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ZUR Zeitschrift für Umweltrecht Das Forum für Umwelt- und Planungsrecht Herausgeber: Verein für Umweltrecht e.V. Prof. Dr. Christian Calliess LL.M.Eur, Freie Universität Berlin; Dr. Jochen Gebauer , Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Berlin; Dr. Harald Ginzky , Umweltbundesamt, Dessau; Dr. Markus Kachel, Rechtsanwalt, Berlin; Prof. Dr. Remo Klinger , Rechtsanwalt, Berlin; Dr. Malte Kohls, Rechtsanwalt, Bremen; Stefan Kopp-Assenmacher , Rechtsanwalt, Berlin; Dr. Susan Krohn, Bundes- ministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Bonn; Prof. Dr. Silke R. Laskowski, Universität Kassel; Christian Maaß, Staatsrat a.D., Rechtsanwalt, Hamburg; Prof. Dr. Sabine Schlacke, Westfälische Wilhelms-Universität Münster; Dr. Moritz Reese, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Leipzig; Dr. Peter Schütte, Rechtsanwalt, Bremen; Prof. Dr. Bernhard W. Wegener , Universität Erlangen; Dr. Cornelia Ziehm, Rechtsanwältin, Berlin Schriftleitung: Prof. Dr. Wolfgang Köck, Dr. Till Markus 3/2019 30. Jahrgang Seiten 129-192 STANDPUNKT Erik Gawel und Sebastian Strunz Einstieg in den Kohleausstieg – Was bringt der Kommissionskompromiss? Die Konsensfindung der Kommission „Wachstum, Struktur- wandel und Beschäftigung“ hat allgemeines Aufatmen in Deutschland ausgelöst. Erstaunlich aber ist, dass zentrale Ele- mente (etwa ein kraftwerksscharfer Ausstiegsfahrplan) gar nicht Teil des Abschlussberichts sind und nun nachverhandelt werden müssen. Und zwar jetzt ohne Klimaschützer und mit Zustim- mungserfordernis der Kraftwerksbetreiber. Konkret schlägt die Kommission vor, bis 2022 die Kraftwerkskapazitäten von 43,2 GW auf 30 GW zu reduzieren – da bereits Stilllegungen ange- meldet sind, entspricht dies nur ca. 7 GW Nettoreduktion. Auf diese Weise wird – zusammen mit dem Atomausstieg – lediglich die bestehende Überkapazität abgebaut. 2030 sollen noch maxi- mal 17 GW (9 GW Braun-, 8 GW Steinkohle) am Markt sein, um das 2030-Klimaziel zu erreichen. Spätestens 2038 soll der endgültige Ausstieg erfolgen. Welche Kraftwerke genau wann vom Netz gehen, präzisiert die Kommission nicht, ebenso wenig die Restrommengen der verbleibenden Kraftwerke. Bei Braun- kohlekraftwerken soll die Bundesregierung dies sogar noch mit den Betreibern einvernehmlich festlegen – mit nochmaligen fi- nanziellen Entschädigungen; bei Steinkohlekraftwerken sollen im Ausschreibungsverfahren Stilllegungsprämien auktioniert werden. Die Kommission empfiehlt dabei einen „möglichst ste- tig“ verlaufenden Reduktionspfad. ZUR 3/2019 | 129 Der Abschlussbericht der Kommission lässt sich hinsichtlich dreier Aspekte kritisch würdigen: Erstens die klimapolitische Effektivität im engeren Sinne; zweitens die Kosten und die Fi- nanzierung des Maßnahmenpakets; drittens das Aushandlungs- prozedere selbst. Für die klimapolitische Effektivität entscheidend wird sein, ob die Vorschläge der Kommission tatsächlich exakt umgesetzt werden. Die in der Kommission vertretenen Umweltverbände kritisieren etwa, dass nach der ersten Stilllegungswelle bis 2022 keine weiteren Zwischenschritte in den 20er Jahren konkreti- siert wurden. Diese Zweifel scheinen berechtigt. Wird der emp- fohlene „möglichst stetige“ Ausstiegspfad verschleppt und die Hauptlast der Reduktion nahe an 2030 geschoben, so nähme die Glaubwürdigkeit des Pfads zum Klimaziel 2030 rapide ab. Freilich sitzen bei den einvernehmlich zu erzielenden Stillle- gungsvereinbarungen nun nur noch die Kraftwerksbetreiber selbst mit der Bundesregierung am Tisch. Weiterhin darf die im Bericht angeratene Stilllegung von Emissionszertifikaten nicht als flankierende Nebenmaßnahme unterschätzt, sondern sollte als essentielle Voraussetzung des Klimaschutzes verstanden wer- den: Denn ohne kontinuierliche Zertifikatsstilllegung diffundie- ren die von abgeschalteten deutschen Kraftwerken nicht mehr

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ZURZeitschrift fürUmweltrecht

Das Forum für Umwelt- und PlanungsrechtHerausgeber:Verein für Umweltrecht e.V.Prof. Dr. Christian Calliess LL.M.Eur, Freie Universität Berlin; Dr. Jochen Gebauer,Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Berlin;Dr. Harald Ginzky, Umweltbundesamt, Dessau; Dr. Markus Kachel, Rechtsanwalt,Berlin; Prof. Dr. Remo Klinger, Rechtsanwalt, Berlin; Dr. Malte Kohls, Rechtsanwalt,Bremen; Stefan Kopp-Assenmacher, Rechtsanwalt, Berlin; Dr. Susan Krohn, Bundes-ministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Bonn; Prof. Dr. Silke R.Laskowski, Universität Kassel; Christian Maaß, Staatsrat a.D., Rechtsanwalt,Hamburg; Prof. Dr. Sabine Schlacke, Westfälische Wilhelms-Universität Münster;Dr. Moritz Reese, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Leipzig; Dr. PeterSchütte, Rechtsanwalt, Bremen; Prof. Dr. Bernhard W. Wegener, Universität Erlangen;Dr. Cornelia Ziehm, Rechtsanwältin, BerlinSchriftleitung: Prof. Dr. Wolfgang Köck, Dr. Till Markus

3/201930. Jahrgang • Seiten 129-192

STANDPUNKTErik Gawel und Sebastian Strunz

Einstieg in den Kohleausstieg – Was bringt derKommissionskompromiss?Die Konsensfindung der Kommission „Wachstum, Struktur-wandel und Beschäftigung“ hat allgemeines Aufatmen inDeutschland ausgelöst. Erstaunlich aber ist, dass zentrale Ele-mente (etwa ein kraftwerksscharfer Ausstiegsfahrplan) gar nichtTeil des Abschlussberichts sind und nun nachverhandelt werdenmüssen. Und zwar jetzt ohne Klimaschützer und mit Zustim-mungserfordernis der Kraftwerksbetreiber. Konkret schlägt dieKommission vor, bis 2022 die Kraftwerkskapazitäten von 43,2GW auf 30 GW zu reduzieren – da bereits Stilllegungen ange-meldet sind, entspricht dies nur ca. 7 GW Nettoreduktion. Aufdiese Weise wird – zusammen mit dem Atomausstieg – lediglichdie bestehende Überkapazität abgebaut. 2030 sollen noch maxi-mal 17 GW (9 GW Braun-, 8 GW Steinkohle) am Markt sein,um das 2030-Klimaziel zu erreichen. Spätestens 2038 soll derendgültige Ausstieg erfolgen. Welche Kraftwerke genau wannvom Netz gehen, präzisiert die Kommission nicht, ebenso wenigdie Restrommengen der verbleibenden Kraftwerke. Bei Braun-kohlekraftwerken soll die Bundesregierung dies sogar noch mitden Betreibern einvernehmlich festlegen – mit nochmaligen fi-nanziellen Entschädigungen; bei Steinkohlekraftwerken sollenim Ausschreibungsverfahren Stilllegungsprämien auktioniertwerden. Die Kommission empfiehlt dabei einen „möglichst ste-tig“ verlaufenden Reduktionspfad.

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Der Abschlussbericht der Kommission lässt sich hinsichtlichdreier Aspekte kritisch würdigen: Erstens die klimapolitischeEffektivität im engeren Sinne; zweitens die Kosten und die Fi-nanzierung des Maßnahmenpakets; drittens das Aushandlungs-prozedere selbst.Für die klimapolitische Effektivität entscheidend wird sein, ob

die Vorschläge der Kommission tatsächlich exakt umgesetztwerden. Die in der Kommission vertretenen Umweltverbändekritisieren etwa, dass nach der ersten Stilllegungswelle bis 2022keine weiteren Zwischenschritte in den 20er Jahren konkreti-siert wurden. Diese Zweifel scheinen berechtigt. Wird der emp-fohlene „möglichst stetige“ Ausstiegspfad verschleppt und dieHauptlast der Reduktion nahe an 2030 geschoben, so nähmedie Glaubwürdigkeit des Pfads zum Klimaziel 2030 rapide ab.Freilich sitzen bei den einvernehmlich zu erzielenden Stillle-gungsvereinbarungen nun nur noch die Kraftwerksbetreiberselbst mit der Bundesregierung am Tisch. Weiterhin darf die imBericht angeratene Stilllegung von Emissionszertifikaten nichtals flankierende Nebenmaßnahme unterschätzt, sondern sollteals essentielle Voraussetzung des Klimaschutzes verstanden wer-den: Denn ohne kontinuierliche Zertifikatsstilllegung diffundie-ren die von abgeschalteten deutschen Kraftwerken nicht mehr

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STANDPUNKT | Gawel/Strunz, Einstieg in den Kohleausstieg – Was bringt der Kommissionskompromiss?

benötigten Zertifikate einfach im europaweiten Emissionshan-del – die Gesamtmenge an Emissionen bliebe konstant (Stich-wort: „Wasserbetteffekt“).Zudem muss sich der Klimabeitrag des Ausstiegsplans messen

lassen am ohnehin stattfindenden Strukturwandel. So wäredurch fortschreitenden Preisverfall bei Erneuerbaren und gleich-zeitig steigenden CO2-Preis die Wirtschaftlichkeit vieler Kohle-kraftwerke bereits deutlich vor dem jetzt avisierten Endedatum2038 fraglich. Das durch den Ausstiegsplan tatsächlich erreich-bare „Mehr“ an Klimaschutz ist also unsicher. Sicher jedochsind die enormen zusätzlichen Kosten. So sieht das von derKommission empfohlene Maßnahmenbündel „nach sachlichenKriterien angemessene“ Entschädigungsleistungen für stillzule-gende Kraftwerke vor. Eine Orientierungshilfe soll dabei die sog.„Sicherheitsbereitschaft“ zur Wahrung der Versorgungssicher-heit leisten (die, wohlgemerkt, bislang noch kein einziges Malabgerufen wurde). Hier erhalten die Betreiber pro GW stillge-legter Leistung ca. 600Mio. Euro. Selbst wenn per Ausschrei-bungsverfahren die Prämienhöhe für Steinkohleblöcke wettbe-werblich bestimmt wird, zeichnet sich insgesamt somit ein hoherzweistelliger Milliardenbetrag an Entschädigungssummen ab.Da diese aus dem Bundeshaushalt zu bestreiten sind, aber

Steuerzahler nicht Teil der Kommission waren, handelt es sichum einen „Vertrag zu Lasten Dritter“. Erstaunlich auch: Ein Fi-nanzierungskonzept für all die Ausgaben hat die Kommissiongar nicht vorgelegt: Welche Steuer soll bitte erhöht, welche Aus-gaben an anderer Stelle gekürzt werden? Ohne diese Klarstel-lung bleibt dies ein Scheinkonsens. Zudem scheinen die imMaß-nahmenpaket aufgeführten 40Mrd. € allein für den Struktur-wandel ambivalent: Einerseits handelt es sich um Investitionen,die auch unabhängig vom Kohleausstieg sinnvoll (und wohlauch finanziert worden) wären (Ausbau ÖPNV, digitale Infra-struktur). Andererseits werden in der Länderwunschliste z. T.Maßnahmen genannt, deren Zielbeitrag bezweifelt werdenkann (Zwangsumsiedlung von Bundesbehörden). Zählt manalle Einzelposten zusammen, inklusive der empfohlenen Sen-kung der Stromsteuer für Verbraucher, des zusätzlichen Sofort-hilfeprogramms für die Kohleregionen oder der Strompreiskom-pensation für energieintensive Industrien, so summieren sich dieGesamtausgaben für den Kohleausstieg wohl auf über 90Mrd.Euro. Insbesondere die gut organisierten Interessengruppen las-sen sich hier Politikmaßnahmen nach dem Gemeinlastprinzipabkaufen – die Zeiten, in denen Klimaschutz nach dem Verursa-cherprinzip organisiert werden sollte, sind offensichtlich vorbei.Die Entschädigungsmilliarden fehlen freilich an anderer Stelle:Wieviel Geld der öffentlichen Hand bleibt da noch für die drin-gend notwendige Transformation der SektorenWärme und Ver-kehr übrig?Mit Blick auf das Aushandlungsverfahren kann man das An-

sinnen würdigen, in Zeiten politischer Polarisierung einen Kon-flikt weitgehend einvernehmlich zu lösen. Gleichwohl ist auchhier Kritik angebracht. Zunächst irritiert, dass die Diskussionvon vornherein und ausschließlich auf nationaler Ebene geführtwurde, obwohl gerade die Dekarbonisierung des Energiebe-reichs als integratives Projekt auf EU-Ebene fungieren sollte: So

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wäre eine „Vorreiterallianz“ klimapolitisch ambitionierter Staa-ten, denen die jüngsten Reformen des Emissionshandels nichtweit genug gehen, ein durchaus realistisches Szenario. Auf nati-onaler Ebene verstärkt die Kohlekommission die bereits grassie-rende „Kommissionitis“: Politische Entscheidungen werdenentparlamentarisiert und an ad-hoc-Gremien aus Interessenver-tretern delegiert. Statt politisch verantworteter Gemeinwohl-politik, mit vertretbarem Zumutungen für einige im Interessealler, werden Konflikte lieber über Zustimmungskauf potenterLobby-Gruppen aus Steuermitteln gelöst; doch gerade diesesProzedere erhöht das öffentliche Erpressungspotenzial und da-mit das Risiko der Überkompensation. Das vermeintlich billigzu habende Gemeinlastprinzip triumphiert!Insgesamt ist daher ein zwiespältiges Fazit über den Kommis-

sionsvorschlag zu ziehen. Werden die klimapolitischen Knack-punkte (stetiger Ausstiegspfad, Stilllegung von Zertifikaten)überhaupt umgesetzt? Oder können, wie zu befürchten steht,die Kraftwerksbetreiber den Kompromiss im Nachgang nochweiter zu ihren Gunsten verschieben? Der Strukturwandel, derohnehin hätte stattfinden müssen, wird jedenfalls extrem teuererkauft. Und schwer vorstellbar, dass künftig alle „Belastungen“strukturellen Wandels von der Politik bei jeweils betroffenen In-teressengruppen aus Steuermitteln (über-)kompensiert werden.Strukturwandel im Interesse des Gemeinwohls muss auch un-kompensierte Lasten bedeuten, Kompensation eine gut begrün-dete Ausnahme bleiben.

Prof. Dr. Erik Gawel Dr. Sebastian Strunz

Prof. Dr. Erik Gawel

Dr. Sebastian StrunzHelmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Depart-ment Ökonomie, Permoser Str. 15, 04318 Leipzig,[email protected]. [email protected] Verf. forschen gegenwärtig u. a. im Rahmen des Koper-nikus-Projekts „Energiewende-Navigationssystem“(https://www.kopernikus-projekte.de/projekte/systemintegration) zu Problemen der Energiewende. Aktu-elle Publikationen: Gawel, E., Strunz, S., Lehmann, P.,Purkus, A. (Hrsg.) 2019. The European Dimension of Ger-many‘s Energy Transition – Opportunities and Conflicts,2019; Gawel, Neustart der Klimapolitik erforderlich, Ifo-Schnelldienst 2018, Heft 1, 8.