21
Kapitel 4 Nullnummer / Frühjahr 2014 / CHF 12.50 / EUR 10.– HR Giger – Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de-Travers Legal Highs – Falsche Perspektiven El Pepe – oder die Verbesserung der Welt Albert Hofmann – Ein Gespräch mit dem LSD-Entdecker

Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

  • Upload
    vantu

  • View
    213

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

K a p i t e l 4

Nu

llnu

mm

er / Früh

jah

r 2014

/ CH

F 12.50

/ EUR

10.–

HR Giger – Das grosse Interview

Absinthe – Besuch im Val-de-Travers

Legal Highs – Falsche Perspektiven

El Pepe – oder die Verbesserung der Welt

Albert Hofmann – Ein Gespräch mit

dem LSD-Entdecker

Page 2: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

K a p i t e l 2

Drogen

[…] Allgemein weisen Drogen eine bewusst-seins- und wahrnehmungsverändernde Wirkung auf. Traditionell als Genussmittel verwendete oder als Medikament eingestufte Drogen werden in der öffentlichen Wahrnehmung oft nicht als solche betrachtet, obwohl in geeigneter Dosierung und Ein- nahmeform ebenfalls Rausch- oder erheblich veränderte Bewusstseinszustände auftreten können.

Wikipedia, Stand Februar 2014

Page 3: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

3 K a p i t e l K a p i t e l 4

Li I, 1974, 70 x ×97 cm, Acryl und Tusche auf Foto

Die Offenbarung des HR GigerSeite 16

Page 4: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

5 K a p i t e l K a p i t e l 6

«Wenn man im Paradies lebt, will man ja nicht so schnell weg»

Seite 32

Page 5: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

7 K a p i t e l K a p i t e l 8

I de Schwiiz

Seite 58

Page 6: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

K a p i t e l K a p i t e l

Der zweifelhafte Weg in die schöne neue Welt

Seite 66

Page 7: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

1 1 K a p i t e l K a p i t e l 1 2

Im Durchgangstal

Seite 86

Page 8: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

1 4

13 Editorialvon David Höner

14 Rausch und RealitätEin Geleitwort von Herausgeber Roger Liggenstorfer

16 «Das Leben hat mir vieles gegeben» Die Offenbarung des HR Gigerim Interview mit David Höner

29 Die Schattenseite der Kunst Ein kritischer Blick von Claudia Müller-Ebeling

32 «Wenn man im Paradies lebt, will man ja nicht so schnell weg»Ein grossartiges Gespräch mit Albert Hofmann

46 Legal Highs Hans Cousto zu den neuen psychoaktiven Substanzen

54 Drogenpolitik in der Schweiz Thomas Kessler zur Kohärenz in Drogenfragen

58 I de SchwiizDer Schweizer Rapper SKOR zur Befindlichkeit Helvetiens

66 Die Sehnsucht nach dem RauschMarian Bissegger zur Drogenkulturin unserer Gesellschaft

L u c y ’ s E d i t o r i a l

Gibt es das Traumland, wo aus Kohlköpfen Kinder wachsen, wo eine Wunderbohne in den Himmel wächst und wo dir der weise Elefantengott mit dem Rüssel die letzte Kirsche vom Vanilleeis saugt? Kann die Hexe mit den Tieren tanzen, mit dem Besen fliegen? Kann ein Tiger Haikus dichten? Ist das, was man im Dunkeln nicht sieht, hell und grell? Lebt im Wandschrank wirklich ein Geist, der am liebsten zur Melodie eines Wanderlieds mit Murmeln spielt? Woher kommt das Knacken im Heizkessel, und wohin geht der Lichterglanz der Weihnachtsbäume übers Jahr?Überströmende Gefühle beim Betrachten eines kleinen, grünschimmernden Käfers. Mal tosende Lebensfreude, dann abgrundtiefe Verzweiflung. Und aus tiefster Finsternis antworten Stimmen auf bedeutende und unbedeutende Fragen. Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein Vater wirklich mein Vater? Bin ich von Ausserirdischen entführt worden? Haben Lügen kurze Beine, und wenn ja, im Vergleich zu welchen Tieren?Meine Güte, das letzte Glas war doch eines zu viel, oder habe ich schlechtes Aspirin erwischt? Die haben uns etwas ins Trinkwasser getan! Also die Strassenbahn rast heute ja geradezu vorbei. Ich muss mich setzen, nein, stehen, oder besser laufen oder ganz still liegen… Tauchen? Fliegen?Oder doch am klügsten mit der Strassenbahn fah-ren? Ja, wo ist sie denn? Da! – Wo? Schon vorbei! Drogen sind Alltag. Das Wissen um die Macht der Drogen ist in jedem bewusst lebenden Menschen vorhanden. Die gewöhnliche Anwendung, sei es ein Glas Bier, eine Tabakpfeife oder der Genuss einer Tasse Kaffee ist fest in unserer Kultur verankert. Geniessen nennt man diese Konsumgewohnheiten. Genussmittel ihre Zutaten. Drogen nennt man die Genussmittel dann, wenn eine Grenze über-schritten wird, die üblicherweise angstbesetzt ist. Doch diese Angst lässt sich – wie die Angst vor

Auf die Reise gehen mit Lucy’s

allem, was einen ins Unbekannte gleiten lässt – durch Neugier überwinden. Der drogenmündige Mensch weiss um Wirkungen und Risiken. Er weiss, was er «verträgt». Wir sind der Meinung, dass die Vielfalt von Angeboten, legaler und illegaler Art, nach Information ver-langt. Im Umgang mit Drogen ist Vorsicht geboten. Doch wer den Umgang mit Drogen generell ver-teufelt und kulturellen und sozialen Traditionen ihre Bedeutung abspricht, begibt sich eher in Ge-fahr als der bewusste Konsument.Lucy’s ist kein Drogenratgeber. Auch kein wissen-schaftliches Magazin. Es geht uns darum, das Thema aus verschiedensten Blickwinkeln mit Reportagen, Berichten und Bildern zu erhellen. Neue Entwicklungen, Kunst, Musik und Literatur gehören ebenso zum Spektrum von Lucy’s wie Drogenpolitik und frühere oder heutige Konsum-gewohnheiten.Die Reise durch das eigene und das kollektive Bewusstsein ist mehr als ein Zeitvertreib. Davon ist zu berichten.

D a v i d H ö n e r , Re d a k t o r

76 Ich, Markus Berger, Visionär & AktivistSelbstportrait eines Psychonauten

80 Eine Mutter auf der Suche nach der GrenzeIris Disse reflektiert den Drogen-konsum ihres Sohnes

86 Dort, wo die Feen wohnenEine Reise mit David Höner zum Ursprung des Absinthe

92 Vom Malariamittel zum Tonic WaterHG Hildebrandt erzählt die Geschichte des Chinins

94 El Pepe oder die Verbesserung der WeltDavid Höner zur Mission des uruguayischen Präsidenten José Mujica

100 Der Deutsche Hanfverband im FernsehenLucy's gratuliert Georg Wurth zum Gewinn der Millionärswahl auf Pro7

102 Lucy's Mix

104 Lucy’s Bibliothek

111 Ausblick

111 Agenda

112 Abonnement

112 Impressum

Page 9: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

1 5 1 6G e l e i t w o r t z u L u c y ’ sG e l e i t w o r t z u L u c y ’ s

Wie bitte? Ein neues Printmagazin im digitalen Zeitalter? Ist das Mut oder einfach nur die Berauschung durch die Idee, etwas Neues zu schaffen? Und überhaupt, was soll der Name Lucy’s? Und was hat er mit dem Verlags-programm des Nachtschatten Verlags zu tun?

Eingeweihte wissen: Der Name enthält eine Anspielung auf den Beatles- Song «Lucy in the Sky with Diamonds». Die Verbindung zu Albert Hofmanns Entdeckung scheint klar, vielleicht handelt es sich aber auch um einen Zufall – wie die Entdeckung von LSD selbst. Den Namen Lucy tragen zudem die sterblichen Überreste des in Afrika entdeckten ersten Menschen aus der «First Family» – des eigentlichen Urmenschen, dessen Alter auf rund 3,2 Millionen Jahre datiert wird.

Lucy heisst aber auch einfach Licht. Und Licht ins Dunkel der Drogen- diskussion zu bringen, ist eines der Ziele von Lucy’s. Seit dem Sphinx- Magazin, das von 1977 bis 1986 erschien, hat es kaum mehr Zeitschriften gegeben, die unvoreingenommen über Drogen und Bewusstsein sowie über traditionelles (schamanisches) Wissen berichteten und sich gleichzeitig an der Zukunft orientierten. In Zukunft werden wir nämlich psychoaktive Substanzen bewusst und gezielt einsetzen und ihr Wirkungspotenzial, ob nun medizinisch oder rekreational, anerkennen. Davon sind wir überzeugt.Es gibt sehr viele Hanfmagazine, die auch über Ethnobotanik und Schama-nismus berichten; sie alle haben schon einiges zur öffentlichen Diskussion beigetragen, ebenso wie einige esoterische/spirituelle Periodika mit Artikeln zur traditionellen Ethnomedizin und den zugehörigen Ritualen – mit und ohne Substanzen. Die Mainstream-Medien berichten zunehmend differen-zierter über Drogen und Rausch, da sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Rausch nicht zwingend mit Drogen zu tun haben muss. Es gibt subs-tanzunabhängige Abhängigkeiten, die sogar mehr Schaden anrichten. Der Geschwindigkeitsrausch zum Beispiel fordert mehr Todesopfer als viele illegalisierte Substanzen zusammen.

Rausch ist also nicht ausschliesslich substanzorientiert. Rausch ist ein Urbedürfnis und kaum aus unserer Gesellschaft wegzudenken. Oder anders ausgedrückt: Was würde passieren, wenn von heute auf morgen keine Zigaretten, kein Bier, kein Kaffee und keine Psychopharmaka mehr erhältlich wären? Unvorstellbar!

Roger Liggenstorfer vor einem Bild von Fred Weidmann / Foto von Lara von Däniken

Rausch und Realität

Was Rausch ist, wird verschieden definiert und wahrgenommen. Für Drogengegner ist der Rausch per se etwas Negatives; legale ‚Genussmittel’ tolerieren sie bestenfalls gerade noch knapp. Weltoffene Menschen dagegen betrachten den Rausch differenzierter, sie erkennen zahlreiche mögliche Nuancen und Variationen. Beginnt ein psychoaktiver Zustand beispielsweise schon am Morgen beim ersten Kaffee oder erst mit dem Glas Wein zum Mittagessen?

Realität ist wohl am schwierigsten zu definieren. Was ist meine, was ist deine Realität? Woher kommt sie, wohin führt sie uns? Und die alte Frage nach dem Sinn des Lebens: Was tun wir hier und jetzt in dieser Realität? In Wirklichkeit ist die Realität ganz anders (einer meiner Lieblingssätze!) – und die drogenpolitische Wirklichkeit sieht leider trüb aus: Eine überwiegende Mehrheit der Menschen berauscht sich gerne und regelmässig. Der Konsum und Besitz von relativ harmlosen Substanzen kann dabei ins Gefängnis führen. Weitaus gefährlichere Genussmittel werden dagegen breit beworben und dürfen legal konsumiert werden. Auch das ist eine Realität – eine, die zu ändern wäre.

Es ist Zeit, den Fokus auf unerforschte Bereiche zu richten, kritisch zu hinter- fragen, aufzudecken, Berauschendes, Nachdenkliches und Gesellschafts- kritisches zu publizieren. Und es ist Zeit, sich den verschiedenen Realitäten zu stellen und den Rausch (im rituellen Kontext) gesellschaftlich zu akzep-tieren. Dazu will Lucy’s beitragen.

T E x T Ro g e r L i g g e n s t o r f e r , H e r a u s g e b e r

Page 10: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

1 7 K a p i t e l K a p i t e l 1 8

«Ich kenne niemanden, der die seelische Befindlichkeit der heutigen modernen Gesellschaft so treffend im Bild festhalten kann wie er. Wenn in einigen Jahrzehnten vom zwanzigsten Jahrhundert die Rede sein wird, wird man an Giger denken.» Oliver Stone

Es ist früh an einem kühlen, regnerischen Novemberabend. Ich stelle das Motorrad ab vor einem kleinen, bescheidenen Haus mit einem verwilderten Garten. Bäume, ein Teich voller Laub, ein überwachsener Sitzplatz: ein fast verwunschener Ort inmitten der wuchernden Glas- und Betongebäude der Vorstadt. (Wie sich später herausstellt, ist es nur eines von drei miteinander verbundenen Reiheneinfamilienhäusern.) Zürich-Oerlikon, späte Dämmerung. Hier lebt HR Giger, der Oscar-Preisträger, der Schöpfer des Alien, der Maler des Necronomicon, einer der bedeutendsten Künstler der schweizerischen Gegenwart. Ich klingle an der Tür, eine grossgewachsene, gutausse-hende Frau öffnet mir, lächelt: Carmen, seine Frau. Danach sitzen wir am Küchentisch und trinken ein Glas Wein.

Eine ganz allgemeine Frage zuerst: Dein Verhältnis zu Drogen. Sind sie Bestand-teil des Lebens? HR Giger: Ja und nein. Man kann sich selber besser kennenlernen, mit LSD zum Beispiel. Gekifft habe ich nur selten, ich rauche auch nicht und nehme auch kein Kokain.

Du warst ja befreundet mit Albert Hofmann. Was war das für eine Beziehung? Wie habt ihr euch kennengelernt?Wir kannten ihn nur während seiner letzten Lebensjahre, haben ihn drei- oder viermal besucht. Er war aber auch in unserem Museum in Gruyères. Ich erinnere mich, dass er mit der Hand über die Bilder gefahren ist und sagte, man könne sich kaum vorstellen, dass dies nur zweidimensional sei. Auch hat ihm die Bar extrem gut gefallen.

L u c y ’ s I n t e r v i e w 18

DIE OFFENBARUNG DES HR GIGER

Foto: Annie Bertram

E i n I n t e r v i e w m i t HR G i g e rT E x T D a v i d H ö n e r

Page 11: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

1 9 K a p i t e l K a p i t e l 2 0

Konntest du mit dem LSD etwas anfangen?Jeder, der LSD-Erfahrung hat, kann nur bestätigen, wie sehr es alle Sinne intensiviert. Da ich als Maler vor allem ein visueller Mensch bin, haben mich vor allem die Farben und die erwei-terten, verzerrten Dimensionen begeistert.

Die Welt von HR Giger liegt in vielem ausserhalb unserer (Normalbürger-)Wahrnehmung. Es ist, als ob du eine Tür geöffnet hättest. Könnte man sagen, dass dabei die erweiterte Wahrnehmung mit Hilfe des LSD eine Rolle gespielt hat?Das perspektivische Zeichnen hat mich schon als Knabe fas-ziniert. Natürlich hat mich das LSD nur schon deswegen faszi-niert, weil sich meine früh wahrgenommenen «Verzerrungen» der Perspektiven bestätigt haben.

Gibt es ein Vorher und ein Nachher? Den Blick vor und nach dem Acid?Unbedingt. Das LSD öffnet Pforten, die «Pforten der Wahrnehmung», wie schon Aldous Huxley sagte. Es lässt sich nicht beschreiben, man kann es nur selber erfahren.

Kannst Du umschreiben, was diese Eindrücke und Erfahrungen kennzeichnet?Wie gesagt, es sind die Farben und Formen. Intensiv, leuchtend, plastischer auch. Eine Art Neon-Glanz verstärkt sie. Alles beginnt zu strahlen, zu leuchten, die Dinge zerflies-sen in der Bewegung.

Werden auch die Gefühle und Empfindungen verstärkt?Du sagst es. Natürlich verstärken sich die emotionalen Zustände. Im Necronomicon gibt es drei Ölbilder: eine Toilette, den Waschtrog und eine Badewanne. Sie drehen sich um das Motiv der Vagina dentata (d.h. mit Zähnen), die einen verschlingen will. Es kann durchaus beängstigend wirken, das gehört dazu.

«Bilder von Geburt und Tod, Sexualität, Folter und anderen Formen von Gewalt, von körperlichen Ausscheidungen, satanischen Motiven und rel igiösen Themen f inden s ich nebeneinander oder gehen ineinander über.» aus «HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth Century»

Sind es neue oder bestehende Ängste?Es sind bestehende Dinge, die sich auf bestimmte Weise verstärken oder verändern, sie weisen in eine Richtung. Das kann wie ein Film ablaufen, dazu leuchten die Farben, und alles verändert sich immerzu. Und die Kontraste verschärfen sich, komplementäre Farben tauchen auf. Wie gesagt, es lässt sich nicht beschreiben.

Und kannst du eine Idee auch noch verfolgen, wenn du in so etwas eintauchst? Wirst du nicht abgelenkt, führt es dich irgendwo hin?Du meinst das LSD? Wenn ich male? Nun, wie gesagt, ich habe nur sehr wenige Male und nur während einer bestimmten Periode mit LSD gemalt, zudem immer mit einer sehr geringen Dosis. Andernfalls ist es unmöglich.

19 L u c y ’ s I n t e r v i e w

HR GiGeRHR Giger, geboren 1940 in Chur, ist Schweizer Maler, bildender Künstler und Oscar-Preisträger. Er lebt und arbeitet in Zürich Oerlikon.

Biomechanoid I, 1974, 20 x ×140 cm, Acryl auf Papier auf Holz

Page 12: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

2 1 K a p i t e l K a p i t e l 2 2

Also der Weg ist kein direkter. Man nimmt eine Substanz und erst danach, quasi in der Auswertung, wird es verarbeitet und zum Bild?Es kann auch direkt funktionieren, man kann, vor allem mit der Spritzpistole, unheim-lich schnell reagieren, darauf eingehen, auf die Bewegungen, auf die Farben. Dabei spielt es keine Rolle, ob man ein Bild oder eine Skulptur entwickelt. Auf diese Bewegungen einzugehen ist fast wie ein Tanz.

Eine direkte Inspiration?Und eine inspirierende Kreativität.

Fast braucht es Mut, um diese Bilder zu verstehen. Mut hilft nicht, etwas besser zu verstehen.

«Erkenntnisse aus der psychedelischen und der empirischen Psychotherapie haben bestätigt, dass Gigers Verständnis der menschlichen Psyche dasjenige von Mainstream-Therapeuten, die die neuen Erkenntnisse noch nicht akzeptiert und in ihre wissenschaftliche Arbeit integriert haben, bei weitem übertrifft.»aus «HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth Century»

In deinen Bildern spielt die weibliche Schönheit ja auch eine grosse Rolle. Hast du auch mit Modellen gearbeitet? Eher wenig. Es ist nicht günstig, andere Menschen um sich zu haben. Besser, man ist alleine.

Ein anderer Faktor ist die Gewalt, die auch immer wieder eine Rolle spielt. Und oft in einer sehr subtilen Form. Die Bilder der Gebärmaschine beispielsweise…Vielleicht braucht es diese Erläuterungen einfach nicht. Etwas geschieht, und man hat die Leinwand oder den Malgrund vor sich. Man lebt in einer Umgebung, und am Ende spiegelt sich das wider, was man sieht, erlebt und spürt.

«Indem er nach der Quelle seiner eigenen Alpträume, Visionen und beunruhigenden Phantasien suchte, entdeckte er, unabhängig von den Pionieren der modernen Bewusstseins- forschung und der empirischen Psychotherapie, die über- ragende Bedeutung des Geburtstraumas.»aus «HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth Century»

Bist du ein politischer Mensch?Nein. Ich habe mich davon ferngehalten. Ich bin kein öffentlicher Mensch, meine Pro-zesse sind innerliche, seelische. Ich nehme nicht zu konkreten Dingen Stellung. Einzig das Thema der Überbevölkerung hat mich oft beschäftigt. Zu viele Leute – das ist das Thema der Gebärmaschinen. Was ich darstelle, ist diese Bedrohung. Die Welt hat sich meinem Empfinden nach in den letzten Jahren nicht verbessert.

Kannst du benennen, was sich verschlechtert hat? Wie gesagt, zuviele Leute, zu viele Kinder, zu viele Alte: Es ist bedrohlich eng geworden...

«Landschaften aus Babyköpfen haben es mir besonders angetan. Babys sind schön und unschuldig, und doch sehe ich s ie, in dieser r ies igen Anzahl, als eine unheimliche Bedrohung und als den Anfang von allem Übel. Als Träger vieler Seuchen s ind s ie für mich prädest iniert, die psychischen und organischen Schäden unserer Zivilisation darzustellen.» aus «HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth Century»

Als du mit Zeichnen und Malen angefangen hast, war das auch ein Abbild dessen, was um dich herum passierte, und der Gesellschaft, in der du lebtest?Würde ich nicht so sagen ...

Also deine eigene Welt. Ich habe mir meine eigene Welt kreiert. Ich bin in Chur aufgewachsen, mein Vater kam aus Basel, die Mutter aus dem Thurgau. Als junger Mann kam ich nach Zürich an die Kunstgewerbeschule. Ich bin ein Städter, der Bauernhof war nie meine Welt. So sind auch meine Bilder städtisch, wenn man so will.

Zeigen sie uns auch eine Zukunft?Ja, schon. Sie wachsen, die Städte, in den Städten leben die vielen Menschen.

Haben sich die Städte seit deiner Jugend auch verändert?Mir scheint, die Häuser und Strassen seien früher organischer gewesen. Doch sie sind es immer noch, nur dass sich dann diese Biomechanik entwickelte: Maschinen und Menschen verbinden sich, eher im negativen Sinn. Das ist heute aktueller denn je.

Hast du auch als Kind nie Blümchen oder Tiere gezeichnet?Nein, meine Bilder und Visionen sind früh entstanden, mit etwa acht Jahren habe ich Comics gezeichnet, viele Burgen, Indianerkämpfe, Schlösser mit Perspektiven bis hin zu Folterwerkzeugen.

Menschen, Maschinen und Architektur, das sind Leitmotive in Deiner Arbeit. Und Erotik?In meinen Werken ist das Weibliche oft erotisch, es sind androide Schönheiten. Mir gefällt dieses Organische, das Lebendige, der Mensch.

Und warum die Folterwerkzeuge? Ist Schmerz ein Bestandteil deiner Kunst?Nicht wirklich. Es handelt sich eher um die Angst zu ersticken, vielleicht die Angst, die man hat, wenn man geboren wird, wie Stan es so treffend beschreibt. Meine Bilder sind trotzdem sehr subjektiv. Von mir geprägt.

Und in dieser subjektiven Wahrnehmung spielt auch der Tod eine Rolle.Ja, klar, der Tod gewinnt mit dem Alter zunehmend an Wichtigkeit. Er wird interessanter.

«Gigers Kunst entstammt offenkundig den Tiefen des kollekti-ven Unbewussten (…) die kreative Kraft floss ganz einfach durch ihn hindurch, und er wurde zu ihrem Instrument. (…)»Stan Grof

L u c y ’ s I n t e r v i e w 2221 L u c y ’ s I n t e r v i e w

Page 13: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

2 3 K a p i t e l K a p i t e l 2 4

«Der Begriff ‘Offenbarung’, in dem Sinn, dass plötzlich, mit unsäglicher Sicherheit und Feinheit, etwas sichtbar, hörbar wird, etwas, das einen im t iefsten erschüttert und umwirft, beschreibt einfach den Tatbestand. Man hört, man sucht nicht; man nimmt, man fragt nicht, wer da gibt; wie ein Blitz leuchtet ein Gedanke auf, mit Notwendigkeit, in der Form ohne Zögern.» Friedrich Nietzsche

Gibt es einen spirituellen Giger?Was meinst du damit? Religion? Religion hat mich nie interessiert, das ist zu stark institutionalisiert, es schränkt die eigene Wahrnehmung ein. Als frei denkender Künstler bin ich kein Anhänger solcher Einschränkungen. Vor allem das Christentum ist mir zu dogmatisch.

Trotzdem. Gibt es bei dir ein Denken, welches über den Tod hinausgeht?Natürlich ist die Vorstellung, dass es einmal aufhören soll, mit Angst besetzt. Doch ich glaube nicht an eine Transformation, für mich hört es auf, es ist Schluss. Mit dem Tode ist es vorbei, so glaube ich zumindest. Man kann sich ja in diesem Bereich nicht sicher sein.

(Die Katze springt auf meinen Schoss. HR lacht.) Offenbar magst du Katzen?Katzen finde ich spannend, ich hatte immer Katzen, keine Hunde. Die kenne ich auch, mein Vater hatte Hunde, aber die finde ich nicht so interessant.

«Möchte man Themen wie Schamanismus, Übergangsriten, Mystik, Religion, Mythologie, Parapsychologie, Nahtod- erfahrungen und psychedelisch Bewusstseinszustände seriös studieren, so ist diese Kartographie [des Bewusstseins] unerlässlich.» aus «HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth Century»

Gibt es eine Relation zum Schamanismus? Könnte man sagen, dass du einer bist, der Dinge sieht, die andere nicht sehen, ein Magier, vielleicht ein Seher?Vielleicht bin ich das…

Und woher kommt das?Wer soll das wissen? Die Frage kann ich nicht beantworten. Ich habe relativ spät ange-fangen, da war ich 18, 20 Jahre alt, als ich begann, diese Eindrücke zu malen, zu zeichnen und zu modellieren.

Ich gehöre zur Generation, die mit deinen Bildern aufgewachsen ist. Doch gekannt hat man dich nicht. Du bist ja auch kein Partygänger.(lacht) Nein, absolut nicht. Aber früher tanzte ich gerne, freestyle, für mich alleine, damals in der Platte 27, im Africana. Dort habe ich Dollar Brand gehört. Ich bin ein grosser Jazzfan, Miles Davis hat mich immer begleitet.

L u c y ’ s I n t e r v i e w 24

1 «Schacht Nr. 1», 1964, 21× x 15 cm, Tusche auf Papier2 «His Master’s Voice», 1964, 30 x ×21 cm, Tusche auf Papier3 «Schacht Nr. 4» (Macht und Ohnmacht einer Organisation),

1964, 30× x 21 cm, Tusche auf Papier 4 «Schacht Nr. 2», 19× 64, 21× x ×15 cm, Tusche auf Papier

4

21

3

Page 14: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

2 5 K a p i t e l K a p i t e l 2 6

Hast du auch zum Arbeiten Musik gehört?Sehr viel! Doch an Konzerte ging ich selten, zu viele Menschen, und ich war doch lang- sam bekannt. Man hat mich angesprochen, was ich leider ein wenig lästig fand, einfach zu viele Leute.

Stan Grof hat ja nun dieses Buch zu deinen Arbeiten geschrieben. Kennt ihr euch schon lange?Lang ist relativ, seit den achtziger Jahren. Anfang der achtziger Jahre. Näher kennen-gelernt habe ich ihn über meine Frau Carmen, die bei ihm die Ausbildung gemacht und für ihn gearbeitet hat.

Reist du gerne?Nein. Meine Reisen finden vorwiegend in meinem Inneren statt. Ich bin zwar an einigen Orten gewesen, und für ein paar kurze Aufenthalte in New York. Das hat mich beein-druckt. Der Grossstadtwahnsinn. Ich habe dann dieses Buch gemacht, das New York City zum Thema hat.

Wie lange lebst du schon hier in Oerlikon?Mittlerweile vierzig Jahre, und natürlich habe ich auch gesehen, wie sich hier alles veränderte. Früher war direkt neben uns ein Bauernhof, mit Schäfchen und einer Wiese voller Wildblumen.

«Giger wurde zum Ziel unzähliger wütender Reaktionen von Laien. Kunstkritiker griffen ihn mit moralischen Wertungen und psychiatrischer Stigmatisierung auf erbitterte Art und Weise an und hinterfragten seinen Charakter, seine Integrität und seine Zurechnungsfähigkeit. (…) Sie wären äusserst erstaunt zu erfahren, dass Giger eigentlich ein scheuer, sanftmütiger und liebevoller Mensch ist, der die Kunst als Ausdruck einer Auseinandersetzung mit seinen Angstgefühlen, Unsicherheiten und inneren Dämonen nutzt.» aus «HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth Century»

Was war, von dir aus gesehen, der Höhepunkt deiner Karriere? Der Film «Alien»?Ja, der Oscar, den ich dafür erhalten habe, war natürlich wichtig. Er hat mir bestätigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Aber eine Sache ist die Karriere, eine andere das Schaffen an sich. Hier ist der Tempel «The Spell» eine der wichtigsten Arbeiten, auch wenn die Symbolik oft fehlgedeutet wurde. Ich bin nämlich weder Satanist noch Schwarzmagier.

Aber du hast diese Symbolik in deine Arbeiten einfliessen lassen. Das hat unter anderem mit Sergius Golowin zu tun, der ein guter Freund von mir war. Er war ein bedeutender Mythenforscher und Schriftsteller. Ihm verdanke ich einige Inspirationen.

Bist du auch einer, der in die Natur hinausgegangen ist?Ach ja (lacht), wenn es nicht anstrengend ist. Sonst lieber mit der Luftseilbahn. Ich mag das Meer und die Berge. Wir hatten auch eine Zeitlang ein Ferienhaus in den Bergen. Als Kind war ich dort zum Skifahren, im Sommer zum Wandern.

25 L u c y ’ s I n t e r v i e w

Meister und Margarita, 1976, 100×x70 cm, Acryl auf Papier auf Holz

Page 15: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

w

27 L u c y ’ s I n t e r v i e w

Und wenn ich dich nach den Menschen frage, die dich beeinflusst haben, wer kommt dir da zuerst in den Sinn?Vom Menschlichen her ist da sicher Timothy Leary, der ein guter Freund von mir war. Ich habe sogar Unterschriften für ihn gesammelt, als er hier im Exil war. Er wurde ver-folgt und flüchtete darum in die Schweiz. Die Unterschriften habe ich gesammelt, um ihm seinen Aufenthalt hier in der Schweiz zu ermöglichen. Er machte mir mal ein bemerkenswertes Kompliment: «Giger, du siehst weiter als wir anderen gewöhnlichen Primaten.» Er schrieb für zwei meiner Bücher die Einleitung.

«Wie Hieronymus Bosch, wie Pieter Bruegel zeigt uns Giger gnadenlos den Anabolismus und Katabolismus unserer Realitäten. In diesen Gemälden sehen wir uns selbst als kriech-ende Embryos, als fötale, von unseren Ego-Membranen geschützte Larvenkreaturen, wie wir auf den Moment unserer Befreiung und Wiedergeburt warten. Wir sehen unsere Städte, unsere Zivilisationen als Insektenschwärme, als Ameisen- kolonien, bevölkert von krabbelnden Kreaturen.» Timothy Leary

Gibt es noch andere?Es sind zu viele, als dass ich sie hier alle aufzählen könnte. Salvador Dali zum Beispiel. Ich lernte ihn kennen, und wir schätzten uns gegenseitig. Ich besuchte ihn in seinem Museum. Er nannte mich immer den «Autrichien», weil er meinte, ich sei Österreicher. Bei einem Besuch in seinem Museum – er sass neben seiner Frau Gala auf zwei hohen Stühlen – winkte er mich herbei und bat mich, ihren Platz einzunehmen. Es war eine ganze Menge Leute da. Ich empfand das als grosse Ehre, eine Anerkennung.

Ein Freund von mir erzählte mir, dass er als Gymnasiast einen Vortrag über dich gehalten hat. Du hast ihm bei seinem Besuch einen Schrumpfkopf gezeigt. Hast du den noch? Den habe ich vor langer Zeit gekauft, sicher vor mehr als dreissig Jahren, von einem Schweizer, der diese Länder bereiste. Es ist ein kleiner Kopf von einem Buben mit kurzen Haaren, irgendwo aus Südamerika. Das sind natürlich faszinierende rituelle Gegenstände.

Konnte dir deine Kunst das Leben erleichtern?Ich habe Freude am Leben, bin lebensfroh, esse gerne, trinke gerne. Das Leben hat mir vieles gegeben.

«Gigers entschlossene Suche nach kreativer Selbstentfaltung ist untrennbar mit seiner unerbittlichen Suche nach seinem Selbst und der Selbstheilung verbunden.»aus «HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth Century»

Hast du auch mal Musik gemacht?Ich spielte Sopransaxophon. Und etwas Piano…

Ich finde ja Essen auch immer wichtig. Was sind denn so deine Lieblingsgerichte?Ja, das Essen, klar ist es wichtig. Carmen kocht wunderbar. Ich selber mache wenig in der Küche, vielleicht mal ein Fondue oder eine Pizza, aber essen tu ich gerne. Alles, was gut ist.

HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth CenturyBetrachtungen aus der modernen Bewusstseinsforschung

von Grof Stanislav

Stanislav Grof, der Pionier der Bewusstseinsfor-

schung, interpretiert in seinem einzigartigen

Essay HR Gigers visionäre Welt erstmals aus der

Sicht der transpersonalen Psychologie. Bisher

wurden die Bilder HR Gigers in allen Variationen

beschrieben, nie aber die gesellschaftliche Rele-

vanz seiner Kunst. Mit seiner Deutung der klaus-

trophobischen, albtraumhaften Aspekte in Gigers

Kunst ermöglicht Grof ein neues, tieferes Ver-

ständnis des Gesamtwerks. Mit einem Vorwort von

Claudia Müller-Ebeling (Kunsthistorikerin).

ISBN 978-3-03788-300-6248 Seiten, Format 24x24 cm, Hardcover,deutsch/englische Ausgabe

limitierte und nummerierte Sonderausgabe:ISBN 978-3-03788-301-3, 248 Seiten, Format 24x24 cm, deutsch/englische AusgabeLeinenausgabe inkl. Fine Art print des Titelbildes

Inspiriert vom Buch wurden folgende Absinth-Sorten produziert:HR Giger – Zeitgeist, 54 Vol%HR Giger – Wolfsmilch, 69 Vol%Original aus dem Val-de-Travers (CH).

www.nachtschatten.ch/giger

L u c y ’ s I n t e r v i e w 28

Page 16: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

Ab 1948 gerieten vor allem phantastische Künstler des realistischen Stils in eine Isolation, weil man allgemein beweisen wollte, in den Jahren des Krieges nicht «hinter dem Mond» geblieben zu sein. Der abstrakten Malerei gehörte die Zukunft. Alle malten abstrakt, weil sie, so der Vertreter der Wiener Schule des phantastischen Realismus, Ernst Fuchs, der Meinung waren, «dass von nun an die Malerei der Zukunft nie wieder figürliche Darstellungen zeigen würde.» 1

Die Vehemenz, mit der Kritiker auf das Werk visionärer Künstler reagieren, entbehrt jeglichen guten Tons und Feingefühls. Anlässlich der Retrospektive des Gesamtwerkes von Alex Grey 1977 in San Diego, USA, beklagte die Kunst- kritikerin Leah Ollman einen «illustrativen Overkill», der Greys Werk heimsuche. Sie beschimpfte es als «lächerlich» und bezichtigte seine Kunst als unerträgliches Repertoire von «New-Age-Klischees».

Warum werden Reaktionen von Kritikern nicht von der gleichen dezenten Zurückhaltung be-stimmt, die sie beispielsweise der radikal abstrak-ten Kunst des holländischen Malers Piet Mondrian (1872–1944) entgegenbrachten, obgleich dessen künstlerischer Stellenwert erst nach seinem Tod erkannt wurde? Verursachen die oft unbeküm-mert vernachlässigten Grenzen zwischen Kitsch und Kunst der meist gegenständlichen visionären Kunst das Unbehagen? Obliegt die Kritik dem Bann der Originalität und den Gesetzen des zeitgenössischen Kunstmarkts oder lösen Kon-frontationen mit dem innerpsychisch «Einge-machten» derartige Eruptionen unterhalb der Gürtellinie aus? Entscheiden Sie selbst …

Die Wiege der InspirationInspirationen werden im weiten Raum des Bewusstseins geboren. Zunächst bevölkern sie körperlos die (vom jeweiligen Zeitgeist sowie von

Kritischer Blick auf die Schattenseite

der Kunst

Wolfgang Maria Ohlhäuser, Am Rand des Wahnsinns, 1975

1 FUCHS, München, Zürich: Piper 1977: 45

T e x T C l a u d i a M ü l l e r - E b e l i n g

Dieter Hagenbach/Lucius WerthmüllerAlbert Hofmann und sein LSDEin bewegtes Leben und eine bedeutende Entdeckung

406 Seiten, gebunden978-3-03800-530-8

CHF 44.90

Christian RätschEnzyklopädie der psychoaktiven PflanzenBotanik, Ethnopharmakologie und Anwendung

944 Seiten, gebunden978-3-03800-352-6CHF 129.–

Rick, StrassmanDMTDas Molekül des Bewusstseins. Zur Biologie vonNahtod-Erfahrungen und mystischen Erlebnissen

464 Seiten, gebunden978-3-03800-967-9

CHF 36.90

Psychoaktive Standardwerke aus dem AT Verlag

www.at-verlag.ch

A TVERLAGA T

Page 17: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

3 1 K a p i t e l 3 2L u c y ’ s K u n s t

Ansichten und Moden) jeweils geschichtlich entstandene, durch Zeiten, Kulturen, Ansichten und Moden geprägte Lebenssphäre eines Künstlers, jenseits von stilistischen Ausrichtungen und künstlerischen Ambitionen und Positionen. Dann geraten sie in den Geburtskanal. Manchmal reifen Inspirationen in Minutenbruchteilen zur Kunst. Aus Ideen werden Skizzen – aus Skizzen Entwürfe – aus Entwürfen Kompositionen – aus Kompositionen Bilder.

Schon immer liessen sich Künstler von zufälligen Gebilden in Wolken, Baumrinden, Mauern oder abblätterndem Putz inspirieren und konkre-tisierten diese vagen Motive dann zu Bäumen, Schlössern und Gestalten. Etwa der französische Dichter Victor Hugo (1802–1885), der auch als Zeichner reüssierte und dem der Romantiker Théophile Gautier nachsagte, er habe aus Tinten- oder Kaffeeklecksen Landschaften entstehen lassen. Der Surrealist Max Ernst (1891–1976) ent- wickelte 1925 die Technik der Frottage, bei der er durch Durchreiben mit Graphit die unterlegte Maserung von Hölzern oder Blättern sichtbar machte und in den Dienst der phantastisch- surrealen Gestaltung stellte. Der zeitgenössische Künstler Fred Weidmann2 stellt marmorierte Untergründe her, die er zu phantastischen Szenerien ausarbeitet. Wolfgang Maria Ohlhäuser lässt sich durch zufällige Strukturen in den Unter- gründen seiner aufwändigen Eitemperatechnik zu grossformatigen Landschaften inspirieren, die bei näherer Betrachtung von phantastischen Wesen bevölkert sind.3 Die Künstlerin Nana Nauwald versenkt sich in den schwarzen Mal-grund, mit dem sie ihre Leinwände bedeckt, um die leuchtend farbigen Strukturen des unsichtbaren Raums hervorzulocken.4

Meist sind die visionären Szenarien Künstlerinnen und Künstlern geradezu in die Netzhaut einge-brannt und müssen, salopp vereinfachend gesagt, nur noch abgemalt werden. Der Schweizer Künstler HR Giger erklärte in einer Fernsehdokumentation: «Wenn ich die Augen schliesse sehe ich etwas ganz Phantastisches. Eine unwirkliche Architek-tur.» Künstler wie Giger werden von diesen Visionen heimgesucht und so lange umgetrieben, bis sie sich in Graphiken oder Gemälden nieder-schlagen. Andere müssen sich leer und frei

machen, damit sie die Muse küsst. Ohlhäuser sagt: «Ich kann mich in meine Bildwelten nur vertiefen, wenn ich völlig ungestört von äusseren Einflüssen und Ablenkungen bin. Sonst kommen die Musen nicht. Sie kommen nur, wenn ich leer bin. Nur ein leeres Gefäss kann gefüllt werden.»

Visionen lieben die Dunkelheit. Sie entfalten sich vornehmlich in der Nacht. Sie zeigen sich bei geschlossenen Augen und breiten ihre phantasti-schen Szenerien im Innern des Menschen aus. Visionen – so wissen wir aus den Erzählungen der Prärieindianer, die auf Visionssuche gingen, oder aus den Überlieferungen von Einsiedlern – überfallen den Menschen in nächtlicher Einsam- keit. Sie kommen, wenn die Katzen nicht grau sind, wie es heisst, sondern wenn ihre Augen im Dunkeln glühen wie Kohlen. Diese opalisieren-den Katzenaugen gleichen den Visionen. Sie schillern in vielen Farben und sind von einem inneren Licht erfüllt. Visionen bahnen Wege ins Bewusstsein. Sie führen durch die Gesichte der Dunkelheit in das Labyrinth der Erscheinun-gen. Dorthin, wo Gedanken zu Bildern und Nachtgesichte zu farbenprächtigen und tag- hellen Wirklichkeiten werden. Das haben Hilde-gard von Bingen, die «Seherin vom Rhein», Prärieindianer und auch der Psychiater Arthur Heffter gleichermassen beschrieben.Der Ort, wo Gedanken zu Bildern werden, ist das Reich der Visionen. Die Bilder stammen zwar aus iner «anderen» Wirklichkeit, doch gehören sie zu dieser Welt. Wie die Nacht zum Tage.

Der Mikrokosmos Mensch verschmilzt mit dem Makrokosmos des Universums.Christian Rätsch, Hommage à Albert Hofmann, Aquarell, 1982

2 Siehe www.fredweidmann.com 3 Ohlhäuser lernte die alte Technik der Niederländer von Ernst Fuchs. Siehe: Retrospektive W.M. Ohlhäuser. 27 Jahre künstlerischen Schaffens 1975–2001, Kulturstiftung Rhein-Neckar-Kreis e.V. 2001. 4 Siehe www.visionary-art.de

Dieser (gekürzte und redigierte) Text basiert auf einem Kapitel aus: Claudia Müller-Ebeling, Ahnen, Geister und Schamanen – Universale Zeichen, Klänge und Muster der unsichtbaren Welt, 2010 Aarau/ München: AT-Verlag.

Claudia Müller-ebelingStudierte Kunstgeschichte und Ethnologie in Freiburg,Hamburg, Paris und Florenz. Die Autorin und Referentinpromovierte in Kunstgeschichte über «Visionäre Malerei in Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts» und lebt in Hamburg.www.claudia-mueller-ebeling.de

Page 18: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

3 3 L u c y ‘ s I n t e r v i e w 3 4L u c y ’ s I n t e r v i e w

«Wenn man im Paradies lebt, Will man ja nicht so schnell Weg» Albert Hofmann

Ein Gespräch mit

Albert Hofmann

(1906–2008)

dem Schweizer

Wissenschaftler,

Autor und

Entdecker des LSD.

Das Gespräch führten

Mathias Bröckers

und Roger Liggenstorfer

im August 2005.

Page 19: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

3 5 3 6L u c y ’ s I n t e r v i e w L u c y ’ s I n t e r v i e w

Was uns alle am meisten interessiert: wie man 100 Jahre alt wird. Welche Metho-den – oder Tricks – hast du angewendet, um ein solches Alter zu erreichen und so rege und geistig wach zu bleiben? Das kann man nicht planen. Ich hatte irgendwie immer wieder das Glück, Positives zu erleben. Wenn etwas Negatives kam, dann kam, sozusagen wie vom Himmel, wieder etwas Positives. So hat sich das immer wieder ausge-glichen. Ich glaube, dass ich die Gnade hatte, offene Sinne zu behalten, und unser Bewusstsein wird ja von den Sinnen genährt. Ich habe bis heute keine Brille und keine Hörgeräte. Ich habe wirklich das Gefühl, dass ich auf die Natur höre, auf das, was uns gegeben ist. Deshalb bin ich auch so skeptisch gegenüber dieser technischen Kul-tur, weil: Wir verpassen ja das Paradies! Wir vermauern und verbrettern unsere Sinne

mit dieser Technisierung. Ich bin noch zu Hau-se in der Natur, nicht in der technischen Welt. Ich glaube, das ist einer der entscheidenden Fehler unserer heutigen Welt: Wir kommen im-mer mehr ab von dem, was da ist, von diesem grossen Geschenk, wir nehmen es nicht einmal mehr wahr. Wir rackern uns ab mit techni-schen Problemen. Wenn ich in der Stadt hätte

leben müssen, wäre ich mit Sicherheit schon lange gestorben, schon lange tot. Ich habe das Glück, dass ich hier auf der Rittimatte im Paradies lebe – und wenn man im Paradies lebt, will man ja nicht so schnell weg.

Hat auch das LSD dabei eine Rolle gespielt, dass du so lange geistig wach und jung geblieben bist? Ich müsste zwei Leben haben, um das zu beantworten: eines mit und eines ohne LSD. Dann könnte man das wissenschaftlich beurteilen. So kann ich das ja nicht. In meinem Buch LSD – Mein Sorgenkind steht ja am Anfang dieses mysti-sche Naturerlebnis als Kind, das ja absolut einem LSD-Erlebnis glich, dieses Einssein mit der Natur. Irgendwie, glaube ich, war mir das angeboren.

Zum ersten Mal hergestellt 1938 und dann in der Schublade verschwunden – und 1943, bei einer Frühstückspause mit Milch und Honigbrot im Labor, kam dir die Idee, dass an dieser Verbindung möglicherweise etwas dran sein könnte, und bei der erneuten Herstellung geschah dann die Entdeckung der erstaunlichen Wir-kung … zum selben Zeitpunkt, als gerade die erste Atombombe konstruiert wur-de, auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs. Du warst zu dieser Zeit auch Offizier in der Schweizer Armee und musstest monatlich zum Dienst bei der Grenzsicherung? Ja, immer für drei Monate war ich weg, im Tessin, die Südgrenze bewachen, gegen Mussolini.

Und hast mitten im Krieg die Substanz entdeckt, die als «geistige Atombombe» bezeichnet wurde. Würdest du die alte Hippie-Parole unterschreiben, dass, wenn alle Generäle einen erfolgreichen LSD-Trip unternehmen, mehr oder weniger auto-matisch der Weltfrieden eintritt? Das kann ich auch nicht beantworten. Man müss-te es wissenschaftlich untersuchen. Aber ich denke, es wäre einen Versuch wert. In diesem Zusammenhang fällt mir eine Geschichte ein: Irgendwann kam einmal eine junge Frau in mein Laboratorium. Ich fragte sie, wie sie hier in die Fabrik überhaupt hineingekommen sei, und sie antwortete auf Englisch: «I can pass everywhere, I am an angel.» Und sie sagte: «Sie müssen mir helfen, dass der amerikanische Präsident LSD bekommt.» Sie hiess Johanna, wie die heilige Johanna der Franzosen. Ich wunderte mich immer noch, wie sie überhaupt in das Sandoz-Gebäude hineingekommen war. Aber ich konnte ihr natürlich nichts geben.

In den 70er Jahren hast du mit Gordon Wasson und Carl Ruck in einem Buch («Der Weg nach Eleusis») das Geheimnis der Eleusischen Mysterien gelüftet, mit der These, dass im Mittelpunkt dieses Rituals, der wichtigsten spirituellen In-stanz des gesamten antiken Abendlands, ein LSD-Erlebnis stand. Auch die dort Initiierten sprechen von einem neuen Verständnis des Einsseins mit der Natur, des Lebens und des Todes. Könnte es sein, dass die Vermauerung der Sinne durch Technik, die wir angesprochen haben, damit zu tun hat, dass mit dem Abbruch dieser Tradition auch ein Faden gerissen ist, der unmittelbare Kontakt mit der Natur? Das ist sicher so. Die grossen Geister, Staatsmänner und Philosophen, die gesamte Elite jener Zeit, waren mindestens einmal im Leben in Eleusis. Wir müssen wieder lernen, überhaupt wahrzunehmen, was die Natur, die Schöpfung ist. Ich habe das in meinen beiden Büchlein Einsichten, Ausblicke und Lob des Schauens angespro-chen: wir müssen wieder sehen lernen. Sehen, was wichtig ist und von was wir eigent-lich leben: von der Natur oder von der Maschine, von der Technik? Ich habe dort gezeigt, wie wunderbar die Natur ist und wie unfassbar, allein der Aufbau und die Planung der Organismen, die Schöpfung! Wenn der Naturwissenschaftler kein Mystiker wird, ist er kein Naturwissenschaftler. Und das ist es ja auch, was die Menschen in Eleusis erlebten: Erleuchtung. Erkennen, was wichtig ist. Zu meinen schönsten Erleb- nissen zählte immer wieder, wenn junge Leute zu mir kamen. Einmal kam ein junger Mann, der sich bedankte und sagte: «Ich bin in der Stadt aufgewachsen, doch seit ich einmal LSD genommen habe, gehe ich wieder in den Wald.» Er hat erkannt, was wirk-lich wichtig ist: nicht die Häuser, Fabriken, Büros, das brauchen wir und benutzen wir, aber das, wovon wir leben, ist die Sonne und der Mond und die Erde, die Wiesen und die Blumen. All das, was wächst, das Lebendige. Das ist es, was wir brauchen. Was der Mensch gemacht hat, ist wunderbar, aber sekundär. Und er macht so tolle Sachen, dass es ihm schadet. Wenn man sich jetzt nicht mehr in die Augen schauen muss, wenn man miteinander redet, wenn man mehr und mehr der Maschine überlässt, die immer perfekter wird, was soll das dann werden? Wir haben nur ein Bewusstsein – und das ist ent-weder angefüllt mit dem Leben der Maschinen oder dem Wunder der Natur. Um diese wieder sehen zu lernen, muss eine Veränderung des Bewusstseins eintreten. LSD ist das stärkste Instrument für eine Bewusstseinsveränderung. Unser Bewusstsein setzt sich aus all dem zusammen, was wir mit den Sinnen aufnehmen, an Licht, Wärme, Nahrung, aus dem, was ich sehe, höre, esse und so weiter. Das ist eine ganze Menge, die da aufge-nommen wird. Von LSD jedoch braucht es nur eine Spur, ein winziges Staubkörnchen. Das verändert unser Bewusstsein völlig. Unsere Welt ist aus Energie und Materie aufge-baut. Doch mit solch einer winzigen Spur von äusserlicher Substanz, die unser Inneres so verändert, sind wir an der Grenze von Geist und Materie. Das ist etwas ganz Einma-liges. Es ist in diesen Pflanzen enthalten, die seit 3000 Jahren als sakrale Drogen ver-wendet werden – in denen ich dann diese LSD-ähnlichen Verbindungen entdeckt. Des-halb gehört auch LSD in die Gruppe der sakralen Drogen. Aber jetzt fange ich an zu erzählen, was ich in den Büchern schon alles und viel besser geschrieben habe.

Nein, nein, wir sind begeistert, es noch einmal zu hören, und du erzählst wunder-bar. Ich würde auch gern noch etwas zu dem Modell des Bewusstseins hören, das mir in seiner Einfachheit sehr eingeleuchtet hat und das du Sender-Empfänger- Modell genannt hast? Der ganze Planet als Sender und jedes einzelne Bewusstsein als Empfänger? Unsere Sinne sind die Antennen, darüber kommt alles herein, das Bewusstsein ist der Empfänger. Alles, was wir im Bewusstsein haben, ist irgendwann

Sehen, was wichtig ist und von was wir eigentlich leben: von der Natur oder von der Maschine, von der Technik?

Dann kam das Verbot. Schon die Herstellung ist verboten. So wie Besitz und Anwendung: ein Totalverbot.

Page 20: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

3 7 3 8L u c y ’ s I n t e r v i e wL u c y ’ s I n t e r v i e w

einmal durch die Sinne hineingekommen. Bei Geburt ist es gleichsam ein leeres Bewusstsein und wird dann durch all das gefüllt.

Und ein paar Millionstelgramm LSD verändern die Wahrnehmung dramatisch. Es ist nicht nur einfach das bekannte Bild, ein bisschen verzerrter oder bunter. Ist es ein völlig anderes Programm? Weil LSD unsere Sinne verändert, man sieht besser, man hört besser, alles wird intensiviert. Insofern hatte auch Timothy Leary recht, als er behauptete, es sei auch das grösste Aphrodisiakum. Der Mechanismus des LSD ist ganz einfach: Die Tore der Wahrnehmung werden geöffnet, und wir sehen plötzlich mehr. Von der Wahrheit.

Und das ist manchmal sehr verwirrend … Ja, man erschrickt. Man hat ein völlig anderes Bild, und das kann einen furchtbar erschrecken. Deshalb sagen die Indianer: Bevor ich den heiligen Pilz nehme, muss ich fasten, muss beten, muss rein sein, dann bringt mich der Pilz dem Göttlichen näher. Und wenn ich das nicht mache, tötet er mich oder macht mich wahnsinnig. Das haben die Indianer gesagt, lange, lange bevor LSD und Psilocybin entdeckt wurden. Und die amerikanische Jugendbewegung, die es ja gut meinte, hat sich daran nicht gehalten, sie haben es zu oberflächlich genommen, sie haben sich nicht vorbereitet.

Dieses alte Wissen wurde anfangs nicht vermittelt, die meisten, die LSD nahmen, wussten nicht, was es ist, und kamen erst mit der Zeit dazu, damit richtig umzu-gehen … Das ging alles zu schnell. Es hätte sich entwickeln müssen, die Erkenntnis, dass es etwas Sakrales ist, das heisst, die Wiederentdeckung, denn eigentlich ist es schon seit mindestens 3000 Jahren bekannt, dass es etwas Besonderes ist.

Das haben Tim Leary und seine Kollegen in Harvard, Ralph Metzner und Richard Alpert, ja eigentlich auch getan, sie haben auf die Wichtigkeit von «Set & Setting» hingewiesen und das alte Ritualwissen gewissermassen in die Neuzeit transpor-tiert. Aber Leary hat LSD gleichzeitig – typisch amerikanisch – auch angepriesen wie ein Wanderprediger oder Handelsvertreter. Er hat es ja jedem geradezu aufge-drängt. Etwas, was ich nie getan habe. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Mensch-heit lernen wird, damit umzugehen in Zukunft. Und wenn man überlegt wie so ein modernes Eleusis aussehen könnte, dann wäre das zuerst ein Ort, eine schöne natürli-che Umgebung, in der man Meditationsferien macht, wo man fastet, ruht und betet, sich vorbereitet. Und wo dann solche Substanzen ihrem Sinn entsprechend angewen-det werden. Der Priester von Eleusis wusste, weil jeder einen Vorbereitungskurs machen musste, die richtige Dosierung für jeden Einzelnen. Wir wissen ja heute eigentlich auch alles, um dafür zu sorgen, dass es nie einen schlechten Trip gibt.

Parallel mit der psychedelischen Bewegung ab Ende der fünfziger Jahre hat ja ohnehin eine Hinwendung zu östlicher Philosophie, Meditation, zur Ökologie und Natur stattgefunden. Glaubst du, dass LSD dabei eine Rolle gespielt hat? Es hat viele Leute auf gute Ideen gebracht, und diejenigen, die zur Natur zurückgefunden haben, sind gerettet. Manche sind aber auch in der Hölle gelandet und kamen nicht mehr raus. Viele aber haben etwas entdeckt, was es in unserer Gesellschaft fast gar nicht mehr gibt: das Heilige.

Hat dieses Heilige mit dem, was unsere Kirchen verwalten, etwas zu tun? Ich glaube sehr viel, wenn man sich an Jesus hält. Ich bin Christ, und Jesus hat gesagt: «Seht die Lilien auf dem Felde, sie sind wunderbarer als der Palast von David, seht die Vögel … der Vater im Himmel sorgt für sie.» Er hat die Händler und Schriftgelehrten aus

dem Tempel gejagt und gesagt: «Geh in dein Kämmerlein und in den direkten Kontakt zu Gott.» Nur der einzelne Mensch kann in Kontakt zu Gott treten, nicht die Kirche. Nur der Einzelne kann sehen, kann erfahren, hat ein Bewusstsein, das die Welt, wie wir sie sehen, hervorzaubert. Auch bei diesem Kontakt mit Gott geht es ja um unser Bewusstsein, deshalb ist die wissenschaftliche Erforschung des Bewusstseins so wich-tig. Damit stehen wir noch sehr am Anfang, und das LSD ist das wichtigste Mittel dazu, ein Werkzeug. Aber wie gesagt, wir stehen noch ganz am Anfang in der Bewusstseinsfor-schung. Und ich hoffe sehr, dass sie weiter-geht, denn wir brauchen eine Art neues Eleusis, sonst wird unsere Welt untergehen. Unsere politischen Führer heute wissen doch nichts, sie wissen nicht, was auf der Erde wichtig ist, sie haben kein Wissen, was der Mensch wirk-lich braucht, dass er von und in der Natur lebt. Aber dieses Wissen müssen wir wiedergewin-nen, wenn die Menschheit nicht untergehen soll. Der Naturwissenschaftler, der dieses Wunder nicht sieht, nimmt sich nur etwas von der Mechanik der Natur, das, was er für seine Technik brauchen kann. Und dann macht er Waffen daraus, die Atombombe. Dabei könnten wir aus der Erde einen Para-diesgarten machen, es wäre alles dafür da, die Methoden, die Hilfsmittel … Nur da fehlt es noch: am Bewusstsein.

Ich würde gerne noch über deine Wegbegleiter und Freunde sprechen. Du hattest ja mit vielen Persönlichkeiten zu tun, wie zum Beispiel mit Ernst Jünger, mit dem zusammen du auch LSD-Reisen gemacht hast? Mit Jünger verband mich eine über 50-jährige Freundschaft, ich war einer der wenigen seiner Freunde, mit denen er per Du war; mit Klett zum Beispiel, seinem Verleger, war er auch sehr verbunden, aber sein Lebtag per Sie. Diese LSD-Versuche mit Jünger habe ich ja ganz ausführlich beschrie-ben; wenn ich das jetzt alles erzählen wollte, sässen wir morgen früh noch hier.

Mit Laura Huxley, der Frau von Aldous Huxley, verbindet dich ja auch eine lange Freundschaft. Sie gab ihrem Mann, als er starb, auf seinen Wunsch LSD. Huxley benutzte es sozusagen zum Übergang in einen anderen Bewusstseinszustand, er war überzeugt, dass die Seele nach dem Tod weiterlebt. Wie stehst du zu dieser Art von LSD-Verwendung, gewissermassen als Sterbehilfe? LSD wurde schon vor Jahrzehnten in dieser Richtung verwendet, bei sterbenden Krebskranken, wo selbst Morphine nicht mehr gegen die Schmerzen wirkten. Ich bin überzeugt, dass das künf-tig auch ein Thema werden wird, dass man mit LSD diesen Übergang erleichtern kann. Nichts kann aus Nichts entstehen, und aus etwas, was ist, kann nicht nichts werden, es gibt nur Umwandlungen. Irgendwann hat jemand Jünger gefragt: «Glauben Sie, dass das Leben nach dem Tod weitergeht?» und er antwortete: «Nein, ich weiss es!» Das kann man auch als Naturwissenschaftler verstehen. Wir können nicht sagen, woher wir kommen. Dass irgendeine Supermaterie am Anfang stand und dann knallte und den Raum erzeugte: Das ist doch alles dummer Mist. Darüber wissen wir nichts, das ist das grosse Wunder. Aus unseren Erfahrungen können wir nur sagen: Es gibt nichts, das aus Nichts entsteht, und nichts, das zu Nichts zerfällt. Es gibt immer nur den Wandel. Wenn man die Naturwissenschaft und alle ihre Entdeckungen weiter-denkt, stösst man immer wieder auf ein Geheimnis. Ich habe unlängst eine CD mit den Vorträgen Einsteins gehört, dort spricht er darüber. Er sagt wörtlich, ich habe mir den Satz gut gemerkt: «Das Schönste und Tiefste, was ein Mensch erfahren kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen.» Wenn man in das Tiefste der materiellen Wirklichkeit

Wir könnten aus der Erde einen Paradiesgarten machen, es wäre alles dafür da, die Methoden, die Hilfsmittel … Nur da fehlt es noch: am Bewusstsein.

Page 21: Das grosse Interview Absinthe – Besuch im Val-de …lucys-magazin.com/content/wp-content/uploads/2014/02/Lucys-Rausch... · Warum ist die Banane krumm? Existiert Gott? Ist mein

Aus dem Familienalbum: 1 Bei der Mühle im Surbtal bei der Wandervogelhütte,1919 2 Mit Kommilitonen an der Universität, 1927

3 Im Forschungslaboratorium, chemisch-pharmazeutische Abteilung 4 Für die Schweizer Armee am Minenwerfer, 1939

5 Familie Hofmann, 1950 6 Dr. H. Nobel, Dr. A. Bruck, Kultur von Psilocybe mexicana, im Sandoz-Labor, 1959 7 Besuch von

Gordon Wasson, dem amerikanischen Banker und Ethnomykologen, im Labor L 315, in dem das Psilocybin entdeckt wurde, 1959

Fotos von Roger Liggenstorfer: 8 Mit DJ Goa-Gil bei einer Techno-Party in der Nähe der Rittimatte, 2002 9 Albert Hofmann am

Telestrion in Eleusis, 2000 Foto: Hansjörg Sahli: 10 Feier zu seinem 90. Geburtstag, im Teufelhof Basel, 1996.

«aufgrund dieses leider etwas dramatisch ausgefallenen selbstversuches kann gesagt werden, dass das d-lyserg- säure-diäthylamid eine der physiologisch wirksamsten, wenn nicht die wirksamste bis anhin bekannte substanz darstellt.»Albert Hofmann aus dem Original-Protokoll S. 76–77

2

7

9

105

6

83

4

1

Möchten Sie gerne weiter lesen?Unterstützen Sie unser Magazin-

Projekt und kaufen Sie die Nullnummer.Herzlichen Dank!

2

K a p i t e lK a p i t e l

4

Die berauschte Schweiz – eine Betrachtung

HR Giger – das Interview

Albert Hofmann – und die Psychonauten

Absinthe – Besuch im Val de Travers

Legal Highs – falsche Perspektiven

Gese l l s chaf t sm

agaz in für psychoakt ive Zustände

Lucy’s RauschErscheinung halbjährlich, 120 Seiten

Bestellung [email protected]Über gut sortierte Buchhandlungen und Shops erhältlich

Preis EinzelnummerCHF 12.50 / EUR 10.–

Einsteiger-AboNr. 1–3 zusammen CHF 35.– / EUR 27.–

Gratis zum Abo ein Hörbuch nach Wahl:Hofmanns Reisen Innere & äussere Reisen des LSD-Entdeckers Albert Hofmann (Bröckers/Liggenstorfer)

Den Kopf aufmachenEine psychedelische Reise ins Herz des Schamanismus(Daniel Pinchbeck)

Gönner-Abo6 Nummern für CHF 250.– / EUR 200.– inkl. Gratis-Mitgliedschaft im Nachtschatten- Member-Club im Wert von CHF 100.– / EUR 80.– (www.nachtschatten.ch/member) sowie mit beiden Hörbuchern.