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Das Dinggedicht distanzierte, „objektive" Beschreibung von Dingen durch ein ganz aus dem Gedicht zurückgezogenes lyrisches Ich Beispiel: Heym, Der Krieg Das Dinggedicht ist ein Gedichttypus, der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich ausgeprägt ist. In einem Dinggedicht wird ein Gegenstand oder Lebewesen distanziert oder objektiviert erfasst und beschrieben. Das Gedicht hat den Anspruch, das Ding so auszudrücken, als spräche es über sich selbst. Es soll das Innere und das Wesen des Gegenstandes ausdrücken. Häufig behandelt das Dinggedicht Sujets aus der bildenden Kunst, die in strenger Form sprachlich gestaltet werden. Der Terminus „Dinggedicht“ wurde 1926 von dem Germanisten Kurt Oppert geprägt. Beim Dinggedicht tritt das lyrische Ich meist in den Hintergrund, während gleichzeitig versucht wird, eine Sache, oft auch symbolisch, auszudeuten. Das intensive Betrachten eines Dings, d. h. vorwiegend eines ruhenden Gegenstandes, führt zur Einfühlung in sein Wesen, dessen symbolischer Deutung und sprachlicher Nachbildung. Alles Unwesentliche fällt dabei von dem Ding ab, die sprachliche Formulierung verlangt eine strenge Form. Besonders gern befasst sich das Dinggedicht mit Gegenständen der bildenden Kunst. Vertreter dieser Gedichtart sind Mörike (»Auf eine Lampe«), C. F. Meyer (»Der römische Brunnen«) und Rilke (»Römische Fontäne«). Conrad Ferdinand Meyer "Römischer Brunnen" (letzte Fassung 1882) Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt Er voll der Marmorschale Rund, Die, sich verschleiernd, überfließt In einer zweiten Schale Grund; Die zweite gibt, sie wird zu reich, Der dritten wallend ihre Flut, Und jede nimmt und gibt zugleich Und strömt und ruht.

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Dinggedicht

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Das Dinggedicht distanzierte, „objektive" Beschreibung von Dingen durch ein ganz aus dem Gedicht zurückgezogenes lyrisches Ich

Beispiel: Heym, Der Krieg

Das Dinggedicht ist ein Gedichttypus, der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich ausgeprägt ist. In einem Dinggedicht wird ein Gegenstand oder Lebewesen distanziert oder objektiviert erfasst und beschrieben. Das Gedicht hat den Anspruch, das Ding so auszudrücken, als spräche es über sich selbst. Es soll das Innere und das Wesen des Gegenstandes ausdrücken. Häufig behandelt das Dinggedicht Sujets aus der bildenden Kunst, die in strenger Form sprachlich gestaltet werden. Der Terminus „Dinggedicht“ wurde 1926 von dem Germanisten Kurt Oppert geprägt.Beim Dinggedicht tritt das lyrische Ich meist in den Hintergrund, während gleichzeitig versucht wird, eine Sache, oft auch symbolisch, auszudeuten.

Das intensive Betrachten eines Dings, d. h. vorwiegend eines ruhenden Gegenstandes, führt zur Einfühlung in sein Wesen, dessen symbolischer Deutung und sprachlicher Nachbildung. Alles Unwesentliche fällt dabei von dem Ding ab, die sprachliche Formulierung verlangt eine strenge Form. Besonders gern befasst sich das Dinggedicht mit Gegenständen der bildenden Kunst. Vertreter dieser Gedichtart sind Mörike (»Auf eine Lampe«), C. F. Meyer (»Der römische Brunnen«) und Rilke (»Römische Fontäne«).

Conrad Ferdinand Meyer

"Römischer Brunnen" (letzte Fassung 1882)

Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt Er voll der Marmorschale Rund, Die, sich verschleiernd, überfließt In einer zweiten Schale Grund; Die zweite gibt, sie wird zu reich, Der dritten wallend ihre Flut, Und jede nimmt und gibt zugleich Und strömt und ruht.

Auf eine Lampe        Eduard Mörike

Noch unverrückt, o schöne Lampe, schmückest du,An leichten Ketten zierlich aufgehangen hier,Die Decke des nun fast vergessnen Lustgemachs.Auf deiner weissen Marmorschale, deren RandDer Efeukranz von goldengrünem Erz umflicht,Schlingt fröhlich eine Kinderschar den Ringelreihn.Wie reizend alles! lachend, und ein sanfter GeistDes Ernstes doch ergossen um die ganze Form -Ein Kunstgebild der echten Art. Wer achtet sein?Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst.

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Zwei Segel        

Zwei Segel erhellendDie tiefblaue Bucht!Zwei Segel sich schwellendZu ruhiger Flucht! Wie eins in den WindenSich wölbt und bewegt,Wird auch das EmpfindenDes andern erregt. Begehrt eins zu hasten,Das andre geht schnell,Verlangt eins zu rasten,Ruht auch sein Gesell.

C.F. Meyer

Gedichtinterpretation: "Zwei Segel"

In seinem Gedicht "Zwei Segel" beschreibt Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898) zwei Segel. Doch wenn man sich Zeit und Ruhe nimmt, um sich mit dem tieferen Sinn zu befassen, lassen sich keine Verständnisprobleme aufweisen und man erkennt, dass es sich bei dieser Metapher, den zwei Segeln, um zwei sich liebende handelt.

Das Gedicht ist in drei Strophen aufgeteilt, alle sind vier Zeilen lang. Diese wiederum bestehen hauptsächlich aus drei bis vier Worten. Der Dichter hat das Gedicht im Kreuzreim verfasst, sodass sich immer das letzte Wort auf das der übernächsten Zeile reimt. Somit hat das Gedicht einen besonderen Rhythmus. Außerdem vermittelt diese Liebesdichtung eine Stimmung der Ruhe und Romantik. Mithilfe der Metaphorik, der bildhaften Ausdrucksweise, bereichert Conrad Ferdinand Meyer seine lyrische Rede: Die Segel stellen ein Paar dar.Die erste Strophe spielt eine wichtige Rolle, nämlich die Einleitung. Sie erzählt von "zwei erhellenden Segeln", die sich deutlich von der "tiefblauen Bucht" abheben. Das zeigt, dass das Paar glücklich verliebt sein muss, da helle Farben Fröhlichkeit und auch Glück widerspiegeln. Das dunkle Blau der Bucht, steht für die graue Realität, den langweiligen Alltag, die das Paar wie die zweite Hälfte dieser Strophe besagt, vergessen will, indem es sich "zu ruhiger Flucht schwellen" will. Es will alleine sein, die Nähe des anderen genießen, ohne von anderen Personen gestört zu werden. In der zweiten Strophe wird beschrieben, wie sich "eins in den Winden wölbt und bewegt", sodass "auch das Empfinden des anderen erregt" wird. Damit will der Dichter deutlich machen, dass die Liebe des Paars auf Gegenseitigkeit beruht. Die eine Person kann genau mitfühlen und verstehen, was die andere verspürt. Sie teilen ihre Gefühle, haben dieselben Gründe zum Glück, aber auch zur Trauer.

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Auch in der dritten Strophe stellt sich klar heraus, wie ähnlich sie durch diese Liebe sind. "Begehrt eins zu hasten", so wird das andere ebenfalls schnell. "Verlangt eins zu rasten", so ruht das andere mit ihm. Das zeigt, wie unzertrennlich die beiden sind. Es ist nicht von Bedeutung was das eine vermag, das andere wird ihm immer zur Seite stehen.

Der Dichter zeigt in dieser Liebeslyrik, wie schön die Liebe sein kann, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruht. Egal, was das die eine Hälfte tut, die andere steht ihr stets zur Seite und fällt ihr nicht in den Rücken. Sie können einander vertrauen, verstehen sich, da sie immer mitfühlen, was der Partnerverspürt. Mit dem Gedicht spricht er niemand konkreten an, sondern wendet sich an alle, die noch nie so liiert waren, um deutlich zu machen, wie schön das Gefühl ist. Für Verliebte ist es leichter zu verstehen, was der Dichter zum Ausdruck bringen will, da sie diese Erfahrung sicher schon gemacht haben.

Der Zusammenhang zwischen Titel, Inhalt und Gesamtaussage ist sehr deutlich: Der Titel ist die Metapher, das heißt die zwei Segel entsprechen den zwei Personen. Der Inhalt, der schon erläutert wurde, umschreibt das Erlebnis des Paares (siehe oben), und die Gesamtaussagen (siehe 2. Abschnitt) zeigt, wie das Gedicht gemeint ist. Ebenfalls sind zwei Sinnabschnitte zu erkennen, die erste einleitende und die zwei anderen Strophen, in denen der Zusammenhalt der Segel beschrieben wird. Insgesamt kann man sagen, dass es ein schönes Gedicht ist, was zwar auf den ersten Blick uninteressant erscheinen mag, sich dann aber in ein wundervolles Gedicht entpuppt.