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Niedersächsische Landesmuseen Oldenburg Schloss - Augusteum - Prinzenpalais Damm 1, 26135 Oldenburg Telefon (04 41) 220 73 00 Fax (04 41) 220 73 09 [email protected] www.landesmuseum-ol.de Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg Schloss - Augusteum - Prinzenpalais Das Kunstwerk des Monats April 2019 Kurt Kranz, Faden Kreuz, o.Dat. (vor 1988) 10 Kurt Kranz: Konstruktivismus (wie Anm. 4), S. 24. 11 Vanessa Adler (wie Anm. 5), S. 104. 12 Werner Hofmann: Kurt Kranz. Das unendliche Bild, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle u.a. 1990, S. 190. 13 Ebd., S. 190f. Pointillismus und Kubismus, die den Anfang des „Aufspaltens der Form“ 10 im Dialog von Muster und Fläche markierten. Die basic patterns beschäftigten Kranz lebens- lang in seiner künstlerischen Arbeit, in der „Dinge nach ihrem Eigentlichen“, 11 sprich in Hinblick auf ihre „geometrische Einfachheit“ untersucht werden. Durch Brechungen der selbst auferlegten geometrischen Regeln entgeht er der Strenge der exakten Symmetrie. Seine Matrix-Bilder der 1970er und 1980er Jahre erlangen dadurch eine besondere Authentizität und Lebendigkeit. In vielen seiner Aquarelle und Druckgrafiken aus diesen Jahren akzeptiert er lediglich einen domi- nierenden Rhythmus, zum Beispiel aus geometri- schen Akzenten oder Versprüngen, als „Konstruk- tionshilfe“. 12 Generell lassen sich in seiner Kunst Parallelen zu Musik und Lyrik finden, indem er seine Bilder mit Begriffen wie Harmonie und Takt beschreibt. Auch Anklänge an die in den 1950er und 60er Jahren entstehende Op Art (Kurzform für opti- cal art, dt. optische Kunst) lassen sich in dem Spätwerk von Kurt Kranz finden. So hatten ihn die Bauhaus-Meister, allen voran Josef Albers und László Moholy-Nagy, schon früh für Themen um optische Täuschungen in Abhängigkeit von der Wahrnehmung des Betrachters interessiert. Ausschlaggebend für diese Kunstrichtung, zu deren wichtigsten Vertretern Victor Vasarely, Günther Uecker oder Hildegard Joos zählen, ist eine reduzierte geometrische Formensprache. Wenn man in künstlerischen Epochen denken möchte, so lässt sich das Werk von Kranz zwi- schen Konstruktivismus, Bauhaus und früher Op Art einordnen. Sein künstlerisches Schaffen ist durch ein Abwägen von Konstruktion und De- struktion sowie von Mit- und Gegeneinander von Farbe und Form geprägt. Seine Arbeitsweise machte Kurt Kranz in einem Interview von 1990 deutlich: „Im Grunde diene ich der Form, indem ich immer neue Wege für sie suche und immer neue kombi- natorische Öffnungen, wo sie hinein kann; indem ich sie völlig akzeptiere in der Farbe und in der Durchführung, bis sie mich ganz und gar gefangen nimmt wie ein Ding, nichts mehr von dem an sich hat, wie sie entstanden ist.“ 13 Kurt Kranz, Spiralig gedrehtes Quadrat, 1979 Titelfoto: Sven Adelaide

Das Kunstwerk des Monats April 2019 - landesmuseum-ol.de€¦ · minar [und] analytisches Zeichnen“.2 Bei seinem Lehrer Paul Klee (1879 – 1940) lernte der junge Künstler Prozesse

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Page 1: Das Kunstwerk des Monats April 2019 - landesmuseum-ol.de€¦ · minar [und] analytisches Zeichnen“.2 Bei seinem Lehrer Paul Klee (1879 – 1940) lernte der junge Künstler Prozesse

Niedersächsische Landesmuseen Oldenburg

Schloss - Augusteum - Prinzenpalais

Damm 1, 26135 Oldenburg

Telefon (04 41) 220 73 00

Fax (04 41) 220 73 09

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www.landesmuseum-ol.de

Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg

Schloss - Augusteum - Prinzenpalais

Das Kunstwerk des Monats April 2019Kurt Kranz, Faden Kreuz, o.Dat. (vor 1988)

10 Kurt Kranz: Konstruktivismus (wie Anm. 4), S. 24.11 Vanessa Adler (wie Anm. 5), S. 104.12 Werner Hofmann: Kurt Kranz. Das unendliche Bild, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle u.a. 1990, S. 190.13 Ebd., S. 190f.

Pointillismus und Kubismus, die den Anfang des

„Aufspaltens der Form“10 im Dialog von Muster

und Fläche markierten.

Die basic patterns beschäftigten Kranz lebens-

lang in seiner künstlerischen Arbeit, in der „Dinge

nach ihrem Eigentlichen“,11 sprich in Hinblick

auf ihre „geometrische Einfachheit“ untersucht

werden. Durch Brechungen der selbst auferlegten

geometrischen Regeln entgeht er der Strenge

der exakten Symmetrie. Seine Matrix-Bilder der

1970er und 1980er Jahre erlangen dadurch eine

besondere Authentizität und Lebendigkeit. In

vielen seiner Aquarelle und Druckgrafiken aus

diesen Jahren akzeptiert er lediglich einen domi-

nierenden Rhythmus, zum Beispiel aus geometri-

schen Akzenten oder Versprüngen, als „Konstruk-

tionshilfe“.12 Generell lassen sich in seiner Kunst

Parallelen zu Musik und Lyrik finden, indem er

seine Bilder mit Begriffen wie Harmonie und Takt

beschreibt.

Auch Anklänge an die in den 1950er und 60er

Jahren entstehende Op Art (Kurzform für opti-

cal art, dt. optische Kunst) lassen sich in dem

Spätwerk von Kurt Kranz finden. So hatten ihn

die Bauhaus-Meister, allen voran Josef Albers und

László Moholy-Nagy, schon früh für Themen um

optische Täuschungen in Abhängigkeit von der

Wahrnehmung des Betrachters interessiert.

Ausschlaggebend für diese Kunstrichtung, zu

deren wichtigsten Vertretern Victor Vasarely,

Günther Uecker oder Hildegard Joos zählen, ist

eine reduzierte geometrische Formensprache.

Wenn man in künstlerischen Epochen denken

möchte, so lässt sich das Werk von Kranz zwi-

schen Konstruktivismus, Bauhaus und früher

Op Art einordnen. Sein künstlerisches Schaffen

ist durch ein Abwägen von Konstruktion und De-

struktion sowie von Mit- und Gegeneinander von

Farbe und Form geprägt.

Seine Arbeitsweise machte Kurt Kranz in einem

Interview von 1990 deutlich:

„Im Grunde diene ich der Form, indem ich immer

neue Wege für sie suche und immer neue kombi-

natorische Öffnungen, wo sie hinein kann; indem

ich sie völlig akzeptiere in der Farbe und in der

Durchführung, bis sie mich ganz und gar gefangen

nimmt wie ein Ding, nichts mehr von dem an sich

hat, wie sie entstanden ist.“13

Kurt Kranz, Spiralig gedrehtes Quadrat, 1979

Titelfoto: Sven Adelaide

Page 2: Das Kunstwerk des Monats April 2019 - landesmuseum-ol.de€¦ · minar [und] analytisches Zeichnen“.2 Bei seinem Lehrer Paul Klee (1879 – 1940) lernte der junge Künstler Prozesse

Die querformatige Lithografie auf dünnem Kar-

ton zeigt ein nahezu symmetrisches geometri-

sches Muster in Petrol- und Rottönen. Das Blatt

stammt aus der späten Schaffenszeit des deut-

schen Künstlers und Grafikers Kurt Kranz.

Das Bild wirkt rhythmisch und konstruiert.

Im Bildmittelpunkt steht ein sich auflösendes

weißes Raster, das das Format in vier Rechtecke

teilt. Die zunächst perfekt erscheinende Sym-

metrie wird durch geringe Abweichungen der

verschiedenen Kacheln im oberen und unteren

Bildteil durchbrochen. Der Kalt-Warm-Kontrast

erweckt den Eindruck zweier aufeinandertreffen-

der Gegensätze, die sich in der weißen Bildmitte

begegnen.

Als einer der letzten Bauhausschüler vor der

Schließung der Hochschule durch das NS-Regime

kombinierte Kranz in seinem Werk verschiedene

künstlerische Ausdrucksmittel – von Collage-

und Assemblagetechniken, über geometrische

Aquarell- und Acrylmalerei und Lithografie bis

hin zu naturalistischen Bleistiftzeichnungen oder

Filmen.

Geboren 1910 begann Kranz zunächst eine Li-

thografenausbildung in Bielefeld und fing parallel

dazu mit der Erstellung erster künstlerischer

Arbeiten zum Thema Reihung und abstrakter

Prozesse an, die im Kopf des Betrachters fort-

gesetzt werden. Nach einem Vortrag des ehe-

maligen Bauhauskünstlers und -meisters László

Moholy-Nagy (1895 – 1946) im Jahr 1929 fühlte

sich Kranz erstmals künstlerisch verstanden und

begann ein Studium am Dessauer Bauhaus, das

er vier Jahre später mit dem Bauhaus-Diplom

abschloss.

Als Schüler von Paul Klee und Wassily Kandins-

ky lernte Kurt Kranz am Bauhaus die Bedeutung

von Komposition, Konstruktion und Funktion von

Bildern und ihren Inhalten kennen.

So lenkte Kandinsky (1866 – 1944) den Blick des

jungen Künstlers vor allem auf die Wichtigkeit

eines abstrakten Ausdrucks in allen künstleri-

schen Bereichen von Bildender Kunst, Musik und

Poesie sowie auf die Spannungen zwischen Linie

und Farbe.1 Bei ihm belegte Kranz die Kurse „Ein-

führung in die abstrakten Formelemente, Farbse-

minar [und] analytisches Zeichnen“.2 Bei seinem

Lehrer Paul Klee (1879 – 1940) lernte der junge

Künstler Prozesse darzustellen. So versuchte Klee

seinen Studenten zu vermitteln, eher das Blühen

an sich als das Endprodukt, eine Blume, künstle-

risch umzusetzen.3

Das Prozesshafte untersuchte Kranz auch in

den vielen Folgen, Reihen und Sequenzen seines

Œuvres. Für Klee standen neben einer geplan-

ten Bildkonstruktion vor allem die Intuition des

Künstlers im Mittelpunkt sowie die Analyse und

Interpretation verborgener Bildinhalte.4 Auf diese

verschiedenen Denkansätze zwischen Konstruk-

tivismus und Organik nimmt Kurt Kranz in seinem

Werk immer wieder Bezug.

Die Lehre des späten Dessauer Bauhauses – kurz

vor seiner Schließung 1933 – war ebenfalls von

der Abstraktion von Naturbildern sowie dem

Erkennen von geometrischen Grundmustern in

der direkten Umwelt geprägt. Diese sogenannten

basic patterns wurden am Bauhaus gestalterisch

untersucht, indem die Studenten ihre Umwelt

künstlerisch in deren grobe Grundformen zerle-

gen sollten. Auch Kranz entwirft Einzelformen aus

geometrischen Grundmustern. Inner- und außer-

halb ihrer Formfamilie untersucht der Künstler die

drei „klassisch geometrischen Zeichen – Quadrat,

Dreieck und Kreuz“5 und ihre Wechselwirkungen

untereinander. Von 1950 bis 1975 setzte Kranz die

Ideen und Ansätze des Bauhauses als Dozent an

der Landeskunstschule Hamburg und an der Staat-

lichen Hochschule für bildende Künste fort und

entwickelte sie zusammen mit seinen Studenten

weiter.

Am Bauhaus hatte Kranz sich zudem mit der Tech-

nik der Fotocollage auseinandergesetzt. Auch sur-

realistische Einflüsse lassen sich in seinen frühen

Arbeiten der 1930er Jahre finden. So kombinierte

der etwa 20-Jährige gezeichnete Parallelen und

Schraffuren mit aus Zeitungen ausgeschnittenen

Figuren zu einem surrealistischen, also unwirkli-

chen Bildraum.

Während des Zweiten Weltkriegs war Kranz als

zeichnender Berichterstatter in Finnland und Nor-

wegen eingesetzt. Dort füllte er mehrere Skizzen-

bücher mit naturalistischen Aquarellen vom Alltag

an der Front. In einem späteren Lebensabschnitt

kombinierte er unter anderem naturalistische

Bleistiftzeichnungen mit dem Prinzip der Reihung

sowie Auflösung, wofür das Blatt Knopfauge ein

Beispiel ist. Das Hauptthema des Künstlers blieb

jedoch die abstrakte Formensprache.

Mit dem Aufkommen neuer technischer und

grafischer Möglichkeiten, zum Beispiel dem des

Siebdrucks, ab den 1930er Jahren, in der deutschen

Werbebranche wuchs das Interesse von Kurt Kranz

an geometrisch reduzierten Farbstufungen, nicht

zuletzt inspiriert durch Aquarelle Paul Klees. Zwi-

schen 1933 und 1963 arbeitete Kranz zeitweise als

Werbegrafiker für das Studio Dorland und entwarf

unter anderem Einbandgestaltungen für die Zeit-

schrift die neue linie.

In Weiterentwicklung der Lehre am Dessauer Bau-

haus legte Kranz seinen Fokus in den 1950er Jahren

zudem auf Untersuchungen der Farbwirkung und

sah den in seinem Werk vorherrschenden Kons-

truktivismus als „Werte-Vorrat aus funktionalen

Farb- und Formbezügen“.6 Kranz interessierte sich

zunehmend für die Wirkung des Simultankon-

trasts, nach den Vorbildern von „Chevreul, Matisse,

Delaunay und Klee“,7 inklusive der Wahrnehmung

der „komplementären Farbenergie“,8 bei der sich die

einzelnen Farben gegenseitig aufladen.

So wird auch in dem hier vorgestellten Blatt der

charakteristische Kalt-Warm-Kontrast verwendet,

der die Betonung des Rot- und Petroltons ver-

stärkt.

Zur Untersuchung der Form dominieren bei Kranz

künstlerische „Experimente mit Struktur in einem

definierten Raum“9 in Form von Rasterbildern, die

er als Elemente im Gitter betitelt. Darin lösen sich

die drei bereits erwähnten Grundformen in Formrei-

hen auf.

Auch in Faden Kreuz bestehen Überlappungen von

kleineren geometrischen Einheiten wie Rauten und

dem im Zentrum stehenden Kreuz, das das Bild in

vier Rechtecke teilt. Die geometrischen Einzelfor-

men befruchten sich gegenseitig und beeinflussen

die Gesamtwirkung des Werks. Sie stehen nicht

einzeln, sondern im Dialog zueinander. Für Kranz ist

neben der Konstruktion auch eine Dekonstruktion

dieser Formen mit der Chance einer Neukombinati-

on und Aufspaltung möglich: Vorläufer bildeten der

Kurt Kranz (1910 – 1997)

Faden Kreuz, o. Dat. (vor 1988)

Lithografie auf dünnem Karton, 24 x 32 cm

erworben aus dem Kunsthandel 1988

Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg

Inv. 16.907

Annika Biesenthal

1 Vgl. Kurt Kranz: Variationen über ein geometrisches Thema. Eine graphische Bildreihe in 158 Tafeln. Mit erläuterndem Text von Hanns Theodor Flemming, München 1956, S. 91.2 Kurt Kranz. Bauhaus und heute. Fotomontagen, Aquarelle, Zeichnungen, Assemblagen, Faltbilder, Filme, Bremen 1984.3 Wie Anm. 1.4 Kurt Kranz: Konstruktivismus. Ein Beitrag zur Zeitdimension und dem narrativen Aspekt, in: Kurt Kranz. Folgen – Sequenzen – Reihen. Werke von 1927 bis 1996, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen, Der Kunstverein in Bremen 2000, S. 16-25, hier S. 16f.

5 Vanessa Adler, ebd., S. 96.6 Kurt Kranz: Konstruktivismus (wie Anm. 4), S. 20.7 Ebd., S. 21.8 Ebd.9 Vanessa Adler (wie Anm. 5), S. 104.

Kurt Kranz, Knopfauge, 1970