausbilden kann.

PET und fMRI zeigten Veränderungen der neuronalen Strukturen und Aktivitätsmuster im Gehirn der Coachees. Es erwies

sich aus neurowissenschaftlicher Sicht als sinnvoll, das Problem dort zu belassen, wo es war, und sich auf die Bahnung

neuer Verbindungen zu konzentrieren.83

2.5 Ausblick und Implikationen der Neurowissenschaften für das Coaching

Die Neurowissenschaften zeigen, dass Menschen unterschiedlich wahrnehmen, lernen und sich verändern, daher bedarf

es seitens des Coaches einer Auseinandersetzung mit dem Aufbau des menschlichen Gehirns, um den Coachee in sei-

nem Veränderungsprozess optimal und nachhaltig unterstützen zu können.

Konstruktivistisch betrachtet, kann (und soll) Wissen nicht vom Coach auf den Coachee übertragen werden, sondern in

dessen Gehirn neu enstehen und ihn dazu bringen, die für ihn beste Lösung selbst zu generieren.

Das Wissen um Bahnung und Neuroplastizität ermöglicht es dem Coach, seinen Coachee bei der Neu- oder Umprogram-

mierung von „Wegen“ im menschlichen Gehirn zu unterstützen. Erkenntnisse wie die „Four Faces of Insight“, somatische

Marker oder bildgebende Verfahren bieten dem Coach eine Unterstützung in der Deutung von Körpersignalen und der

Gehirnaktivität des Coachees.

Das Ende dieses Beitrags soll auch einen Rekurs auf den Beginn liefern, der von Kafkas Zitat: „Wege entstehen dadurch,

dass man sie geht“, ausging. Angewandt auf die in diesem Beitrag gezeigten Synergien zwischen Coaching und Neu-

rowissenschaften könnte dieser folgendermaßen lauten: „Lösungen im Coaching entstehen dadurch, dass man sie im

Gehirn bahnt.“

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Das Innere Team als Modell zum Verständnis von Aufbau und Dynamik der Persönlichkeit in der CoachingpraxisMag. Barbara Weber-Kainz

Inhaltsverzeichnis

1. Faust: „zwei Seelen ach!...“ Grundlagen des Inneren Teams

1.1 Ursprünge

1.2 Grundsätzlicher Aufbau des Systems des Inneren Teams

2. Dynamik der Persönlichkeit, ausgelöst durch das Modell des Inneren Teams

2.1 Warum werden Stammspieler zu solchen? Eine Geschichte des Erfolgs

2.2 Die Verbannung oder das unsägliche Schicksal der Antipoden

2.2.1 Verbannung die Erste, eine „unterdrückte Tugend“

2.2.2 Verbannung die Zweite, die „Unerwünschte“

2.2.3 Verbannung die Dritte, die „Gefürchtete“

2.3 Auswirkungen des Modells auf das berufliche Umfeld

3. Literaturverzeichnis

1. Faust: „….zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, …“ Grundlagen des Inneren Teams

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen; die eine hält, in derber Liebeslust,

sich an die Welt mit klammernden Organen; die andere hebt gewaltsam sich vom Dust zu den Gefilden hoher Ahnen.

(Faust I, Vers 1112 1117)

Mit diesem Zitat beschreibt Goethe die innere Zerrissenheit und Unentschiedenheit eines Menschen, der sich verschie-

denen Sehnsüchten, Gefühlen, Wünschen, Erlebnissen etc. in sich gleichzeitig ausgesetzt sieht.

Friedemann Schulz von Thun hat darin eine wunderbare Ressource entdeckt und die Theorie des Inneren Teams entwi-

ckelt, die sich in den letzten Jahren in der Arbeit als Coach immer mehr als hilfreiches Werkzeug bewiesen hat.1

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Das Bild vom Inneren Team, wie von Friedemann Schulz von Thun in seinem Band „Miteinander Reden Teil 3“ detailliert

beschrieben, wird im Coachingprozess vor allem dann wichtig, wenn es um das Zusammenspiel von unterdrückten

Teamspielern mit den „mächtigen“ und „dominierenden“ Persönlichkeitsmerkmalen oder „Stammspielern“ geht. Dieser

Beitrag soll einen Einblick in das System und die möglichen Folgen für den Coachingprozess bieten.

1.1 Ursprünge

Parts Party nach Virginia Satir2

Zuvor findet sich bereits bei Virginia Satir, die in der Literatur unter anderem als Begründerin der Familientherapie

beschrieben wird, die Arbeit mit inneren Anteilen (Parts Party nach Virginia Satir). Nach Virginia Satir haben wir alle

unterschiedliche Persönlichkeitsanteile und Facetten (z.B. die Schüchterne, der Kreative, der Ungeduldige, die Zielstrebi-

ge), von denen wir einige positiv und andere negativ bewerten. Jeder Anteil (engl.: part) hat nun seine Licht- und Schat-

tenseiten. Und so hat der Schatten auch Licht – welches wir durch die Ablehnung jedoch nicht nutzen und so wertvolle

Ressourcen verschenken. Lehnen wir einzelne Anteile ab, geht Satir davon aus, dass wir der Welt Energien vorenthalten

und – weil wir uns dafür schämen – das verstecken, was in uns ist. Genau das führt aber zum gegenteiligen Effekt, näm-

lich: Treffen wir auf eine andere Person, die genau diese von uns abgelehnte und zu verstecken versuchte Eigenschaft

lebt, reagieren wir ihr gegenüber häufig mit Ablehnung und Aggression. Ebenso häufig bekämpfen und blockieren sich

unsere Anteile.

So entsteht ein heilloses „Gefühlsdurcheinander“. Der Schlüssel, um emotionaler Freiheit und Gelassenheit Raum zu

geben, liegt für Virginia Satir darin, dass wir unsere inneren Anteile identifizieren, deren wertvolle Seite erkennen und

annehmen, um sie dann integrieren zu können. Ziel der Parts Party ist es, die eigenen Anteile und Verhaltensmuster zu

erkennen und positiv im Alltag und im Beruf zu nutzen. Sie unterstützt uns darin, uns so zu akzeptieren und anzunehmen,

wie wir sind.

Das von Virginia Satir dafür entwickelte Tool ist die Parts Party: Dabei lädt eine Person als Gastgeber verschiedene nam-

hafte Gestalten der Gegenwart und der Vergangenheit, die jeweils positive oder negative Eigenschaften dieser Person

verkörpern, zu einer Party ein. Dadurch soll das positive und negative Wunschbild des Selbst des Gastgebers dargestellt

werden. Durch das sehr kompakte Geschehen auf der Party wird der Gastgeber in seiner Gesamtheit, in seinen Proble-

men und in seinen Potentialen sichtbar. Der Umgang des Gastgebers mit seinen Persönlichkeitsanteilen wird physisch

erlebbar. Die gegenseitige Beeinflussung der Gäste, sei es in Form von Konflikten oder in Form von Zusammenarbeit,

macht deutlich, wie die Persönlichkeitsanteile im Gastgeber zueinander stehen, doch auch, wie sie sich weiterentwickeln

und zu einem Ganzen werden können.

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Das Ziel der Parts Party ist es, besser mit unseren vielen verschiedenen Teilen und Verhaltenstendenzen umzugehen und

sie in Ressourcen für Ganzheit und Kongruenz umzuwandeln. Durch die Parts Party werden unsere inneren Ressourcen

identifiziert, transformiert und integriert.

NLP Teilemodell3

Auch das NLP Teilemodell geht davon aus, dass in uns, neben unserem Bewusstsein, weitere unbewusste Teilpersönlich-

keiten existieren und agieren. Jeder dieser Teile verfolgt seine eigenen Ziele. Einzelne Teile wissen oft nichts voneinander,

interessieren sich auch nicht füreinander und können im Konflikt zueinander stehen. Sie agieren i.d.R. unabgestimmt

auf der unbewussten Ebene. Ihre wesentliche Gemeinsamkeit ist, dass sie zu derselben Person gehören. Ein Mensch ist

umso glücklicher, je mehr es ihm gelingt, dafür zu sorgen, dass seine Teile in Harmonie miteinander sind. Menschen

fühlen sich „zerrissen“ oder „fremdbestimmt“, wenn sie mächtige nicht integrierte Teile haben.

Im Rahmen der Teilearbeit wird die positive Absicht des Teils, der die unerwünschte Verhaltensweise/Reaktion/Emotion

hervorbringt, herausgearbeitet und gewürdigt (Aussöhnung). Das Modell beruht auf der Annahme, dass es unbewusste

Teile in uns gibt, die zwar unangenehmes Verhalten auslösen, dass diese Auslösung jedoch ihre Berechtigung und ihren

Sinn hat, also grundsätzlich angemessen und positiv intendiert ist. Das Verhalten verfolgt eine bestimmte, zunächst nicht

bewusste Funktion, die jedoch auch von einem anderen, nicht als störend empfundenen. Verhalten erfüllt werden könnte,

es wird die Funktion des Verhaltens vom gezeigten Verhalten getrennt. Daraufhin werden neue Wege zur verhaltensge-

mäßen Umsetzung dieser positiven Absicht des Verhaltens gefunden.

1.2 Grundsätzlicher Aufbau des Systems des Inneren Teams;

Innere Teamführung und Teamkonflikte

Wie kann man sich das Innere Team vorstellen? Schulz von Thun beschreibt es in seinem Buch als „das lebendige Wech-

selspiel verschiedener Teilkräfte, das Miteinander und Gegeneinander von Mitspielern auf einer Bühne, deren Vorhang

für ein Publikum mehr oder weniger auf- und zugezogen werden kann. Der Akzent liegt aber nicht nur darauf, dass die

inneren Mitglieder Wortmelder und Teilnehmer innerer Teamkonferenzen sind, sondern auch im „Außendienst“ zu sicht-

baren Akteuren im zwischenmenschlichen Kontakt werden.“4

Um die Situation des Inneren Teams besser zu beschreiben, liegt der Vergleich mit einem Theaterensemble auf der Hand,

da gibt es Hauptdarsteller, Nebenrollen, Souffleure etc. Das Modell des Inneren Teams wird in der Literatur und der

Praxis auch häufig als „innere Anteile“ bezeichnet, für die Coachingpraxis geht es aber in erster Linie um das Verständ-

nis für das Grundprinzip der Persönlichkeit des Menschen. So stellt sich diese als vorläufiges Ergebnis einer inneren

Gruppendynamik im Wechselspiel mit Feedbacks von außen dar, dieses Kräftespiel lässt manche Ensemblemitglieder

nach vorn, hält andere zurück und schiebt sie ab, lässt die einen Außendienst und die anderen Innendienst verrichten.5

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Nicht alle Mitspieler sind immer zu sehen und/oder für den Coachee bewusst wahrnehmbar, oft handelt es sich auch

um gut versteckte, verletzliche und schutzbedürftige Anteile, die alte Wunden in sich tragen und Angst haben, sich zu

zeigen. Das Innere Team wird von einem Regisseur zusammengehalten und aufgestellt und er steht mit dieser Aufgabe

im klassischen Dilemma, dafür zu sorgen, dass der Erfolg nach außen gesichert und gleichzeitig die inneren Konflikte so

gering wie möglich gehalten werden.6

2. Dynamik der Persönlichkeit, ausgelöst durch das Modell des Inneren Teams

2.1 Warum werden Stammspieler und Hauptdarsteller zu solchen?

Eine Geschichte des Erfolgs …

Man kann unterscheiden zwischen den Stammspielern und den Hauptdarstellern, die Hauptdarsteller werden der jewei-

ligen Situation und Erfordernissen angepasst, immer ausgerichtet auf den unmittelbaren Erfolg zum Einsatz kommen,

wohingegen der Stammspieler durchgängig, sozusagen lebenslang zum Einsatz kommt.

Warum werden nun Stammspieler und/oder Hauptdarsteller zu solchen? Es kommen zwei Lerntypen in Frage: „das Ler-

nen am Modell, am Vorbild“ (Mutter, Vater, wichtige Personen) und „das Lernen am Erfolg“, der Außenerfolg liegt in der

erwünschten Reaktion der Umwelt, der Binnenerfolg in der erwünschten Abwehr unliebsamer innerer Anteile.7

Erfolg im Außendienst. Jedes Umfeld und jedes System (zum Beispiel eine Familie, ein Unternehmen, ein Team) hat seine

eigenen Rollenbedürfnisse, Rollenzuweisungen und Rollenverteilungen. Wenn nun ein bestimmter Persönlichkeitsanteil

aus dem Inneren Team zufällig genau in einem System fehlt, dann kann dies für das Individuum zur Erfolgsgeschichte

werden. Siehe dazu auch das Beispiel von Elisabeth V.:

- Elisabeth ist Filialleiterin eines Museumsshops, sie ist für den Einkauf, die Präsentation der Ware, für das Personal

und die Warenwirtschaft verantwortlich. Elisabeth hat im Museum als Telefonistin begonnen und sich Schritt für

Schritt zur Shopleiterin mit eigener Budgetverantwortung und Personalhoheit hochgearbeitet. Ins Coaching kommt

sie, weil sie das Gefühl hat, immer noch „Mädchen für alles“ zu sein und in den Augen der anderen aus der Rolle der

„ehemaligen Telefonistin“ nicht raus zu kommen.

Die Coach fordert Elisabeth auf, in die Aufstellung auch noch die außenstehenden Positionen wie „die Direktion“ und

„ihre Mitarbeiterinnen“ hinzuzufügen. Schnell wird klar, dass ihre Rolle der Vorgesetzten die „schwächste“ Rolle am

Feld ist, sie wird ganz weit außen platziert, ist der kleinste und unauffälligste Baustein. Diese Position sollte gestärkt

werden, durch Nachfragen von Seiten der Coach, „was könnte helfen, um diese Rolle zu unterstützen“, kommt Elisa-

beth zu dem Schluss, dass ein weiterer Teamplayer in das gesamte Ensemble integriert werden muss, das „ent-

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schiedene Nein“ zum geeigneten Zeitpunkt. Dieses wird helfen, klare Grenzen und deutliche Zeichen zu setzen. Weiters

kommt eine zusätzliche Kraft ins Spiel, diese wird als „Angst“ bezeichnet, Elisabeth setzt diese Position sehr zentral

und beschreibt, dass die „Angst“ momentan die dominante Rolle als Motivator und Triebkraft für ihre Tätigkeit dar-

stellt. Auf die Frage „Angst wovor?“: vor Jobverlust, vor Gesichtsverlust, vor Verlust von Achtung und Reputation etc.

Die Angst wird als solche gewürdigt und ihre Funktion als eine Art Netz, das alles zusammenhält auch nicht unmit-

telbar „bekämpft“, sondern belassen. Das „entschiedene Nein“ hingegen wird in die Aufstellung integriert und Eli-

sabeth versucht nachzuempfinden, was sich verändert, wenn das „entschiedene Nein“ eine größere Bedeutung erhält.

Elisabeth spürt, dass durch das Auftreten des „entschiedenen Neins“ auch die Angst ein wenig geschwächt und die

Position als Vorgesetzte gestärkt wird. Die Rolle als „das Mädchen für alles“ wird im Rahmen der Aufstellung immer

unbedeutender, vielmehr tritt ihre Rolle als Vorgesetzte in den Vordergrund. Elisabeth geht mit einer klaren Vorstellung

aus dem Coaching, wann und zu welchen Gelegenheiten in der nächsten Woche sie bereits das „entschiedene Nein“

zum Einsatz bringen wird. Sie will über diesen bewussten Einsatz des „entschiedenen Neins“ ein eigenes Tagebuch

führen.

- Als Elisabeth im Unternehmen zu arbeiten begonnen hat, war im Team der Platz des „Mädchen für alles“ frei gewe-

sen, Elisabeth hat diesen Platz gerne eingenommen, da konnte sie alle ihre Stärken leben und bekam im Gegenzug

dazu auch die gewünschte Anerkennung. Durch die Veränderung ihrer Position und der Hierarchieebene in der sie

operiert, ist die Rolle für sie nicht mehr adäquat. Sie versucht immer wieder, aus der Rolle auszubrechen. Nachdem

die Rolle im Unternehmen aber noch nicht neu besetzt ist, wird Elisabeth von ihren Kolleginnen, Vorgesetzten und

sogar von den eigenen Mitarbeiterinnen, immer wieder auch in dieser Funktion angesprochen und „ausgenutzt“.

- E. Stahl beschreibt in seinem Buch über „Dynamik in Gruppen“, wie in jeder Gruppe eine Anzahl von (psychologi-

schen) Rollenbildern vorgesehen ist. Kommt jemand neu in die Gruppe, so spürt er intuitiv, welche Rollen bereits

besetzt sind und welche Rollen noch frei sind. Hat nun der Neue ein Inneres Teammitglied zur Verfügung, das einer

noch freien Rolle entspricht, wird es die Rolle in der Gruppe übernehmen und zum Stammspieler werden.8

- Zuweilen zeigt sich im Coaching, dass ein Teamplayer völlig fehlt, wie hier das „entschiedene Nein“, und erst einge-

stellt und „eingeschult“ werden muss. Dabei ist darauf zu achten, dass dieser mit Bedacht zum Einsatz kommt und

nicht schnell mal über das Ziel schießt. Im Laufe der Zeit lässt sich auch beobachten, dass ein fehlender Teamplay-

er, einmal installiert, oft gar nicht mehr so oft zum Einsatz kommen muss, denn die Ausstrahlung auf die Umwelt ist

oft Zeichen genug.

Erfolg im Innendienst. Im Innendienst geht es darum, die verletzlichen, verletzten und weichen Teile des Selbst zu

beschützen. Oft handelt es sich um Verletzungen aus der Kindheit, das „Innere Kind“, wie bereits bei Eric Berne und

J. Bradshaw (1994. „Das Kind in uns“. Wie finde ich zu mir selbst, Verlag Droemer Knaur) beschrieben. Manchmal

werden diese Stammspieler in der Außenwelt als grob, arrogant und abweisend wahrgenommen, sie haben aber

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eine ganz wesentliche Funktion im Innendienst und so bleiben sie, trotz Widerständen von außen, ein Leben lang ihrer

Aufgabe, das verletzte Innere zu beschützen, treu.

2.2 Die Verbannung; oder das unsägliche Schicksal der Antipoden

In einer zunehmend auf Leistung und „Vermarktung“ der eigenen Persönlichkeit ausgerichteten Arbeitswelt, ist jeder an-

gehalten, sich und seine Persönlichkeit (also nicht bloß seine Arbeit) im „besten Licht“ darzustellen. Diese Entwicklung

birgt Chancen, aber auch Gefahren mit sich:

Die Chance: Die Entwicklung der Persönlichkeit wird zur professionellen Herausforderung. Der Mensch ist angehalten,

sich selbst in den Blick zu nehmen: wie man auftritt, wie andere Menschen reagieren, wofür man steht etc.

Die Gefahr: wenn die Persönlichkeit zum Markenzeichen wird und sich auf ein „optimales Image“ reduziert und alles

verbannt, was zwar den ganzen Menschen ausmacht, aber das Erfolgsimage gefährden könnte.9

Der Mensch hat eine Vielzahl von widersprüchlichen Poden und Antipoden in sich, jede Eigenschaft trägt laut Friede-

mann Schulz von Thun auch das Potential des Gegenpols in sich, er bezeichnet diese als Antipoden. Sie können in der

Arbeit als Coach dann entscheidend werden, wenn durch die andauernde Abwehr von Antipoden langfristig ein „Raubbau

an der Gesamtpersönlichkeit“ folgt.

Aus diesem Grund soll hier das System der Antipoden genauer beleuchtet und die gängigsten „Verbannungsformen“

beschrieben werden.

Das System ist an einem einfachen Beispiel leicht zu verdeutlichen, wenn der innere Spieler „Kraftvoll und Dynamisch“

allein ohne seinen Antipoden „Innere Ruhe“ auftritt, dann kann es sehr rasch zu einer Radikalisierung kommen: der

Anteil „Innere Ruhe“ sucht einen anderen, kraftvolleren, lauteren Weg, zu seinem Recht zu kommen, und schlägt um

in „Lähmendes Nichtstun“, woraufhin der Teil „Kraftvoll und Dynamisch“ seinerseits radikalisiert, um das „Lähmende

Nichtstun“ zu bekämpfen und zu „Atemloser Hektik“ werden kann, ein Teufelskreis, der Ursprung zum „Elend der Anti-

poden“10 ist gelegt.

2.2.1 Verbannung die Erste, eine „unterdrückte Tugend“

Die erste Stufe der Verbannung der Antipoden besteht darin, dass die Antipoden hinter den Hauptdarstellern verdeckt

bleiben, aber vom Oberhaupt deutlich gespürt werden und prinzipiell anerkannt und nicht grundsätzlich abgelehnt wer-

den.11

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Ein Beispiel aus der Coachingpraxis zeigt, wie im Coachingprozess Anteile wieder integriert und versöhnt werden kön-

nen, die ursprünglich als sich widersprechend empfunden werden.

- Sabine L. ist leitende Angestellte in einem Altenheim. Sie hat die gesamte organisatorische und personelle Verantwor-

tung. Ihr macht der Job großen Spaß, sie steht 6 Jahre vor ihrer Pensionierung und möchte mit ihrer Arbeit noch etwas

erreichen, sie bekommt von ihren Vorgesetzten die Anerkennung, die sie für ihre Motivation braucht. In erster Linie ist

sie aber durch das Gelingen der kleinen Projekte und Ziele motiviert, die sie sich und ihren MitarbeiterInnen stellt. Sie

sagt, es ist der Job, den sie immer haben wollte, den sie aber so erst jetzt am Ende ihrer Berufslaufbahn gefunden hat.

Der Grund, warum sie ins Coaching gekommen ist, liegt darin, dass sie das Gefühl hat, sich über ihre gesundheit-

lichen Grenzen hinaus zu verausgaben und nicht „nein“ sagen zu können. Im Gespräch ergibt sich, dass sie sich als

unabkömmlich sieht und dass sie Sorge hat, wenn sie nicht da ist, könnte nichts mehr so klappen, wie sie sich das für

„ihr“ Haus vorstellt.

Sie spricht von verschiedenen Stimmen und Kräften, von verschiedenen Anteilen in ihr, die sich da zu Wort melden:

„die, die immer alles schafft“, „die, die mehr auf die Familie hören sollte“ „die, die auf die eigene Gesundheit achten

muss“, „die, die Spaß am Job hat“, „die, die sich unersetzlich fühlt“. Der Coach schlägt nun vor, diese Inneren Anteile

aufzuzeichnen, um sie zu visualisieren, damit wird das Bewusstsein für die einzelnen Anteile geweckt und vorerst ein

unbewertetes Nebeneinander ermöglicht. Im nächsten Schritt schlägt der Coach vor, eine Art systemische Aufstellung

mit den Anteilen zu machen, in diesem Fall waren es natürliche Personen, die sich dazu bereit erklärt haben, an einer

Aufstellung teilzunehmen.

Sabine ist sehr unsicher bei der Platzierung der Anteile, vor allem bei der Platzierung der Stimme der Familie und

der Gesundheit ändert sie mehrfach die Position. Schlussendlich stehen zwei Gruppen nebeneinander, da ist zum

einen „die, die mehr auf die Familie hören sollte“ und „die, die auf die eigene Gesundheit achten muss“ als eine Art

Gruppe, weiter weg davon, einander nicht ansehend, die Gruppe „die, die immer alles schafft“, „die, die Spaß am Job

hat“ und „die, die sich unersetzlich fühlt“. Diese zwei Gruppen stehen isoliert und unbeteiligt nebeneinander … . Im

Zuge des Aufstellungsprozesses verändert sich mehrfach die Situation, im Schlussbild allerdings stehen die Grup-

pen einander gegenüber, beachten und achten einander. Sabine kann anhand dieses Bildes verstehen, dass die Inne-

ren Anteile nicht gegeneinander, als Antipoden, agieren müssen, sondern ein achtungsvolles Miteinander und

„sowohl als auch“ möglich ist.

Wie im oben näher beschriebenen Coaching Fall geht es bei der ersten Stufe der Verbannung um die Versöhnung der

jeweiligen Anteile, es geht wie so oft in der Coachingpraxis um die Lösungssuche des „sowohl als auch“ statt des „ent-

weder oder“. Es sind also in dieser ersten Stufe der Verbannung alle Player einsatzbereit und auch einsatzwillig, nur,

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durch äußere Umstände bedingt bzw. wegen alter Erfolgsgeschichten, daran gehindert, sich Gehör zu verschaffen. Eine

Versöhnung der beiden Anteile, ein kreatives Nebeneinander ist Ziel des Coachings. Oft ist übergroße Vorsicht und die

Sorge davor, einzelne Beteiligte des Geschehens vor den Kopf zu stoßen, die Antriebskraft, die innere Antipode nicht zu

Wort kommen zu lassen. Im Rahmen des Coachingprozesses im Businessumfeld begegnen wir dieser Form der Ver-

bannung häufig, der Anteil „Angst vor Arbeitsplatzverlust“ lässt manch kritischen Inneren Anteil verstummen, wenn die

Sorge um den Arbeitsplatz übermächtig wird. Gerade in diesem Fall ist es wichtig, eine umsichtige Möglichkeit zu finden,

die Angst zu würdigen, aber gleichzeitig die Antipoden zu Wort kommen zu lassen.

2.2.2 Verbannung die Zweite, die „Unerwünschte“

Im Falle der zweiten Verbannung werden nicht mehr opportunistische Gründe schlagend, hier geht es mehr um Vorbe-

halte der „Stammspieler“ gegenüber den Antipoden aus moralischen Gründen (verwerflich, unmoralisch), seelischen

Gründen (krankhaft, pervers ...) oder wegen fehlender Kompetenz (lächerlich, minderwertig …). Es handelt sich in

diesem Fall tatsächlich um die „Inneren Außenseiter“12, die hier verbannt werden.

- Anita kommt aufgeregt ins Coaching. Sie hat einen positiven Schwangerschaftstest in der Tasche. Die Coach merkt

im Gespräch mit Anita, dass die Aufregung nach außen als eine Mischung von diversen Gefühlen wie insbesondere

Verzweiflung, Freude, Ungewissheit, Spannung, Überforderung und Angst, wahrnehmbar ist. Was ist passiert? Anitas

Freund hat in den letzten Monaten der Beziehung immer wieder versucht, die Beziehung zu beenden, Anita hat dies

nicht ganz ernst genommen, weil sie den Willen zur Trennung bei ihrem Freund als emotional nicht authentisch emp-

finden konnte und die Trennungsversuche immer wieder mit reiner Kopfentscheidung seitens ihres Freundes abgetan

hat. Nun ist sie schwanger, ihr Freund ist alles andere als begeistert und besteht noch einmal mehr auf der Trennung,

die er ja schon lange wollte. Er will das Kind nicht akzeptieren, meint sogar, dass sie „absichtlich“ von ihm schwanger

geworden sei, um ihn an sich zu binden. Was geht in Anita vor? Welche Inneren Anteile haben welche Stimme und

wofür stehen sie? Anita will keine alleinerziehende Mutter eines unehelichen Kindes sein. Sie ist davon überzeugt,

dass ihr Freund die Trennung nicht ernst meinen kann, denn jetzt besteht ja die Chance auf ein Leben zu dritt, beson-

ders wichtig ist es ihr, mit ihm in eine Wohnung zu ziehen und das Kind aufzuziehen. Sie meint, dass es in allen Be-

ziehungen und Ehen eigentlich keine ausschließlich glücklichen Partnerschaften gebe, da ja immer Probleme und

äußere Zwangssituationen vorherrschen würden. Eine „arrangierte Familie“, wie sie es sich wünscht, wäre daher im

Ergebnis quasi nicht anders, als „gewünschte“ Familien leben würden. Sie fragt die Coach, was sie tun könne/müsse,

um ihren (Ex-)Freund dazu zu bringen, das Kind zu akzeptieren und ihren Wunschvorstellungen zu entsprechen.

Was kann die Coach aus dem bisher Gehörten herauslesen? Welche Anteile in Anita sprechen hier mit welcher Stim-

me? Welche werden verbannt, unterdrückt und dürfen ihr wahres Gesicht nicht zeigen?

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Was grummelt da in meinem Bauch?

Ach du Schreck! So bin ich auch!?13

Anita wirkt auf die Coach selbstbewusst, sie weiß in den meisten Lebenslagen, wo es langgeht und weiß sich auch in

diversen Spannungssituationen zu behaupten. Sie hatte einige Herausforderungen in ihrem Leben, die sie ganz gut zu

meistern schien. Anita ist selbst in einer Scheidungssituation aufgewachsen.

Welche Stimmen hört die Coach aus den Erzählungen über die neue Situation in Anitas Leben?

- Da ist einmal die Stimme der Moral: Ein uneheliches Kind wird als Makel empfunden, ebenso die Lage als allein-

erziehende Mutter.

- Die Stimme der Seele sagt: Ich fühle mich verlassen, ich bin enttäuscht und ich muss Schwäche zeigen, was ich

nicht will.

- Die Stimme des Selbstbewusstseins wirft ein, dass sie auf keinen Fall zeigen darf, dass die Situation ihre Kompe-

tenz, ihr Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, damit fertig zu werden, übersteigt.

- Eine weitere Stimme der Trauer sagt, ich möchte nicht hinschauen, denn dann müsste ich sehen, dass die Bezie-

hung getrennt wurde und ich ohne Mann dastehe.

Warum sind diese Stimmen so laut hörbar, wenn doch die Coach dahinter auch noch andere Stimmen und Anteile in

Anita wahrzunehmen glaubt? Ihre Aufgabe könnte die Verbannung dieser anderen Anteile/Stimmen sein, damit diese

ja nicht zu Wort kommen. Möglich wären hier:

- Die Stimme der Kompetenz und der Stärke in Anita: Ich habe mein Leben im Griff, bin jeder Herausforderung

gewachsen und brauche keine Hilfe von außen. Wovon wird diese Stimme verbannt, was hindert sie daran, hervor-

zukommen? Dieser Anteil wird durch den oben angesprochenen moralischen Anspruch überlagert, der ihr lebens-

lang anerzogen worden war.

- Die Stimme der Schwäche, ja, der Frau in Anita, möchte sagen: Ich will schwach sein, ich möchte mich anlehnen an

eine starke Schulter, an jemanden, der Entscheidungen trifft und Verantwortung übernimmt, ich will nicht alles

alleine tragen müssen. Doch das lassen die oben genannten Stimmen (vor allem die der Seele) nicht zu, da Schwä-

che gleichbedeutend ist mit Unfähigkeit.

In der Verbannung und Unterdrückung können die Antipoden nicht lernen, zu kommunizieren und ihre Bedürfnisse zum

Ausdruck zu bringen. So passiert es (wie im oben beschriebenen Fall), dass Emotionen plötzlich und für die Umwelt

und die Person selbst oft erschreckend heftig zum Ausbruch kommen. Der Coachingprozess kann dahingehend unter-

stützend wirken, diese Kräfte ins Innere Team zu integrieren, ihnen eine adäquate Position zuzuschreiben und unter einer

starken Führung auch die geeignete Stimme zu geben. Diese Integration ist allerdings nicht einfach, da mit erheblichen

Widerständen von der Außenwelt und auch aus dem eigenen Inneren Team zu rechnen ist. Die Umwelt ist zumeist nicht

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daran gewöhnt, dass auch unangenehme Seiten einer Person zu Tage treten und wehrt sich dagegen, denn angepasste,

„pflegeleichte“ Mitmenschen machen einfach weniger Schwierigkeiten im Umgang. Eine reife Persönlichkeit weiß aber

mit allen Inneren Anteilen umzugehen, hat die Stärke und auch die kommunikativen Fähigkeiten, diese Anteile zum Aus-

druck zu bringen, ohne die Umwelt vor den Kopf zu stoßen. Oft geht ein Prozess der „Abgrenzung“ und der Suche nach

dem eigenen authentischen Selbst diesem Prozess voraus.

2.2.3 Verbannung die Dritte, die „Gefürchtete“

Die dritte Stufe der Verbannung trifft Mitglieder des Inneren Teams, die völlig verbannt, von der Bildfläche verschwunden

und oft gar nicht bewusst sind. Es handelt sich bei diesen Mitgliedern um jene, die im Rahmen von Verletzungen des

Inneren Kindes oder traumatischen Erlebnissen zugefügt wurden. Die Niederhaltung dieser Anteile bindet im Laufe der

Zeit immer mehr Energie, mit der Folge, dass Lebenskraft und Vitalität verloren gehen. Auch zwischenmenschliche Be-

ziehungen leiden unter der, nur mehr sehr oberflächlich gelebten, „heilen“ Welt immens. Da diese aber auch oft Quell und

Heilkraft ist, kann die dritte Form der Verbannung zum Teufelskreis werden und bis zur Sucht (Alkohol, Drogen …) und/

oder Depression führen.14 Hier enden zumeist die Möglichkeiten des Coachings und es sollten bereits die Kompetenzen

von Therapie zu greifen beginnen.

2.3 Auswirkungen des Modells auf das Coaching im Businessumfeld

Das Modell des Inneren Teams kommt häufig im Persönlichkeitscoaching zur Anwendung, aber wie einige der Praxisbei-

spiele zeigen, findet man die Auswirkungen der Verbannung von Antipoden oder die Erklärungsmodelle über das Innere

Team auch im Businesscoaching.

Die Anstrengungen, die Menschen– MitarbeiterInnen – machen, um sich dem „System“ anzupassen, die Mechanismen,

mit denen sie ihre Inneren Anteile zum Schweigen bringen, sind vielfältig. Es ist in der Coachingpraxis von Vorteil, die

Mechanismen der Unterdrückung zu kennen, um den Coachee in der Entwicklung der Persönlichkeit zu unterstützen.

Wir können davon ausgehen, dass äußerer beruflicher Erfolg und innere Entwicklung trotz einer gewissen Gegensatz-

spannung miteinander vereinbar bleiben, dass Professionalität und Menschlichkeit zusammengehören und dass eine

berufsbezogene Beratung und Fortbildung den Profi und den Menschen gleichermaßen fördern können.15

Das Konzept bietet unter anderem auch eine wirksame Hilfe, „Hintergründe“ von Teamkonflikten aufzudecken. Mit der

Metapher vom Inneren Team lassen sich komplexe Hintergründe bei Konfliktpartnern erkunden und überschaubar ma-

chen.16 Der besondere Wert liegt darin, den Konflikt als Zusammenstoß zweier Innerer Teams zu interpretieren und dabei

nach Gegensätzen, Übereinstimmungen und unheiligen Allianzen zu suchen.17 Gelingt es dem Konfliktvermittler, mit

Hilfe der beiden Inneren Teams die Hintergründe den Beteiligten sichtbar zu machen, dann ist auf dieser Grundlage

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möglich, ein größeres Verständnis für den jeweiligen Kontrahenten zu erwirken und damit zur Lösung beizutragen. Das

darf aber nicht als innerseelische Diagnose eines Fachexperten verwendet werde. Das Bild vom Inneren Team dient vor

allem der Suche nach einfachen, verständlichen und prägnanten Formulierungen für komplexe Vorgänge und als Hilfe

für das Sprachspiel in der Konfliktberatung.18

1) dazu und im Folgenden: Friedemann Schulz von Thun (2007), Miteinander Reden Teil 3 „Das „Innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation, Rowohlt Verlag 2) u.a. Moskau, Gaby; Müller, Gerd F. Virginia Satir – Wege zum Wachstum, Therapeutische Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien 3. Auflage, 20023) http://www.nlp-bibliothek.de/practitioner/p-05-06-das-teilemodell.html4) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 1815) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 1836) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 1837) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 1858) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 1869) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 19510) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 20011) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 20512) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 21213) Friedemann Schulz von Thun, Das Innere Team (2007), S. 21214) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 22915) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 23116) Friedemann Schulz von Thun, Wibke Stegemann (2004). Das Innere Team in Aktion, praktische Arbeit mit dem Modell. Hamburg: Rowohlt, S. 6417) Friedemann Schulz von Thun, Wibke Stegemann (2004), S. 7418) Friedemann Schulz von Thun, Wibke Stegemann (2004), S. 79

3. Literaturverzeichnis

Friedemann Schulz von Thun (2007), Miteinander Reden Teil 3 „Das „Innere Team“

und situationsgerechte Kommunikation, Rowohlt Verlag

Friedemann Schulz von Thun, Wibke Stegemann (2004), Das Innere Team in Aktion,

praktische Arbeit mit dem Modell, Hamburg: Rowohlt

Moskau, Gaby, Müller, Gerd F. Virginia Satir, Wege zum Wachstum, Therapeutische Arbeit

mit Einzelnen, Paaren, Familien, 3. Auflage, 2002

http://www.nlp-bibliothek.de/practitioner/p-05-06-das-teilemodell.html

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Psychodynamisches/psychoanalytisches Coaching für Individuen und Organisationen Dr. Gerald Pail

Introduktion

Coaching ist eine relativ junge Disziplin, welche sich im Wesentlichen aus Methoden der Psychotherapie entwickelte. Im

Gegensatz zu dieser fokussiert Coaching jedoch auf Individuen, die nicht an einer krankheitswertigen Störung leiden, die

eine therapeutische Intervention implizieren würde. Prinzipiell steht es auch PatientInnen offen, Coaching in Anspruch zu

nehmen, allerdings sollte die/der Coach in diesem Fall mit einem Mediziner zusammenarbeiten, um Mindeststandards

der internationalen Therapieempfehlungen einzuhalten und PatientInnen indizierte diagnostische und therapeutische

Interventionen nicht vorzuenthalten.

In der Ausbildung von Coaches werden je nach Ausbildungsinstitution Elemente aus den großen psychotherapeutischen

Schulen, der Psychoanalyse, der systemischen Familientherapie und der Verhaltenstherapie in spezifischer Art und

Weise miteinander kombiniert, um den spezifischen Coaching-Anforderungen, z. B. Personal Coaching oder Business

Coaching gerecht zu werden. Während im deutschsprachigen Raum systemische Ansätze dominieren, überwiegen im

angelsächsischen Raum psychoanalytische Zugänge. In diesem Überblick wird in der Folge auf psychoanalytische bzw.

psychodynamische Techniken fokussiert werden, um der/dem interessierten und systemisch orientierten LeserIn einen

Einblick in alternative Modelle zu offerieren.

Die traditionelle Psychoanalyse wurde vom österreichischen Arzt Sigmund Freud am Ende des 19. und Beginn des 20.

Jahrhunderts entwickelt und stellt trotz pluriformer Kritik die zentrale tiefenpsychologische Theorie dar (Freud, 1938). Im

modernen Verständnis der Forschung ist es in diesem Kontext sinnvoller, über psychoanalytisch orientierte Psychothe-

rapie zu sprechen, welche sich von der klassischen Psychoanalyse in technischen Aspekten und in der therapeutischen

Ambition unterscheidet (Thomä, Kächele 2006). Eine spezielle und für die weitere Betrachtung relevante Variante ist die

übertragungsfokussierte Psychotherapie (im Englischen als Transference-Focused-Psychotherapy – TFP – bezeichnet),

welche vom in Wien geborenen, US-amerikanischen Psychoanalytiker Otto F. Kernberg konzipiert wurde und eine ma-

nualisierte Therapieform für Persönlichkeitsstörungen, wie etwa der Borderline Störung, darstellt (Clarkin, Yeomans,

Kernberg, 2008).

Auch wenn Coaching keinerlei therapeutische Intentionen postuliert, ist es notwendig, einzelne psychoanalytische bzw.

psychodynamische Konzepte näher zu erläutern, um die in der Folge beschriebenen Methoden verstehen zu können.

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Psychodynamik beschreibt das dynamische Zusammenspiel von verschiedenen Anteilen innerhalb einer Persönlichkeit

oder auf der Ebene von Organisationen, innerhalb von verschiedenen Individuen innerhalb der jeweiligen Gruppe.

Persönlichkeitsentwicklung und Objektbeziehungstheorie

Ein zentrales Paradigma ist die Bedeutung der Persönlichkeitsentwicklung inklusive der besonderen Berücksichtigung

der frühen Kindheit. Persönlichkeit ist als umfassendes Konstrukt diverser Entitäten, wie Temperament, Charakter und

Identität, konzeptualisiert. Identität definiert sich als Summe aller Selbst- und Objektrepräsentanzen und damit aller ver-

innerlichten Bilder, Gefühle und weiterer Perzeptionen von anderen Personen, im weiteren als Objekte bezeichnet, und

sich selbst (Clarkin, Yeomans, Kernberg, 2008). Identität entsteht, entsprechend der psychoanalytischen Kerntheorie

bzw. der daraus weiterentwickelten Objektbeziehungstheorie nach Melanie Klein, in der Interaktion mit anderen Personen

(Klein, Thorner, 2011). Frühkindliche dyadische Beziehungen zu den Eltern oder zu äquivalenten primären Bezugsper-

sonen sind in diesem Zusammenhang von immanenter Bedeutung. Als Dyade wird die emotionsspezifische Interaktion

zwischen zwei Objekten bezeichnet (Clarkin, Yeomans, Kernberg, 2008). Als Beispiele für Dyaden könnten der strafende

Vater, der schuldhafte Sohn und Angst als vorrangiger Übertragungsaffekt bzw. der schüchterne Coachee, die souveräne

Coach und Neid als primärer Affekt dienen. Über die Wahrnehmung dieser Affekte, ein Begriff, der synonym zu Emotion

gesetzt werden kann, wird im Abschnitt Übertragung/Gegenübertragung eingegangen werden.

In den ersten Lebensmonaten/-jahren ist das Kleinkind mit multiplen existenziellen Bedrohungen konfrontiert: es kann

sein Überleben nicht selbst sichern und ist daher von der Mutter bzw. den Eltern abhängig. Dies führt zu intensiven und

primitiven Affekten, welche das Kind auch entsprechend kommuniziert und vom britischen Psychoanalytiker Wilfried

Bion als beta-Elemente bezeichnet wurden (Bion, 1992). Der Mutter fällt in diesem Fall eine zentrale Rolle zu. Sie muss

diese primitiven Affekte aufnehmen und ihrem Kind dabei helfen, diese in differenzierte Affekte zu verwandeln, welche

von Bion als alpha-Elemente tituliert wurden. Der beschriebene Vorgang definiert basale Konzepte des Containments. Ist

das Kind aufgrund von Deprivation nicht in der Lage, reifere Affekte zu entwickeln, besteht die Gefahr des Verbleibens

auf einem undifferenzierten emotionalen Niveau, welches sich in der Regel in einer Beziehungsunfähigkeit im privaten

und professionellen Umfeld äußert (Clarkin, Yeomans, Kernberg, 2008). Klinisch wird dies in der Regel als Persönlich-

keitsstörung bezeichnet. Auch wenn PatientInnen nicht das Kernklientel von Coaching darstellen, muss der/dem Coach

bewusst sein, dass sich alle Individuen bezüglich ihrer Persönlichkeitsentwicklung auf einem Kontinuum zwischen Ge-

sundheit und Krankheit bewegen bzw. über die Lebensspanne zwischen diesen Polen oszillieren. Gleichzeitig gelangt

die/der Coach automatisch in die Rolle des Containers (eine deutsche Übersetzung wird aufgrund ungünstiger Konno-

tationen traditionell vermieden): sie/er ist in der Rolle, die Emotionen der/des Coachee(s), die in zumeist konflikthaften

Situationen entstanden, aufzunehmen und diese zunächst vor allem auszuhalten (Lohmer, 2004). Ein/e Coach, welche(r)

sich, überwältigt von der Trauer einer Trennung des/r Coachee(s), selbst in Tränen ausbricht, durch die Situation hand-

lungsunfähig wird oder seine Neutralität verlässt, kann seine Funktion nicht entsprechend ausüben. Aus diesem Grund

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ist es für die/den angehende/n Coach von Vorteil, zentrale Aspekte ihrer/seiner eigenen Entwicklung in einer Selbster-

fahrung bzw. im Rahmen von Coaching in einer tiefergehenden Art und Weise zu perzipieren.

Auch wenn in dieser Publikation nur ein kleiner spezifischer Ausschnitt der Persönlichkeitsentwicklung beleuchtet wer-

den kann, so sollten zwei Perspektiven dennoch besprochen werden, um narzisstische Persönlichkeiten verstehen zu

können. Diese bewegen sich aufgrund ihres Selbstanspruches häufig in Führungspositionen und die spezifische Kons-

titution impliziert aufgrund ihrer interpersonellen Limitationen einen Coaching Bedarf. Die eine Perspektive besteht im

Übergang von der sogenannten ‚paranoid-schizoiden Position’ nach Melanie Klein in die ‚depressive Position’ (Klein,

Thorner, 2011). In der genannten Übergangsphase entdeckt das Kind seine autochthone Aggression und die Nachteile

seiner Selbstbezogenheit. In einem gesunden Prozess schafft es das Kind, über diese Situationen, als es z. B. die Mutter

verletzte, zu trauern. Gelingt dies nicht, greift das Kind unter Umständen auf Mechanismen wie manische Abwehr zurück,

um dem ungelösten Konflikt nicht begegnen zu müssen. Die zweite Perspektive fußt im sogenannten Ödipus Konflikt,

der bei oberflächlicher Bedeutung häufig falsch verstanden und daher sehr kontrovers diskutiert wird. Im Wesentlichen

verdeutlicht dieser die typische Konstellation, dass z. B. der Sohn sich im Kleinkindalter in seine Mutter verliebt – wohl-

gemerkt auf seinem entsprechendem emotionalen Niveau – und plant, diese zu heiraten. Gelingt zur selben Zeit die

elterliche Beziehung nicht bzw. wird diese auf einem rein funktionalen Niveau geführt, kann die Situation entstehen, dass

die Mutter sich von ihrem Sohn verführen lässt und sich eine – wenn auch nicht sexuelle – partnerähnliche Beziehung

entwickelt. Der Sohn erfährt also nicht die Erfahrung einer Repräsentanz des elterlichen Paares in sich und kann somit

expansive Elemente, welche den Vater besiegen und seinen Platz einnehmen wollen, nicht entsprechend kontrollieren.

Eine solche Entwicklung wird auch als insuffiziente Triangulierung bezeichnet (Klein, Thorner, 2011). In der Folge fällt

es der erwachsenen narzisstischen Person schwer, gesunde partnerschaftliche Beziehungen einzugehen. Diese leiden

im beruflichen Umfeld an ihrer Selbstbezogenheit und Isoliertheit (Kernberg, Hartmann, 2009). Die/der Coach sollte aus

ihrer/seiner Sicht eine derartige Konstellation wahrnehmen können und sich der spezifischen Herausforderungen in Ver-

änderungsprozessen bewusst sein. Die Komplexität bei der Arbeit mit narzisstischen KlientInnen wird erhöht durch den

Umstand, dass sich die/der Coachee aus dem emotionalen Prozess herausnimmt und versucht, diese der/dem Coach

zu überlassen.

Methoden des psychodynamischen Coachings

Als primäre Differenzierung von anderen Konzepten postuliert die psychoanalytische Theorie die Existenz unbewusster

Prozesse, welche von bewussten und vorbewussten Prozessen zu unterscheiden sind. Letztere sind dem Bewusstsein

jederzeit zugänglich. Zum Unbewussten hat die/der KlientIn keinen Zugang, ein Umstand, der zum Beispiel die Installati-

on von Coaching-Aufträgen wesentlich beeinflussen kann. Während in der psychoanalytisch orientierten Psychotherapie

die/der PatientIn frei assoziiert und Gefühle, Träume, Hoffnungen völlig offen und auch mitunter unstrukturiert erzählt,

ist es in Coaching Prozessen notwendig, solche Einheiten mit zielorientierten Phasen abzuwechseln. Ziel der Arbeit an

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unbewussten Inhalten ist es, ungelöste Konflikte zu detektieren, welche durch primitivere oder auch reifere Mechanismen

von der/dem Coachee abgewehrt werden. Ein Beispiel für einen reifen Abwehrmechanismus wäre eine Rationalisierung.

Eine Key-Account-Managerin entscheidet sich für ein MBA Studium, obwohl sie sich durch ihre Arbeit bereits stark

ausgelastet fühlt. Mitten im Studium wird die Klientin von ihrem Partner verlassen, woraufhin sie ein Burnout entwickelt,

das Studium abbricht und sich eine Auszeit nimmt. Im psychodynamischen Coaching Prozess stellt sich heraus, dass

die Coachee vor Beginn der Studiums an Ängsten litt, vom Partner verlassen zu werden, und sich aufgrund eines ent-

wickelnden Sicherheitsbedürfnisses für die Ausbildung entschied. Gleichzeitig hatte sie sich mehr Anerkennung durch

ihren Partner erhofft. Als Coaching Auftrag wird am Ende dieser Phase die bessere Integration von beruflichen und

privaten Zielen installiert (zum Thema Burnout siehe Musalek, Poltrum, 2012).

Das zentrale methodische Werkzeug in psychodynamischen Prozessen ist die Perzeption von Übertragung und Gegen-

übertragung, welche im Folgenden näher erläutert werden soll (Lohmer, 2004) . Als Übertragung wird in diesem Zu-

sammenhang die Summe der in Interaktion gelebten Vorerfahrungen der/des Coachee bezeichnet. Illustriert am Beispiel

der Key-Account-Managerin, kommen bei dieser am Ende des Erstkontaktes bei der Vereinbarung der Folgetermine

Befürchtungen auf, dass der Coach keine entsprechenden zeitlichen Ressourcen wird aufbringen können. Der Coach

nimmt diese Befürchtungen als inkongruent zu seinem Angebot wahr und thematisiert diese am Beginn der folgenden

Coaching Einheit. Als Gegenübertragung wird nun die Gesamtheit des emotionalen Erlebens des/der Coach verstanden.

Im genannten Beispiel empfindet der Coach Schuldgefühle, welche ihn selbst in einen Konflikt bringen, einen geplanten

Theaterbesuch eventuell abzusagen, um der Coachee einen früheren Folgetermin anbieten zu können.

Als Voraussetzung für die Anwendung dieser Methodik gilt die sogenannte technische Neutralität (Clarkin, Yeo-

mans, Kernberg, 2008). Diese bedeutet nicht etwa der von Populärmedien gezeichnete Vorteil der/des teilnahmslosen

PsychoanalytikerIn/s. Die Umsetzung bedarf im Wesentlichen folgender Voraussetzungen: 1) einer entsprechenden Re-

flexionsfähigkeit, um eigene Anteile der Gegenübertragung wahrnehmen zu können, 2) der Bereitschaft, die Gegenüber-

tragung nicht auszuagieren, sondern diese zu verbalisieren und im Coaching Prozess für den Coachee in spezifischer

Art und Weise zur Verfügung zu stellen. Im angeführten Beispiel wäre es entsprechend der technischen Neutralität weder

sinnvoll, den Theaterbesuch abzusagen, noch die Coachee mit dem privaten Umstand zu konfrontieren. Die Kommuni-

kation der dyadischen Beziehungskonstellation ist jedoch zentral. Der Coach könnte zum Beispiel so auf die Coachee re-

agieren: ‚Ich hatte am Ende der letzten Einheit den Eindruck, dass Sie Befürchtungen bezüglich unserer weiteren Termine

hatten. Es ging kurz soweit, dass ich das Gefühl hatte, dass Sie in mir ein Schuldgefühl auslösen wollten. Wie sehen Sie

diese Interaktion zwischen uns?’. Bei Interventionen auf der Beziehungsebene kann es hilfreich sein, die Interaktionen als

Szene zu beschreiben oder sich die/den Coachee wie in einem Traum vorzustellen (Lohmer, 2004). Prinzipiell geht es

in diesen offenen Einheiten also um die Perzeption von Gefühlen in der/dem Coachee und in der/dem Coach und deren

Bedeutung auf der Beziehungsebene. Als Vorteil gegenüber anders konzeptualisierten Methoden kann die/der Coachee

Fortschritte ihres/seines Prozesses direkt auf der Ebene der Coaching-Beziehung erleben. Im genannten Beispiel konnte

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die Coachee ein Interaktionsmuster erkennen, welches sich in ihrem Leben zu wiederholen schien und welches sie

bereits aus ihrer Kindheit kannte. Ihr Vater hatte die Familie in ihrem siebenten Lebensjahr verlassen. Sie konnte den

Kontakt zu ihm wieder herstellen, allerdings gelang ihr das nur, indem sie entsprechend intensive Schuldgefühle in ihm

generierte. Die Coachee hatte also ein spezifisches Reaktionsmuster entwickelt, welches auch als Valenz bezeichnet

werden kann. Von Sigmund Freud wurde das genannte Phänomen als Wiederholungszwang beschrieben (Freud, 1938).

Der Coachee gelang es, die im Prozess spürbare Beziehungskonstellation und deren Implikationen auf die vergangene

sexuelle Beziehung sowie kompensatorische Entscheidungen im Sinne einer verbesserten Reflexionsfähigkeit für sich

zu nutzen.

Psychodynamisches Coaching/Consulting für Organisationen

In der Arbeit mit Gruppen und Organisationen ist die/der psychodynamische/psychoanalytische Coach häufig mit Kon-

stellationen konfrontiert, die sich trotz vorangegangener Coaching und Consulting Prozesse nicht lösen ließen. Eine

solche Lösung wäre zum Beispiel dann nicht zu erwarten, wenn Konflikte in der Gruppe den Mitgliedern nicht bewusst

sind bzw. diese so effizient unterdrückt werden, dass sie in systemischen Settings nicht zur Sprache kommen.

Eine erste bedeutende Information erlangt die/der Coach in der Beobachtung der Firmenkultur, am besten anhand der

Kontaktaufnahme und Auftragsvergabe (Schein, 2010). Ohne große Interventionen gilt es dabei, Übertragung und Ge-

genübertragung in gleichschwebender Aufmerksamkeit wahrzunehmen. Diese Wahrnehmungen umfassen den vollstän-

digen Kontakt mit dem Unternehmen: Die Human Resources Managerin ist am Telefon unter Druck (Übertragung). Die

Coach fühlt sich wenig willkommen, als der Portier ihren Ausweis verlangt (Gegenübertragung). Einige Mitarbeiter tu-

scheln verlegen am Gang, als wäre etwas Geheimnisvolles im Gange (Übertragung). Das Logo lässt die Coach völlig kalt

(Gegenübertragung). In der Subsummierung dieser Eindrücke ist es hilfreich, eine Idee der Firmenkultur zu entwickeln

und Personen und Entwicklungen, die diese prägten und prägen, zu identifizieren (Lohmer, 2004).

In der direkten Arbeit an einer spezifischen Problemkonstellation empfiehlt es sich, den Auftraggeber und Interventi-

onen vorangegangener Coaches und KonsulentInnen zu berücksichtigen. In der Diagnosephase ist es essentiell, eine

ausgewogene Balance zwischen Einzelinterviews und Gruppensettings zu treffen. In diesen wird entsprechend der psy-

choanalytischen Tradition von der/demm Coach ein möglichst offenes Klima geschaffen, um primär unbewusste oder

kaum formulierbare Konflikte aufdecken zu können. Diese treten häufig in der Form von Tabus zu Tage. Als Beispiel

wird eine Coach von der Geschäftsführung einer Privatklinik beauftragt, eine Konfliktsituation zwischen dem ärztlichen

Direktor und dem Pflegedirektor zu lösen. Bereits in der Kontaktaufnahme mit den beiden Personen ist die gegenseitige

Entwertung zu spüren, welche sich auch auf die jeweiligen Teams ausgebreitet hat. In der anschließenden Gruppenarbeit

und Detektion von Tabus wird die Entlohnung als verschwiegenes Thema erkennbar. Die PflegerInnen hatten im Zuge

einer Restrukturierung eine Gehaltseinbuße hinnehmen müssen, welche in der Folge zu Konflikten bezüglich der Auf-

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gabenteilung zwischen ÄrztInnen und PflegerInnen führte. Als dieser Konflikt schließlich am Höhepunkt angelangt war,

begann eine Phase, in der die Teamleiter im Sinne einer gegenseitigen projektiven Identifikation sich Unzulänglichkeiten

vorzuwerfen begannen. Im weiteren Verlauf wurde der monetäre Konflikt durch einen persönlichen Konflikt abgelöst, da

diese Projektion für die MitarbeiterInnen besser kommunizierbar war und daher nicht so stark abgewehrt werden musste.

Die Aufbereitung dieses Konfliktes ließ die Geschäftsführung die insuffizienten strukturellen Regelungen und die Kom-

pensation überdenken.

Prinzipiell sollten unbewusste Prozesse und Strukturen in einer Organisation nicht ob ihrer funktionellen Bedeutung

unterschätzt werden (Giernalczyk, Lohmer, 2006). So kann es für eine Gruppe in spezifischen Phasen durchaus sinnvoll

sein, einen paranoiden oder narzisstischen Leiter der Gruppe zu akzeptieren bzw. diesem zu folgen. Ebenso sollte be-

dacht werden, dass Konflikte in Gruppen aus gutem Grund abgewehrt werden, da einzelne Subgruppierungen Vorteile

aus der jeweiligen Konstellation ziehen, auch wenn sie insgesamt gesehen zur Unzufriedenheit dienen und die Entwick-

lung der Gesamtgruppe behindern. Häufig werden Ängste, die aus realen Risiken wie dem Innovationsdruck entstehen,

in Gruppen durch Arbeitsroutinen verdrängt und abgewehrt. Aus diesem Grund ist es bei der Begleitung von Change

Prozessen notwendig, diesen Ängsten entsprechenden Raum zu geben und den Gruppenmitgliedern die Möglichkeit zu

geben, diese zu verbalisieren.

In letzter Konsequenz sollte psychoanalytisches Coaching wesentlich dazu beitragen, abgespaltene oder auf eine inter-

personelle Ebene verlagerte strukturelle Defizite in Gruppen aufzudecken und damit eine funktionelle Reorganisation zu

ermöglichen.

Differenzierung von systemischem Coaching

Von systemischem Coaching unterscheidet sich psychodynamisches/psychoanalytisches Coaching im Wesentlichen

dadurch, dass der Beziehungsebene zwischen Coach und Coachee bzw. Gruppe eine größere Bedeutung beigemessen

wird. Die psychoanalytische Methode erlaubt sich hierbei die Entwicklung von Hypothesen, welche wiederum aus dem

individuellen Erleben der/des Coach in der Interaktion mit der/dem Coachee bzw. der Gruppe entstehen (zu systemischen

Ansätzen siehe Simon, 2005 bzw. Koditek, 2008).

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Referenzen und weiterführende Literatur

Sigmund Freud. Abriss der Psychoanalyse. Einführende Darstellungen. Psychologie Fischer, 1938.

Helmut Thomä, Horst Kächele (Herausgeber). Psychoanalytische Therapie. Springer, 2006.

John F. Clarkin, Frank E. Yeomans, Otto F. Kernberg. Psychotherapie der Borderline-Persönlichkeit:

Manual zur psychodynamischen Therapie. 2. Auflage. Schattauer, 2008.

Melanie Klein. Hans A. Thorner (Herausgeber). Das Seelenleben des Kleinkindes und andere Beiträge

zur Psychoanalyse. Klett-Cotta, 2011.

Wilfred R. Bion. Erika Krejci (Übersetzung). Lernen durch Erfahrung. Suhrkamp, 1992.

Otto F. Kernberg, Hans-Peter Hartmann (Übersetzung). Narzissmus. Grundlagen – Störungsbilder – Therapie.

Schattauer, 2009.

Michael Musalek, Martin Poltrum (Herausgeber). Burnout – Glut und Asche.

Neue Aspekte der Diagnostik und Behandlung. Parados, 2012.

Mathias Lohmer. Psychodynamische Organisationsberatung: Konflikte und Potentiale in

Veränderungsprozessen. 2. Auflage. Klett-Cotta, 2004.

Thomas Giernalczyk, Mathias Lohmer. Freud heute: Das Unbewusste einer Organsiation. Wirtschaft + Weiterbildung,

Ausgabe 09_2006, 2006.

Edgar H. Schein. Irmgard Hölscher (Übersetzung). Prozess und Philosophie des Helfens: Grundlagen und Formen der hel-

fenden Beziehung für Einzelberatung, Teamberatung und Organisationsentwicklung. EHP-Verlag Andreas Kohlhage, 2010.

Fritz B. Simon. Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus. 5. Auflage. Carl Auer Compact, 2005.

Thomas Koditek (Herausgeber). Systemisches Coaching im Prozess: Ein Lern- und Arbeitsbuch. abc Buchverlag, 2008.

Dr. Gerald Pail

ist Assistenzarzt in Psychiatrie und psychotherapeutischer Medizin. Er arbeitete am Anton Proksch Institut, Wien, und

an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Wien, mit den klinischen Schwerpunkten Bipolare Affektive

Störung, Burnout und Sucht. Seine Forschung im Rahmen des Doktoratsstudiums der angewandten medizinischen

Wissenschaften an der Medizinischen Universität Wien, Programm Clinical Neuroscience, fokussiert auf die Integration

von Emotion und Kognition im präfrontalen Kortex.Als psychotherapeutische Ausbildung wählte er das PSY-III Modul

Psychotherapeutische Medizin, Hauptfach Tiefenpsychologie, der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychothe-

rapie, Wien. Gerald Pail ist zertifizierter Business Coach der Freien Universität Berlin und absolvierte einen zweijährigen

Leadership&Consulting Lehrgang der Wiener Psychoanalytischen Akademie. Er ist zudem als Medical Consultant für

die pharmazeutische Industrie, als Arzt und Coach in der Ordinationsgemeinschaft Dr. Georg Schönbeck, Wien, sowie

als Lehrbeauftragter der Medizinischen Universität Wien tätig.

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Interviews zum praktischen Einsatz des systemischen Ansatzes im EinzelsettingClaudia Krenn-Cissé

„Weil das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.“

Aristoteles

Interviews zum systemischen Ansatz

Systemisches Arbeiten liegt im Trend. Der Begriff „systemisch“ ist einfach und umfassend zugleich und eignet sich gut,

vieles darin zu verpacken. Was aber ist nun wirklich systemisch? Und vor allem: Was macht einen systemischen Ansatz

in der Praxis aus?

Um der Antwort auf diese Frage näherzukommen, wurden sechs Experten mit unterschiedlichen Grundausbildungen

interviewt. Die Interviews wurden mit Coaches während einer Arbeitsmarktmaßnahme zur Berufsorientierung 2010 in

Wien durchgeführt.

Die Fragen

1. Was bedeutet für Sie systemisch Arbeiten?

2. Wo sind Sie zum ersten Mal mit „systemisch Arbeiten“ in Berührung gekommen?

3. Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?

4. Gibt es ein oder mehrere Tools, die Sie, um systemisch zu arbeiten, gerne anwenden?

5. Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im Einzelcoaching?

Welche und warum?

6. Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?

7. Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten, und warum?

Die Antworten

Herr Mag. Udo Geske aus Hamburg, Studium Psychologie, Personal- und Organisationsentwickler, Coach

Frage 1: Was bedeutet für Sie systemisch arbeiten?

„Systemisches Arbeiten, im Coaching Setting, heißt für mich eine bestimmte Herangehensweise an ein Thema und eine

Frage. Also nicht nur das Symptom zu betrachten und zu verändern, sondern auch die ganze Wechselwirkung und das

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Umfeld mit einzubeziehen, Vorgeschichte, usw. ...“

Frage 2: Wo sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?

„Im Grunde im Beratungskontext mit verschiedenen systemischen Fragen. Aber auch schon als Trainer bei der NLP

Ausbildung, Anfang der 90er Jahre. Da ging es um das Thema, wer hat denn einen Nutzen davon, wenn das Problem

weiter besteht. Wie gesagt, in der Beratung, meist dann durch Vorgesetzte und Kollegen, die systemische Ausbildungen

hatten und dadurch systemisches Arbeiten verlangt wurde. Das prägt den eigenen Coaching Stil, auch wenn ich selbst

keine systemische Ausbildung habe.“

Frage 3: Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?

Indem ich mir immer wieder diese Fragen (bezogen auf das System des Coachees) stelle, auch zwischen Sitzungen.

Ich habe gerade einen Teilnehmer, der seit 8 Jahren arbeitslos ist, ein intelligenter und engagierter Mann. Da stelle ich

mir dann schon so Fragen im Sinne von a) was hat er für Nutzen daraus, dass er keine Arbeit hat, oder b) wovor schützt

ihn auch diese Arbeitslosigkeit?“

Da es ja eigentlich nicht nachvollziehbar ist, dass ein normaler, durchschnittlicher, intelligenter, netter, engagierter Mann

keine Stelle findet. Dafür muss es ja irgendeinen Grund geben.

Entweder sucht er an der falschen Stelle, nach dem falschen Job. Was aber gar nicht zu ihm passt. Oder aber, es gibt

irgendein Thema in seinem Leben, würde er wieder arbeiten, würde er wieder damit konfrontiert oder in Berührung

kommen.

Deshalb ist es dann wieder für ihn gut, wenn er keine Stelle findet, so wie Freud sagt, der sogenannte sekundäre Krank-

heitsgewinn, keinen Job zu finden.

Dadurch wird dieses Thema ausgespart und er kommt mit diesem Thema nicht in Berührung, was auch immer das

Thema ist.“

Frage 4: Gibt es ein, oder mehrere Tools, die sie, um systemisch zu arbeiten, gerne an wenden?

„In erster Linie sind es die Fragen und meine Ideen zwischen den Sitzungen.

Oft bin ich im direkten Kontakt mit dem Coachee gar nicht so spontan und kreativ. Sondern in dem Moment, wo der Klient

gegangen ist, kommen mir verstärkt genau diese systemischen Fragen.

Ich habe dann auch Ideen und weitere Hypothesen, denen ich dann nachgehe.

Was ich ganz gerne mache, sind, Sachen aufmalen lassen oder aufschreiben. Zum Beispiel ein Soziogramm oder eine

Bilanz von Vor- und Nachteilen. Wobei ich gar nicht sicher bin, ob das im engeren Zusammenhang systemische Tools

sind. Wie gesagt, wenn dann Zeichnen, Visualisieren und in erster Linie die Fragen.“

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Frage 5: Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im

Einzelcoaching? Welche und warum?

„Ich würde das umgekehrt sehen. Der Coachee kennt meist die Fragen und könnte sie sich ja selbst stellen.

Aber in einem unerwarteten Moment, gefragt von meinem Gegenüber, können diese Fragen sehr heilsam sein.

Ich glaube, es braucht eine gewisse Offenheit des Coachees, sein Problem wirklich zu lösen oder auch andere Stand-

punkte einzunehmen.

Der Coachee könnte sonst die Fragen als albern, Zeit vertun oder Hokuspokus abtun. Es erfordert ein Gegenüber, das

eine gewisse Offenheit hat, auch so ein bisschen quer und vernetzt zu denken und auch eine gewisse Distanz zu dem

Problem einzunehmen.

Kann der Klient das nicht, glaube ich, kommt als Antwort: „Ich weiß nicht.“

Erst, wenn ich Nachdenken und Antworten auslöse, beginnen die Fragen zu arbeiten.“

Frage 6: Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?

„Also, ich würde erstmals sagen, ich habe keine druckfertige Antwort.

Die erste Frage wäre, was ist der Unterschied zwischen Therapie und Coaching?

Coaching lässt für mich dem Gegenüber noch eine gewisse Lösungskompetenz und wird dort vom Coach unterstützt.

Ziel ist letztendlich ein sehr stark lösungsorientiertes Arbeiten.

Therapie hat vor allem auch etwas zu tun mit Vergangenheitsaufarbeitung, also auch ein Stück in den Spiegel rückwärts

schauen. Wie war das denn früher und seit wann kenne ich dieses Thema?

In bestimmten Therapieformen gibt es ja auch einen sehr starken Kontakt zwischen Klienten und Therapeuten.

Zum Beispiel während meiner Lehrausbildung habe ich viele Jahre eine Gesprächstherapie gemacht. Nach einigen Jah-

ren habe ich bei einer Sitzung zu meiner Therapeutin gesagt: „Heute habe ich gar kein Thema mitgebracht.“ Darauf

antwortet sie: “Das ist ja wunderbar, dann können wir genau das bearbeiten, was zwischen uns ist.“

Als Coachee hab ich ein Anliegen, zum Beispiel: Wie kann ich meine Rolle als Führungskraft besser ausfüllen und

effizienter arbeiten oder wie kann ich den Konflikt mit meinen Mitarbeitern lösen, oder auch Zielarbeit, das ist ja sehr

pragmatisch.

In der Therapie geht es sehr viel tiefer. Das kann auch heißen, dass ich manchmal sehr ratlos bin oder auch durch eine

stärkere Krise gehe, wenn ich in der Vergangenheit wühle.

Coaching soll ja Arbeitsweise und Wohlbefinden stärken.

Ich glaube, dass die systemischen Fragen in der Therapie sowohl als auch im Coaching vorkommen, die Unterschiede

liegen eher im Ziel der Arbeit, die sich dann aus den Fragen und Antworten ergeben.“

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Frage 7: Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten, und warum?

„Ich würde sagen, da wo es dem Coachee verwirrt oder ratlos zurück lässt und man das Thema nicht auflösen kann.

Wenn alles von Wertschätzung und Empathie getragen ist, sehe ich im Moment keine Grenzen.

Die Systemische Arbeit ist ja immer von Hypothesen und Werten geleitet. Als Coach sollte ich immer offen bleiben. Mir

die Möglichkeit einräumen, dass ich ganz falsch liege und die Lösung ganz anders aussieht als ich vermute.“

Frau Mag. Daniela Pichler aus Kärnten, Sozialpädagogin, Trainerin und Coach

Frage 1: Was bedeutet für Sie systemisch arbeiten?

„Da wir alle in Strukturen drinnen sind, gilt für mich, vor allem in Gesprächen, zu schauen, in welchen Strukturen und

Systemen sich der Coachee befindet. Weiters auch sein Umfeld miteinzubeziehen, die Leute, die in diesem, seinem

Systems drinnen sind, und wie diese in Beziehung zueinander stehen.

Ich frage mich dann: Was kann der Klient verändern? Was bewirkt diese Veränderung im System?

Diese Verbindungen und Verknüpfungen aufzudecken, sichtbar zu machen, bedeutet für mich systemisch arbeiten.“

Frage 2: Wo sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?

„Zum ersten Mal habe ich davon in der Kindergartenpädagogik gehört. Später dann bewusster während des Psycholo-

giestudiums (3 Semester) und auch durch Familienaufstellungen nach Hellinger.“

Frage 3: Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?

„Ich lasse oft aufzeichnen, um das System, wo und wie der Klient steht, anschaulich zu machen.

Der Teilnehmer zeichnet dann ein, wo er steht oder wo er hin will. Ich interpretiere mit ihm seine Zeichnung: Sie sind da,

es geht da hin.“

Frage 4: Gibt es ein, oder mehrere Tools, die Sie, um systemisch zu arbeiten, gerne anwenden?

„Mit Karten, drauf stellen, einfühlen lassen, Aufstellungsarbeit, Zielarbeit, reingehen lassen, was hier in diesem Rahmen

möglich ist und auch mit dem Systembrett.“

Frage 5: Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im

Einzelcoaching? Welche und warum?

„Vielleicht, dass man den Blickwinkel nur zu sehr auf das System richtet und dadurch Dinge im System vergisst.“

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Frage 6: Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?

„Oft vermischt sich natürlich diese Grenze.

Therapie ist meist langfristiger, es geht oft um tiefe Veränderungen und Traumata.

Coaching geht für mich auch in die Tiefe, aber in einer anderen Intensität. Somit gibt es für mich sehr wohl Grenzen

zwischen Coaching und Therapie.

Zum Beispiel, ein Teilnehmer ist depressiv und kommt zum Coach mit dem Thema, einen Job zu finden. Dann kann ich

mit ihm, unter Berücksichtigung seiner Depression, arbeiten.

Ich kann dann, wenn notwendig, klar darüber kommunizieren, dass mir das zum Beispiel auffällt ...

Für mich wäre eine Grenze, wenn der Klient kommt und die Depression behandeln möchte.

Hier würde ich auf eine Therapie verweisen. Für mich kommt es auf das Thema des Coachees an und auf die Heftigkeit.“

Frage 7: Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten, und warum?

„Oft ist es notwendig, Themen in der Therapie vor dem Coaching zu lösen, um effektiv im Coaching zu arbeiten.

Zum Beispiel, wenn es Themen sind, die den Klienten so beschäftigen, dass es gar nicht möglich ist, einen Job zu

suchen oder zu finden und somit das definierte Coaching Ziel nicht erreicht werden kann. Dann rate ich, dieses Thema

eventuell zuerst in einer Therapie zu lösen.

Würdest Du den Klienten dann eher zur Therapie verweisen, wenn sich das so darstellt?

Kommt auf das Thema darauf an, zum Beispiel bei Schizophrenie, schwerer Depression und Traumata auf jeden Fall.

Im Coaching mache ich dann bewusst darauf aufmerksam. Zum Beispiel sage ich: „Es ergibt sich gerade jetzt dieses

Thema, ist das für Sie eine Möglichkeit, an dem jetzt zu arbeiten und das Coaching Ziel neu festzulegen?“

Herr Mag. Johannes Hollerer aus Wiener Neustadt, Wirtschaftsstudium, Unternehmens- und Personalberater, Coach

Frage 1: Was bedeutet für Sie systemisch arbeiten?

„Der Teilnehmer selbst trägt die Lösung für sein Anliegen in sich.

Die Aufgabe des Coachs ist, ihm die Möglichkeiten aufzuzeigen, die er hat. Meist ist das Wissen oder die Situation des

Klienten so, dass er sich in irgendeiner Weise eingeschränkt sieht und meint, nicht selbst das Thema lösen zu können.“

Frage 2: Wo sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?

„Während meines Studiums, ich habe ein Praktikum in einer Unternehmensberatung gemacht, wo es um systemische

Beratung insgesamt ging und auch um systemisches Coaching.“

Frage 3: Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?

„Ich sehe den Vorteil des systemischen Coachings in der Hilfestellung für den Klienten, ihm Sichtweisen seines Systems

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aufzuzeigen. Dadurch hilft man dem Klienten zu reflektieren und gibt im gleichzeitig die Möglichkeit, sich auch in andere

Richtungen zu öffnen.“

Frage 4: Gibt es ein, oder mehrere Tools, die Sie, um systemisch zu arbeiten, gerne anwenden?

„Sicherlich gehört hier die Wunderfrage dazu, die ich gerne stelle.

Aber auch Fragen wie: Warum glauben Sie, ist diese Situation so? Warum glauben Sie, gibt es keine andere Möglichkeit?

Ich verwende hauptsächlich Fragetechniken, vor allem zirkuläre Fragen.“

Frage 5: Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im

Einzelcoaching? Welche und warum?

„So richtig wahrgenommen habe ich Stolpersteine noch nicht, da ich immer versuche, auf das Klientensystem einzu-

gehen.

Wenn ich merke, das Gespräch läuft nicht so, wie es sich der Klient vorstellt oder ich es gerne hätte, versuche ich, ihm

neue Wege zu eröffnen. Das heißt, ich versuche, dem Klienten durch Fragen ganz neue Möglichkeiten aufzuzeigen. In

diesem Sinn habe ich noch keinen richtigen Stolperstein erlebt.“

Frage 6: Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?

„Natürlich ist die Trennung oft sehr schwer möglich. Es liegt in der Entscheidung des Klienten, ob er zum Therapeuten

oder zum Coach geht. Das ist auch der Vorteil des Coaches, wenn der Klient sich für ihn entscheidet, die Freiwilligkeit

ist hier auch ganz wichtig.“

Frage 7: Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten, und warum?

„Ich sehe keine Grenzen in dem Sinne, es ist ein Gespräch von Mensch zu Mensch, auf selber Ebene, indem man ver-

sucht, dem anderen neue Blickwinkel zu eröffnen.

Wenn es Grenzen gäbe, wäre es nicht systemisch. Wobei systemisch ja mit Grenzen, Boundaries, gekennzeichnet ist.

Diese Grenzen liegen für mich immer im persönlichen Kontext, vor allem auch im System des Klienten.

Ich denke, wo es Grenzen gibt, dort schweigt oft der Klient.

Würdest Du da dann nachfragen, einhaken?

Das liegt im System des Coachs, wo er sich selbst eingesteht, da kann ich nicht weiter, ist mir zu viel, da habe ich selbst

keine Kompetenz, den Klienten zu einer Lösung zu führen.

Oder der Klient selbst entscheidet, an diesem Punkt nicht weiterzugehen.

Die Grenzen ergeben sich im laufenden Interaktionsakt, wenn einer der beiden, Klient oder Coach, keine Lösungen sieht.“

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Frau Mag. Silvia Kosanova aus der Slowakei, Studium Pädagogik und Erziehungswissenschaften,

arbeitet seit 2006 in Österreich als Coach und Berufsorientierungstrainerin

Frage 1: Was bedeutet für Sie systemisch Arbeiten?

„Jeder Mensch hat im Kopf ein System und lebt auch in einem System.

In meiner Arbeit bedeutet das, dass für mich von großem Interesse ist, in welcher Umgebung lebt mein Klient und welche

Motive hat er, also, wie sieht sein System aus.

Wenn meine Aufgabe ist, ihm bei der Jobsuche zu helfen, dann kläre ich mit ihm seine Vorstellungen. Was wollte er als

Kind sein, was wollte er später sein, was will er jetzt sein?

Je nach Situation des Klienten und unter Einbeziehung seiner Visionen, die er gerade hat, suchen wir gemeinsam nach

Lösungen und Möglichkeiten.

Zum System gehören seine Familie und die Gesellschaft, die ihn umgibt. Es gilt, Lösungen zu finden, die in das System

passen (Job), oder das System entsprechend zu ändern.“

Frage 2: Wo sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?

„Intuitiv schon vor meiner Ausbildung, da ich mir selbst schon immer systemische Fragen gestellt habe. Auch wusste ich

schon aus eigener Erfahrung, dass das System (Umfeld) eine wichtige Rolle für Entscheidungen spielt.

Zum Beispiel, in Bezug auf den Beruf müssen Menschen oft mit ihren eigenen Zielen warten, wenn es für das Famili-

ensystem im Moment besser ist. Diese Erkenntnis versuche ich den Teilnehmern zu zeigen, manche wissen das schon,

dass die Entscheidung für die Jobauswahl an das System und ihr Umfeld gebunden ist.

In meinem Studium und bei der Coaching Ausbildung hat sich mein systemisches Wissen vertieft.“

Frage 3: Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?

„Mit Fragetechniken, die auf das System schauen.“

Frage 4: Gibt es ein oder mehrere Tools, die Sie, um systemisch zu arbeiten, gerne anwenden?

„Ich lasse die Klienten gerne ihr System aufzeichnen. Durch das Bild können Themen sichtbar gemacht werden. Ich

verwende auch Stifte oder andere kleine Gegenstände und analysiere dann mit dem Klienten, was er sieht und spürt.“

Frage 5: Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im

Einzelcoaching? Welche und warum?

„Nein, absolut nicht, mich interessiert jetzt die Lage und welche Schritte wollen die Klienten jetzt gehen.“

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Frage 6: Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?

„Wenn ich merke, es geht tiefer, frage ich den Klienten, ob er Empfehlungen für Therapeuten von mir haben möchte und

gebe dann Adressen weiter.

Manche Klienten nehmen dieses Angebot dankend an, manche nicht, die Entscheidung liegt beim Klienten.“

Frage 7: Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten, und warum?

„Ja, es gibt sicher Grenzen für mich. Zum Beispiel, wenn der Klient nicht weitergehen will und im Leid verharren möchte.

Dann sage ich Stopp, die Situation ist so, zwar schlimm, natürlich mit viel Empathie, verbleibe aber nicht mit ihm im

Leid, sondern unterstütze bei der Suche nach Lösungen.“

Herr Dr. Peter Taucher aus Wien, Studium der Physiologie, Kommunikationstrainer und Coach

Frage 1: Was bedeutet für Sie systemisch Arbeiten?

„Grundsätzlich habe ich in meiner Coaching Ausbildung vor allem die Methoden nach Werner Vogelauer kennengelernt

und mich im Coaching Setting danach orientiert.

Für mich bedeutet systemisches Coaching nicht nur, einen Blickwinkel zu haben und das Problem anzusehen, sondern

das Betrachten des Themas von verschiedenen Seiten und dementsprechend dann Fragen zu stellen.“

Frage 2: Wo sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?

„Durch Literatur von De Shazer Steve.“

Frage 3: Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?

„Ich arbeite systemisch, aber nicht bewusst.

Wenn ich das Gefühl habe, dass der Klient sich festläuft, lade ich ihn ein, meist intuitiv, das Thema von einer anderen

Seite zu betrachten.“

Frage 4: Gibt es ein, oder mehrere Tools, die Sie, um systemisch zu arbeiten, gerne verwenden?

„Nicht bewusst, natürlich mit Fragen und sehr gerne mit der Wunderfrage.“

Frage 5: Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im Ein-

zelcoaching? Welche und warum?

„Könnte sein, wie bei allen Methoden, dass die Methode so im Vordergrund steht und man den Menschen daneben

vergisst. Zum Beispiel, vergesse wirklich zuzuhören.“

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Frage 6: Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?

„Das Coaching geht nur bis zu einer „gewissen Tiefe“, es werden eher leicht lösbare Probleme behandelt.

Die Grenze selbst ist für mich der Klient. Will der Klient an einem bestimmten Thema noch weiter gehen oder wird es

ihm unangenehm. Danach orientiere ich mich.

Wenn der Coachee tiefer gehen möchte, frage ich seine Befindlichkeit ab und setze ein neues Coaching Ziel mit ihm fest.

Bei Themen, die nicht in einem Coaching Setting (1-5 Termine) zu lösen sind, verweise ich auf einen Therapeuten.“

Frage 7: Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten und warum?

„Grenzen im Coaching Setting gibt es, die Frage ist: Was kann durch das Coaching überhaupt erreicht und bewirkt

werden?

Der Coach meint oft, zu den wesentlichen Schritten, die sein Klient macht, vieles beizutragen.

Ein Mensch macht Veränderungen von sich aus.

Coaching kann einen kleinen Ansporn dazu geben. Ich vermute, wenn der Klient zum Coach kommt, dann hat er schon

diesen kleinen Ansporn in sich, den Willen, etwas zu verändern. Der Coach kann dann kleine Impulse geben und Rich-

tungen aufzeigen.

Grenze für mich ist, dass ich als Coach nicht genau abschätzen kann, ob das Coaching nachhaltig fruchtbar war und ob

ich wirklich mit meinen Interventionen zur Veränderung beitragen konnte.“

Herr Mag. Sven Kreble aus Süddeutschland, Krankenpfleger, Studium Psychologie, Systemischer Berater, Verkehrs-

psychologe, Coach

Frage 1: Was bedeutet für Sie systemisch arbeiten?

„In erster Linie bedeutet systemisch arbeiten für mich, dass jeder Mensch sein eigener Experte ist. Ich, als Berater und

Coach, kann entsprechend meiner Sichtweise, durch Fragestellungen, Hilfestellungen geben.

Durch diese Fragen kann der Klient ins Nachdenken kommen. Dadurch können Entwicklungskapazitäten erschlossen

werden, Potential aufgedeckt werden und bestimmte unbewusste Prozesse in Gang gebracht werden.“

Frage 2: Wo sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?

„Während des Studiums.“

Frage 3: Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?

„Ich arbeite immer auf Blickebene mit dem Klienten. Ich mache anfangs eine Erwartungsrunde, gleiche ab und setze dann

mit dem Klienten ein Ziel fest.

Frage dann ganz gezielt, was sich nach dem Coaching bei ihm verändern wird und was generell anders sein wird.“

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Frage 4: Gibt es ein oder mehrere Tools, die Sie, um systemisch zu arbeiten, gerne anwenden?

„Versuche immer, die eigenen Anteile aufzuzeigen.

Wenn ich merke, dass der Klient beim Reflektieren über sich selbst Probleme hat. Dann gehe ich zirkulär vor.

Weiß aus meiner Erfahrung, wenn Menschen Schwierigkeiten haben, sich selbst zu beschreiben, können sie aber

dennoch beschreiben, wie andere sie sehen.“

Frage 5: Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im

Einzelcoaching? Welche und warum?

„Kann ich so nicht sagen. Ich gehe auch sehr gerne methodisch vor, bin ausgestattet mit dem Methodenkoffer und denke,

man kann damit langfristig gute Ziele erreichen.“

Frage 6: Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?

„Es gibt für mich keine Grenzen im Coaching.

Ich denke, ob Therapie oder Coaching, man versucht, Prozesse auszulösen, die sich dann im Verhalten des Klienten

nachhaltig widerspiegeln.

Mein Klient bestimmt, was ihm wichtig ist, insofern, wenn ihm dieses Thema wichtig ist, dann wird es Thema im Coa-

ching sein.“

Frage 7: Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten, und warum?

„Die Grenzen, die mein Klient setzt, sind für mich Grenzen.

Ich selbst setze mir keine Grenzen im Coaching, wann immer mir etwas auffällt, das mir für den Klienten wichtig

erscheint, teile ich ihm dies mit.“

Das Resümee

Zweck der Befragung war es, dem Begriff „systemisches Arbeiten “ im Einzelcoaching Setting nachzugehen.

Herangezogen wurden die systemischen Theoriegrundlagen nach Sonja Radatz. Diese wurden mit den Aussagen der

freien, qualitativen Interviews in Vergleich gesetzt.

Aufgrund der Inhaltsanalyse wurden folgende Hypothesen von den Praktikern angesprochen:

- „Menschen entstehen im System“ – sie bilden von der ersten Minute der Zeugung an Systeme und verhalten

sich in verschiedenen Systemen völlig unterschiedlich. 1

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Alle sechs Interviewpartner bestätigten die Annahme, dass der Mensch in Systemen lebt und sich dementsprechend

verhält. Deshalb ist es unerlässlich, das „System“ des Coachees in das Coaching miteinzubeziehen.

„… also nicht nur das Symptom zu betrachten und zu verändern, sondern auch die ganze Wechselwirkung und das

Umfeld mit einzubeziehen, Vorgeschichte …“

„... zu schauen, in welchen Strukturen und Systemen sich der Coachee befindet. Weiters auch sein Umfeld miteinzube-

ziehen, die Leute, die in diesem seinem Systems drinnen sind und wie diese in Beziehung zueinander stehen.“

„Jeder Mensch hat im Kopf ein System und lebt auch in einem System.“

„In meiner Arbeit bedeutet das, dass für mich von großem Interesse ist, in welcher Umgebung lebt mein Klient und wel-

che Motive hat er, also, wie sieht sein System aus.“

„Zum System gehören seine Familie und die Gesellschaft, die ihn umgibt. Es gilt, Lösungen zu finden, die in das System

passen (Job), oder das System entsprechend zu ändern.“

„Zum Beispiel, in Bezug auf den Beruf müssen Menschen oft mit ihren eigenen Zielen warten, wenn es für das Famili-

ensystem im Moment besser ist. Diese Erkenntnis versuche ich den Teilnehmern zu zeigen, manche wissen das schon,

dass die Entscheidung für die Jobauswahl an das System und ihr Umfeld gebunden ist.“

- „Menschen denken in ihren ureigenen Mustern“ – als Coaches unterstützen wir dabei,

weniger hilfreiche Denkmuster beim Kunden zu unterbrechen bzw. neue zu finden. 1

Vier der Befragten gaben bekannt, dass es ihre Intention ist, die Denkmuster des Coachees im Setting zu unterbrechen,

um die Möglichkeit zu geben, „Neues“ zu entdecken.

„Der Coachee kennt meist die Fragen und könnte sie sich ja selbst stellen. Aber in einem unerwarteten Moment, gefragt

von meinem Gegenüber, können diese Fragen sehr heilsam sein…“

„Ich sehe den Vorteil des systemischen Coachings in der Hilfestellung für den Klienten, ihm Sichtweisen seines Systems

aufzuzeigen. Dadurch hilft man dem Klienten, zu reflektieren und gibt im gleichzeitig die Möglichkeit, sich auch in andere

Richtungen zu öffnen ...“

„Wenn ich das Gefühl habe, dass der Klient sich festläuft, lade ich ihn ein, meist intuitiv, das Thema von einer anderen

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Seite zu betrachten.“

„Ich, als Berater und Coach, kann entsprechend meiner Sichtweise, durch Fragestellungen, Hilfestellungen geben. Durch

diese Fragen kann der Klient ins Nachdenken kommen. Dadurch können Entwicklungskapazitäten erschlossen werden,

Potential aufgedeckt werden und bestimmte unbewusste Prozesse in Gang gebracht werden.“

- „Systemisch denken heißt zirkulär denken“ – alles hat wechselseitig Einfluss aufeinander.

Es gibt daher keine eindeutigen „Ursachen“ oder „Schuldigen“, sondern nur Beteiligungen

von unterschiedlicher Art und Ausmaß. 2

Vier Coaches sagten aus, dass zirkuläres Denken im Coaching unerlässlich ist und dass sie häufig zirkuläre Fragen

stellen.

„Ich verwende hauptsächlich Fragetechniken, vor allem zirkuläre Fragen.“

„Für mich bedeutet systemisches Coaching nicht nur, einen Blickwinkel zu haben und das Problem anzusehen, sondern

das Betrachten des Themas von verschiedenen Seiten und dementsprechend dann Fragen zu stellen.“

„Versuche immer, die eigenen Anteile aufzuzeigen.“

„Wenn ich merke, dass der Klient beim Reflektieren über sich selbst Probleme hat, dann gehe ich zirkulär vor.“

- „Problemlösungen können durch hilfreiche Verstörung von außen angeregt werden“ – wir

übernehmen als Coach stets die Verantwortung für die Intensität und Art der Verstörung. 3

Vier der Praktiker gaben bekannt, dass paradoxe Interventionen oft das Denken des Coachees maßgeblich verändern. Die

Verantwortung über den Coaching Prozess obliegt aber stets dem Coach.

„Meist ist das Wissen oder die Situation des Klienten so, dass er sich in irgendeiner Weise eingeschränkt sieht und

meint, nicht selbst das Thema lösen zu können.“

„Wenn ich merke, das Gespräch läuft nicht so, wie es sich der Klient vorstellt oder ich es gerne hätte, versuche ich ihm

neue Wege zu eröffnen. Das heißt, ich versuche, dem Klienten durch Fragen ganz neue Möglichkeiten aufzuzeigen.“

„Die Grenze selbst ist für mich der Klient. Will der Klient an einem bestimmten Thema noch weitergehen oder wird es ihm

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unangenehm. Danach orientiere ich mich.“

„ ... man versucht, Prozesse auszulösen, die sich dann im Verhalten des Klienten nachhaltig widerspiegeln.“

- „Systemische Arbeit bedeutet Prozessarbeit “ – der Kunde bleibt Experte für die Inhalte

(Problem- und Lösungswelt), während der Coach für die Gestaltung des Prozesses

verantwortlich ist. 1

Alle sechs Interviewpartner bestätigten, dass der Coachee der Experte und die oberste Instanz für die Lösung seines

Problems ist. Die Grenze bestimmt und setzt der Coachee selbst.

„Die Systemische Arbeit ist ja immer von Hypothesen und Werten geleitet. Als Coach sollte ich immer offenbleiben. Mir

die Möglichkeit einräumen, dass ich ganz falsch liege und die Lösung ganz anders aussieht, als ich vermute.“

„Der Teilnehmer selbst trägt die Lösung für sein Anliegen in sich.“

„Die Grenzen ergeben sich im laufenden Interaktionsakt, wenn einer der beiden, Klient oder Coach keine Lösungen sieht.“

„… unterstütze bei der Suche nach Lösungen.“

„Wenn der Coachee tiefer gehen möchte, frage ich seine Befindlichkeit ab und setze ein neues Coaching Ziel mit ihm

fest.“

„Der Coach kann dann kleine Impulse geben und Richtungen aufzeigen. „

„In erster Linie, bedeutet systemisch arbeiten für mich, dass jeder Mensch sein eigener Experte ist.“

Das Systemische Coaching geht davon aus, dass wir Menschen ein Teil eines, beziehungsweise mehrerer Systeme sind:

zum Beispiel der Familie, der Firma, in der wir arbeiten, dem Verein, in dem wir tätig sind, der Stadt, in der wir leben,

oder größer: der Welt, des Universums.

Wichtig also: die Einbeziehung von Mikro- (innere Situation des Klienten) und Makro-System (Interaktionen des Klien-

ten mit anderen).

Durch das System entstehen Prägungen durch gegenseitige Beeinflussungen.

Überzeugungen und Muster entstehen sehr früh während der Sozialisierung des Menschen. Systemisch bedeutet daher

auch für mich, respektvoll mit Menschen umzugehen (ich kenne ja ihr System nicht), neugierig zu sein auf die Vielfalt

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und Widersprüchlichkeit von Menschen und sozialen Systemen – von der Richtigkeit der jeweils eigenen Erfahrungen

überzeugt zu sein (jedes System handelt zum eigenen Vorteil). Systemisch heißt vor allem auch ganzheitlich.

So, wie der Coachee in seinem System lebt und damit betrachtet wird, so arbeitet auch der Coach aus seinem „System“

heraus. Er wird nach seinem System Hypothesen erstellen und Interventionen setzen.

1) 2) 3) 4) Radatz 2006, S. 78

Die Literatur

Radatz, Sonja (2006). Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Pra-

xishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten.

Wien: ISCT.

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Lösungsorientierte Kurzzeittherapie nach Insoo Kim Berg und Steve de ShazerMag. Michael Quas

A brief summery

„Mensch sein heißt immer, immer auch anders werden zu können.“ (Viktor E. Frankl)

Die lösungsorientierte Kurzzeittherapie, englisch Solution-Focused Brief Therapy, kurz SFBT, wurde in über 30 Jahren

von Insoo Kim Berg und Steve de Shazer entwickelt, mit den Jahren immer wieder konsequent hinterfragt und verfeinert.

Wurzeln für diesen therapeutischen Ansatz finden sich sowohl in Arbeiten des Mental Research Institute in Palo Alto,

Kalifornien, in den systemtheoretischen Familientherapien der 1950er und 1960er Jahre, in der Philosophie von Ludwig

Wittgenstein, dem Werk von Milton H. Erickson, der Kommunikationsforschung wie auch in der buddhistischen Lehre.1

Ausgangspunkt waren die Arbeiten am Brief Family Therapy Center in Milwaukee, Wisconsin. Insoo Kim Berg und Steve

de Shazer arbeiteten an diesem Institut seit 1978 gemeinsam mit einer Vielzahl an Kollegen an einem Therapiekonzept,

das einzig und allein darauf abzielt, dass „der Klient seine eigene Lösung konstruiert, die auf seinen eigenen Ressourcen

und Erfolgen basiert“ (Steve de Shazer,). 2

Somit zielt diese spezielle Art der Gesprächstherapie darauf ab, dass es hilfreicher und zielführender ist, sich auf Wün-

sche, Ziele und Ressourcen zu konzentrieren, anstatt auf Probleme und deren Entstehung.

„Problem talk creates problems. Solution talk creates solutions“3, so einfach fasste de Shazer dieses Prinzip in seiner

kurzen und prägnanten Ausdrucksweise zusammen.

Der Focus liegt somit einzig und allein im Finden von Lösungen und in der Annahme, dass jeder Mensch Experte für

sein eigenes Leben ist. Nicht Defizite und Probleme stehen im Vordergrund, sondern die Belebung und Stärkung bereits

bestehender Ressourcen und Muster, die sich bereits in der Vergangenheit als hilfreich erwiesen haben.

Der Haltung des Therapeuten als „nicht Wissender“4 kommt damit eine besondere Bedeutung zu. Er verweigert es in der

Regel, Interpretationen anzustellen, gibt fast nie Urteile über den Klienten ab und sieht die Interviewsituation als demo-

kratisch geführten Prozess, in dem er den Klienten auf behutsame Weise darauf hinweist, über verschiedene Richtungen

nachzudenken. Somit kommt dem Therapeuten die Aufgabe zu, Optionen zu erweitern und nicht einzuschränken. Die

Einstellung des Therapeuten verlangt während des gesamten Prozesses eine positive, kollegiale und auf die Lösung

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konzentrierte Einstellung.

De Shazer vertrat konsequent die Meinung, dass so wenig Sitzungen wie möglich zur Lösung führen sollten. Bezüglich

der Anzahl legten er und sein Team sich nicht fest, sondern folgten dem Grundsatz: so wenig wie möglich.

“Ich kann nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber so viel kann ich sagen: es muss anders werden,

wenn es besser werden soll.” (G.C. Lichtenberg)

Dieses Zitat beschreibt eindrucksvoll, dass Lösungen einzig und allein durch Veränderung erreicht werden können. In der

SFBT wird dieses Prinzip konsequent dahin gehend umgesetzt, dass der Therapeut jedem seiner Klienten die Fähigkeit,

die Stärke und den unabdingbaren Willen zubilligt, Veränderung aus eigener Kraft und Erfahrung zustande zu bringen.

Zentral am lösungsfokussierten Ansatz ist das Bekenntnis zur „Einfachheit“ („Simplicity“), aus dem de Shazer klare

Lehrsätze ableitete:

Was nicht kaputt ist, muss man auch nicht reparieren

„If it ain`t broke, don`t fix it!“5 ( Steve de Shazer)

Diese These ist die wohl elementarste Lehrmeinung innerhalb der SFBT. Wo kein Problem vorliegt, soll es unter keinen

Umständen eine Therapie geben. Was simpel klingt, wird in diversen anderen Therapierichtungen nicht immer akzeptiert.

Es geht niemals darum, den Focus auf Defizite des Klienten zu richten oder geschweige denn darum, weitere Defizite

aufzudecken. Sobald der Klient für sich entschieden hat, dass kein Problem vorliegt, akzeptiert der Therapeut dies bedin-

gungslos und klammert seine eigene Wahrnehmung, Hypothesen und Urteile aus.

Das was funktioniert, sollte man häufiger tun6

„Uns macht aus, was wir beständig tun. Vortrefflichkeit ist keine Handlung, sondern eine Angewohnheit.“ (Aristoteles)

Bei der Beurteilung der Lösung seitens des Therapeuten steht nur die Effizienz im Vordergrund, nicht aber die Qualität.

Der Klient soll motiviert werden, all das zu wiederholen, was schon funktioniert hat, selbst wenn es nur einziges Mal der

Fall war. Gewünschte Veränderungen erfahren damit eine Verfestigung im Leben des Klienten. Der Therapeut ermutigt,

Erfolge zu wiederholen und steuert so gemeinsam mit dem Klienten immer konkreter auf die Lösung zu.

Wenn etwas nicht funktioniert, sollte man etwas anderes probieren7

“Zwei Wege boten sich mir dar; ich nahm den, der weniger betreten war. Das veränderte mein Leben.“ (Henry D. Thoreau)

Lösungen, die noch so plausibel erscheinen mögen, aber nicht funktionieren, sind keine Lösungen! Diese können nur

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dadurch gefunden werden, indem neue Wege gegangen werden und der Mut aufgebracht wird, das Neue auszuprobieren.

Es liegt am Therapeuten, seinen Klienten stark genug zu machen, diese Reise anzutreten und auf seinem Weg mit immer

neuen Experimenten und Denkanstößen zu begleiten.

Kleine Schritte können zu großen Veränderungen führen8

„Visionen sind wie Fixsterne. Unerreichbar, doch erleichtern sie die Orientierung.“

(Unbekannte Quelle)

Für viele Menschen ist es oft kaum vorstellbar, Veränderung in ihrer Gesamtheit zu begreifen. Einfacher und hilfreicher in

diesem Prozess ist die minimalistische Vorgehensweise der SFBT, bei der an der Lösung in kleinen, nachvollziehbaren

Schritten gearbeitet wird. Jede noch so kleine Veränderung bewirkt die nächste und führt somit zwangsläufig zu einem

komplett neu aufgesetzten System, in dem sich der Klient langsam, aber dafür nachhaltig, zurechtfinden kann.

Die Lösung hängt nicht zwangsläufig mit dem Problem direkt zusammen9

„Verstehen kann man das Leben oft nur rückwärts, doch leben muss man es vorwärts.“ (Sören Kierkegaard)

Ein weiterer essentieller Unterschied zu anderen Therapieformen ist, dass der Ausgangspunkt in der SFBT immer der ist,

dass der Klient dem Therapeuten anfangs schildert, was anders wäre, wenn das bestehende Problem gelöst ist. Das Ziel

wird damit in Folge rückwärts aufgerollt, mit dem klaren Blick auf die Momente und Zeiten, in denen die erhoffte Lösung

oder Teile davon bereits manifest waren. Der Focus liegt somit auf der Gegenwart und der Zukunft und nicht im Ursprung

des Problems oder der damit verbundenen Vergangenheit.

Die Sprache der Lösungsentwicklung ist eine andere als die, die zur Problembeschreibung notwendig

ist10

„Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.“ (Ludwig Wittgenstein)

Die sprachliche Beschreibung von Problemen ist immer vergangenheitsorientiert, negativ gefärbt und prolongiert somit

zumeist das Problem. Ganz anders verhält es sich mit der lösungsorientierten Sprache, die sich voll Erwartung und Neu-

gierde auf die Zukunft bezieht, positiv gefärbt ist und somit auch die Relevanz von Problemen verkleinert.

Kein Problem besteht ohne Unterlass; es gibt immer Ausnahmen, die genutzt werden können11

„Ausnahmen sind nicht immer die Bestätigung der alten Regel. Sie können auch Vorboten einer neuen Regel sein.“

(Marie von Ebner-Eschenbach)

Die SFBT geht von dem Grundsatz aus, dass jeder Mensch in seinem Problem immer wieder Ausnahmen erlebt. Diese

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positiven Erfahrungen und die damit verbundenen Unterschiede werden genützt, um einen Wandel im Verhalten zu erzie-

len und der Lösung Schritt für Schritt

näherzukommen. Die Ausnahmen sind somit der Beweis, dass Veränderung bereits kraft des Klienten stattgefunden hat

und ein beschwerdefreier Zustand bereits existiert hat. Darüber hinaus untermauern sie die Vergänglichkeit von Proble-

men.

Die Zukunft ist sowohl etwas Geschaffenes als auch etwas Verhandelbares12

„Ich bin frei, denn ich bin einer Wirklichkeit nicht ausgeliefert, sondern kann sie gestalten.“ (Paul Watzlawick)

Der Wille für die Gestaltung des Heute und des Morgen steht im Vordergrund, und nicht die vermeintliche Sklaverei der

Vergangenheit. Was immer ein Klient auch erfahren und erlebt hat, ist er doch jederzeit in der Lage, bewusst und selbst-

verantwortlich seine Situation zu ändern.

Die gesamte Arbeit der lösungsorientierten Kurzzeittherapie beruht auf diesen Lehrsätzen. Die zentrale Intervention dabei

ist das Stellen von Fragen seitens des Therapeuten, die sich in der Hauptsache auf die Gegenwart und Modelle in der

Zukunft beziehen. Nicht der Ursprung von Problemen steht im Vordergrund, sondern die Vorstellung des Klienten von

seinem zukünftigen Leben. Die Grundhaltung des Therapeuten spiegelt dieses Prinzip dahingehend wider, dass er selbst

davon überzeugt ist, dass Menschen auch unter schwierigsten Bedingungen ihr Bestes tun, und durch ein Klima von

Anerkennung, Respekt und Neugierde werden diese Bemühungen nachhaltig gewürdigt.

In diesem Setting ermutigt der Therapeut den Klienten durch bewusste Komplimente und Lob immer wieder zur Verän-

derung. Das gemeinsame Entwickeln eines Lösungsbildes ist das Ziel, in dem sich der Klient selbst als Teil der Lösung

identifiziert.

Steve de Shazer entwickelte die „Wunderfrage“, um den Zugang zum Klienten zu verbessern und um zu erkunden, was er

wünscht und was seine Ziele sind. Es ist dies eine Methode, um aus dem Problemzustand herauszukommen und einen

gewünschten Zielzustand zu erreichen, auf dessen Basis Lösungen erarbeitet werden können.

Nach Steve de Shazer sollte die Wunderfrage nur einmal am Anfang der Therapie gestellt werden, um dem Klienten

danach die Möglichkeit zu geben, selbst an der Lösung zu arbeiten.

Die Wunderfrage sollte mit sanfter, langsamer Stimme gestellt werden:

„Ich möchte Ihnen jetzt eine ungewöhnliche Frage stellen. Stellen Sie sich vor, während Sie heute Nacht schlafen und das

ganze Haus ganz ruhig ist, geschieht ein Wunder. Das Wunder besteht darin, dass das Problem, das Sie hierher geführt

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hat, gelöst ist. Allerdings wissen Sie nicht, dass das Wunder geschehen ist, weil Sie ja schlafen. Wenn Sie also morgen

früh aufwachen, was wird dann anders sein, das Ihnen sagt, dass ein Wunder geschehen ist und das Problem, das Sie

hierher geführt hat, gelöst ist?“13

Die Antworten des Klienten auf die Wunderfrage können als Therapieziele angenommen werden, und schaffen einen

Rahmen, in dem das Problem bereits gelöst ist oder gelöst werden kann. Im nächsten Schritt wird der Klient angehalten,

seine Antworten in Handlungen auszudrücken, also all das zu spezifizieren, was er in Zukunft tun will. Danach wird

hinterfragt, was sich im Denken und Fühlen sowie an Verhaltensweisen verändert hat und woran erkennbar ist, dass die

gewünschten Veränderungen bereits stattgefunden haben. Jeder noch so kleine Vorbote des Wunders wird als elemen-

tarer Schritt in Richtung Lösungserreichung gewertet.

Unter der Zurhilfenahme von Skalen werden Gefühlszustände und Fortschritte gemessen und damit anschaulich ge-

macht. Auf einer Skala von 1 bis 10 wird der Anfangszustand festgemacht, danach die momentane Position markiert

und beschrieben und jede Veränderung genau bezeichnet. Somit wird ein kontinuierlicher, richtungsweisender Prozess

in Gang gesetzt, der sowohl für den Klienten als auch für den Therapeuten messbar macht, inwieweit sich die Situation

bessert, unverändert bleibt oder verschlechtert. Darauf baut der Therapeut sein Fragekonzept auf, unterlegt es mit Kom-

plimenten und implementiert und stärkt damit den Willen zur Veränderung beim Klienten.

Im Anschluss an jede Sitzung werden Hausaufgaben zugeteilt, um Handlungsweisen zur Zielerreichung in den Alltag

einzubauen. Die Lösung, erlangt durch kontinuierliche Veränderung, wird somit zum erlebten, gefühlten und hoffnungs-

voll erwarteten Ziel für den Klienten.

Die lösungsorientierte Kurzeittherapie nach Insoo Kim Berg und Steve de Shazer mit ihrer wertschätzenden Beobachtung

sowie der Betonung auf der Einzigartigkeit jedes Klienten hat sich als richtungsweisende Therapieform weltweit etabliert

und mannigfaltige Strömungen maßgeblich beeinflusst. Oder wie Mathias Varga von Kibed dies so trefflich formuliert

hat: „Erinnern wir uns daran, dass wir dem Wunder schon einmal begegnet sind. So lädt man Wunder ein – am besten

noch heute!“14

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Bibliographie:

Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute. Steve de Shazer, Yvonne Dolan, 2008. Carl-Auer

Lösungen (er-)finden. Das Werkstattbuch der lösungsorientierten Kurztherapie. Band 17 systemische Studien. Peter de

Jong, Insoo Kim Berg.2008. Verlag modernes lernen-Dortmund

Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung. Peter Szabó, Insoo Kim Berg. 2009. Borgmann Media

Der Dreh. Überraschende Wendungen und Lösungen in der Kurzzeittherapie. Steve de Shazer. 2010. Carl-Auer

Words were originally magic. Steve de Shazer . 1994 W. W. Norton & Company

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TOOLS

„Funktion der Sprache im Coachingprozess“Univ. Doz. Dr. Nina-Maria Wanek

Samuel Johnson

„Language is the dress of thought“

Ludwig Wittgenstein

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“

Einleitung:

Es gibt mittlerweile eine fast unüberschaubare Fülle an Methoden/Interventionen/Tools für die verschiedenen Coaching-

Prozesse und -Phasen. Manche Coaching-Handbücher lesen sich mittlerweile fast wie Kochbücher, deren „Rezepte“ der

Coach scheinbar nur noch „nachzukochen“ braucht.

Entscheidend ist jedoch nicht nur die richtige Abfolge der Schritte und die „Dosierung“ der verschiedenen „Ingredien-

zien“, sondern 1) die Kenntnis, woher diese Methoden stammen und 2) ein profundes Praxiswissen, um die richtige

Auswahl zu treffen: Das Tool kann noch so gut sein, wenn es nicht zum Coachee passt oder zum falschen Zeitpunkt

eingesetzt wird, kann es seine Wirkung nicht entfalten.

Interessanterweise gibt es zum Thema „Sprache und Kommunikation“ nicht so viele Tools, wie man vielleicht vermuten

würde – ist doch eine gelungene Kommunikation der zentrale Ausgangspunkt und die Basis für jeden Coachingprozess.

Wenn die Verständigung zwischen Coach und Coachee nicht passt, wird das Coaching wohl nicht über die erste Ken-

nenlernstunde hin-auskommen.

Tools, die ausschließlich für diesen Themenkreis anzuwenden sind, wird man daher vergeblich suchen: Zwar gibt es

Interventionen, in deren Zentrum die Beschäftigung mit Sprache bzw. Kommunikation steht, allerdings lassen sich diese

Tools zumeist auch für andere Themen im Coaching anwenden. Die folgenden Tools wurden daher nach folgenden Ge-

sichtspunkten ausgewählt:

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- Generelle Anwendbarkeit, um mit der Sprache/dem Kommunikationsverhalten des Coachees zu arbeiten

Der Coach arbeitet dabei selbst vorzugsweise mit Sprachtools (Fragen u.ä.)

- Die Sprache verändert vorzugsweise etwas im Inneren des Coachees (Bilder, Anteile usw.)

Fantasie und Kreativität werden durch sprachliche Mittel angeregt

- Die Tools sind methodisch fundiert, ihre Wurzeln finden sich in Gestalt-, Familien-, Hypno- und Systemischer

Therapie, Psychoanalyse sowie in lösungsorientiertem Kurzzeitcoaching

An den Anfang wird das „Kommunikationsquadrat“ gestellt, das zwar kein Tool per se darstellt, jedoch als Modell dieses

Praxisteils die Grundpfeiler der Kommunikation veranschaulicht. Alleine durch das Bewusstmachen der vier Ebenen/Sei-

ten der Kommunikation, kann dem Coachee vermittelt werden, worauf es bei einer gelungenen Kommunikation ankommt

bzw. woran es möglicherweise bisher gescheitert ist, eine solche aufzubauen.

Anschließend an dieses Modell werden drei Tools aus dem Bereich der lösungsorientierten Fragen (zirkuläre Fragen,

sowie die Wunder- und die Skalierungsfrage) vorgestellt. Diese Fragen vermitteln wohl in der reinsten Form die „Zau-

berkraft“ der Sprache im Coaching.

Bei den Interventionen „Reframing“ und „Metaphorik“ geht es anschließend darum, Sprache gezielt umzudeuten und

zu verändern. Alleine die Umbenennung von Situationen führt oftmals schon zu einer Neubewertung derselben, indem

tatsächlich ein neuer „Rahmen“ geschaffen wird: Der erste Schritt hin zur Lösung des Problems ist damit vollzogen.

Die Arbeit mit Metaphern (aus dem Griechischen metaphéro /, wörtlich: „anderswohin tragen, verlegen, übertragen“)

geht noch einen Schritt weiter: Hier wird das Problemsetting umgedeutet, herausgenommen und in einen anderen – für

den Coachee oftmals vorerst paradoxen – Zusammenhang gestellt. Mit Hilfe der Sprache werden hier festgefahrene

(Sprach-)Bilder verändert, um dem Coachee einen Weg aus seiner Problemtrance zu weisen.

Mit Bildern arbeiten auch die drei abschließenden Interventionen: Die Fantasiereise entführt anhand einer Geschichte

(also wieder mit gezielt gesetzten Wörtern) in eine andere Welt, in der der Coachee gefahrlos neue Verhaltensweisen,

Handlungen, Lösungen usw. ausprobieren kann.

Das „Innere Team“ wendet sich an die „innere Kommunikation“ des Coachees und macht dessen „innere Kommunikati-

on“ sichtbar. Denn um nach außen hin erfolgreich kommunizieren zu können, ist es nötig, die innere Kommunikation zu

koordinieren, sich der verschiedenen Anteile im Inneren bewusst zu werden. Ist die innere Kommunikation gestärkt und

einheitlich, wird es dem Coachee auch gelingen, sich klar und überzeugend in seinem Umfeld auszudrücken.

Das „Zielgehen“ wiederum bietet dem Coachee die Möglichkeit zu erfahren, wie es sich anfühlt, tatsächlich „in der Vi-

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sion zu stehen“. Hier kann er sich plastisch ein Bild seines Ziels/seiner Vision machen und sich bereits „auf den Weg“

dorthin begeben. Die Gefühle und Emotionen während des „Zielgehens“ bzw. „in der Vision“ werden verankert, damit sie

zu einem späteren Zeitpunkt – wenn sich der Coachee in der betreffenden Situation befindet – wieder abgerufen werden

können.

All die ausgewählten Tools sollen dem Coachee vor allem auch das „Spiel“ mit der Sprache näher bringen, seine Freude

und Kreativität anregen, sich dieses ureigensten menschlichen Verständigungsmittels mit neuen Möglichkeiten und

Facetten zu bedienen. Vielleicht kann dies zu einer der ursprünglichen Bedeutungen des „Sprechens“ zurückführen und

die Sprache sowohl des Coaches als auch des Coachees wird wieder – wie es im Indogermanischen heißt – „sprühen“

(„[s]per-“) und (Grenzen) „sprengen“ (idg. „spreg-“)!

Allgemeine Hinweise:

Die Toolbeschreibungen sind so aufgebaut, dass zu Beginn die Grundlagen genannt werden, d.h., hier finden sich

Hinweise (so weit diese zu eruieren waren), von wem die Technik erfunden bzw. erstmals in diesem Zusammenhang

angewendet wurde. Darauf folgt eine genaue Darstellung der Ziele jedes Tools sowie eine angewandte Beschreibung

des Aufbaus, der Abfolge und der Inhalte. Gibt es Besonderheiten zu beachten oder ist erhöhte Vorsicht von Seiten des

Coaches geboten, wird dies ebenfalls bei der Beschreibung unter „Achtung“ angeführt.

Die Rubrik „Anwendung“ gibt genaue Auskunft, in welchen Phasen des Coachingprozesses die jeweilige Intervention

eingesetzt werden kann bzw. für welche Problemfelder sich diese besonders eignet. Unter „Material“ wird aufgelistet, ob

hier spezielle Vorbereitungen und Mittel (Kärtchen, Stifte, Stühle etc.) benötigt werden.

Die „Anmerkungen“ schließlich bringen Informationen zu Abwandlungsmöglichkeiten, verwandten Methoden der Tools

sowie wissenswerte Aussagen von Experten. Die „Literatur“ zum Schluss jeder Intervention zählt wissenswerte Schriften

und weiterführende Informationsquellen zu jedem Tool auf, die zu einer weiteren Auseinandersetzung mit dem jeweiligen

Thema einladen.

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Das Kommunikationsquadrat

Grundlage:Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden. Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation.Karl Bühler: Organon Modell

ZielDurch das Kommunikationsquadrat wird ersichtlich, weshalb Gesprächspartner oftmals aneinander vorbeireden und Missverständnisse entstehen können. Der Coachee erfährt, wie es beispielsweise dazu kommen kann, dass er etwas sagt, was jedoch sein Gesprächspartner völlig anders versteht, als er es eigentlich gemeint hat.- Bewusstmachen der verschiedenen Kommunikationsebenen- Zur Überwindung/Lösung von Kommunikationsproblemen und -störungen- Um Gespräche für beide Seiten erfolgreich/befriedigend verlaufen zu lassen

BeschreibungDie Äußerung eines jeden Menschen enthält vier Botschaften: - blau: die Sachinformation – das, worüber man informiert (Daten, Fakten etc.)- grün: die Selbstkundgabe – was man bewusst oder unbewusst von sich zu erkennen gibt (Werte, Emotionen, Motive u.ä.).- gelb: den Beziehungshinweis – was man von seinem Gegenüber hält und wie man zu diesem steht – sowie- rot: den Appell – was man bei seinem Gegenüber erreichen will (Wunsch, Aufforderung etc.)

Dies wird nach Schulz von Thun in Form eines Quadrates dargestellt:Laut diesem Modell gibt es einen „Sender“, von dem die Botschaften ausgehen und einen „Empfänger“, der diese aufnimmt. Die vier Seiten des Quadrats geben an, auf welchen Ebenen der Empfänger die Botschaften jeweils aufnehmen kann. Jeder, der an einem Gespräch teilnimmt, wird daher auf vierfache Weise wirksam (vier „Schnäbel“ und vier „Ohren“ – wie dies Schulz von Thun auch nennt).Wenn nun der Empfänger die Botschaft auf einer anderen Ebene aufnimmt als vom Sender beabsichtigt, kann es zu Missverständnissen und Konflikten kommen. Dem Coachee wird durch dieses Modell vermittelt, dass dem „Sender“ wie auch dem „Empfänger“ oftmals nur ein kleiner Prozentsatz der Information bewusst ist, die er tatsächlich sendet bzw. empfängt. Der Coachee lernt dadurch, dass die Qualität eines Gesprächs davon abhängt, wie gut „Schnäbel“ und „Ohren“ zusammenspielen.Anhand von Sätzen aus der Arbeits- bzw. Alltagswelt des Coachees kann geübt werden, welchen Aspekt oder welche Ebene der Coachee (zuerst) verstanden hat

Modell

Selb

stku

ndga

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Beziehungsseite

Apellseite

Sachebene

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Anwendung im Coaching- In Konfliktsituationen- Als Vorbereitung auf (schwierige) Gespräche

Material- Darstellung des Kommunikationsquadrats- Evtl. Flipchart und Stifte

AnmerkungenDas Tool ist auch als „Vier-Seiten-Modell“ bzw. als „Vier-Ohren-Modell“ bekannt.

LiteraturSchulz von Thun, Fr. (1981), Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. Reinbek: rororo.

Migge, B. (2005), Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim: Beltz, S. 59f.

Zirkuläre Fragen

Grundlagen:Virginia Satir: Systemische Familientherapie.„Mailänder Schule“ (um Mara Selvini Palazzoli)

ZielZirkuläre Fragen helfen, komplexe, zirkuläre Prozesse in Beziehungen zu erkennen, so dass der Coachee einen breiteren Blick sowohl auf sich selbst als auch auf das System, in dem er agiert, bekommt. Dies ermöglicht dem Coachee, aus starren Verhaltens- und Kommunikationsmustern auszubrechen. Dadurch wiederum erhält der Coachee das Vertrauen, dass er kompetent genug ist, um selbst sein Problem zu lösen.- Erkennen, dass die Handlungen von Menschen zirkulär miteinander verbunden sind- Eine systemisch-konstruktivistische Sichtweise wird installiert- Durch weitere Informationen werden neue Denkprozesse, Sichtweisen, Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten angeregt

BeschreibungFür zirkuläre Fragen gibt es keinen vorgegebenen Ablauf oder standardisierte Muster. Der Coach fragt den Coachee, welche Meinungen, Gefühle, Beschreibungen, Kritikpunkte u.ä. die anderen (z.B. Kollegen, Vorgesetzte, Familienmitglieder etc.) in Bezug auf sein Problem haben könnten. Dadurch wird es dem Coachee ermöglicht, von seiner eigenen Sichtweise abzugehen und eine Außenperspektive zu erlangen.Zirkuläre Fragen lassen den Coachee erkennen, wie das eigene Verhalten vom Verhalten anderer beeinflusst wird und anschließend wieder auf diese zurückwirkt. Dadurch begreift der Coachee, dass nicht Menschen das Problem sind, sondern die Interaktionen (jede Interaktion ist auch eine Botschaft von Mensch zu Mensch – wie Watzlawick es formuliert: „Man kann nicht nicht kommunizieren“).

Tool

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Durch diese zirkuläre Sichtweise wird dem Coachee klar, dass er sich bewusst für ein bestimmtes Verhalten entscheiden kann, um sein Problem zu lösen bzw. um weniger problematische Interaktionen einzugehen.Es gibt verschiedene Arten von zirkulären Fragen, je nachdem, ob sie sich durch Inhalt, Zielsetzung, Form usw. unterscheiden:- Fragen nach Wirklichkeiten und Möglichkeiten (Auswahl): „Als-ob“ Fragen (hier wird das Problem simuliert, um zu zeigen, dass ein und dasselbe Problem in verschiedenen Situationen unterschiedlich auftreten kann);- Fragen nach Ausnahmen von Problemen - Fragen nach Lösungen/Lösungsansätzen- Fragen nach der Realisierbarkeit- Fragen nach Unterschieden:- Fragen nach Qualität- Fragen nach Quantität

Anwendung im CoachingZirkuläre Fragen können in jeder Phase des Coaching-Prozesses angewandt werden.Besonders hilfreich haben sich zirkuläre Fragen bei der Bearbeitung von zwischen-menschlichen Problemen und Konflikten (Chef, Mitarbeiter, Kollegen usw.) erwiesen, aber auch, um Verhaltens- und Kommunikationsmuster („Ich bin immer so ...“) zu verändern.Das Bewusstmachen von Handlungsalternativen beim Coachee bewirkt somit auch eine Verände-rung seiner Sprechgewohnheiten, d.h. es verändert die Art, wie er über seine Situation redet.

MaterialKeines

AnmerkungenZirkuläre Fragen werden zumeist als Kernpunkt der systemischen Fragen oder als „die“ systemischen Fragen schlechthin bezeichnet. Im Unterschied zu linear-kausalen Fragen, die auf die Beziehungen zwischen Wirkung und Ursache abzielen, geht es bei den zirkulären Fragen um die Einbeziehung der Außenperspektive.

LiteraturPalmowski, W.–Thöne, E. (1995), Zirkuläres Fragen – Was war da noch?, in: Zeitschrift für systemische Therapie 13/2.

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Radatz, S. (2009),Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Praxishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten. Wien: ISCT, S. 203–207.

Reich, K. (ed.), Zirkuläres Fragen, in: Methodenpool http://methodenpool.uni-koeln.de 2008ff. (Access: 8.1.2011).

Schäper, C. (2004), Zirkuläres Interview, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, S. 90–94.

Schlippe, A. v.–Schweitzer, J. (2007), Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Simon, F. B.–Rech–Simon, Ch. (2004), Zirkuläres Fragen – Systemische Therapie in Fallbeispielen: Ein Lernbuch. Heidelberg: Carl-Auer

http://www.efb-stupa.de/service/handouts/hdlg_2006-06-12_a.pdf (Access: 8.1.2011).

Wunderfrage

Grundlage:Steve de Shazer,Insoo Kim Berg: Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching

ZielDer Coachee setzt sich mit dem „Nicht-Problem-Zustand“ auseinander, um zu einem subjektiven Idealzustand zu gelangen, der für ihn schließlich real greifbar wird.- Der Coachee denkt sich in einen Zustand hinein, in dem seine Probleme gelöst sind- Durch die Schilderung des „Idealzustandes“ wird es dem Coachee ermöglicht, wieder mit vielen Ressourcen kompetent zu handeln- Durch die Einbettung in das reale (Arbeits-)Umfeld des Coachees entstehen auch reale Bilder in Bezug auf die positiven Aspekte der Zielerreichung

BeschreibungUm den Coachee aus dem Problemzustand heraus- und in den Zielzustand hineinzuführen, formuliert der Coach – vorzugsweise mit langsamer, sanfter Stimme – die Wunderfrage in folgender Abfolge:- Einleitung: „Ich möchte Ihnen jetzt eine ungewöhnliche (seltsame o.ä.) Frage stellen“- Bezug zum Alltag: „Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Hause ... gehen wie gewohnt zu Bett ...“ usw.- Wunder einführen: „Angenommen, es würde in dieser Nacht ein Wunder geschehen ... und all das, was Sie vorhin erzählt haben, wäre gelöst ... Sie wissen jedoch nicht, dass das Wunder passiert ist, da Sie ja geschlafen haben ...“ (evtl. kann das Wunder auch näher erklärt werden)- Aufwachen am nächsten Morgen/erste Schritte: „Woran merken Sie als Erstes, dass das Problem gelöst ist?“- Unterschiede herausarbeiten/positive Handlungen betonen: „Was machen Sie anders? Was ist anders/neu? Was noch?“- Das Umfeld einbeziehen: „Wie bemerkt Ihre Umgebung, dass das Problem nicht mehr existiert? Wodurch? Wie reagieren Ihre Kollegen/Familienmitglieder etc. darauf?“

Tool

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Anwendung im CoachingDie Frage eignet sich vor allem für die frühen Phasen des Coachingprozesses (laut de Shazer sollte die Wunderfrage nur einmal am Anfang gestellt werden, um dem Coachee anschließend die Möglichkeit zu geben, selbst an der Lösung zu arbeiten). Besonders bewährt hat sich die Wunderfrage, wenn es für den Coachee schwierig ist, sein Ziel/seine Vision zu beschreiben, da er noch zu sehr in der Problemschilderung verhaftet ist.

MaterialKeines

AnmerkungenDie Wunderfrage ist eines der wirksamsten Tools in der lösungsorientierten Beratung. Wie de Shazer berichtet, wurde die Wunderfrage dazu entwickelt, um dem Coachee die Möglichkeit zu geben zu beschreiben, was er vom Coaching will, ohne „sich dabei um das Problem und um die traditionelle Annahme kümmern zu müssen, dass die Lösung in irgend-einer Weise damit verbunden sein müsste, das Problem zu verstehen und zu eliminieren.“ Denn – wie Albert Einstein es formuliert hat – kann „kein Problem [...] durch dasselbe Bewusstsein gelöst werden, welches das Problem kreiert hat“.

LiteraturMeier, D.–Szábo, P. (2008), Coaching – erfrischend einfach. Einführung ins lösungsorientierte Kurzzeitcoaching. Norderstedt: Books on Demand.

Migge, B. (2005), Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim Beltz, S. 370.

Szábo, P. (2004), Lösungsorientierte Kurzzeitberatung, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, 43f.

de Shazer, S. (2010), Worte waren ursprünglich Zauber. Von der Problemsprache zur Lösungssprache. Heidelberg: Carl-Auer.

Ders. (1992), Wege der erfolgreichen Kurztherapie. Stuttgart: Klett-Cotta.

Ders. (1999), Der Dreh. Überraschende und erfolgreiche Wendungen in der Kurztherapie. Heidelberg: Carl-Auer.

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Skalierungsfrage

Grundlage:Steve de Shazer,Insoo Kim Berg: Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching

ZielDie Skalenfrage hilft zur Standortbestimmung sowie zur Kontrolle von Maßnahmen und Zielerrei-chung. Weiters unterstützt sie den Coachee bei der Selbsteinschätzung, aber auch bei der Bewer-tung und Wahrnehmung seiner (Problem-)Situation. Dabei ist besonders die Visualisierung von Unterschieden wichtig.- Realistische Einschätzung von Zielen, Entwicklungen und Ressourcen durch den Coachee- Regt zu Klärungsprozessen an- Zur Erstellung von Etappenzielen und der Initiierung kleiner Schritte bei komplexen, langwierigen Prozessen, wenn das Ziel „unerreichbar“ erscheint

BeschreibungDem Coachee wird eine Frage gestellt, die er mit Hilfe einer Skala beantworten soll. Zumeist wird die Skala von 0 bis 10, evtl. auch von 1 bis 100 gebildet, wobei 10 bzw. 100 die Ziel-erreichung darstellt.Dabei sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Werten/Schritten auf der Skala wichtiger als die absolute Höhe des Skalenwerts. D.h. der Coachee profitiert vor allem davon, wenn die Unterschiede zwischen den einzelnen Werten/Schritten untersucht werden: Was muss er etwa tun, um auf einem Wert zu bleiben, eine Stufe weiterzukommen bzw. was muss er vermeiden, um nicht hinunterzurutschen. Dies kann beispielsweise anhand folgender oder ähnlicher Fragen geschehen:- „Was müssen Sie tun, um einen Schritt weiterzukommen?“- „Wo stehen Sie heute im Vergleich zum Beginn Ihrer Arbeit/Beziehung?“- „Auf welchen Wert möchten Sie in absehbarer Zukunft kommen?“- „Die Erreichung welchen Werts ist genug für Sie?“- „Wie schätzen Sie die Auseinandersetzung mit ... gerade jetzt ein? Wie hoch war die Intensität beim letzten Mal?“ usw.

Anwendung im CoachingSteve de Shazer setzt die Skalenfrage im Folgecoaching ein. Allerdings kann sie auch schon zu Beginn des Coachings gestellt werden. Wie Radatz schreibt, eignet sie sich auch für Situationen, in denen eine Coachingeinheit ins Stocken geraten ist.

MaterialKeines.

AnmerkungenFür Steve de Shazer ist die Skalierungsfrage in erster Linie ein Tool zur Lösungsfokussierung, denn die Skalen sind so beschaffen, dass alle Zahlen auf der Lösungsseite liegen.

Tool

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LiteraturBamberger, G. G. (2001), Lösungsorientierte Beratung. Weinheim: Beltz, S. 62 ff.

de Jong, P. – Berg, I. K. (2003), Lösungen (er-)finden. Dortmund: Modernes Lernen, S. 168 ff.

de Shazer, S .– Berg. I. K. (1993), Wie man Zahlen zum Sprechen bringt. Familiendynamik 17/2, S. 146-162.

Ders. (1992), Wege der erfolgreichen Kurztherapie. Stuttgart: Klett-Cotta.

Ders. (1999), Der Dreh. Überraschende und erfolgreiche Wendungen in der Kurztherapie. Heidelberg: Carl-Auer.

Radatz, S. (2009), Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Praxishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten. Wien: ISCT, S. 185–189.

Szábo, P. (2004), Lösungsorientierte Kurzzeitberatung, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, S. 45f.

Ders. (2004), Skaleboard®, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, S. 264–271.

(Inhaltliches) Reframing

Grundlage:Milton H. Erickson: Hypnotherapie.Virginia Satir: Familientherapie

ZielReframing kann wörtlich mit „einen neuen Rahmen finden“ und etwas freier mit „umdeuten“ übersetzt werden. Die Methode unterstützt den Coachee dabei, den Rahmen seiner Wahrnehmung neu zu gestalten. So kann eine Situation, ein Verhalten u.ä., das bisher nur als negativ und/oder störend empfunden wurde, – aus einer anderen Perspektive heraus betrachtet – durchaus als nützlich oder sogar sinnvoll erscheinen. Ein scheinbarer Nachteil kann sich in einem anderen Zusammenhang als Vorteil erweisen. Reframing zeigt somit bisher nicht genutzte Ressourcen auf und verhilft dem Coachee zu neuen Lösungsansätzen.- Das Thema umbenennen und die Bewertung desselben neu formulieren- Perspektivenwechsel: Den Blickwinkel des Coachees erweitern und neue Möglichkeiten aufzeigen - Belastende Gefühle als Ausdruck nachvollziehbarer und positiver Bedürfnisse artikulieren- Trennung von Funktion und Verhalten (wie sich ein Mensch verhält, erklärt noch nicht, welche Funktion dieses Verhalten in seinem System hat)

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Beschreibung Schon der griechische Philosoph Epiktet („Handbüchlein der Moral“) stellte fest: „Nicht die Dinge selbst beunruhigen den Menschen, sondern die Meinungen [...] von den Dingen.“ Gunther Schmidt hebt daher besonders hervor, dass alleine das Umbenennen einer Situation, eines Erlebnisses usw. bereits eine wirkungsvolle Intervention darstellt.Für Reframing gibt es keinen standardisierten Ablauf. Themen, Probleme, Verhaltensweisen etc. werden aus ihrem gewohnten Rahmen herausgenommen und in einen neuen gestellt, so dass der Coachee diese in einem anderen Zusammenhang zu sehen beginnt. Besonders wichtig dabei ist, negative Sprachmuster des Coachees aufzudecken und durch positive Formulierungen zu ersetzen. Dies wiederum hilft dem Coachee, besser mit seinen Reaktionen auf bestimmte Ereignisse umzugehen, diese anders zu benennen und letztendlich anders mit ihnen umzugehen.Beim inhaltlichen Reframing unterscheidet man darüber hinaus zwischen Bedeutungs- und Kontextreframing: Bei Ersterem wird nicht die Situation selbst verändert, sondern erhält eine andere Bedeutung, wodurch wiederum mehr Wahlmöglichkeiten für den Coachee aufscheinen; bei Zweiterem wird gezeigt, dass durch die Veränder-ung des Kontextes sich etwa ein problema-tisches Verhalten in ein nützliches verwandeln kann.Achtung: Es steht jedoch nicht die Idee hinter Reframing, alles „einfach“ positiv umzudeuten. Wichtig ist es daher, den Coachee anzuleiten, seine Gefühle in angemessener Weise zuerst bewusst wahrzunehmen und dann anzunehmen. Erst nach diesem Prozess ist eine Veränderung möglich.

Anwendung im CoachingIn jeder Phase des Coachings. Besonders gut lässt sich Reframing mit systemischen Fragetechniken kombinieren.

MaterialKeines

AnmerkungenIm NLP wurde Reframing zum sog. „Six-Step-Reframing“ erweitert, das aus einer stark strukturierten Abfolge bestimmter Schritte gebildet wird. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass es in jedem Menschen unbewusste Teile gibt, die ein unerwünschtes Verhalten auslösen können. Allerdings liegt auch diesem Verhalten eine positive Absicht zugrunde und hat dadurch seine Berechtigung.Aber auch jeder Witz funktioniert nach dem Reframing-Prinzip: Eine alltägliche Handlung, ein gewöhnliches Ereignis wird aus seinem „Rahmen“ herausgenommen und in einen untypischen Zusammenhang gestellt. Die unterhaltsame und lustige Wirkung eines Witzes ergibt sich dadurch, dass der Zuhörer zuerst vom typischen Rahmen des Geschehens ausgeht und nicht auf den neuen/untypischen Kontext gefasst ist.

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LiteraturBandler, R. – Grinder, J. (1982), Reframing: Neuro-Linguistic Programming and the Transformation of Meaning. Moab/Utah: Real People Press.

Migge, B. (2005), Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim: Beltz, S. 115f., 157f.

Schmidt, G. (2010), Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten. Heidelberg: Carl-Auer.

Woelm, E. (2006), Reframing – eine wichtige Strategie in therapeutischer Hypnose, Coaching und Psychotherapie: http://www.inhypnos.de/ (Access: 14.1.2011).

o.A.: http://methodenpool.uni-koeln.de/refraiming/frameset_refraiming.html (Access: 15.1.2011).

Metaphorik

Grundlage:Bernd Schmid: Systemisches Coaching

ZielDie Arbeit mit Metaphern hilft stark assoziierten Coachees, ihr Problem von außen/von einer anderen Warte aus zu betrachten und sich selbst aus der Problematik herauszunehmen. Der Coachee erhält eine plastische Darstellung seiner Situation, die dadurch anschaulicher wird. Der Blick erweitert sich und der Coachee kann neue Handlungs- und Lösungsstrategien entwickeln, die zuerst nicht erkennbar waren.Darüber hinaus werden dem Coachee durch Sprachbilder auch komplexe Situationen „versinnbildlicht“, so dass er Zusammenhänge besser begreifen kann.- Dissoziierung des Coachees- Der Coachee wird weg vom Problembild und hin zur Zielvision gebracht- Unbeschwerter Zugang zum Unterbewussten- Schwierige Situationen werden entschärft und anhand von Bildern zeigt sich, dass es auch leichter gehen kann - Der Coachee erlernt die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge metaphorisch zu beschreiben, um dies dann z.B. auch beruflich einzusetzen

BeschreibungEntweder entstehen bereits aus den bildhaften Vergleichen des Coachees eigene Geschichten oder aber der Coach (evtl. auch der Coachee selbst) wählt ein Leitmotiv bzw. Vergleiche/Gleichnisse für die konkrete Situation aus. Dazu eignen sich Themen beispielsweise aus der Natur, dem Sport, aus dem künstlerischen Bereich, können aber auch von einem Hobby des Coachees abgeleitet werden.Der Coach befragt anschließend ausführlich den Coachee (z.B. wenn dieser einen Garten als Metapher nimmt):- „Wo liegt dieser Garten? Wie ist er beschaffen?“- „Wie riecht es dort? Was wächst darin?“

Tool

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- „Wie fühlt sich ein Besucher des Gartens? Was sieht er als Erstes?“- „Warum lohnt es sich, dorthin zu gehen?“- „Was tun Sie, wenn dies oder jenes passiert?“ usw.Anhand einer metaphorischen Geschichte kann der Coachee darüber hinaus sein Problem mit einer seiner Stärken vergleichen (mit etwas, das er besonders gut kann, wofür er schon ein Erfolgsrezept hat) und dabei auf die Gemeinsamkeiten achten. Vergleiche dieser Art erleichtern besonders die Schwere der Problemsituation, die spielerischen Kräfte des Coachees werden animiert und er kann entdecken, welchen Spaß es bereitet, diese (Sinn-)Bilder phantasievoll auszuschmücken und zum Leben zu erwecken.

Anwendung im CoachingMetaphorik kann in jeder Phase des Coaching-Prozesses und für einen breitgefächerten Themenbereich (von der Persönlichkeits- bis zur Organisations- und Teamentwicklung, beispielsweise aber auch als Vorbereitung auf schwierige Gesprächssituationen) verwendet werden. Das Tool eignet sich besonders für Coachees, die bildhaft denken, d.h. bereits in ihrer eigenen Situationsschilderung Sprachbilder/Metaphern anwenden („Da ist alles den Bach hinunter-gegangen“, „Das Wasser steht mir bis zum Hals“ u.ä.).

MaterialKeines

AnmerkungenManfred Prior schreibt (S. 37): „Vergleiche sind wie Samenkörner, aus denen Lösungen erwachsen können.“

LiteraturMahlmann, R. (2010), Sprachbilder, Metaphern & Co. Einsatz von bildlicher Sprache in Coaching, Beratung und Training. Weinheim: Beltz.

Minor, M. (2004), Metaphorik, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interven-tionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, S. 103-107.

Prior, M. (2009), MiniMax-Interventionen. 15 minimale Interventionen mit maximaler Wirkung. Heidelberg: Carl-Auer, S. 32–37.

Schmid, B. (2004), Systemisches Coaching: Konzepte und Vorgehensweisen in der Persönlichkeits-beratung. Bergisch-Gladbach: Edition Humanistische Psychologie.

Radatz, S., (2009), Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Praxishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten. Wien: ISCT, S. 222f.

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Fantasiereise

Grundlagen:Psychoanalyse (z.B. Carl Gustav Jung)GestalttherapieHanscarl Leuner: Katathymes Bilderleben

ZielFantasiereisen sollen den „schöpferischen inneren Dialog“ (Hipp & Wengel, S. 233) ansprechen und die „metaphorische Arbeit“ (ebd. S. 233) mit dem Thema des Coachees fördern. Der Coachee kann dadurch seine Kreativität besser einsetzen, um Lösungsstrategien zu entwickeln. Wichtig dabei ist, dass mit Hilfe von Bildern, die sich an die Fantasie, das Imaginäre wenden, die sprachliche Ebene unterstützt wird. Weiters werden durch die Arbeit mit Fantasiereisen neue Verhaltens- und Entwicklungsmöglich-keiten freigelegt. Besonders Zielbilder, die durch Fantasiereisen entstehen, bleiben lange im Gedächtnis des Coachees.- Freisetzen von Kreativität und Zugang zum kreativen Denken und zum Gedächtnis schaffen- Stress abbauen, Fantasie fördern und neue (Zie-l)Bilder installieren- Verhaltensweisen verändern oder neue entstehen lassen- Erfahrungen machen, Kräfte entwickeln, um sie dann im Alltag anwenden zu können

BeschreibungBei diesem Tool handelt es sich um gelenkte Tagträume, in denen Vorstellungen und Ideen entwickelt, Probleme gelöst und Ziele erreicht werden können. Indem der Coachee in der Fantasie so tut „als ob“, kann er Grenzen aufheben und überwinden lernen.Das Tool kann unterschiedlich ausgeführt werden, beispielsweise indem der Coach eine Geschichte vorliest oder diese von einem Tonband kommt. Dabei richtet sich die Fantasiereise ungefähr nach folgendem Aufbau: 1) Entspannungsphase: Der Coachee soll die Augen schließen, tief atmen, sich entspannen und vom Alltag lösen, um in sein Inneres zu „reisen“. 2) Die Reise in eine Metaphernwelt: Der Coach liest eine Geschichte vor, die zum Thema des Coachees passt; sie kann erfunden sein oder aber eine bestehende Geschichte wird abgewandelt (ein Beispiel wäre etwa jene Geschichte aus Ghana, in der sich ein Adler, der mit Hühnern aufgewachsen ist, nicht fliegen traut). Oft wird aber auch ein Ort beschrieben, an dem sich der Coachee wohlfühlen soll. Wichtig ist, dass hier so viele Sinne des Coachees wie möglich angesprochen werden. An diesem Ort nun soll sich der Coachee Details in der Fantasie so genau vorstellen, dass er auch seine Gefühle, sein Verhalten u.ä. imaginieren kann. Hier ist der Platz, um Lösungen zu entwickeln, Ziele zu erreichen usw. Der Coach sollte sich dabei dem Rhythmus des Coachees anpassen (Pacing) und auch genügend Pausen machen, um dem Coachee Zeit zu geben, sich die Dinge im Einzelnen vorzustellen. 3) Rückholung: Die Bilder klingen nun langsam aus und der Coachee wird behutsam in den Alltag zurückgeführt. Dies kann durch Veränderung der Atmung, durch Strecken des Körpers u.ä. unterstützt werden.Achtung: Der Coach sollte nach der Fantasiereise eigene Deutungen und Bewertungen weitestgehend vermeiden. Im Mittelpunkt steht vielmehr, was der Coachee für sich von der Reise mitgenommen und welche Bedeutung sie für ihn gehabt hat. Dies kann der Coach durch Fragen beispielsweise nach den Gefühlen, Gedanken, Erlebnissen, Erinnerungen etc., die während der Reise auftraten, eruieren.

Tool

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Anwendung im CoachingDie Fantasiereise eignet sich vor allem für die Veränderungsphase im Coaching, wenn Visionen und Ziele installiert werden sollen. Eine Grundvoraus-setzung ist jedenfalls, dass sich bereits ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Coachee entwickeln konnte.

MaterialKeines

AnmerkungenBezug zum „Katathymen Bilderleben“: Hanscarl Leuner entwickelte das sog. „Katathyme oder gefühlsmäßige Bilderleben“ aus Elementen der Psychoanalyse von Freud und Jung. Beim Katathymen Bilderleben wird davon ausgegangen, dass die Bilder sowohl bei Tag- als auch bei Nachtträumen unbewusste Gefühle, Konflikte u.ä. widerspiegeln. Das Katathyme Bilderleben soll nun helfen, (Konflikt-)Themen des Unterbewussten aufzuspüren und durch Tagträume gezielt aufzuarbeiten. Bei dieser Bildreise, wie das Katathyme Bilderleben auch genannt wird, wird ein Bild durch den Coach/Therapeuten vorgegeben, das der Coachee gemäß seiner eigenen Vorstellungen ausfüllt. Wichtig ist, dass das katathyme Bild sich ohne Anstrengung, farbig und dreidimensional vor dem in einem Entspannungs-zustand befindlichen Coachee entfaltet.

LiteraturHipp, J .– Wengel, K. (2007), Geleitete Fantasien im (Karriere-)Coaching, in: Coaching-Tools II. Erfolgreiche Coaches präsentieren Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, S. 233–237.

Leuner, H. (1970), Katathymes Bilderleben. Stuttgart: Georg Thieme.

Ders. (1985), Lehrbuch des Katathymen Bilderlebens. Bern: Hans Huber.

Schmid, B. (1998), Arbeit mit geleiteten Phantasien und Trance. Institutsschriften.

Schmidt, G. (2004), Liebesaffären zwischen Problem und Lösung – Hypno-systemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten. Heidelberg: Carl Auer.

o.A.: http://methodenpool.uni-koeln.de/fantasie/frameset_fantasie.html (Access: 15.1.2011).

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Inneres Team

Grundlage:Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden – Das „innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation

ZielDieses Tool hilft, die „inneren Stimmen“, also die „innere Kommunikation“, sichtbar zu machen. Jeder Mensch hat verschiedene Anteile/Stimmen in sich, die (beispielsweise in Entscheidungs-situationen) im Widerstreit miteinander liegen können.Mit Hilfe des Tools soll aus diesen divergenten Stimmen ein Team geschaffen werden, das es dem Coachee schließlich ermöglicht, nach außen hin authentisch und mit „einer Stimme“ in (Gesprächs-)Situationen aufzutreten. Es handelt sich beim „inneren Team“ somit um eine Art „inneres Konfliktmanagement“.- Zur Selbst- und Rollenklärung- Die einzelnen Stimmen identifizieren und ihnen Gehör verschaffen- Die Stimmen zu einem homogenen Team zusammenfassen und für eine klare, einheitliche Kommunikation nützen

BeschreibungZu Beginn werden die einzelnen Stimmen/Teammitglieder identifiziert. Im Anschluss daran erhält jede Stimme die Gelegenheit, sich zu Wort zu melden. Dafür werden Kärtchen entweder auf den Boden oder auf Stühle gelegt. Der Coachee stellt bzw. setzt sich auf die Kärtchen/Stühle und lässt jede innere Stimme zu Wort kommen, die ihre eigene Sicht der Dinge „erzählt“. Der Coach fragt den Coachee u.a., welche Stimme sich zuerst gemeldet hat, welche am lautesten/leisesten/aggressivsten etc. ist, welche Stimmen ihn unterstützen oder welcher Stimme er mehr Gehör verschaffen will.Durch die Identifikation mit den verschiedenen Stimmen werden die inneren Anteile gestärkt und der einheitliche „Teamgeist“ unterstützt.

Anwendung im CoachingDas Tool eignet sich vor allem für die Orientierungsphase des Coachings und hier speziell bei Entscheidungsprozessen oder Konfliktsituationen, in denen widerstreitende Anteile des Coachees eine Problemlösung verhindern.Darüber hinaus wird die innere Kommunikation gestärkt, so dass der Coachee in der Folge auch nach außen hin klar und eindeutig auftreten kann.

MaterialStifte, Kärtchen und evtl. Stühle.

AnmerkungenWie Schulz von Thun in „Miteinander reden“ anführt, ist für eine gelungene Kommunikation zuallererst eine „Selbstklärung“ nötig, denn „Wer sich selbst versteht, kann besser kommunizieren“. Dabei sollte man – wie Schulz von Thun weiter ausführt – aus der „Not eine Tugend machen“, indem man die eigenen pluralistischen Anteile anerkennt und ins Boot holt, denn „jedes Teammitglied hat seine eigene Weisheit, die der Betroffene nutzen kann.“

Tool

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

LiteraturHorn, K.-P. (2004), Systemisches Makro-Mikro-Coaching, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, S. 114ff.

Migge, B. (2005), Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim: Beltz, S. 44.

Radatz, S. (2009), Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Praxishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten. Wien: ISCT, S. 246f.

Schulz von Thun, Fr. (1998), Miteinander reden 3 – Das „innere“ Team und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek: rororo.

Ders.–Stegemann, W. (edd.) (2004), Das Innere Team in Aktion. Praktische Arbeit mit dem Modell. Reinbek: rororo.

Vision installieren („Zielgehen“)

Grundlage:Linda Kaszubski

ZielDas „Zielgehen“ unterstützt den Coachee dabei, sich ein Bild von seiner Vision zu machen und anschließend auch tatsächlich in diese Vision „hineinzugehen“. Durch das physische Erleben, was es heißt, „in der Vision“ zu stehen, kann der Coachee diese in sich verankern und die dabei erlebten Gefühle, Gedanken etc. zu einem späteren Zeitpunkt (beispielsweise, wenn es um die tatsächliche Umsetzung seiner Vision geht) wieder abrufen.- Die Vision für den Coachee erlebbar machen- Dem Coachee das Gefühl geben, dass er bereits auf dem Weg hin zu seiner Vision ist- Der Coachee erhält einen „Anker“, den er für sich gezielt in bestimmten Situationen abrufen kann

BeschreibungZuerst soll der Coachee ein Symbol für seine Vision finden, indem er entweder ein eigenes Bild zeichnet, oder aber sich ein passendes Bild aussucht. Anschließend schreibt der Coachee auf ein Kärtchen (in passender Farbe) das Wort „HEUTE“.Im nächsten Schritt werden das Visionsbild und das „HEUTE“-Kärtchen vom Coachee auf einer Zeitlinie aufgelegt. Dabei kann der Coachee für sich feststellen, wie weit der Zielzustand noch entfernt ist.Der Coachee stellt sich nun mit der Vision vor Augen auf das „HEUTE“ und geht gemeinsam mit dem Coach (wenn er dies möchte) auf die Vision zu. Es liegt wiederum am Coachee, welches Tempo für ihn angenehm ist, um auf das Ziel zuzugehen (ist er zu schnell, sollte er Nachdenkpausen einlegen etc.) und welche Zwischenschritte zur Zielerreichung wann erforderlich sind.

Tool

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Wichtig ist, dass der Coachee anschließend tatsächlich auf dem Zielbild steht. Im Zielbild, das sozusagen ein „wissendes Feld“ darstellt, kann der Coach Fragen stellen – z.B. was sich für den Coachee verändert hat oder in Bezug auf die nächsten Schritte und Themen für das Folgecoaching.Es kann sein, dass der Coachee die Strecke zwischen „HEUTE“ und Zielbild mehrmals zurücklegen muss, bis er tatsächlich in der Vision „steht“. Der Coach sollte jedes Mal nachfragen, ob er den Coachee begleiten soll oder nicht bzw. ob dieser eine Wiederholung benötigt. Zum Abschluss weist der Coach den Coachee an, aus der Situation auszusteigen (sich zu „entrollen“).Für den Transfer können abschließend u.a. folgende Fragen gestellt werden: „Wenn Sie in Ihrer Zielenergie sind, was passiert dann?“„Wenn Sie sich Ihren Zielsatz anschauen und mit Ihrer Zielenergie verbinden, wie verändert sich der Zielsatz? Welche Gedanken kommen Ihnen?“ u.ä.Ein passender Zielsatz kann entweder im Anschluss daran oder aber in der nächsten Sitzung formuliert werden.

Anwendung im CoachingDas Tool eignet sich sowohl für die ersten Coachingsitzungen wie auch für die Veränderungsphase.

MaterialStifte, Kärtchen, Flipchart, Bilder

AnmerkungenDas Tool vereint Elemente sowohl (Symbol-)Bilder vom NLP als auch vom „Zielbalken“, der „Zeitschiene“ und der Systemaufstellung.

LiteraturKutschera, G. (2002), Tanz zwischen Bewusst-sein und Unbewusst-sein. NLP-Arbeits- und Übungsbuch. Paderborn: Junfermann.

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Bibliographie zu Theorieteil und „Tool-Box“ der Abschlussarbeit„Funktion der Sprache im Coachingprozess“

Bamberger, Günter G. (2001), Lösungsorientierte Beratung. Weinheim: Beltz.

Bandler, Richard – Grinder, John (1982), Reframing: Neuro-Linguistic Programming and the Transformation of Meaning.

Moab/Utah: Real People Press.

de Jong, Peter – Berg, Insoo Kim (2003), Lösungen (er-)finden. Dortmund: Modernes Lernen.

de Shazer, Steve (2010), Worte waren ursprünglich Zauber. Von der Problemsprache zur Lösungssprache.

Heidelberg: Carl-Auer.

Ders. (1992), Wege der erfolgreichen Kurztherapie. Stuttgart: Klett-Cotta.

Ders. (1999), Der Dreh. Überraschende und erfolgreiche Wendungen in der Kurztherapie. Heidelberg: Carl-Auer.

Ders.–Berg. Insoo Kim (1993), Wie man Zahlen zum Sprechen bringt. Familiendynamik 17/2, S. 146-162.

Dilts, Robert B. (2008), Die Magie der Sprache: Angewandtes NLP. Paderborn: Junfermann.

Erickson, Milton H., (1995-1998), Gesammelte Schriften von Milton H. Erickson Bd. 1-6. Heidelberg: Carl-Auer.

Hipp, Joachim – Wengel, Katja (2007), Geleitete Fantasien im (Karriere-)Coaching, in: Coaching-Tools II. Erfolgreiche

Coaches präsentieren Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare.

Horn, Klaus-Peter (2004), Systemisches Makro-Mikro-Coaching, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches

präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare.

Hüther, Gerald (2007), Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Ders. (2010), Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Kutschera, Gundl (2002), Tanz zwischen Bewusst-sein und Unbewusst-sein. NLP-Arbeits und Übungsbuch.

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Paderborn: Junfermann.

Langosch, Andreas (2010), Die Empowerment-Maschine: Praxismanual für lösungsfokussierte, motivierende

Gesprächsführung und outcome-orientiertes Empowerment in schwierigen sozialen Arbeitsbereichen. Kiel: Eigenverlag.

Leuner, Hanscarl (1970), Katathymes Bilderleben. Stuttgart: Georg Thieme.

Ders. (1985), Lehrbuch des Katathymen Bilderlebens. Bern: Hans Huber.

Mahlmann, Regina (2010), Sprachbilder, Metaphern & Co. Einsatz von bildlicher Sprache in Coaching, Beratung und

Training. Weinheim: Beltz.

Meier, Daniel – Szábo, Peter (2008), Coaching – erfrischend einfach. Einführung ins lösungsorientierte Kurzzeitcoa-

ching. Norderstedt: Books on Demand.

Migge, Björn (2005), Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim: Beltz.

Minor, Marc (2004), Metaphorik, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus

ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare.

Palmowski, Winfried – Thöne, Edwin (1995), Zirkuläres Fragen – Was war da noch?, in: Zeitschrift für systemische

Therapie 13/2.

Prior, Manfred (2009), MiniMax-Interventionen. 15 minimale Interventionen mit maximaler Wirkung. Heidelberg: Carl-

Auer.

Radatz, Sonja (2000), Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Pra-

xishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten.

Wien: ISCT.

Reich, Kersten (ed.), Zirkuläres Fragen, in: Methodenpool http://methodenpool.uni-koeln.de 2008ff. (Access: 8.1.2011).

Satir, Virginia (2000), Das Satir-Modell. Familientherapie und ihre Erweiterung. Paderborn: Junfermann.

Dies. (2004), Kommunikation – Selbstwert – Kongruenz. Konzepte und Perspektiven familientherapeutischer Praxis.

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Paderborn: Junfermann.

Schäper, Carsten (2004), Zirkuläres Interview, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren

60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare.

Schlippe, Arist v. – Schweitzer, Jochen (2007), Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Schmid, Bernd (1998), Arbeit mit geleiteten Phantasien und Trance. Institutsschriften.

Ders. (2004), Systemisches Coaching: Konzepte und Vorgehensweisen in der Persönlichkeitsberatung.

Bergisch-Gladbach: Edition Humanistische Psychologie.

Schmidt, Gunther (2010), Liebesaffären zwischen Problem und Lösung.

Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten. Heidelberg: Carl-Auer

Ders. (2010), Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl-Auer.

Schulz v. Thun, Friedemann (1981), Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen.

Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. Reinbek: rororo.

Ders. (1998), Miteinander reden 3 – Das „innere“ Team und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek: rororo.

Ders. – Stegemann, Wibke (edd.) (2004), Das Innere Team in Aktion. Praktische Arbeit mit dem Modell. Reinbek: rororo.

Simon, Fritz B. – Rech-Simon, Christel (2004), Zirkuläres Fragen – Systemische Therapie in Fallbeispielen:

Ein Lernbuch. Heidelberg: Carl-Auer

Szábo, Peter (2004), Lösungsorientierte Kurzzeitberatung, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches

präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare.

Ders. (2004), Skaleboard®, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken

aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare.

Watzlawick, Paul (2010), Wie wirklich ist die Wirklichkeit. Wahn – Täuschung – Verstehen. München: Piper.

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Wehrle, Martin (2010), Die 100 besten Coaching-Übungen: Das große Workbook für Einsteiger und Profis zur Entwick-

lung der eigenen Coaching-Fähigkeiten. Bonn: Managerseminare.

Woelm, Elmar (2006), Reframing – eine wichtige Strategie in therapeutischer Hypnose,

Coaching und Psychotherapie: http://www.inhypnos.de/ (Access: 14.1.2011).

o.A.: http://methodenpool.uni-koeln.de/fantasie/frameset_fantasie.html (Access: 15.1.2011).

o.A.: http://methodenpool.uni-koeln.de/refraiming/frameset_refraiming.html (Access: 15.1.2011).

o.A.: http://www.efb-stupa.de/service/handouts/hdlg_2006-06-12_a.pdf (Access: 8.1.2011).

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Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching für den SchulalltagMag. Michaela Flatzbauer

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Was ist Coaching?

1.1. Begriffsklärung

1.2. Konstruktivistische und systemische Theoriegrundlagen

2. Rahmenbedingungen für Coaching-Gespräche in der Schule

2.1. Äußere Rahmenbedingungen

2.2. Haltung des Coaches

2.3. Abgrenzung zu anderen schulischen Tätigkeitsbereichen

3. Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching

3.1. Allgemeines

3.2. Grundlegende Annahmen

3.3. Gesprächsphasen im Kurzzeitcoaching

3.4. Wingwave - eine Intervention im Kurzzeitcoaching

3.5. Praktische Umsetzung der Wingwave-Methode im Schulalltag

4. Conclusio

5. Literaturverzeichnis

Einleitung

Als Pädagogin war und ist es schon immer mein Bestreben, Schülern nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern sie auch

in ihren Fähigkeiten zu bestärken und Maßnahmen für ihre Persönlichkeitsentwicklung und -förderung anzubieten.

Angesichts der Praxisbezogenheit widme ich meine Arbeit dem lösungsorientierten Kurzzeitcoaching, mit der Absicht,

dies bevorzugt im Schulalltag einzusetzen.

Vorerst werde ich den Begriff „Coaching“ erläutern und diesen im systemisch-konstruktivistischen Kontext näher be-

leuchten.

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Da im Zentrum meiner Arbeit „Coaching im Schulalltag“ steht, werde ich auf erforderliche Rahmenbedingungen für

Coaching-Gespräche in der Schule eingehen und eine Abgrenzung zu den Tätigkeiten des Bildungsberaters und der

Klassenvorstände herstellen.

Im Besonderen werde ich auf den Ansatz des „Lösungsorientierten Kurzzeitcoaching“ nach Steve de Shazer näher ein-

gehen. Die „wingwave-Methode“ als neuen Ansatz des Kurzzeitcoachings werde ich auch anhand der praktischen Um-

setzung im Schulalltag beschreiben.

Ich bedanke mich bei all jenen Menschen, die mich während meiner Ausbildung begleitet haben, mir wichtige Kenntnis-

se vermittelt und wertvolle Werkzeuge gelehrt haben und bei allen, die mir den nötigen „Freiraum“ gegeben haben, dies

erfahren zu dürfen.

1. Was ist Coaching?

1.1. Begriffsklärung

Coaching-Begriffe werden in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Zwei gängige Coaching-Definitionen sol-

len den Begriff näher erläutern:

Der Begriff „Coach“ stammt aus der englischen Sprache und bedeutet dort „Kutsche“. An der Wende vom 19. zum 20.

Jahrhundert brachte eine von Pferden gezogene Kutsche Menschen von A zu ihrem Ziel B. Dasselbe will der Coach, er

begleitet den Coachee (auch Kunde genannt), um angenehm, sicher und schnell sein Ziel zu erreichen, das Ziel formu-

liert der Coachee.1

Auch das Handwerk des Rahmenmachens hilft, den Begriff „Coaching“ zu klären. Der Coach schafft den Denkrahmen

für den Coachee durch zielgerichtetes Fragen, aktives Zuhören und hilfreiche Zusammenfassungen. Dies ermöglicht

dem Coachee, seine Ziele, Ressourcen und nächsten Schritte, d.h. sein Bild, zum Leuchten zu bringen. Der Coach wird

nie aktiv „das Bild“ mitgestalten, er ist Unterstützer und Begleiter bei der eigenverantwortlichen Lösung von Problemen

durch den Coachee. In diesem Sinne ist Coaching immer Hilfe zur Selbsthilfe.2

1.2. Konstruktivistische und systemische Theoriegrundlagen

Der Systemische Ansatz als Grundlage des lösungsorientierten Coachings basiert auf systemischem und konstruktivis-

tischem Denken:

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

- Die objektive Wirklichkeit gibt es nicht – sie entsteht im Auge des Betrachters. „Es wird niemals zwei Menschen

geben, die zugleich auf die gleiche Art und Weise das Gleiche erleben.“3 Menschliche Beschreibungen können daher

niemals objektiv sein, sondern immer nur subjektiv. Daher gibt es aus konstruktivistischer Sicht kein „richtig“ oder

„falsch“.

- Man kann niemanden in eine bestimmte Richtung ändern. Menschen müssen von sich aus bereit sein, sich zu ändern,

somit ändert sich auch ihr Umfeld.

Systemisches Coaching ermöglicht Menschen, ihr Wahrnehmungsfeld zu erweitern, dadurch werden Dinge anders

bewertet und Lernen wird möglich.

- Menschen „sind“ nicht, sondern „verhalten“ sich. Somit können sich Menschen jeden Tag anders als bisher verhalten.

- „Probleme sind Konstrukte, die zeit- und situationsabhängig nur von den betroffenen Personen in ihrer Wirklichkeit

wahrgenommen werden.“4 Man kann also die Probleme anderer weder verstehen noch lösen. Sie bedürfen einer

angemessenen Akzeptanz, Anerkennung und Wertschätzung durch den Coach. Der Coachee ist und bleibt der Experte

zum Lösen des Problems.

- Systemisches Denken bedeutet zirkulär zu denken, d.h. alles hat wechselseitigen Einfluss aufeinander. Es impliziert,

dass sich ein Mensch in unterschiedlichen Systemen zur gleichen Zeit unterschiedlich verhält.

- Systemisches Denken ist ziel- und lösungsorientiert und nicht vergangenheitsorientiert. Fragen, die der Coach im

systemischen Denken stellt, sind nicht analysierend-statisch über die Vergangenheit, sondern zukunfts-, ziel- und

lösungsorientiert. Das Problem hat nichts mit der Lösung zu tun.

2. Rahmenbedingungen für Coaching-Gespräche in der Schule

Coaching im Schulalltag soll den Schülern Hilfe zur Selbsthilfe geben. Sie sollen ihre Stärken erkennen und entwickeln.

In weiterer Folge können sie ihre eigenen Ressourcen erkennen und zielgerichtet einsetzen.

Im Rahmen von Einzel- oder Team-Coaching-Gesprächen unterstützt der Coach die Schüler bei ihrer Zielfindung und

begleitet sie in der persönlichen und sozialen Entwicklung.

In den weiteren Ausführungen ist die Person des „Coachees“ der des Schülers gleichzusetzen.

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

2.1. Äußere Rahmenbedingungen

Um Coaching-Gespräche in entspannter Atmosphäre führen zu können, soll ein entsprechender Raum in der Schule

dafür vorgesehen werden. Der Raum soll hell und „freundlich“ sein, die Einrichtung soll sich erkennbar vom schultypi-

schen Mobiliar unterscheiden.

Der Raum soll so angelegt sein, dass Coaching-Gespräche völlig ungestört, ohne Unterbrechungen von außen, verlaufen

können.

2.2. Die Haltung des Coaches5

Die Haltung des Coaches gegenüber dem Coachee hat eine wichtige und entscheidende Bedeutung:

Für den Coachee, konkret den Schüler, ist es sicher eine Überwindung, ein Coaching in Anspruch zu nehmen. Deshalb

muss dem Coachee und seiner Situation Wertschätzung entgegengebracht werden.

Eine wichtige Coaching-Kompetenz ist es, frei von jeglichen Erwartungen an sich selbst, an den Coachee und an das

Coaching zu agieren. Dieses Loslassen zeigt sich auch darin, dass der Coach seine eigene Meinung zurückhält und

Ratschläge vermeidet.

Kreative Fragen ermöglichen dem Coachee alternative Denk- und Handlungsweisen und überlassen ihm die Verantwor-

tung dafür.

Für den Coach ist es von Vorteil, mit dem Einverständnis des Coachees, während des Coachings Aussagen zu notieren,

um komplexe Zusammenhänge leichter behalten und zusammenfassen zu können.

Absolute Verschwiegenheit des Coaches nach außen ist besonders wichtig, vor allem auch im Schulbereich. Der Schüler

muss sich darauf verlassen können, dass nichts, was im Coaching-Prozess besprochen wurde, an andere Lehrer, an die

Schulleitung, an Eltern oder Mitschüler weitergegeben wird. Diese Zusicherung muss gegenüber dem Coachee auch

immer wieder betont werden, um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen.

2.3. Abgrenzung zu anderen schulischen Tätigkeitsbereichen

Coaching ist sicher nicht generell einsetzbar. Deshalb ist es wichtig, die Tätigkeiten eines Coaches von anderen Tätigkei-

ten klar abzugrenzen. Da in der vorliegenden Arbeit „Coaching im Schulalltag“ im Vordergrund steht, soll eine Abgren-

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zung zu den Tätigkeiten des Bildungsberaters einer Schule und der Klassenvorstände hergestellt werden.

Coaching soll eine Unterstützung bei der eigenverantwortlichen Lösung von Problemen des Schülers im Privatleben, in

der Schule oder zwischen diesen Bereichen sein. Der Coach ist nur für den Prozess verantwortlich. Der „Ruhm“ für die

eigene Problemlösung bleibt beim Schüler (Coachee).6 Dies führt zur Stärkung seines Selbstbewusstseins.

Bildungsberater an einer Berufsbildenden Mittleren und Höheren Schule (BMHS) sind speziell ausgebildete Lehrerinnen

und Lehrer, die für Informationen und individuelle Beratung u.a. über Ausbildungsmöglichkeiten, Fachrichtungen und

Abschlüsse an einer BMHS zur Verfügung stehen. Sie halten auch Kontakt zur schulpsychologischen Beratungsstelle.7

Die Haltung eines Beraters, wie die des Bildungsberaters, impliziert ein Oben-Unten-Verhältnis. Der Berater weiß, was

richtig ist, er kennt die Lösung und trägt auch die Verantwortung dafür.8 Der Schüler weiß die Lösung nicht und bittet

um Unterstützung.

„Dem Klassenvorstand obliegt für seine Klasse in Zusammenarbeit mit den anderen Lehrern die Koordination der Erzie-

hungsarbeit, die Abstimmung der Unterrichtsarbeit auf die Leistungssituation der Klasse und die Belastbarkeit der Schü-

ler, die Beratung der Schüler in unterrichtlicher und erzieherischer Hinsicht, die Pflege der Verbindung zwischen Schule

und Erziehungsberechtigten, die Wahrnehmung der erforderlichen organisatorischen Aufgaben sowie die Führung der

Amtsschriften.“9 Somit übernimmt der Klassenvorstand neben Koordinationsaufgaben auch die Rolle eines Beraters mit

all ihren Vor- und Nachteilen.

Für den Coach ist die Zusammenarbeit mit den hier genannten Kollegen unabdingbar, da wichtige Schulbereiche aus-

schließlich ihren Funktionen zugehörig sind.

3. Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching

Vor allem auch im Schulbereich erweist sich der Ansatz des lösungsorientierten Kurzzeitcoachings als besonders wert-

voll und effizient einsetzbar.

3.1. Allgemeines

Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching basiert darauf, mit wenigen zielgerichteten Interventionen nützliche Veränderun-

gen in der Welt des Coachees zu erreichen.

Der lösungsorientierte Ansatz wurde in den Siebzigerjahren in den USA von einer Forschergruppe um Isoo Kim Berg

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und Steve de Shazer entwickelt. Das Modell entwickelte sich induktiv heraus, mit dem fokussierten Blickwinkel nach der

Wirksamkeit des Coachings und nicht aufgrund eines bestehenden Theoriemodells. D.h. die Forschergruppe beobach-

tete und erforschte ihre eigenen Coachinggespräche, um jene Fragen und Interventionen zu finden, die für den Coachee

nützlich sind.

Durch die Konzentration auf das Finden von Lösungen durch den Coachee, die Lösungsorientierung, konnte die Zeit

für Coachinggespräche um durchschnittlich 70 % gesenkt werden bei gleicher Erfolgsquote wie mit herkömmlichen

Therapieformen.10

3.2. Grundlegende Annahmen

Hilfreiche, für das Kurzzeitcoaching zentrale Annahmen ermöglichen, dass der Coachee schnell zu nachhaltigen Lösun-

gen kommt:11

- Statt Probleme zu lösen, werden Lösungen gefunden

Im Kurzzeitcoaching wird der Coachee durch gezielte Fragen und Interventionen unterstützt, ein möglichst genaues

und erwünschtes Bild seiner „Lösungszukunft“ zu erarbeiten. Die meiste Zeit eines Coachinggesprächs wird für das

Ziel, vorhandene Ressourcen, mögliche Lösungen, erste kleine Erfolgserlebnisse und konkrete Schritte aufgewendet,

die Problemanalyse wird dabei vollständig vernachlässigt. Fragen, die das Lösungsbewusstsein stärken, wirken für

den Coachee oft sehr klärend und neue Energien können sich entwickeln.

- Der Coachee hat bereits Erfahrungen mit der Lösung

Der Coach darf darauf vertrauen, dass der Coachee bereits kleine Erfahrungen mit der Lösung gemacht hat. Kein

Problem besteht immer oder immer in der gleichen Intensität. Diese „problemlosen Zeiten“ sind wichtig für die

Lösungserarbeitung. Steve de Shazer sagte: „Tue mehr von dem, was funktioniert!“

- Der Coachee ist der Experte in seiner Welt

Der Coach geht davon aus, dass der Coachee alle Kompetenzen und Ressourcen, die er für sein Lösungsbild braucht,

in seinem Erfahrungsspektrum gespeichert hat, auch wenn sie vom Coachee zu dieser Zeit nicht wahrgenommen

werden können. Der Coachee bestimmt, was es zu reparieren gilt und nicht der Coach. Steve de Shazer sagte: „Repa-

riere nicht, was nicht kaputt ist!“

- Nichtwissen ist nützlich

Nichtwissen hilft dem Coach, sich auf das Gestalten eines hilfreichen Coaching-Prozesses zu konzentrieren, nützliche

Fragen zu stellen und ressourcenorientierte Rückmeldungen zu geben. Im Coachinggespräch arbeitet der Coachee

und entwirft neue Lösungen.

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- Kleine Lösungen können zu großen Veränderungen führen12

Kurzzeitcoaching besteht sinnbildlich darin, einen kleinen Schneeball dazu zu bringen, den Hügel hinabzurollen und

ihm dann nicht im Weg zu stehen, wenn er größer und größer wird, um seine Eigenbewegung nicht zu stören. Manch-

mal braucht er vielleicht eine Weile oder kommt vom geraden Weg ab, aber er wird das Ziel erreichen.

- Wertschätzung gegenüber jedem Coachee13

Diese zeigt sich vor allem darin, dass der Coach die Worte des Coachees direkt

Im folgenden Kapitel werden die Gesprächsphasen eines lösungsorientierten Kurzzeitcoaching genauer beleuchtet, vor

allem steht „die Wunderfrage“ als das zentrale Element eines Kurzzeitcoaching nach Steve de Shazer im Mittelpunkt.

3.3. Gesprächsphasen im Kurzzeitcoaching

Wenn lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching, wie der Name schon sagt, in kurzer Zeit zum Abschluss gebracht werden

soll, sind einerseits die bereits genannten grundlegenden Annahmen hilfreich, andererseits unterstützt hierbei ein weit-

gehend strukturierter Gesprächsablauf.

Nach Steve de Shazer beginnt der Coaching-Prozess bereits dann, wenn der Coachee einen Termin für das Coachingge-

spräch vereinbart und sich somit entscheidet, sein Problem zu lösen.

Die Auftragserteilung steht nach Steve de Shazer am Beginn jedes ersten lösungsorientierten Coachinggesprächs mit

folgender Frage: „ Was müssen wir hier tun, damit die verbrachte Zeit für Sie nützlich war?“14

Wenn klar ist, was sich der Coachee vom Coachinggespräch erwartet, fragt Steve de Shazer nach dem Ziel und erarbeitet

anschließend genauere Details dieses Ziels mit dem Coachee.

Erst wenn der Coachee sein Ziel gedanklich „zum Greifen nahe“ erarbeitet hat und wenn der Zeitpunkt passt, stellt Ste-

ve de Shazer die Wunderfrage. Sie ist ein sehr nützliches und wirkungsvolles Werkzeug, welche Anfangsbilder von

Lösungen hervorruft. Wichtig ist hierbei, die Wunderfrage als Fragenkomplex wortwörtlich wiederzugeben und immer

wieder das Wunder durch Pausen (…) wirken zu lassen:15

„Nehmen wir an … nachdem wir hier fertig gearbeitet haben, gehen Sie nach Hause … und Sie tun, was Sie am Abend

sonst auch immer tun, und dann gehen Sie zu Bett und schlafen ein. ... Und während Sie schlafen, passiert ein Wunder.

… Und die Probleme, die Sie hierhergebracht haben, sind weg, einfach so! … Aber das passiert, während Sie schlafen,

und daher können Sie nicht wissen, dass das Wunder passiert ist. … Wenn Sie am Morgen aufwachen, wie werden Sie

entdecken, dass das Wunder passiert ist?“

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Im nächsten Schritt wird die Außenwirkung auf die Verhaltensänderung des Coachees nach dem Wunder herausgear-

beitet.

Um das Wunder vorstellbar und realisierbar zu machen, sucht der Coachee nach Begebenheiten, in denen er schon ein

wenig vom gewünschten Zielzustand erfahren hat. Je mehr Beispiele von „Vorboten“16 in der Erinnerung des Coachees

auftauchen, desto zuversichtlicher und vertrauensvoller kann der Coachee möglichen Handlungen entgegensehen.

Um das Wunder Realität werden zu lassen, ist es hilfreich, Skalierungsfragen einzusetzen: „Auf einer Skala zwischen

0 und 10, wenn 10 für den Tag nach dem Wunder steht und 0 für den Zeitpunkt, an dem Sie diesen Termin vereinbart

haben, wo zwischen 0 und 10 stehen Sie jetzt?“17 Das Besondere an der Skalierungsfrage ist ihre Allgemeingültigkeit und

Vielseitigkeit. Vor allem Kinder und Jugendliche besitzen nicht die sprachlichen Fähigkeiten, anderen zu erklären, was

sie zum Ausdruck bringen möchten. Skalierungsfragen ermöglichen Kindern und Jugendlichen, ihr eigenes Verhalten

sehen bzw. ihren Fortschritt leichter einschätzen zu können.18

Wenn der Coachee weiß, wo er derzeit auf der Skala steht und wo ihn die anderen Menschen seiner Systemumwelt

einstufen, sollte in der nächsten Gesprächsphase die Frage im Mittelpunkt stehen, was der Coachee braucht, um die

nächsthöhere Stufe auf der Skala zu erreichen.

Während des Coaching-Prozesses, aber spätestens beim Abschluss des Coachings sollte der Coach dem Coachee rück-

melden, was ihn besonders beeindruckt hat oder Handlungen des Coachees nennen, die besonders hilfreich erscheinen,

sein Ziel zu erreichen. Komplimente unterstützen den Coachee auf seinem Weg.

Zum Abschluss gibt Steve de Shazer dem Coachee häufig ein Experiment (eine Hausaufgabe) mit, um das Verhalten

des „Tages nach dem Wunder“ in der Praxis zu üben.19 Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Zahl der Coaching-

Sitzungen durch Experimente im Rahmen des lösungsorientierten Kurzzeitcoaching signifikant gesenkt werden können.

Allerdings sollte dem Coachee immer nur ein Experiment mitgegeben werden, mit dem Hinweis, dass er für die Umset-

zung allein verantwortlich ist.

Das Experiment bildet den Abschluss des ersten Coachinggesprächs. Folgetermine werden erst auf Wunsch des Co-

chees vereinbart.

3.4. Wingwave – eine Intervention im Kurzzeitcoaching

Die Wingwave-Methode als eine mögliche Intervention im Kurzzeitcoaching bietet Coachees die Möglichkeit, im Rahmen

des Coaching-Prozesses, ihre körperlichen und geistigen Ressourcen zu beleben und weiterzuentwickeln. Die Methode

geht davon aus, dass jeder Coachee die Möglichkeiten in sich trägt, die er für die Erreichung seiner Ziele und für seine

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Persönlichkeitsentwicklung benötigt.20

Mit Wingwave überwindet der Coachee starre Blockaden und festgefahrene Stress-Muster und bringt genau jene persön-

lichen Ressourcen zum Fließen, die er zum Erreichen seines jeweiligen Ziels braucht – emotionale Blockaden werden in

neue Leistungskraft verwandelt.

Die Methode basiert auf der Erkenntnis der emotionellen und geistigen Regeneration im Schlaf, da der wesentliche Teil

der Emotions-Verarbeitung beim Träumen geschieht. Erkenntnisse aus der Schlafforschung zeigen, dass der Mensch in

der Traumphase seine Augen schnell hin- und herbewegt, dieses Phänomen wird als REM-Phase (Rapid Eye Movement)

bezeichnet.

Ist nun die natürliche Informationsverarbeitung aufgrund eines Schockerlebnisses blockiert, können mit der Wingwave-

Methode neuronale Eigenkräfte in „wachen REM-Phasen“ herbeigewunken werden.21

Der Coach „winkt“ vor dem Gesichtsfeld des Coachees schnell hin und her, der Coachee folgt der Bewegung mit seinen

Augen. Dadurch werden die blockierten neuronalen Bahnen „durchgeputzt“ und ein Informationsaustausch der linken

und rechten Gehirnhälfte wird aktiviert.

Bestimmte Richtungen der Augenbewegungen sprechen unterschiedliche Sinneskanäle an. Daher sind beim Einsatz der

Wingwave-Intervention die verschiedenen Ebenen der Augenbewegungsmuster zu beachten:22

- Augenbewegungen im oberen Blickfeld beeinflussen die visuelle Qualität innerer Wahrnehmungen, das, was der

Coachee „vor Augen hat“.

- Augenbewegungen im mittleren Blickfeld (nach vorne) beeinflussen das innere auditive Erleben, wie z.B. Töne, Ge-

räusche oder gesprochene Sätze im „geistigen Ohr“.

- Augenbewegungen im unteren Blickfeld wirken auf körperliche Wahrnehmungen, welche einer inneren Repräsentati-

on gleichgesetzt sind.

Häufig werden auch diagonale Bewegungen von unten rechts nach oben links und von unten links nach oben rechts

eingesetzt.

Das Tempo beim „Winken“ soll so angepasst sein, dass der Coachee gerade noch folgen kann.

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Was bedeutet nun der Name „Wingwave“? „wing“ steht für den kleinen, unspektakulären Flügelschlag des Schmetter-

lings und „wave“ für die sich schnell ausbreitende positive Wirkung der Methode für die Befindlichkeit des Coachees.23

Viele positive Erfahrungen konnten mit der Wingwave-Methode vor allem auch im Bereich der Lernpädagogik gesammelt

werden. Die praktische Umsetzung in diesem Bereich wird im folgenden Kapitel näher beschrieben.

3.5. Praktische Umsetzung der Wingwave-Methode im Schulalltag

Im Rahmen eines Coaching-Workshops einer 4. Klasse Handelsakademie lernten die Schülerinnen und Schüler ver-

schiedene Übungen und Methoden zur Verbesserung ihres Lernverhaltens kennen.

Es war mir ein Anliegen, gemeinsam mit zwei qualifizierten Trainern, die Wingwave-Methode, auch „Scheibenwischer“

genannt, als hilfreiche Methode im Schulbereich vorzustellen und einzusetzen.

Der „Scheibenwischer“ wurde den Schülerinnen und Schülern verständlich und ausführlich erklärt:

Einige Schülerinnen und Schüler lernten anschließend die Wirksamkeit dieser Methode auch in der praktischen Umset-

zung kennen und schätzen.

Besonders die unmittelbare und schnelle Wirkung dieser Methode hat viele Schüler begeistert.

Im Schulbereich lässt sich die Wingwave-Methode vor allem bei Lernblockaden effizient einsetzen. Eine Lernblockade

versperrt dem Schüler aufgrund bestimmter individueller Auslöser, die fast ausschließlich emotionaler Art sind, den

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Zugriff zu seinen Ressourcen.24

Möglicherweise hat der Schüler eine negative Erfahrung in einem bestimmten Lerngebiet gemacht und es hat sich in der

Folge ein Vermeidungsverhalten etabliert, um nicht gleich Negatives noch mal zu erleben. Auch wenn keine Gefahr mehr

gegeben ist, ist die Denkfunktion durch emotionalen Stress außer Kraft gesetzt, da alle unsere Sinneswahrnehmungen

zuerst unsere Amygdala (Angstzentrum) passieren müssen, bevor sie an unseren Cortex, unseren denkenden Gehirnbe-

reich, weitergeleitet werden. Die Folgen sind dann beispielsweise, dass es dem Schüler bei mündlichen Prüfungen „die

Sprache verschlägt“ oder dass der Schüler ein „Black-out“ bei Schularbeiten hat.

Gerade in diesen Fällen kann mit der Wingwave-Methode sehr erfolgreich gearbeitet werden. Wingwave ist somit als

hilfreiche Intervention im lösungsorientierten Kurzzeitcoaching besonders im Schulalltag effektiv einsetzbar.

Allerdings ist Wingwave keine Methode, die für sich allein stehen kann. Coachinggespräche können durch die Wing-

wave-Methode nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden.

1) vgl. Szabó/Berg 2009, S. 92) vgl. Meier/Szabo 2008, S. 10 ff3) vgl. Radatz 2000, S. 334) vgl. Radatz 2000, S. 475) vgl. Radatz 2000, S. 109 ff6) vgl. Radatz 2000, S. 937) vgl. Website des bmukk8) vgl. Radatz 2000, S. 899) § 54.(2) SchUG10) vgl. Meier/Szabo 2008, S. 711) vgl. Meier/Szabo 2008, S. 17ff12) vgl. Szabo/Berg 2009, S. 24f

4. Conclusio

Durch die vertiefende Auseinandersetzung mit dem Thema „Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching im Schulalltag“ sind

mir folgende Erkenntnisse ganz bewusst geworden:

Coaching ist mehr eine Kunst als eine Wissenschaft, die darin besteht, sensibel für die Sichtweisen anderer Menschen

zu sein und Menschen zu helfen, gute Entscheidungen zu treffen, um ihr Gefühl des Wohlbefindens zu steigern.

Der effektivste und respektvollste Weg, einen Schüler bei seinem Veränderungsprozess zu unterstützen, besteht darin,

ihn aus seinem eigenen freien Willen zum Besitz der Lösung statt des Problems zu bringen. Somit kann der Schüler

Selbstständigkeit und Eigenverantwortung übernehmen.

13) vgl. Radatz 2000, S. 26114) vgl. Radatz 2000, S. 26415) vgl. Radatz 2000, S. 267f16) vgl. Meier/Szabo 2008, S. 5117) vgl. Radatz 2000, S. 27118) vgl. Berg/Shilts 2009, S. 45f19) vgl. Radatz 2000, S. 27520) vgl. Besser-Siegmund/Siegmund 2003, S. 16421) vgl. Besser-Siegmund/Siegmund 2003, S. 2622) vgl. Besser-Siegmund/Siegmund 2003, S. 55f23) vgl. Besser-Siegmund/Siegmund 2003, S. 1124) vgl. Besser-Siegmund/Siegmund 2003, S. 103f

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Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching mit effizient eingesetzten Interventionen wie u.a. die Wingwave-Methode sollte im

Schulalltag in jeder Schultype und Schulstufe als wichtiger Bestandteil integriert sein. Darin sehe ich auch künftig die

Aufgabe von Pädagogen, dafür eine Geisteshaltung zu entwickeln und die Möglichkeiten der Umsetzung im Schulbereich

zu schaffen.

Der faszinierendste und gleichzeitig erfüllendste Aspekt der Arbeit mit Schülern ist, sie mit Respekt auf ihren vielfältigen

und kreativen Wegen zu begleiten und sie bei ihren Lösungsentwicklungen zu unterstützen. Fertigkeiten dazu können

gelernt werden, aber die wichtigste „Zutat“ ist das Mitgefühl für andere.

5. Literaturverzeichnis

Bücher:

Berg, Insoo Kim; Shilts, Lee (2009). Einfach KLASSE. WOWW-Coaching in der Schule.Basel: Borgmann Media

Besser-Siegmund, Cora; Siegmund, Harry (2008). Erfolge bewegen. Coach Limbic. Emotions- und Leistungscoaching

mit der wingwave-Methode. Paderborn: Junfermann Verlag

Meier, Daniel; Szabo, Peter (2008). Coaching erfrischend einfach. Einführung ins lösungsorientierte Kurzzeitcoaching.

Luzern: Books on Demand GmbH

Radatz, Sonja (2000). Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen.

Wien: Verlag systemisches Management

Kodex Schulunterrichtsgesetz (2008). Wien: Verlag Lexis Nexis

Szabo, Peter; Berg, Insoo Kim (2006). Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung. Basel: Borgmann Media

Internetquelle:

Berufsbildende mittlere und höhere Schulen (BMHS): Bildungsberatung

http://www.bmukk.gv.at/schulen/service/bmhsbildungsberatung.xml. Abgerufen am 05.01.2012

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

TEAMCOACHINGKonstanze Hörburger

Inhaltsverzeichnis

1. Allgemeine Einleitung

1.1. Abgrenzung zum Einzelcoaching, Training, Moderiertem Workshop

1.2. Leitfragen zum Teamcoaching

1.3. Grundvoraussetzung – was muss vor einem Teamcoaching geklärt werden

2. Wann wird Teamcoaching eingesetzt – häufige Ziele von Teamcoaching

3. Phasen im Teamcoaching

3.1. Auftragsklärung

3.2. Klärung der einzelnen Rollen und Funktionen

3.3. Synergieeffekte finden und unterschiedliche Stärken sinnvoll nutzen

3.4. Ziele setzen und die Zielerreichung anhand von gemeinsam vereinbarten Kriterien klar messen

3.5. Team-Konflikte entschärfen

3.6. Finden und Definieren eines gemeinsamen Leitbilds / Erkennen und

Verstehen der Wahrnehmung und des Werteverständnisses des jeweils anderen

3.7. Begleitung bei der Teamentwicklung

3.8. Entwicklung von Lösungsansätzen

3.9. Festlegen von Überprüfungskriterien

4. Methoden im Teamcoaching

4.1. Rollenspiele

4.2. Solution Circle

4.3. Highlights

4.4. Zirkuläres Fragen

4.5. Zauberstab

5. Praxisbeispiele für Teamcoaching

6. Zusammenfassung

7. Anhang – Handout Coachinglehrgang C+Unternehmensberatung und

Freie Universität Berlin 2008: Phasen des Gruppenaufbaus Francis/Young)

8. Literaturliste

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1. Allgemeine Einleitung

Ein gut funktionierendes Team stellt eine wesentliche Basis für den Unternehmenserfolg dar. Ein Unternehmen ist dann

leistungsfähig, wenn die einzelnen Abteilungen und die einzelnen MitarbeiterInnen gut zusammenarbeiten.

Das Kapitel gibt einen Überblick über Teamcoaching, als eine Unterform des Coachings.

Ein Teamcoach bietet wirkungsvolle Unterstützung an, um ideal miteinander arbeiten zu können und gemeinsame Aufga-

ben und Ziele umzusetzen. Teamcoaching ist ein zeitlich begrenzter Prozess und ist auf ein definiertes Ziel ausgerichtet.

Meist wird das Teamcoaching durch Einzelcoaching für die Teammitglieder ergänzt.

1.1. Definition oder die Abgrenzung zum Einzelcoaching, Training, Moderiertem Workshop

Warum brauchen wir als Team einen Coach?

Ein Teamcoach schafft einen optimalen Rahmen, damit die Teammitglieder gut zusammenarbeiten können. Durch viele

zielbringende und lösungsorientierte Fragen und durch neutrales Beobachten schafft der Coach neue Sichtweisen und

regt zum Denken in neuen Mustern an. Und er kann geeignete Maßnahmen und Interventionen zur Zielerreichung aus-

wählen.1

Ein wesentliches Merkmal des Teamcoachings ist, dass wir mit „wirklichen“ Teams arbeiten. Das heißt, dass es sich um

eine aktive Gruppe von Menschen handelt, die sich auf gemeinsame Ziele verpflichtet haben, harmonisch zusammenar-

beiten, Freude an der Arbeit haben und hervorragende Leistungen bringen.2

In einem guten und effizienten Team bringen sich die Mitglieder Wertschätzung entgegen, haben eine gute Kommunika-

tionsbasis, können Konflikte konstruktiv lösen, fühlen sich gleichberechtigt und sind flexibel und offen für neue Ideen

innerhalb des Teams.

Teams entwickeln sich ständig weiter und ein Teamcoach begleitet das Team in diesem Prozess, für den er auch ver-

antwortlich zeichnet. Die Herausforderung im Teamcoaching ist, alle Ressourcen der Teammitglieder zu erkennen, zu

bündeln, sie zu kombinieren und zu nutzen, sodass am Ende ein schlagkräftiges Team entsteht.

Ein Teamcoach darf und muss teilweise aggressiver auftreten, d.h. dass man in dieser Rolle auch hin und wieder Druck

ausüben, eine Richtung vorgeben und seine Meinung einbringen darf – vorausgesetzt, der Auftrag wurde so auch von der

nächsthöheren Ebene im Vorfeld besprochen und vereinbart. Allerdings ist es wichtig, nie die Rolle des „Buhmannes“

zu übernehmen.

Idealerweise bringt der Teamcoach grundlegende Kenntnisse und Erfahrung als BeraterIn und ModeratorIn mit (mit

den dazugehörenden Methoden und Tools), da es öfter vorkommen kann, dass der Coach fachlichen Input geben bzw.

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

manchmal auch Lösungen anbieten muss.

In der Praxis vermischen sich oft die Rollen und der Teamcoach muss vom Coach zum/r Moderator/in, zum/r Supervi-

sor/in oder auch Teamleiter/in wechseln. Das geht meist aus dem jeweiligen Thema hervor und kann sich im Prozess

ändern. Es gilt also im Teamcoaching, die besondere Fähigkeit mitzubringen, in die unterschiedlichen Rollen schlüpfen

zu können und diese professionell und flexibel wahrzunehmen, wie z.B. als Vorbild in der Art und Weise des Umgangs,

als Hüter/in des Prozesses und des Arbeitsrahmens, als Initiator/in in Bezug auf neue Ideen, neue Vorgehensweisen, als

Übersetzer/in für die Kommunikation innerhalb des Teams, als Vermittler/in, als Provokateur/in, um Teams herauszufor-

dern und Wahrnehmungswechsel anzuregen oder als Therapeut/in, der/die Gefühle erlaubt.3

1.2. Die Leitfragen zum Teamcoaching sind:

- Was sind die Ziele?

Sprechen wir alle von denselben Zielen? Haben wir dasselbe Bild? Handelt es sich dabei auch wirklich um die Team-

ziele und nicht um die Ziele der Führungskraft oder einzelner Teammitglieder?

- Was ist der Beitrag jedes einzelnen Teammitgliedes?

Dabei empfiehlt es sich, in der ersten Sitzung jedes Teammitglied direkt zu befragen, was er/sie konkret zum Team und

in weiterer Folge zum Coachingprozess beitragen kann.

- Gibt es Feedbackprozesse?

Wie und in welcher Form und durch wen wurde bisher Feedback gegeben. Wie hat sich der/die einzelne dabei gefühlt,

gab es durch Feedback Veränderung?

- Wird Leistung kontrolliert?

Gibt es messbare Erfolgskriterien, Zielvereinbarungen? Wer überprüft diese? Wann und wie oft wird die Leistung

überprüft? Wie wird die Leistungserreichung belohnt?

- Wie funktioniert Kooperation und Unterstützung, Hilfestellung, Rückendeckung?

Tritt das Team einheitlich auf? Gibt es eine Vertreterregelung? Wie wird mit Fehlern innerhalb des Teams umgegangen?

- Was herrscht für ein Gruppenstil?

Wie wird die Gruppe wahrgenommen? Gibt es typische Verhaltensmerkmale?

- Wie sind die Kommunikationsprozesse?

Wie, wie oft, wer mit wem und in welcher Form wird innerhalb des Teams kommuniziert? Wer kommuniziert wann und

mit wem nach außen?

- Gibt es ein WIR-Gefühl?

Wie stark und deutlich ist das Zusammengehörigkeitsgefühl? Wie sehr fühlt sich jedes Teammitglied wohl und ver-

bunden mit dem Team? Identifiziert sich jeder/jede Einzelne mit dem Team? Wie stark ist der Zusammenhalt innerhalb

des Teams?

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- Welche Gruppen-Spielregeln gibt es?

Falls diese vorhanden sind, sind sie bei jedem Teammitglied bekannt? Wird wirklich danach gelebt?

- Wie ist das Gruppenverhalten?

1.3. Grundvoraussetzung – was muss vor einem Teamcoaching abgeklärt werden

Bevor der Teamcoach mit seiner Arbeit beginnen kann, muss klar sein, wer der/die Ansprechpartner/in bzw. der/die

Auftraggeber/in ist und wie der klare Auftrag lautet. Ist das Teamcoaching „verordnet“ worden, d.h. dass es von der

Führungskraft, möglicherweise auch von dem/der Teamleiter/in kommt, hat der Coach die schwierige Aufgabe, das Team

mit ins Boot zu holen und dieses zu motivieren, sich auf den Prozess einzulassen.

Da ein Teamcoaching meist sehr komplex ist, weil es hier nicht nur um die Interaktion der Teammitglieder, sondern auch

um das Zusammenspiel, -arbeit mit anderen Teams, MitarbeiterInnen und Vorgesetzten geht, ist es wichtig, folgende

Informationen zu Beginn zu haben: 4

- Wie ist die Unternehmenskultur?

- Gibt es Unternehmensleitlinien und werden diese auch gelebt?

- Wie sieht das Organigramm aus und wo ist das Team angesiedelt?

- Gibt es Konflikte, Blockaden, Barrieren im Team und was wurde bisher zur Lösung dieser unternommen? Woran ist die

Lösung gescheitert?

- Wie ist der/die Teamleiter/in? Wird er/sie von den Teammitgliedern als solche/er erkannt /akzeptiert?

- Haben die Teammitglieder bereits Vorerfahrungen mit anderen Coaches oder BeraterInnen?

- Gibt es Tabuthemen?

- Was sind die Erwartungen an den Coach?

- Wer sind die AnsprechpartnerInnen?

- Worum geht es – kurze Beschreibung der Problemlage?

- Was ist das Ziel, was soll anschließend besser sein? Und warum?5

Idealerweise werden diese Fragen von dem/der Auftraggeber/in vor der ersten Coachingeinheit beantwortet bzw. gemein-

sam erarbeitet. Eine „Überprüfung“ bzw. Hinterfragung dieser Antworten mit den Teammitgliedern ist hilfreich.

Zudem sollte der Teamcoach mit dem Team vereinbaren, was sich das Team von seinem Coach erwartet, was im Team

bleiben und wie nach außen kommuniziert werden soll.

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2. Wann wird Teamcoaching eingesetzt – häufige Ziele von Teamcoachings

Die häufigsten Einsätze von Teamcoachings ergeben sich wenn ?? Fußnote fehlt

- ein Team neu gebildet wird

(siehe Anhang auf S. 16 – „Phasen des Gruppenaufbaus (Francis/Young) – Handout des Coachinglehrganges C+

Unternehmensberatung und Freie Universität Berlin 2008)

- neue Teammitglieder oder Führungskräfte dazukommen (siehe auch Anhang, S. 16)

- Weiterentwicklung und Stärkung eines Teams bzw. die Entwicklung der Potenziale im Team gefragt sind

- die Einzelmotivation gesteigert werden soll

- ein WIR-Gefühl, eine Identifikation mit dem Unternehmen entwickelt werden soll

- der Umgang im Team verbessert werden soll

- es Konflikte und Irritationen im Team gibt

- sich Arbeitsaufgaben oder Arbeitsbedingungen ändern

- eine Veränderung im Unternehmen eintritt, die sich auf das Team auswirkt

- zwei Unternehmen fusionieren

- Unternehmensziele und –strategien festgelegt werden sollen

- ein gemeinsames Leitbild oder Vision gefunden und definiert werden soll

- eine Hilfestellung beim Erkennen und Verstehen der Wahrnehmung und des Werteverständnisses der jeweils anderen

gesucht wird

- Offenheit und Klarheit bezüglich der einzelnen Erwartungen, Sichtweisen, Möglichkeiten, Aufgabenaufteilung, Verant

wortung, etc. mit Hilfe eines/er neutralen Außenstehenden gefunden werden soll

- der Unternehmenserfolg als Ergebnis aller gemeinsamen Maßnahmen gesteigert werden soll

3. Phasen im Teamcoaching

3.1. Auftragsklärung

Wie in jedem Coachingfall ist auch beim Teamcoaching die Auftragsklärung ganz wesentlich. Wie lautet mein genauer

Auftrag?

Was soll hinterher anders sein als jetzt? Das Ziel muss dabei so konkret sein, dass der Coach damit arbeiten kann.

Eine wichtige Information speziell im Teamcoaching ist auch: wer ist der/die Auftraggeber/in? Handelt es sich dabei um

eine/n Vorgesetzte/n? Ist es der/die Teamleiter/in?

Und in weiterer Folge: wie wird das Team über das Coaching informiert, sodass alle Teammitglieder motiviert und sich

letztlich freiwillig auf das Coaching einlassen können.

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3.2. Klärung der einzelnen Rollen und Funktionen

In einem gut funktionierenden Team sollten die Rollen und Funktionen klar definiert und jedem Teammitglied bekannt

sein. Hilfreich dafür ist eine einheitliche Aufgabenbeschreibung, die folgende Punkte enthalten sollte:

1. Bezeichnung der Tätigkeit/Funktion,

2. Beschreibung der gesamten Arbeitsaufgabe (=Ziel der Aufgabe, in welchem Gesamtprozess ist die Tätigkeit einge-

bunden – Schnittstellen, Kontakte, Kooperationen)

3. Was ist das Hauptziel dieser Tätigkeit?

4. Welche fachliche Qualifikation, Kenntnisse und Fertigkeiten sind für die Arbeitsaufgabe erforderlich (z.B. Berufsaus-

bildung, Weiterbildung, Schulungen, andere Qualifikationen)

5. Welche sozialen Fähigkeiten sind für die Aufgabe erforderlich?

6. Welche fachspezifischen Zusatzqualifikationen sind notwendig?

7. Wem ist diese Position unterstellt? An wen wird berichtet?

8. Wem ist diese Position überstellt?

9. Wen vertritt der/die Inhaber/in dieser Position?

10. Von wem wird der/die Inhaber/in dieser Position vertreten?

3.3. Synergieeffekte finden und unterschiedliche Stärken sinnvoll nutzen

Welche besonderen Fähigkeiten gibt es in unserem Team?

Welche Kompetenzen sollen weiterentwickelt werden?

Hier gibt es eine wunderschöne Übung von Dr. Gunther Schmidt zum Thema Teamfeedback:

„Dafür sind Sie in der Gruppe“

„Sie können in besonderer (wertschätzender, kompetenter, wertvoller etc.) Weise ……..zu uns beitragen.“

Jedes Teammitglied erhält von jedem/jeder Einzelnen mindestens 4 Rückmeldungen.

Dadurch entsteht eine sehr angenehme, harmonische Situation. Das Team wächst zusammen, jede/r setzt sich mit

jedem/r auseinander und erkennt, wie wertvoll das jeweilige Teammitglied ist.

3.4. Ziele setzen und die Zielerreichung anhand von gemeinsam vereinbarten Kriterien klar messen

1. Anhand der Unternehmensziele werden die Teamziele definiert. Dabei werden diese nach dem SMART Prinzip

formuliert

Simpel – Messbar – Als ob jetzt – Realistisch – Terminiert

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2. Wer hilft bei der Erreichung des Ziels und wer ist verantwortlich?

3. Bis wann wird das Ziel erreicht, welche Meilensteine gibt es?

4. Wer überprüft bzw. legt fest, wann das Ziel erreicht ist

3.5. Team-Konflikte entschärfen

Das Thema Konflikte kommt in jedem Teamcoaching vor und ist meist auch der Auslöser für das Engagement eines

Coaches. Zunächst muss geklärt werden, wofür der Konflikt steht und was die Konfliktursache ist.

Geht es den Konfliktbeteiligten

1. um eine Veränderung des Systems?

2. um einen Positionskampf (Kompetenz, Macht)

3. die „gerechte“ Aufteilung knapper Ressourcen (Anerkennung, Material, Geld)

4. um einen klassischen Interessenskonflikt

5. um einen Zielkonflikt, wobei verschiedene, unvereinbare Ziele verfolgt werden

6. um einen Beurteilungskonflikt, das Ziel ist klar, aber der Weg dahin nicht

7. um einen Rollenkonflikt

8. um einen Beziehungskonflikt oder

9. um einen Wertekonflikt7

Zur Klärung des Konflikts sollte der Coach in die Rolle des/der Moderators/in und Mediators/in schlüpfen, wobei er

durch gezielte Fragen in den wahren Konflikt bzw. in den Konflikt hinter dem Konflikt führen sollte. Dabei sind seine

Fähigkeiten des Zuhörens, Vermittelns und Übersetzens gefragt.

Ein Konflikt kann z.B. durch

- die „Flip-Chart Methode“ mit Fragen wie

- wie sehe ich mich

- wie sehe ich den anderen

- was glaube ich, wie mich die anderen sehen

- was wünsche ich mir von den anderen

- das Rollenspiel

- sich in die Lage des/der jeweils anderen versetzen / Veränderung der Perspektive

gelöst werden. Die Hauptaufgabe des Coaches besteht darin, durch den Konflikt zu führen und den Prozess zu begleiten,

dass die Möglichkeit geschaffen wird, dass alles auf den Tisch kommt, denn nur so ist der Weg für eine erfolgreiche

Zusammenarbeit gegeben.

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Anschließend empfiehlt es sich, Spielregeln für künftige Missverständnisse und Unstimmigkeiten auszumachen, sodass

Konflikte gar nicht erst wieder entstehen können und das Team diese selbständig lösen kann.

3.6. Finden und Definieren eines gemeinsamen Leitbilds / Erkennen und Verstehen der

Wahrnehmung und des Werteverständnisses des jeweils anderen

Mittels Brainstorming und der Frage „Welche Werte sind für mich wichtig, um erfolgreich arbeiten zu können?“ (sowohl

in meinem eigenen Aufgabenbereich als auch im Team?) haben alle Teammitglieder die Möglichkeit, sich zu Wort zu

melden. Durch „Clustern“ wird im Anschluss ein Leitbild für das Team erarbeitet, das für alle lebbar ist und zur Verstär-

kung des WIR-Gefühls beitragen kann.

Empfehlenswert ist es auch, in diesem Schritt Team-Spielregeln aufzustellen, die für alle verständlich sind und auf die

man sich bei Unklarheiten berufen kann.

3.7. Begleitung bei der Teamentwicklung

Wie schon zu Beginn erwähnt, ist die Hauptaufgabe des Teamcoaches, den Prozess der Teamentwicklung zu begleiten

und diesen auch zu verantworten. Wenn es darum geht, ein Team neu zu bilden oder die Stabilisierung und Orientierung

eines bestehenden Teams zu bewirken, wird der notwendige Prozess nochmals zusammengefasst:

1. Identität: Wer sind wir als Team? Wo sehen wir uns?

2. Werte, Einstellungen: Was ist uns wichtig? Woran glauben wir?

3. Vision, Mission: Wo wollen wir gemeinsam hin? Warum sind wir überhaupt zusammen? Was ist unsere Aufgabe?

4. Fähigkeiten, Verhalten: Was können wir? Welche Fähigkeiten haben wir, brauchen wir? Was tun wir konkret? Woran

merken wir oder andere, dass wir unsere Ziele erreicht haben?

5. Future Steps, Commitments: Was bin ich konkret bereit, als Einzelner für das Team und die gemeinsame Aufgabe

zu leisten?8

3.8. Entwicklung von Lösungsansätzen

Am Ende des Coachingprozesses gilt es nun, das Team bei der Entwicklung von Lösungsansätzen zu begleiten und zu

unterstützen. Der Teamcoach geht über zur Lösungsebene und stellt gezielt Fragen zur Gestaltung der Zukunft. Nochmals

werden die vorhandenen Fähigkeiten und Stärken aufgenommen und zur Lösungsentwicklung eingesetzt. Die Lösung

selbst kommt vom Team.

Empfehlenswert ist es, Ziele in kurzfristig, mittelfristig und langfristig einzuteilen, da man so schnell Erfolge erzielen

kann und somit das positiv erlebte erste Erreichen eines gemeinsam definierten Zieles genügend Kraft und Energie gibt

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für die nächsten Erfolge.

Zur Stärkung des Teams könnte es auch ein gemeinsames Ritual geben, um den Erfolg zu feiern wie z.B. anstoßen mit

einem Glas Prosecco o.ä.

3.9. Festlegen von Überprüfungskriterien

Gemeinsam werden Evaluationskriterien festgelegt, die überprüfbar und messbar sind und auch tatsächlich im Gestal-

tungsraum des Teams liegen.9

Dafür muss es klare Unternehmensziele und daraus abgeleitet Teamziele geben.

Wichtige Fragen zur Festlegung von Evaluationskriterien sind:

1. Was genau soll sich durch das Teamcoaching verändern?

2. An welchen Verhaltensweisen/Handlungen lässt sich eine erfolgreiche Veränderung feststellen?

3. Gibt es überprüfbare Zwischenschritte?

4. Können die Teammitglieder ihr Ziel aus eigener Kraft erreichen?

5. Stehen ihnen die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zur Verfügung?

6. Wie kann ich als Führungskraft das Team unterstützen?

7. Mit welchen Widerständen ist zu rechnen? Wie wird damit umgegangen?10

So ist sichergestellt, dass der Coachingprozess für den/die Auftraggeber/in, das Team und für den Teamcoach zur Zufrie-

denheit abgeschlossen werden kann.

4. Methoden im Teamcoaching (eine kleine erfolgreich erprobte Auswahl)

Sämtliche Methoden, die im Teamcoaching erfolgreich zur Anwendung kommen, beinhalten Interventionen aus dem

Einzelcoaching und Interventionen aus der Teamentwicklung. Durch den optimalen Einsatz können individuelle Stärken

des Einzelnen und die Synergien im Team herausgearbeitet und eine Führung unterstützt werden.

Erkenntnisse über die eigene Persönlichkeit helfen dabei genauso wie ein Verständnis über das Zusammenspiel von

Individuum, Team und Organisationsumfeld.

Der lösungs- und entwicklungsorientierte Ansatz aus dem Coaching unterstützt das Team, sich auf motivierende Ziele

auszurichten und diese auch zu erreichen.

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4.1. Rollenspiel

Rollenspiele helfen, Problembereiche aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, schaffen Zugang zu neuen Themen-

gebieten und können auf erfahrungsorientierte Weise Wissen vermitteln. Herausgelöst aus der Alltagsumgebung werden

Kommunikationsprozesse analysiert, emotionale Vorgänge und Charaktermerkmale können quasi aus einer Metaebene

betrachtet und den Teammitgliedern bewusst gemacht werden.

Im Rollenspiel können neue Verhaltensweisen bzw. spezifisches Verhalten in unbekannten Situationen eingeübt und

trainiert werden.

Szenen können rekonstruiert werden, Einfühlung und Verständnis für Vergangenes wird möglich und blockierende Be-

ziehungsmuster werden transparent.

Die eingebrachten Themen werden dabei von den Teilnehmern im Rollenspiel bearbeitet – mit oftmals erstaunlichen

Ergebnissen und Erkenntnissen für die Beteiligten.

Dabei können bestimmte Situationen mehrmals durchgespielt werden, um klar darzustellen, welche Auswirkungen bzw.

Reaktionen bestimmte Worte und Verhaltensmuster auf mein Gegenüber haben. Es empfiehlt sich auch, wie in der Auf-

stellung, dass derjenige, der einen Fall einbringt, sich Protagonisten für die Situation aussucht.

Nach dem Rollenspiel kommt die sogenannte Reflexion. Hier sollten die Protagonisten und Beobachter ihre Erkenntnisse

und Beobachtungen beschreiben und interpretieren.

4.2. Solution Circle für Teams – von Daniel Meier11

Diese Methode eignet sich, um konflikthafte Situationen zu bearbeiten und dient als Chance zur nachhaltigen Weiterent-

wicklung.

Es wird eine Erfolg versprechende Zukunftsvision entwickelt. Teams erlangen wieder selbstverantwortliche Handlungsfä-

higkeit und dadurch die Möglichkeit, sich auf ein gemeinsames Ziel zu konzentrieren.

Der SolutionCircle besteht aus acht Schritten, die alle nötigen Phasen eines Team-Coaching-Prozesses umspannen.

1. Rahmen klären

- Vorgeschichte klären – wie kam der Coach zum Team

- Vorgehensweise und Rollen klären – der Coach schafft Struktur und Rahmen, koordiniert den Verlauf und darf viele

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Fragen stellen, die Teilnehmer sind für den Inhalt verantwortlich und entwickeln Lösungen

- Spielregeln festhalten

2. Erwartungen und Ziele

- Was soll im Coaching passieren, damit es sich wirklich gelohnt hat?

- Was soll am Schluss anders sein als vorher?

- Woran werden Sie merken, dass Sie dieses Ziel erreicht haben?

- Wenn gemeinsam dieses Ziel erreicht wird, woran würden es Ihre Kunden merken?

3. Brennpunkte

In diesem Schritt werden die Themen fixiert, in denen eine Verbesserung eintreten soll.

Welches sind die brennendsten Themen, in denen unbedingt eine Verbesserung eintreten muss?

1. Sternstunden

Die Teammitglieder machen sich auf die Suche nach Situationen, in denen das Problem oder der Konflikt weniger oder

gar nicht aufgetreten ist. Sie finden heraus, mit welchen Fähigkeiten sie dies geschafft haben.

- Welche Begebenheiten gab es in den vergangenen Wochen, die bezüglich der Fragestellung wie eine kleine Stern-

stunde erschienen?

- Was war dabei genau anders?

- Was hat Ihnen geholfen, in dieser Art zu reagieren?

- Was haben Sie dazu beigetragen, dass Ihr Kollege so reagiert hat?

2. Futur Perfekt

Das Team entwirft eine möglichst präzise Vorstellung einer Zukunft, in der die Probleme gelöst sind.

- Wo würde das Team in zwei Jahren stehen, wenn sich das Team im Coaching genau nach den gemeinsamen Wün-

schen entwickelt hätte?

- Was genau würde das Team anders machen?

- Was würden andere dann über das Team sagen?

3. Scaling Dance

Die einzelnen Mitglieder des Teams schätzen die heutige Situation ein. Es geht darum, herauszufinden, was in der

Vergangenheit bereits gut funktioniert hat.

- Stellen Sie sich eine Skala von 1 bis 10 vor. Wo stehen Sie heute bezüglich des Themas X, wobei 10 den wirklichen

Idealzustand (kühnste Erwartung) und 1 das genaue Gegenteil davon darstellt?

- Wie haben Sie es geschafft, bereits heute auf diesen Punkt zu kommen? Was macht also den Unterschied zwischen

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- 1 und diesem Punkt aus?

- Wenn Sie an Ihre herausragende Sternstunde aus Schritt 5 denken, wo lag sie auf derselben Skala? Was macht hier

den Unterschied aus?

- Was haben Sie persönlich dazu beigetragen, dass Sie schon auf einer X stehen?

4. Maßnahmen

In diesem Schritt werden konkrete Maßnahmen formuliert, die das Team in nächster Zukunft – am besten schon am

nächsten Tag – umsetzen kann. Auf der Basis des vorangegangen Schrittes kann leicht zu den Maßnahmen übergelei-

tet werden. Es gilt festzuhalten, was getan werden muss, um einen kleinen Schritt Richtung 10 zu vollführen.

5. Persönlicher Auftrag

Durch einen Beobachtungs- oder Handlungsauftrag, den der Coach weitergibt, soll die Aufmerksamkeit auf bestimmte

Aspekte in der Umsetzung gerichtet und der Prozess im Alltag weiter unterstützt werden.

Der persönliche Auftrag stellt eine elegante Möglichkeit dar, den eingeleiteten Prozess im Alltag weiter zu unterstützen

und den Fokus der Teilnehmer auf die Erfolge zu richten. Durch die gezielte Aufmerksamkeit auf kleinere und größere

Erfolgssituationen wird der Prozess konstruktiv beschleunigt.12

4.3. Übung „Highlights“

(Als quasi verkürzte Form der vorangegangen Intervention – Solution Circle )

Diese Übung richtet den Blick auf das Positive: analysiere, was gut funktioniert hat und baue darauf auf. Die einleitende

Frage des Coaches bezieht sich auf Situationen, in denen das Team oder eine einzelne Person bereits Ressourcen genutzt

hat, um erfolgreiche Lösungen zu entwickeln. Es ist eine Frage nach Erfahrungen, denn was in der Vergangenheit gut

funktioniert hat, kann auch aktuell weiterhelfen. Der Coach fragt nach Highlights, nach Erfolgen, nach schönen Begeben-

heiten im Berufsalltag.

Folgende Fragen sind hilfreich:

- Welche Situation war für Sie ein solches Highlight?

- Was war daran besonders?

- Was hat Ihnen geholfen, in dieser Situation so zu reagieren?

- Was haben Sie dazu beigetragen, dass Ihr Kollege so reagieren konnte?

- Was war anders als sonst?13

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4.4. Zirkuläres Interview

Zirkulär zu fragen bedeutet, den Coachee nicht direkt bzw. linear nach seinen eigenen Wahrnehmung, Gefühlen, Denk-

oder Verhaltensweisen zu fragen, sondern ihn zu veranlassen, seine Vermutungen über das Erleben anderer offenzule-

gen. Der Coachee wird so eingeladen, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und sich mit der – vermuteten – Realität

anderer ihm verbundener Personen zu beschäftigen. Damit wird er sich bewusst, wie sehr seine eigene Beschreibung

der Situation von Vermutungen über Tatsachen und nicht von den Tatsachen selbst bestimmt wird. Er lernt sich in die

Welt seines Gegenübers einzufühlen und zu erkennen, dass seine eigenen Verhaltensweisen mit den Verhaltensweisen

anderer verknüpft sind. Und dass er – wenn er dies möchte – aus unguten Interaktionsmustern aussteigen und bessere

erschaffen kann.

Besonders wirksam ist das zirkuläre Interview in Teamentwicklungen und -Coachings oder Konflikt-Coachings, bei

denen dem Coach nicht nur ein Coachee gegenübersitzt, sondern ein Team des relevanten Systems. Indem die anderen

mithören können, was ihr Kollege über sie denkt und welche Vermutungen er über ihre Absichten und Verhaltensweisen

hat, wächst das Verständnis untereinander. Damit wird es für alle Beteiligten leichter, aus eingefahrenen und als schäd-

lich erlebten Mustern auszusteigen.

Der Coach erhält durch diese Fragetechnik Informationen über das System, die ihm helfen, Hypothesen über Beziehun-

gen und Interaktionsmuster im Umfeld des Coachees zu bilden und zu überprüfen.

Das zirkuläre Interview ist typischerweise dann erfolgreich, wenn der Coachee z.B. sagt: „So habe ich das noch nicht

gesehen.“ oder „Es könnte wirklich sein, dass ich ihn/sie missverstanden habe.“ „Was braucht mein Kollege dann also

von mir?“

Ein zirkuläres Interview folgt keinem spezifischen Muster und ist nicht standardisierbar. Entscheidend ist die Haltung,

mit der es durchgeführt wird.

Auf der inhaltlichen Seite fragt der Coach seinen Coachee danach, welche Ziele, Wahrnehmung, Kritikpunkte, Lösungs-

ansätze, Situationsbeschreibungen etc. die anderen im Zusammenhang mit dem vorgelegten Problem haben könnten.

Diese Verlagerung des Fokus von der eigenen Sichtweise auf die mögliche Deutung durch andere relevante Personen

ist das wesentliche Charakteristikum des zirkulären Interviews. Die neuen Denkprozesse erleichtern es dem Coachee,

passendere Lösungen für die problematische Situation zu konstruieren.

Für den Coach sind folgende Fragen interessant:

- 1. Wie beschreibt der Coachee das Problem? Wie würden es seiner Meinung nach andere beschreiben?

- 2. Was geschieht? Was wird dabei gefühlt und/oder gedacht? Wie erleben die anderen Mitglieder des Systems das

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Geschehen?

3. Was wurde zur Lösung bereits versucht?

4. Wie sehen weitere Lösungsmöglichkeiten aus?

Besonders interessant sind dabei sogenannte „Öffnungen“: Öffnungen sind Worte, mit denen der Coachee Themen oder

Ideen anspricht, die für ihn und/oder seine Umgebung bedeutsam sind.

Beispiele für zirkuläre Fragen im Rahmen eines zirkulären Interviews:

- Auf die Ziele gerichtete Fragen

z.B. Woran würde xy merken, dass unser Coaching hier erfolgreich ist?

- Auf das Problem gerichtete Fragen

z.B. Wie würde xy genau diesen Disput beschreiben?

- Auf Lösungsansätze gerichtete Fragen

z.B. Auf welche Weise trägt xy zur Lösung dieses Problem bereits bei?

- Den Realitäts-Check unterstützende Fragen

z.B. Wenn Sie Ihr Vorhaben so in die Realität umsetzen: wer würde sich am meisten darüber freuen? Wer am we-

nigsten? Wer wird Sie dabei am ehesten unterstützen?

Für einen systemisch-konstruktivistischen Teamcoach sind nicht Individuen „das Problem“, sondern deren Interaktionen

sind problematisch. Er geht davon aus, dass Menschen in ihrem Verhalten zirkulär miteinander verbunden sind und ist

bestrebt, den „Beziehungstanz“ zu verdeutlichen. Der Coachee kann sich bewusst für andere Verhaltensweisen entschei-

den, wenn sich daraus eine für ihn weniger problematische Situation bzw. Interaktion ergibt.14

4.5. Zauberstab

Diese Übung eignet sich hervorragend, um Koordination und einheitliches Vorgehen zu üben.

Die Teammitglieder stellen sich paarweise gegenüber entlang eines Stabes auf, sodass sich die gegenüberstehenden

Partner anschauen können. Auf jeder Seite des Stabes stehen die Personen dicht nebeneinander und strecken ihre rech-

ten Arme mit ausgestrecktem Zeigefinger nach vorne aus.

Aufgabe der Gruppe ist es, den Stab, den der Coach nun auf die Fingerspitzen legt, gemeinsam sacht auf den Boden zu

legen, ohne dass jemand dabei den Kontakt zum Stab verliert. Verliert jemand den Kontakt, wird wieder die Ausgangspo-

sition eingenommen. Zum Erstaunen aller wandert der Stab immer höher - da jeder den Kontakt halten möchte, drücken

alle nach oben. Es erfordert einiges an Koordination, Absprache, Ruhe und geordnetem Vorgehen, um diese Aufgabe zu

lösen.

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- Im Anschluss an die Arbeit können folgende Fragen gestellt werden:

- Wie haben Sie sich während der Übung gefühlt?

- Wurden Verbesserungen und Ideen eingebracht? Von wem?

- Hat jemand die Bewegungsabläufe im Sinne einer Qualitätskontrolle koordiniert?

- Wie hat sich die Koordination bzw. die fehlende Koordination ausgewirkt?

- Was war notwendig, um die Übung erfolgreich abzuschließen?

Mögliche auftretende Themen nach dieser Übung könnten sein:

Respekt, Erfahrung, Wissen, Hierarchie und Umgang miteinander15

5. Zwei Beispiele aus der Praxis

5.1. Ein neues Teammitglied kommt dazu

Zwei ehemalige Geschäftspartnerinnen beschlossen, bedingt durch ihre ähnliche private Situation – beide waren in Ka-

renz und suchten eine flexible, herausfordernde Beschäftigung – gemeinsam eine Firma zu gründen, um die Stärken zu

bündeln und gemeinsam am Markt aufzutreten. Schnell stellten sich die ersten Kunden ein, die sie erfolgreich servicieren

konnten. Durch Mundpropaganda wurden die Aufträge mehr und ein gemeinsames Büro wurde gesucht. Da die Arbeit

Spaß machte und die beiden Damen voll in Anspruch nahm, blieb keine Zeit, um über den Arbeitsrahmen, die Arbeitsbe-

dingungen, Kommunikation etc. zu sprechen. Langsam schlichen sich kleine Missverständnisse ein, unausgesprochene

Konflikte standen im Raum, aber es war keine Zeit, diese zu lösen.

Als die Arbeit nicht mehr zu bewältigen war – bedingt durch mehr Kunden und keiner Struktur – beschlossen beide

Damen „zwischen Tür und Angel“, noch eine Partnerin aufzunehmen. Eine der beiden hatte sofort eine Freundin zur Hand

und so wurde das Team auf 3 Partnerinnen ausgedehnt. Nach kurzer Zeit wurden die Missverständnisse – besonders im

Hinblick auf Struktur, Aufgabenaufteilung, Kommunikation, Zieldefinition, Honoraraufteilung und Commitment – größer

und die Partnerinnen fanden keinen Weg mehr, dies alleine zu lösen. Also wurde ein Teamcoach engagiert.

Im ersten Schritt nahm der Teamcoach mit den 3 Partnerinnen Kontakt auf und holte sich deren Wünsche und Anliegen

ab. Es wurde vereinbart, einen ganztägigen Workshop abzuhalten, um möglichst schnell und effizient herauszufinden, ob

eine Zusammenarbeit in dieser Konstellation noch Erfolg versprechend wäre und auch wieder den Spaß und Wohlfühl-

faktor der Anfänge bringen könnte.

Aus den Wünschen entwickelten sich folgende Fragen, die die Partnerinnen als Vorarbeit für sich beantworten und zum

Coaching mitnehmen sollten:

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- Was läuft gut in unserer Zusammenarbeit? Was soll so bleiben wie es ist?

- Wo gibt es Verbesserungspotenzial?

- Wie viel Zeit kann ich für xy investieren? Gibt es fixe Zeiten? Wann sind diese?

- Welche Aufgaben kann und möchte ich bei xy übernehmen?

- Was brauche ich dafür?

- Wo sehe ich die größten Synergieeffekte durch die Zusammenarbeit?

- Welche Werte sind für mich wichtig, um erfolgreich arbeiten zu können? (Sowohl in meinem eigenen Aufgabenbe-

reich als auch im Team?)

- Wie möchte ich mit meinen Kolleginnen Entscheidungen treffen?

- Wie erfolgt für mich eine ideale Informationsweitergabe?

- Worüber sollte ich informiert werden? Und wie?

- Welche Informationen sind für meine Kolleginnen wichtig? Wie gebe ich diese weiter?

- Was haben wir bis Ende 20xx erreicht? (=Zielformulierung in aktiver Form: Gegenwart und als ob es schon einge-

treten wäre)

- Woran können die jeweiligen Ziele und damit der Erfolg gemessen werden?

- Wie viel Geld kann und will ich in xy investieren?

- Wie sieht die ideale Honorarverteilung für mich aus?

Zu Beginn des gemeinsamen Tages erklärte der Teamcoach seine Rolle als Prozess- Verantwortlicher. Es wurde festge-

halten, was passieren müsse, damit sich der Tag für alle Beteiligten auszahlen würde.

Schritt für Schritt wurden die Punkte mittels Flipchart/Clustering abgearbeitet, wobei dem Teamcoach schnell klar wurde,

wo die Konflikte lagen. Da die Partnerinnen sehr höflich und zurückhaltend miteinander umgingen, spürte der Team-

coach, dass er in den/die Konflikt/e führen müsse, da sonst keine effiziente und Zielführende Zusammenarbeit möglich

wäre.

Durch provokante Fragen und kleinere exemplarische Rollenspiele, die der Teamcoach bewusst überspitzt darstellte,

brachte er die Partnerinnen dazu, zu „explodieren“ und endlich alle Punkte auf den Tisch zu bringen. Dabei war die Fähig-

keit des Teamcoaches, in die Rolle des Mediators und Moderators zu schlüpfen, gefragt. Durch Zuhören, Vermitteln und

Übersetzen, konnten die Missverständnisse und Konflikte gelöst werden. Mit Hilfe der Teamentwicklungsuhr und durch

das bewusste Durchleben der Teamentwicklung nach Francis/Young (Testphase, Nahkampfphase, Organisierungspha-

se, Verschmelzungsphase) konnte der Teamcoach den Prozess führen, sodass das Team gemeinsam Arbeitsstrukturen

und -bedingungen, Kommunikationswege, Arbeitsaufteilung, Spielregeln und ein gemeinsames Commitment erarbeiten

konnte.

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Am Ende des erfolgreichen Tages, an dem alle 3 Partnerinnen glücklich und zufrieden der künftigen Zusammenarbeit

entgegenblickten, wurde vereinbart, eine vierteljährliche Überprüfung nach dem erlebten Muster abzuhalten.

Beim ersten Treffen wurde der Teamcoach eingeladen, den Prozess zu begleiten, mittlerweile organisiert sich das Team

selbst und ist sehr erfolgreich.

5.2. Zwei Abteilungen verschmelzen zu einer, um Synergien besser nutzen zu können

In einem großen Unternehmen waren bisher die Personalabteilung (mit Verwaltung und Lohnverrechnung) und die

Personalentwicklung (mit der Ausbildungsakademie) getrennt. Diese Abteilungen waren auch räumlich getrennt, was zu

einer großen Kluft zwischen den beiden Abteilungen führte, die zuletzt in einer Art Konkurrenz und Anfeindung endete.

Besonders in diesem Bereich führte es auch zu einer enormen Verunsicherung der MitarbeiterInnen des Unternehmens,

weil die Personalabteilung etwas anderes sagte und wollte als die Personalentwicklung.

Durch einen Führungswechsel in der ersten Managementebene wurde schnell erkannt, dass die Entwicklung und Poten-

zialförderung der MitarbeiterInnen unbedingt mit der Unternehmensstrategie konform gehen muss und somit wurde eine

Zusammenführung der beiden Abteilungen angestrebt.

Die ehemaligen Abteilungsleiter verließen das Unternehmen und ein neuer Abteilungsleiter wurde mit der Führung der

beiden Abteilungen als eine HR Abteilung betraut. Da es so gut wie keine Gesprächsbasis gab und die MitarbeiterInnen

auch verschüchtert waren, weil sie nicht wussten, welches Schicksal nun auf sie wartete, wurde ein Teamcoach engagiert.

Zu Beginn des Coachings waren alle MitarbeiterInnen sehr verschlossen und ruhig. Es wurde ganz offenkundig, dass es

viele vorgefertigte und gefestigte negative Meinungen gab und sich die beiden Teams – die sich aber über die Jahre gut

kannten – jetzt wie Feinde gegenübersaßen.

Um aufzuzeigen, dass beide Teams künftig an einem Strang ziehen müssen, um erfolgreich zu sein, die Unterneh-

mensziele zu schaffen und letztlich auch den eigenen Arbeitsplatz zu behalten, startete der Coach mit der Zauberstab

Übung (siehe S. 12, 4.5.).

Den Teammitgliedern wurde bewusst, dass die gemeinsame Aufgabe nur mit der richtigen Koordination, Kommunikati-

on, Arbeits- und Rollenaufteilung und dem Wissen aller möglich sein würde.

Da die Fronten nun offen waren, installierte der Teamcoach zur allgemeinen Wertschätzung die Übung von Dr. Gunther

Schmidt:

Dafür sind Sie in der Gruppe“

„Sie können in besonderer (wertschätzender, kompetenter, wertvoller etc.) Weise ……..zu uns beitragen.“

Jedes Teammitglied erhält von jedem/jeder Einzelnen mindestens 4 Rückmeldungen.

Dadurch entstand eine sehr angenehme, harmonische Situation. Jede/r setzte sich mit jeder/m auseinander und erkann-

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te, wie wertvoll das jeweilige Teammitglied ist. Durch Visualisieren der Stärken erkannten die Teams, dass sie miteinan-

der noch erfolgreicher würden und mehr im Unternehmen bewirken könnten.

Mittels Brainstorming und aufgeteilt in Kleingruppen konnte das Team das eigentliche Thema: „Wir sind eine professio-

nelle HR Abteilung und erfüllen folgende Aufgaben“ erarbeiten. Das Team war erstaunt und erfreut, wie viel Knowhow in

ihnen steckte und was für eine starke, richtungsweisende Abteilung sie künftig im Unternehmen sein könnten.

Am Ende des Coachings verließ ein Teammitglied (von 9) freiwillig das Unternehmen, die anderen arbeiteten erfolgreich

zusammen und wurden in kurzer Zeit eine sehr geschätzte Serviceabteilung im Unternehmen, die alle Ziele im ersten

Jahr erfüllte.

6. Zusammenfassung

Teamcoaching ist eine äußerst spannende und herausfordernde Form des Coachings, da es Elemente der Teamentwick-

lung und des klassischen Coachings beinhaltet. Der Coach muss die Fähigkeit mitbringen, zum richtigen Zeitpunkt als

Coach, Moderator, Mediator oder Therapeut zu agieren.

Ein Teamcoach begleitet ein Team in einem Entwicklungsprozess. Dieser fördert die effektive, nachhaltige Zusammen-

arbeit, damit Teams ihre Arbeitsziele schneller und besser erreichen. Die Teammitglieder sind in der Lage, ihre Kompe-

tenzen optimal einzusetzen, damit Synergie-Effekte entstehen. Nachhaltig arbeiten Teams, wenn sie fähig sind, Probleme

und Konflikte konstruktiv zu lösen und auch nach Erreichen des Ziels für weitere Herausforderungen gestärkt oder in der

Lage sind, sich aufzulösen und neue Teams zu bilden.

Als Teamcoach begleiten wir Teams auf diesem Weg durch ein strukturiertes methodisches Vorgehen, das Zusammen-

hänge eines Problems sichtbar macht und lösungsorientierte Handlungsoptionen eröffnet.16

7. Anhang - Handout Coachinglehrgang C+ Unternehmensberatung und Freie Universität Berlin 200817

Phasen des Gruppenaufbaus (Francis/Young)

Lernen ist ein individueller Vorgang. Das stimmt nicht ganz, denn wenn wir mit Gruppen arbeiten, können diese auch

gemeinsam lernen und ihre Fähigkeiten sind auch „gemeinsames Eigentum“. Den Prozess, bewusst und gezielt eine

Gruppe (ein Team) aufzubauen, wird von Francis/Young 2002 als Teamtraining bezeichnet. Dieser Begriff zeigt, dass et-

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was eingeübt wird, verschiedene Aufbauphasen durchläuft und eine gewisse Zeit bis zur Vollendung benötigt. Wir haben

es hier auch mit dem Begriff des „kollektiven Lernens“ zu tun.

Immer wieder kommt es zu Gruppenbildungen und es wird mehr oder weniger strukturiert „herumgewurschtelt“, ohne

sich mit der Thematik der Gruppe an sich auseinanderzusetzen. Um eine strukturierte Vorgehensweise (abseits der ei-

gentlichen Thematik) bei der Gruppenbildung zu gewährleisten, soll sich eine Gruppe auf folgende sieben Fragen eine

Antwort geben können:

- Was ist unsere Aufgabe?

- Wie sollen wir uns organisieren?

- Wer hat die Verantwortung?

- Wer kümmert sich um unseren Erfolg?

- Wie lösen wir Probleme?

- Wie passen wir zu den anderen Gruppen (z.B. innerhalb des Unternehmens)?

- Welche Begünstigungen genießen die Mitglieder in der Gruppe?

Diese Fragen werden nicht nacheinander beantwortet, sondern immer dann erörtert, wenn sie die Weiterentwicklung der

Gruppe behindern. Gelingt es einer Gruppe, ein Problem erfolgreich zu bewältigen, wird sie gestärkt. Wird das Problem

nicht oder nur teilweise bereinigt, fällt die Gruppe auf eine frühere Entwicklungsstufe zurück.

Die erfolgreiche Gruppenentwicklung setzt sich immer wieder mit den auftretenden Widerständen auseinander, um ein

optimal einsetzbares Team hervorzubringen bzw. zu erhalten.

Kennt sich eine Gruppe noch nicht, durchläuft sie bis zum funktionsfähigen Team folgende Phasen:

(1) Testphase

Menschen reagieren unterschiedlich auf die Herausforderung der Begegnung mit neuen Menschen. Manche zum Bei-

spiel sind ängstlich, bekommen feuchte Hände oder fühlen sich einfach rundum unsicher und unwohl. Andere wiederum

freuen sich auf eine neue Gruppenerfahrung, auf die Chance, neue Menschen kennen zu lernen usw. Wir sehen, es gibt

eine Bandbreite an Reaktionsmöglichkeiten, die Zahl der möglichen Konstellationen sind unendlich. Also trifft die Grup-

pe in unterschiedlichen Zuständen aufeinander. Auf dieser Basis beginnt sich ein Team zu formieren. Anfangs versuchen

die Gruppenmitglieder, ihre Position innerhalb der Gruppe zu finden. Sie fahren ihre psychologischen Antennen aus und

richten sie auf die subtilen nonverbalen Signale, die untereinander ausgesendet werden. Jede(r) will für sich klären, in

welcher Beziehung sie/er zur Gruppe steht.

Jedes Mitglied hat eine individuelle Methode, um mit den anderen in Kontakt zu treten. Manche sind anfangs zurückhal-

tend und nehmen eine abwartende Position ein, beobachten ...

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Andere wiederum legen sofort los und positionieren sich durch Aktivität in der neuen Gruppe.

Wenn ein Team sich zu etablieren beginnt, werden der Kontakt und der Meinungsaustausch immer intensiver. Die Mit-

glieder wollen vieles übereinander erfahren: Einstellungen, Werthaltungen, Arbeitsstil, Kontaktbereitschaft der anderen

etc.

Die Testphase hält so lange an, bis jedes Mitglied eine Aussage darüber gemacht hat, wie es seine Rolle im Team sieht.

(2) Nahkampfphase

Zum Wachstumsprozess eines Teams gehört zwangsläufig, dass die Mitglieder Beziehungen miteinander aufbauen, um

sich Macht und Einfluss zu verschaffen. Sie gehen Bündnisse miteinander ein, bestimmte Mitglieder bilden sich als Kris-

tallisationspunkte heraus. Ein(e) Teamchef(in) genießt oft eine eigene Autorität, weil dem Unternehmen die Wichtigkeit

seiner/ihrer Funktion bekannt ist. Doch sie/er muss diese Position auch rechtfertigen. Die Mitglieder beobachten und

bewerten die Verhaltensweisen des Chefs, der Chefin. Und entweder erkennen sie die Führung an oder sie finden Mittel,

diese zu unterlaufen.

In dieser Phase muss sich die Gruppe entscheiden, wie sie zusammenarbeiten will. Leider passiert das oft in Form von

versteckten Andeutungen und kaum in einem offenen und klaren Gespräch. Im Grunde geht es um die Fragen:

- Wer übt Kontrollfunktion aus?

- Wie werden die Kontrollfunktionen ausgeübt?

- Was geschieht mit Mitgliedern, die gegen die Gruppenregeln verstoßen?

Wenn sich die Gruppe weiterentwickeln will, ist es ratsam, auf diese Fragen Antworten zu finden.

(3) Organisierungsphase

Wenn das Problem der Kontrolle erledigt ist (vorerst zumindest), kann sich die Gruppe mit neuer Kraft in die Arbeit

stürzen. Die Mitglieder wollen miteinander arbeiten und sind an einer funktionsfähigen Gruppe interessiert. Die Gruppe

braucht die Unterstützung und das Engagement aller Mitglieder. Fehlen die beiden und jede(r) kocht weiterhin ihr/sein

eigenes Süppchen, ist die Weiterentwicklung der Gruppe gebremst.

In dieser Phase messen die Mitglieder die Qualität der Gruppe an dem Output, der Exaktheit der Arbeit, die Leistungen

der Einzelnen werden bewertet und diskutiert. Es verbessert sich oft die Fähigkeit des Zuhörens und es wird angefangen,

die Leistungen der anderen zu respektieren. Auch kommt dem Thema der Planung und Ausführung der Arbeit ein großer

Stellenwert zu.

Wichtig ist speziell in dieser Phase, dass die Gruppe lernt, mit Problemen kreativ und effektiv umzugehen. Gelingt das

nicht, schleppt das die Gruppe ewig mit und wird mit Verlusten arbeiten und sich mit dem Mittelmaß begnügen.

Wichtig: Klare Lösungsstrategien und Spielregeln entwickeln und festlegen.

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(4) Verschmelzungsphase

Die Mitglieder eines gereiften Teams zeigen Geschlossenheit und pflegen engen Kontakt miteinander (manchmal ent-

stehen sogar Freundschaften). Alle sind bereit, sich für die KollegInnen einzusetzen. Ein weiteres Kennzeichen ist auch

der Umgang untereinander: Zwanglosigkeit und gegenseitige Hochachtung voreinander. Jedes Mitglied hat eine klar

festgelegte Funktion und hat einen unverwechselbaren Beitrag zu leisten.

Von außen fällt die Geschlossenheit der Gruppe auf, es werden aber auch Kontakte zu anderen Gruppen geknüpft. Das

Team befasst sich auch damit, seine Aufgaben und Rollen innerhalb der Gesamtorganisation zu klären (vgl. Francis/

Young 2002, S. 20ff).

Kurzworkshop zur Ermittlung des Teamentwicklungsstandes

Die im letzten Kapitel angeführten Phasen sind natürlich nicht statisch, sondern ein Team durchläuft die unterschied-

lichen Phasen – manchmal auch nicht der Reihe nach bzw. in verschiedenen Aufgabengebieten in unterschiedlichen

“Reifegraden” etc. D.h. das Team befindet sich in permanenter Entwicklung. Will man als Führungskraft den Reifegrad

des Teams eruieren, so hat sich in der Praxis die subjektive Einschätzung der einzelnen Teammitglieder auf der „Tea-

mentwicklungsuhr“ bewährt:

12

6

3

1

5

11

Phase 4

Phase 3

Phase 1

Phase 2

Verschmelzungsphaseideenreich,

flexibel,offen,

leistungsfähig,solidarisch und hilfsbereit

Testphasehöflich,unpersönlich,gespannt,vorsichtig

OrganisierungsphaseEntwicklung neuerUmgangsformen,

Entwicklung neuerVerhaltensweisen,

Feedback,Konfrontation der

Standpunkte

Nahkampfphaseunterschwellige Konflikte,Konfrontation der Personen,Cliquenbildung,mühsames Vorwärtkommen,Gefühl der Ausweglosigkeit

7

10

8

2

4

9

191

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Kurzanleitung für den Workshop

(1) Vorstellen der vier Phasen („Teamentwicklungsuhr“ auf FLIP)

(2) Gruppenanleitung: Jedes Teammitglied bekommt eine Teamentwicklungsuhr auf A4:

10“ Zeit für Einschätzung „Wo befindet sich unser Team auf der Teamentwicklungsuhr?“ und WARUM

(Jede/r zeichnet sich die Antwort im eigenen Blatt ein und findet eine Begründung/Argumentation dafür.

(3) Auf großer Uhr (FLIP): Einzeichnen der einzelnen Ergebnisse und Diskussion der einzelnen Argumente

(4) Brainstorming mittels Zurufen auf FLIP: „Welche großen Steine liegen uns zur Zielerreichung im Weg?“

(5) Priorisierung der Themen („STEINE“) mittels Punkten (jede/r erhält 3/5 Punkte und klebt diese auf die ihm/ihr

wichtigsten Themen, BSP: Neues Teammitglied noch nicht integriert)

(6) Frage: Welche Maßnahmen braucht es, um die Stolpersteine zu überwinden (mittels Kartenabfrage/Moderation)

(7) Zeitgleich: Maßnahmenplan: Maßnahme/Wer?/Bis wann?

(8) Vertrag: Alle Teammitglieder unterschreiben den Maßnahmenplan (Einverständniserklärung aller – nachher kann

keiner mehr sagen: das Wichtigste haben wir nicht behandelt – liegt in der Verantwortung der Mitglieder des Teams)

1) vgl. Daniel Meier (2005) Wege zur erfolgreichen Teamentwicklung, S. 1462) Dave Francis, Don Young (2009) Mehr Erfolg im Team, S. 203) vgl. Martina Schmidt-Tanger (2005) Veränderungscoaching, S. 124 ff4) vgl. Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle (2008) Teamcoaching, S. 36 ff5) Kaszubski (2008). Handout Coachinglehrgang_Phasen des Gruppenaufbaus nach Francis/Young6) vgl. Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle (2008) Teamcoaching, S. 36 ff.7) vgl. Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle (2008), Teamcoaching, S. 142 ff8) Martina Schmidt-Tanger (2005) Veränderungscoaching, S. 1729) Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle ( 2008), Teamcoaching, S. 10010) Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle ( 2008), Teamcoaching, S. 10111) vgl. Daniel Meier (2005) Wege zur erfolgreichen Teamentwicklung12) vgl. Christohper Rauen (2007), Coaching Tools, S. 300 ff13) vgl. Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle (2008), Teamcoaching, S. 210 ff14) vgl. Christopher Rauen (2007) Coaching Tools, S. 90 ff15) vgl. Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle (2008), Teamcoaching, S. 207 ff16) Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle (2008), Teamcoaching, S. 2217) Kaszubski (2008). Handout Coachinglehrgang_Phasen des Gruppenaufbaus nach Francis/Young

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8. Literaturliste

Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle, Teamcoaching (2008), Manager Seminare Verlags GmbH

Martina Schmidt-Tanger, Veränderungs-Coaching (2005), Junfermann

Daniel Meier, Wege zur erfolgreichen Teamentwicklung ( 2005), Solution Surfers

Linda Kaszubski, Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und der Freien Universität Berlin (2009).

Dave Francis, Don Young, Mehr Erfolg im Team ( 2009), Windmühle

Christopher Rauen, Coaching Tools (2007), Manager Seminare Verlags GmbH

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Mama-Coaching nach dem A M W E G ModellSylvie Reidlinger

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 Was ist Mama-Coaching

1.1 Definition

1.2 Idee

1.3 Zielgruppe

1.4 Was ist unter Mama-Coaching zu verstehen?

1.5 Zahlen/Fakten/Leistung

1.6 Ziel/Ausblick/Entwicklung

Kapitel 2 Das AMWEG-Modell im Mama Coaching

Kapitel 3 Fragen – das wesentliche Tool im Mama-Coaching

3.1 Die Kunst des Fragens

3.2 Inhaltsfreies Fragen

3.2.1 Fragen ins Ziel/Thema/Problem

3.2.2 Assoziierende Fragen

3.2.3 Dissoziierende Fragen

3.2.4 Fragen nach Ressourcen/Future Pace

3.3 Fragen zur Auftragsklärung

3.4 Wunderfrage

3.5 Skalierungsfrage

3.6 Systemischer Zielrahmen

Fragebox

Nachwort

Literaturliste

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Vorwort:

Das Leben fragt uns. Wir geben die Antworten.

Thomas Koditek1

Anfang des Jahres 2011 fragte mich eine Freundin, ob ich auch so oft mit meinen Kindern schimpfe. Darauf antwortete

ich mit dem Hochziehen der Augenbrauen und einem erwartungsvollen, auffordernden Blick. Sodann legte sie los und

gab sich einem Redefluss hin. Ihre Bereitschaft, einfach laut zu reflektieren und dabei angehört zu werden, war so inten-

siv, dass wenige Zeichen des aufmerksamen Zuhörens genügten, um dem Gespräch einen produktiven Verlauf zu geben.

Wir analysierten das Freizeitprogramm der Kinder meiner Freundin und kamen zu dem Schluss, dass dieses mehr Sport

beinhalten sollte. Ihren Kindern mehr Möglichkeiten zum Austoben anzubieten und diese zu organisieren, nahm sich

meine Freundin nun vor.

Noch am selben Nachmittag rief mich meine Freundin an und bedankte sich bei mir – besonders für mein offenes Ohr

– und fragte mich kurzerhand:

„Willst Du nicht Mama-Coach werden?“

Genau dieser Begriff „Mama-Coach“ verankerte sich augenblicklich in mir und kann als mein persönlicher Auslöser

angesehen werden, und ich machte mich „auf den Weg“ (A M W E G-Modell). Ich bin Hausfrau und Mutter von zwei

Kindern und diese Abschlussarbeit des Coachinglehrgang 2011, Wien, stellt eine enorme Herausforderung für mich

dar. Vor der Geburt meines Sohnes und meiner Tochter war ich nach der Matura mit Leib und Seele über zwölf Jahre

Büroangestellte.

Nach achtjährigem überzeugtem Mutterdasein nehme ich am Coachinglehrgang 2011 teil und sehe nun neue Möglich-

keiten für meinen beruflichen Neubeginn, in den ich meine Erfahrungen einbringen kann

Kapitel 1 Was ist Mama-Coaching?

1.1 Definition

Mama2-Coaching leitet sich aus dem systemischen Coaching ab und meint die gleichberechtigte zukunftsorientierte

Zusammenarbeit zwischen zwei Menschen, mit dem Ziel, die Mutter-Kind-Beziehung zu reflektieren.

Diese Zusammenarbeit wird durch Konversation möglich: Der Mama-Coach unterstützt den Coachee3, auf Lösungen

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und Ziele fokussiert zu bleiben. Die Konversation wird nicht nach einem vorherbestimmten zeitlichen Rahmen oder nach

einer konkreten Anzahl von Sitzungen beendet, auf die man sich geeinigt hat, sondern dann, wenn der Coachee sich

zuversichtlich genug fühlt, ohne Coach weiterzumachen.4

Wie im systemischen Coaching übernimmt der Mama-Coach die Verantwortung für die Gestaltung des Coachingprozes-

ses (Fragen) und der Coachee jene des Inhalts (Anliegen/Problem).

1.2 Idee

Mama-Coaching ist ein Spezialangebot auf dem Coachingmarkt, eine Spezialität aus dem Coachingmenü, das vor allem

Mütter ansprechen soll. Mama-Coaching ist ein Angebot für Frauen, deren Lebensgestaltung durch Familie, eigene

Kind(er) oder Kinder aus Patchwork-Beziehungen geprägt ist.

Die Neuropsychiaterin Louann Brizendine hat eindrucksvoll und mir persönlich gut nachvollziehbar festgehalten, wie

sehr die Geburt eines Kindes das Leben von Frauen verändert:

„’Wenn du Mutter wirst, bist du für immer ein anderer Mensch’, hatte meine Mutter mich gewarnt. Sie hatte recht. Meine

Schwangerschaft ist lange vorüber, aber noch immer lebe und atme ich für zwei; mit Körper und Seele hänge ich an

meinem Kind – es ist eine so starke Bindung, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Seit mein Kind geboren wurde,

bin ich zu einer anderen Frau geworden …. Durch die Mutterschaft verändert sich eine Frau, weil sich buchstäblich ihr

Gehirn wandelt – mit seiner Struktur und mit seinen Funktionen; und in vielerlei Hinsicht sind die Veränderungen nicht

mehr rückgängig zu machen.“ 5

Durch das Mamawerden dreht sich im Leben der Frau plötzlich vieles rund um das Kind. Im Mama-Coaching soll sich

alles um die Frau und Mutter drehen.

1.3 Zielgruppe

Die Zielgruppe im Mama-Coaching scheint allein durch den Namen selbsterklärend. Im ersten Moment scheint „Mama-

Coaching“ ausnahmslos Mütter mit Kleinkindern anzusprechen. Doch Mutterschaft hat viele verschiedene Implikationen,

abhängig von der jeweiligen konkreten Lebenssituation. Und Mütter leben in einem Beziehungsgeflecht zu anderen

Personen. Mama-Coaching adressiert sich daher an folgende Personen:

- Frauen mit Kinderwunsch

- Werdende Mütter

- Eltern

- Geschiedene Eltern

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- Mütter von Kleinkindern, die ihren neuen „Job“ noch nicht verinnerlicht haben

- Vollzeitmütter

- Berufstätige Mütter

- Tagesmütter

- Pflegemütter

- Leihmütter

- Mütter adoptierter Kinder

- Mütter, deren (zwei oder mehr) Kinder in unterschiedlichen Lebensphasen stecken

(Kindergarten, Schule, Pubertät etc.)

- Mütter, die in „Patchworkfamilien“ leben

- Alleinerziehende Mütter

- Väter, die in Karenz sind oder sich darauf vorbereiten wollen

- Mütter, deren Kinder „flügge“ geworden sind

- Verwitwete Mütter und Väter

- Mütter in den Wechseljahren

- Mütter in Pension

- Töchter/Söhne

- Großmütter und Großväter

1.4 Was ist unter Mama-Coaching zu verstehen?

Ein diplomierter Coach, der sich zum Mama-Coach spezialisiert hat, bietet eine Dienstleistung an, bei welcher während

des Mama-Coachings der Mama-Coach seinen Schwerpunkt auf lösungsorientiertes Fragenstellen, aufmerksames Zu-

hören und zusammenfassende Rückmeldungen legt. Dabei wird dem Coachee ermöglicht, seine Gedanken zu ordnen

und Ziele zu formulieren. Seine Ressourcen werden wahrgenommen und erste Schritte in Richtung einer Lösung werden

planbar.6

Mama-Coaching soll ein Auffangort, ein Ort der Aussprache und Ruhe, eine Oase der Neufindung, eine Quelle der Mög-

lichkeiten, ein Platz für Zeit sein.

Das Setting des Mama-Coachings, also der Raum, in dem das Coaching-Gespräch stattfindet, soll sich sehr nüchtern

und reizarm präsentieren. Tagtäglich prasseln unzählige Eindrücke auf uns nieder, die uns zu Gedankenkarussellen zwin-

gen, ob gewollt oder ungewollt. Deshalb sollte der Raum, in dem das Mama-Coaching abgehalten wird, möglichst pu-

ristisch eingerichtet sein (helle, hohe Räume, bequeme Sessel, einfacher Tisch, Fenster, wenig Ablenkung: keine Bücher,

keine Bilder, keine persönlichen Gegenstände des Mama-Coach). Das Coaching-Lokal soll einladend und aufmunternd

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von außen wirken, Schild und Logo müssen grafisch ansprechend sein, das Schaufenster ungewöhnlich-auffallend.

1.5 Zahlen/Fakten/Leistung

- Wirtschaftliche Organisationsform

Einzelunternehmer, allein oder in Praxisgemeinschaften und in Kooperation mit diversen sozialen Einrichtungen

- Finanzielles

- Startkapital = Eigenkapital

- Erste Coachingstunde = EUR 40,--

- Jede weitere = EUR 80,-- (oder mehr)

- Naturalzahlung möglich: z.B. Coachee ist Friseur und „zahlt“ dem Coach einen Haarschnitt,

Coachee ist Fotograph und „zahlt“ dem Coach eine Fotosession, etc….

- Zeitplan

- 1.-3. Monat: Visitenkarten, Broschüre, Logo, Homepage entwickeln

- 4.-6. Monat: Coaching-Raum finden, Einrichtung entwickeln

- 9.-12. Monat: Klienten gewinnen

- Wie werden Klienten gewonnen? Über

- Schule, Kindergarten

- MAG 11 (Kinder, Jugend und Familie)

- Psychologen

- Laufkundschaft

- Mundpropaganda: zufriedene Klienten als beste Quelle für Neukunden

- Arbeitszeiteinteilung

20 Std/Wo z.B. 4 Vormittage je 2-3 Sitzungen (max. 2 Stunden pro Sitzung), je nach Nachfrage steigerbar

- Entwicklung

Am Beginn allein, eine spätere Erweiterung auf ein Team wird nicht ausgeschlossen.

Kooperation mit Zusatz- bzw. Anschlussangeboten wie z.B. mit Friseur/Kosmetik/Massage: „Nach dem Coaching eine

Massage“ (Mama-Wellness/Spa).

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1.6 Entwicklung/Ziel

- Individuelle Lösung von Anliegen/Problemen

- Nach Abschluss des Coachings: Nachfassung, 4 Wochen später Kontaktaufnahme über Zufriedenheit,

Standortbestimmung

- Stärkung der Anerkennung von Müttern in ihrem sozialen Umfeld

- Angebot von Team-Coachings für Mütter

- Laufende Überprüfung der angewandten Methoden und Weiterentwicklung des AMWEG-Modells

anhand von Feedbacks

- Anpassung, Mitgestaltung und Entwicklung zum Thema Kinderbetreuung

- Beobachtung und Feststellen von Trends

- Mütterstatus am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft

- Papa-Coach

Kapitel 2 Mama Coaching nach dem M-Modell (A M W E G)

Das „M“ im AMWEG-Modell steht natürlich in erster Linie für M-AMA, aber auch für M-ANN und selbstverständlich für

M-ENSCH.

Das „M“ als Buchstabe beschreibt einen Weg von Strichen, die verschieden lang sind und in unterschiedliche Richtun-

gen verlaufen und gezogen werden. Grundsätzlich versteht sich der Weg, den ein M für das AMWEG-Modell im Mama-

Coaching beschreibt, als einer mit vier prägnanten Eck- bzw. Wendepunkten, dem A M W E G.

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A USLÖSER

M UT

W UNSCH

E RKENNTNIS

G EWINN

Menschen stecken täglich in einer Krise. Und Krise bedeutet, aus dem Griechischen abgeleitet, nichts anderes als „Ent-

scheidung“, „Meinung“, „Zuspitzung“, …, auch „Auslöser“.

Ein plötzlicher emotionaler Impuls löst das Bedürfnis aus, „sich auf den Weg zu machen“ (Auslöser), daraufhin wird der

Mut, den es dazu braucht, zu diesem Aufbruch zu stehen, wahrgenommen und gewürdigt. Ein Wunsch entwickelt sich

und kristallisiert sich heraus. Eine Erkenntnis wird gewonnen und damit der Weg freigeschaufelt für den Gewinn des

Aufbruchs. Das Ziel wird gesichtet.

Wie die Hirnforschung nach Hüther erkannt hat, wird die erste Entscheidung (in Millisekunden) immer im ES (also in der

Intuition/Emotion) getroffen und erst dann im ICH (im Verstand/in der Ratio) bestätigt.7

Wie auch immer wir Menschen und insbesondere die Mutter im Mama-Coaching in Krisen intuitiv handeln mag, mit

dieser Handlung ist der erste Schritt des AMWEG-Modells gesetzt:

AUSLÖSER

In unserem Leben gibt es immer einen Auslöser, der uns zu einer Frage oder Antwort zwingt, der uns Entscheidungen

fällen lässt, der uns zum Handeln und Aktivwerden drängt. Wenn sich also eine Mutter entschließt, einen eigenen Weg

einzuschlagen, so gibt es dafür einen Auslöser. Und nach diesem Auslöser darf/soll im Mama-Coaching gefragt werden.

Stellen wir uns in der ersten Mama-Coachingstunde eine Mutter in Karenz vor, die nach zweijähriger Babypause ihren

beruflichen Wiedereinstieg überdenkt. Sie ist Ärztin und hat die Möglichkeit, in die „alten“ Strukturen des Krankenh-

ausdienstes zurückzukehren oder sich mit Kollegen selbständig zu machen. Die Frage nach dem AUSLÖSER, der sie

zur Auseinandersetzung mit der Berufsgestaltung zwinge, begründet die Frau mit dem kürzlich zwischen ihr und dem

Krankenhauschef geführten Telefonat. Während des Gesprächs sei ihr klar geworden, dass nurmehr ein anspruchsloser

Job auf sie warte, den sie keinesfalls ausfüllen wolle. Für sie wäre vielmehr ein langsameres Leben, ohne äußeren Druck,

erstrebenswert.

Im Mama-Coaching-Prozess sollte deshalb möglichst zu Beginn der AUSLÖSER durch Fragen eruiert werden:

- „Gab es einen Auslöser, der Sie zu mir/zu dieser Überlegung, Entscheidung … geführt hat?“

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- „Was genau, welcher Auslöser, hat Sie zum Handeln veranlasst?“ oder

- „Wann genau ist dieses Gefühl aufgetreten?“

Dadurch wird die Ausgangslage des Coachees ganz deutlich umschrieben und definiert. Dem Coachee wird die Möglich-

keit gegeben, nochmals kurz zurückzublicken. Im Auslösermoment liegt die entscheidende Information, denn in dieser

rückblickenden Situation kann der Coachee oft schon sein Ziel formulieren. Dieser Moment ist auch für den Mama-

Coach sehr wichtig, denn er enthält die meisten lösungsorientierten Informationen

„Wir müssen uns des Auslösers einer Emotion nicht bewusst sein und sind es auch häufig nicht. Außerdem können

wir unsere Emotionen nicht willkürlich kontrollieren. Sie können in einem traurigen oder glücklichen Zustand sein und

trotzdem nicht wissen, warum Sie sich gerade jetzt in diesem Zustand befinden. Eine sorgfältige Prüfung kann vielleicht

mögliche Gründe zutage fördern, und der eine oder andere Grund mag plausibler sein als ein anderer, aber oft können

Sie sich einfach nicht sicher sein. Der tatsächliche Grund mag die Vorstellung eines Ereignisses gewesen sein, eine

Vorstellung, die durchaus das Potential hatte, bewusst zu werden, es aber nicht wurde, weil Sie Ihre Aufmerksamkeit auf

etwas anderes gerichtet hatten.“8

In einer Art fließendem Übergang wird durch den Mama-Coach der Coachee würdig verstanden. Der Mama-Coach

drückt seine Annerkennung (Ressource) nach MUT gegenüber dem Coachee aus:

M U T

Den Mut des Coachees zu erwähnen und zu unterstreichen ist ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil im Mama-

Coaching.

Nehmen wir das Beispiel der Ärztin in Karenz: Wenn nun der Mama-Coach anerkennt, dass der Coachee als Ärztin viele

Jahre lang wertvolle Arbeit im Krankenhaus geleistet hat und jetzt zwei Jahre gut für das Kind gesorgt hat, so fühlt sich

der Coachee bestätigt. Und wenn der Mama-Coach noch hinzusetzt, dass es sicher nicht leicht ist, eine Entscheidung zu

finden, so bestärkt das den Coachee, eine Entscheidung finden zu wollen.

Es ist wichtig, dass der Mama-Coach hier den Coachee erkennen lässt, was er schon geleistet hat, denn oft ist es so,

dass sich im Mutteralltag viele Fragen und Unsicherheiten ergeben, die unbeantwortet bzw. ungelöst bleiben. Dadurch

entstehen Konflikte und Situationen, in denen sich Mütter teilweise überfordert fühlen und ratlos zurückbleiben.

Die Anerkennung durch den Mama-Coach tut dem Coachee gut. Der Coachee soll hier sich selbst (wieder) finden bzw.

etwas annehmen. Den „Mut“ bei sich selbst annehmen und gutheißen bzw. genießen, ist ein wichtiger Prozess im Mama-

Coaching:

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„Selbstliebe – sich selbst zu lieben – macht attraktiv.“

Thomas Koditek9

Durch die vom (Mama-)Coach vermittelte Wertschätzung und Sicherheit sowie andauernde Präsenz wird die Suchschlei-

fe nach Lösungen beim Coachee sehr stark angeregt.10

Peter Szabo und Insoo Kim Berg bestätigen in ihrem Buch über Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung Folgendes:

„Machen Sie Komplimente. Wertschätzung ist ein wesentlicher Bestandteil des lösungsorientierten Ansatzes. Zu bestä-

tigen, was KlientInnen bereits gut machen, und anzuerkennen, wie schwierig ihre Probleme sind, ermutigt KlientInnen,

sich zu verändern, während gleichzeitig Verständnis und Mitgefühl des Coaches vermittelt werden. Komplimente in der

Konversation können hervorheben, was der/die KlientIn richtig macht.“11

Durch diese MUT-Anerkennung seitens des Mama-Coaches wird eine Kraft beim Coachee freigesetzt, die ihn endlich

seine WÜNSCHE formulieren lässt.

W U N S C H

Im Mama-Coaching ist Wunsch gleichbedeutend mit Ziel.

Oft ist es nämlich so, dass Mütter mit den Veränderungen und Entwicklungen, die sich im Laufe des Familienlebens

ergeben, nicht wirklich Schritt halten können und Schwierigkeiten haben, damit umzugehen. Ihr Selbstwertgefühl in der

Rolle als Mutter verkümmert, die Bedürfnisse als Frau und Partnerin werden gänzlich verdrängt. Auch der Zeitfaktor darf

nicht außer Acht gelassen werden. Mütter nehmen sich sehr stark zurück und vergessen dabei auch die Zeit mit und für

sich selbst.

Genau in dieser W U N S C H Phase werden neue Ziele (auch Sehnsüchte) formuliert.

Zu diesem Zeitpunkt im Mama-Coaching-Prozess ist es ganz wichtig, sich als Mama-Coach voll und ganz zurückzuneh-

men. Empathie weicht der Abgrenzung. Der Coach als Begleiter soll im Idealfall nur mehr als Zuhörer und „Aufnahme-

leiter“ agieren, vergleichbar mit den Stadien im U-Modell nach Otto Scharmer „letting come“ und „crystallizing“12, jene

Schritte, die fast miteinander verschmelzen.

Auch wenn wir als Mama-Coach eine Veränderung beim Coachee spüren oder erahnen, sollte sich der Coach in völliger

Zurückhaltung üben. Gerald Hüther hat Folgendes erforscht: „Sie haben damit die höchste Stufe der Wahrnehmungsfä-

higkeit eines menschlichen Gehirns erreicht. Dorthin kann nur jemand gelangen, dem es im Lauf seines Lebens immer

wieder gelungen ist, ein Gleichgewicht zwischen Gefühl und Verstand, zwischen Abhängigkeit und Autonomie sowie

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zwischen Offenheit und Abgrenzung zu finden. Um seine Sinne in dieser Weise zu schärfen, muss ein Mensch lernen,

sowohl festhalten als auch loslassen zu können. Er muss die Fähigkeit entwickeln, sich einer bestimmten Wahrnehmung

voll und ganz zu widmen, sie in sich aufzunehmen und zu spüren, was diese Wahrnehmung in ihm auslöst. Und er muss

das dabei entstandene innere Bild mit all den dort bereits entstandenen Bildern zu einem einheitlichen ganzen Bild, das

dann eher einer Empfindung gleicht, verschmelzen lassen. Dabei darf er nicht selbst vor Begeisterung über diese Emp-

findung „dahinschmelzen“, sondern er muss sich wieder davon lösen können und sie doch fortan in sich bewahren. Nur

so ist er später in der Lage, neue, andere Wahrnehmungen über andere Sinneseingänge aus seiner äußeren wie auch aus

seiner inneren Welt mit der gleichen Intensität aufzunehmen und zu spüren, was dabei in ihm und mit ihm geschieht, und

die dabei entstandenen „Empfindungsbilder“ mit allen anderen, bereits abgespeicherten zu einem inneren umfassende-

ren Bild seiner inneren und äußeren Wirklichkeit zusammenfügen. Jeder von uns hat das einmal zumindest in Ansätzen

gekonnt, als er noch ein Kind war.“13

In diesem Moment findet die Höchstdisziplin im Mama-Coaching statt.

E R K E N N T N I S

In der ERKENNTNIS formuliert der Coachee quasi wie von selbst bzw. automatisch seinen Zugang zur Lösung.

Der Mama-Coach wiederholt nur im Wording des Coachees, er wendet die Wortwahl des Coachees an, um kurz zusam-

menzufassen:

- „Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie den Dialog suchen?“

- „Es liegt also an der Babysitter-Auswahl, die Sie daran hindert, unbeschwert ihre gewonnene Zeit zu genießen“?

G E W I N N

In der GEWINN-Phase bestätigt der Coachee nur mehr seine ERKENNTNIS. Die ersten Schritte in Richtung Lösung bzw.

Veränderung werden gefestigt. Diese werden mehrmals wiederholt und gegebenenfalls im Rollenspiel/wechsel nochmals

zur Verankerung nachempfunden. Rückfragen, in denen „kleine“ Hausaufgaben verpackt sind, können vom Mama-Coach

beispielsweise wie folgt formuliert werden:

- „Wäre das eine Möglichkeit, dass Sie den Dialog suchen?“

- „Sehen Sie sich in der Lage, diese Aussprache zu führen?“

- „Gibt es jemanden, der Ihnen bei der Babysitter-Auswahl behilflich sein könnte“?

Mit dem Coachee wird vereinbart, ob ein weiteres Coaching folgen soll. In jedem Fall wird seitens des Mama-Coach

beim Coachee um Erlaubnis gefragt, in 2-4 Wochen nach der Zufriedenheit und dem Veränderungsprozess nachfragen

zu dürfen.

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Kapitel 3 Fragen – das wesentliche Tool im Mama-Coaching

3.1 Die Kunst des Fragens

Die wichtigste und wesentlichste Aufgabe des Mama-Coach ist, geschickte Fragen zu stellen, denn eine Frage lenkt stets

die Aufmerksamkeit, den Fokus auf einen bestimmten Wahrnehmungsaspekt in unserer Welt.

Nach Michael Marquardt14 werden in unserer Gesellschaft nicht nur Fragen gestellt, um nach Antworten zu suchen bzw.

um Informationen auszutauschen, sondern auch, um Verantwortung zu übernehmen.

Angesichts des Stellenwerts, den Fragen im systemischen Coaching haben, gilt es also, über geschicktes und gezieltes

Fragen Leerstellen ins Bewusstsein zu bringen und auszufüllen.

Wer die Kunst des Fragens beherrscht und es versteht, Themen gezielt einzukreisen, hat mehr Erfolg in Verhandlungen,

Gesprächen oder im täglichen Miteinander. Das gilt auch für das Mama-Coaching, denn der Aspekt, welche Fragen wie

und wann gestellt werden, beeinflusst den Erfolg des Coachingprozesses ganz wesentlich. Durch den ganz persönlichen

Fragenablauf und individuellen Fragestil des Coaches gelingt es, den Coachee selbstständig auf die Lösung zu bringen.

Insbesondere bei den ersten Coachinggesprächen können die 5 Phasen des Fragens nach Christopher Rauen als hilfrei-

cher Leitfaden für den Gesprächsablauf dienen. Es versteht sich von selbst, dass die Fragestellungen auf die Coaching-

situation individuell angepasst werden müssen.

- Phase 1: Come together. Kennenlern- und Kontaktphase

- Phase 2: Orientation. Inhaltliche Orientierung

- Phase 3: Analysis. Untersuchung des Klientenanliegens und des Klientenumfelds

- Phase 4: Change. Veränderungsphase

- Phase 5: Harbour. Zielerreichung und Abschluss.15

In jedem Gespräch ist es eine „Kunst“, die richtige Frage zum richtigen Zeitpunkt zu stellen. Gerade im systemischen

Coaching gilt diese Feststellung in mehrfacher Hinsicht, dreht sich doch alles nur darum, die richtige Frage zum richti-

gen Zeitpunkt zu stellen. Die folgenden Ausführungen beleuchten die unterschiedlichen Arten von Fragen, die im Zent-

rum des systemischen Coachings stehen, und illustrieren diese anhand zahlreicher praktischer Beispiele.

3.2 Inhaltsfreies „Fragen“

Insbesondere das inhaltsfreie Fragen, losgelöst vom Inhalt, d.h. vom Gesagten, lässt auf die Fähigkeit des Coaches

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schließen. Systemische Fragen sind niemals Suggestionsfragen. Wie Sonja Radatz in ihrer Einführung in das systemi-

sche Coaching16 erläutert, überwiegen im Alltag geschlossene Fragen, die nur mit Ja oder Nein zu beantworten sind,

systemische Fragen hingegen zeichnen sich durch die Verwendung der so genannten W-Wörter aus: wie, was, wann, wer,

womit? etc. Dabei wird das Ziel verfolgt, dass durch jede Frage künftige Handlungen anders ablaufen als bisher. Beson-

dere Bedeutung kommt dem Fragewort „warum“ zu.17 Die Frage nach dem „Warum“ sollte im systemischen Coaching

möglichst weggelassen werden. Dies vor allem deshalb, weil Fragen des Typs „Warum ist Ihnen dies nicht gelungen?“

den Coachee frustrieren können. Es ist deshalb – wie Sonja Radatz festhält – „sehr hilfreich, das ‚Warum?’ durch ein ‚Wie

kommt es dazu, dass …?’ oder ein ‚Wie sind Sie konkret darauf gekommen, dass …?’ zu ersetzen“18.

Frei übersetzt nach John Whitmore, heißt es ebenso, geschlossene Fragen zu stellen, bewahre die Menschen vor dem

Denken, jedoch offene Fragen zu stellen, veranlasse sie, über sich selbst nachzudenken.19

Fragen – vor allem inhaltsfreie Fragen – sind das Werkzeug im systemischen Coaching. Um dieses Werkzeug richtig

einzusetzen, werden drei Arten von Fragestellungen unterschieden:20

- Fragen ins Ziel/Thema/Problem

- Dissoziierende und Assoziierende Fragen

- Fragen nach Ressourcen/Future Pace

3.2.1 Fragen ins Ziel/Thema/Problem

„Mit Hilfe von Informationsfragen ergründet der Coach z.B. die Berufswelt oder das private Umfeld seines Coachees.

Dabei nimmt er Informationen über seine Funktion, seine Stellung im Unternehmen oder Einflüsse seiner Umwelt auf

ihn auf. Ebenso werden relevante Fakten aus seinem Privatleben erhoben, wie Ausbildungsgang, Familienstand, etc.“21

Linda Kaszubski22 empfiehlt, das Wort „Problem“ im Rahmen des Coaching durch das Wort „Thema“ zu ersetzen, um

die Coachingsituation durch den „Problem“-Begriff nicht von vornherein zu belasten. Führt man sich jedoch vor Augen,

dass der aus dem Griechischen abgeleitete Begriff „Problem“ im übertragenen Sinn u.a. für „Stein des Anstoßes“, für

ein „Hindernis“, steht, kann die Verwendung des Begriffs im Coaching durchaus angebracht sein, geht es häufig doch

darum, – sinnbildlich gesprochen – „Hindernisse“, „Stolpersteine“, im Rahmen des Coachingprozesses zu orten und

aus dem Weg zu räumen.

Beispiele:

- Bei welchem Thema/Anliegen/Problem, welcher Frage, kann ich Sie unterstützen?

- Wie beschreiben Sie Ihre momentane Situation?

- Welchen Schritt wollen Sie setzen/stellen Sie sich vor, um Ihr Ziel zu erreichen?

- Wo möchten Sie leben?

- Wer bzw. was möchten Sie sein?

- Wie hätten Sie es denn gerne?

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- Mit wem möchten Sie Ihre Zeit verbringen?

- Wie soll Ihr Haus bzw. Ihre Wohnung aussehen?

- Womit möchten Sie Ihr Geld verdienen?

- Was möchten Sie in Ihrer Freizeit tun?

- Wie soll Ihr Alltag aussehen?

- Welchen Zustand wünschen Sie sich am Ende des Coachings?

- Woran merken Sie die Beendigung unseres Coachings?

- Wir haben noch 20 min, sagen Sie mir, wie für Sie am Ende das Coaching gut war?

3.2.2 Assoziierende Fragen

Assoziierende Fragen lehnen sich stark an Ressourcefragen an. Es macht dann Sinn, assoziierende Fragen zu stellen,

wenn der Coachee sich während des Gesprächs im Thema verfangen hat, aber es offenkundig ist, dass positive Aspekte

im Vordergrund stehen. Die Frage nach „Wann bringen Sie denn diese positiv besetzten Fähigkeiten am besten zum

Ausdruck?“ verstärkt dann zwar die momentane Gefangenheit im Thema, kann aber bewirken, dass der erste Schritt in

Richtung dissoziiert sein besser gelingt.

Deshalb sollte der Coach möglichst bald den Coachee in eine dissoziierende Frage verwickeln, damit dem Coachee die

Möglichkeit gegeben wird, sich und seine Situation im großen Ganzen zu sehen.

3.2.3 Dissoziierende Fragen

Die Betrachtung des Themas aus einem anderen Blickwinkel wird beim dissoziierten Fragenstellen angewandt. Das

Thema wird wie ein Theaterstück „von außen“ angesehen. Der Coach kann dabei auch den Coachee bitten, sich kurz vom

Sessel zu erheben, um den Sessel zu gehen, um die Situation von einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Dissoziierende Fragen kommen im systemischen Coaching dann zum Einsatz, wenn vom Coachee während des Ge-

sprächs schon ganz konkrete Personen, Identifikationsfiguren oder Wunschvorstellungen genannt wurden. Die eigene

Sicht der Dinge kann auf die genannten Personen verlagert werden und somit eine neue Betrachtungsweise hervorrufen.

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Beispiele:

dissoziierend assoziierend

Wie würde ein Freund/Kollege Ihre Situation beschreiben?

Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Vogel, was sehen Sie?

Wenn Sie Ihr Problem aus einer bestimmten Distanz betrachten (Coachee soll dabei aufstehen), was sehen Sie, wie würden Sie das Problem dann beschreiben?

Wenn Sie auf einem Titelblatt abgebildet wären, welche Zeitschrift wäre das und worum ginge es in dem Artikel?

Woran würden Sie heute in einem Jahr erkennen, dass Sie das Problem zu Ihrer Zufriedenheit gelöst haben?

Worin besteht Ihrer Meinung nach Ihre größte Stärke?

Worin besteht Ihrer Meinung nach Ihr besonderes Talent? Was können Sie sehr gut, ohne dass Sie sich dafür groß anstrengen müssen?

Wann bringen Sie Ihr/dieses Talent oder diese Fähigkeit am besten zum Ausdruck?

Sie möchten eine gute Mutter sein, was gelingt Ihnen denn besonders gut in ihrer Rolle als Mutter?

3.2.4 Fragen nach Ressourcen/Future Pace

Future Pace kann als ‚Schritt in die Zukunft’ (pacing = Schritt, Pfad mitgehen) verstanden werden. Gleichbedeutend wie

„die Zukunft spiegeln“.

Future Pace ist das geistige Erleben zukünftiger Situationen mit den gewünschten Ressourcen. Ziel des Future Pacing ist

es, sicherzustellen, dass die angestrebten Verhaltensweisen und Reaktionen in den entsprechenden Umgebungen ganz

natürlich und automatisch, also angepasst, eintreten werden.23

Auch im Rollenspiel kann die zukünftige Situation konkret herbeigedacht werden.

Beispiele:

- Hast du ein (Verhaltens-)Ziel? Wie wärst du und die Welt um dich herum, wenn du dein Ziel erreicht hättest? Stelle dir

dein neues Verhalten in einer konkreten Situation vor, sieh genau das Umfeld, sieh, wie du handelst! Ist es anstrebens-

wert? Spürst du Motivation?

- Betrachte und merke dir eine Sache, die richtig gut gelaufen ist! Was hättest du tun können, damit diese guten Erfah-

rungen noch besser geworden wären?

- Betrachte nun noch eine Sache, die noch nicht so optimal war. An welchen Punkten hattest du Wahlmöglichkeiten?

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Und nun stelle dir vor, wie du in einer ähnlichen Situation das nächste Mal besser reagierst. (Wähle dabei das Umfeld

deiner Vorstellung so, dass darin die Anker, die späteren Erinnerungssignale, für dein neues Verhalten vorhanden

sind.) Was hättest du besser machen können, wie wird dein neues Verhalten sein?

- Was ist Ihnen bislang gelungen?

- Welcher Impuls hat den Teilerfolg eingeleitet?

- Hat es diese Fragestellung schon einmal in Ihrem Leben gegeben?

- Und wie haben Sie sie damals erlebt?

- Was haben Sie damals dazu beigetragen?

- Welche Kraft oder welches Element hat Ihnen genützt, um dorthin zu kommen/um die Situation zu meistern?

- Welchen Einfluss hat die Zielerreichung auf Ihr Leben?

- Woran erkennen Sie die Zielerreichung?

- Nehmen wir an, das Ziel ist erreicht, was sehen Sie? Was fühlen/spüren Sie? Wie reagiert Ihre Umgebung?

3.3 Fragen zur Auftragserklärung

Eine Aufgabe richtig zu formulieren, ist oft schwieriger als sie anschließend richtig zu lösen.24

Im systemischen Coaching ist es für den Coach wichtig, einen klar definierten Auftrag zum Coaching vom Coachee

erteilt zu bekommen. Dieser kann am Beispiel der nachstehenden Fragestellung vom Coach selbst formuliert werden:

„Und was können wir beide hier gemeinsam dazu tun, damit Sie das von Ihnen genannte Ziel erreichen?“

Der Coach holt sich selbst den Auftrag ab, den der Coachee ganz klar bestätigt.

Beispiele

- Sind Sie interessiert, an diesem Thema mit mir zu arbeiten?

- Darf ich Sie bei diesem Anliegen unterstützen?

- Wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es darum, Sie dabei zu begleiten/unterstützen/mitzuhelfen?

- Darf ich Sie hier coachen?

3.4 Wunderfrage

Die Wunderfrage wurde von Steve de Shazer entwickelt und forscht nach hypothetischen Lösungen. Hierbei wird der

Coachee in eine Art Trance versetzt, indem auf spielerisch-erzählerische Weise angenommen wird, das Problem hätte

sich über Nacht wie durch ein Wunder aufgelöst.

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„Ein Wunder geschieht, während Sie schlafen – und durch das Wunder verschwinden die Probleme, derentwegen Sie

hier sind.

Da aber das Wunder geschieht, während Sie schlafen, können Sie nicht wissen, dass es geschehen ist.

Woran merken Sie und die Menschen um Sie herum, dass das Wunder geschehen ist?

Coachee und Coach machen sich in der realen, alltäglichen Welt des Coachees gemeinsam auf die Suche nach den

Anzeichen, die darauf hinweisen, dass das Wunder geschehen ist und die Probleme verschwunden sind. Da Zeichen des

Wunders nur in der realen Welt des Coachees zu finden sind, kann die Wunderfrage auch als Realitätsfrage betrachtet

werden.“25

„Fragen zu hypothetischen Lösungen lassen sich im Coaching in allen Gesprächsphasen nutzen. Sie eignen sich her-

vorragend, um Zielzustände erfinden zu lassen und aus diesem kreativen Zustand heraus ganze Lösungswege zu entwi-

ckeln.“26

Die Frage „Was wäre, wenn … über Nacht die gute Fee alle Wünsche erfüllt oder Sie über Nacht Milliardär geworden

wären?“ wird im Konjunktiv gestellt. Das Wording ermöglicht eine Vision, denn im Wünschen ist alles möglich.

„Diese Frage löst eine Vielzahl von Veränderungsprozessen aus. Zum einen wird der Fokus vom Problem auf die Lösung

des Problems verlagert. So können völlig neue Denkprozesse in Gang kommen. Die Frage ist völlig offen, schließt keine

Möglichkeiten aus. Auch ziemlich unwahrscheinliche oder unrealistische Ideen können in Betracht gezogen werden.

Die Wunderfrage im Coaching öffnet eine größtmögliche Bandbreite an Möglichkeiten, über die Lösung des Problems

nachzudenken.“27

Beispiele:

- Stellen Sie sich vor, Sie gehen nach unserer Coachingsession nach Hause und verbringen den Abend wie gewöhnlich

mit Ihrer Familie/Freunden … etc. und gehen dann schlafen. In dieser Nacht schlafen Sie tief und fest und merken

nicht, dass plötzlich ein Wunder geschieht. Alle Ihre Sorgen sind plötzlich gelöst. Sie wachen am Morgen ausgeschla-

fen aus, wissen aber nicht, dass das Wunder passiert ist, weil Sie ja geschlafen haben.

- Woran würden Sie erkennen, dass etwas anders ist?

- Woran noch?

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3.5 Skalierungsfrage

„Skalierungsfragen eignen sich immer dann, wenn wir mit gewöhnlichen Fragen nicht weiterkommen. Oder wenn es

darum geht, beim Gesprächspartner eine rasche Einschätzung der Situation zu erreichen.“

Wird eine Skalierungsfrage als Coachingpartikel in einem ganz gewöhnlichen Gespräch gestellt, sollte dies allerdings

gut vorbereitet werden – etwa mit der Einleitung:

- „Ich hätte da eine Frage, die Ihnen vielleicht komisch vorkommt, aber mir hilft sie immer, eine rasche und hilfreiche

Einschätzung meiner derzeitigen Situation zu erarbeiten. Hätten Sie Lust, dass ich sie Ihnen stelle?“28

Es besteht auch die Möglichkeit, dem Coachee vorab die Wunderfrage zu stellen, um dann über die Skalierungsfrage

die Selbsteinschätzung seiner momentanen Situation präziser auszurichten. Wie Peter Szabo erklärt, sind „Skalie-

rungsfragen eine weitere hervorragende Möglichkeit, Wunderbilder in den realen Alltag einzubetten.“29

Beispiele:

- Ausgehend von einer Skalierung von 1 bis 10, wobei die Stufe 1 wirklich schlimm, schlecht, letztklassig, wenig erstre-

benswert, absolut inakzeptabel ist, hingegen Stufe 10 das große Glück, den erträumten Erfolg, die Verwirklichung aller

Wünsche bedeutet, wo würden Sie Ihren derzeitigen Zustand einreihen?

- Welche Zahl taucht als erste auf?

- Wo stehen Sie derzeit?

- Woran würden Sie merken, dass Sie einen Schritt/Stufe weiter sind?

- Woran noch?

- Was haben Sie gemacht, um auf diese Stufe zu kommen?

- Was genau sagt Ihnen, dass Sie auf dieser Zahl sind?

- Stellen Sie sich vor, ich würde Ihren besten Freund (Mutter, Sohn, Partner etc.) fragen, was würde diese Person sagen,

woran erkennbar wäre, dass Sie einen Schritt höher wären?

- Wir haben noch 20 min Zeit, wohin wollen Sie kommen?

- Wollen Sie auf Stufe 9 kommen oder ist 8 für Sie ideal?

3.6 Systemischer Zielrahmen

Nachdem ein positiver Auftrag durch den Coachee an den Coach erteilt wurde, eignet sich die Anwendung des „syste-

mischen Zielrahmens“ besonders als „Kennenlern- bzw. Sondierungsgespräch“. Der systemische Zielrahmen wird im

Coaching auch als ein „gesprochenes Tool“ verstanden (im Gegensatz zur hermeneutisch-strukturgenetischen Textinter-

pretation nach Prof. Dr. Thomas Koditek).

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Beispiele

- Zielformulierung (z.B. „Ich zeige wer ich bin“, „Wie lautet die Frage?“)

- Wofür wäre es gut, wenn Sie es hätten?

- Woran genau werden Sie erkennen, dass Ihr Ziel erreicht ist? Woran werden Sie es merken?

- Welche(n) Preis/Konsequenzen hat die Erreichung für Sie? Und für andere?

- Was bekommen/gewinnen Sie? Und die anderen?

- Welche Ressourcen brauchen Sie?

- Was davon haben Sie schon?

- Wer würde Sie dabei unterstützen?

- Wie sehen die ersten konkreten Schritte zur Umsetzung aus?

Fragebox – 10 zurechtgelegte Fragen

für die erste Mama-Coaching-Stunde:

1Wie sind Sie zu mir/uns gekommen? Was hat sich bis jetzt/seit unserem letzten Kontakt getan? Gab es einen AUSLÖSER? Was haben Sie bis jetzt unternommen? Schildern Sie mir doch kurz Ihre Situation? Wie verbringen Sie Ihre Zeit?

2Ich verstehe, es war sicher nicht leicht, das zu ertragen! Ich kann sehen, dass Sie schon vieles versucht und unternommen haben. Ich bin beeindruckt (MUT). Wie hätten Sie es denn lieber?

3Was vermuten Sie, was könnte im besten Falle hier im Coaching passieren/erreicht werden, damit Sie mit einem guten Gefühl nach Hause gehen? Wie hätte sich das Coaching für Sie gelohnt?/Was muss sich nach dem Coaching verändert haben?Wie lautet Ihre Frage? (WUNSCH)

4 Hierbei darf ich Sie coachen/unterstützen?

5 Wunderfrage – Gedankenreise – Stellen Sie sich vor … verbunden mit der Skalierungsfrage

6 Was können Sie selber zur Klärung der Situation/des Problems beitragen? Was ist wichtiger für Sie?

7 Woran würden Sie etwas merken? Wer in Ihrer Familie/Umgebung würde zuerst eine Veränderung bemerken? (ERKENNTNIS)

8 Wie fühlt sich das jetzt für Sie an?

9 Angenommen, Sie würden sich in dieser Situation so fühlen, was wäre anders? (GEWINN)

10Ich schlage Ihnen vor, dass Sie sich morgen so verhalten, als wäre das Wunder eingetreten, und Sie berichten mir dann in unserer nächsten Stunde, wie der Tag gelaufen ist. Einverstanden?

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Vision:

„Jeder Mensch hat seine Vision. Bewusst oder unbewusst streben wir nach Glück, Harmonie, Geborgenheit, Sicherheit

etc. Die wenigsten von uns haben schon darüber nachgedacht, was in unserer Bedürfnishierarchie ganz oben steht. Das

ist individuell verschieden. Auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind, lassen wir uns in vielem von unserer Vision

leiten. Die Vision ist immer etwas Abstraktes. Ziele sind konkret und können sich mit der Zeit verändern. Die Vision

bleibt.“ 30

Die Vision ist also ein Gefühl, eine Ahnung von etwas, das tief in uns verwurzelt ist. In der Vision steckt das ur-mensch-

liche eines jeden von uns. Unsere Vision ist zeitlos und gibt uns für einen Augenblick das Gefühl, unsterblich zu sein.

Meine Vision vom Mama-Coaching in 5 Jahren schlagwortartig formuliert:

Neben Supermarkt, Bank, Friseur, Bäcker, Parfümerie und Modegeschäft gibt es auch die Freiheit und Möglichkeit, ins

Mama-Coaching zu gehen. Spontan, teilweise ohne Voranmeldung, sollen in Form eines Impulses oder Speed Coa-

chings erste Anliegen zur Aussprache kommen können. Die Laufkundschaft als neue Zielgruppe. Nach dem Motto:

„Ich nehm’ mir noch schnell ein Mama-Coaching!“

Mama-Coaching als ein weit verbreiteter, bekannter Begriff, der als Schlagwort in Verbindung mit Anerkennung der Frau

als Mutter verbunden wird und gleichsteht für Respekt, Toleranz und Wertschätzung gegenüber Müttern im Familienall-

tag.

Mama-Coaching als erkannte Möglichkeit der Kurzzeit-Auszeit für Mütter, Frauen, Männer et al., in der Lösungsfindung

praktiziert wird (Kinderbetreuung inklusive).

Mama-Coaching als Corporate Identity für einen hellen, neutralen Raum, der Ruhe und Sicherheit gibt.

Mama-Coaching als Wellness und Spa für die Mensch-Seele.

Mama-Coaching im Tauschgeschäft.

Mama-Coaching jederzeit.

Beim Verfassen dieser Arbeit befand ich mich eindeutig im „Arbeitsflow“. Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi31

meint, diese völlige Vertiefung in die eigene Tätigkeit erreiche man, wenn wir weder über- noch unterfordert sind und ei-

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nen unmittelbaren Erfolg unserer Tätigkeit sehen. So soll es sich jedenfalls für mich in Zukunft während eines Coachings

anfühlen.

1) Zitat aus dem Modul IV des Coachinglehrgangs 2011 in Wien.2) Der „Kosebegriff“ „Mama“, der „Mutter“ meint, wird hier als Erstbezugsperson des Kindes verstanden und steht auch gleichbedeutend für „Papa“ oder jeden anderen „Kosebegriff“.3) In dieser Arbeit ist der Begriff „Coachee“ gleichbedeutend wie Klient oder Kunde.4) vgl. Szabo/Berg 2006, S. 15.5) Brizendine 2007, S. 153.6) vgl. Meier/Szabo 2008, S. 10.7) vgl Koditek, 2008, S.42.8) Damasio 2000, S. 63-64.9) Zitat aus dem Modul IV des Coachinglehrgangs 2011.10) Wie beim Modul IV des Coachinglehrgangs 2011 von Prof. Dr. Thomas Koditek gelehrt.11) Szabo/Berg 2006, S. 26.12) vgl. Koditek 2008, S. 88-93.13) Hüther 2001, S 106-107.14) vgl. Marquardt 2005.15) vgl. Rauen (Hg.) 2004, S 11-12.16) vgl. Radatz 2006, S. 35.17) vgl. Radatz 2006, S. 35.18) vgl. Radatz 2006, S. 35.1920) Die folgende Auflistung und die darauf aufbauenden Unterkapitel geben Inhalte aus dem Coachinglehrgang 2011, Wien, wieder.21) Niermeyer 2003, S. 93.22) Mag. Linda Kaszubski, Leiterin des Coachinglehrgangs 2011, Wien23) vgl. Koditek 2008, S. 25-26.24) Schweizer 2008, S. 77.25) vgl. de Shazer/Dolan 2008, S. 72.26) vgl. Fischer-Epe 2002, S. 68.27) Internet28) Radatz 2006, S. 101.29) Szabo/Berg 2006, S. 65.30) Schweizer 2008, S. 77.31) vgl. Cosmopolitan, 2011, S. 93.

Literaturverzeichnis

Bücher:

Brizendine Louann: Das weibliche Gehirn. Warum Frauen anders sind als Männer, Hoffmann und Campe Verlag,

Hamburg, 2007, 153.

Damasio Antonio R.: Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins,

Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co.KG, München / Paul List Verlag, 2000.

Fischer-Epe, Maren: Coaching: Miteinander Ziele erreichen. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Verlag, 2011 (2002), 68.

Hüther, Gerald: Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, 2009 (2001), Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co

KG, Göttingen.

Koditek, Dr. Thomas: Systemisches Coaching im Prozess, ein Lern- und Arbeitsbuch; Herausgeber: Internationale Aka-

demie an der Freien Universität Berlin, Arbeitsbereich Organisation und Management, Dr. Thomas Koditek, Berlin 2008

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Marquardt, Michael: Leading with Questions, How Leaders find the Right Solutions by Knowing What to Ask,

Jossey-Bass, San Francisco, 2005

Meier Daniel, Szabo Peter: „Coaching erfrischend einfach“, Einführung ins lösungsorientierte Kurzzeitcoaching,

Solutionsurfers GmbH, Luzern, 2008.

Niermeyer, Rainer: Coaching. Sich und andere zum Erfolg führen. Haufe Verlag, 2003, 93ff.

Radatz, Sonja: Einführung in das systemische Coaching. Heidelberg, Carl-Auer-Systeme Verlag, 42010 (2006).

Rainer Niermeyer: Coaching. Sich und andere zum Erfolg führen. Haufe Verlag, 2003, 93ff.

Rauen, Christopher (Hg.): Coaching-Tools. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer

Coaching-Praxis. Bonn, managerSeminare Verlags GmbH, überarb. Auflage 62008 (2004).

Schweizer Peter: Systematisch Lösungen finden. Eine Denkschule für Praktiker. 3., überarbeitete Auflage 2008,

vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich.

Schweizer Peter: Systematisch Lösungen finden. Eine Denkschule für Praktiker. 3., überarbeitete Auflage 2008,

vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich, 77.

Shazer, Steven de/Dolan Yvonne: Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute, Heidelberg,

Carl-Auer-Systeme Verlag 2011 (2008)

Szabo Peter/Berg Insoo Kim: Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung, Borgmann Media, Dortmund, 2006, 15.

Whitmore, John: Coaching for Performance; GROWing human potential and purpose; the principles and practice

of coaching and leadership; this fourth edition first published by Nicholas Brealey Publishing in 2009,

reprinted 2009 (twice), 2010 (twice), 2011, first edition published in 1992.

Zeitschriften:

„Mitgenommen von der Arbeit?“, aus Cosmopolitan, August 2011, S. 93.

Internetquellen:

„Die Wundefrage im Coaching“, in: http://www.tausend-themen.de/nlp/die-wunderfrage-im-coaching/

(abgerufen am 24.6.2011).

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Coaching als Tool für FührungskräfteAus dem Alltag einer FührungskraftRenè Bartal

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was ist eine Führungskraft, Führung?

3. Was ist systemisches Coaching?

3.1. Die Rolle des Coach im Prozess

4. Tools aus dem Coaching für den Führungsalltag

4.1. Nützliche Sprachfertigkeiten des Coaching

4.1.1. Die Kraft von Pausen

4.1.2. Das elegante „Stattdessen“

4.1.3. Verbinden: „und“ statt „aber“

4.1.4. „Wie“ statt „warum“

4.1.5. „Angenommen ....“

4.1.6. „Gute Gründe“

4.1.7. „Was noch?“

4.2. Perspektivenwechsel

4.3. Skalierungsfragen

4.4. 5-Minuten-Coaching

4.5. Power Feedback im Team

4.6. 6-3-5 Methode

5. Beispiele von angewendeten Tools im Alltag einer Führungskraft

5.1. Verbesserungspotentiale aus einer Mitarbeiterumfrage entwickeln – 6-3-5 Methode

5.2. Vorbereitung auf die Leitung von Arbeitsgruppen

5.3. Mitarbeitergespräch - Sprache

5.4. Teammeeting – Power Feedback

6. Resümee

7. Literaturverzeichnis

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1. EinleitungWelcher Mensch hat keinen Kontakt mit dem Thema Führung?

Richtig!

Keiner!

Führung findet in jeder Kultur, in jeder Bevölkerungsschicht und in jedem Moment auf dieser Erde statt. Führung ist für

jeden Menschen zu einer alltäglichen Interaktion geworden. Entweder in der Rolle des Geführten oder in der Rolle des

Führenden. Über die Qualität, mit welcher man geführt wird bzw. mit welcher man selbst führt, könnte man viele Seiten

füllen. Diese Arbeit setzt sich mit dem Zusammenspiel zwischen Führung und Coaching auseinander.

Was ist Coaching?

Ist Coaching eine Fertigkeit einer Führungskraft oder handelt es sich hierbei auch oder ausschließlich um eine Grund-

haltung?

Ziel der Arbeit ist es, die Möglichkeiten von systemischem Coaching und den Mehrwert, welcher durch systemisches

Coaching für Führungskraft und Mitarbeiter generiert werden kann, zu zeigen. Hierfür wird einerseits eine Definition für

Führung, Führungskraft sowie systemisches Coaching geliefert und andererseits werden Beispiele aus der Praxis mit

direktem Bezug zu Tools des systemischen Coachings präsentiert.

Es wird in der Arbeit Bezug auf verschiedene Literaturquellen genommen, die von KundInnen, KlientInnen, MitarbeiterIn-

nen oder Coachees sprechen. Alle diese Bezeichnungen sind mit der Rolle der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters identisch.

2. Was ist eine Führungskraft, Führung?

Eine Führungskraft besetzt in einem Unternehmen oder einer Behörde eine leitende Funktion und hat über andere Mitar-

beiter Personalverantwortung. Sie wird durch andere Führungskräfte ernannt und macht damit Karriere.

Ihre Aufgabe ist es, die Mitarbeiter zu führen, zu motivieren und zu entwickeln, Ziele zu definieren, Aufgaben zu de-

legieren und als Multiplikator für die Kommunikation der Unternehmensaufgaben zu dienen. Insoweit werden einer

Führungskraft Vorbildfunktionen und Persönlichkeit zugeschrieben. Daneben ist eine Führungskraft für administrative

Aufgaben zuständig wie Mitarbeitergespräche, Zielvereinbarungen, Einstellungsgespräche, Arbeitszeug-

nisse, Kündigung. Diese Aufgaben erfordern Weiterbildung und zunehmend Coaching.1

- Als Führungskraft übernimmt man eine große Verantwortung. Nicht nur auf der fachlichen Ebene, sondern auch auf der

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sozialen. Daher ist Führungskompetenz auch immer eine Frage der Persönlichkeit.2

- Neben allem Fachwissen, das ein Manager besitzen mag, sind seine Fähigkeiten im menschlichen Miteinander ganz

entscheidend für seinen Erfolg und damit auch für den Erfolg des Unternehmens. Vor allem im Umgang mit seinen

Mitarbeitern sollte daher keine Führungskraft außer Acht lassen, dass man als Vorgesetzter auch immer nach sozialen

Gesichtspunkten beurteilt wird. Nicht nur die Art der Arbeitsaufträge an die Beschäftigten ist wichtig, sondern auch die

Form, in der sie erteilt werden.2

- Dabei kann es zu Problemen kommen, wenn zwar fachliches Verständnis vorhanden ist, das soziale Verhalten aber

ungenügend ist. Auf die Loyalität seiner Mitarbeiter kann sich ein Vorgesetzter mit ungenügenden sozialen Kompeten-

zen nicht verlassen.2

- Es gilt also, das Vertrauen der Beschäftigten zu gewinnen. Das kann nur geschehen, wenn der Anspruch, der im Allge-

meinen an Menschen in Führungspositionen gestellt wird, und die Realität nicht allzu weit auseinanderklaffen. Denn

nach wie vor wird Führungskräften eine Vorbildfunktion zugesprochen, die erfüllt sein will. Um das zu erreichen, ist

die Balance zwischen fachlicher und persönlicher Ebene wichtig.2

- Kommen die sozialen Belange des täglichen Miteinanders zu kurz, nützen auch die profundesten Kenntnisse der Ma-

terie nichts. Auf der anderen Seite kann der netteste, menschenfreundlichste Vorgesetzte ohne Fachwissen auch nicht

weit kommen. Es zeigt sich also, dass soziale und fachliche Kompetenzen einander so ergänzen, dass sie nur gemein-

sam erfolgreich genutzt werden können.2

- Zu den sozialen Fähigkeiten, die eine Führungskraft zwingend braucht, gehören übrigens nicht nur Selbstverständlich-

keiten wie gutes Benehmen und respektvoller Umgang mit den Mitmenschen, sondern auch kommunikative Fähigkei-

ten. Wer mit seinen Mitarbeitern offen und vertrauensvoll kommuniziert, wird als Führungskraft akzeptiert, weil er eben

auch seine soziale Position ausfüllt.2

Wie man aus diesen Ausführungen erkennen kann, sind die Anforderungen an Führungskräfte sehr vielfältig. Um diesen

Anforderungen gerecht zu werden, bedarf es einerseits schulischer bzw. universitärer Ausbildungen, andererseits der

Ausbildung in sozialen Kompetenzen und nicht zuletzt der Erfahrung mit Führung.

Zu sozialen Kompetenzen zählen eine Vielzahl von Kenntnissen und Fähigkeiten. Im Bezug auf die Interaktion mit ande-

ren Menschen werden diese Kenntnisse unter dem Titel der Emotionalen Intelligenz zusammengefasst.

Daniel Goleman, ein Spezialist für Emotionale Intelligenz, hat sich mit diesen Anforderungen beschäftigt und sechs

Führungsstile definiert, welche laut seiner Definition eine gute Führungskraft ausmachen. In diesem Zusammenhang

ist nochmals klarzustellen, dass es sich hierbei um Führungsstile und nicht Führungstypen handelt. Das heißt, jede

Führungskraft kann jeden Stil und auch eine Mischung der Stile beherrschen.

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Die 6 Führungsstile nach Goleman3

Stil Pacesetting/Vorlebend

Commanding/Befehlend

Visionary/Visionär

Affiliative/Einfühlsam

Democratic/Demokratisch

Coaching/Entwickelnd

Leitsatz Mach es sowie ich.

Mach es soweil ich es

sage.

Erinnernwir uns an den

gesamtenKontext.

Zuerst derMensch,dann dieArbeit.

Lasst es unsgemeinsamerarbeiten.

Lass michDir helfen,

Dich zuentwickeln.

Normalerweise handeln die besten, effektivsten Führungskräfte nach einem oder mehreren der sechs verschiedenen

Ansätze zur Führung und können zwischen den verschiedenen Stilen je nach Situation wechseln.3

Vier der sechs Stile – „Visionary, Coaching, Affiliative und Democratic“ – schaffen die Art des Klimas, die Leistung stei-

gert. Zwei weitere - Pacesetting und Commanding sollten mit Vorsicht angewendet werden. Sie schaffen auf lange Frist

gesehen ein neutrales bzw. demotivierendes Klima.3

Die Hay Group hat hierzu im Jahr 2002 eine Umfrage und Analyse zum Zusammenspiel zwischen Führungsstil und

Geschäftserfolg erstellt. Die folgenden beiden Tabellen zeigen, dass erfolgreiche Führungskräfte ein Hochleistungs-/

energiegeladenes Klima generieren. Sie haben die vier oben genannten Führungsstile wesentlich ausgeprägt und er-

zielen höhere Renditen als Führungskräfte, welche ein neutrales-/demotivierendes Klima generieren und die vier oben

genannten Führungsstile nicht sehr ausgeprägt haben.

Führungskräfte (n=21)> 66% wird als ausgeprägter Führungsstil bewertet

Pacesetting Visionary Coaching Affiliative Participative Directive

Hochleistungs-/engergiegeladenes

Klima (n=11)48% 80% 71% 76% 71% 26%

Neutrales/ demotivierendes Klima (n=10)

75% 40% 40% 41% 46% 45%

Global Technology organisation, Hay McBer 2002 4

Führungskräfte (n=21)Durchschnittlicher Geschäftserfolg 2001

Bruttohandelsspanne Gewinnspanne

Hochleistungs-/engergiegeladenes

Klima (n=11)48% 29%

Neutrales/ demotivierendes Klima (n=10)

36% 17%

Global Technology organisation, Hay McBer 20025

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3. Was ist systemisches Coaching?

Wenn über Coaching gesprochen wird, kann man nicht von einem klar definierten, einheitlichen Verständnis des Be-

griffes ausgehen. Coaching ist zu einem schillernden Begriff geworden, mit dem die unterschiedlichsten Vorstellungen

verbunden werden.6

An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert brachte die Kutsche – „coach“ – Menschen von Ausgangspunkt „A“ zum

Zielpunkt „B“. Ein Coach will dasselbe. In der heutigen Zeit stammt der Begriff „Coaching“ ursprünglich aus dem Sport-

bereich und bezeichnet die Tätigkeit von Menschen, die Spitzensportler betreuen.

Auch „normale“ Sportmannschaften haben häufig einen Coach. Dieses Verständnis von Leistungscoaching, das „on

the job“ passiert, kann nicht ohne weiteres auf die Beratung in Führung, Management oder im persönlichen Kontext

übertragen werden. Bei den Letztgenannten geht es in der Zielsetzung nicht in erster Linie um ein „Mehr“ (an Leistung),

sondern häufig um ein „Anders“.

In der Beratung ist „Coaching“ ein Sammelbegriff für personenzentrierte Beratung und Betreuung auf einer Prozessebe-

ne. Das Einzelcoaching wird verstanden als personenzentriertes Einzelgespräch. Der Coachee wird von dem Coach auf

den Weg in eine „Suchschleife“ geleitet, um seinen Blick und seine Handlungsmöglichkeiten zu erweitern.

Zielgruppe sind Personen mit Führungsverantwortung und/oder Management-Aufgaben. Verdeckte Ressourcen sollen

erkannt, benannt und damit nutzbar gemacht werden.

So wird die Kompetenz des Coachees (wieder)hergestellt bzw. vergrößert. Das Coaching erfüllt dabei die Funktion eines

„Transmissionsrahmens“, indem es Selbstreflexion, Bewusstsein und Verantwortungsübernahme fördert. Dabei erlaubt

Coaching keine manipulativen Techniken.6

An dieser Stelle ist es von Bedeutung, die Grenzen von Coaching aufzuzeigen. Drei bekannte Formate, die zeitweise mit

Coaching verwechselt werden, sind die Supervision, Mentoring und die Kollegiale Beratung. Eine kurze Beschreibung

der Formate verdeutlicht die Unterschiede:

Supervision

In Abgrenzung zum Coaching wird unter Supervision ein durch Kontrakt geregeltes Lehr- und Lernverfahren verstanden.

Hier wird durch Erfahrungslernen die Fachlichkeit und die Persönlichkeit der Supervisanden sowie die Koordinations-

fähigkeit von Arbeitsgruppen kontrolliert und entwickelt, mit dem Ziel, die Effektivität der Arbeit zu steigern. Sie ist eine

systematische Reflexion des beruflichen Handelns und zielt auf Veränderungen im Erleben und Handeln.7

Mentoring

Mentoring ist eine innerbetriebliche Form der Mitarbeiterbetreuung, häufig mit dem Ziel, neue Mitarbeiter rasch und

problemlos einzuführen. Diese Aufgabe übernehmen in der Regel erfahrene Organisationsmitglieder. Darüber hinaus

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kann Mentoring auch als langsfristige innerbetriebliche Karriereberatung fungieren.7

Kollegiale Beratung

Kollegiale Beratung, wie sie beispielweise in Führungskräftezirkeln praktiziert wird, ist die lösungsorientierte, gegenseiti-

ge Beratung bei berufsspezifischen Problemen. Das Setting ist gekennzeichnet durch gleiche Rollen und Qualifikationen

sowie das Fehlen eines ausgewiesenen Beraters. Die sonst dem Berater zugeschriebenen Rollen werden von einzelnen

Gruppenteilnehmern übernommen.8

3.1. Die Rolle des Coach im Prozess

Der Coach versucht während des Coaching Prozesses, keine Hypothesen zu bilden, da diese sein Handeln beeinflussen

würden. Er begäbe sich so unweigerlich auf die inhaltliche Ebene, anstatt nur den Coachee dort an der Problemlösung

arbeiten zu lassen. Wenn ein Coach systemisch interveniert, hat dies zum Ziel, eingespielte Erklärungsmuster zu irritie-

ren und so neue Perspektiven für den Coachee zu eröffnen. Die gewonnene differenzierte Problemsicht soll die Entwick-

lung von Alternativen im Umgang mit dem Problem anregen.9

4. Tools aus dem Coaching für den Führungsalltag

Für die Gestaltung des Coaching Prozesses stehen dem Coach eine Vielzahl von Hilfsmitteln (Tools) zur Verfügung.

Die meisten dieser Tools sind nicht singuläre Coaching Tools, sondern können jederzeit im Alltag und im Speziellen im

Führungsalltag angewendet werden.

Hier gilt wie im Coaching Prozess eine goldene Grundregel:

„Es gibt kein falsches Tool, maximal den falschen Zeitpunkt für ein Tool!“

Die von mir hier vorgestellten Tools werden auch von mir eingesetzt und sind einfach

anzuwenden. Hierbei ist zu erwähnen, dass sich die Anwendung nicht auf den „Coaching

Führungsstil“ beschränkt. Jedes dieser Tools generiert Mehrwert für Führungskraft sowie

Mitarbeiter und lässt sich in jedem Führungsstil anwenden. Es ermöglicht der

Führungskraft, ihre Gesamtleistung (=alle Führungsstile) und dadurch den

Geschäftserfolg zu steigern.

Die nun folgenden Tools sind ein Auszug aus den Möglichkeiten des Coaching, welche von

mir häufig im Führungsalltag anwendet werden bzw. nicht mehr wegzudenken sind:

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- Nützliche Sprachfertigkeiten des Coaching

- Skalierungsfragen

- Perspektivenwechsel

- 6-3-5 Methode

- Fünf Minuten Coaching

4.1. Nützliche Sprachfertigkeiten des Coaching

Da Konversation mehr Kunst als Wissenschaft ist, können wir in der Verwendung von Sprache als unserem wichtigsten

Werkzeug nur besser werden, wenn wir dieses Werkzeug auf unterschiedliche Weise in möglichst vielen Bereichen flüs-

sig einzusetzen wissen.

Wir möchten ein paar hilfreiche Fragen und Haltungen beschreiben, die darauf hinweisen, wie man elegant und einfache

Sprache nutzen kann und gleichzeitig eine tragfähige Gesprächsbasis mit dem/der KlientIn aufbaut.10

4.1.1. Die Kraft von Pausen

Die meisten Menschen missverstehen die Kraft von Pausen in der Konversation. Viele meinen, wenn KlientInnen still

sind, bedeutet dies, dass sich nichts in ihrem Kopf abspielt und sie entweder gleichgültig und unwillig zu kooperieren

sind oder nichts in ihnen vorgeht, was zur Konversation beitragen könnte. Wir sind da anderer Meinung. Tatsächlich wis-

sen wir die Kraft von Pausen sehr zu schätzen. Die Länge des Schweigens, die erträglich ist, scheint sehr kulturabhängig

zu sein. KlientInnen, die zu den nordamerikanischen Ureinwohnern zählen, tolerieren im Allgemeinen langes Schweigen,

was sie als Denkzeit bezeichnen und was 10 bis 15 Sekunden dauern kann. Der Durchschnittsamerikaner hingegen findet

schon 5 Sekunden Schweigen schwer erträglich. Wenn ein Coach 5 Sekunden Schweigen aushalten kann, dann fühlt er

sich wohl bei etwas, was den meisten KlientInnen eine ewige Stille zu sein scheint. Es ist eine Frage der Übung, ob man

sich dabei wohl fühlt und den KlientInnen ihre „heilige Zeit der Reflexion“ zugestehen kann, die ungewohnten Fragen

des Kurz-Coaching zu überdenken.11

Wenn KlientInnen sich zum Beispiel Skalierungsfragen oder einer Wunderfrage (wird in dieser Arbeit nicht behandelt,

siehe Berg, Insoo Kim & Szabo, Peter (2009) Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung, Seite 57) gegenübersehen, brau-

chen sie viel Zeit für ihre Antwort. Am Anfang ist man als Coach versucht, die Frage zu wiederholen oder nochmals

anders zu formulieren oder gar eine neue Frage zu stellen. Aus unserer langjährigen Erfahrung lohnt es sich, einfach zu

warten. Oft sagen die KundInnen sogar zunächst noch „Ich weiß es nicht“. Wir haben gelernt, diese Antwort für uns zu

übersetzen mit „Das habe ich mir noch nie überlegt, ich benötige noch etwas mehr Zeit, um eine Antwort zu finden“ und

uns erst recht zurückzulehnen und so ganz deutlich zu machen, dass wir den Gedankenfluss nicht unterbrechen werden.11

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4.1.2. Das elegante „Stattdessen“ 12

KlientInnen stellen das Resultat des Coaching oft als Abwesenheit der Probleme dar und nicht so sehr als Anwesenheit

von Lösungen. Wir hören zum Beispiel häufig Aussagen wie diese:

- Ich möchte aufhören, meine Angestellten herumzuscheuchen.

- Ich werde morgens meinen Angestellten gegenüber nicht so missmutig sein, auch wenn ich kein Morgen-Mensch bin.

- Ich werde nicht alles hinauszögern. Es kostet mich viel Energie, einfach zu entscheiden, wann ich die Schreibarbeit

erledige, und darum schiebe ich das immer wieder auf.

- Es ist ermüdend zu entscheiden, ob ich bei einem Meeting was sagen will oder nicht. Und am nächsten Tag könnte ich

mich vor Wut in den Hintern beißen.

Dies sind einige Beispiele dafür, wie KlientInnen oft die Sitzung beginnen, indem sie nämlich das sagen, was sie aus

ihrem täglichen Leben herausnehmen möchten. Es ist aber schwer, das Fehlen einer Sache zu messen oder zu bemerken.

Und hier kommt das einfache Wort stattdessen ins Spiel und hilft dem Coach wie den KlientInnen, sich darüber klar zu

werden, wonach sie suchen. Es wird dann für KlientInnen leichter, eigene Fortschritte zu bemerken, sich dadurch ermu-

tigen zu lassen und motiviert, den Erfolg zu wiederholen:

- Was würden Sie also stattdessen machen, wenn Sie die Leute nicht herumscheuchen wollen?

- Es ist eine gute Idee, am Morgen nicht so missmutig sein zu wollen. Wie wollen Sie stattdessen sein?

- Ja natürlich, damit verschwenden Sie viel von Ihrer zeit. Was würden Sie stattdessen machen?

- Nehmen wir also einmal an, Sie zögern nicht bei den Meetings. Was würden Sie stattdessen machen?

Es ist einfach, aber es erfordert viel Disziplin, sich daran zu gewöhnen, auf die negierenden Worte der KlientInnen zu

achten und dann zu erkennen, dass sie bei der Bestimmung eines wünschenswerten Verhaltens ein wenig Hilfe brauchen,

damit sie die Belohnung der Veränderungen unmittelbar erfahren können.

4.1.3. Verbinden: „und“ statt „aber“13

Wann immer Sie versucht sind, aber auf das zu antworten, was der/die KlientIn gesagt hat, impliziert dies, dass Sie mit

dem, was der/die KlientIn gesagt hat, nicht übereinstimmen. Das Wort aber stellt das, was der/die KlientIn gesagt hat,

in Frage oder lässt Zweifel durchblicken, wodurch diese(r) sich abgewiesen, beiseite geschoben und missachtet fühlt.

Wenn es Ihre Aufgabe ist, jemanden zu ermutigen, über Alternativen zu dem, was nicht funktioniert, nachzudenken, dann

ist „aber“ nicht hilfreich, da es Widerspruch provoziert.

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Auf der anderen Seite impliziert das Wort und, dass Sie das, was der/die KlientIn gemacht oder gesagt hat, akzeptieren

und Sie auf dem aufbauen, was bereits vorhanden ist. Die Botschaft lautet: da Sie zu dem, was bereits vorgeschlagen

oder erreicht wurde, noch etwas hinzufügen, können Sie beide gemeinsam weiter vorangehen: Dies ist eine wunderbare

Art, mit KlientInnen zusammenzuarbeiten. Hier sind einige Beispiele für Fragen mit und:

- Das muss schrecklich gewesen sein, als es passierte – das kann ich mir vorstellen.

Und was soll stattdessen geschehen?

- Ich sehe, dass Sie wirklich schon viele Dinge versucht haben, und welches würden Sie sagen, hat bisher am besten

funktioniert?

- Natürlich haben Sie allen Grund sich aufzuregen, und was muss hier heute geschehen, was vielleicht auch nur ein

kleines bisschen helfen würde?

- Ich verstehe, warum Sie denken, Ihr Chef ist darauf aus, Sie zu erledigen, und was würde er Ihrer Meinung nach sagen,

was Sie stattdessen tun sollen?

4.1.4. „wie“ statt „warum“14

Die meisten Menschen möchten den Grund für die „Dummheiten“ wissen und sie möchten natürlich auch begreifen, was

die Klientln so „inkorrekt“ denken ließ. Hinter dieser Suche nach dem Grund steckt der Gedanke, sichergehen zu wollen,

dass solche Fehler oder festgefahrene Denkweisen ausgemerzt werden können, sodass das Problem nie wieder auftreten

wird. Ein wahrhaft edler Grund. Wenn wir jedoch versuchen, Probleme zu lösen, implizieren Fragen mit warum, dass

jemand einen Fehler machte und es wird mit dem Finger auf die Person gezeigt, der diese Frage gestellt wird. Statt uns

dabei zu helfen, die erwünschte Veränderung zu erreichen, trägt dies dazu bei, die Person in die Defensive zu drängen,

und sie wird nur widerwillig Fehler eingestehen. Dies kann leicht zu einer Auseinandersetzung führen, zu Trotz oder

defensiven Schachzügen, zum Beispiel Angriffen auf denjenigen, der kritisiert. Man kann sich leicht vorstellen, wie es

jeden Augenblick zum Streit kommen kann.

Was sollten wir stattdessen tun? Eine Frage mit wie ist ein wunderbarer Ersatz, und wie kommt es? Ist sogar noch besser,

weil es den/die KlientIn ermutigt zu erklären, was er/sie dachte, als er/sie etwas Unproduktives oder Negatives machte.

Werden Ton und Nuancierung richtig getroffen, mildern Fragen mit „Wie kommt es?“ den vorwurfsvollen, anklagenden

Beigeschmack ab, den warum-Fragen oft vermitteln. Hören und vergleichen Sie die folgenden Fragen:

Warum kommen Sie heute morgen zu spät? Wie kommt es, dass Sie zu spät kommen?

Warum machen Sie das immer auf diese Weise? Wie kommt es, dass Sie das auf diese

Weise machen?

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Warum ist es so schwer für Sie, es richtig zu machen? Wie kommt es, dass es schwer ist?

Erklären Sie es mit bitte, damit ich es

besser verstehen kann.

Natürlich macht der angemessene Einsatz von Intonation, Gesichtsausdruck und Gesten einen ungeheuren Unterschied.

4.1.5. „Angenommen ...“15

Das ganze Buch hindurch werden Sie viele Beispiele dafür finden, wie man das Angenommen verwendet – ein wunder-

bar kurzes Wort, das ungemein viel bewirkt, indem es dem/der KlientIn hilft, seine/ihre eigene Phantasie zu nutzen, um

Lösungen zu finden – als ob man ein Kaninchen aus dem Hut zaubert. Dieses einfache und wirkungsvolle Wort macht es

KlientIn und Coach möglich, das Problem zu überspringen und zu den Einzelheiten der Lösungen und der für die Zukunft

erwünschten Veränderungen zu gelangen. Wann immer Sie das Gefühl haben, Sie müssten eine Antwort aus dem Zylin-

der zaubern, denken Sie daran, dieses kleine Wort zu verwenden, um einen guten Start in Richtung Lösungen hinzulegen.

Man kann sich leicht viele kreative Lösungen vorstellen, nicht nur aus Sicht des/der KlientIn, sondern auch aus Sicht

anderer, wie der Kinder, Chefs, Kollegen, besten Freunde und sogar der Haustiere. Ein junger Mann zum Beispiel, der

drei Hunde hatte, sprach über die Hunde, als seien sie seine Kinder; er beschrieb die einzigartige Persönlichkeit jedes

Hundes und wie sie zu ihm gekommen waren. Als es Zeit geworden war, über Wunder zu sprechen, sagte der Coach:

„Angenommen, ich würde Ihre Hunde fragen, woran sie merken würden, dass ein Wunder mit Ihnen passiert ist, obwohl

Sie es ihnen nicht gesagt haben. Angenommen, sie könnten sprechen, haben Sie eine Vorstellung, was Ihre Hunde sagen

würden? Woran würden sie erkennen, dass dies ein Wunder für Sie war und heute ein nagelneuer besonderer Tag für

Sie ist?“ Der junge Mann hatte keine Schwierigkeiten mit dieser Frage? Als sei es die natürlichste Sache von der Welt,

antwortete er sofort: „Meine Hunde würden das merken, weil ihnen auffallen würde, dass ich ihnen mehr Aufmerksamkeit

schenke und an dem Morgen mehr mit ihnen spiele. Das lieben sie nämlich. Ich denke, ich habe sie in der letzten Zeit

etwas vernachlässigt. Ich bin sicher, sie vermissen mein früheres Ich. Ich habe mehr Spaß mit ihnen gemacht und wir

haben auf dem Fußboden gerangelt.“

4.1.6. „Gute Gründe“16

Die beiden Wörter gute Gründe, mit neugieriger, fragender Stimme gesprochen, können Wunder bewirken, wenn Sie

Lösungen für drängende, lästige Probleme finden wollen. Gary zum Beispiel war von seinem Arbeitgeber, der sich wegen

Garys Gesundheit, seiner mangelnden Bewegung und seiner Neigung, zu viele Stunden ununterbrochen zu arbeiten,

sorgte, zum Coach geschickt worden. Als der Coach anfing, das Ergebnis der Sitzung zu erfragen, berichtete Gary, sein

Chef bestünde darauf, das er, Gary, „weniger zuverlässig würde und ich mir weniger Gedanken um meine Arbeit mach-

te“ und „durch das Coaching weniger auf meine Arbeit fixiert werde und weniger verantwortungsbewusst“. Der Coach

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war ein bisschen schockiert über diese Forderung des Chefs, der ihn dafür bezahlte, Gary zu helfen, fauler zu werden.

Er lehnte sich vor und sagte zu Gary: „Ich bin sicher, Ihr Chef hat einen guten Grund, wenn er darauf besteht, dass Sie

weniger zuverlässig und verantwortungsvoll werden.“ „Oh ja, den hat er“, antwortete Gary und erklärte, er habe so hart

gearbeitet, ohne Urlaub und Sport, sich von Fastfood am Schreibtisch ernährt und Überstunden gemacht, bis schließlich

seine Frau mit der Scheidung gedroht habe und sein Arzt ihn vor einem möglichen Herzinfarkt oder Schlaganfall gewarnt

habe. Natürlich, der Chef hatte wirklichen einen guten Grund, sich um Gary Sorgen zu machen.

4.1.7. „Was noch?“17

Manchmal stellen Sie dem/der KlientIn vielleicht die einfache Frage: „Was vermuten Sie, würden Ihre KollegInnen sagen,

was Sie zum Team beisteuern?“ Der/die KlientIn antwortet vielleicht sofort. Probieren Sie einmal, nach dieser ersten

Antwort ein paar Sekunden zu warten und dann zu fragen: „Was würden die KollegInnen noch sagen, was Sie zum Team

beisteuern?“ Der/die KlientIn erzählt dann meist weitere Einzelheiten. Der Coach sollte dies anerkennend würdigen und

dann noch einmal fragen: „Was noch?“ Warten Sie ein paar Sekunden, damit der/die KlientIn weitererzählt. Man kann bis

zu fünfmal zu demselben Thema die Frage stellen „Was noch?“.

Das Schöne an dieser Frage ist, dass der/die KlientIn detailliert über Komplimente anderer Personen berichtet oder dar-

über, wie er/sie erfolgreich schwierige Situationen gemeistert hat. Je länger die Liste des Erreichten ist, umso mehr wird

dem/der KlientIn bewusst, dass er/sie schon viel weitergekommen ist, als er/sie gedacht hatte. Mit anderen Worten: die

einfache Frage „Was noch?“ erlaubt dem/der KlientIn, sich selbst Komplimente zu machen. Welche bessere Möglichkeit

gibt es für den Coach, sich auf die faule Haut zu legen?

4.2. Perspektivenwechsel

Es ist in der Natur eines Menschen, Situationen und Individuen als Erstes aus einer ethnozentrischen Sichtweise zu

beurteilen und zu bewerten. Dass dies jedoch nur eine mögliche Perspektive, eine Facette der Realität und Wahrheit

ist, scheint offensichtlich zu sein. Und doch handeln und argumentieren Individuen oft aus dieser Position und sind

erstaunt, wieso sie auf Widerstand stoßen und Missverständnisse entstehen. Es lohnt sich zu fragen: „Wie sieht die Welt

aus der Sicht des Gegenüber aus und mit welcher persönlichen, kulturellen Brille nimmt er diese wahr? Sind Eigen- und

Fremdwahrnehmung kongruent? Welche Differenzen und Gemeinsamkeiten sind vorhanden? Der Perspektivenwechsel

hilft dem Individuum, seine eigene Wahrnehmung zu überprüfen.18

Beim Perspektivenwechsel versetzt man sich in die Rolle und Position eines anderen hinein und versucht, einen Sach-

verhalt aus dessen Sicht und Standpunkt zu sehen. Diese Technik und Fähigkeit stammt aus der Sozialpsychologie.

Kognitive Voraussetzung dafür ist die Dezentrierung. Jean Piaget meint damit das Verlassen des eigenen Zentrums

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und das sich Hineinversetzen in jenes des Gegenübers. Indem man „in die Haut des anderen schlüpft“, spürt man den

Gefühlszustand des Gegenübers als eigene affektive Verfassung und kann dadurch dessen Emotionen und anderen Re-

aktionen besser begreifen. Eine indianische Redensart trifft dies auf den Punkt:

„Urteile nie über einen anderen, bevor Du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist“.18

Coaching arbeitet sehr stark mit diesem Tool. Dabei wird eine Frage- oder Problemstellung aus einer ganz anderen, bis

dato nicht da gewesenen Perspektive gesehen und erlebt.19

Wie stark solche Perspektivwechsel sein können, zeigt folgende Metapher:

Ein ungeborenes Zwillingspärchen unterhält sich im Bauch seiner Mutter:

“Sag mal, glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?” fragt der eine Zwilling.

“Ja, auf jeden Fall! Hier drinnen wachsen wir und werden stark für das, was draußen kommen wird,” antwortet der andere

Zwilling.

“Ich glaube, das ist Blödsinn!” sagt der erste. “Es kann kein Leben nach der Geburt geben – wie sollte das denn bitte-

schön aussehen?”

“So ganz genau weiß ich das auch nicht. Aber es wird sicher viel heller als hier sein. Und vielleicht werden wir herum-

laufen und mit dem Mund essen?”

“So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört! Mit dem Mund essen, was für eine verrückte Idee. Es gibt doch die Nabel-

schnur, die uns ernährt. Und wie willst du herumlaufen? Dafür ist die Nabelschnur viel zu kurz.”

“Doch, es geht ganz bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders.”

“Du spinnst! Es ist noch nie einer zurückgekommen von ‘nach der Geburt’. Mit der Geburt ist das Leben zu Ende. Punk-

tum.”

“Ich gebe ja zu, dass keiner weiß, wie das Leben nach der Geburt aussehen wird. Aber ich weiß, dass wir dann unsere

Mutter sehen werden und sie wird für uns sorgen.”

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“Mutter??? Du glaubst doch wohl nicht an eine Mutter? Wo ist sie denn bitte?”

“Na hier – überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne sie könnten wir gar nicht sein!”

“Quatsch! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht.”

“Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere Welt streichelt ...”

So einfach kann das Umdenken sein ...

Diese Metapher mag etwas abstrakt wirken, trifft jedoch den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf. Gerade beim Thema

Führung und Zusammenarbeit treffen verschiedene Sichtweisen aufeinander und nur wer damit umzugehen und diese

für sich zu nutzen weiß, kann erfolgreich sein.

4.3. Skalierungsfragen20

Mit Hilfe unterschiedlicher Skalen (meist mit Werten von 1-10) beschreibt der Coachee sein Problem, Gefühl, Sicht-

weise etc. und trägt dies auf der Übersicht ein. Somit kann er seine Empfindungen visualisieren, sie zu einem späteren

Zeitpunkt auf Veränderungen überprüfen, sowie mit einer oder mehreren Fremdeinschätzungen vergleichen. Hierbei

können unterschiedliche Skalen erfunden und gebraucht werden, wobei der Coach die Wirkung der Fragen vorher genau

bedenken sollte.

„Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10=bester Wert: Wo würden Sie Ihre Arbeitszufriedenheit einordnen?“

Skalenarten:

- Zufriedenheits-/Feedbackskala

- Verfassungsskala oder Fortschrittsskala

- Kompetenzskala oder Qualitätsskala

- Motivationsskala oder Zuversichtsskala

- Multiskala (Kombination verschiedener Skalenarten)

Beispiele für Skalierungsfragen:

- „Wo, bezogen auf ..., befinden Sie sich jetzt?“

- „Woran würden Sie merken, dass Sie bei 10 sind?“

- „Was müssen Sie machen, um einen Punkt höher / tiefer zu kommen als Sie aktuell sind?“

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- „Woran würden die anderen erkennen, dass Sie eine Stufe höher/tiefer sind?“

4.4. 5-Minuten-Coaching21

Damit Coaching in der Führung alltagstauglich ist, müssen Coaching-Gespräche kurz und wirksam sein. Und sie müs-

sen für Mitarbeitende und Führungsperson einen Gewinn bringen. Dazu nachfolgend ein Praxis-Beispiel.

Der Inhaber eines Produktionsbetriebs betritt am Morgen das Verwaltungsgebäude. Am Empfang wird er bereits vom

Produktionsleiter erwartet, der ihm aufgeregt erzählt, dass es in der Nachtschicht einen gravierenden technischen Störfall

gegeben hat. Alle Maschinen mussten gestoppt werden. „Ich bin froh, dass Sie jetzt da sind, denn wir haben noch nicht

alle Probleme beheben können!“ Der Inhaber hört sorgfältig zu und stellt dann folgende Coaching-Frage: „Nehmen wir

an, ich wäre heute aus irgendeinem Grund hier nicht erschienen, wie würden Sie die Sache jetzt anpacken?“

Ein solches „Fünf-Minuten-Coaching“ hat zwei sehr wertvolle Auswirkungen auf den

Produktionsleiter:

- Sein Bewusstsein für die Lösungsfindung wird erhöht.

- Seine Eigenverantwortlichkeit wird gesteigert.

Der Produktionsleiter wird sich beim Beantworten der Coaching-Frage klar, was er bereits alles zur Lösung weiß, und

er beginnt sogleich, die nächsten Schritte in Form von eigenen Aktivitäten zu planen. Der Firmeninhaber gewinnt im

gleichen Zug Zeit für andere Aufgaben – eine klassische Win-Win-Situation.

4.5. Power Feedback im Team

Power Feedback hält sich prinzipiell an die gleichen Regeln wie Feedback. D.h., es muss genauso direkt, wertschätzend

und sachlich erfolgen. Dieses Tool eignet sich speziell für den Start von Teammeetings oder Meetings, bei denen man zu

Beginn eine positive Grundstimmung erzeugen möchte.

Der Ablauf ist wie folgt:

a) Es werden ausreichend Sessel einander zugewandt aufgestellt mit einem maximalen Abstand von 1m. Es ist wichtig,

dass sich die später gegenüber Sitzenden sprachlich gut verstehen können. D.h., hat eine Gruppe von 8 Personen posi-

tioniert, auf der einen Seite 4 Sessel und auf der anderen Seite ebenfalls 4 Sessel, den anderen zugewandt. Hat man eine

ungerade Anzahl von Teilnehmern, wird auf die nächstgrößere ganze Zahl aufgerundet und ein Sessel

bleibt jeweils leer.

b) Auf der einen Sesselseite nehmen die Personen Platz, die Feedback bekommen, und auf der anderen Seite jene, die

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Feedback geben. Bei ungerader Anzahl bleibt ein Sessel leer.

c) Der Leiter des Meetings gibt das Startsignal und jeder Feedbackgeber gibt dem Gegenüber wertschätzendes Feedback

(für ca. 30 Sekunden bis 1 Minute; wird vom Leiter festgelegt und vorher bekanntgegeben).

d) Nach Ablauf der Zeit gibt der Leiter ein vereinbartes Signal, die Feedbackgeber rücken im Uhrzeigersinn auf den

nächsten Sessel und geben dem nächsten Gegenüber Feedback.

e) Dies wird so oft wiederholt, bis die Ausgangsposition wieder erreicht wurde.

f) Als nächster Schritt wechseln die Personen die Seiten und der Prozess beginnt wieder bei c bis e.

Nach Abschluss des Tools muss jede Person sowohl positives Feedback bekommen als auch gegeben haben. Im Nor-

malfall läuft die Übung sehr wertschätzend ab, denn jedem Teilnehmer ist gleichermaßen daran gelegen, fair behandelt

zu werden.

Als Auffrischung und Abrundung führe ich hier nochmals die „Goldenen Feedbackregeln“ an:22

Als Feedbackgeber:

Beschreibend, im Gegensatz zu bewertend: Beschreiben Sie Ihre eigene Wahrnehmung und Reaktion. Überlassen Sie

dem anderen, diese Informationen zu verwerten oder auch nicht.

Klar und genau formuliert: Das Feedback soll nachvollziehbar sein.

Sachlich richtig. Grundregel: Die Beobachtung muss auch von anderen nachvollzogen werden können.

Ohne moralische Verurteilung: Dadurch mindern Sie den Drang beim Gegenüber, sich zu verteidigen und das

Feedback abzulehnen.

Konkret im Gegensatz zu allgemein: Wenn Sie jemandem sagen, er sei unhöflich, kann er oder sie damit in Bezug auf

Verhaltensänderung relativ wenig anfangen. Sagen Sie lieber, was er konkret gemacht hat und inwiefern Sie oder die

Gruppe daran gehindert hat, sich zu entfalten.

Beziehen Sie sich auf Beobachtungen im Gegensatz zu Vermutungen, Phantasien oder Interpretationen.

Sprechen Sie veränderbare Verhaltensweisen an und nicht Unzulänglichkeiten, auf die der Betreffende relativ wenig

oder gar keinen Einfluss nehmen kann.

Erbeten im Gegensatz zu aufgezwungen: Feedback ist dann am wirksamsten, wenn der Empfänger darum gebeten hat.

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Wenn Sie jemanden mit Feedback überfallen, brauchen Sie auf keine vertrauensvolle Gesprächsbeziehung zu hoffen.

Berücksichtigen Sie die Bedürfnisse des Empfängers angemessen. Wenn es Ihnen egal ist, ob es dem Empfänger

nützt oder ihm sogar schadet, zerstören Sie Ihre Vertrauensstellung.

Zur rechten Zeit oder möglichst bald: Kein Gang durchs “Museum”! Feedback ist am wirksamsten, je kürzer die Zeit-

spanne ist zwischen dem betreffenden Verhalten und der Information über die Wirkung des Verhaltens. Berücksichtigen

Sie jedoch auch andere Gegebenheiten, z.B. den Grad der momentanen Erregung oder Betroffenheit. In solchen Situati-

onen wird die Bereitschaft, Feedback anzunehmen, gering sein.

Als Feedbacknehmer:

Zuhören und aufnehmen. Akzeptieren Sie die Beobachtungen des Anderen. Keine Rechtfertigung, Verteidigung oder

Erklärung. Bleiben Sie gelassen, denken Sie in Ruhe über das Gehörte nach.

4.6. 6-3-5 Methode23

6 Teilnehmer

3 Ideen

5 Minuten

Diese Methode gehört zu der Kategorie der Ideensammlungen. Das Ziel ist eine Ideenproduktion, die Entwicklung von

Vorschlägen oder Problemlösungen. Die Gruppengröße ist 6 Personen. Für die Durchführung der Methode sollte man

30-40 Minuten veranschlagen. Vorbereitet werden dafür Stifte und DIN-A4 Blätter, die in drei Spalten und sechs Reihen

gegliedert sind (jeweils 1 pro Person).

Die Durchführung ist wie folgt:

Auf Kommando schreibt jede(r) der 6 Teilnehmer/innen jeweils 5 Minuten lang 3 Ideen zur jeweiligen Impulsfrage auf.

Danach werden die Zettel im Uhrzeigersinn weitergegeben und alle Teilnehmer/innen schreiben in die zweite Reihe wie-

derum 3 Ideen in 5 Minuten auf. Jede Idee ist erlaubt. Die Ideen der anderen dürfen/sollen aufgegriffen und weiterent-

wickelt werden. Nach sechs Runden kommen so in 30 Minuten 108 Ideen in jeder Gruppe zusammen. Die Papierbögen

anschließend an einer Pinnwand aufhängen lassen und gemeinsam sichten.

Mit Klebepunkten die interessantesten Ideen auswählen und weiterentwickeln lassen.

Die Methode kann selbstverständlich auch als 3-3-6 oder 5-3-4-Methode durchgespielt werden.

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5. Beispiele von angewendeten Tools im Alltag einer Führungskraft

Die hier vorgestellten praktischen Beispiele wurden und werden von mir häufig im Führungsalltag eingesetzt. Dabei

kommt es natürlich zur situationsbezogenen Anpassung, aber das Grundkonzept ist immer das gleiche. Das jeweilige

theoretische Konzept zu den praktischen Beispielen findet man unter Punkt 4 dieser Arbeit.

5.1. Verbesserungspotentiale aus einer Mitarbeiterumfrage entwickeln – 6-3-5 Methode

In vielen Unternehmen werden Mitarbeiterumfragen eingesetzt, um die Meinung der Mitarbeiter standardisiert zu er-

fassen, Entwicklungsmöglichkeiten/Verbesserungspotentiale zu identifizieren, die Zufriedenheit zu ermitteln und nicht

zuletzt den Standort zu sichern. In vielen Fällen stellt die Verwertung dieser Umfragen Führungskräfte vor ein Problem. Es

gibt unzählige Beispiele, in denen Maßnahmen im Sinne der Mitarbeiter und des Unternehmens aufgrund einer Mitarbei-

terumfrage umgesetzt wurden, diese jedoch nicht als Folgeerscheinung oder als Mehrwert der Umfrage erkannt werden.

In vielen Fällen ist nicht bewusst, wie eine Verbesserung der bemängelten Situation aussieht, da man nur den „Mangel“

aufzeigt. Daher ist es wichtig, den Blick auf die Lösung und auf die Situation nach der Verbesserung zu werfen. Um dies

gemeinsam mit den Mitarbeitern zu tun, kann man folgendes Coaching Tool einsetzen:

6-3-5 Methode

(Theorie siehe 4.5. dieser Arbeit)

Im Folgenden werden die einzelnen Schritte nach der Mitarbeiterumfrage bis zur Umsetzung von Maßnahmen beschrieben:

1) Analyse der Mitarbeiterumfrage und Identifizierung, an welchen Themenkreisen/Kategorien Veränderungen wün-

schenswert sind.

2) Selektion der 3 wichtigsten Themenkreise/Kategorien

3) Die Fragen aus diesen Themenkreisen/Kategorien werden entsprechend modifiziert oder ergänzt, um eine positive

Formulierung zu erhalten.

Einige Beispiele dafür:

„Was müsste anders sein, damit Sie die Aussage „...“ positiv beantworten könnten?“

„Woran würden Sie erkennen, dass sich die Situation für Sie verbessert hat?“

„Was soll nach dem Workshop zur Mitarbeiterumfrage geschehen, damit sich die

Mitarbeiterumfrage und der Workshop für Sie gelohnt haben?“

4) Diese drei Fragen werden nun in 3 Spalten auf A4 Blättern eingetragen und mit 6 darunterliegenden Zeilen versehen.

5) Jeweils 6 MitarbeiterInnen bekommen im Rahmen eines Workshops die Vorlagen ausgehändigt und haben 5 Minuten

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Zeit, eine Zeile mit eigenen Ideen bzw. Erwartungen auszufüllen. Danach werden die Blätter im Uhrzeigersinn weiter-

gegeben, bis jede Person sechsmal die Möglichkeit hatte, ihren Input zu geben. Selbstverständlich kann die Gruppen-

größe den Gegebenheiten angepasst werden, (Vorsicht: Gruppengröße = Zeilen) bzw. kann man bei größeren Gruppen

(> 6 Personen) entsprechend mehrere Workshops durchführen.

6) Die Ideen werden danach mit den MitarbeiterInnen gemeinsam sortiert und entsprechende Maßnahmen abgeleitet.

7) Bei der Umsetzung der Maßnahmen hat es sich von Vorteil erwiesen, auf die „Herkunft“ der Maßnahmen hinzuweisen,

um den Mehrwert des Workshops und der Mitarbeit transparent zu machen.

5.2. Vorbereitung auf die Leitung von Arbeitsgruppen

Führung ist nicht immer eine Angelegenheit von Chef zu MitarbeiterIn. In vielen Fällen übernehmen „gleichrangige“ Mit-

arbeiterInnen die Führung in Arbeitsgruppen ohne ein disziplinarisches Mandat. Diese LeiterInnen von Arbeitsgruppen

sind für das Ergebnis verantwortlich, ohne jedoch alleine entscheiden zu können. Es ist deren Aufgabe, die Arbeitsgruppe

in Bezug auf z.B. Thema, Zeitschiene und Kosten zum Ziel zu führen. Eine adäquate fachliche und soziale Vorbereitung ist

hier unerlässlich. In vielen Fällen wird jedoch vergessen, die Soft Skills oder auch Sozialen Kompetenzen ausreichend

vorzubereiten. Speziell jene MitarbeiterInnen, welche das erste mal eine derartige Aufgabe übernehmen, müssen intensiv

darauf vorbereitet werden.

Ob der/die Mitarbeiter/in eine Arbeitsgruppe erfolgreich führt, hängt in den meisten Fällen von zwei Fragen ab:

- Wurde das Ziel der Arbeitsgruppe richtig und verständlich definiert bzw. fachlich korrekt aufbereitet?

- Wurde im Vorfeld die personelle Zusammensetzung der Arbeitsgruppe analysiert und richtig adressiert?

Coaching bietet für die erfolgreiche Beantwortung dieser beiden Fragen Tools bzw. Fragetechniken, welche im Folgenden

näher erläutert werden.

a) Wurde das Ziel der Arbeitsgruppe richtig und verständlich definiert bzw. fachlich korrekt aufbereitet?

Angenommen, Sie müssten Ihrem besten Freund, der das Thema nicht kennt, erklären, wie würden Sie die Aufgabenstel-

lung/Zielstellung der Arbeitsgruppe formulieren?

Folgende beispielhafte Fragen können für die Sicherstellung der oben angeführten Frage eingesetzt werden:

Wie wird es für Sie sein, wenn die Arbeitsgruppe erfolgreich abgeschlossen wurde? Gibt es noch weitere positive Aspek-

te, wenn die Arbeitsgruppe ihr Ziel erreicht hat?

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Wie würde Person X aus der Abteilung Y die Arbeitsgruppe als erfolgreich abgeschlossen einstufen?

Woran werden die Kollegen merken, dass die Arbeitsgruppe erfolgreich war? – Woran noch?

b) Wurde im Vorfeld die personelle Zusammensetzung der Arbeitsgruppe analysiert und richtig adressiert?

Es ist davon auszugehen, dass nicht alle Teilnehmer das gleiche Interesse haben, das die Arbeitsgruppe ihr Ziel erreicht.

Gründe dafür gibt es viele! In einigen Fällen sind es andere Unternehmens- oder Abteilungsziele, aber auch persönliche

Interessen können im Konflikt stehen.

Mit Hilfe des Perspektivenwechsels kann man hier für Transparenz sorgen und Fakten erfahren, die man sonst überse-

hen hätte. Den Perspektivenwechsel kann man entweder geistig durchführen oder in komplexeren Fällen durchaus als

Rollenspiel. Hier gilt es dann zu entscheiden, ob man mehrere Repräsentanten hinzuzieht. Generell warne ich davor, das

Rollenspiel mit vielen Repräsentanten auszustatten, denn je mehr Personen teilnehmen, desto schwieriger wird es, jede

Person in der Rolle zu halten. Frei nach dem Motto soviel wie notwendig, aber so wenig wie möglich.

Im Laufe des Rollenspieles ist es ratsam, immer wieder zu prüfen, ob man am richtigen Weg ist. Von Zeit zu Zeit kommt

es zu einer Eigendynamik, wodurch es dann am Ziel „die Rollen und Interessen der Arbeitsgruppen-Teilnehmer sichtbar

zu machen“ vorbeigeht.

Zusätzlich noch einige hilfreiche Fragen in diesem Zusammenhang:

Wer kann Sie dabei unterstützen, dass die Arbeitsgruppe ihr Ziel erreicht?

Welcher Teilnehmer kann Sie in kritischen Situationen unterstützen?

Ist es aus taktischen Gründen notwendig, gewisse Themen zu vermeiden? Wenn ja, welche, und was kann getan werden,

wenn man sie nicht vermeiden konnte.

Mit welchen Argumenten können Sie die Zielerreichung für Ihre Arbeitsgruppen-Teilnehmer attraktiv machen?

5.3. Mitarbeitergespräch - Sprache

In vielen Fällen ist das Mitarbeiter-/Jahres-/Leistungs-/Standort-Gespräch die einzige Möglichkeit für den Vorgesetzten,

sich mit seiner/m Mitarbeiter/in über die erbrachten Leistungen bzw. Erwartungshaltungen auszutauschen. Speziell,

wenn Mitarbeiter/innen an anderen Standorten oder im Außendienst tätig sind, ist dies der Fall. D.h., dieses halbjährliche

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oder jährliche Gespräch ist von sehr großer Bedeutung für alle Beteiligten. Die Kunst ist es daher, diese Chance im Sinne

steigender Motivation und Kommitment für beide Parteien zu nutzen.

In Bezug auf die im theoretischen Teil angeführten Fertigkeiten möchte ich speziell die Sprachfertigkeiten für positive und

negative Ergebnisse hervorheben:

- Positive Ergebnisse: hier gilt es, die Leistung transparent zu machen und am besten zu verstärken, hierdurch kann man

mit einfachen Mitteln die Motivation und die Anerkennung steigern, sehr gut lässt sich dies mit der folgenden Rede-

wendung bewerkstelligen:

„Was noch?“ oder „Das hört sich interessant/schwierig an!“ „Wie haben Sie das geschafft?“

In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Kraft von Pausen hinweisen. Wenn nach einem „Was noch?“

nicht gleich eine Antwort kommt, sollte man nicht in Panik verfallen und nachsetzen, sondern gelassen schweigen. Oft

sind es Mitarbeiter nicht gewohnt, sich Gedanken über ihre Erfolge zu machen, und dann dauert es ein wenig Zeit, bis

sie sich deren bewusst werden und antworten können.

- Negative Ergebnisse: Natürlich wird es auch nicht so tolle Ergebnisse geben. Doch auch hier kann man mit positiver

Formulierung Mehrwert generieren, indem man sich nicht auf das Thema oder den „Schuldigen“ fokussiert, sondern

auf die Lösung/Verbesserung. Passende Redewendungen hierfür sind folgende:

„Wie können Sie anders vorgehen, damit beim nächsten Mal der gewünschte Erfolg eintritt?“

oder „Wie kommt es, dass Sie das Thema auf diese Weise bearbeitet haben?“

Mit dieser Frage entsteht auch die Überleitung zu einem wichtigen Aspekt, wenn Dinge nicht so toll gelaufen sind. In

den meisten Fällen ist es nicht die Absicht der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters, eine schlechte Leistung abzuliefern, d.h.,

er hat gute Gründe, warum er das Thema auf diese Art und Weise bearbeitet hat! Ist man in der Lage, diese „guten

Gründe“ zu erfahren, so helfen sie der Führungskraft, gezielte Abhilfemaßnahmen zu implementieren.

Diese Abhilfemaßnahmen sollte man am besten mit dem Wort „stattdessen“ formulieren. Damit wird klar, dass an

den Platz der nicht erfolgreichen Handlung/Vorgehensweise eine andere/erfolgreiche platziert wird. Beispielhaft sei

hier folgende Frage genannt: „Nehmen wir also an, Sie machen nicht x (x steht für die nicht erfolgreiche Handlung).

Was würden Sie stattdessen machen?“

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Coaching-Fragen im Gesamtkontext mit Struktur haben die beiden Autoren Daniel Meier und Peter Szabo wie folgt

zusammengefasst: 24

1) Einstieg

Was soll in unserem Standortgespräch geschehen, damit es sich für Sie gelohnt hat? (Antwort: ... ) Was noch?

(Antwort: ... )

2) Standortbestimmung

Was ist Ihr Ziel? (Antwort: ... )

Auf einer Skala von 1 bis 10, wenn 10 für die Erreichung Ihres Zieles steht und 1 für das pure Gegenteil, wo stehen

Sie momentan auf der Skala? (Antwort: ... )

3) Kompetenzen beleuchten

Was macht den Unterschied, dass Sie auf der Skala schon bei 4 stehen und nicht mehr bei 1? (Antwort: ... ) Und

was noch? (Antwort: ... )

4) Konkrete Schritte planen

Stellen Sie sich vor, Sie wären schon einen nächsten Schritt weiter. Was werden Sie dann anders tun oder vermehrt

tun? (Antwort: ... ) Woran werden es andere merken, dass Sie einen Schritt weiter sind? (Antwort: ...) Und woran

noch? (Antwort: ... )

5) Abschluss

Ich bin beeindruck, wie Sie ... (Antwort: ... ) Wie können wir diese Besprechung jetzt nützlich abrunden für Sie?

(Antwort: ... )

5.4. Teammeeting – Power Feedback

Teammeetings sind weit verbreitete Veranstaltungen, die für verschiedenste Ziele eingesetzt werden. Es handelt sich

hierbei um reine Informationsveranstaltungen, Fortschritts Monitoring, Erarbeitung von neuen Ideen oder zum Beispiel

Weiterbildungsmaßnahmen. Für den Erfolg der jeweiligen Veranstaltung ist nicht nur die fachliche bzw. theoretische

Vorbereitung und Umsetzung verantwortlich, sondern ganz wesentlich auch die Stimmung der teilnehmenden Personen.

In vielen Fällen arbeiten die Teammitglieder in der gleichen Abteilung jedoch untereinander nicht als Team zusammen

oder sitzen z.B. an verschiedenen Standorten. Das führt dazu, dass gerade am Anfang einer Veranstaltung für positive

Stimmung gesorgt werden muss. Ist dies erfolgreich umgesetzt, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Meeting ein

Erfolg wird, wesentlich höher.

Ein Tool, welches sich hier anbietet, ist das „Power Feedback“. Die Gründe, warum „Power Feedback“ sich gut dafür eig-

net, sind, dass das Feedback aufrichtig sowie wertschätzend geäußert wird und dass durch die begrenzte Zeit (30 Sekun-

den bis 1 Minute pro Station) die Teilnehmer nicht die Chance haben, sich zu rechtfertigen. Betreffend der Gruppengröße

gibt es keine Einschränkungen, mindestens sind jedoch 2 Personen notwendig, wenn es sich um eine ungerade Zahl

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handelt, ist das auch kein Problem (siehe Theorieteil).

Als hilfreich hat es sich erwiesen, die Grundregeln des wertschätzenden Feedback Gebens vor dem Start zu erläutern,

da in unserer Kultur dies oft in Vergessenheit gerät. Möglicherweise ist es der einen oder anderen Person in der Rolle,

Feedback zu bekommen, unwohl, dadurch sollte man sich jedoch nicht abschrecken lassen! In allen von mir erlebten

Fällen waren die Teilnehmer (auch die skeptischen) danach in bester Stimmung und gut motiviert für die nächsten ge-

planten Aktivitäten.

6. Resümee

Mein Resümee möchte ich mit folgendem Leitsatz starten:

Führung heißt, andere erfolgreich zu machen!

Als Führungskraft in kritischen Situationen an der vordersten Front zu stehen und Entscheidungen zu treffen, ist keine

Besonderheit. Diese Aufgabe zu erfüllen, ist wohl sehr wichtig, doch dies alleine macht keine Führungskraft. Als Füh-

rungskraft ist es die Kunst – so vielfältig wie die Fragen sind, welchen man sich gegenüber sieht – auch die entspre-

chend vielfältigen Antworten geben zu können. Jedes andere Vorgehen wird langfristig nicht zum Erfolg führen. D.h., für

mich besteht das Thema Führung aus vielen verschiedenen Kompetenzen und Tätigkeitfeldern. Mit dem einen Extrem,

Aufgaben aufgrund der Dringlichkeit oder Wichtigkeit selbst zu erledigen, und dem anderen, Mitarbeiter bzw. Teams zu

unterstützen, damit diese die Aufgaben erfolgreich meistern können.

In meinem Führungsalltag ist es das Haupt-Ziel, „andere erfolgreich zu machen“. Selbst involviert zu sein, spielt eine un-

tergeordnete Rolle. Nur dadurch habe ich die Möglichkeit, mich den wichtigen Themen ausreichend widmen zu können.

Um dies umsetzen zu können, helfen die Aspekte des systemischen Coachings ungemein. Mit Hilfe des systemischen

Coachings wird die Nachhaltigkeit in der Führungsarbeit extrem gesteigert. Jeder Führungsstil kann davon profitieren,

ohne seine eigene Authentizität zu beeinträchtigen. Die Gefahr, sich auf einen Führungsstil, z.B. Coachingstil (siehe Pkt.

2 dieser Arbeit, nach Goleman) zu reduzieren, sehe ich als nicht gegeben. Eine treffende Bezeichnung für diese moderne

Art der Führung wäre „Supportive Leadership“.

Als letzten Aspekt möchte ich noch den der Motivation und Energie von Führungskräften ins Rennen führen. „Supportive

Leadership“ ist keine Einbahnstraße! Nicht nur die Organisation und die MitarbeiterInnen profitieren von dieser Art der

Führung, sondern in großem Ausmaß die Führungskraft selbst. Sie bekommen einen guten Anteil der Energie und Mo-

tivation, die Sie weitergeben, infolge eines verbessertes Klimas in der Organisation zurück.

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1) ArbeitsRatgeber 2012, o.S.2) RuFuS Infomail 2006, o.S.3) Hay Group/Daniel Golemen. Leadership Styles. Aus dem englischen übersetzt. 2012, o.S.4) HayGroup (2008), S. 355) HayGroup (2008), S. 186) Koditek 2008, S. 127) Koditek 2008, S. 138) Koditek 2008, S. 149) Koditek 2008, S. 1710) Szabo/Berg 2009, S. 7111) Szabo/Berg 2009, S. 7112) Szabo/Berg 2009, S. 7213) Szabo/Berg 2009, S. 7314) Szabo/Berg 2009, S. 7315) Szabo/Berg 2009, S. 7416) Szabo/Berg 2009, S. 7517) Szabo/Berg 2009, S. 7718) vgl. Transkulturelles-Portal 2012, o.S.19) R.M. Siegler 2009, o.S.20) Koditek 2008, S. 3621) Meier & Szabo 2007, S. 4322) House of Competence 2012, o.S.23) Der Methodenkoffer, S. 2424) Meier & Szabo (2007), S. 44

7. Literaturverzeichnis

Bücher:

Berg, Insoo Kim & Szabo, Peter (2009) Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung. Borgmann Media

HayGroup (2008). Making Great Leaders – Europe. Module 1 – Programme Materials.

Dr. Koditek, Thomas (2008). Systemisches Coaching im Prozess ©. Ein Lern- und Arbeitsbuch. Internationale Akademie

an der Freien Universität Berlin, Arbeitsbereich Organisation und Management, Dr. Thomas Koditek

Radatz, Sonja (2009). Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Pra-

xishandbuch mit den Grundlagen systemischkonstruktivistischen Denkens, Fragetechnik und Coachingkonzepten. Ver-

lag systemisches Management

Fachzeitschrift:

Meier, Daniel & Szabo, Peter (2007). Wirksam: Fünf-Minuten-Coaching.

In: ORGANISATOR Das Magazin für KMU 4/2007: 43-44

Unterrichtsmaterial Coachinglehrgang:

Der Methodenkoffer, Coachinglehrgang 2011, Freie Universität Berlin und cPlus

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Internet:

ArbeitsRatgeber. Führungskraft: Mitarbeiter mit Personalverantwortung

http://www.arbeitsratgeber.com/fuehrungskraft_0090.html. Abgerufen am 12.2.2012

Hay Group/Daniel Golemen. Leadership Styles. Aus dem Englischen übersetzt.

http://www.strengthsconsultancy.com/images/207.doc?id=1154607745 Abgerufen am 12.2.2012

House of Competence. Richtig Feedback geben.

http://www.organisationsberatung.net/feedback-regeln-methoden/#.T1tJFpghf_U Abgerufen am 10.3.2012

Rouven M. Siegler. 08.10.2009

http://siegler.blog.de/2009/10/08/perspektivenwechsel-coaching-gibt-leben-geburt-7123787/ Abgerufen 21.2.2012

RuFuS Infomail, 08.02.2006

http://www.arbeitsratgeber.com/fuehrungskraft_0090.html. Abgerufen am 12.2.2012

Transkulturelles Portal, Perspektivenwechsel http://www.transkulturelles-portal.com/index.php/9/94 Abgerufen 4.3.2012

Wikipedia, Empathie http://de.wikipedia.org/wiki/Empathie Abgerufen am 4.3.2012

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Coaching in der Führungskräfteentwicklung der öffentlichen Verwaltung in ÖsterreichProf. Mag. Emmerich Bachmayer

Öffentliche Verwaltung(en) im Transformationsprozess

Seit mehr als 25 Jahren sind die öffentlichen Verwaltungen Gegenstand einer Effizienz- und Effektivitätsdiskussion.

Effizienzprobleme werden unter dem „Diktat leerer Kassen“ nach dem Ausbau des Wohlfahrtsstaates und zunehmender

Steuer- und Abgabenresistenz seiner Bürger gesehen, Effektivitätsprobleme angesichts neuer Aufgabenstellungen, die

an Politik und Staat herangetragen werden. Aus dem angloamerikanischen Raum empfahl die New Public Management-

Bewegung1 die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente und die (Re-)Privatisierung öffentlicher Aufgaben, in Europa

wurde diese Bewegung in der gemäßigten Variante von „Neuen Steuerungsmodellen“, Ausgliederungen von Einrichtun-

gen mit betriebsähnlichem Charakter, wie etwa Museen und Universitäten, sowie der Erfindung eines neuen Typs von

Verwaltung außerhalb der politisch geführten Ministerialverwaltung, den sogenannten Regulatoren, rezipiert. Verschie-

dentlich wurden neue Problematiken nach dem Muster „more of the same“ zu entschärfen versucht, wie etwa die Asyl-

problematik durch neue Behörden- und Gerichtsstrukturen oder die Integrationsproblematik bildungsferner Schichten

durch den Einsatz von mehr Lehrern.

Beziffert man in Österreich den im staatlichen Zugriffsbereich des politisch-administrativen Systems verbleibenden

Anteil der öffentlichen Bediensteten mit etwa 350 000 Personen – gegenüber den im staatsnahen, ausgegliederten

Bereich Beschäftigten von etwa weiteren 150 000 – so zeigt sich eine durchaus respektable Anzahl von PolizistInnen,

LehrerInnen, RichterInnen, Verwaltungsangestellten etc., die in Organisationen arbeiten, die dem Grunde nach auf Ba-

sis des von Max Weber beschriebenen Bürokratiemodells2 funktionieren, nämlich nach festen Aufgabenverteilungen,

strikter Regelgebundenheit des Handels, aktenmäßiger schriftlicher Kommunikation, funktionsorientierter Entlohnung

ohne Leistungskomponente etc. Viele Elemente des Bürokratiemodells sind auch den eher dem Dienstleistungssektor

zuzurechnenden Einrichtungen des Gesundheits-und Bildungswesens anzutreffen, die von einer zunehmenden Verrecht-

lichung erfasst werden.

Vom Bürokratiemodell zur „wirkungsorientierten“ Steuerung

Politik und Bürger stellen nun – zwar in unterschiedlicher Art – die Funktionsweise dieser bürokratischen Organisations-

modelle in Frage und die in ihnen arbeitenden Menschen vor Zerreißproben. Die Politik erfindet auf allen Ebenen neue

Regeln, supranational, national und regional – erwartet sich aber von den Akteuren in den Verwaltungsapparaten rasche

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Lösungen – manchmal auch explizit die Preisgabe rechtsstaatlicher Prinzipien. Die Bürger/Adressaten des Verwaltungs-

handelns erwarten rasche, möglichst interessenskonforme Lösungen sogenannter kundenorientierter Natur. Manage-

mentwerkzeuge wie Kostenrechnung, periodengerechtes Rechnungswesen, Globalbudgetierung und Leistungsorientie-

rung sollen die Verwaltungseinheiten zu mehr oder besserem Output anstacheln, Kosteneffizienz und Bürgerorientierung

sollen pekuniär prämiert werden. Das österreichische Bundeshaushaltsgesetz fordert ab 2013 Wirkungsziele auf der

Politischen Verantwortungsebene und Globalziele auf der administrativen Ebene ein. Dezentralisierte Globalbudgets mit

Rückstellungsmöglichkeit nicht verbrauchter Budgetteile sowie Prämienfähigkeit eines Teiles der Einsparungen sollen zu

effizienter Verwaltungsführung anhalten. Das auf rechtzeitigen Budgetverbrauch im Haushaltsjahr getrimmte Denken soll

durch eine Kultur der Output- wenn nicht sogar Outcome-Steuerung abgelöst werden. “Bei der Transformation von bü-

rokratischen zu unternehmerischen Kulturen taucht regelmäßig ein enormes Konfliktpotential auf: die Mitarbeiter haben

nicht gelernt, selbständig zu entscheiden, sie warten auf Anweisungen aus der Linie, sie beschweren sich über zu wenig

Führung, sie sind nicht gewohnt, in Teams zu arbeiten, sie wollen vielfach eher vereinzelte Befehlsempfänger bleiben“.3

Die Funktion der Personalentwicklung im Transformationsprozess

Am Weg „von der Bürokratie zum Management“ heißt das „Königsinstrument“ Personalentwicklung, das Innovations-

und Sparziele gleichermaßen durch Hebung des Leistungs- und Motivationsstandes realisieren helfen soll. Bis in die

70er Jahre des vorigen Jahrhunderts beschränkte sich die Ausbildung des Verwaltungspersonals – auch der Lehrer-

Innen – auf die bloße Einstiegsausbildung, die mit der Ablegung der Dienstprüfung oder der Lehramtsprüfung als

beendet angesehen wurde. Die berufsbegleitende Fortbildung wurde lange Zeit von der Notwendigkeit des Erlernens

neuer Fertigkeiten auf dem Sektor der Informationstechnologie oder des Erlernens von Fremdsprachen beherrscht. Mit

der Gründung der Verwaltungsakademie des Bundes 1975 wurde die Führungskräfteausbildung eingerichtet, die neben

der Vermittlung von Führungs- und Entscheidungstechniken auch gruppendynamische Teamübungen beinhaltete. Zum

Unterschied zur obligatorischen und flächendeckenden Einstiegsausbildung blieben sowohl Fortbildung als auch Füh-

rungskräfteausbildung mit dem Manko der Freiwilligkeit der Teilnahme und der Praxisferne behaftet. Im Beiratsbericht

„Perspektiven des Öffentlichen Dienstes“ der Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst aus 2011 liest sich

das so: „Berufsvorbereitendes (Aus-)Lernen wird den Anforderungen in der Zukunft nicht gerecht. Lebenslanges Lernen

erfordert ein integrales Verständnis der im Lebenslauf sich kontinuierlich entwickelnden Kompetenzen. In der Praxis

ist eher eine Trennung von Aus- und Weiterbildung einerseits und strukturellen Fragen andererseits zu bemerken. Die

MitarbeiterInnen benötigen Gestaltungskompetenzen, um mit den inhaltlichen, sozialen, methodischen und emotionalen

Anforderungen an den Arbeitsplätzen selbständig

zurechtzukommen und gleichzeitig die Organisation zu entwickeln.“ 4

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Coaching als Format der Führungskräfteentwicklung

Wenn nun die Integration des Lernens in die alltägliche Arbeits- und Führungsumwelt als sogenanntes „vikarisches Ler-

nen“ 5 in den Vordergrund tritt, dann bietet Coaching einen geeigneten Ansatzpunkt zur Dynamisierung der bürokratie-

geprägten Führungskultur. Die Erkennung, Benennung und Nutzbarmachung verdeckter Ressourcen des Coachees soll

dessen Kompetenz (wieder)herstellen beziehungsweise erweitern.6 Gerade der systemisch- konstruktivistische Ansatz

mit seiner Abkehr vom linear-kausalen Wirklichkeitsverständnis und der Herausarbeitung der jeweiligen systemischen

Handlungskontexte ermöglicht die Entwicklung neuer Lösungspotentiale durch den Coachee selbst im Rahmen verän-

derter Problemsichten. Mit Hilfe der speziellen Frage- und Interventionstechniken des Coaches können sich Führungs-

kräfte ihre Positionierung im veränderten Umfeld ihrer Organisationen selbst erarbeiten. Sowohl in der beruflichen Ein-

führungsphase als auch in den von der Führungskraft zu initiierenden oder zu tragenden Veränderungsprozessen kann

Coaching einen Beitrag leisten, wie mit tatsächlichen oder erwartbaren Widerständen umzugehen ist, wie behördliche

Arbeit mit neuen Managementerfordernissen der Zielsetzung, Ergebniskontrolle und Kundenorientierung vereinbar ist.

Führungskräfte sollen vorbereitet werden, dass Innovationen, die Routinisierungen reduzieren, unterschiedliche Formen

des Widerstandes mobilisieren und wie sie im Einzelnen diesen Widerständen begegnen. Sie sollten zu mehr „Konflikt-

mut“ animiert werden und auch dazu, ihre Mitarbeiter zu mehr Individualität und Mut zu Ungewöhnlichem zu ermuntern.7

Die im Bürokratiemodell vorherrschende Positionsautorität muss in Organisationen im Change-Prozess, in dem das

gesicherte Terrain regelgebundenen Handelns verlassen wird durch eine „Interaktionsautorität“ der Führung, zumindest

ergänzt werden. Um die Konfliktpotentiale aus einer neuen Interaktionskultur nicht zu umgehen, sondern zu nutzen,

bedarf es sicherlich des Ausschöpfens vorhandener Ressourcen der Führungskräfte.

Der Einsatz von Coaching in Österreichischen Verwaltungsorganisationen

Im Folgenden werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die zusammengefassten Ergebnisse einer Umfrage unter

PE-Zuständigen von großen Verwaltungseinheiten wie Bundesministerien und Landesverwaltungen zum Thema der In-

tegration von Coaching in die Führungskräfteentwicklung wiedergegeben. Vorweg ist festzuhalten, dass durchgehend

Coaching nur als Angebot und nicht als gezielte Verpflichtung Einzelner verstanden wird. Die Auswahl der Coaches

erfolgt durch die künftigen Coachees zumeist aus Listen, die bei den Personalentwicklungsverantwortlichen aufliegen

und bezüglich fachlicher Eignung vorselektiert wurden. Auf diesen Listen scheinen zumeist Personen auf, die im Aus-

bildungswesen der Verwaltungsorganisation bereits als frei- bzw. nebenberufliche TrainerInnen tätig sind. Die konkrete

Vertragsgestaltung übernimmt die PE-Einheit, die auch auf die Einhaltung der finanziellen Limits achtet. Überwiegend

werden Stundensätze um 90€ genannt, zwei Organisationen haben 170€ bzw. 220€ als Höchstlimit genannt.

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Coaching zur Einführung neuer Führungskräfte

Während Coaching-Einheiten bei allen Befragten auf Verlangen auch anlässlich der Übernahme einer Leitungsfunktion

zur Verfügung gestellt werden, beschreitet hier das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

(BMASK) einen neuen Weg. Schon während der obligaten (Nachwuchs-)Führungskräfteausbildung besteht die Mög-

lichkeit, 2 Coaching-Einheiten sozusagen als Bekanntmachung mit dem Instrument in Anspruch zu nehmen. Gezielt wird

Einzelcoaching anlässlich der Übernahme der neuen Leitungsfunktion etwa von der Salzburger Verwaltungsakademie

angeboten. Die Personalentwicklung der Gemeinde Wien verfolgt für neu installierte Führungskräfte den Weg des Men-

toring durch bereits bewährte Führungskräfte, was hinsichtlich Erfahrungsaustausch und Zusammenarbeitskultur zu sehr

positiven Ergebnissen führt. Bei entsprechender Vertrautheit der MentorInnen mit Coaching-Techniken könnte man von

einem In-House-Coaching sprechen.

Coaching von etablierten Führungskräften

Wohl am treffendsten beschreibt die Verwaltungsakademie der Gemeinde Wien den Nutzen von Coaching folgender-

maßen: „Bei diesem Angebot geht es um die Möglichkeit, sich auf professioneller Basis mit einer fachlich kompetenten

Person auszutauschen, mit dem Ziel, Reflexionsprozesse im Hinblick auf die Führungssituation im Change-Prozess zu

ermöglichen. Insbesondere die Erweiterung der Führungskompetenz, soziale Konflikte am Arbeitsplatz, Kommunikation,

aber auch der Umgang mit und die Auswirkungen von Veränderungen in der Organisation können im Zentrum dieses

Dialogs stehen. Der Nutzen liegt ferner in der direkten Umsetzbarkeit und im spezifischen Eingehen auf das berufliche

Umfeld der Person. Dadurch wird ein hoher Lerntransfer gewährleistet.“

Die Inanspruchnahme der Coaching-Angebote erfolgt meist zwecks Wahrung der Diskretion unter direkter Kontaktnahme

des Coachees mit dem/der PE-Verantwortlichen. Lediglich in einem Führungshandbuch findet sich die Notwendigkeit

der Unterstützung der Coaching-Prozesse durch die Schlüsselpersonen des Managements.

Coaching und Supervision

In allen befragten Verwaltungsorganisationen wird auch Supervision angeboten. Im Führungshandbuch des BMASK

wird dazu erklärt: „Supervision ist eine psychologisch fundierte Praxisberatung für Einzelpersonen, Gruppen oder Teams

durch eine Supervisorin oder einen Supervisor, die hilft, berufliches Handeln im Schnittpunkt psychischer, sozialer und

institutioneller Bestrebungen und Konflikte zu verstehen und zu verbessern. In der Einzelsupervision wird … die kon-

krete Arbeitssituation reflektiert mit dem Ziel, Belastungen zu verringern sowie den persönlichen Handlungsspielraum zu

erweitern oder den Wiedereinstieg zu erleichtern. Sie kann damit auch einen wichtigen Beitrag zur Burnout-Prävention

leisten.“ Vom Kostenaspekt und dem Genehmigungsprozess her wird Supervision ähnlich behandelt wie Coaching,

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allerdings wird Supervision als direktive Beratungstechnik eher im operativen Bereich für MitarbeiterInnen im behörd-

lichen Kundenkontakt bei Finanzämtern, Sozialämtern oder Frauenberatungsstellen empfohlen und eingesetzt. In der

Finanzverwaltung gibt es für die Inanspruchnahme von Supervisionsleistungen – wobei allerdings auch Coaching-Leis-

tungen beansprucht werden können – sogenannte Beratungsschecks, die bei Supervisoren/Coaches eingelöst werden

können, die über entsprechende Rahmenverträge verpflichtet werden.

Psychotherapeutische Beratung

Lediglich in einer Verwaltungsorganisation werden auch in raren Einzelfällen psychotherapeutische Leistungen im Rah-

men der Personalentwicklung finanziert, wobei man sich aber der heiklen Situation an der Schnittstelle zur Privatsphäre

bewusst ist. Bei der Aufnahme in die Empfehlungsliste von ausgebildeten Coaches wird aber in 2 Einrichtungen explizit

auf eine psychotherapeutische Ausbildung Wert gelegt. Dies soll bei Grenzfällen die Verwendung ungeeigneter Kommu-

nikations- und Interventionstechniken vermeiden helfen.

Evaluation von durchgeführten Coachings

Die Evaluation von Coachings nach der Inanspruchnahme der budgetfinanzierten Einheiten beschränkt sich durchgängig

auf eine Evaluation des Coaching-Prozesses mit dem Ziel, die Zweckmäßigkeit der Weiterbeschäftigung des jeweiligen

Coaches zu überprüfen. Inhaltliche Überprüfungen, etwa der Verbesserung der Problemlösungsfähigkeit vor Ort finden

nicht statt. Dies wird vor allem mit der für das Interaktionsmuster „Coaching“ notwendigen Intimität und Diskretion der

Lösungsarbeit begründet.

Zusammenfassung und Ergebnisse

Coaching ist als Format der Personalentwicklung von Führungskräften in der öffentlichen Verwaltung in weiten Bereichen

anerkannt und in Anwendung stehend. Es wird allerdings überwiegend noch als zentral beigestellte Leistung verstan-

den, die im individuellen Bedarfsfall abgerufen werden kann und der somit eher der Charakter von „Feuerwehreinsatz“,

„Reparaturhilfe“ oder „Sozialleistung“ anhaftet. Die so praktizierte Form der organisationsinternen Unterstützung der

Führungskräfte der Verwaltung bei Problemsituationen an der Schnittstelle von Persönlichkeit und Organisation erfreut

sich guter Akzeptanz – etwa 5 -10 % der Führungskräfte nutzen sie (eigene Schätzungen). Vom Dienstgeber beigestelltes

Coaching gehört sicherlich zu den immateriellen Leistungsanreizen, die gemäß einer jüngst veröffentlichten Blitzumfrage

des Wirtschaftsforums der Führungskräfte von 40% der Führungskräfte als leistungsmotivierend empfunden werden,

wohingegen nur 10% der Befragten in einem höheren Gehalt einen Leistungsanreiz sehen.

Eine Integration des Coaching in den Transformationsprozess, dem die öffentlichen Verwaltungen von der hoheitsbe-

zogenen zur leistungsorientierten Verwaltung unterliegen, ist allerdings nur in Ansätzen zu bemerken. Nur in einem

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einzigen Fall wird vom gezielten Einsatz des Coaching im Wege von Teamcoaching durch den Fachvorgesetzten selbst

zur Weiterentwicklung der Organisation – in diesem Fall einer bedeutenden Sektion eines Bundesministeriums – be-

richtet. Im Sinne des notwendigen „transformationalen“ Lernens wäre eine Integration von Coaching-Prozessen in den

Führungsalltag des Verwaltungsgeschehens in vermehrtem Maße wünschenswert. Einen beachtenswerten Ansatz hierfür

bietet die bereits vom BMASK geübte Praxis der Verankerung des Coaching in der Ausbildung der Führungskräfte selbst.

Wissen über Funktions- und Wirkungsweise des Coaching wird so vom Arkanwissen der Spezialisten der Personalent-

wicklungsabteilungen zum integrierten Bestandteil des Führungswissens der Organisation selbst und kann damit seinen

Beitrag zu Innovation und Veränderung der Organisationskultur leisten.

1) Schedler, Kuno; Proeller, Isabella, New PublicManagement, S 22 ff2) Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft, S 1283) Schreyögg, Astrid, Konfliktcoaching, S 1494) Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst, Perspektiven des Öffentlichen Dienstes, S 225) Klimecki, Rüdiger, Verwaltungsreform durch organisationales Lernen, S 22 f6) Koditek, Thomas, Systemisches Coaching im Prozess, S 15 ff7) Schreyögg, Astrid, Konfliktcoaching, S 164 f

Literaturverzeichnis

Klimecki, Rüdiger (1998): Verwaltungsreform durch organisationales Lernen – auf dem Wege zu einer

lernenden Verwaltung, Management Forschung und Praxis Nr. 24, Universität Konstanz

Koditek, Thomas (2008): Systemisches Coaching im Prozess, Ein Lern- und Arbeitsbuch,

Berlin: Internationale Akademie an der Freien Universität Berlin

Schedler, Kuno; Proeller, Isabella (2009): New Public Management, Bern/Stuttgart/Wien: Haupt

Schreyögg, Astrid (2011): Konfliktcoaching, Frankfurt 2011: Campus

Weber, Max /1985): Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen: J.C.B. Mohr

Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst (2011): Perspektiven des Öffentlichen Dienstes,

Wien: Bundeskanzleramt

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Coaching in der FührungskräfteentwicklungMag. Heidemarie Truppe

Einleitung

Im Top-Management sind andere Qualitäten gefragt als Fachkompetenz und Leistung, die im Regelfall zu einer Füh-

rungsposition führen. In diesem Kapitel sollen Möglichkeiten von Coaching als Instrument der Führungskräfteentwick-

lung aufgezeigt werden. Es geht darum, wie Coaching dazu beitragen kann, Führungskräften zu helfen, mit den Heraus-

forderungen der Führungsrolle umzugehen und sich mit den neuen Rollenanforderungen anzufreunden. Darüber hinaus

wird die Frage beantwortet, wann soll Coaching in der Führungskräfteentwicklung eingesetzt werden.

Inhaltsverzeichnis

1. Begriffsdefinitionen

1.1 Personalentwicklung

1.2 Organisationsentwicklung

1.3 Führungskräfteentwicklung

1.4 Coaching

2. Die Rolle(n) der Führungskraft

3. Coachingthemen mit betrieblichem Hintergrund

3.1 Organisationsinterne Faktoren

3.2 Organisationsexterne Faktoren

4. Anforderungen der Führungskraft (Coachee) an den Coach

4.1 Nutzen für die Führungskraft (Coachee)

5. Die Rolle(n) des Coaches

6. Welche Personen werden gecoacht?

7. Anlässe für Coaching in der Führungskräfteentwicklung

7.1 Umfeldveränderungen als Anlässe für Coaching

8. Abgrenzung zu anderen Disziplinen

9. Resümee

10. Literaturliste

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1. Begriffsdefinitionen

In diesem Abschnitt werden die Begriffe Personalentwicklung, Organisationsentwicklung und Führungskräfteentwick-

lung erklärt.

1.1 Personalentwicklung

Der Begriff Personalentwicklung umfasst alle Maßnahmen der Bildung, der Förderung und der Organisationsentwick-

lung, die von einer Organisation oder Person zielorientiert geplant, realisiert und evaluiert werden. Auf Aus- und Wei-

terbildung inhaltlich begrenzt wird Personalentwicklung im engeren Sinne verstanden, im weiteren Sinne versteht man

die Bedeutung der Personalentwicklung als Mittlerfunktion zwischen den Zielen des Unternehmens und den Zielen des/

der Mitarbeiter/in.1

1.2 Organisationsentwicklung

Sowohl in der Literatur als auch in der Praxis existiert ein breites Spektrum verschiedener Organisationsentwicklungs-

begriffe. Hier zwei Definitionen, die meiner Meinung nach für den in diesem Kapitel beschriebenen Prozess am besten

passen:

Organisationsentwicklung ist ein längerfristig angelegter, organisationsumfassender Entwicklungs- und Veränderungs-

prozess von Organisationen und der in ihr tätigen Menschen. Der Prozess beruht auf Lernen aller Betroffenen durch

direkte Mitwirkung und praktische Erfahrung.2

Die Organisationsentwicklung beinhaltet einen langfristig angelegten, umfangreichen Entwicklungs- und Veränderungs-

prozess von Organisationen. Im Gegensatz zur Personalentwicklung wird der Fokus nicht auf den Einzelnen, sondern auf

die Organisation als Ganzes gelegt.3

1.3 Führungskräfteentwicklung

„Unter Führungskräfteentwicklung wird die gezielte und systematische Förderung von Führungskräften durch die Ent-

wicklung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Grundhaltungen verstanden und zwar zum Zwecke der besseren Erfüllung

von aktuellen und zukünftigen Leitungsaufgaben.“ 4 Führungskräfteentwicklung kann man als Personalentwicklung für

das Management bezeichnen.

Die drei Themen Personalentwicklung, Organisationsentwicklung und Führungskräfteentwicklung sind meiner Meinung

nach untrennbar miteinander verbunden.

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

1.4 Coaching

Der Begriff Coaching wird in der Literatur sehr oft und vielfältig beschrieben. In Zusammenhang mit der Führungskräfte-

entwicklung sind sich aber alle namhaften Autoren grundsätzlich darüber einig, dass Coaching ein

- Personalentwicklungsinstrument ist,

- welches sich an Führungskräfte wendet mit

- dem Ziel der Verbesserung der Arbeitsqualität und welches

- potenzialorientiert individuell arbeitet.5

Als Instrument der Personalentwicklung steht beim Coaching die Person im Zentrum der Bemühung. Es geht um indi-

viduelle Entwicklungsförderung der beruflichen Situation. Es können dabei aber auch die persönlichen Themen, die aus

dem privaten Umfeld kommen, mit eine Rolle spielen.

2. Die Rolle(n) der Führungskraft

Führungskräfte bewegen sich in unterschiedlichen Rollen. An jede dieser Rollen sind spezifische Erwartungen geknüpft.

Für erfolgreiches Handeln wie auch für ein erfolgreiches Coaching ist es wichtig zu erkennen, in welcher Rolle sich die

Führungskraft befindet, welche Rolle im Moment gefragt ist und welches Verhalten wann sinnvoll ist.

Die in der Literatur am öftesten zitierten Rollen der Führungskraft sind nachfolgende:

- Vorgesetzte/r: vereinbart Ziele und Aufgaben, trägt Entscheidungsverantwortung, plant, organisiert und kontrolliert,

sichert die Kommunikation und ergreift disziplinarische Maßnahmen.

- Fachmann/Fachfrau: verfügt über Fachkenntnisse, gibt sie und seine Erfahrung weiter, vermittelt Sicherheit und Rou-

tine, sorgt für Effizienz und Effektivität.

- Moderator/in: fördert Teamerleben und Identifikation, vermittelt, managt Konflikte, bleibt unparteiisch.

- Coach: begleitet die individuelle Entwicklung des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin, hilft bei der Entfaltung persönlicher

Ressourcen, fördert, fordert, berät, reflektiert und gibt Feedback.

- Unternehmer/Geschäftsführer/Amtsleiter/in: überblickt die gesamte Organisation, gibt Vision und Mission vor, beob-

achtet den Markt, Vertretung nach außen.

- Mitarbeiter/in: vereinbarte Ziele in Rücksprache mit der Führungskraft erfüllen.

Diese Rollen in ihrer Gesamtheit ergeben als Führungsaufgabe, Visionen zu entwickeln und die Umsetzung zu fokussie-

ren, Mitarbeiter/innen zu motivieren und Kontakte zu pflegen.

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3. Coachingthemen mit betrieblichem Hintergrund

In einer Organisation gibt es viele Faktoren, welche Inhalt eines Coaching sein können. In der Untersuchung von Jüster,

Hildebrand u. Petzold6 wird auf die 2 wichtigsten Faktoren eingegangen: die organisationsinternen und die organisati-

onsexternen Faktoren.

3.1 Organisationsinterne Faktoren

- Veränderung des Arbeitsauftrags: Arbeitsabläufe können sich verändern, die Aufgabenstellung wird erweitert

- Veränderung des Arbeitsfelds: kann neue Aufgaben bringen

- Krise im Arbeitsumfeld: Störungen im Wohlbefinden oder im routinierten Handlungsablauf

- Veränderung der Firmenstrategie: wird oft zu wenig kommuniziert

- Veränderung der Firmenphilosophie: nimmt oft Einfluss auf die Kultur, wie miteinander umgegangen wird, und wirkt

- sich so auch unmittelbar auf Führungskräfte aus

- Innovationsbedarf: Weiterentwicklung eines Betriebs zwischen Möglichkeitshorizont und derzeitigem Prozessablauf

3.2 Organisationsexterne Faktoren

- Veränderungen im Firmenumfeld

- Neue Technologien: neue Möglichkeiten zur Produktentwicklung, Arbeitsorganisation, Vermarktung etc. sind adap-

tiert, jedoch noch nicht in die Organisation integriert

- Marktveränderungen: können auch die Gewinnerwartung betreffen

4. Anforderungen der Führungskraft (Coachee) an den Coach

In bestimmten Situationen einen Coach zu engagieren, ist kein Zeichen von Führungsschwäche, es ist die Wahl einer

effizienten Problemlösungsform. Da Coaching auch im beruflichen Umfeld als sehr intimer Prozess der persönlichen

Beratung gilt, braucht jeder Coachee einen gewissen Typ von Coach, und je nach „Gefordertheit der Lage“ sind verschie-

dene Kompetenzen eines Coaches gefragt.

Abbildung 1 gibt einen Überblick über wesentliche Kompetenzfelder eines Coaches.

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Abbildung1: Kompetenzfelder7

4.1 Nutzen für die Führungskraft (Coachee)

Für die Führungskraft ist das Coaching ein Interaktions- und Reflexionsprozess. Es werden interaktionale Fähigkeiten

weiterentwickelt und Fertigkeiten zur beruflichen Verbesserung erarbeitet. Den Mehrwert daraus tragen die Organisation

und die Person.

Wichtig für den Einsatz von Coaching bei Führungskräften ist die im Alltag fehlende Reflexion der eigenen Verhaltens-

weisen aufgrund der hierarchischen Stellung. Mitarbeiter/innen sind meistens von dem/der Vorgesetzten abhängig und

lassen Äußerungen, die ihnen schaden können, lieber bleiben. Konkurrierende hierarchisch gleich gestellte Kolleg/inn/

en sind meistens auch nicht daran interessiert, ehrliches Feedback zu geben, da eine potentielle Verbesserung des an-

deren die eigene Position schwächen könnte. Weiters ist die mangelnde Kritikfähigkeit von Führungskräften ein weiterer

Aspekt, der Feedback nicht fördert. Die Reflexion des eigenen Verhaltens ist jedoch für die Entwicklung jeder Person

notwendig, speziell die Ebene der Führungskräfte muss im betrieblichen Umfeld wandlungsfähig sein, damit das Unter-

nehmen flexibel auf die Umfeldbedingungen reagieren kann. Fehlende externe Verhaltensreflexion kann demnach unter

Umständen existenzbedrohend sein.8

Ein weiterer wichtiger Grund liegt darin, dass Führung heute mehr denn je bedeutet, mit Widersprüchen zu leben. Füh

Feld- undFachkompetenz

Prozess- und Ablauforganisations-

kompetenz

Rollenkompetenz

Selbstreflexions-kompetenz

Vernetzungskompetenz Ethik- und Humankompetenz

Soziale Interaktionskompetenz

Management/ Leitungskompetenz

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rungskräfte sollen laufend in unterschiedliche Rollen schlüpfen, hierfür ist unterschiedliches Kommunikationsverhalten

gefordert.

5. Rolle(n) des Coaches

Die meisten Coachees sehen den Coach in der Rolle des wohlwollenden und nicht direktiv strukturierenden Partners.

Der Coach gibt Unterstützung und erkennt bzw. erweitert das Handlungsrepertoire. Er ist mittels geeigneter Tools in der

Lage, die Fähigkeiten

- Kommunizieren

- Interagieren

- Reflektieren/Metareflektieren

- Führen und Leiten

zu vermitteln.

Abbildung 2: Rolle des Coaches9 (die Skalierung basiert auf den Punktewerten voll 3, weniger 2, kaum 1 und nicht

zutreffend 0)

Die wichtigste Fähigkeit eines Coaches ist die eines Beobachters und die Einfühlungsgabe, den Coachee anzuregen,

diese Position vorübergehend einzunehmen. Der Coach gibt aus seiner unabhängigen Position heraus der Führungskraft

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Feedback über seine Wirkung anderen gegenüber. Dadurch werden eingefahrene Verhaltensmuster erkannt und gege-

benenfalls geändert. Der Coach soll das Coaching so gestalten, dass Führungskräfte den Kontakt, die Arbeitsbeziehung

und die persönliche Kommunikation zu ihren Mitarbeiter/inne/n in einer für sie hilfreichen Weise verändern und verbes-

sern. Wenn Mitarbeiter/innen ihre Führungskraft wirklich verstehen, entwickeln sie Commitment, Motivation und Freude

am Engagement.10

Die Einsatzfähigkeit des Personalentwicklungsinstruments Coaching wird maßgeblich durch die Persönlichkeit des Coa-

ches limitiert.

6. Welche Personen werden gecoacht?

Grundsätzlich können in der Führungskräfteentwicklung gegenwärtige Führungskräfte wie auch Nachwuchsführungs-

kräfte gecoacht werden. Nachfolgende Grafik (Abbildung 3) zeigt, wie hoch die Anteile der jeweiligen Zielgruppen sind.

Abbildung 3: Zielgruppe des Coachings11

7. Anlässe für Coaching in der Führungskräfteentwicklung

Lt. einer Umfrage von Jüster, Hildenbrand und Petzold12 werden potenzialorientierte Themen als Anlässe für Coaching

bevorzugt, Themen der Problemlösung, persönlichen Überforderung, Performance-Optimierung und Konfliktlösung fol-

gen (siehe Abbildung 4).

Alle Ebenen 12%

Nachwuchs-führungskräfte 10%

Führungskräfte 36%

Schlüsselpersonen 19%

Top-Managementund 1. Ebene 22%

Teams 1%

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Abbildung 4: Anlässe für Coaching13

(Die Skalierung basiert auf den Punktewerten voll 3, weniger 2, kaum 1 und nicht zutreffend 0).

7.1 Umfeldveränderungen als Anlässe für Coaching

Veränderungen im Umfeld einer Führungskraft sind eine enorme Herausforderung.

In der in Pkt. 7 genannten Umfrage werden die in Abbildung 5 genannten Umfeldveränderungen als Anlässe für Coaching

genannt.

Abbildung 5: Umfeldveränderungen, die zum Coaching führen14

(Die Skalierung basiert auf den Punktewerten voll 3, weniger 2, kaum 1 und nicht zutreffend 0).

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8. Abgrenzung zu anderen Disziplinen

Die Abgrenzung von Psychotherapie und Coaching ist wohl eine der wichtigsten. Coachingtechniken haben häufig einen

psychotherapeutischen Hintergrund, jedoch ist Coaching keine Psychotherapie und muss hiervon eindeutig abgegrenzt

werden. Zielperson des Coachings ist immer der gesunde Mensch, der Themen im Bereich der Arbeit oder im Privaten

hat. Wenn der Coach im Verlauf des Coachings eine ernsthafte psychische Erkrankung feststellt, muss der Coachee

darauf aufmerksam gemacht und das Coaching unterbrochen werden.

Auch zwischen Coaching und Beratung muss eine Grenze gezogen werden. Im Coaching wird der Coachee zur selb-

ständigen Problemlösungsfähigkeit hingeführt. Der Coach muss schon am Beginn des Coachings darauf hinweisen,

dass er kein Ansprechpartner für fachliche Themen ist. Beratung hingegen passiert aus einem fachwissenschaftlichen

Blickwinkel heraus.

Unter Training wird im Rahmen der Personalentwicklung der Aufbau bestimmter situationsabhängiger Verhaltensweisen

verstanden, Führungskräfte gehen im Training unter Umständen auf persönliche Anliegen ein. Coaching zielt auf die

Problemlösungsfähigkeit des Coachees und arbeitet in einem größeren Kontext und können als Ergänzung zu Trainings

genutzt werden, um individuelle Themen zu bearbeiten, evtl. erlernte Theorien noch besser in den eigenen Führungs-

alltag zu integrieren. Coachingzeiten können individuell und kurzfristig vereinbart werden.

9. Resümee

Ziel von Führungskräftecoaching ist es, die Wirksamkeit einer Führungskraft in einer gegenwärtigen oder zukünftigen

Position zu erhöhen oder Führungskräften zu helfen, sich so zu sehen, wie sie von anderen gesehen werden, im Hin-

blick auf deren Erwartungen, Reaktionen, Wahrnehmungen und Beobachtungskriterien. Eine wesentliche Eigenschaft

von Führungskräften ist/sollte die Fähigkeit der Selbstreflexion sein: im Coaching kann gezeigt werden, wie dies gut

funktioniert. Der Coach erweist seinem Coachee verständnisvolle Wertschätzung, was im Management nicht alltäglich

ist. Anerkennung von externen unabhängigen Personen stärkt die Führungskräfte.

Jeder Veränderungsprozess von Personen und/oder Organisationen ist ein langfristiger Prozess mit unsicherem Aus-

gang. Die Einführung von Coaching als Instrument der Personalentwicklung erhöht die Chance, diesen Prozess erfolg-

reich abzuschließen.

Coaching ist in der Verbreitung stark gewachsen und wird in Betrieben zunehmend genutzt. Die Chancen, dass Coaching

in absehbarer Zeit zur Selbstverständlichkeit wird, stehen meiner Meinung nach sehr gut!

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1) http://de.wikipedia.org/wiki/Personalentwicklung#cite_ref-0, 26.01. 2010, 15:34 Uhr2) Vgl. Becker 1999, S. 4433) http://de.wikipedia.org/wiki/Organisationsentwicklung, 26.01.2010, 15:34 Uhr4) Jentjens 1997, S. 545) Vgl. Jüster, Hildenbrand, Hilarion in Rauen 2005, S. 956) Vgl. Jüster, Hildenbrand, Hilarion in Rauen 2005, S. 957) Vogelauer 2005, S. 278) Vgl. Hauser 1991, S. 214ff9) Vgl. Jüster, Hildenbrand, Petzold in Rauen 2005, S. 8610) Vgl. Lederin Rauen 2005, S 483f11) Bachhausen 2006, S 11212) Vgl. Jüster, Hildenbrand, Petzold in Rauen 2005, S. 84 13) Vgl. Jüster, Hildenbrand, Petzold in Rauen 2005, S. 8514) Vgl. Jüster, Hildenbrand, Petzold in Rauen 2005, S. 85ff

10. Literaturliste

Backhausen, Wilhelm (2006), Coaching: Durch systemisches Denken zu innovativer

Personalentwicklung, Wiesbaden: Gabler

Becker, Manfred (1999), Personalentwicklung, Stuttgart: Schäffer-Poeschel

Hauser, Emil (1991), Coaching: Führung für Geist und Seele, in: Feix, W. Hsg.),

Personal 2000: Visionen und Strategien erfolgreicher Personalarbeit, Wiesbaden 1991

Jentjens, Sabine (1977), Führungskräfteentwicklung in Großbanken. München: Hampp

Rauen, Christopher (2005), Handbuch Coaching, Göttingen: Hogrefe

Vogelauer, Werner (2005), Methoden-ABC im Coaching, München: Luchterhand

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Coaching. Ein Tool zur Verbesserung von Mystery Shopping ErgebnissenClaudia Hammerler

Zitat: „Ob du glaubst, dass du es kannst oder es nicht kannst ... Du wirst immer Recht behalten.“

Henry Ford

INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Hintergrund und Theorie

2.1. Was ist Mystery Shopping?

2.2. Zielsetzung von Mystery Shopping

2.3. Ablauf eines Mystery Shopping Projektes

2.4. Wie setzt sich der Kriterienkatalog bei Palmers zusammen?

2.5. Was bedeutet Coaching?

3. Persönliche Zielsetzung

4. Voraussetzung, um ein Teamcoaching zu leiten

5. Freiwilligkeit und Coaching

6. Phasen im Teamcoaching

6.1. Orientierungsphase/Einstiegsphase

6.2. Situationsschilderung

6.3. Auftragserarbeitung = Zieldefinition

6.4. Lösungsgespräch

6.5. Maßnahmenplanung

6.6. Abschlussphase

7. Zwei Methoden für Teamcoachings

7.1. Skalierung

7.2. Ins Ziel gehen, die Vision sichtbar machen

8. Der Prozess

9. Conclusio

10. Literaturverzeichnis

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

1. Einleitung

Palmers und Ausbildung – eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte.

Nach vielen Jahren meiner Tätigkeit bei Palmers, begonnen als Lehrling im Verkauf, Trainer in der Ausbildung, Filialleiter

und zuletzt zuständig für den Bereich Retail bin ich immer auf der Suche nach persönlicher Weiterentwicklung. Ein be-

sonderes Anliegen ist die Ausbildung meiner Mitarbeiter. Diese zu fördern und fordern, ist Teil meiner täglichen Arbeit.

Die Coaching Ausbildung hat mir diesbezüglich viele neue Ansätze geliefert, zum Beispiel, dass ich als Führungskraft

nicht alleine für die Lösung verantwortlich bin, sondern dass Mitarbeiter die für sie maßgeschneiderten Lösungen bereits

in sich tragen. Meine Aufgabe liegt darin, sie zu unterstützen, diese zu erkennen, sichtbar zu machen und für ihre Aufgabe

individuell zu adaptieren. Das unterstützt mich sehr in meiner täglichen Rolle als Führungskraft und befreit mich von

meinem inneren Antrieb, stets Lösungen parat zu haben, die mitunter nicht zielführend und richtig sind.

So möchte ich diverse Übungen, die ich im Zuge meiner Coachingausbildung erfolgreich erlebt und in Einzelcoachings

bereits umgesetzt habe, soweit adaptieren, um sie bei meinen Filialteams umzusetzen.

Als Beispiel beschreibe ich in meiner Arbeit die Umsetzung / Adaptierung mit dem Thema „Verbesserung von Mystery

Shopping Ergebnissen“, individuell auf jedes Team und dessen Bedürfnisse abgestimmt.

2. Hintergrund und Theorie

2.1. Was ist Mystery Shopping?

Unter Mystery Shopping bzw. Testkauf werden im Allgemeinen Verfahren zur Erhebung von Dienstleistungsqualität sub-

sumiert, bei denen geschulte Beobachter, sogenannte Testkäufer, als normale Kunden auftreten und reale Kundensituati-

onen wahrnehmen. Das Dienstleistungsgeschehen wird dabei nach einem zuvor festgelegten Kriterienkatalog

bewertet. Nicht die subjektive Wahrnehmung, sondern eine möglichst objektive Beurteilung von Qualitätsaspekten ist

zentraler Gegenstand des Verfahrens.1

2.2. Zielsetzung von Mystery Shopping

„In der praktischen und wissenschaftlichen Literatur herrscht Übereinstimmung darüber, dass Schwachstellen und somit

Verbesserungspotentiale im Prozess der Erstellung von Dienstleistungen mit Hilfe des Verfahrens Testeinkauf aufgedeckt

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

und so handlungsrelevante Informationen gewonnen werden können.“2 Dieses Instrument ist insbesondere geeignet,

um die Einhaltung von Vorgaben zu überprüfen (z.B. Servicestandards, Erscheinungsbild der Mitarbeiter, Platzierung

von Produkten und Werbemitteln im Einzelhandel, Verhalten bei Kassiervorgängen). Die Daten werden an der Kunden-

schnittstelle erhoben (z.B. Point of Sale, Call Center, Außendienst) und können die Basis für inner- und außerbetrieb-

liche Leistungsvergleiche bilden, mit Anreizsystemen gekoppelt werden, als Basis für Schulungsmaßnahmen dienen,

zur Messung von Serviceoder Beratungsqualität eingesetzt werden oder als Ausgangspunkt zur Qualitätsentwicklung

verwendet werden.3

2.3. Ablauf eines Mystery Shopping Projektes

Ein Mystery Shopping Projekt verläuft üblicherweise in unterschiedlichen Schritten. Im ersten Schritt sind die Anfor-

derungen und Ziele festzulegen. Sollen beispielsweise Servicestandards überprüft und ggf. verbessert werden, so sind

diese zunächst zu definieren. In der operativen Vorbereitung ist eine Vielzahl an Aufgaben abzuarbeiten: Ein Beobach-

tungskatalog ist zu formulieren und die Art der Durchführung vs. Beauftragung eines Fremdunternehmens.

Weiters der Einsatz von Profitestern, die Verpflichtung der Testkäufer zu Neutralität und Fairness, die Anzahl und die

(mögliche) Art der Schulung der Tester. Der zeitliche Ablauf ist zu planen, und die Rückspielung der Ergebnisse ist fest-

zulegen. Im dritten Schritt wird die Erhebung durchgeführt. Anschließend werden die Daten ausgewertet und Handlungen

abgeleitet. Diese werden umgesetzt, und schließlich wird die Zielerreichung überprüft.

2.4. Wie setzt sich der Kriterienkatalog bei Palmers zusammen?

Der Kriterienkatalog bei Palmers setzt sich wie folgt zusammen4:

1. Die Gestaltung der Schaufenster, der Gesamteindruck des Geschäftes und die Sauberkeit am POS

Die Präsentation der Ware, Orientierung am POS. Hat sich der Kunde gut und rasch im Geschäft zurecht gefunden.

Viele unserer Kunden sind Impulskunden. Ansprechend präsentierte Waren verführen und inspirieren sie zum Kauf.

2. Erscheinungsbild der Mitarbeiter ( Firmenkleidung, Optik allgemein )

Die Mitarbeiter sind die Visitenkarte unseres Unternehmens. So ist eine Businesskleidungs-Fibel das um und auf in

jedem Unternehmen. Dies gilt es zu überprüfen.

3. Umgangsformen: Begrüßung, Kontaktaufnahme, Gespräche, Verabschiedung

Wir legen großen Wert darauf, dass sich unsere Mitarbeiter über die Wichtigkeit der Begrüßung und Verabschiedung

bewusst sind. Ähnlich dem Coachingprozess gilt es einen Energieteppich zwischen dem Kunden und der Verkäuferin

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zu legen. Dass sich die Kunden willkommen und wohl fühlen, trägt zum Verkaufserfolg ebenso wie die persönliche

Verabschiedung bei.

4. Optimale Bedarfsermittlung

Offene Fragen sind die Basis jedes Verkaufsgesprächs, um das optimale Produkt zu finden. Sie geben dem Kunden

auch das Gefühl von Wertschätzung und Interesse.

5. Kompetenz Mitarbeiter: Produktauswahl, Modellanzahl

Eins ist keins, zwei ein Dilemma, mit drei beginnt erst die Auswahl. Zum Finden der mindestens 3 Produkte ist eine

ausgezeichnete Bedarfsermittlung ein „Must“. Wofür verwendet die Kundin das Produkt, wozu möchte sie es kombi-

nieren?

6. Produktinformation (Pflege, Trends, Aktionen, Innovationen)

Palmers Kunden erhalten ein „Rundum-Service“. Pflegetipps, die die Wäsche länger schön bleiben lassen. Preisvor-

teile sowie Innovationen.

7. Einwandbehandlung

Wir freuen uns, wenn Kunden Einwände kommunizieren, wie z.B. der Preis ist zu hoch – eine Herausforderung für jede

Palmers Verkäuferin, diesen Einwand gut zu entkräften.

8. Zusatzverkauf

Einer der größten Erfolge ist es, einem Kunden etwas zu verkaufen, das er ursprünglich gar nicht gebraucht hatte.

Grundvoraussetzung für guten Zusatzverkauf ist eine optimale Bedarfsermittlung, aktives Zuhören und die Fähigkeit,

Schlussfolgerungen aus dem Gehörten zu ziehen.

9. Wertvoller Umgang mit Waren

Eine Verkäuferin kann in elegantester Rhetorik Produkte präsentieren, Hochpreisiges logisch nachvollziehbar, aber

alles zunichte machen, indem sie die Ware nicht einer hochwertigen Marke entsprechend behandelt. Hände sind

neben dem Gesprochenen die wichtigsten „Verkäufer“ des Verkäufers.

2.5. Was bedeutet Coaching?

„Coaching ist aus meiner Sicht Beratung ohne Ratschlag – eine Beziehung zwischen Coach und Coachee, in der der

Coach die Verantwortung für die Gestaltung und der Coachee die inhaltliche Verantwortung an seinem Problem zu ar-

beiten übernimmt.“5

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Es geht um eine maßgeschneiderte Möglichkeit, ein Problem lösen zu können, indem man sich seiner eigenen Lö-

sungsfähigkeit bedient. Dazu wird ein Lehrumfeld geschaffen, wobei der Coachee seine Angst vor dem Neuen ablegen

kann und dadurch die Freude am Entdecken des Neuen wieder geweckt wird. Der Coach führt seinen Klienten zu dessen

verborgenen Potentialen.6

Unser Ziel ist es nicht, Ursachen für Probleme zu finden,

sondern Ziele und Lösungen in der Zukunft zu erreichen.7

Im Sport wird der Ausdruck Coaching im Sinne von Training verwendet. Der Coach ist dafür da, Spitzensportler persön-

lich zu betreuen und mit ihnen gemeinsam an einer kontinuierlichen Leistungssteigerung zu arbeiten.8

Coaching als Motivation wird sehr häufig in Unternehmen eingesetzt. Führungskräfte coachen ihre Mitarbeiter, indem sie

ihnen Rückmeldung über bisherige Leistungen geben, Mitarbeiter- sowie Zielgespräche führen und mit ihnen neue Ziele

erarbeiten. Das primäre Ziel dieses Coachings ist, Mitarbeiter im Sinne der Unternehmensziele in die richtige Richtung

zu führen. Veränderungen in der Qualität des Managements oder der Führung werden häufig dadurch erreicht, dass die

Dinge nicht schneller oder intensiver, sondern anders gemacht werden.9

Weiters geht systemisches Coaching davon aus, dass jeder Mensch die Ressourcen zur Lösung des Anliegens bereits

in sich trägt, diese ihm aber möglicherweise gerade nicht zugänglich oder bekannt sind. Der Coach unterstützt den Coa-

chee durch unterschiedliche Methoden und Techniken bei seiner besten Lösungsfindung.10

Die Erfahrungen aus dem Einzelcoaching lassen sich auch in Teamprozessen anwenden. Hierbei gilt es ebenso, ein gutes

Lernumfeld für die gesamte Gruppe ( Filialteam ) zu schaffen, verborgene Potentiale sichtbar zu machen und als Gruppe

einen Konsens bezüglich Ziel und der daraus resultierenden individuellen Lösungen der einzelnen Teammitglieder zu

finden.11

3. Persönliche Zielsetzung

Meine persönliche Zielsetzung setzt sich aus folgenden Merkmalen zusammen:

- sichtbar machen von bereits vorhandenen Stärken im Team

- ausarbeiten von neuen Entwicklungsmöglichkeiten im Team

- gemeinsame Erstellung der nächsten Entwicklungsschritte

- Begleitung der nächsten Entwicklungsschritte

- Veränderung von Leistung und Verhalten, mit dem Ziel, Arbeitsergebnisse zu optimieren

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Daraus resultieren:

- Erweiterung von Sichtweisen und damit Gewinnung neuer Wahlmöglichkeiten

- Veränderung der Einstellung und des Verhaltens

- Veränderung der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter

- Veränderungen der Beziehung im Team

- das Ziel, eine gemeinsame Vision zu installieren

4. Voraussetzungen, um ein Teamcoaching zu leiten

Nachfolgend sind jene Voraussetzungen angeführt, die notwendig sind, um erfolgreich ein

Teamcoaching leiten zu können:

- die Fähigkeit, durch Fragen zu führen

- lösungsorientierte Fragen, weg vom Problem

- Fragen simpel und klar formulieren

- Zeit für die Antwort einer gestellten Frage geben

- Ziele und Teilziele zu formulieren und überprüfen

- das eigene Lösungshirn abzuschalten und die eigenen Lösungen nicht als die einzig wahren zu sehen.

- jedem Mitarbeiter mit der gleichen Wertschätzung begegnen

- sich an die jeweilige Geschwindigkeit anpassen

- jeden Gesprächspartner und jedes Thema ernst nehmen

5. Freiwilligkeit und Coaching

Freiwillig teilnehmende Mitarbeiter sind nicht immer diejenigen mit dem größten Entwicklungsbedarf. Denn: “Nicht die

Freiwilligkeit, sondern die Veränderungsmotivation des Coachees ist die entscheidende Voraussetzung für ein effektives

Coaching. In empirischen Studien konnte kein Zusammenhang zwischen Freiwilligkeit und Zielerreichung festgestellt

werden.“12

Die Motivation hängt bei verordneten Coachings aus meiner Sicht davon ab, ob das Feedback von der Führungskraft als

angemessen und förderlich erlebt wurde. Hier genau beginnt die Herausforderung an den Coach, gemeinsam mit dem

Coachee Vertrauen zu gewinnen und motivierende Ziele definieren zu können. „Eine Vertrauensbeziehung auch in einem

verordneten Coaching herzustellen, ist eine Herausforderung, der sich jeder Coach stellen sollte.“13

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„Letztendlich müssen Menschen von sich aus den Sinn darin finden und bereit sein, sich zu ändern oder eine bestimmte

Handlung zu setzen, damit sie diese neuen Handlungen tatsächlich setzen.“14

Wie lange wirken Drohungen wie beispielsweise „Beim nächsten Mystery Shopping muss das Ergebnis aber deutlich

besser werden!“? Auch Aussagen wie: „Sie wollen doch zu den Besten gehören“ oder „Wecken Sie den Sieger in Ihnen“

verlieren nach einiger Zeit an Spannung. Die Mitarbeiter spüren wohl Druck, wissen jedoch nicht, was und wie sie etwas

besser machen können.

„Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen,

sondern die Meinung, die wir von den Dingen haben.“ 15

Wir können Menschen nicht dazu bringen, sich nachhaltig in eine bestimmte Richtung zu verändern, ohne dass sie für

sich einen Sinn darin finden. Der Preis, der für die Veränderung gezahlt wird, muss niedriger sein als der Gewinn, den

ein Mensch aus der Veränderung zieht. Dies bedeutet, dass die Aufgabe des Teamcoaching ist, eine maßgeschneiderte

Problemlösung zu finden und den Anreiz zu geben, diese Veränderung anzugehen.

6. Phasen im Teamcoaching?

Nachfolgend wird ein mögliches Modell für ein Teamcoaching in sechs Phasen beschrieben.

6.1. Orientierungsphase/Einstiegsphase

Die Mitarbeiter werden intensiv wahrgenommen und eventuell notwendige Erklärungen, den Ablauf betreffend, gegeben

– mit dem Ziel, Vertrauen aufzubauen. Der Einstieg sollte nicht mit „Smalltalk“ verwechselt werden.

6.2. Situationsschilderung

Die Mitarbeiter beschreiben die jeweilige Situation und im Idealfall erzählen sie, was sie verändern möchten. Wichtig ist,

dem Mitarbeiter die Gelegenheit zu geben, sein Problem zu erläutern. Daher gilt für diese Phase: so kurz wie möglich,

so lange wie nötig!

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6.3. Auftragserarbeitung = Zieldefinition

Es ist wichtig, ein klares Ziel zu erarbeiten, d.h., ohne Zieldefinition ist kein erfolgreiches Teamcoaching möglich.

Ein Ziel ist erst dann klar definiert, wenn es sowohl dem Mitarbeiter als auch der Führungskraft klar ist. Die Überprüfung

wird mit einer kurzen Zusammenfassung durchgeführt. Dabei ist es wichtig, auf die Zustimmung jedes Mitarbeiters zu

achten, sei es durch Worte, Mimik, Gestik und Körperhaltung. Ein verbales Commitment aller ist einzuholen.

6.4. Lösungsgespräch

Im Lösungsgespräch muss das Idealbild möglichst klar und konkret beschrieben sein und alle dazugehörigen Elemente

(Beziehungen, Strukturen, usw.) berücksichtigt werden. Die Teilnehmer beleuchten alle Auswirkungen, die eine Lösung

auf ihr Umfeld haben könnte. Sie nehmen Abschied vom Problem und fokussieren sich auf neue Wahlmöglichkeiten

und andere Sichtweisen. Die Mitarbeiter werden mit geeigneten Fragen und Interventionsmöglichkeiten zu individuellen

Lösungen geführt.

6.5. Maßnahmenplanung

In dieser Phase ist Struktur besonders wichtig. Was ist bis wann zu tun? Was bedeutet dies ganz konkret? Was soll damit

erreicht werden? Was ist danach zu tun? Wie kann die Umsetzung kontrolliert werden?

6.6. Abschlussphase

Die Führungskraft und das Team haben die Möglichkeit, Rückmeldung über die Qualität und den Ablauf des Coachings

zu geben. So können Änderungen für Folgecoachings festgehalten und weitere Termine fixiert werden.

7. Zwei Methoden für Teamcoachings

Es gibt eine Vielzahl an Methoden, die wir anwenden können. Zwei davon werden nachfolgend kurz erklärt.

7.1. Skalierung

Skalierungsfragen sind ein wirksames Instrument, um im Coaching-Prozess schnelle Veränderungen einzuleiten. Die

Verwendung von Skalierungen kommt von Steve de Shazer, der sie in seiner lösungsorientierten Kurzzeitberatung wäh-

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rend des gesamten Prozesses immer wieder einsetzt.16

Beispiel: Wo stehen Sie denn gerade jetzt auf der Skala zwischen 0 und 10, wobei 0 bedeutet, wir sind völlig vom Weg

abgekommen, und 10 bedeutet, wir sind schon am Ziel. Welche Frage müsste ich Ihnen jetzt stellen, damit Sie um einen

Punkt höher kommen?

Unterschiedsbildende Fragen sind in der Arbeit besonders wichtig, um Denkanstöße beim Coachee anzuregen. Er soll

entdecken, dass er stets die Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Verhaltensweisen hat. Oft sind diese Unter-

schiede nur sehr schwierig in Worte zu fassen. Die Skalierung bietet sich an, diese leichter erlebbar und nachvollzieh-

barer zu machen.

7.2. Ins Ziel gehen, die Vision sichtbar machen

Ziel dieser Übung ist die Dissoziierung des Coachees von seiner Situation hin zu einem Bild, dass er gestalten kann.

Bilder nehmen einer Situation oft viel von ihrer Schwere. Es gelingt leichter, anhand des Bildes Veränderungen herbeizu-

führen. Hilfreiche Fragen wären beispielsweise:

„Worum geht es in Ihrem Bild?“

„Was sehen Sie an dem Bild, das Sie stört, Ihnen gut gefällt?“

„Welche Gefühle kommen, wenn Sie das Bild ansehen?“

„Was fehlt in Ihrem Bild?“

„Was sehen Sie an dem Bild, dass Sie nachdenklich macht?“

„Was ist Ihr Zielbild?“ „Welches Bild sollte entstehen?

„Was sollte sich am Bild rasch verändern, was kann noch warten?“

„Angenommen, Sie würden ab morgen früh ganz einfach so tun,

als gäbe es das neue Bild schon, wie würden die anderen reagieren?“

„Was tun Sie gleich morgen, um Ihrem Bild ein kleines Stück näherzukommen?“

„Der Langsamste, der sein Ziel nicht aus den Augen verliert, geht noch immer

geschwinder als jener, der ohne Ziel umherirrt.“ Gotthold E. Lessing

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8. Der Prozess

Nachfolgend wird der Ablauf zu einem Teamcoaching grafisch dargestellt.

Abbildung 1. eigene Darstellung

Die einzelnen Schritte werden nun im Hinblick auf die Anwendung zur Optimierung von Mystery Shopping Ergebnis-

sen detailliert erklärt.

Schritt 1: Gespräch Coach mit Führungskraft

Der Coach führt vor dem Teamcoaching ein Gespräch mit seiner Führungskraft. Ziel des Gesprächs ist, die Führungskraft

auf das bevorstehende Teamcoaching optimal vorzubereiten und sie in ihre positiven Ressourcen zu bringen. Folgende

Punkte sind zu klären: Ablauf des Coachings, grundsätzliche Einstellung des Teams zum Coaching, mögliche Ängste

und Bedenken der Führungskraft minimieren.

Schritt 2: Gespräch Führungskraft mit Team

Die Führungskraft bereitet ihr Team auf das bevorstehende Coaching vor. In diesem Vorgespräch sollen ebenso mögliche

Ängste oder Bedenken minimiert werden. Jedes Teammitglied hat die Aufgabe, sich vor dem Coaching mit der Zieldefi-

nition bereits auseinanderzusetzen.

HausübungGespräch Coach

mit Führungskraft

Gespräch Führungs-kraft mit Team

Optimales Setting

ZieldefinitionRessource

In die Vision gehen

Maßnahmen-planung

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Dazu stellt die Führungskraft Fragen, die die Mitarbeiter vorab bearbeiten und zum Coaching mitnehmen. 2 Fragen als

Beispiel:

1. „Welches Prozent-Ergebnis möchte jeder von Euch bei der nächsten Mystery Shopping Testung erreichen?“ Die Mit-

arbeiter bringen zum Coaching diese Zahl (Ziel) mit.

2. „Welche Stärken sind in unserem Team bereits vorhanden?“ Jeder Mitarbeiter schreibt pro Stärke eine Karte und

nimmt diese zum Training mit.

Schritt 3: Optimales Setting

Ein Seminarhotel oder eine externe Location sorgen für den nötigen Abstand, das Gefühl der Freiheit und Kreativität

setzt ein. Die Stühle, Tische, Getränke werden zur Verfügung gestellt und das Setting von den Mitarbeitern in Eigenregie

erstellt. Nicht zu empfehlen ist das Coaching in der Filiale.

Schritt 4: Die Zieldefinition / Übung

Das Ziel muss eindeutig definiert, messbar, erreichbar, bedeutsam und mit einer Timeline hinterlegt werden. Die Übung

der Skalierung bietet sich für diese Sequenz an. Wo befindet sich der Ist-Zustand im Team und wo sollte dieser im

nächsten Schritt sein? Die Mitarbeiter platzieren sich nun auf der Skala mit ihrer definierten Zielzahl. Bei Unterschieden

ist eine gemeinsame Zahl zu definieren (ein großes Blatt Papier vorbereiten).

Schritt 5: Welche Ressourcen haben wir schon / Übung

Hierzu werden die mitgebrachten Kärtchen genommen. Diese werden auf ein großes Bild geklebt und auf den Boden

gelegt.

Schritt 6: Ins Ziel gehen, Lösungsfindung / Übung

Die Mitarbeiter gehen nun gemeinsam in ihr Bild, halten inne und spüren die Veränderung. Sie sagen, was sie sehen

oder fühlen, und ergänzen gemeinsam, was fehlt.

Schritt 7: Maßnahmenplanung

Die Mitarbeiter beschäftigen sich mit der Frage “Was fehlt uns, um diese Ressourcen anzuwenden, bzw. welche Verhal-

tensweisen oder Abläufe müssen in der Filiale verändert werden?“ Beispiel: Sie haben herausgefunden, dass ausschließ-

lich geschlossene Fragen gestellt werden und möchten in Zukunft offene Fragen stellen.

Schritt 8: Hausübung

Beispiele: Ein Manko wurde bei der Kabinenberatung festgestellt. Dieses konnte im Coaching nicht bearbeitet werden.

Zwei Teammitglieder erklären sich bereit, dieses zu bearbeiten und kommen mit konkreten Vorschlägen ins nächste

Teamcoaching. Zwei weitere Teammitglieder bringen zum nächsten Treffen einen Input zum Thema „offene Fragen“ mit.

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Die Führungskraft unterstützt das Team bei Fragen und begleitet den Prozess in der Filiale. Ein weiteres Teammitglied

erklärt sich bereit, die Kolleginnen aufmerksam zu machen, wann immer sie eine offene Frage im Verkaufsgespräch hört

und hält diese schriftlich fest.

Schritt 9: Abschluss

Die Führungskraft und das Team haben die Möglichkeit, Rückmeldung über die Qualität und den Ablauf des Coachings

zu geben. So können Änderungen für Folgecoachings festgehalten werden und weitere Termine fixiert werden

9. Conclusio

„Kann dieses Teamcoaching dazu beitragen das Mystery Shopping Ergebnis zu verbessern.“

Aus heutiger Sicht kann ich dies noch nicht beurteilen, da die Ergebnisse der nächsten Testrunde noch nicht feststehen.

Festgemacht werden kann, dass das Training zur Teamhygiene beigetragen hat, das Miteinander verbessert und das Team

an der Ausarbeitung enormen Spaß hatte.

Woran wird das gemessen?

Das Training liegt nun drei Wochen zurück und bei den zwei letzten Filialbesuchen wurde ein völlig verändertes Team

vorgefunden. Die Abläufe, das Miteinander, der Spirit im Team haben sich wesentlich verbessert. Auch an den Kunden

konnte beobachtet werden, dass diese sich sehr wohl in der Filiale fühlten.

Die Führungskraft hat sich in diesen Prozess optimal integriert. Sie war Teil des Teams, hat dabei aber nie die Rolle als

Führungskraft verloren.

Welche Schlussfolgerung kann daraus gezogen werden?

Es bestätigt vollkommen den in der Einleitung erwähnten Ansatz. Eine Führungskraft ist nicht alleine für die Lösung ver-

antwortlich. Die Mitarbeiter tragen die für sich maßgeschneiderten Lösungen in sich. Die Aufgabe bestand darin, diese

sichtbar zumachen.

Eine weiterführende Überlegung ist nun: “Kann bei allen Teams ähnlich vorgegangen werden? Ist der Erfolg davon abhän-

gig, ob ein hoch motiviertes und zielorientiertes Team gecoacht wird?“ Was passiert bei Teams, die anders funktionieren?

Hier wird möglicherweise ein anderer Weg zu suchen sein. Das könnte zeigen, dass der angeführte Prozess ein Rahmen

und kein Regelwerk ist. Dies bestätigt die Individualität jedes Coachings und zeigt, dass es sich um einen Leitfaden

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handelt, der anzupassen ist.

„Misserfolg ist lediglich eine Gelegenheit, mit neuen Ansichten noch einmal anzufangen.“

Henry Ford

1) Mystery Shopping Agentur, online2) Grieger 2008, S. 51 3) Mystery Shopping Agentur, online4) vgl. interne Unterlage 2011, S. 4 – 95) Sonja Radatz 2009, S. 166) vgl. interne Unterlage 2005, o.S.7) Sonja Radatz 2009, S. 183 8) vgl. interne Unterlage 2005, o.S.9) vgl. interne Unterlage 2005, o.S.10) vgl. interne Unterlage 2005, o.S.11) vgl. interne Unterlage 2005, o.S.12) Karin von Schumann, Interview Manager Seminare Know How, Heft 147 13) Karin von Schumann Interview Manager Seminare Know How, Heft 14714) Sonja Radatz 2009, S. 4215) Sonja Radatz 2009, S. 4216) vgl. Frank Natho, online

10. Literaturverzeichnis

Grieger, G (2008). Die Ergebnisqualität von Testkunden aus unterschiedlichen Gruppen

beim Mystery Shopping. Dissertation: Flensburg

Mystery Shopping Spezialagentur (2012),http://www.scmystery.

at/index_main.php?cont=1020&type=1, aufgerufen am4.1.2012

Frank Natho. Einführung in das Arbeitsverfahren Skalierungsscheibe

http://skalierungsscheibe.de/pdf/einf.pdf, abgerufen am 20.12.2011

Palmers Textil AG (2011). Kriterienkatalog Mystery Shopping

Palmers Textil AG ( 2005 ) Führungskräfteentwicklung

Sonja Radatz (2003). Kindle Buch, Einführung in das systemische Coaching.

Verlag:Systemisches Management, 1050 Wien

Sonja Radatz (2009). Beratung ohne Ratschlag. Verlag systemisches Management: 1050 Wien

Karin von Schumann, Diplompsychologin (2010). Interview Manager Seminare Know How, Heft 147/Juni 2010

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Coaching – ein neuer Bestandteil des LehrlingsausbildungsprogrammsManuela Muckenauer

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was ist Coaching und welches Ziel verfolgt Coaching?

3. Zielgruppe Lehrlinge/Jugendliche

4. Themenkomplexe dieser Zielgruppe

5. Einsatz von Coaching in der Lehrlingsausbildung

5.1 Einzelcoaching

5.1.1 Definition Einzelcoaching

5.1.2 Geeignete Themenbereiche für Einzelcoachings

5.1.3 Übungen im Einzelcoaching

5.1.4 Exkurs: Telefonisches Einzelcoaching

5.2 Teamcoaching

5.2.1 Definition Teamcoaching

5.2.2 Vorteile Gruppencoaching

5.2.3 Übung im Gruppencoaching

6. Integration in den Lehrlingsausbildungsplan

7. Conclusio

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Palmers setzt seit Jahrzehnten auf die Entwicklung seiner Mitarbeiter. Karrieremöglichkeiten standen und stehen jedem

Mitarbeiter offen, sei es nun auf hierarchischer Ebene oder in Richtung Spezialistentum. Viele unserer heutigen Füh-

rungskräfte haben bei Palmers als Lehrling begonnen und sind heute in führenden Positionen tätig.

Dieses liegt dem umfassenden dualen Ausbildungswesen (Schule und Beruf) zugrunde, das bei Palmers um ein weite-

res Tool erweitert wurde – der Ausbildung durch Seminare. Palmers ist in Österreich führender Lehrlingsausbildner in

fachlicher wie auch persönlicher Entwicklung. Lehrlingsausbildung ist uns eine Herzensangelegenheit und wir sind uns

der Verantwortung, einen Jugendlichen in unsere „Obhut“ zu bekommen, sehr bewusst.

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„Lehrlinge befinden sich im Jugendalter in einer Übergangsphase von der Kindheit zum Erwachsenenalter. Es bedeutet

für den Heranwachsenden, vor allem „noch nicht erwachsen sein“. Vom psychologischen Standpunkt aus gesehen, ist

die Jugend eine Zeit der Identitätskrise. Denn einerseits endet nach biologischen Gesichtspunkten die Kindheit mit dem

Eintritt der Geschlechtsreife. Andererseits beginnt das Erwachsenenalter mit der wirtschaftlichen Selbständigkeit.“1

Aufgrund der heutigen gesellschaftlichen Gegebenheiten stellt dieses eine weitaus größere Herausforderung an den

Jugendlichen/Lehrling als noch vor 10 Jahren dar. Damit hat sich aber auch der Umgang mit Lehrlingen und damit auch

der Anspruch an drei Schlüsselpersonen – Eltern, Lehrer und Lehrlingsausbildner – verstärkt.

Alle drei Schlüsselpersonen „arbeiten“ mit dem Jugendlichen/Lehrling mit besten Absichten, allerdings unabhängig

voneinander.

Mein Ziel ist es, den Lehrling soweit zu unterstützen, mögliche Veränderungen und Konflikte im Zusammenspiel mit den

3 Akteuren selbständig bewältigen zu können und ihm damit die bestmögliche Ausbildung und Begleitung zu garan-

tieren. Als Lehrlingsverantwortliche und Beisitzende der Lehrabschlusskommission begleite ich Lehrlinge bereits seit

vielen Jahren und bin mir der Wichtigkeit einer zeitgemäßen Lehrlingsausbildung bewusst. Mit meiner Arbeit möchte ich

eine mögliche Form der Coaching-Implementierung in die Lehrlingsausbildung zeigen.

2. Was ist Coaching und welches Ziel verfolgt Coaching?

Coaching ist eine lösungsorientierte Beratungsform, die Personen, abgestimmt auf deren persönliche Bedürfnisse, in

herausfordernden Situationen Unterstützung bietet. 2

Inhaltlich ist der Coach angehalten, keine direkten Lösungsvorschläge zu unterbreiten, sondern unterstützt den Coa-

chee (den zu Coachenden) in seiner individuellen Lösungsfindung. Der Coach setzt sich nicht mit der Problembear-

beitung an sich auseinander, sondern ist angehalten, den Coachee dabei zu unterstützen, Lösungsvisionen bewusst zu

machen, diese zu installieren, Hindernisse, die die Lösungsvision beeinträchtigen, abzubauen und neue Muster, Verhal-

tensweisen zu implementieren. Der Coach fungiert dabei als Prozessbegleiter, der Coachee als Experte, der Ressourcen

und Lösungen bereits in sich trägt.3

Die Schlüsselaufgabe des Coaches ist es, gute Fragen zu stellen. In Bezug auf Jugendliche/Lehrlinge ist dabei zu ach-

ten, dass die Fragen so simpel und einfach wie möglich zu stellen sind. Als Erfolgsanker dient „Fragen müssen für den

Kunden stimmig sein und nicht für den Coach“.

So kann eine zirkuläre Frage wie „Würde Deine beste Freundin hier sitzen, wie würde sie die Situation beschreiben?“ den

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Lehrling anregen, nicht im Thema emotional verhaftet zu bleiben, sondern das Thema aus einer anderen Perspektive zu

betrachten und ihm damit die Möglichkeit geben, eine neue Sichtweise zu gewinnen.

Der Lehrling kann durch ähnliche, für den Alltag doch manchmal ungewöhnliche Fragen mit Überraschung, oder gar

kurzzeitiger Überforderung reagieren und benötigt zur Beantwortung länger Zeit.

Für den Coach ist die eingetretene Stille als Kompliment für eine ausgezeichnet gestellte Frage zu betrachten. Ausschlag-

gebend ist, diese Stille auszuhalten und dem Lehrling die benötigte Zeit zu geben. Falsch wäre, diese zu missinterpre-

tieren, sondern vielmehr als Ergebnis der Stimulans zu deuten, die den Coachee anregt, sein System zu verlassen und

damit neue Sichtweisen und Gedankenmuster zu ermöglichen. Eine Umformulierung bzw. Erweiterung der Ursprungsfra-

ge würde hier kontraproduktiv wirken. Fast einer Episode aus der Krimiserie „Columbo“ gleich, versucht der Coach nun

durch Fragestellungen dem Coachee „Verborgenstes“ zu entlocken – beinahe ein detektivisches Karussell.

Aktives Zuhören – sich als Coach gedanklich wie auch körperlich auf den Lehrling zu fokussieren, rundet das Kon-

strukt rund um das Thema der Fragestellung ab. Wenn mit dem Coachee vorab vereinbart, unterstützen Notizen diesen

Prozess enorm – jede Kleinigkeit ist von großer Wichtigkeit. Doch nicht nur auditive Beobachtungen unterstützen den

Prozess, große Bedeutung wird den „somatischen Markern“ beigemessen.

Der Begriff „Somatische Marker“ beschreibt eine Form der Abspeicherung von Erlebnis – Empfindungen in unserem

Gehirn, bewusst und unbewusst. Kommt es zu ähnlichen Erlebnissen, ausgelöst z.B. durch Erwähnung eines Wortes

oder Bildes, unabhängig, ob der Impuls vom Coach oder Coachee gesetzt wird, wird diese in Form von non-verbaler

Kommunikation, sprich von Mimik und Gestik, sichtbar.

Für den Coach ist dies ein wichtiger Parameter, den Fokus nicht nur auf das gesprochene Wort zu richten, sondern Wort,

Mimik und Gestik als Symbiose zu betrachten. Welches Thema lässt die Haltung des Coachees selbstbewusst wirken,

welches Wort oder welches Bild lässt seine Augen strahlen, welche Schilderung die Stimme kräftig erscheinen?

Hier werden positive Ressourcen plötzlich, im ersten Schritt vielleicht ausschließlich für den Coach, sichtbar. Die Auf-

gabe des Coaches besteht nun darin, den Coachee vermehrt in diese offensichtlich positive Ressource zu versetzen,

indem genau diese Sequenzen im gemeinsamen Gespräch thematisiert und schlussendlich als Basis zur Lösungsvision

manifestiert werden.

„Zielgruppen sind Personen mit Führungsverantwortung und/oder Management-Aufgaben.“4 Sehr wohl schließt dies

Personen ohne Führungsverantwortung nicht aus, geht es doch um eine vielfältige Beratung, im beruflichen wie auch

persönlichen Kontext. So kann Coaching auf jeden abzielen, auch auf Jugendliche. Allerdings stellt sich die Frage, in-

wieweit der Coachingprozess nicht für die Zielgruppe der Lehrlinge adaptiert werden sollte.

Coaching ist Beratung. Ein Coach ist nicht angehalten, Ratschläge zu erteilen, sondern angehalten, den Jugendlichen zu

unterstützen, eigene Entscheidungen treffen zu können.5

„Coaching setzt damit „Autonomie“ des Coachees voraus. Das ist insbesondere in Bezug auf Jugendliche nicht unbe-

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dingt verständlich: Coaching unterstellt, dass der oder die Jugendliche in der Lage ist, selbst autonome Entscheidungen

zu treffen, und dass er auch das Recht dazu hat. Coaching kann dann den Jugendlichen unterstützen, z. B. seine Ziele

oder seine Stärken und Schwächen zu klären, Probleme bei der Ausbildung genauer zu identifizieren, kann aber auch

Argumente bieten und von außen Möglichkeiten aufzeigen. Aber Coaching darf Jugendlichen die Entscheidung nicht

abnehmen.“6

Eckard König geht in seiner Ausführung so weit, dass er Coaching sowohl als Prozess- als auch Expertenberatung

bezeichnet. Während er mit Prozessberatung die klassische Form des Coachings beschreibt, versteht er die Expertenbe-

ratung als Mittel, dem Jugendlichen Anregungen auf Basis eigener Erfahrungen oder Lösungsmöglichkeiten zu geben.

Ausschlaggebend ist die Formulierung dieser Hinweise, die dem Jugendlichen die Entscheidungsfreiheit lässt. „Mir

würde diese Möglichkeit einfallen, um … zu lösen“ – als eine mögliche Variante.7

Mich erinnert die Beschreibung der Expertenberatung an die Methode des Mentoring. „Mentoring ist eine innerbetriebli-

che Form der Mitarbeiterbetreuung, häufig mit dem Ziel, neue Mitarbeiter rasch und problemlos einzuführen. Diese Auf-

gabe übernehmen in der Regel erfahrene Organisationsmitglieder. Darüber hinaus kann Mentoring auch als langfristige

innerbetrieblicher Karriereberatung fungieren.“8 Mentoring stützt sich in seiner Aufgabe auf folgende Pfeiler:

- Zuhören und Fragen stellen: Das Anliegen oder die Situation des Mentees

in seiner Gesamtheit geschildert zu bekommen.

- Bestätigen und Ermutigen: Den Mentee dabei unterstützen, seine eigenen

Fähigkeiten realistisch einzusetzen und wertzuschätzen.

- Beraten: Durch gezielte Fragen den Mentee die eigene Lösung finden lassen.

Eventuell eigene Ansichten und Erfahrungen beisteuern.

- Vorrausschauen und Schützen: Den Mentee auf mögliche Hindernisse

und Schwierigkeiten aufmerksam machen – ihm ein Netz bieten.

- Üben: Neues Verhalten durch Rollenspiele und Gespräche trainieren.

Die Schlussfolgerung, die ich auch aus dieser Erkenntnis ziehe, ist, dass für das Gelingen meines Vorhabens, Lehrlinge

in ihrer beruflichen wie auch persönlichen Entwicklung optimal begleiten zu können, ein switchen zwischen Coaching

und Mentoring sehr nützlich sein kann. Entscheidend wird allerdings sein zu erkennen, welche Art der Beratung das

System des Lehrlings im Moment benötigt.

Dies zeigt mir, dass eine abgewandelte Form des Coachings für Jugendliche durchaus berechtigt, wenn nicht gar erfor-

derlich ist. Nicht außer Acht lassen möchte ich, dass sich Lehrlinge aufgrund ihres Alters mitten in der Pubertät befinden

und die im Folgenden beschriebenen Entwicklungsthemen zusätzliche Herausforderungen im Umgang mit Lehrlingen

mit sich bringen.

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3. Zielgruppe Lehrlinge/Jugendliche

Im Zuge der Pubertät stehen nicht nur die körperliche und psychische Entwicklung im Vordergrund, auch die geistige

Entwicklung schreitet mit riesigen Schritten fort. Wachstum, Geschlechtsreife, Sexualität, Generationenkonflikt, Aufleh-

nung, sind nur einige wenige Schlagworte, die den Jugendlichen tagtäglich begegnen.

Lehrausbildung:

War der Lehrling/Jugendliche bis zum Beginn der Lehre ausschließlich mit Lernen in der Schule beschäftigt, tritt er

nun in das Berufsleben, die wirtschaftliche Selbständigkeit, ein. Insbesondere Palmers, bekannt für eine ausgezeichnete

Ausbildung, setzt die Leistungsparameter sehr hoch an.

Die Anforderungen an einen Palmers Lehrling sind nicht nur kognitiven Ursprungs, wie z.B. Grundwissen um Materiali-

en, Kenntnis aller Produkte, deren Eigenschaften und Verkaufsargumente sowie die Abläufe des Verkaufs. Darüber hinaus

stellen psychomotorische Fähigkeiten, wie Auslagendekoration, Präsentation, Lagerbewirtschaftung und tagtägliches

Stehen oft eine Herausforderung für unsere Jugendlichen dar. Die affektiven Fähigkeiten, wie neue Umgangsformen und

Einstellungen, bringen die Jugendlichen oft an ihre Grenzen.

„Gefühlslage:

Die Gemütslage ist intensiv und zugleich unausgeglichen. Schon geringfügige Anlässe verursachen Angst, Unsicherheit,

Niedergeschlagenheit und schlechte Laune. Ebenso überschwänglich sind aber auch Freude und Begeisterung. Der

Wechsel der Gefühle kann sehr rasch erfolgen. Die Gefühlsschwankungen lassen das Selbstwertgefühl des Jugendlichen

mitunter übertrieben gesteigert, mitunter aber auch bis zum Lebensüberdruss herabgesetzt erscheinen.“9

„Generationenkonflikt:

Die zwischen Jugendlichen und Erwachsenen entstehenden Schwierigkeiten werden oft auf den sogenannten Generati-

onenkonflikt zurückgeführt. Der Generationenkonflikt ist jedoch keine unvermeidbare Notwendigkeit der menschlichen

Entwicklung, sondern stark vom Verhalten der Erwachsenen gegenüber dem Heranwachsenden abhängig.“10

Gespräche mit einer Auswahl an Filialleiterinnen ergaben, dass sich im Zusammenhang mit vorgenannten Herausforde-

rungen folgende Themenkomplexe/Probleme herauskristallisierten, die folgende Graphik veranschaulicht:

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4. Themenkomplexe dieser Zielgruppe

Auswirkungen / Themen

Unpünktlichkeit

Mangelhafte schulische Leistungen

Passives, re-aktives Verhalten

Respektlosigkeit gegenüber Kolleginnen und Kunden

Streit mit Freund/Freundeskreis

„Nicht bei der Sache sein“

Überforderung durch neue Aufgaben

„Sie merkt sich nichts“

Mangelndes Fachwissen

Wirkt bei Kunden sehr nervös

Oftmals kommt es trotz verschiedenster Gespräche und Tipps durch Lehrlingsausbilder zu keinen Verhaltensveränderun-

gen bei Lehrlingen. Grund dafür kann sein, dass lediglich Effekte, wie „nicht bei der Arbeit sein“, und nicht Auslöser, wie

z.B. „Streit im Freundeskreis“, bearbeitet werden.

Genau hier können verschiedenste Coaching Methoden unterstützen. Nachfolgend sind zwei Methoden näher erläutert.

ErwachsenerEltern

FreundSchule

BerufFreunde

SchuleKind

???

273

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5. Einsatz von Coaching in der Lehrlingsausbildung

5.1 Einzelcoaching

5.1.1 Definition Einzelcoaching/Systemisches Coaching

Sonja Radatz beschreibt, dass Coaching als Einzeltraining sehr oft missbräuchlich für „Ratschlagberatung“ verwendet

wird. Coachees wird dabei vermittelt, wie sie zu Höchstleistungen kommen, bzw. sie werden gedrängt, sich in eine be-

stimmte Richtung zu verändern. Radatz sieht darin eine Push-Vorgehensweise, die grundsätzlich nicht abzulehnen ist,

allerdings mit Systemischem Coaching nicht in Verbindung gebracht werden soll.11

„In der systemischen Arbeit verstehen wir unter Coaching die maßgeschneiderte Problemlösung im Spannungsdreieck

zwischen Beruf, Organisation und Privatleben oder in einem dieser drei Bereiche – eine Problemlösungsmethode, in wel-

cher der Coach für die passenden Fragen, hilfreiche Zusammenfassungen und die Einhaltung des Ablaufs verantwortlich

ist, und der Coachee eigenständige Lösungen für seine Situation – für seine anstehenden Fragestellungen – findet.“12

5.1.2 Geeignete Themenbereiche für Einzelcoachings

Nachfolgend greife ich folgendes Beispiel auf:

Laura, Lehrling im ersten Lehrjahr, ist stolz, Palmers Verkäuferin zu sein. Ihre Kolleginnen beschreiben sie als „braves“

Lehrmädchen aus gutem Haus, mit ausgezeichneten Umgangsformen. Laura lernt leicht, hat ihr eigenes Lager (Waren-

gruppe) gut im Griff und liebt es, Nebenarbeiten wie Warennachsortierung, Lager- und Putzarbeiten zu erledigen. Laura

zieht Nebenarbeiten eindeutig dem Verkaufen vor, im Kundenkontakt wirkt sie eingeschüchtert und bringt fast kein Wort

heraus. Lauras Ziel ist, ihren Kunden sicher und wissend gegenüberzutreten.

5.1.3 Übungen im Einzelcoaching

„Mein virtuelles Team“ eignet sich durch das Einbeziehen von virtuellen Beratern, die Laura in der Situation unmittelbar

unterstützen können. Nachdem Laura ihr Thema geschildert und ein Ziel definiert hat, wird der Auftrag erarbeitet.

In der Lösungsfokussierung führt der Coach Laura durch Fragen in die Vision, dass Laura diese oder eine ähnliche

Situation bravourös gemeistert hat. Laura wird nun angehalten, sich Personen vorzustellen, die sie dabei unterstützt

haben. Durch Namenskärtchen personifiziert, nehmen diese virtuellen Berater auf Stühlen im Kreis rund um Laura Platz.

In der Lösungsarbeit wird jeder Berater „befragt“, welche Anregungen und Tipps Laura von ihm erhält. Welche Berater

wird Laura in die nächste Kundenberatung mitnehmen, wo werden sie neben ihr platziert sein, woran wird sie erkennen,

dass sie da sind, wenn sie gebraucht werden – und was wird sie erinnern, dass sie da sind, falls sie sie braucht?

In der Maßnahmenerarbeitung beschäftigt sich Laura mit dem Installieren der neuen Verhaltensweise – was wird sie

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im nächsten Kundenkontakt tun?13

5.1.4 Exkurs: Telefonisches Einzelcoaching

Welche Möglichkeit der Beratung besteht, wenn ein Lehrling aufgrund eines akuten Themas/Vorfalls außerhalb der fest

definierten Coachingtage zeitnah Unterstützung braucht? Hier kann kein festgelegter Ablaufrahmen definiert werden, die

Vorgehensweise sollte auf den jeweiligen Fall individuell abgestimmt sein. Dringlichkeit wie auch Wichtigkeit müssen

abgeschätzt werden. Auch die Distanz wird für die weitere Vorgehensweise bestimmend sein.

In jedem Fall ist es wichtig zu reagieren. Dass der Lehrling von sich aus Kontakt sucht, zeigt, dass er Vertrauen in die

Form der Beratung und in seinen Coach hat. So sollte er die Unterstützung erhalten, selbst wenn kein Coaching im

klassischen Sinn möglich ist. Fragen wie „Was möchtest Du jetzt gerne tun?“, „Wie kann ich Dich gerade jetzt am besten

unterstützen?“ können dem Lehrling helfen, die Zeit bis zum nächsten Treffen zu überbrücken.

5.2 Teamcoaching

5.2.1 Definition Teamcoaching

Coaching kann im Bereich des Teams genutzt werden, um die Zusammenarbeit, Abläufe, oder Kommunikation in einer

Gruppe zu verbessern. Kann ein Teamcoaching auch für die Gruppe der Lehrlinge angewandt werden? Handelt es sich

doch um kein Team per se, sondern um eine Gruppe von Jugendlichen, deren Tätigkeiten und Aufgaben sich wohl äh-

neln, sie aber nicht gemeinsam in einem Team arbeiten. Somit ist es nicht erforderlich, Zusammenarbeit, Abläufe oder

Kommunikation verbessern zu müssen. Allerdings kann die Vergleichbarkeit der Aufgaben sowie der Herausforderungen

im Alltag genutzt werden, um die Gruppe zu befruchten. Ich bezeichne somit die Treffen mit Lehrlingen lieber als Grup-

pencoaching, bereichert um Übungen und Methoden aus dem Teamcoaching.

5.2.2 Vorteile Gruppencoaching

Durch die vorgegebene maximal mögliche Homogenität der Gruppe, wie dasselbe Lehrjahr, die daraus resultierenden

ähnlichen Interessen, Sprachmodalität sowie ähnliche soziale Erfahrungen, wird das Gefühl, von den anderen verstanden

zu werden oder aber auch das Erkennen der eigenen Probleme bei den Kollegen und die damit verbundene Erleichterung,

erreicht. Ebenso werden Erfahrungen und Tipps von Gleichaltrigen und sich in derselben Situation Befindlichen leichter

akzeptiert. Dies führt zu mehr Akzeptanz und „schmerzfreierer“ Selbstreflexion.

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5.2.3 Übung im Gruppencoaching

Die Methode „6-3-5“ eignet sich für diverse Problemlösungen und der damit verbundenen Ideensammlung und Ent-

wicklung von Vorschlägen. In Kleingruppen können 6 Lehrlinge an einem Thema arbeiten. (Selbstverständlich kann die

Gruppe erweitert werden und wird z.B. bei 10 Lehrlingen „10-3-5“ genannt.)

Auf einem DIN A4-Blatt wird eine Impulsfrage notiert, zu der sich jeder Lehrling 3 Ideen innerhalb von 5 Minuten über-

legt. Im Uhrzeigersinn wird das Blatt an die nächste Kollegin weitergereicht und diese kann weitere Ideen einbringen oder

die Ideen der Kollegin davor weiterentwickeln. Nach sechs Runden können im Idealfall 108 Ideen in 30 Minuten gefunden

werden. Im Anschluss werden die Ideen an einer Pinwand gesichtet und die interessantesten mit Klebepunkten bewertet.

6. Integration in den Lehrlingsausbildungsplan

Bevor es an die Umsetzung geht, gilt es zu überlegen, welche Rahmenbedingungen unterstützen können, um gezielt auf

die Bedürfnisse der Lehrlinge eingehen zu können:

- Wieviele Lehrlinge sind in welchem Lehrjahr zu begleiten?

- Wie ist die örtliche Aufteilung?

- In welches Schulsystem sind die Lehrlinge integriert?

- Block- vs. wöchentlicher Schulunterricht

- Welche Tagesressourcen innerhalb eines Jahres stehen je Lehrling zur Verfügung?

- Müssen alle Themen im Einzelcoaching besprochen werden oder gibt es auch

Themen, die die Gruppe betreffen?

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Daraus ergibt sich folgender Einsatzplan:

Lehrlingsausbildung 2012/13

August September Oktober November Dezember

Mi 1 Sa 1 Mo 1 Do 1 Sa 1

Do 2 So 2 Di 2 Fr 2 So 2

Fr 3 Mo 3 Mi 3 Sa 3 Mo 3

Sa 4 Di 4 Do 4 So 4 Di 4

So 5 Mi 5 Fr 5 Mo 5 Alle Bundesländer Mi 5

Mo 6

Alle Bundesländer

Do 6 Sa 6 Di 6 Do 6

Di 7 Fr 7 So 7 Mi 7 Mitte Fr 7

Mi 8 Sa 8 Mo 8 Do 8 West Sa 8

Do 9 So 9 Di 9 Fr 9 So 9

Fr 10 Mo 10 Alle Bundesländer Mi 10 alle Bundesländer Sa 10 Mo 10 Wien

Sa 11 Di 11 Do 11 So 11 Di 11

So 12 Mi 12 Fr 12 Mo 12 Alle Bundesländer Mi 12

Mo 13 Do 13 Sa 13 Di 13 Do 13

Di 14 Fr 14 So 14 Mi 14 Fr 14

Mi 15 Sa 15 Mo 15 Wien Do 15 Sa 15

Do 16 So 16 Di 16 Fr 16 So 16

Fr 17 Mo 17 Mi 17 Mitte Sa 17 Mo 17

Sa 18 Di 18 Do 18 West So 18 Di 18

So 19 Mi 19 Fr 19 Mo 19 Alle Bundesländer Mi 19

Mo 20 Do 20 Sa 20 Di 20 Do 20

Di 21 Fr 21 So 21 Mi 21 Fr 21

Mi 22 Sa 22 Mo 22 Wien Do 22 Sa 22

Do 23 So 23 Di 23 Fr 23 So 23

Fr 24 Mo 24 Follow-up Wien

Mi 24 Mitte Sa 24 Mo 24

Sa 25 Di 25 Do 25 West So 25 Di 25

So 26 Mi 26 Fr 26 Mo 26 Mi 26

Mo 27 Do 27 Sa 27 Di 27 Do 27

Di 28 Fr 28 So 28 Mi 28 Fr 28

Mi 29 Sa 29 Mo 29 Wien Do 29 Sa 29

Do 30 So 30 Di 30 Fr 30 So 30

Fr 31 Mi 31 Mo 31

Legende:1. Lehrjahr

A StarterseminarB Gruppencoaching

C Einzelcoaching

2. LehrjahrD Seminar

B GruppencoachingC Einzelcoaching

3. LehrjahrD Seminar

B GruppencoachingC Einzelcoaching

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7. Conclusio

Meine Arbeit mit Lehrlingen zeigt mir immer wieder, wie groß die Unterschiede zwischen Erwachsenen und Jugendlichen

sind, sowie die Komplexität der Ansprüche an uns Ausbildende und den Jugendlichen begleitende, mich als Trainer, die

Filialleitung und die Eltern ist.

Jugendliche switchen sehr oft und rasend schnell in ihren Rollen, mal präsentieren sie sich als Erwachsene und im

nächsten Moment zeigen sie ihre kindliche Seite. An uns stellt sich die Aufgabe, mit dem Wissen um die Herausforde-

rung, die die Pubertät an sich stellt, dass dieses einen ganz normalen Prozess darstellt und unsere Aufgabe darin besteht,

sie in dieser Entwicklung bestmöglich zu unterstützen.

Erste Coachinggespräche mit unseren Lehrlingen haben mir gezeigt, dass rasch Entwicklungsschritte durch Coaching

sichtbar wurden. Unsere Lehrlinge sind offener geworden, über ihre Sorgen und Probleme zu sprechen, fällt ihnen

zunehmend leichter. Auch Filialleiterinnen bestätigen diese Entwicklungsschritte und registrieren einen von Mal zu Mal

leichteren Zugang zu ihren Lehrlingen.

Nach Abschluss dieser Arbeit stellt sich mir die Frage, wie nächste Schritte in dieser umfassenden Thematik aussehen

könnten, habe ich doch das Ziel definiert, unsere Lehrlinge auch soweit zu unterstützen, mögliche Veränderungen und

Konflikte im Zusammenspiel mit den 3 Akteuren, Eltern, Lehrer und Ausbilder, selbständig bewältigen zu können.

Mein erster Schritt ist, meine Erkenntnis, die ich in der Coachingsausbildung errungen habe, in komprimierter Version

an unsere Filialleiter weiterzugeben. Dies werde ich im Rahmen eines Ausbildertrainings unter Verweis auf meine Arbeit

mit ihnen besprechen und gemeinsam weitere Schritte erarbeiten.

Einer der darauf folgenden Schritte, wie man Eltern in die Ausbildung und das berufliche Erwachsenwerden der Lehrlinge

mit einbinden könnte, sollte hierbei erarbeitet werden. Da dies sicherlich nicht ganz einfach ist, sich die Eltern in ihrem

Erziehungsauftrag gestört bzw. auch bevormundet vorkommen könnten, muss ich die sinnvolle Bereicherung und die

Gefahren einer Störung zwischen Ausbildungsstätte und Eltern sorgsam abwägen.

Diese Arbeit hat aber auch dazu beigetragen, meine Aufgabe als Trainerin für Lehrlinge von einer neuen Seite zu betrach-

ten und weitere Möglichkeiten im Erfüllen dieser umfangreichen Aufgabe zu erkennen. Ausbildung ist und bleibt für mich

eine Herzensangelegenheit.

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1) Palmers Textil AG 2007, S. 42) vgl. www.ig-coaching.de3) vgl. www.ig-coaching.de4) Koditek 2008, S. 125) vgl. König, 20026) König 2002, S. 147) vgl. König, 20028) Koditek 2008, S.139) Palmers Textil AG 2006, S. 310) Palmers Textil AG 2006, S. 311) vgl. Radatz 2000, S. 8312) Radatz 2000, S. 8513) vgl. Radatz 2000, S. 250

8. Literaturverzeichnis

Buch:

Palmers Textil AG (2006). Lehrlingsausbildungsplan. Wien.

Dr. Koditek, Thomas (2008). Systemisches Coaching im Prozess. Ein Lern- und Arbeitsbuch. Berlin

Radatz, Sonja (2002). Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für

Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Praxishandbuch mit den Grundlagen systemischkonstruktivistischen Denkens,

Fragetechniken und Coachingkonzepten. Wien: ISCT.

Internetquelle:

Rauen, Christopher. Coaching-Report

www.ig-coaching.de. Abgerufen am 04.03.2012

König, Eckard (2002). Qualipass. Fachgespräch „Coaching mit Jugendlichen durch Freiwillige“

http://www.qualipass.info/dokumente/coaching_mit_jugendlichen0210.pdf. Abgerufen am 06.03.2012

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Systemische Organisations- und UnternehmensberatungZielsetzungen und Perspektiven dieses AnsatzesBarbara Moser

Inhaltsverzeichnis

Abstract

Einleitung

1. Was ist systemisch

2. Systemische Organisations- und Unternehmensberatung

3. Wann findet der systemische Ansatz Verwendung

4. Die sieben Grundelemente systemischer Beratung

4.1 Kontextanalyse

4.2. Anerkennung bereits gefundener Problemlösungen

4.3. Veränderungsprozess als Dialog

4.4. Selbstreferenz

4.5. Wandlung und Entwicklung

4.6. Selbstwert und Kongruenz

4.7. Selbstorganisation

5. Werkzeuge systemischer Organisations- und Unternehmensberatung

5.1. Koppeln

5.2. Fragen zur Kontextanalyse

5.3. Fragen zur Konkretisierung

5.3.1. Fragen zu Verhalten und Transaktion

5.3.2. Unterschiedsfragen

5.3.3. Fragen nach Daten

5.4. Fragen zum Wechsel der Beobachtungsstandpunkte

5.4.1. Hypothetische Fragen

5.4.2. Zukunftsfragen

5.4.3. Zirkuläre Fragen

5.4.4. Fragen nach Klatsch und Tratsch

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5.4.5. Fragen nach der inneren Landkarte

5.5. Reframing

5.6. Splitting

5.7. Positive Konnotation

5.8. Das Gute im Schlechten, das Schlechte im Guten

5.9. Skulpturarbeit

5.10. Metaphern, Beispiele, Szenarios

5.11. Fokussieren

5.12. Widerspiegeln

5.13. Das Reflecting Team

5.14. Feedback

6. Zukunft der systemischen Organisations- und Unternehmensberatung

7. Conclusio

8. Literaturverzeichnis

Abstract

„Neue Wege entstehen beim Gehen“

(Roswita Königswieser, Martin Hillebrand, 2011, S 122)

Beim Durcharbeiten der Literatur für diese Arbeit hat mich dieser Spruch fasziniert und auch gleichzeitig motiviert, mich

auf dieses, für mich neues Thema einzulassen und nicht mehr länger zu warten, bis „ES“ kommt. Denn mit dem Schrei-

ben dieser Arbeit hat für mich tatsächlich ein neuer Weg begonnen.

„Das Systemische“ hat mich schon in den letzten Monaten fasziniert und deshalb konnte ich fast nicht anders, als mich

diesem Thema zu widmen, das eine Kombination aus schon „Gelerntem“ und „Neuem“ für mich ist. Diese Arbeit soll

einen Einblick in das System, seine Möglichkeiten in der systemischen Organisationsberatung und einen Ausblick für

die Zukunft geben.

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Einleitung

Der Begriff der systemischen Organisationsberatung entsteht in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre im deutschsprachigen

Europa und bezeichnet eine ganz bestimmte Herangehensweise in der Behandlung komplexer Problemstellungen von

Organisationen jedweden Typs. Bis vor wenigen Jahren wäre es schwer denkbar gewesen, eine breite Masse für dieses

Thema zu begeistern. Mittlerweile hat sich der systemische Ansatz aus seiner Nischenexistenz zu einer salonfähigen

Beratungsmethode in Wirtschaft und Non-Profit-Organisationen entwickelt.

Wann und warum Unternehmen systemische Organisationsberatung in Anspruch nehmen sollen, was damit erreicht wird

und welche Kriterien eine systemische Beratung vom inhaltsorientierten Beratungsansatz unterscheiden, das versuche

ich in dieser Arbeit aufzuzeigen.

Nach einer Einführung in die Welt des Systems und der Klärung einiger wichtiger Begriffe erfolgt im nächsten Teil die

Auseinandersetzung mit dem Ansatz der systemischen Organisationsberatung. Es werden Vorteile aufgezeigt, Anwen-

dungsmöglichkeiten dieses Ansatzes näher dargelegt sowie die sieben Grundelemente systemischer Beratung vorge-

stellt. Den Kern der Arbeit bildet eine Beschreibung der Werkzeuge systemischer Beratung, der keinen Anspruch auf

Vollständigkeit erhebt.

Im letzten Teil dieser Arbeit beschreibe ich Herausforderungen von Unternehmen in der Zukunft und gleichzeitig Mög-

lichkeiten, die sich daraus ergeben.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass aufgrund der 10-seitigen Vorgabe das Thema nur gestreift werden

konnte und sicher noch Potenzial für weitere Exkurse bieten würde.

1. Was ist systemisch

Der systemische Ansatz legt die Aufmerksamkeit auf das Zusammenwirken verschiedener Elemente in einem System und

versucht, ihrer Komplexität gerecht zu werden. Jedes Element bestimmt die Bedingungen aller anderen mit. Das Interesse

gilt den Strukturen, den Funktionen und dem Verhältnis der Funktionen und dem Verhältnis der Bestandteile innerhalb

des Gesamtgefüges, den Mustern und Regeln der Transaktionen und den Veränderungen von Systemzuständen. Systeme

sind zum Beispiel Paare, Familien, Gemeinden, aber auch Mitarbeiter, Teams und Unternehmen (Ellebracht Heiner, Lenz

Gerhard, Gisela Osterhold 2011, S 13).

Die Elemente innerhalb eines Systems werden als komplex (und nicht linear) miteinander verwoben verstanden. Es wer-

den Beziehungen erfasst und Verhalten beschrieben, statt feste Eigenschaften zuzuschreiben. Eigenschaften lassen sich

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nicht verändern und kleben oft wie unsichtbare Etiketten an Köpfen von Menschen. Hingegen, wenn jemand ein Verhalten

zeigt, könnte er auch ein anderes zeigen und schon gibt es eine Chance auf Veränderung.

Systeme funktionieren nach bestimmten Regeln. Es gibt Regeln des Zusammenlebens, der Zusammenarbeit, offizielle

und geheime Regeln. Jedes System ist aber dadurch charakterisiert, dass es bestimmte Handlungszusammenhänge

auswählt und reproduziert, nicht zuletzt, um Komplexität zu reduzieren.

Systemelemente stehen in Beziehung zueinander, sie führen Transaktionen aus, d.h. der Austausch zwischen den Ele-

menten beeinflusst andere Bestandteile, sie sind untereinander interdependent verknüpft. Zwischen den Elementen be-

steht also eine wechselseitige Abhängigkeit dergestalt, dass sich eine Veränderung innerhalb des Systems durch ein

Element auf alle Systemelemente auswirkt (Ellebracht Heiner, Lenz Gerhard, Gisela Osterhold 2011, S 17).

Außerdem bilden die Systemelemente eine Grenze, die sie von der Umgebung, der Umwelt unterscheidet, mit der sie

gleichzeitig in Austausch treten. Somit sind Systeme voneinander zu unterscheiden.

Teil der systemischen Sichtweise ist es, die Rolle des Beobachters in die Untersuchung miteinzubeziehen. Beobachter

beschreiben in der Regel ihre persönlichen Wahrnehmungen. In diesem Zusammenhang wird zwar oft von ganzheitli-

chem Denken und Vernetzung von Systemen und Systemebenen gesprochen, dabei aber übersehen, dass der Beobach-

ter „das Ganze“ analytisch in Systeme und deren Umwelten zerteilt, um es für eine mögliche Erklärung zu vereinfachen.

Der Beobachter entscheidet so, was er als System betrachten will und wo er die Grenzen des Ganzen setzt.

Außerdem ist die Beobachtung abhängig vom Standpunkt des Beobachters und somit eine subjektive Wahrheit. Es kann

also nicht darum gehen, „objektiv“ ein Ganzes zu erklären, was sicher nicht möglich ist, sondern Wechselbeziehungen

zwischen den Elementen und ihrer Umwelt zu beschreiben. Bei der Beschreibung dieser Beziehungen denken wir häufig

in Polarisierungen wie: entweder – oder, richtig – falsch, gut – böse, … Gefühlsmäßig erfassen wir aber bereits, dass

es keine absoluten Wahrheiten gibt. „Wahrheiten“ sind abhängig von Menschen und ihren Wahrnehmungen, von ihren

Erfahrungen, ihren Konstruktionen über das, was sie sagen, von den Beziehungen und dem Kontext, in denen sie gesagt

werden und in dem sie ihre Bedeutung erhalten.

Systeme haben ihre eigene Operationslogik. Auf dieser Grundlage interpretieren und handeln sie. Komplexe selbstrefe-

rentielle Systeme reagieren auf die Umwelt und auf sich selbst. Bei jeder Aktivität beziehen sie sich in ihren Operationen

auf sich selbst, bevor sie auf dieser Grundlage mit ihrer Umwelt in Kontakt treten. Die Ausrichtung in der Beratungsarbeit

heißt daher „ mit dem Kunden gehen“.

Soziale Systeme sind mit der selbständigen Identifikation des Problems aus der Innenperspektive in gewisser Hinsicht

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überfordert. Ihr Wissens- und Entscheidungsspielraum ist eingeschränkt und somit auch die Problemlösungskompe-

tenz. Daher besteht Beratungsbedarf.

2. Systemische Organisations- und Unternehmensberatung

Nach der systemischen Organisations- und Unternehmensberatung lassen sich komplexe Probleme nicht lösen, wenn

man die Aufmerksamkeit lediglich auf ein Element richtet (Wikipedia 2011, o.S.).

Es muss davon ausgegangen werden, dass Personen und Prozesse innerhalb eines Systems miteinander vernetzt sind.

Jedes Element bestimmt die Bedingungen aller anderen mit, jede Veränderung wirkt nicht nur am Ort und zum Zeitpunkt

der Intervention. Man muss das gesamte System berücksichtigen. Es geht um die Betrachtung derjenigen Handlungszu-

sammenhänge, die für das Verständnis des Systemgeschehens relevant sind.

Bei systemischer Beratung geht es primär um das Stärken der Ressourcen und Kompetenzen des jeweiligen, zu bera-

tenden sozialen Systems. Zur Betonung dieser Vorgehensweise wird systemische Beratung häufig auch als ressourcen-

orientierte Beratung bzw. lösungsorientierte Beratung bezeichnet. Im Unterschied zum inhaltsorientierten klassischen

Beratungsansatz, der Expertenberatung, ist die systemische Beratung überwiegend prozessorientiert.

Prozessberatung ist organisierte Hilfe für Entscheidungsprozesse und zielt ab auf die Erweiterung der Wissens- und

Handlungskompetenz des Kunden und die Generierung neuer Informationen, Perspektiven, Beobachtungen und Erkennt-

nisse über die Zusammenhänge im System. Statt instruktive Information im Sinne von „Mach es so oder so“ zu geben,

zielt systemische Beratung auf einen Erkenntnisprozess beim Kunden ab, der mit den konkreten personalen, kontext- und

kulturspezifischen Bedingungen kompatibel ist. Das heißt, der Kunde wird in die Lage versetzt, eine Lösung zu produ-

zieren, die zu ihm passt. Systemische Beratung ist zielgerichtete Kommunikation und zielt ab auf Selbstreflexion und

Selbstaufklärung sozialer Systeme, Veränderung subjektiver Deutungen und Veränderung gewohnter Handlungsmuster.

Der Grundgedanke systemischer Beratung ist demnach, dem Kunden Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten. Wichtig für den

Kunden ist, die Klärung der Zusammenhänge transparent zu machen und diese nicht nur für sich selbst zu erschließen

(Ellebracht Heiner, Lenz Gerhard, Gisela Osterhold 2011, S 23).

Des Weiteren werden bei der systemischen Organisationsberatung Beziehungen in den Mittelpunkt der Betrachtung

gestellt: Nicht Objekte, sondern die Beziehungen zwischen den Objekten werden fokussiert, wodurch schnell bewusst

wird, dass das allseits geliebte Ursache-Wirkung Denken nicht mehr ausreicht, um das Verhalten von Organisationen zu

beschreiben. Außerdem – systemische Beratung beruht nicht auf Antworten, sondern auf Fragen. Durch gezielte Irritati-

onen werden Systeme in ihren tief eingespurten Verhaltensmustern hinterfragt, um neue Informationen herzustellen und

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so der Veränderung eine Chance zu geben.

Probleme, die in einem System auftauchen, werden nicht nur bearbeitet, sondern zusätzlich auch als Anlass für weitere

Entwicklung und Veränderung genützt. Es bedeutet auch, Probleme in ihrem größeren Zusammenhang zu sehen und

nicht an einzelnen Symptomen zu arbeiten.

Systemisches Denken und Handeln entspricht einer Haltung: Der Kunde ist kundig. Das System des Kunden ist das

Expertensystem, das über Wissen, Erfahrungen und Bilder der eigenen Realität in hohem Maße verfügt. Die Aufgabe des

Beraters ist es, das System zu spiegeln, mit unterschiedlichen Brillen zu betrachten und die Unterschiede transparent zu

machen. Dadurch entsteht bewusste Irritation, die neues Denken und Handeln ermöglicht.

Systeme brauchen, nach der Theorie der systemischen Organisationsberatung, nur Unterstützung bei der Lösung ihrer

Probleme. Die Lösung muss von innen kommen. Die Experten des Problems sind die Mitarbeiter, die das Problem

haben. Systemische Beratung fokussiert mit ihren Interventionen wie z.B. Coaching auf die Wechselwirkung in sozialen

Systemen (wie Unternehmen oder Abteilungen), um ihre Regeln, die das Verhalten der Personen in diesen Systemen

leitet, zu verstehen.

Um jedoch Veränderungen herbeiführen zu können, geht es nicht darum, die Regeln zu verstehen, denen ein System

folgt. Das ist aus systemischer Sicht einem Außenstehenden auch gar nicht möglich. Es ist vielmehr wichtig, dem Kun-

den zu helfen, andere Perspektiven einzunehmen, um die eigenen Muster zu erkennen. Dabei werden drei Dimensionen

benutzt: die Zeit, die Wahrnehmungsebene und die Interventionsebene.

Für den Beratungsprozess gilt, sich die „Konstruktion der Wirklichkeit“ zu vergegenwärtigen, um nicht den „eigenen

Wahrheiten“ zu erliegen und diese für wertfrei zu halten. Berater sind darauf angewiesen, sich selbst in die Beobachtung

mit einzubeziehen. Damit kennen sie die Bedeutung des Beobachtungsstandpunktes und schaffen Möglichkeiten, wie sie

bei sich selbst und ihren Kunden den Beobachtungsstandpunkt verändern und wechseln können. Aus dieser Perspektive

spielen nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Unterschiede in der persönlichen Wahrnehmung eine wich-

tige Rolle. Unterschiede werden als neue Informationen, die zur Erweiterung des eigenen Blickwinkels führen, bewertet.

Hierdurch eröffnet sich eine Welt der Vielfalt. Wenn es nicht eine Wahrheit gibt, dann stehen mehrere Betrachtungen als

Optionen zur Verfügung, die Entscheidungsspielräume schaffen und damit Freiräume ermöglichen.

So finden sich Wege aus Engpässen und verbohrtem Denken. Im Beratungsprozess gibt es immer wieder duale Erklä-

rungen, die wenig hilfreich sind. Wenn Menschen etwa bei neuen Entwicklungen in „richtig-falsch“- Kategorien denken,

werden sie keine Experimente zulassen. Experimente sind aber Optionen auf dem Wege zu besseren Lösungen und für

Neuentwicklungen unbedingt nötig.

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Bei der Prozessberatung liefert der Berater jedoch nach der Analyse keinen fertigen Lösungsvorschlag. Die Lösung wird

innerhalb des Kundensystems erarbeitet. Die Beteiligten sollen in die Lage versetzt werden, selbständig die passende

Lösung zu entwickeln. Der Berater unterstützt und begleitet den Prozess.

3. Wann findet der systemische Ansatz Verwendung

„Im Allgemeinen wird systemische Beratung dann in Anspruch genommen, wenn die traditionellen (auf Symptome oder

einzelne Phänomene reduzierten) Beratungen nichts nützen und die Probleme immer wieder kommen. Oft ist systemi-

sche Beratung also der zweite Versuch. Manchmal gibt es allerdings auch Organisationen, die um die Kraft der systemi-

schen Beratung wissen und erkannt haben, dass hinter den auftauchenden Problemen unproduktive Muster in der Kultur

und der Kommunikation stecken. Diese sind hartnäckig und schwer zu verändern. Denn das ist die Stärke systemischer

Beratung – mit diesen komplexen Themen umgehen zu können: meint Ruth Seliger, Train Consulting“ (Magazin Training

2011, o.S.).

Ruth Seliger zählt auf: „ Bei immer wiederkehrenden Prozessen, die unproduktiv sind. Bei der Annahme, dass die Orga-

nisation selbst das Potenzial hat, diese Probleme zu lösen, allerdings nicht weiß, wie – dann ist systemische Beratung

angesagt“ (Magazin Training 2011, o.S.).

Folgende Themen sind ebenfalls für systemische Beratung geeignet: „Im Falle von Veränderungsprozessen bei Restruk-

turierungen, neuen Führungspersonen, bei Konflikten im Team, Kulturschwerpunkten wie z.B. bei Nachhaltigkeitspro-

jekten oder sobald mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Fachberatung und systemische Organisationsberatung

ergänzen sich in der Praxis oft bzw. werden parallel geführt.“

„In den meisten Fällen handelt es sich um Veränderungsprojekte“, bemerkt Mag. Birgit Fischer-Sitzwohl (Geschäfts-

führerin Coverdale Österreich). Und sie führt weiter aus: “ Wenn etwas nicht mehr klappt – in der Zusammenarbeit, in

den Abläufen, in der Führung usw., hat ein Unternehmen, das Beratung in Anspruch nehmen will, zwei Möglichkeiten:

Entweder es holt sich einen Berater, der als Fachberater tätig ist (Magazin Training 2011, o.S.).

Er kennt entweder das Unternehmen oder andere Unternehmen, die diesem ähnlich sind und empfiehlt Lösungen, die

dort schon funktioniert haben, oder von denen er glaubt, dass sie funktionieren werden. Oder es holt sich einen syste-

mischen Organisations-Berater, der gemeinsam mit Vertretern der Organisation die Lösung entwickelt, die spezifisch auf

die jeweilige Organisation passt. Die inhaltliche Kompetenz kommt dabei aus dem Unternehmen oder wird zugekauft. Die

Prozesskompetenz kommt vom Berater (Magazin Training 2011, o.S.).

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Systemische Beratung ist auch dann von großem Vorteil, wenn es um Entscheidungen geht, die sich auf die Zukunft

auswirken. Ein systemischer Zugang ist außerdem dann zu empfehlen, wenn mehrere Personen, Teams oder zukünftige

Entwicklungen davon betroffen sind (Magazin Training 2011, o.S.).

4. Die sieben Grundelemente systemischer Beratung

4.1. Kontextanalyse

Als erster Schritt im Veränderungsprozess gilt es, das Feld aller Transaktionen im System zu beschreiben. Man kann

sich dieses Transaktionsfeld als „Landschaft“ vorstellen, der man sich nähert, um sie zu entdecken und zu differenzieren.

Folgende Fragen können helfen, das Transaktionsfeld zu sondieren:

- Welche Bedingungen, Strukturen und Personen organisieren und beeinflussen das System?

- Welche harten und weichen Daten sind nötig, um das Umfeld angemessen beschreiben zu können?

- Welche subjektiven Deutungen, Strategien, Regeln und Verhaltensweisen dienen der Entwicklung,

Erhaltung und Auflösung von Strukturen?

4.2. Anerkennung bereits gefundener Problemlösungen

Bereits gefundene Problemlösungen sind zu respektieren und als zu diesem Zeitpunkt mögliche und sinnvolle Strategien

anzuerkennen. Es dient der Weiterentwicklung von kreativen Lösungen, alte Strategien auf ihre damalige Nützlichkeit und

im Hinblick auf ihre Wirkung für heute und morgen zu prüfen. Das heißt zu lernen. Motivation für alle handelnden Per-

sonen ist die Folge und dies hat positive Konsequenzen für die Entscheidungsfreudigkeit. Es ist hilfreich, wenn sich der

Berater in jedem Gespräch darum kümmert, was bereits in Richtung Lösung unternommen wurde und welche Ergebnisse

dabei erzielt wurden.

4.3. Veränderungsprozess als Dialog

In den Fragen und Antworten liegen die befruchtenden Elemente, hingegen sind Interpretationen, Bewertungen und

Behauptungen weniger hilfreich. Das Tun des einen stimuliert das Tun des anderen. Alle verschaffen sich Freiraum und

bringen sich in eine Haltung, in der Kreativität und Flexibilität möglich sind.

In Lernprozessen lernt nicht nur ein Beteiligter: Lehrer und Lernender schaffen gemeinsam eine Lernbasis. Wo Mitar-

beiter unselbständig arbeiten, nur Anweisungen befolgen, keine Entscheidungsfreiheit und keine Verantwortung für den

Prozessverlauf haben und Vorgesetzte kontrollieren, gibt es Abhängigkeiten und keinen Dialog. Um den Mitarbeiter, den

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Kunden oder wen auch immer in seiner Meinung, seiner Aktivität und seiner Kreativität einzubeziehen, muss man immer

wieder nachfragen.

4.4. Selbstreferenz

Gerne schreiben wir Eigenschaften und Etiketten Personen, Teams oder Unternehmen zu, ohne zu analysieren, worauf

diese in der Beobachtung begründet sind. Sie sind mehr Projektionen als Tatsachen. Wenn diese Erkenntnis nicht beach-

tet wird, werden subjektive Einschätzungen wie Wahrheiten gehandelt und verfestigen sich mehr und mehr, bis vergessen

ist, wo und wie sie entstanden sind. Es ist wichtig, dass man sich selbst in Beziehungsgestaltung sieht und zu sich selbst

in Distanz tritt, auch Selbstreferenz genannt. Berater sind nicht unfehlbar und deshalb ist es wichtig, sich rückbezüglich

im Geschehen einzubeziehen.

4.5. Wandlung und Entwicklung

Wandlung und Entwicklung brauchen Ziele und Visionen. Bei einem lösungs- und zielorientierten Vorgehen ist es im

Beratungsprozess unerlässlich, den Kunden nach seinen eigenen Zielen zu fragen.

Dabei geht es um übergeordnete Ziele ebenso wie um die Ziele einer Beratungssitzung oder einer Maßnahme. Deswegen

müssen zu ergreifende Handlungen und Maßnahmen auf Ziele, die dem Unternehmen von Nutzen sind, abgestimmt

sein! Oftmals sind Ziele unklar oder passen nicht auf die derzeitige Realität im Unternehmen. Manchmal gehen im Ge-

spräch die Ziele verloren. Dies ist leicht zu verhindern, indem der Berater in jedem Gespräch die Ziele nochmals explizit

formulieren lässt. Es ist oft auch hilfreich,Langzeitziele und Visionen anzusprechen. Wenn diese übereinstimmen bzw.

kompatibel sind, ergibt sich die höchste Leistungsfähigkeit.

4.6. Selbstwert und Kongruenz

Ein positives Selbstwertgefühl stärkt die Handlungs- und Begegnungsbereitschaft, den Mut zum Risiko, zum Gehen neu-

er Wege und führt so zu einer erhöhten Problemlösungskompetenz. Deshalb ist es im Prozess der Beratung unerlässlich,

herauszustellen, was gut gelaufen und gelungen ist und welche positiven Teile aus einem Problem zu gewinnen sind.

Jeder Berater sollte es sich zur Pflicht machen, seine Kunden für deren Leistungen zu loben und sie anzuspornen, sich

auch gegenseitig stärker wertzuschätzen.

4.7. Selbstorganisation

Statt die zu beratende Organisation oder Person von außen zu instruieren und in direkter Linearität eine Umsetzung der

eingegebenen Impulse zu erwarten, was bei Nichterfüllung nur zu Frustrationen bei Beratern und Kunden führt, werden

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die eingegebenen Impulse in ihrer Wirkung überprüft, berücksichtigt und verarbeitet. Dies wird als Teil der Selbstor-

ganisation gesehen und verstanden. Alle Beratung nützt nichts, wenn der Berater alles besser weiß. Wenn die Idee der

Selbstorganisation ernst genommen wird, steht der Berater vor der schweren Aufgabe, seine Kunden eigene Erfahrungen

machen zu lassen.

5. Werkzeuge systemischer Organisations- und Unternehmensberatung

5.1. Koppeln

Jeder Mensch hat eine eigene Operationslogik. Das heißt, jeder Mensch hat eine gewisse Grundprogrammierung, die

sich aus der Genetik, der sozialen Prägung und der Erfahrung ergibt. Menschen reagieren auf Umgebungsbeeinflussung

so, dass sie sich zunächst auf ihre eigene Grundprogrammierung stützen und dort überprüfen, ob und wie sie auf die

Einflussnahme reagieren können und wollen. Sich mit der Operationslogik seines Gegenübers zu koppeln ist der Zugang

zum Verändern.

Koppeln ist somit die Berücksichtigung, Einbeziehung und Anpassung unterschiedlicher Denk- und Handlungsebenen

im Beratungsgeschehen, sowohl beim Berater als auch beim Kunden. Koppeln bedeutet, sich mit dem Gesprächspartner

zu verbinden, Kenntnisse von seiner „Programmierung“ zu erwerben, die innere Landschaft und die Landkarte der be-

treffenden Person kennen zu lernen, gewissermaßen in der anderen Welt Teilnehmer zu werden. Dies geschieht, indem

man durch gezieltes Fragen die Welt des Gegenübers für sich erfahrbar macht. Koppeln bedeutet nicht, auf den anderen

einzureden oder schon zu wissen, was in ihm vorgeht.

5.2. Fragen zur Kontextanalyse

Bei der Kontextanalyse wird versucht, die Zusammenhänge im Transaktionsfeld des Systems kennen zu lernen und zu

verstehen. Es wird versucht, die Elemente, ihre Beziehungen und die Bedingungen im Kundensystem für den Berater und

die Kunden zu benennen und verständlich zu machen. Zum Beispiel durch folgende Fragen:

Welche Personen sind beteiligt, betroffen?

Wie stehen die Personen zueinander? (Nähe – Distanz)

Was sind die Ziele der Organisation?

5.3. Fragen zur Konkretisierung

Fragen nach Verhalten und Transaktionen, Unterscheidungsfragen und Fragen nach Daten führen beim Gesprächspartner

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zu einer Konkretisierung seiner Überlegungen und Aussagen. Dies ist natürlich wichtig, um sich eine erste Vorstellung

machen zu können, um in einen Fall „reinzukommen“. Diese Fragen dienen aber auch dazu, allgemeine und verallgemei-

nernde Aussagen bei Bedarf auf den Punkt zu bringen.

5.3.1. Fragen zu Verhalten und Transaktionen

Es geht darum, ganz konkretes Verhalten, Verhaltensabläufe und Transaktionen abzufragen und Verallgemeinerungen

zu spezifizieren.

5.3.2. Unterscheidungsfragen

Manche Systeme erscheinen so, als ob alle Mitglieder gleich wären und als ob es keine Unterschiede in der Betrach-

tung der Welt gäbe.

So ist es hilfreich, nach Unterschieden zu fragen und sich die Antworten gegebenenfalls als Ranglisten, Prozentanga-

ben oder Ahnliches klassifizieren zu lassen.

5.3.3. Fragen nach Daten

Man fragt hierbei nach Zahlen, Personen und weiteren Fakten.

5.4. Fragen zum Wechsel der Beobachtungsstandpunkte

Fragen zum Wechsel des Beobachtungsstandpunkts zielen darauf ab, neue Gedanken zu ermöglichen. Über das Ingang-

setzen eines kreativen Prozesses werden neue Optionen entdeckt. Man unterscheidet:

5.4.1. Hypothetische Fragen

Systeme im Engpass erlauben sich kaum, neue Ideen zu kreieren oder nach bisher ungelebten Möglichkeiten Aus-

schau zu halten. Je höher der Druck, desto enger wird der Tunnelblick. Hier gilt es neue Gedanken und Sichtweisen

ins Spiel zu bringen.

Was wäre, wenn …?

Angenommen …?

Stellen Sie sich vor …?

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5.4.2. Zukunftsfragen

Systeme, die Beratung suchen, glauben sich im Engpass, fühlen sich hilflos und ohnmächtig, wie in einem schwar-

zen Loch, aus dem es keinen Ausweg gibt. Die Gedanken richten sich in die Vergangenheit und auf fehlgeschlagene

Lösungen. Mit Zukunftsfragen öffnen wir ein Tor zu den bisher ungedachten Möglichkeiten der betroffenen Men-

schen und ihren Vorstellungen und Ideen. Hier wird möglicherweise zum ersten Mal darüber nachgedacht und

visioniert, wie denn die Zukunft anders sein könnte und welche verschiedenen Möglichkeiten es dazu gibt und dass

überhaupt eine Zukunft existiert.

Welche Ideen haben Sie, wie sich Ihre zukünftige Zusammenarbeit entwickeln könnte?

Welche Aufgaben sehen Sie in der Zukunft?

Wer könnten denn in 4 Jahren Ihre Kunden sein?

5.4.3. Zirkuläre Fragen

Zirkuläre Fragen können in Verbindung mit jedem anderen Fragetyp verwendet werden und schaffen eine Metaebe-

ne, die es möglich macht, andere Beobachtungsstandpunkte einzunehmen und andere Sichtweisen im Unterschied

zu der eigenen zur Kenntnis zu nehmen.

Was würde Ihr Kollege dazu sagen, wenn Sie mit Ihrem Chef essen gingen?

Wie reagiert der Kollege, wenn der Chef sich so benimmt?

Wie beurteilt Ihre Vorgesetzte denn den Konflikt zwischen …?

5.4.4. Fragen nach Klatsch und Tratsch

Jeder denkt über jeden irgendetwas, nur wird dies oft nicht persönlich mitgeteilt oder in formalen Zirkeln diskutiert.

Dadurch werden Unterscheidungen und individuelle Besonderheiten und Standpunkte vermieden. Hier besteht die

Möglichkeit, Gedanken positiv sanktioniert aussprechen zu lassen.

Was sagt man über Sie konkret?

Was sagt man woanders?

Wie denken Sie über Ihr Handeln oder Ihr Auftreten?

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5.4.5. Fragen nach der inneren Landkarte

Wir bewerten tagtäglich etliche Male nicht nur in gut oder schlecht, sondern differenzieren in verschiedene Rich-

tungen und auf verschiedenen Ebenen. Auf diese Art geben wir laufend innere Zuschreibungen und geben dem

Geschehen Sinn. Wenn wir deshalb fragen „Wie erklären Sie sich das?“, fragen wir nach dem sinnstiftenden

Hintergrund. Dies kann nicht nur eine wichtige Information für den Berater, sondern auch für die betroffenen Kun-

den fokuserweiternd sein.

Welche Bedeutung hat das für Sie?

Welchen Stellenwert geben Sie dieser Sache?

Welche Rolle spielt für Sie die Zusammenarbeit?

5.5. Reframing

Reframing bedeutet, einen Sachverhalt in einen anderen Zusammenhang zu stellen, durch eine andere Brille anzu-

schauen und von einer anderen Warte zu betrachten. Allein die Sprache reicht häufig nicht aus, eine Mitteilung korrekt

zu verstehen. Hinzu kommen Tonfall, Mimik und Gesten, die der Mitteilung erst ihre Bedeutung geben. Ändern wir den

Rahmen, dann kann sich auch die Bedeutung verändern. Reframing kann auf Personen, aber auch auf einen größeren

Zusammenhang bezogen sein. Die Prämisse lautet: Es gibt noch andere Möglichkeiten, die Sache zu sehen.

Durch Umdeutungen kann mehr Flexibilität und Selbstbewusstsein erreicht werden, und dadurch wird die Eigenkomple-

xität erhöht. Die völlig konträre, oft paradox wirkende Sichtweise löst Überraschung, Irritation, positive Verstörung aus

(Königswieser Roswita, Hillebrand Martin 2004, 2011, S 90).

5.6. Splitting

Diese Methode kommt zur Anwendung, wenn es Streit zwischen zwei Parteien oder zur Verfestigung von zwei Strömun-

gen in der Gruppe kommt. Zwei Berater vertreten verschiedene Anteile, die im System sind. Durch die Rollenteilung

fühlen sich die beiden Seiten spiegelbildlich verstanden und überrascht. Der Widerspruch wird im Beratersystem ohne

Konsensbemühen reproduziert und so leichter bearbeitbar. Dieses Splitten bewirkt bei den Streitparteien eher eine Kom-

promisshaltung, weil man sieht, wie absurd der Konflikt ist (Königswieser Roswita, Hillebrand Martin 2004, 2011, S 91).

5.7. Positive Konnotation

Wertschätzendes Feedback, die Vermittlung von echtem „beeindruckt Sein“ gibt Energie, verbreitet Zuversicht, fördert

Vertrauen, überrascht. Positive Konnotation wird nicht isoliert, sondern je nach Kontext vorweg als Würdigung ausge-

sprochen oder z.B. am Ende des Erstgesprächs, bei Rückspiegelungen etc. oder in Kombination mit anderen Interventi-

onen angewendet.

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5.8. Das Gute im Schlechten, das Schlechte im Guten

Diese Intervention wird immer dann angewendet, wenn man das Gefühl hat, eine Seite des Widerspruchs ist unterbelich-

tet, z.B. Situationen sehr schwarz und als aussichtslos gesehen werden. Seltener muss die dunkle Seite bewusst gemacht

werden. Diese Technik bewirkt meist große Überraschung, Aha-Erlebnisse, eine differenzierte Sicht. Wirkt besonders in

Kombination mit dem Reflecting Team.

5.9. Skulpturarbeit

Bei der Skulpturarbeit werden innere Bilder mit Hilfe von Personen, die im Raum aufgestellt werden, nach außen ge-

bracht. Der Kunde wird gebeten, mit Hilfe von Personen das System und die beteiligten Personen und Elemente in ihrer

Haltung und Position zueinander aufzustellen. Die Entscheidung, wie weit oder eng das System zu fassen ist, liegt beim

Berater und Kunden in einem gemeinsamen co-kreativen Prozess. In das dargestellte System gehören alle Elemente

und Personen, die für das Problem bzw. die Lösung relevant sind, miteinander agieren und als bedeutsame Elemente

erachtet werden. Die Position der Elemente und Personen wird nach Distanz, Haltung und eventuell Höhe festgelegt.

Durch wiederholtes Fragen nach „was neu für ihn ist, was er deutlicher sieht als vorher, was noch fehlt“ bekommt der

Kunde eine andere Sichtweise und daher ein immer klareres Bild von der Situation. In einem Beratungsgespräch sind die

beteiligten und betroffenen Personen nicht jederzeit anwesend. Um die Beziehungen und Strukturen trotzdem deutlicher

hervortreten zu lassen, kann auch die Technik der Skulptur verwendet werden – Personen und andere Elemente werden

durch konkrete Gegenstände dargestellt.

5.10. Metaphern, Beispiele und Szenarios

Zu den verbalen Möglichkeiten der Veranschaulichung zählen vor allem Vergleiche anhand von Metaphern, Beispielen

und Szenarios. Diese Techniken sorgen dafür, dass die Beschreibung von Beobachtungen und Sachverhalten klarer wird

und man sie sich wie ein Bild vor dem geistigen Auge vorstellen kann.

5.11. Fokussieren

Im Beratungsgespräch geht es darum, möglichst genaue Informationen über Art und Qualität der Transaktionen innerhalb

des Systems zu erzeugen. Der Berater muss, um erfolgreich wirken zu können, konkrete Informationen erhalten, sodass

die Kunden im Gespräch ihren Blick für die eigene Situation erweitern und schärfen. Oftmals geben Menschen unklare,

widersprüchliche oder verallgemeinerte Stellungnahmen ab. Aufgabe des Beraters ist, diese zu fokussieren, gewisser-

maßen „verschwommene“ Bilder scharf zu stellen. Dies geschieht einerseits durch Nachfragen, aber auch durch die Bitte

um Beispiele. Wenn konkret Beispiele genannt werden, bleibt weniger Raum für Interpretationen, Übertreibungen und

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Verallgemeinerungen.

5.12. Widerspiegeln

Die Technik des Widerspiegelns dient dazu, sich zu vergewissern, dass man sein Gegenüber und die geschilderte Situa-

tion richtig versteht. Der Berater stellt durch Formulierungen wie „habe ich Sie richtig verstanden, dass …“ oder „heißt

das, dass …“ klar, worum es sich handelt. Dem Berater bietet sich hier außerdem die Möglichkeit, eigene Hypothesen

zu überprüfen, indem er nicht genau das Gesagte wiederholt, sondern das von ihm Gehörte in einem erweiterten Rahmen

widerspiegelt („Wenn Sie das so sehen, bedeutet das für Sie, dass man generell …“). Das Gegenüber wird dann bestä-

tigen oder seine eigene Aussage nochmals konkretisieren.

5.13. Das Reflecting Team

Falls mehrere Berater im Gespräch anwesend sind, setzen sie sich für diese Technik zusammen und tauschen ihre Ideen

zum Beratungsanlass und -prozess aus. Die Kunden sind im Raum mit anwesend und hören zu. Auf diese Weise erhalten

sie unterschiedliche Ideen zum Geschehen, und anstelle von klaren Anweisungen oder instruktiven Informationen wer-

den sie in ihren eigenen Gedanken entsprechend aufgeweicht. Anschließend entwickelt sich dann in ihnen eine eigene

Idee für das weitere Vorgehen. Es entsteht ein „kreatives Feld“.

5.14. Feedback

Feedback ist ein wirkungsvolles Instrument zur Entwicklung und zum Schaffen von neuen Informationen. In vielen Or-

ganisationen ist es generell noch immer wenig verbreitet, sich gegenseitig Rückmeldung über Aspekte der Zusammen-

arbeit zu geben. Um zu ermöglichen, dass ein tatsächlicher Informationsaustausch stattfindet, denn darum geht es ja

im Grunde, dass der andere wahrnimmt, was ich wahrnehme, müssen bestimmte Spielregeln zum Feedback erlernt und

eingehalten werden.

Der Berater kann selbst Feedback geben, gegenseitiges Feedback anregen oder sogar eine Kultur von regelmäßigem

Feedback in der Organisation initiieren. Dabei ist zum Einstieg am einfachsten, wenn jedes Feedback nach einem vor-

geschriebenen, wenn auch zunächst als unnatürlich empfundenen Muster gegeben wird. Dabei sollte zunächst etwas

Positives über die Person gesagt werden und dann etwas Entwicklungsförderndes.

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6. Zukunft der systemischen Organisations- und Unternehmensberatung

Mit welchen Problemen und Herausforderungen Beratung konfrontiert ist und wie sie sich selbst verändern und wei-

terentwickeln wird, hängt eng mit den gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen, von denen Wirtschaft ein wichtiges

Element ist. Organisationsberatung ist in diesem Sinne auch der Spiegel sozioökonomischen Wandels.

Alle Organisationen haben sich der Herausforderung zu stellen, dass ihre Leistungsfähigkeit und damit letztlich ihre

gesamte Existenzberechtigung auf eine ganz neue Weise immer wieder auf dem Prüfstand steht.

Berater haben es nicht nur mit großen Beratungsprojekten, sondern immer häufiger auch mit kleineren und mittleren

Projekten bei global agierenden Unternehmen zu tun. Interne kulturelle Diversität kann zwar eine Bereicherung dar-

stellen, kann aber auch, wie aus Beispielen von Fusionen und Übernahmen bekannt ist, zu Problemen führen. Dieser

Entwicklung muss auch der Berateransatz Rechnung tragen, indem das Beratersystem selbst internationaler wird. Die

Herausforderung und Chance für die Zukunft von Beratung besteht dabei darin, über das gesamte Netzwerk hinweg für

eine professionelle, möglichst einheitliche Ausbildung zu sorgen, ohne dass dies nivellierend wirkt.

Entgegen dem bewährten Grundsatz systemischer Beratungsansätze geht „Königswieser davon aus, dass sich in an-

spruchsvollen Entwicklungsprojekten zwischen Beratersystem und Klientensystem eine enge Entwicklungsgemeinschaft

als notwendig und sinnvoll herausstellt“ (Königswieser Roswita, Hillebrand Martin 2004, 2011, S 117). Auch für das

Beratersystem bedeutet die Entwicklungsgemeinschaft gemeinsames Lernen. Weil systemische Interventionen nur eine

Berechtigung haben und Sinn ergeben, wenn dadurch Lern- und Veränderungsprozesse ausgelöst werden, muss das

Beratersystem auch Verantwortung und indirekt Führungsfunktion übernehmen. Dabei muss es lernen, auch die Logik

der „hard facts“ zu verstehen und sie in die systemische Arbeit zu integrieren.

Ein weiterer eng mit dieser Problematik zusammenhängender Aspekt ist die Notwendigkeit der Arbeitsteilung zwischen

internen und externen Beratungsfunktionen. Viele dieser Funktionen können von immer mehr und immer besser ausge-

bildeten Organisationsmitgliedern selbst wahrgenommen werden. Externe Berater werden daher bewusster und gezielter

eingesetzt werden. Die interne Verankerung der Verantwortlichkeit für Prozesssteuerung wirkt sich auch in einer höheren

Nachhaltigkeit von Veränderungen aus: Die Betroffenen verantworten die Umsetzung selbst. Die Qualifikationsanforde-

rungen an systemische Organisationsberater werden weiter steigen, denn es genügt nicht mehr, sich das Etikett „syste-

misch“ umzuhängen oder bloß Kommunikationsprozesse zu moderieren.

„Königswieser vertritt die Ansicht, dass sich systemische Prozessberatung daher verstärkt um das Fachwissen relevanter

Geschäftsprozesse wird kümmern müssen.“ Ebenso wird es umgekehrt nötig sein, dass sich die Fachberater Prozess-

Know-how aneignen, um Konzepte rascher und nachhaltiger umsetzen zu können. In der Integration beider Know-how-

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Bereiche liegt unserer Meinung nach die Zukunft von professioneller Beratung. Das Nacheinander oder Nebeneinander

von Beratungsansätzen ist aus Kundensicht nicht mehr zielführend und nutzbringend. Neue Beratungsmodelle, z.B. die

Komplementärberatung, stellen den Nutzen des Kunden in den Mittelpunkt (Königswieser Roswita, Hillebrand Martin

2004, 2011, S 119).

Das Komplementär-Modell greift den scheinbaren Widerspruch zwischen harten und weichen Faktoren in spezieller

Weise auf. Die Entwicklung von Unternehmen spielt sich vereinfacht immer in einer oder mehreren Dimensionen (Stra-

tegie, Struktur, Kultur) ab. Der komplementäre Ansatz trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die drei Themenfelder

wechselseitig beeinflussen und voneinander abhängig sind. Deshalb sind diese auch integrativ zu handhaben. Losge-

löste Einzelmaßnahmen, z.B. eine Optimierung der Abläufe, sind ohne Musterveränderung der Zusammenarbeit nicht

ausreichend. Statt Idealprozesse zu kreieren und parallel dazu „ideale“ Teamentwicklungsmaßnahmen zu setzen, geht es

beim Thema Prozessoptimierung vielmehr darum, selbst die zu verändernden Verhaltensmuster und deren Einfluss auf

die Abläufe zu verstehen und zu bearbeiten.

7. Conclusio

Beobachtet man das Weltgeschehen, damit natürlich auch die Menschen und die Unternehmen, in denen sie ihre Arbeit

verrichten, um Geld zu verdienen, dann wird es noch lange genügend Möglichkeiten geben, den systemischen Ansatz in

Unternehmen, für Menschen zu praktizieren. Durch den stetigen ökonomischen Wandel wird es natürlich auch eine Ver-

änderung bzw. Anpassung im systemischen Berateransatz geben. Werte wie persönliche Freiheit, Sinn und Eigenverant-

wortung werden an Bedeutung immer mehr zunehmen und so automatisch einen Wandel in, um und mit uns vollziehen.

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8. Literaturverzeichnis

Bentner Ariane (2007). Systemisch-lösungsorientierte Organisationsberatung in der Praxis.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht

Ellebracht Heiner, Lenz Gerhard, Gisela Osterhold (2011). Systemische Organisations- und Unternehmensberatung,

Praxishandbuch für Berater und Führungskräfte. Wiesbaden: Gabler

Königswieser Roswita, Hillebrand Martin ( 2004, 2011).

Einführung in die systemische Organisationsberatung. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag

Krizanits Joana (2009). Die systemische Organisationsberatung, wie sie wurde was sie wird, eine

Einführung in das Professionsfeld. Wien: Facultas

Pühl Harald (2009) Handbuch Supervision und Organisationsentwicklung.

Wiesbaden: Fachverlagsgruppe Springer Science + Business Media

Radatz Sonja (2000). Beratung ohne Ratschlag, Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen.

Wien: Verlag systemisches Management

Tomaschek Nino (2007). Perspektiven systemischer Entwicklung und Beratung von Organisationen.

Heidelberg: Carl-Auer-Verlag

Magazin Training (2011). Systemische Organisationsentwicklung http://www.magazintraining.com.

Abgerufen am 25.01.2012

Wikipedia (2011). Systemische Organisationsberatung

http://de.wikipedia.org/wiki/Systemische_Organisationsberatung.

Abgerufen am 17.12.2011

Wikipedia (2012). System http://de.wikipedia.org/wiki/System.

Abgerufen am 02.02.2012

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ToolsErgänzung zur Arbeit Teamcoaching

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ToolsErgänzung zur Arbeit Teamcoaching

Tools als Ergänzung zur Arbeit Teamcoaching

Rollenspiel

Quelle/Grundlage:Der Ursprung des Rollenspiels liegt in der Theaterpraxis und wurde besonders durch das Psychodrama in die Pädagogik eingeführt.

ZielRollenspiele helfen Problembereiche aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, schaffen Zugang zu neuen Themengebieten und können auf erfahrungsorientierte Weise Wissen vermitteln. Im Rollenspiel können neue Verhaltensweisen bzw. spezifisches Verhalten, in unbekannten Situationen, eingeübt und trainiert werden.- Kommunikationsprozesse werden analysiert- Emotionale Vorgänge und Charaktermerkmale werden aus der Metaebene betrachtet- Blockierende Beziehungsmuster werden transparent gemacht

BeschreibungEin eingebrachtes Thema wird von einem oder mehreren Teammitgliedern im Rollenspiel bearbeitet. Für die erforderlichen Rollen wählt das Teammitglied Protagonisten aus.

Durch das Zuschauen und selber spielen ergeben sich oftmals erstaunliche Ergebnisse und Erkenntnisse für die Beteiligten.

Um dabei klar darzustellen, welche Auswirkungen bzw. Reaktionen bestimmte Worte und Verhaltensmuster auf mein Gegenüber haben, können bestimmte Situationen mehrmals durchgespielt werden.

Nach dem Rollenspiel kommt die sogenannte Reflexion. Hier sollten die Protagonisten und Beobachter ihre Erkenntnisse und Beobachtungen beschreiben und interpretieren.

Anwendung im CoachingDas Rollenspiel kann bei jedem Problem, wo es um die Interaktion von Menschen geht, angewendet werden.

Materialevtl. Stühle und Tische – kommt auf das Rollenspiel an

AnmerkungenÄhnlich wie bei der Aufstellung können auch abstrakte Gegenstände eine Rolle spielen, z.B. könnte ein leerer Stuhl eine Person vertreten.

Tool

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Solution Circle

Quelle/Grundlage:Daniel Meier – Wege zur erfolgreichen Teamentwicklung. Bremgarten und Basel: Solution Surfers

ZielDiese Methode eignet sich um konflikthafte Situationen zu bearbeiten und dient als Chance zur nachhaltigen Weiterentwicklung.

Es wird eine Erfolg versprechende Zukunftsvision entwickelt. Teams erlangen wieder selbstverantwortliche Handlungsfähigkeit und dadurch die Möglichkeit, sich auf ein gemeinsames Ziel zu konzentrieren.

Der Solution Circle besteht aus acht Schritten, die alle nötigen Phasen eines Team-Coaching-Prozesses umspannen.- Vorhandene Zeit und Energie wird für die Lösungsentwicklung und deren Umsetzung verwendet- Entwicklungsprozesse werden auf den Stärken im Team aufgebaut- Neue Handlungsvarianten werden ausprobiert

Der Solution Circle besteht aus acht Schritten, die alle nötigen Phasen eines Team-Coaching-Prozesses umspannen.1. Rahmen klären - Vorgeschichte klären – wie kam der Coach zum Team - Vorgehensweise und Rollen klären – der Coach schafft Struktur und Rahmen, koordiniert den Verlauf und darf viele Fragen stellen, die Teilnehmer sind für den Inhalt verantwortlich und entwickeln Lösungen - Spielregeln festhalten2. Erwartungen und Ziele - Was soll im Coaching passieren, damit es sich wirklich gelohnt hat? - Was soll am Schluss anders sein als vorher? - Woran werden Sie merken, dass Sie dieses Ziel erreicht haben? - Wenn dieses Ziel gemeinsam erreicht wird, woran würden es Ihre Kunden merken?3. BrennpunkteIn diesem Schritt werden die Themen fixiert, in denen eine Verbesserung eintreten soll. - Welches sind die brennendsten Themen, in denen unbedingt eine Verbesserung eintreten muss? 4. SternstundenDie Teammitglieder machen sich auf die Suche nach Situationen, in denen das Problem oder der Konflikt, weniger oder gar nicht aufgetreten ist. Sie finden heraus, mit welchen Fähigkeiten sie dies geschafft haben. - Welche Begebenheiten gab es in den vergangenen Wochen, die bezüglich der Fragestellung, wie eine kleine Sternstunde erschienen? - Was war dabei genau anders? - Was hat Ihnen geholfen, in dieser Art zu reagieren? - Was haben Sie dazu beigetragen, dass Ihr Kollege so reagiert hat?

Tool

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5. Futur PerfektDas Team entwirft eine möglichst präzise Vorstellung einer Zukunft, in der die Probleme gelöst sind. - Wo würde das Team in zwei Jahren stehen, wenn sich das Team im Coaching genau nach den gemeinsamen Wünschen entwickelt hätte? - Was genau würde das Team anders machen? - Was würden andere dann über das Team sagen?6. Scaling DanceDie einzelnen Mitglieder des Teams schätzen die heutige Situation ein. Es geht darum, herauszufinden, was in der Vergangenheit bereits gut funktioniert hat. - Stellen Sie sich eine Skala von 1 bis 10 vor. Wo stehen Sie heute bezüglich des Themas X, wobei 10 den wirklichen Idealzustand (kühnste Erwartung) und 1 das genaue Gegenteil davon darstellt? - Wie haben Sie es geschafft, bereits heute auf diesen Punkt zu kommen? Was macht also den Unterschied zwischen 1 und diesem Punkt aus? - Wenn Sie an Ihre herausragende Sternstunde aus Schritt 5 denken, wo lag sie auf derselben Skala? Was macht hier den Unterschied aus? - Was haben Sie persönlich dazu beigetragen, dass Sie schon auf einer X stehen?7. Maßnahmen - In diesem Schritt werden konkrete Maßnahmen formuliert, die das Team in nächster Zukunft, am besten schon am nächsten Tag, umsetzen kann. Auf der Basis des vorangegangen Schrittes kann leicht zu den Maßnahmen übergeleitet werden. Es gilt festzuhalten, was getan werden muss, um einen kleinen Schritt in Richtung 10 zu vollführen. 8. Persönlicher AuftragDurch einen Beobachtungs- oder Handlungsauftrag, den der Coach weitergibt, soll die Aufmerksamkeit auf bestimmt Aspekte in der Umsetzung gerichtet und der Prozess im Alltag weiter unterstützt werden.

Anwendung im CoachingDer Solution Circle eignet sich besonders in Teamsituationen, in denen rasch und trotzdem nachhaltig eine Veränderung gewünscht wird.

Materialkeines

AnmerkungenEs ist für den Coach hilfreich, wenn er eine Art „fruchtbare Unkenntnis“ zeigt. Das Heraushalten und dem vertieften „Verstehenwollen“ gibt dem Coach die Chance, sich auf den Prozess zu konzentrieren. Der Coach muss nichts verstehen, um die Elemente des Solution Circle ausgezeichnet einzusetzen.

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Zauberstab

Quelle/Grundlage:Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle – Team-coaching, Manager Seminar Verlags GmbH

ZielDiese Übung zeigt auf, wie wichtig es ist, dass alle Teammitglieder an einem Strang ziehen, um erfolgreich zu sein und die Unternehmensziele zu schaffen.

Sie dient auch dazu, den Teammitgliedern bewusst zu machen, dass die Bewältigung der gemeinsamen Aufgabe, nur mit der richtigen Koordination, Kommunikation, Arbeits- und Rollenaufteilung und dem Wissen aller, möglich ist.

BeschreibungDie Teammitglieder stellen sich entlang eines Stabes, paarweise gegenüber auf, sodass sich die gegenüberstehenden Partner anschauen können. Auf jeder Seite des Stabes stehen die Personen dicht nebeneinander und strecken ihre rechten Arme, mit ausgestrecktem Zeigefinger, nach vorne aus.

Aufgabe der Gruppe ist es, den Stab, den der Coach nun auf die Fingerspitzen legt, gemeinsam sacht auf den Boden zu legen, ohne dass jemand dabei den Kontakt zum Stab verliert. Verliert jemand den Kontakt, wird wieder die Ausgangsposition eingenommen. Zum Erstaunen aller wandert der Stab immer höher - da jeder den Kontakt halten möchte, drücken alle nach oben. Es erfordert einiges an Koordination, Absprache, Ruhe und geordnetem Vorgehen, um diese Aufgabe zu lösen.

- Im Anschluss an die Arbeit können folgende Fragen gestellt werden:- Wie haben Sie sich während der Übung gefühlt?- Wurden Verbesserungen und Ideen eingebracht? Von wem?- Hat jemand die Bewegungsabläufe im Sinne einer Qualitätskontrolle koordiniert?- Wie hat sich die Koordination bzw. die fehlende Koordination ausgewirkt?- Was war notwendig, um die Übung erfolgreich abzuschließen?

Anwendung im CoachingDiese Übung eignet sich hervorragend, um Koordination und einheitliches Vorgehen zu üben.

MaterialLanger Stab oder Zollstock oder Besenstiel

AnmerkungenMögliche auftretende Themen nach dieser Übung könnten sein: Respekt, Erfahrung, Wissen, Hierarchie und Umgang miteinander

Tool

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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien

Zirkuläres Interview

Quelle/Grundlage:Von Dr. Carsten Schäper, Simon, F.B. & Rech Simon, Ch. Zirkuläres Fragen – Systemische Therapie in Fallbeispielen: ein Lernbuch, Heidelberg: Carl-Auer-System

ZielZirkulär zu fragen bedeutet, den Coachee nicht direkt bzw. linear nach seiner eigenen Wahrnehmung, Gefühlen, Denk- oder Verhaltensweisen zu fragen, sondern ihn zu veranlassen, seine Vermutungen über das Erleben anderer offenzulegen. Der Coachee wird so eingeladen, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und sich mit der – vermuteten – Realität anderer, ihm verbundener Personen zu beschäftigen. Damit wird er sich bewusst, wie sehr seine eigene Beschreibung der Situation von Vermutungen über Tatsachen und nicht von den Tatsachen selbst bestimmt wird. Er lernt, sich in die Welt seines Gegenübers einzufühlen und zu erkennen, dass seine eigenen Verhaltensweisen mit den Verhaltensweisen anderer verknüpft sind. Und dass er – wenn er dies möchte – aus unguten Interaktionsmustern aussteigen und bessere erschaffen kann.

BeschreibungAuf der inhaltlichen Seite fragt der Coach seinen Coachee danach, welche Ziele, Wahr-nehmung, Kritikpunkte, Lösungsansätze, Situationsbeschreibungen etc. die anderen im Zusammenhaben mit dem vorgelegten Problem haben könnten. Diese Verlagerung des Fokus von der eigenen Sichtweise auf die mögliche Deutung durch andere relevante Personen ist das wesentliche Charakteristikum des zirkulären Interviews. Die neuen Denkprozesse erleichtern es dem Coachee, passendere Lösungen für die problematische Situation zu konstruieren.

Für den Coach sind folgende Fragen interessant: 1. Wie beschreibt der Coachee das Problem? Wie würden es seiner Meinung nach andere beschreiben? 2. Was geschieht? Was wird dabei gefühlt und/oder gedacht? Wie erleben die anderen Mitglieder des Systems das Geschehen? 3. Was wurde zur Lösung bereits versucht? 4. Wie sehen weitere Lösungsmöglichkeiten aus?Besonders interessant sind dabei so genannte „Öffnungen“: Öffnungen sind Worte, mit denen der Coachee Themen oder Ideen anspricht, die für ihn und/oder seine Umgebung bedeutsam sind.

Beispiele für zirkuläre Fragen im Rahmen eines zirkulären Interviews:- Auf die Ziele gerichtete Fragen z.B.: Woran würde xy merken, dass unser Coaching hier erfolgreich ist?- Auf das Problem gerichtete Fragen z.B.: Wie würde xy genau diesen Disput beschreiben?- Auf Lösungsansätze gerichtete Fragen z.B.: Auf welche Weise trägt xy zur Lösung dieses Problem bereits bei?- Den Realitäts-Check unterstützende Fragen z.B.: Wenn Sie Ihr Vorhaben so in die Realität umsetzen: wer würde sich am meisten darüber freuen? Wer am wenigsten? Wer wird Sie dabei am ehesten unterstützen?

Tool

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Anwendung im CoachingBesonders wirksam ist das zirkuläre Interview in Teamentwicklungen und Coachings oder Konflikt-Coachings, bei denen dem Coach nicht nur ein Coachee gegenübersitzt, sondern ein Team des relevanten Systems. Indem die anderen mithören können, was ihr Kollege über sie denkt und welche Vermutungen er über ihre Absichten und Verhaltensweisen hat, wächst das Verständnis untereinander. Damit wird es für alle Beteiligten leichter, aus eingefahrenen und als schädlich erlebten Mustern auszusteigen.

Materialkeines

AnmerkungenDer Coach erhält durch diese Fragetechnik Informationen über das System, die ihm helfen, Hypothesen über Beziehungen und Interaktionsmuster im Umfeld des Coachees zu bilden und zu überprüfen.

Das zirkuläre Interview ist typischerweise dann erfolgreich, wenn der Coachee z.B. sagt: „So habe ich das noch nicht gesehen.“ oder „Es könnte wirklich sein, dass ich ihn/sie missverstanden habe.“ „Was braucht mein Kollege dann also von mir?“

Ein zirkuläres Interview folgt keinem spezifischen Muster und ist nicht standardisierbar. Entscheidend ist die Haltung, mit der es durchgeführt wird.

Für einen systemisch-konstruktivistischen Teamcoach sind nicht Individuen „das Problem“, sondern deren Interaktionen sind problematisch. Er geht davon aus, dass Menschen in ihrem Verhalten zirkulär miteinander verbunden sind und ist bestrebt, den „Beziehungstanz“ zu verdeutlichen. Der Coachee kann sich bewusst für andere Verhaltensweisen entscheiden, wenn sich daraus eine für ihn weniger problematische Situation bzw. Interaktion ergibt

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Das Thema Coaching ist mittlerweile ein wichtiger Wegbegleiter von vielen Menschen in ihrem Unternehmens- sowie in ihrem persönlichen Lebenskontext.

Die Sammlung der Texte dieses Buches sind von TeilnehmerInnen der Wiener Lehrgänge, des Instituts Organisation und Management der Internationalen Akademie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität Berlin und der C PLUS Unternehmensberatung, entstanden.Die Perspektive der LehrgangsteilnehmerInnen, also der Coachenden, steht bei den einzelnen Beiträgen im Vordergrund.

Coaching sehen wir als eine personenbezogene Dienstleistung, die sich in der Regel in einem organisatorischen Kontext an Einzelpersonen, Teams und Gruppen wendet, mit dem Ziel, kommunikative Wirkungszusammenhänge analysierbar zu machen.Führungskräfte, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden befähigt, sich in komplexen Systemen kommunikativ, intelligent und durchsetzungs-fähig zu positionieren. Die Texte greifen diese Thematik auf und basieren auf dem Blickwinkel „Coaching als ständiger Veränderungsprozess“. Sie binden aktuelle Entwicklungen und Tendenzen in diesem Feld mit ein.