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Stephanie Klauk, Frank Zalkow Das italienische Streichquartett im 18. Jahrhundert. Möglichkeiten der semiautomatisierten Stilanalyse Beitrag zur Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung Halle/Saale 2015 – »Musikwissenschaft: die Teildisziplinen im Dialog« =LYMMLU[SPJO[ \U[LY KLY *YLH[P]L*VTTVUZ3PaLUa ** )@5*5+ c :JOV[[ 4\ZPJ GTI/ *V 2G

Das italienische Streichquartett im 18. Jahrhundert ... · 9 Roger B. Dannenberg, Belinda Thom und David Watson, »A Machine Learning Approach to Musical Style Recognition«, in:

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Stephanie Klauk, Frank Zalkow

Das italienische Streichquartett im 18. Jahrhundert. Möglichkeiten der semiautomatisierten Stilanalyse

Beitrag zur Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung Halle/Saale 2015 –»Musikwissenschaft: die Teildisziplinen im Dialog«

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Stephanie Klauk, Frank Zalkow

Das italienische Streichquartett im 18. Jahrhundert. Möglichkeiten der semiautomatisierten Stilanalyse

Forschungsstand zum italienischen Streichquartett

Mit seinen fast 70 Streichquartetten ist Joseph Haydn zweifellos eine zentrale Figur für die Entstehung und die frühe Geschichte des Streichquartetts. Zumindest im deutschen Sprachraum wird die Gattung daher immer noch fast ausschließlich mit der Wiener Klassik in Verbindung gebracht.1 Ebenso sicher ist jedoch auch, dass Haydn die Gattung nicht allein geprägt hat und dass daneben ganz offensichtlich auch andere Komponisten und Zentren der Streichquartettpflege existierten. Diesem Umstand tragen (Ein-zel-)Studien zu weiteren Komponisten aus Süddeutschland, Österreich und Böhmen2 sowie aus Italien Rechnung.3

Umfassendere Publikationen zum Streichquartett sind rar, und wenn, dann meist älteren Datums. Mit der Gattungsgeschichte in Italien befasste sich vor allem Fausto Torrefranca,4 dessen Publikationen bis heute jedoch kaum rezipiert wurden.5

Eine grundlegende Schwierigkeit bei der Erforschung der Gattung Streichquartett liegt in der zeitgenös-sischen Praxis begründet, Streichquartette nur in Stimmen abzuschreiben oder zu drucken. Dies kann zum einen die Quellenerschließung erschweren, wenn zum Beispiel handschriftlich überlieferte Stimmen eines Quartetts auf verschiedene Bibliotheken oder Archive verteilt sind und mitunter erst einmal identi-fiziert werden müssen. Zum anderen macht diese Art der Überlieferung die aufwändige Übertragung der Einzelstimmen in ein Partiturbild erforderlich, möchte man über die reine Auflistung hinausgehen und sich analytisch mit den Einzelwerken beschäftigen.

Im Rahmen eines dreijährigen Forschungsprojekts am Deutschen Historischen Institut in Rom (2012‒2015) konnten über 250 italienische Streichquartette aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (ca. 1760‒1785) ermittelt und teilweise bereits spartiert werden. Die Quantität allein widerlegt schon die ver-

1 Grundlegend hierzu: Ludwig Finscher, Studien zur Geschichte des Streichquartetts. I: Die Entstehung des klassischen Streichquartetts. Von den Vorformen zur Grundlegung durch Joseph Haydn, Kassel 1974 (Saarbrücker Studien zur Musikwissenschaft 3); ders., Artikel »Streich-quartett«, in: MGG2, Sachteil 8, Kassel 1998, Sp. 1924‒1977. 2 Julius Zsako, The String Quartets of Ignace J. Pleyel, Dissertation Columbia University, 1975; David Wyn Jones, The String Quartets of Vanhal, 3 Bde., Dissertation University of Wales, 1978; Roger Charles Hickman, Six Bohemian Masters of the String Quartet in the Late Eighteenth Century, Dissertation University of California, 1979; Friedhelm Krummacher, Das Streichquartett. I: Von Haydn bis Schubert, Laaber 2001 (Handbuch der musikalischen Gattungen 6/1). 3 A. Bertolotti, Gaetano Pugnani e altri musici alla Corte di Torino nel secolo xviii, Mailand 1891; Stanislao Cordero di Pamparato, Gaetano Pugnani. Violinista torinese, Turin 1930; Elsa Margherita von Zschinsky-Troxler, Gaetano Pugnani 1731–1798. Ein Beitrag zur Stilerfassung italienischer Vorklassik, Berlin 1939; Albert Müry, Die Instrumentalwerke Gaetano Pugnanis. Ein Beitrag zur Erforschung der frühklassischen Instrumentalmusik in Italien, Basel 1941; Ellen Kerry Grolman, Cristiano Giuseppe Lidarti: Six String Quartets, Diss. University of Missouri/Kansas City, 1986; Christian Speck, Boccherinis Streichquartette. Studien zur Kompositionsweise und zur gattungs-geschichtlichen Stellung, München 1987 (Studien zur Musik 7). 4 Fausto Torrefranca, »Mozart e il quartetto italiano«, in: Bericht über die musikwissenschaftliche Tagung der Internationalen Stiftung Mo-zarteum in Salzburg vom 2. bis 5. August 1931, hrsg. von Erich Schenk, Leipzig 1932, S. 79–102; ders., Avviamento alla storia del quar-tetto italiano, Turin 1966 (L’Approdo Musicale 12/23); Guido Salvetti, »Mozart e il quartetto italiano«, in: Analecta musicologica 18 (1978), S. 271‒289; Ursula Lehmann, Deutsches und italienisches Wesen in der Vorgeschichte des klassischen Streichquartetts, Würzburg-Aumühle 1939. 5 Stephanie Klauk, »Fausto Torrefranca und seine Schriften zur Entstehung des Streichquartetts. Rezeption und Perspektiven der Forschung«, in: Musik und Musikwissenschaft im Umfeld des Faschismus. Deutsch-italienische Perspektiven / Musica e musicologia all’epoca del fascismo. Prospettive italo-tedesche, hrsg. von Stephanie Klauk, Luca Aversano und Rainer Kleinertz, Sinzig 2015 (Saarbrücker Stu-dien zur Musikwissenschaft 19), S. 45‒62.

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breitete These, dass es in Italien keine nennenswerte Streichquartettpflege gegeben habe,6 während Un-tersuchungen zur konkreten musikalischen Beschaffenheit ohne Spartierungen schwerlich durchführbar sind. Eine Stilanalyse über einzelne Werke hinaus wäre – selbst dann, wenn alle Streichquartette bereits in Partiturform vorlägen ‒ in absehbarer Zeit kaum zu leisten. Hingegen können gerade auch in Bezug auf stilistische Kriterien computergestützte Methoden die Analyse großer und kontinuierlich erweiterba-rer Datenmengen ermöglichen.

Forschungsstand zur automatisierten Stilanalyse

Die ersten Ideen zur Bestimmung musikalischer Stile gehen bereits auf die 1950er Jahre zurück,7 wobei der praktische Computereinsatz erst später hinzukam. Im Bereich der automatisierten Musikkompositi-on bzw. der musikalischen Stilsynthese gibt es zahlreiche Forschungsansätze.8 Der Bereich, der für die vorliegende Arbeit besonders relevant ist, ist die computergestützte Analyse symbolischer Musikdaten, hier vor allem die sogenannte Klassifikation, also die Einteilung von Musikstücken in verschiedene Klassen (vgl. unter 2. Merkmalsselektion: Klassifikatoren).

Auch hierzu liegen zahlreiche Arbeiten vor, allerdings wird kaum mit Musikdaten gearbeitet, die in ei-nem zeitlich und stilistisch ähnlichen Verhältnis zueinander stehen. Es wurden kontrastierende Qualitä-ten (wie hektisch oder lyrisch) untersucht,9 oder es wurden stark unterschiedliche Musikgenres wie Jazz und Klassik gegenübergestellt.10 Auch Subgenres wurden gelegentlich untersucht – die Klassik wird dann beispielsweise generalisierend in Barock/Romantik/Moderne eingeteilt.11 Wenn Komponisten klassifiziert werden sollen, werden in der Regel solche gewählt, deren Lebensdaten erheblich voneinan-der abweichen, zum Beispiel jeweils mehrere Autoren zwischen Josquin Desprez (1440–1495) und Alessandro Scarlatti (1660–1725)12 oder beginnend mit Johann Sebastian Bach (1685–1750) bis Frédéric Chopin (1810–1849).13 Mitunter stehen die technischen Details in der Forschungsliteratur dermaßen im Vordergrund, dass die untersuchten Komponisten gar nicht erwähnt werden.14 Peter van Kranenburg

6 Vgl. dazu jüngst: Stephanie Klauk, »Streichquartettpflege in Rom in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das Repertoire der Adelsfamilien Doria-Pamphilj und Compagnoni Marefoschi«, in: The String Quartet: From the Private to the Public Sphere, hrsg. von Christian Speck, Turnhout 2016 (Speculum musicae 27), S. 275‒294. 7 Leonard B. Meyer, »Meaning in Music and Information Theory«, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism 15/4 (1957), S. 412‒424. 8 Kemal Ebcioğlu, »An Expert System for Harmonizing Four-Part Chorales«, in: Computer Music Journal 12 (1988), S. 43‒51; David Cope, Computers and Musical Style, Madison 1991; ders., Virtual Music. Computer Synthesis of Musical Style, Cambridge 2001; ders., Computer Models of Musical Creativity, Cambridge 2005; Dominik Hörnel und Wolfram Menzel, »Learning Musical Structure and Style with Neural Networks«, in: Computer Music Journal 22 (1999), S. 44–62; gerade in neuerer Zeit die Forschung des Sony Computer Science Laboratory, siehe die Flow-Machines-Website (http://www.flow-machines.com/). 9 Roger B. Dannenberg, Belinda Thom und David Watson, »A Machine Learning Approach to Musical Style Recognition«, in: Proceedings of the International Computer Music Conference (ICMC), Thessaloniki 1997, S. 344–347. 10 Pedro J. Ponce de León und José M. Iñesta, »Musical style classification from symbolic data: A two-styles case study«, in: Computer Music Modeling and Retrieval (International Symposium, CMMR 2003, Montpellier, France, May 26‒27, 2003, Revised Papers), hrsg. von Uffe K. Wiil, Berlin u. a. 2004, S. 167‒178. 11 Cory McKay und Ichiro Fujinaga, »Automatic Genre Classification Using Large High-Level Musical Feature Sets«, in: ISMIR 2004, 5th International Conference on Music Information Retrieval, hrsg. von Claudia Lomelí Buyoli und Ramón Loureiro, Barcelona 2004, S. 525‒530. 12 Giuseppe Buzzanca, »A Supervised Learning Approach to Musical Style Recognition«, in: Atti del Convegno »2nd International Conference Understanding and creating music«, Caserta, November 2002, S. 21–25. 13 Jacek Wołkowicz, Zbigniew Kulka und Vlado Kešelj, »N-gram-based approach to composer recognition«, in: Archives of Acoustics 33/1 (2008), S. 43‒55. 14 Ioannis Karydis, »Symbolic Music Genre Classification Based on Note Pitch and Duration«, in: Advances in Databases and In-formation Systems, Berlin u. a. 2006 (Lecture Notes in Computer Science 4152), S. 329–338. Dort werden nur die Gattungen genannt, die in der Arbeit klassifiziert werden.

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hat eine gründliche Studie zur computergestützten Analyse von Volksmelodien sowie zu Stilfragen von Orgelfugen Johann Sebastian Bachs vorgelegt.15

Überraschenderweise kam es bei diesen Arbeiten kaum zu einem Kontakt mit der historischen Musik-wissenschaft. Eine Ausnahme bildet das »Jazzomat«-Projekt, das die computergestützte Jazzforschung zum Thema hat.16 Das Kernrepertoire der Musik des 18. Jahrhunderts ist von solchen inhärent-interdisziplinären Ansätzen weitgehend ausgespart geblieben. Sie sind entweder musikhistorisch und -theoretisch geprägt17 oder genuin informatisch wie zum Beispiel in zwei Studien, die sich mit der stilistischen Klassifikation von Streichquartetten Joseph Haydns und Wolfgang Amadeus Mozarts be-schäftigen.18

Projekt und Ziele

Aufbauend auf dem in Rom begonnenen Forschungsprojekt werden seit 2015 weitere Streichquartette im Rahmen eines Anschlussprojektes am Institut für Musikwissenschaft in Saarbrücken transkribiert und nicht zuletzt mit computergestützten Methoden ausgewertet.19 Die interdisziplinäre Zusammenar-beit geht auf ein gemeinsames Projekt mit dem Saarbrücker Max-Planck-Institut für Informatik zurück und wird jetzt mit den International Audio Laboratories Erlangen fortgeführt. Während in diesem Pro-jekt Analyseverfahren entwickelt wurden, die den harmonischen Verlauf auf der Basis von Audiodateien untersuchen,20 werden die Streichquartette auf der Grundlage von symbolischen Daten analysiert.

Zwei Fallbeispiele sollen im Folgenden die Möglichkeiten einer solchen ›semiautomatisierten‹ Analyse veranschaulichen.

Der größte Teil des bisher erstellten Korpus wird von italienischen Werken gebildet. Die Berücksichti-gung von Streichquartetten Haydns und Mozarts ist in erster Linie der Forschungslage und -literatur geschuldet, die in Bezug auf analytische Fragen gerade zu diesen beiden Komponisten am ergiebigsten ist. Damit kann einerseits der Einstieg in die musikwissenschaftliche Analyse der italienischen Streich-quartette erleichtert, andererseits die Produktion der ›Wiener Klassiker‹ musikhistorisch kontextualisiert werden. So wurde vermehrt Mozarts Personalstil für solche Aspekte ins Feld geführt, in denen er sich

15 Peter van Kranenburg, A Computational Approach to Content-Based Retrieval of Folk Song Melodies, Diss. Utrecht University, 2010, Online-Publikation (http://dspace.library.uu.nl/handle/1874/179892; aufgerufen am 23.5.2016). 16 Martin Pfleiderer und Klaus Frieler, »The Jazzomat project. Issues and methods for the automatic analysis of jazz improvisa-tions«, in: Concepts, Experiments, and Fieldwork: Studies in Systematic Musicology and Ethnomusicology, hrsg. von Rolf Bader, Christiane Neuhaus und Ulrich Morgenstern, Frankfurt a. M. 2010, S. 279‒295; Klaus Frieler u. a., »Introducing the Jazzomat Project and the Melo(S)py Library«, in: Proceedings of the Third International Workshop on Folk Music Analysis, hrsg. von Peter van Kranenburg, Christina Anagnostopoulou und Anja Volk, Utrecht 2013, S. 76‒77 (http://dspace.library.uu.nl/handle/1874/276246; ISBN 978-90-70389-78-9; aufgerufen am 23.5.2016). 17 Robert O. Gjerdingen, Music in the Galant Style, Oxford 2007. 18 Peter van Kranenburg und Eric Backer, »Musical style recognition ‒ a quantitative approach«, in: Proceedings of the Conference on Interdisciplinary Musicology (CIM), Graz 2004, S. 106–107; Ruben Hillewaere, Bernard Manderick und Darrell Conklin, »String Quartet Classification with Monophonic Models«, in: 11th International Society for Music Information Retrieval Conference, ISMIR (2010), S. 537‒542 (http://ismir2010.ismir.net/proceedings/ismir2010-91.pdf; aufgerufen am 23.5.2016) 19 Förderungen erfolgten durch ein Forschungsstipendium der Max Weber Stiftung und eine Anschubfinanzierung der Univer-sität des Saarlandes. 20 Vgl. den Beitrag von Christof Weiß, Rainer Kleinertz und Meinard Müller, »Möglichkeiten der computergestützten Erken-nung und Visualisierung harmonischer Strukturen ‒ Eine Fallstudie zu Richard Wagners ›Die Walküre‹«, im Bericht zur Jahres-tagung der Gesellschaft für Musikforschung in Halle vom 29. September bis 2. Oktober 2015, online veröffentlicht auf www.schott-campus.com, Mainz 2016. In diesem Kontext wurde auch die Übertragung einer der automatisierten Methoden auf die Streichquartette von Joseph Haydn und Luigi Boccherini erprobt. Vgl. Christof Weiß, »Automatische Harmonieanalyse von Audiodaten auf Basis diatonischer Skalen«, in: Instrumentalmusik neben Haydn und Mozart. Analyse, Aufführungspraxis und Edition, hrsg. von Stephanie Klauk, Druck in Vorbereitung (Sinzig 2017) (Saarbrücker Studien zur Musikwissenschaft 20).

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stilistisch von den Streichquartetten Haydns unterscheidet.21 Jüngste Forschungsergebnisse deuten je-doch darauf hin, dass Mozart auch in dieser Gattung stark italienisch geprägt ist, sodass sich damit, je-denfalls zum Teil, seine Eigenständigkeit gegenüber Haydn erklären lässt.22

Dementsprechend dient als Ausgangspunkt der nachfolgenden Analysen und Auswertungen die Hypo-these der stilistischen Abgrenzung einer möglicherweise vorhandenen übergreifenden italienischen Pra-xis der Streichquartettkomposition im Vergleich zu Haydn und Mozart.

Datenkorpus

Ein wichtiger Teil des Projektes ist die Erstellung einer guten Datenbasis. Anders als in Projekten, in denen nur herausragende Komponisten, teilweise mit stark voneinander abweichenden Lebensdaten, untersucht werden, soll hier eine größere Anzahl vergleichbarer Kompositionen betrachtet werden. Die Streichquartette stammen zwar von verschiedenen Komponisten aus unterschiedlichen regionalen Kon-texten, ergeben mit Entstehungszeiten zwischen ca. 1769 bis Mitte der 1770er Jahre (in Ausnahmefällen bis ca. 1780) chronologisch jedoch ein vergleichsweise homogenes Korpus. Die Abkoppelung von zeit-lich bedingten Entwicklungen soll einen besseren Vergleich stilistischer Merkmale ermöglichen.23

Von den über 250 italienischen Streichquartetten, die in Form von Manuskripten oder zeitgenössischen Drucken vorliegen, konnten bisher 82 mit Hilfe der Notensatzsoftware Sibelius transkribiert werden. Zusammen mit den chronologisch relevanten Quartettsätzen von Haydn und Mozart liegen derzeit 346 Quartettsätze vor (vgl. Auflistung der Quellen mit Anzahl der Sätze im Appendix).24 Von dieser Soft-ware aus sind verschiedene Exporte möglich, von denen hier vor allem MusicXML wichtig ist, ein sym-bolisches Datenformat, das alle Informationen zur Musik enthält, die für unsere Auswertung eine Rolle spielen. Dieses Format wird anschließend mit Hilfe der Python-Bibliothek music2125 ausgewertet.

Methoden der Analyse des Datenkorpus

1. Merkmalsextraktion Als Merkmale werden verschiedene sogenannte N-Gramm-Häufigkeiten verwendet.26 Ein musikalischer Satz wird zerteilt in die Abfolge von N Elementen. Als Element kann ein Intervall oder das metrische Gewicht einer Note angenommen werden. Beim Betrachten eines ganzen Quartettsatzes kann auch die Abfolge der dabei entstehenden Simultanklänge als Element aufgefasst werden. Dies soll anhand eines Beispiels verdeutlicht werden.

21 Vgl. hierzu beispielsweise Nicole Schwindt, »Die Kammermusik«, in: Mozart Handbuch, hrsg. von Silke Leopold, Kassel u. a. 2005, S. 395; Wilhelm Seidel, »Experimente, sechs musikalische Charaktere und absolute Musik«, in: Mozarts Klavier- und Kam-mermusik, hrsg. von Matthias Schmidt, Laaber 2006 (Das Mozart-Handbuch 2), S. 350f. 22 Stephanie Klauk und Rainer Kleinertz, »Mozart’s Italianate Response to Haydn’s Opus 33«, in: Music & Letters 97/4 (2016), Druck in Vorbereitung. 23 Die chronologische Heterogenität des verwendeten Datenkorpus dürfte einer der Gründe dafür sein, dass das Ergebnis der automatisierten Klassifizierung von Streichquartetten Haydns und Mozarts bisher unbefriedigend blieb. Vgl. Hillewaere, Man-derick und Conklin, »String Quartet Classification with Monophonic Models«. 24 Da von Luigi Boccherini und Vincenzo Alessandro Campobasso erst wenige Sätze in transkribierter Form vorliegen, wurden diese für die vorliegende Auswertung der computergestützten Analyse aus statistischen Gründen nicht berücksichtigt. 25 http://web.mit.edu/music21 (aufgerufen am 23.5.2016). 26 Dies wurde bereits verschiedentlich erprobt. Siehe zum Beispiel Wołkowicz, Kulka und Kešelj, »N-gram-based approach to composer recognition«; Hillewaere, Manderick und Conklin, »String Quartet Classification with Monophonic Models«.

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Notenbeispiel 1a Joseph Haydn, Quartett in F-Dur, Op. 17, 2. Satz Menuett, T. 35–48. Die Zahlen unterhalb der Noten in Violine II entsprechen der jeweiligen metrischen Betonung.

Notenbeispiel 1b Entstehende Simultanklänge von T. 35]

Für die folgenden Angaben wird nur der erste Takt des Notenbeispiels 1a betrachtet (vgl. Notenbeispiel 1b). Die Intervalle werden in Halbtonschritten gemessen, also werden die Violine I und das Cello durch (0 –1 1 –1) dargestellt, während alle anderen Stimmen keine Intervalle aufweisen. Die vorkommen-den 2-Gramme für die Intervalle wären also (0 –1), (–1 1) sowie (1 –1). Hierbei gibt es auch noch die Möglichkeit, die Richtung zu ignorieren, also den Absolutwert aller Intervalle zu bestimmen.

Das metrische Gewicht wird anhand der Position des Notenanfangs im Takt bestimmt und ist derge-stalt, dass eine 1,0 für eine maximal betonte Note steht und eine kleinere Zahl für eine entsprechend weniger betonte Note. Die Violine I sowie das Cello sind hierbei durch (1,0 0,5 0,25 0,5 0,25) dar-gestellt und die Violine II durch (1,0). Die vorkommenden 2-Gramme sind (1,0 0,5), (0,5 0,25) und (0,25 0,5). Um Rhythmik in die Auswertung einzubeziehen, wäre es einfacher, den Notenwert anstatt des metrischen Gewichts zu benutzen. Das Problem dabei ist, dass beispielsweise die Folge von zwei Vierteln auf Taktschwerpunkten genauso behandelt würde wie eine Folge von zwei Vierteln, die synko-pisch um ein Achtel im Metrum verrückt ist. Daher ist die Berücksichtigung der metrischen Gewichte musikalisch sinnvoller, auch wenn sie schwieriger zu interpretieren sind. Sowohl Intervall- als auch

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Schwerpunkt-N-Gramme können sowohl für die Einzelstimmen als auch für den ganzen Quartettsatz ermittelt werden.

Für die N-Gramm-Bildung von Simultanklängen wird die Menge an simultanen Tonhöhenklassen be-trachtet, was in diesem Beispiel ((2 5 9) (1 4 9) (2 5 9)) ist. Um eine gewisse Vergleichbarkeit zu erreichen, wird bei jedem N-Gramm nun die erste Note des ersten Simultanklangs als Referenzton angesehen, und alle anderen werden relativ darauf bezogen. Das erste 2-Gramm ist in dem Beispiel also ((0 3 7) (2 7 e)), was den Wechsel von einem Molldreiklang zum quinthöheren Durdreiklang be-schreibt.

Bei N bis maximal 4 und den beschriebenen Varianten kommen in unserem Datenkorpus 189224 ver-schiedene N-Gramme vor. Jeder Quartettsatz kann nun dadurch beschrieben werden, dass die relative Häufigkeit all dieser N-Gramme bestimmt wird. Das Ziel ist es nun, aussagefähige N-Gramme zu fin-den, also solche, die verschiedene ›Komponistengruppen‹ voneinander unterscheiden.

2. Merkmalsselektion Nachdem eine erhebliche Menge an Merkmalen extrahiert wurde, ist der wichtigste Schritt die Merk-malsselektion. Es sollen relevante Merkmale gefunden werden, die verschiedene Klassen voneinander unterscheidbar machen. Diese Merkmale geben Hinweise auf Stilmerkmale. Verschiedene Klassen kön-nen betrachtet werden, zum Beispiel die 3-Klassen-Kombination Mozart versus Haydn versus ›alle Itali-ener‹; Haydn versus ›alle Italiener‹ inklusive Mozart oder Haydn und Mozart versus ›alle Italiener‹. Damit die Ergebnisse von Musikwissenschaftlern ausgewertet werden können, werden idealerweise zwei Merkmale benötigt, da man diese in dem üblichen kartesischen Koordinatensystem veranschaulichen kann.

Um zunächst Merkmale zu entfernen, die von geringer Bedeutung für die Beschreibung des Gesamt-Korpus sind, wurde ein Varianz-Schwellenwert angewendet. Nach der Normalisierung der Merkmale zwischen 0 und 1 wurden nur jene beibehalten, deren Varianz27 0,003 übersteigt. In unserem Fall konnte dadurch die Anzahl der Merkmale von 189224 auf 57165 reduziert werden. Um unter diesen signifikante Merkmale zu finden, wurden verschiedene Klassifikatoren eingesetzt. Ein Klassifikator ist ein Verfah-ren, das Objekte ‒ in diesem Zusammenhang Musikstücke ‒ anhand von Merkmalen in die vorgegebe-nen Klassen einteilt. Die Regeln zur Einteilung werden zunächst üblicherweise aus Beispielen gelernt. Wenn man einen generalisierbaren Klassifikator erstellen möchte, also einen, der auch neue Musikstücke verlässlich in die Klassen einteilt, müssen die Beispiele mindestens in zwei Teilmengen, in Trainings-menge und Testmenge, zerlegt werden. Da in unserem Fall allerdings nicht unbedingt ein generalisierba-rer Klassifikator benötigt wird, ist diese Teilung der Beispiele nicht notwendig. Es sollen stattdessen die Zusammenhänge der Merkmale im gegebenen Datenkorpus untersucht werden.28

Speziell in diesem Szenario sind Klassifikatoren notwendig, die den Merkmalen eine Wichtigkeit zuwei-sen können, wie beispielsweise Decision Trees, Extremely Randomized Trees, Random Forests oder Support Vector Machines mit linearem Kernel.29 Der Klassifikator wird trainiert, und die weniger rele- 27 Die Varianz ist ein Maß dafür, wie stark unterschiedlich die einzelnen Werte eines Merkmals sind. Kleine Varianz deutet da-rauf hin, dass die Werte sich ähneln, zum Beispiel weil ein bestimmtes N-Gramm kaum vorkommt und deshalb zu diesem für die meisten Sätze der Wert 0 gehört. 28 Dies birgt die Gefahr, dass man nur spezifische Charakteristika des betreffenden Datenkorpus kennenlernt. Dies ist in unse-rem Fall gewünscht, aber man muss sich dessen bewusst sein. 29 Für eine Beschreibung der einzelnen Verfahren siehe Trevor Hastie, Robert Tibshirani und Jerome Friedman, Elements of Statistical Learning, New York 22009; sowie die der genutzten Bibliothek scikit-learn (Fabian Pedregosa u. a., »Scikit-learn. Ma-chine Learning in Python«, in: Journal of Machine Learning Research 12 [2011], S. 2825–2830) zugehörigen Dokumentationsseiten der genannten Verfahren: http://scikit-learn.org/stable/documentation.html (aufgerufen am 23.5.2016).

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vanten Merkmale werden entfernt. Als solche werden jene betrachtet, deren zugewiesene Wichtigkeit unterhalb eines bestimmten Prozentsatzes der durchschnittlichen Wichtigkeit liegt. Zuerst ist der Pro-zentsatz 0,1%. Anschließend wird diese Prozedur rekursiv wiederholt bis nur noch zwei Merkmale übrig bleiben. Wenn das Verfahren ins Stocken gerät, das heißt wenn keine Merkmale mehr entfernt werden, weil die Wichtigkeit aller Merkmale oberhalb des Schwellwertes liegt, wird der Prozentsatz angehoben.

Abbildung 1 Klassifikationsrate (3 Klassen: Haydn, Mozart und Italiener) in Abhängigkeit von den beibehaltenen Merkmalen für verschiedene Klassifikatoren30

Durch dieses Verfahren können aus einer großen Menge von Merkmalen verschiedene Zweier-Kombinationen gefunden werden, von denen im Folgenden zwei ausgewertet werden. Es sei angemerkt, dass diese Zweier-Kombination in der Regel ein viel schlechteres Klassifikationsergebnis erzielt als eine größere Anzahl von Merkmalen (vgl. Abbildung 1). Allerdings geht es uns nicht um die beste Klassifika-tionsrate, sondern um aussagekräftige Merkmals-Kombinationen.

Fallbeispiele

1. Stilanalyse anhand von Intervallen Im Bereich der Zweier-Kombinationen von Intervallen hat sich die Quarte im Violoncello kombiniert mit der Sexte in allen Stimmen als besonders aussagekräftig erwiesen. Diese Kombination liefert nicht nur ein gutes Klassifikationsergebnis, sondern kann auch mit Blick auf ihre musikhistorische Relevanz ausgewertet werden.

30 Alle involvierten Baum-Klassifikatoren sind auf die maximale Tiefe von 5 beschränkt.

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Abbildung 2 Streudiagramm des Datenkorpus anhand von zwei ausgewählten Intervallmerkmalen

Abbildung 2 zeigt die Auswertung des Datenkorpus anhand dieser beiden Monogramm-Intervallmerkmale. Es lässt sich eine deutliche Abgrenzung der Streichquartettsätze Haydns von den italienischen erkennen. Tendenziell verwendet Haydn überproportional häufig große Sexten in der Me-lodieführung der einzelnen Stimmen in Kombination mit dem eher seltenen Vorkommen der Quarte im Violoncello. Hingegen ist das Verhältnis in den Quartettsätzen der italienischen Komponisten genau umgekehrt, während sich Mozarts Werke in beiden ›Extremen‹, vor allem aber in der gemeinsamen Schnittmenge zwischen Haydnschen und italienischen Sätzen finden lassen.

Man könnte zunächst annehmen, dass eine Interpretationsmöglichkeit für die Häufigkeit der Sexte bei Haydn deren Verwendung in kantablen Linien der Violine I in langsamen Sätzen sein könnte. Dies ist beispielsweise der Fall bei dem am äußersten rechten Rand gelegenen Adagio aus Op. 20, Quartett in A-Dur (vgl. Abbildung 2, Nr. 1). Diese Erklärung greift jedoch zu kurz, wie anhand einer der ganz wenigen italienischen Sätze in diesem Bereich der Grafik veranschaulicht werden soll.

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Notenbeispiel 2 Giuseppe Demachi, Quartett in D-Dur, Sei Quartetti ovvero Concertini, 1. Satz Allegro, T. 32‒42 (vgl. Abbildung 2, Nr. 2)

Der Allegro-Satz aus Giuseppe Demachis Quartett in D-Dur aus den Sei Quartetti ovvero Concertini ist dem Haydn’schen Satz stilistisch insofern ähnlich, als die Sexte nicht nur in der Melodieführung häufig vor-kommt (vgl. Notenbeispiel 2: zu Beginn des zweiten Themas, T. 32‒39; analog wieder in der Reprise), sondern auch in den Begleitfiguren der Oberstimme (T. 40‒46, analog in der Reprise). Diese beiden Elemente sind in den Quartettsätzen am rechten unteren Rand der Grafik, also fast ausschließlich bei Haydn,31 besonders häufig vertreten.

Kaum vorhanden ist das Intervall der Sexte in den Werken des linken oberen Randes, die sich – im Ge-gensatz zu dem von Haydn dominierten Bereich ‒ durch die überproportional oft verwendete Quarte im Violoncello auszeichnen. Dies lässt sich tendenziell mit dem verstärkten Einsatz kleinschrittiger In-tervalle in melodischen Linien einerseits und einer eher harmonisch orientierten Funktion der Bass-stimme andererseits in Verbindung bringen. Der prozentuale Anteil der Quarten kann in diesem Fall außerdem dann besonders hoch liegen, wenn die Unterstimme in größeren Notenwerten voranschreitet, also beispielsweise ohne Achtelrepetitionen auskommt.

31 Als ›italienischer‹ Satz wird hier der Schlusssatz von Gregorio Ballabenes Quartett in c-Moll verortet, dessen relativ hoher Wert an Sexten durch eine entsprechende 16tel-Begleitung in Violine I und II zustande kommt.

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Notenbeispiel 3 Antonio Sacchini, Quartett in D-Dur, Op. 2, 2. Satz Largo, T. 1‒8 (vgl. Abbildung 2, Nr. 3)

Der Beginn des zweiten, langsamen Satzes (Largo) von Antonio Sacchinis Quartett in D-Dur, Op. 2, in Notenbeispiel 3 zeigt in der Violoncello-Stimme einen solchen rudimentären harmonischen Verlauf, der den Satz fast durchgehend – teilweise quasi ostinatohaft – durchzieht. Für eine zugrundeliegende italie-nische Tradition könnte das von Robert O. Gjerdingen definierte Satzmodell-Schema Sol-Fa-Mi spre-chen (im Notenbeispiel von Takt 1‒4 und 5‒8). Mit diesem Modell stimmen hier die harmonisch-melodische Verlaufsform des Stimmengefüges sowie die Verwendung für Hauptthemen vor allem in langsamen Sätzen überein.32

Eventuell könnte hier auch ein Zusammenhang mit der Partimento-Tradition hergestellt werden, die in der Ausbildung an italienischen Konservatorien eine wichtige Rolle spielte.33 Dass es sich bei dem einzi-gen Satz Haydns in diesem Bereich der Grafik um ein Menuett aus Op. 9 handelt (vgl. Abbildung 2, Nr. 4), überrascht nicht. Ausschlaggebend für das häufige Vorkommen der Quarte im Violoncello des Me-nuetts aus dem Quartett in G-Dur sind nicht zuletzt die Takte 39 bis 44. Die generell recht simple Un-terstimme weist dort mit der Abfolge von aufsteigenden Quarten gefolgt von absteigenden Terzen eine

32 Vgl. Gjerdingen, Music in the Galant Style, S. 463. Nach dem von Gjerdingen beschriebenen charakteristischen aufsteigenden Schritt 1–2 in der Bassstimme kann alternativ zum darauffolgenden Schritt 7‒1 auch, wie hier bei Sacchini, 5‒1 erfolgen. In der Melodielinie wird der absteigende Ganztonschritt 5‒4 üblicherweise beantwortet von einem absteigenden Halbtonschritt (in Dur) 4‒3. 4‒3 läge hier zumindest in der Bratschenstimme vor, alternativ wäre in Violine I absteigend 2‒1 zu finden. 33 So erhielt auch Antonio Sacchini ab 1741 seine Ausbildung am neapolitanischen Konservatorium Santa Maria di Loreto, dem er bis 1763 in verschiedenen lehrenden Funktionen, zuletzt als Secondo maestro, angehörte. Vgl. Elena Tonolo, Artikel »Sacchini, Antonio (Maria Gasparo Gioacchino)«, in: MGG2, Personenteil 14 (2005), Sp. 756; Georges Sauvé, Antonio Sacchini 1730‒1786. Un musicien de Marie-Antoinette, Paris 2006, S. 17‒23.

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Bewegung auf, die von Fedele Fenaroli in seinen Partimento-Regeln als »Haupt-Fortschreitung« (»mo-vimento principale«) beschrieben wurde.34

Auch wenn Haydn mit dieser Tradition während seiner Lehrzeit bei Nicola Porpora in Wien in Kontakt kam,35 fand dies zu einem relativ frühen Zeitpunkt seiner Laufbahn statt. Dass sich solche grundlegen-den harmonischen Formeln in diesem Fall nur in einem Menuett aus Op. 9 nachweisen lassen, dürfte jedoch nicht in erster Linie chronologisch bedingt, sondern auf Satztypus-Konventionen ‒ entscheidend sind wohl Taktart und Charakter36 ‒ zurückzuführen sein, an denen sich italienische Komponisten of-fenbar nicht orientierten.

2. Stilanalyse anhand metrischer Schwerpunkte Zwei etwas schwieriger zu interpretierende Merkmale, die oben beschriebenen metrischen Gewichte, werden in Abbildung 3 genutzt, um das Datenkorpus auszuwerten: die Häufigkeit des Bigramms (1,0 0,5) und des Tetragramms (1,0 1,0 1,0 1,0). Letzteres lässt sich einfach erklären: Der Wert 1,0 ist die maximale metrische Betonung, die in jeder Taktart ausschließlich für die Zählzeit 1 angenommen wird. Es geht hier also um eine Folge von vier Takten, in denen sich jeweils auf dem ersten Schlag eine Note befindet; außerdem dürfen zumindest die ersten drei Takte keine anderen Noten aufweisen. Bei dem Bigramm geht es um die Folge von zwei Noten in der Violine II, bei denen die erste auf dem ersten Schlag liegt und die zweite auf dem zweitstärksten Schlag innerhalb des Taktes, also zum Beispiel auf der 3 in einem 4er-Takt oder auf der 2 bzw. 3 in einem 3er-Takt.

Abbildung 3: Streudiagramm des Datenkorpus anhand von zwei ausgewählten metrischen Merkmalen

34 Fedele Fenaroli, Partimenti ossia basso numerato. Opera completa […], Paris [1814], S. 87. Vgl. Giorgio Sanguinetti, The Art of Parti-mento. History, Theory, and Pr±actice, Oxford 2012, S. 153. 35 Vgl. dazu Felix Diergarten, »›The true fundamentals of composition‹: Haydn’s partimento counterpoint«, in: Eighteenth Century Music 8 (2011), S. 53‒75. 36 Vgl. hierzu auch die Notenbeispiele in Joseph Riepels Anfangsgründe zur musicalischen Setzkunst […], Kapitel Baßschlüssel, das ist, Anleitung für Anfänger und Liebhaber der Setzkunst […], Regensburg 1786.

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Auch anhand dieser metrischen Zweier-Merkmals-Kombination lassen sich deutliche Tendenzen zur Abgrenzung der Streichquartettsätze Haydns von den italienischen ablesen. Die Gruppe am rechten Rand der Grafik wird fast ausschließlich von einem Teil der Quartettsätze Haydns gebildet, während sich seine übrigen Sätze mit dem ›Kernbereich‹ der italienischen Sätze am linken unteren Rand der Ab-bildung decken. Die italienischen Sätze sind ausgehend von diesem Kernbereich jedoch weiter gestreut als die Haydn’schen, nämlich sowohl in den oberen Bereichen der Grafik als auch zwischen den beiden deutlich voneinander getrennten ›Haydn‹-Gruppen. Bemerkenswerterweise lassen sich die Mozartschen Sätze auch bei dieser Merkmalskombination wieder in allen vorhandenen Gruppierungen wiederfinden.

Eine musikhistorische Deutung der Grafik kann ausgehend von der rechten ›Haydn‹-Gruppe vorge-nommen werden. Während in diesen Sätzen der Anteil der vorgegebenen metrischen Gewichtung im Violoncello unterschiedlich ausfallen kann, zeichnen sie sich insbesondere durch das häufige Auftreten der metrischen Gewichtung mit der Abfolge (1,0 0,5) in der Violine II aus. Anhand einer dieser Quar-tettsätze aus der Haydn-Gruppe lassen sich zwei der gebräuchlichsten Möglichkeiten dieser metrischen Gewichtung im 3/4-Takt zeigen: Viertelnoten auf die Zählzeiten 1 und 2, etwa in Takt 43, und halbe Note auf dem ersten und Viertelnote auf dem dritten Schlag wie in Takt 44 des Menuetts aus Haydns Quartett in F-Dur, Op. 17 (vgl. Notenbeispiel 1a). Von Takt 40 bis 43 findet sich auch ein Beispiel für vier aufeinanderfolgende Noten der metrischen Gewichtung von 1,0 im Violoncello, weshalb dieser Satz einen für Haydn vergleichsweise hohen Wert auf der y-Achse aufweist (vgl. Abbildung 3, Nr. 1).

Auch wenn die metrische Gewichtung, wie oben dargestellt, unabhängig von Taktart und Tondauer er-rechnet wird, haben wir es in diesem Bereich mit einer sehr homogenen Gruppierung zu tun: Bei den Haydn-Sätzen ab dem Wert 0,20 auf der x-Achse aufwärts handelt es sich fast ausnahmslos um Menuet-te im 3/4- oder 3/8-Takt (insgesamt 18 von den 20 außerhalb der linken Gruppe befindlichen Haydn-Sätzen), während sich hinter dem alleinstehenden ›italienischen‹ Werk der langsame Kopfsatz des A-Dur-Quartetts (Largo sostenuto) aus Sacchinis Op. 2 verbirgt (vgl. Abbildung 3, Nr. 2). Die zugrundelie-gende metrische Gewichtung in der zweiten Violine ‒ und nicht etwa in der oder den Unterstimmen ‒ verdeutlicht möglicherweise am sinnfälligsten die »Qualitätsstufung der Zählzeiten«, die als ein entschei-dendes Merkmal des Tanzcharakters von Haydns Menuetten definiert wurde.37

Von dieser Interpretation der rechten Haydn-Gruppe ausgehend, kann man die Frage nach der metri-schen Gestaltung der italienischen Menuette stellen. In der Grafik bilden sie keine derart kompakte Gruppe wie diejenigen Haydns und konzentrieren sich im und um den Kernbereich der italienischen Sätze im Allgemeinen, während die ebenfalls dort angesiedelte linke Haydn-Gruppe keine Menuette enthält. Ein genauerer Blick auf das italienische Repertoire dieses Satztypus ist also notwendig, möchte man dessen Struktur und Stil näherkommen.

Dabei stößt man zunächst auf ein terminologisches Problem. Die gebräuchlichen Bezeichnungen Menu-etto / Minuetto oder Tempo di Minuetto können zwar auf ein und dieselbe musikalische Form, nämlich die des ›klassischen‹ Menuetts mit tonartlich abweichendem Trio-Teil, bezogen sein,38 müssen aber nicht. Zumindest hinter dem Begriff des Tempo di Minuetto verbergen sich mitunter auch andere Satz-formen, sodass er dann auf eine Tempo- bzw. Charakteranweisung reduziert wird. Dies ist wohl vor al-lem dann der Fall, wenn der Tempo di Minuetto-Satz als Schlusssatz erscheint, nicht innerhalb von vier- 37 Vgl. Wolfram Steinbeck, Das Menuett in der Instrumentalmusik Joseph Haydns, München 1973 (Freiburger Schriften zur Musikwissen-schaft 4), S. 16 u. a. 38 So zum Beispiel in den Streichquartetten Boccherinis (vgl. Speck, Boccherinis Streichquartette, S. 148) und Mozarts (vgl. zu KV 156 und 158 auch Wolf-Dieter Seiffert, Mozarts frühe Streichquartette, München 1992 [Studien zur Musik 11], S. 100f. und 107ff.).

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sätzigen Quartetten, jedoch häufig bei den bei italienischen Komponisten ohnehin überwiegenden zwei- und dreisätzigen Quartetten.39 Da sich weder die Bezeichnungen noch die konkreten musikalischen Formen zwangsläufig mit bestimmten stilistischen Ausprägungen in Zusammenhang bringen lassen, werden alle diese Sätze im vorliegenden Kontext gleichermaßen berücksichtigt.

Notenbeispiel 4 Christian Joseph Lidarti, Quartett in G-Dur, Quartetto 7, 3. Satz Tempo di Minué, T. 1‒14 (vgl. Abbildung 3, Nr. 3). Die Zahlen unterhalb der Noten in Violine II entsprechen der jeweiligen metrischen Beto-nung.

39 Eine Rondo-ähnliche Form liegt beispielsweise im zweiten von zwei Sätzen in Sacchinis Op. 2, Quartett in C-Dur vor. Zwei-teilige Formen erscheinen zum Beispiel im jeweils dritten von drei Sätzen in fünf der sechs Streichquartette Op. 1 von Michele Barbicci oder sonatenähnliche dreiteilige Formen im zweiten von zwei Sätzen in Barbiccis Quartett in Es-Dur (I-Rc/ Mss. 5694). ‒ Dies trifft tendenziell auch auf andere Gattungen und regionale Kontexte zu. Vgl. Robert Joseph Nicolosi, Formal As-pects of the Minuet and Tempo di Minuetto Finale in Instrumental Music of the Eighteenth Century, Diss. Washington University, 1971, S. 69 und 168; Christian Raff, »Zu den Sätzen im ›Tempo di Minuetto‹ in der Instrumentalmusik der Wiener Klassiker«, in: Mozart Studien 19 (2010), S. 11‒41.

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So lassen sich aus dem Beginn des Tempo di Minué-Satzes von Christian Joseph Lidartis Quartett in G-Dur (vgl. Notenbeispiel 4) bereits signifikante Unterschiede zu den Menuetten Haydns ablesen. Die Qualitätsstufung der Zählzeiten fällt hier insgesamt weniger deutlich aus, so wie auch die metrische Ge-wichtung der Violine II wesentlich seltener die Abfolge (1,0 0,5) aufweist. In den 14 Takten des No-tenbeispiels von Lidarti ist dies lediglich zweimal der Fall, und zwar im ersten und im fünften Takt, wäh-rend das ebenso lange Notenbeispiel 1a von Haydn diese Betonungsabfolge fünfmal enthält (in den Takten 43 bis 47). Die bei Lidarti markanten Synkopierungen bilden sich für die Errechnung der metri-schen Gewichtung entsprechend anders ab. Zu Beginn der Takte 2 und 3 finden wir etwa jeweils die Abfolge (1,0 0,25), während in den Takten 10 bis 12 durch die Überbindungen auch die Hauptbeto-nung 1,0 entfällt.

Zumindest am Beispiel der metrischen Gewichtung lässt sich zeigen, dass, wie oben angedeutet, stilisti-sche Besonderheiten nicht an eine bestimmte Form des Menuetts gekoppelt sind. Während Lidartis Tempo di Minué-Satz als Finalsatz eines dreisätzigen Quartetts40 eine sonatenhauptsatzähnliche Form aufweist,41 liegt beispielsweise in Giuseppe Demachis Minuetto (dritter Satz) aus dem viersätzigen E-Dur Quartett der Six Orchester-Quartets eine Menuettform mit Trio vor. Neben der für die Haydn’schen Menuette charakteristischen metrischen Gewichtung der zweiten Violine treten dort jedoch auch andere Muster von Betonungsabfolgen auf, sodass Demachis Minuetto auf der x-Achse der Grafik noch im Zentrum der italienischen Quartette verortet wird (vgl. Abbildung 3, Nr. 4).

Ähnlich verhält es sich auch bei dem Menuetto aus Mozarts sechstem der sogenannten Wiener Quartet-te in d-Moll (KV 173). Formal mit Haydns zeitgleichen Menuetten übereinstimmend, sind in Bezug auf die metrische Gewichtung die Parallelen zu den italienischen Werken insofern stärker ausgeprägt, als die Anzahl und Bandbreite der Abweichungen von der Betonungsabfolge (1,0 0,5) in der Violine II größer sind.42 Interessant ist hier vor allem Mozarts Gebrauch von Synkopierungen, wie sie auch im Tempo di Minué-Satz Lidartis vorkommen (vgl. Notenbeispiel 5, T. 11‒12).

40 In der hier berücksichtigten Streichquartettserie Lidartis gilt dies in allen Quartetten. Die Quartette der von Grolman edierten und analysierten Serie (Library of Congress, Washington) sind zwar auch dreisätzig, enden jedoch alle mit einem Rondo-Satz. Ein äußerst kurzer Tempo di Minuetto-Satz erscheint dort im g-Moll-Quartett an zweiter Stelle. Vgl. Grolman, Cristiano Giuseppe Lidarti: Six String Quartets. 41 Vgl. zur Sonatenform im Sinne Francesco Galeazzis: Rainer Kleinertz, »Streichquartette von Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart im Spiegel der Sonatentheorie Francesco Galeazzis«, in: The String Quartet: From the Private to the Public Sphere, S. 297‒316. 42 Dies passt auch zum Befund von Wolf-Dieter Seiffert, der nach eingehender Untersuchung der unter »Kapitel III. 5 Menu-ett« (S. 96‒131) zusammengefassten Satztypen Menuett und Tempo di Minuetto in den Streichquartetten Mozarts zu dem Schluss kommt: »Erstaunlicherweise fehlen sichere Hinweise der Unterscheidbarkeit der beiden äußerlich differierenden Menu-ettypen auf inhaltlichem Gebiet. […] Die vor allem auf Th. de Wyzewa und G. de Saint-Foix zurückgehenden klaren Kriterien der Unterscheidungsmöglichkeit zwischen italienischem oder Joseph Haydns Einfluß sind demnach eher mit Hilfe der äußeren Anhaltspunkte (Satzstellung, Länge, Tonartenverhältnis von Menuett und Trio) als durch die kompositorisch doch sehr ver-wandte Haltung zu fassen« (Seiffert, Mozarts frühe Streichquartette, S. 129ff.). Mit dem hier erstmals thematisierten stilistischen Aspekt der metrischen Gewichtung wäre möglicherweise ein kompositorischer Unterschied zwischen »italienischem oder Jo-seph Haydns Einfluß« auszumachen, der (bei Mozart) jedoch nicht zwangsläufig mit den jeweils auf Italien und auf Haydn ver-weisenden Termini des Tempo di Minuetto und des Menuetts korrelieren muss. ‒ Auf den grundsätzlichen Unterschied zwi-schen Menuetten Haydns und Mozarts wies auch Fausto Torrefranca hin (Torrefranca, »Mozart e il quartetto italiano«, S. 93).

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Notenbeispiel 5 Wolfgang Amadeus Mozart, Quartett in d-Moll, KV 173, 3. Satz Menuetto, T. 5‒14

Mozarts Menuett-Satz liegt in der Grafik dementsprechend im unmittelbaren Umfeld der erwähnten Menuette von Demachi und Lidarti (vgl. Abbildung 3, Nr. 5). Ein ähnliches Ergebnis ist möglicherweise auch für einen Großteil der Menuette von Boccherini zu erwarten. Auch wenn keiner seiner Quartett-sätze in die vorliegende Analyse bzw. Auswertung eingeflossen ist, lässt dies zumindest die bei ihm ebenfalls häufig zu findende Verwendung metrischer Akzentverschiebungen durch Synkopen in der zweiten Violine vermuten.43

Ergebnisse und Ausblick

Ausgangspunkt der Analysen war die Hypothese, dass sich italienische Streichquartette der 1760er und 1770er Jahre stilistisch von denen Haydns und Mozarts unterscheiden. Anhand der beiden Fallbeispiele sollte veranschaulicht werden, inwiefern mit computergestützten Methoden hier Unterscheidungsmerk-male ermittelt werden können. Es wurde versucht, die zunächst abstrakt wirkenden statistischen Ergeb-nisse für charakteristisch unterschiedliche Zweier-Merkmalskombinationen musikalisch und historisch auszuwerten. Sowohl von harmonisch-melodischer als auch von rhythmischer Seite wurden stilistische Unterschiede in den Menuett-Sätzen hervorgehoben.

Dabei war eine deutliche Abgrenzung zwischen den italienischen Menuetten und denjenigen Haydns festzustellen, während Mozart offenbar nicht nur formal, sondern auch stilistisch eine Zwischenstellung einnimmt. Damit lässt sich einerseits die Ausgangshypothese bestätigen, andererseits wurde das Augen-merk auch auf Analyse- bzw. Unterscheidungskriterien gelenkt – wie die metrische Gewichtung der zweiten Violine –, die bisher unberücksichtigt geblieben waren.

Mit der sukzessiven Erweiterung des Datenkorpus durch italienische, aber auch durch Werke, die nörd-lich der Alpen entstanden, kann zukünftig weiteren Fragen nachgegangen werden: Wie werden Streich-quartette aus dem deutsch-österreichischen Raum verortet, und in welchem Verhältnis stehen sie zu de-nen Haydns? Ebenso dürfte eine Systematisierung des italienischen Repertoires in stilistischer und/oder chronologischer Hinsicht zu einer Neubewertung der gattungsgeschichtlichen Stellung Boccherinis füh-ren.

43 Bei der Beschreibung von Boccherinis Menuett-Sätzen erwähnt Speck dieses Merkmal nicht, auch wenn es in den meisten der angeführten Notenbeispiele erkennbar ist, zum Beispiel in Op. 9 (Nr. 3), Op. 15 (Nr. 2) oder Op. 53 (Nr. 2) (Speck, Bocche-rinis Streichquartette, S. 148‒182 [Drittes Kapitel. Menuette]). Das ist vermutlich nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass seine In-tention dort vor allem die Suche nach Gemeinsamkeiten mit Haydns Menuetten ist, um einen möglichen Einfluss zu belegen.

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Appendix: Quellenkorpus

Ballabene, Gregorio, Quartetti a due Violini, Viola e Basso […], 1769. I-Fn/ MUS MSS Rostirolla 201, 306 und 998; I-Rc/ Mss. 5680 [17 Sätze]

Barbicci, Michele, 6 Quartetti per due Violini, Alto Viola e Basso […], opera Ima, Paris 1769 [18 Sätze] Bonaga, Pietro, Quartetti di Pietro Bonaga. I-Nc/ Ms. 550-553 [7 Sätze] Capuzzi, Antonio, Sei Quartetti per due Violini, Viola, e Basso […], opera IIda, Venedig o. J. (= Wien 1780)

[17 Sätze] Cirri, Gianbattista, Six Quartettos, for two Violins, a Tenor and Violoncello obligato […], London 1775

[19 Sätze] Demachi, Giuseppe, Sei Quartetti ovvero Concertini […], opera IX, Lyon/Paris o. J.; Six Orchester-Quartets for

two Violins, a Tenor and Violoncello […], London o. J. (Erstdruck: Op. 3, Paris ca. 1771) [34 Sätze] Galeazzi, Francesco, Sei Quartetti concertanti. I-Nc/ Ms. 2444-2447 [6 Sätze]

Guglielmi, Pietro Alessandro, Quartett[i] 1‒4. US-NYcub/ 52.04 AQu2 v. 1–4 (1769) [12 Sätze]

Haydn, Joseph, Op. 9 (Amsterdam 1771‒1772); Op. 17 (Amsterdam 1772); Op. 20 (Paris 1774) [72 Sätze]

Lidarti, Christian Joseph, Quartett[i] 7‒12. US-NYcub/ 52.04 AQu2 v. 1–4 (1769) [15 Sätze] Lombardini Sirmen, Maddalena Laura, Sei Quartetti a Violino I, e II, Viola, e Violoncello […], opera III,

Paris 1769 [15 Sätze]

Mozart, Wolfgang Amadeus, KV 80 (1770, »Lodi-Quartett«); KV 155‒160 (1772‒73, »Mailänder Quar-tette«); KV 168‒173 (1773, »Wiener Quartette«) [47, inklusive des langsamen ›Alternativsatzes‹ von KV 156]

Mysliveček, Giuseppe, Six Quartettos for two Violins, a Tenor and Violoncello […], London ca. 1780 (Erstdruck: Paris und Lyon 1768‒1769) [Quartette 1‒3: 9 Sätze]

Paisiello, Giovanni, Quartett[i]. I-Mc/ Ms. MI0344 Noseda (1774) [18 Sätze] Pugnani, Gaetano, A Second Sett of three Quartets for two Violins, a Tenor & Bass […], London 1770

[12 Sätze]

Sacchini, Antonio, Sei Quartetti per due Violini, Viola e Basso […], Op. 2, London 1772‒1774 [16 Sätze] Zanetti, Francesco, Sei Quartetti a due Violini, Viola e Violoncello, Perugia 1781 [12 Sätze]

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