Das Meer Schluckt auch uns Helden - von Steffen Gresch

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Dieser tragikomische Zweiakter ist einerseits fiktional zu verstehen - andererseits behutsam vor dem Hintergrund autobiografischer Erfahrungen des Verfassers entwickelt worden.Der Schauspieler und Autor Steffen Gresch lebte selbst als junger Lebenskünstler und Liedermacher zu DDR-Zeiten in Leipzig. Er war dort Mitte der Achtziger Jahre Mitbegründer einer Oppositionsgruppe, die sich für das Menschenrecht Meinungsfreiheit eingesetzt hatte. 1987 reiste Gresch nach West-Berlin aus. Siehe auch: www.steffengresch.de.vu

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  • Das Meer schluckt auch unsHelden

    Deutsch-deutsche Tragikomdie

    von Steffen GreschCopyright Steffen Gresch 2005-2010

    ERSTER AKTFrhsommer. Eine Art Traumschiff, das aus

    Venedig ausluft. Kajte. Als Wohnraum und

    Bro eingerichtet. Groes Bullauge im

    Hintergrund, halb unter Wasser. Abendsonne.

    Manchmal sieht man "vorbeifahrende"

    Elemente der Stadt, wie den Markusplatz oder

    den Dogenpalast. Die Tr ist offen. Ein elegant

    sportlich jugendlich wirkender Mann mit

    aufgesetzter Baseballkappe, Anfang Vierzig

    sitzt an einer Art Empfangstisch und ordnet

    irgendwelchen Papierkram. Man hrt Schritte.

    Eine Frau, scheinbar Mitte Dreiig, Siebziger

    Retro-Look, Sonnenbrille, knielange Stiefel,

    erscheint im Trrahmen.

  • Sie: Sie entschuldigen, Zimmerfnfundachtzig?

    Er: Ganz genau, so ist es.Sie: Der Steward sagte mir, hier sei die

    Reiseleitung.

    Er: Na ja, wenn Sie so wollen. Ich bin fr dieKultur hier auf dem Schiff zustndig und

    bernehme auch die eine oder andere

    organisatorische Gepflogenheit. So auer

    Atem? Was kann ich fr Sie tun?

    Sie: Mein Intercity aus Mnchen hatte inVenedig ber eine Stunde Versptung. Der

    Matrose war schon dabei, die Seile von den

    Bollern zu lsen. Er lie mich noch

    aufspringen. Das kostete mich einen Klapps

    aufs Heck!

    Er: Sehr charmant. Wie sah er aus?Sie: Er war unrasiert, krftig untersetzt, undich hatte den Eindruck, er gehre einer

  • Geheimorganisation an.

    Er: Geheimorganisation. Ich verstehe.

    Welche Geheimorganisation knnte das

    wohl sein?

    Sie: Woher soll ich das wissen! Er hatteeine Sonnenbrille auf, die so gro war, wie

    die von Elton John in seinen besten Jahren.

    Er trug eine Lenin-Mtze, aber ohne roten

    Stern auf der Vorderseite. Whrend seine

    Hand auf meinem Hinterteil ruhte, sagte er.

    - Wenn du ein Problem hast, helf` ich dir

    ich heie Wladimir. Ist das jetzt etwa ein

    Verhr, oder was?

    Er: Nein. Aber Ihretwegen werde ich michnicht mit der Mannschaft anlegen.

    Sie: Ich melde das wohl besser demKapitn. Der wird mich hoffentlich ernster

    nehmen, als Sie. Sie sind ja

    Er: Unser Kptn wird sich Ihrem Problem

  • bestimmt annehmen. Er hat ja auch ganz

    viel Zeit. Sie wollen sich wahrscheinlich

    anmelden, wenn ich das richtig sehe.

    Sie: Wozu sollte ich wohl sonst zu Ihnen

    kommen?

    Er: Dann brauche ich Ihren Reisepass. Und

    schlieen Sie die Tr, wenn mglich.

    Diskretion, Sie verstehen. Sie tut es. Knallt

    ihm den Pass hin. Er gleicht ihre Daten mit

    der Teilnehmerliste ab.

    Er: Hoho! Einen echten Medienstar haben

    wir hier an Bord! Die auergewhnliche

    Gewinnerin unserer Kreuzfahrt plus eine

    Million Gewinnsumme, die den jngst

    geschassten Arbeitsminister im TV-Quiz

    aufs Kreuz gelegt hatte. Nun? Und gar nicht

    in fernsehblond heute?

    Sie: Wo verdammt noch mal bin denn ich

    hier? Kmmern Sie sich um ihren Job, oder

  • um meine im Unterschichtenfernsehen

    gewonnene Million?

    Er: I am sorry. Ersteres freilich. Ersteres. Es

    geht mich ja auch wirklich nichts an. Nimmt

    nicht ganz ernstzunehmend Haltung an.

    Willkommen an Bord der "Estefania". Ihre

    Chipkarte fr die Lounge im Oberdeck.

    Irgendwelche gesundheitlichen Risiken

    hinsichtlich Seekrankheit oder so?

    Sie: Wo denken Sie hin? Ich reise nicht zum

    ersten Mal mit einem Schiff!

    Er: Kniet nieder. Dann berreiche ich Ihnen

    hiermit offiziell den Zimmerschlssel fr die

    Kabine Fnfundsechzig! Beste Aussicht am

    Bug! - Schaut wie ein Hund zu ihr auf. Am

    Bug wohl bemerkt, nicht am Heck. Kichert in

    sich hinein. Beiseite. Wau, wau!

    Sie: In Pose. Was ich aber auch

    megaknppeldick gehofft haben mchte. Sie

  • knnen jetzt aufstehen.

    Er: Steht auf. Vergessen wir unser

    missglcktes Warm-Up. Ich setze

    selbstverstndlich meinen guten Leumund

    dafr ein, das unverantwortliche Verhalten

    dieses Matrosen umgehend ahnden zu

    lassen.

    Sie: Gut so. Werfen Sie ihn ber Bord!

    Steckt den Reisepass wieder ein. Und zwar

    sofort!

    Er: Wird umgehend in die Wege geleitet,

    Mademoiselle. Hier unterschreiben bitte

    noch!

    Sie: Tut es. Also, Zimmernummer

    Fnfundsechzig knnte mir sogar gefallen.

    Ist nmlich zufllig mein Jahrgang, wie sie

    sicher gerade in der Liste bemerkt haben

    drften. Ihn musternd. Ich kannte mal...

    Er: Ich interessiere mich grundstzlich nicht

  • fr das Privatleben meiner Gste. Aber

    wenn Sie das jetzt so sagen. Na ja. - Ihr

    Jahrgang! Kompliment! Als sie zur Tr

    hereinkamen, htte ich ehrlich gesagt mehr

    auf die Epoche von Abba oder Boney M.

    getippt. Was Ihr Baujahr betrifft, meine ich.

    Beiseite. Diese Stiefel!

    Sie: Und ich dachte schon im vollen Ernst,

    Daddy Cool stnde selbst vor mir. Beiseite.

    Diese degenerierte Baseballkappe!

    Er: Danke fr die Zuwendung. Lassen Sie

    mich nun nur Ihnen exklusiv ein Geheimnis

    anvertrauen!

    Sie : Nur zu! Wollen Sie es in meinMillionrs-Ohr flstern? Macht die Hand an

    selbiges.

    Er: Hineinflsternd. Auch ich bin ein echter

    fnfundsechziger !

    Sie: Was? Wirklich? - Also bei genauerem

  • Hinsehen. Nun ja. - So ein Reiseleiter lebt

    offenbar recht unstet.

    Er: Wie bitte? Sagten Sie gerade unstet,

    Madame? Vor Ihnen stehen drei Jahre

    Wellness. Schauen Sie genau hin - fast

    Waschbrett! - Und das alles in meinem Alter!

    Sie: Lacht. Haben Sie ne Homepage? Sie

    kommen bei mir auf die Favoritenliste!

    Garantiert! Lacht weiter.

    Er: Ist leider noch ne Baustelle...

    Sie: Dilletant!

    Er: Langsam! Fr die Powerpoint-

    Presentation meines Internet-Portales suche

    ich noch eine latent lasziv, naturbraune

    Frhvierzigerin mit sonorer TV-Stimme.

    Reprsentativ sozusagen fr die aktive Mitte

    im kommenden Jahrzehnt. Giet sich etwas

    ein. Mgen Sie auch n Eistee.

    Sie: Lassen sie mal. Die aktive Mitte des

  • nchsten Jahrzehntes ist jetzt doch ein

    bisschen mde. Ich geh mal lieber hoch in

    die Lounge. Von ihrem Stewart hatte ich

    erfahren, dass es dort Campari zum Duty-

    Free-Transfer gibt.. Und dann will ich mir

    mein Zimmer ansehen und irgendwann auch

    noch meine Sachen auspacken

    Er: N Martini wrd es auch machen! Geht

    zum Khlschrank.

    Sie: Nur, wenn Sie keinen Eistee dabeitrinken.

    Er: Akzeptiert. Ich muss erst morgen frh

    wieder auf der Matte stehen. Da darf es

    auch schon mal ein wenig unsteter zugehen,

    nicht wahr. - Das Eis hab ich vergessen.

    Wieder zum Khlschrank.

    Es klopft. Er ffnet nur fr einen Spalt die

    Tr. Sie mchten sich noch anmelden?

    Nehmen Sie Kabine achtunddreiig. Hier

  • sind die Schlssel. Die Mini-Bar befindet

    sich auf dem Flur. Ihre Psse knnen Sie

    beim Roomservice abgeben. Sie erhalten

    sie morgen von mir zurck. Fr heute habe

    ich Feierabend. - Schnen Abend noch und

    angenehmen Aufenthalt! Schliet die Tr

    Sie: Welche Ehre mir wohl zu Teil kam,

    dass Sie mich nicht auch zum Roomservice

    schickten!

    Er: Aber nicht doch! Der Siegerin einer weit

    ber die Landesgrenzen hinaus bekannten

    Quiz-Show gebhrt natrlich ein

    angemessener, erquickender

    Sonderempfang. Salute, Schnbaum, mein

    Name! - Auf Ihre gewonnene Millionen! Auf

    die Estefania!

    Sie: Auf Ex, Monsier Schnbaum! Ich

    heie Rebstock.

    Er: Jawohl, auf Ex! SenoritaRebstock?

  • Rebstock...?

    Sie trinken.

    Sie: Hlt ihm das leere Glas hin. Noch

    einen!

    Er: Schenkt ihr und sich ein. Greift ihre

    Halskette. Sie sind ja eine

    Skorpiongeborene! Ich bin brigens

    Schtze!

    Sie: Nimmt ihm die Baseballkappe ab. Setzt

    ihm ihre Sonnenbrille und die Kappe auf.

    Soweit sind wir noch nicht. Seien Sie ein

    guter DJ! Legen Sie was hippes fr mich

    auf!

    Er: Fr Sie den ganzen Abend lang Heino.

    Wenn Sie nur wollen.

    Sie: Ich will House! Trinkt. Electric, Funk

    and Salsa, - Electric, Funk and Salsa,

    Electric, Funk and kennen Sie das noch?

    Er: Da muss ich aber etwas kramen in

  • meiner Sammlung. Verschwindet unter dem

    Bett. Schenken Sie sich nur weiter ein. Es

    ist genug fr uns beide da.

    ABBLENDE

    Ebenda. Etwa eine Stunde spter.

    Abenddmmerung. CD-Player mit

    flackerndem Display, fast stroboskopartig.

    Sie tanzen zu Daft Punk "Arround the

    World".

    Sie: Siebenundneunzig war ich auf der

    Love-Parade in Berlin. "Let the Sunshine in

    your Heart" hie das Motto damals.

    Er: Und ich war achtundneunzig dabei: "One

    World, One Future."

    Einskommaeinsmillionen Teilnehmer im

    Tiergarten!

    Sie: Mein Gott ! Da haben wir uns ja genau

    um ein Jahr verfehlt!

    Er: Wie ist es? Wollen wir uns nicht duzen?

  • Sie: Klar, dachte ich auch schon die ganze

    Zeit.

    Er: Also - Bernhard.

    Sie: Undine.

    Er: Undine???

    Sie: Ja. Undine. Dir gefllt wohl mein Name

    nicht?

    Er: Nein, nein. Ganz im Gegenteil. Ich

    kannte da mal eine Undine, die msste auch

    in unserem Alter sein.

    Sie: Und ich auch einen Bernhard, der

    knnte durchaus...

    Er: Schaltet Musik ab. Was denn, Undine,

    du?!

    Sie: Ja jetzt...

    Er: Mensch, wie man so was verdrngen

    kann! Damals Sommer fnfundachtzig -

    Dresden. Andy Warhole. Die Ausstellung!

    Sie: Aber du kommst nicht aus Dresden.

  • Er: Du aber auch nicht. Nun erkenne ich

    diese Besonderheit an deinem Mundwinkel.

    Du bist es wirklich!

    Sie: Ich hab mich die ganze Zeit schon

    gefragt: Ist er es? Ist er es nicht? War mir

    nur noch nicht ganz sicher.

    Er: Mein Gott, haben wir uns verndert! Fast

    wren wir noch aneinander vorbeigelaufen.

    Sie: Aber nein.. Ich htte dich schon

    irgendwann angesprochen. Kssen sich.

    Gieen sich den letzten Rest der Flasche

    ein.

    Er: Singt. Der Mar-tin-i! Spricht wieder. Nun

    ist er leer.

    Sie: Und was machen wir jetzt?

    Er: Ich muss morgen fit sein, Undine. Fr

    die Begrung der Gste.

    Sie: Einen knnen wir doch noch trinken. Du

    hast doch bestimmt noch was da.

  • Er: Gut einen. Zum Khlschrank. Lass uns

    dann fr heute aber Schluss machen. Ich

    sollte das auch erst einmal verarbeiten,

    weit du!. Neue Flasche. Giet ein. Geht ins

    Bad. Man hrt die Dusche.

    Sie: Ja. Bernhard. Ich auch. Zieht sich aus.

    Geht ins Bett.

    ABBLENDE

    Nchster Tag. Sptnachmittag. Bernhard

    allein in der Kajte. Es klopft.

    Bernhard: Kommen Sie herein. Die Tr ist

    offen.

    Undine kommt rein. Schliet die Tr. Hallo

    Engel!

    Undine: Stell dir vor Bernhard! Oben in der

    Lounge, gibt es zum Dinner Hummer - dazu

    Curacao mit Orange! Wollen wir hin?

    Bernhard: Wei noch nicht. Mal sehen.

    Heute wird "Good bye, Lenin!" im Bordkino

  • gezeigt. Anschlieend ist ein Quiz

    vorgesehen.

    Undine: Ein Quiz?

    Bernhard: Ja. ber DDR-Uniformen. Zur

    Luft, zu Land und zur See. Volkspolizei und

    Stasi sind auch dabei.

    Undine: Also dann, Genosse Armeegeneral

    - erst Hummer, und after this "Good bye

    Lenin!". Im Quiz bin ich ja fit.

    Bernhard: Passt, wie immer!

    Undine: Hast du Kaffee oder Espresso?

    Bernhard: Null Problemo. Ich lasse von

    meinem Steward welchen besorgen. Geht

    zur Sprechanlage. Edward! Ja, du ich bins

    Bernie , knntest du mir, wenn es dir nichts

    ausmachen sollte, zwei Tassen Mocca in

    meine Kajte kredenzen? - Das heit -

    drauen abstellen reicht eigentlich schon.

    Ich hole sie mir dann selbst rein... - Ob ich

  • Besuch habe? Oh ja! Eine Nixe aus

    Neubrandenburg! Hchstgefhrlich!

    Gefahrenstufe Sechs! Nein!

    Sechskommasechs!

    Undine: Hlt ihm die Augen zu. Du bist ja

    noch schlimmer als ich! BLACK-

    Sonnenuntergang. Sie kommen beschwippt

    in die Kajte.

    Undine: Wahnsinn! Nie htte ich gedacht,

    dass unser Kptn aus Potsdam stammt.

    Neben mir, im Bordkino erschien er wie ein

    reservierter Hanseat. Als se Helmut

    Schmidt persnlich neben mir. Beiseite.

    Seine Hnde hatte er allerdings nicht immer

    unter Kontrolle. Aber so sind nun mal

    Seemnner.

    Bernhard: Das soll dich nicht wundern,

    Kleines. Klaus hatte frher immer Toyotas

    von Osaka nach Hamburg verschifft.

  • Zwischendurch lud er dann hin und wieder

    Cuba-Orangen und Bananen in Rostock ab.

    Drei Wochen im heimischen gutbewachten

    Osten bei Frau und Kind - danach wieder

    von vorn das Ganze.

    Undine: Ein Kerl von Welt, der mir gefllt.

    Schade, dass ich das Quiz nicht gewonnen

    habe, und auf Platz fnf gelandet bin. Er hat

    immerhin den zweiten Platz belegt.

    Bernhard: Du findest ihn also gut?!

    Undine: Nur so als Typ.

    Bernhard: Jedenfalls gab es in unserer

    Family auch so einen Capitano. Diese Leute

    hatten schlichtweg einen Sonderstatus bar

    jeder Nationalitt. Die DDR im Rcken - was

    kmmerte sie das schon! Freie Menschen

    waren die. Ab und zu stillten sie ihr

    Heimweh bei Frau und Kind und dann

    wieder in achtzig Tagen um die Welt.

  • Undine: Ja. Ja. - Du und ich - wir konnten

    das nicht, unser Heimweh stillen, als wir

    dann einmal drauen waren.

    Bernhard: Nein, nicht wir zwei. Ausgereist

    waren wir. Damals 1987. Verwunschen

    nicht einander wissend, - am Ende den

    gleichen Weg nach drben gegangen zu

    sein. Nach unserer gestrandeten Sechs-

    Tages-Beziehung im Frhherbst

    fnfundachtzig.

    Undine: Ja. So war es. Pause. Abwesend.

    Hoch oben schwebten wir da, und

    unerreichbar war dieses kleine Land nun fr

    uns geworden

    Bernhard: Damals fnfundachtzig?

    Undine: Nein. Spter, am Tag X: als wir es

    verlieen. Es gab kein ZURCK. Doch das

    hatten wir vorher gewusst. Der Trffner,

    den der Grenzbeamte am S-Bahnhof

  • Friedrichstrae nach der Passkontrolle fr

    mich drckte er summte, und summte, und

    summte. Er summte noch einmal jenes

    Wiegenlied zum Abschied...

    Bernhard: Auch Abwesend. ...ein Abschied

    von der menschlichen Zivilisation...

    Undine: ...dann starteten wir wie ein

    verlorengegangener Nachrichten-Satellit mit

    unaufhaltsamer Lichtgeschwindigkeit in den

    unberechenbaren Westen des Weltalls. Ein

    Wiedersehen in zweihundert Jahren

    vielleicht oder gar entschwunden fr

    immer Das einst so Verfluchte und

    Vertraute, Lichtjahre entfernt von uns, sollte

    sich wenig spter unerkennbar und

    unwiderrufbar verndern.

    Bernhard: Es war nun mal fr immer,

    Undine. Wollten wir als Kinder nicht alle mal

    Kosmonaut werden - so wie Alexander

  • Kerner in Good bye, Lenin?

    Undine: Ja, wie Alex im Kino-Film,

    Bernhard. Wir sind ein Stck wie er. Und er

    ist ein Stck von uns. Wir haben die Wende,

    die wir selbst nicht erlebt haben - nach all

    den Jahren - im Herzen noch immer nicht

    verstanden - oder wollen sie einfach eben

    nie und nimmer verstehen.

    Bernhard: Papperlapapp. Mir war die

    Wende damals ehrlich gesagt ziemlich egal.

    Undine: Stimmt. Wem sagst du das! Auch

    mir war sie lstig: Alle Einsamkeit dieser

    Welt gemeistert. Und dann standen pltzlich

    irgendwelche Leute vor meiner Tr, die

    glaubten, Ansprche an mein Leben stellen

    zu drfen. Verwandte, nah und fern, aus den

    Augen verlorene Freunde, ja selbst

    oberflchlich alte Bekannte von einst,

    rannten mir damals in Frankfurt die Bude

  • ein. Ich begann bewusst, mich vom Osten

    abzugrenzen, und lernte, mich endgltig als

    westdeutsch zu definieren.

    Bernhard: Und heute?

    Undine: Ein Haufen zerstobener Illusionen.

    Nichts gewonnen. Nichts verloren.

    Niemandsland lngst abgebrannt. Leben,

    wofr, frage ich mich oft.

    Bernhard: Man verflucht den ganzen Mist,

    den man mit sich herum schleppen muss,

    und will sich doch nicht davon lsen.

    Undine: Aber waren einst da nicht auch

    lichte Momente, Bernhard?

    Bernhard: Ja. So zwischen uns. Stille.

    Undine: Wir wollten raus, und kamen raus.

    Und hatten uns dabei zurckgelassen.

    Oder?

    Bernhard: Nicht nur uns, denk an das

    Sandmnnchen! Das Sandmnnchen,

  • Undine!

    Undine: Lacht. Ja, auch unser

    Sandmnnchen. Beide verfallen in einen

    minutenlangen Lachkrampf. Sie fallen

    bereinander her, ohne Sex zu haben.

    Bernhard: Und wenn schon. Der Wechsel

    war vollzogen. Wir hatten ein System

    berwunden. Wenn auch nur fr uns selbst.

    Darauf bin ich immer noch stolz. Es gab und

    gibt schlimmere Regime. Okay. Aber wir

    waren entkommen. Es war so einfach nicht!

    Wir waren Helden. Helden waren wir.

    Helden!

    Undine: Helden! Das war einmal. Welches

    System berwinden wir jetzt?

    Bernhard: Das biedere,

    raubtierkapitalistische Kasperletheater von

    heute etwa?

    Undine: Dem sich eigentlich nur pure

  • Asozialitt widersetzt?

    Bernhard: Eine Welt, in der es darum geht,

    Reiche gegen Arme auszuspielen. Undine:

    Wer schreibt uns die Rollen? Wer entwirft

    die Drehbcher? Geht zum Khlschrank.

    Macht sich einen Drink. Magst du auch

    einen?

    Bernhard: O ja gerne! Nimmt und trinkt.

    Undine: "Es ist was faul im Staate

    Dnemark" Beiseite. Wieso verdammt, lsst

    mich der Autor jetzt Shakespeares Hamlet

    zitieren!

    Bernhard: Ach ja, Hamlet! Wer war denn

    Hamlet? - Ein wahnwitziger Zgling. Ein

    Psychopath. Hoffnungslos im Abseits irrend,

    und dennoch dem Schrecken der Wahrheit

    so nah. Du und ich, Undine, wir stehen im

    Leben! Doch was Wahrheit ist, das wissen

    wir nicht.

  • Undine: To be, or not to be! - This is the

    question of our live.

    Bernhard: Mir wird so furchtbar eng hier

    unten. Gehen wir an Deck.

    Undine: Ja. Gehen wir, liebster. Der

    Junimond - er wartet schon auf uns. Sie

    verlassen die Kajte.

    ABBLENDE

    An Deck. Dmmerung. Vollmond.

    Bernhard: Wir hatten Glck gehabt, dass es

    so schnell ging bei uns. Manche mussten

    zehn Jahre warten, um die DDR verlassen

    zu knnen.

    Undine: Der Honecker-Besuch in Bonn`

    siebenundachtzig machte es wohl mglich.

    Bernhard: Bist du damals auch im Juni

    weg?

    Undine: Mhm. - Anfang Juni.

  • Bernhard: Und ich Mitte Juni. Es war am

    Tag der deutschen Einheit.

    Undine: Damals - in Dresden, als ich dich

    zum ersten Mal in der Galerie vor der

    berhmten ausgeliehenen Marylin-Monroe-

    Reihe von Andy Warhol sah, im September

    fnfundachtzig - ich wusste, dass wir

    Gleichgesinnte waren: MISFIT! - Nicht

    gesellschaftsfhig!

    Bernhard: Da war ich schon am Ende!

    FDJ-Kreissekretr htte ich werden sollen.

    Aber mit Sex wollte ich meine Laufbahn

    nicht bezahlen. - So muss es wohl frher

    auch bei der SA unter Rhm zugegangen

    sein. Aber vielleicht darf man so was ja

    nicht sagen.

    Undine: Es hrt ja keiner. Sprich dich nur

    aus!

    Bernhard Egal. - Du duldest die bergriffe

  • und steigst allmhlich auf in der Hierarchie. -

    Man hlt seinen Arsch hin und macht

    Karriere. Sie schwafelten marxistisch-

    leninistisches Fachchinesisch, und griffen dir

    dabei in die Hose. Zndet sich eine

    Zigarette an. Mchtest du auch?

    Undine: Nein Danke, jetzt nicht.

    Bernhard: Bei einem Treffen junger Autoren

    in Weimar, lernte ich Franz kennen.

    Gebrtiger sterreicher, lebte er in Mnchen

    - und war zwei Jahre lter als ich. Endlich

    ein Mann, der mir sympathisch war!

    Heimlich verschanzten wir uns in der Gruft

    von Schiller und Goethe, und lasen bei

    Kerzenlicht Solschenyzin. Drei Flaschen

    Tokayer tranken wir, die uns Alfred, ein

    schwuler, mitfnfziger Kellner im Hotel

    "Elephant", aus dem Lager beiseite

    geschafft hatte. Wir mochten uns eben. -

  • Unter Trnen trennten wir uns in Erfurt. Er

    stieg in seinen Zug nach Mnchen - und ich

    in den meinigen - zurck nach Leipzig.

    Franz hinterlie mir ein Buch als

    Abschiedsgeschenk. Es war Trotzkis

    "Permanente Revolution". Wochenlang lag

    es in der Kreisleitung auf meinem

    Schreibtisch. Niemand scherte sich darum.

    Dann kam mal zufllig jemand von der

    Bezirksleitung ins Bro. Er sah es, und

    sprach mich drauf an. - Von da an ging es

    abwrts. - Einem Parteiverfahren kam ich

    zuvor - und trat aus.

    Undine: Bist du denn in den Kahn

    gewandert?

    Bernhard: Das nicht. Aus einer Partei

    austreten, war kein Straftatbestand. Auch in

    der DDR nicht. Freilich wurde mir untersagt,

    konterrevolutionres Gedankengut in der

  • ffentlichkeit zu verbreiten. Man behielte

    mich unter Beobachtung, warnten sie mich.

    Das Buch wurde beschlagnahmt. Da eine

    Widmung von Franz drin stand, bekam er

    Einreiseverbot. Mir wurde nahe gelegt, den

    Kontakt zu ihm abzubrechen.

    Undine: Und dann hattest du, wie ich, einen

    Ausreiseantrag gestellt?

    Bernhard: Mit Franz nahm ich auf

    Umwegen wieder Kontakt auf. Er war

    inzwischen nach Hannover gezogen. Dort

    wohnte auch seine Mutter, die nach einer

    Scheidung ihren Mdchennamen wieder

    angenommen hatte, und so von vornherein

    schon mal aus dem Raster fiel. In einem fast

    unbewohnten Leipziger Abrisshaus,

    Freunde von mir wohnten dort, richtete ich

    mir einen Briefkasten mit Pseudonym ein.

    Franz hatte eine Halbschwester, Frederike,

  • die bereit war, mich in Leipzig aufzusuchen.

    Zwei Mal kam sie, zur Frhjahrs- und zur

    Herbstmesse, dann wussten wir: Mit uns

    klappt das. Heirat war ja ein legitimes Mittel,

    um raus kommen zu knnen. Es gab noch

    ein paar lstige Anwerbeversuche durch die

    graue Eminenz. Ich blockte ab - erschien am

    Ende auch gar nicht mehr zu den

    Vorladungen. Man machte mir klar, dass ich

    lange warten wrde. Pause.

    Er blickt nach oben zum Firmament. Da!

    Der Junimond! Sie schaut hin. Irgendwie

    werde ich das Gefhl nicht los, das er uns

    beiden zuhrt.

    Undine: Wendet sich ab. Niemand hrt

    uns zu. Wir sind mutterseelenallein. Blickt

    aufs Meer. Wie ging es weiter? Was kam

    dann?

    Bernhard: Am siebzehnten Juni

  • Neunzehnhundertsiebenundachtzig ging

    dann pltzlich alles ganz schnell. - Unsere

    Ehe wurde vollzogen, und wir konnten

    ziehen.

    Undine: Ward ihr lange zusammen.

    Bernhard: Ich begann, mein Leben neu zu

    ordnen. Nach einem halben Jahr mussten

    wir uns trennen. Ich wollte nicht sesshaft

    werden. Zog immer wieder herum. Durch

    Deutschland. Durch Europa. Fr Frederike

    war das kein Zustand. Wir konnten uns

    damals einfach nicht erreichen. Es ging

    nicht.

    Undine: Und was macht Frederike jetzt?

    Bernhard: Heute wohnt sie in Magdeburg

    und arbeitet dort bei der Landesregierung. -

    Und ich bin zwar in Erlangen gemeldet, aber

    im Prinzip ohne festen Aufenthalt. Seit

    Jahren schon. Ich wohne hier auf der

  • "Estefania". Ich lebe davon, was ich hier

    mache.

    Undine: Seit ihr denn noch in Verbindung -

    du und Frederike?

    Bernhard: Nein. Was sie jetzt macht, habe

    ich bers Internet raus gefunden.

    Undine: Und Kontakt willst du keinen mehr?

    Bernhard: Ich empfinde immer noch groen

    Respekt, und nicht zuletzt Dankbarkeit fr

    sie. Aber die Toten ruhen. Die Toten in

    meinem Leben. Die Toten

    Erinnerungsfiguren.

    Undine: Bin ich auch TOT, Bernhard?

    Bernhard: Nein, Undine, bei uns ist das

    anders. Wollen wir in die Lounge! Er

    umgreift ihre Hften. Es ist windig geworden

    hier drauen. Er sieht jemanden an Deck.

    Lst sich wieder von ihr. Hallo Klaus! Alles

    klar?

  • Undine: Wie du magst. Aber lass mich bitte

    noch einen Moment allein an Deck. Der

    Gesang des Meereswindes er tut so gut.

    Ich will ihm noch eine Weile lauschen. Hast

    du vielleicht jetzt doch eine Zigarette fr

    mich?

    Bernhard: Klar. Er gibt ihr Feuer und

    Zigarette. Gehe schon mal vor. Bis gleich!

    Entfernt sich. Klaus, gehst du auch in die

    Lounge? Ab.

    Undine: Bis spter, Bernhard. Sie raucht

    und denkt nach. Das Meer. Weit und breit

    kein Land in Sicht. Einmal in zweihundert

    Jahren will ich aber Land unter meinen

    Fen haben. Doch das verfluchte Meer.

    Und die Geschichte.... sie hat uns lngst

    vergessen!!! Wirft die Kippe ber Bord.

    Verlsst das Deck. -Black out-

    ENDE DES ERSTEN AKTES

  • ZWEITER AKT

    Einige Wochen spter. An einem Morgen.

    Undines Zimmer offen . Es ist leer gerumt.

    Bernhard: Undine! Er bemerkt , dass es

    leer gerumt ist. Man hrt jemanden den

    Gang lang kommen. Edward!

    Edward: Suchst du die junge Dame?

    Bernard: Ja, die Passagierin Rebstock. Ich

    wollte dringend mit ihr sprechen. Wo ist sie?

    Edward: Die hat sich heute frh

    abgemeldet, als wir noch im Hafen waren.

    Bernhard: Wie denn, abgemeldet?

    Edward: Sie wollte zu Fu den Nil weiter -

    flussaufwrts. Pyramiden fotografieren und

    Krokodile filmen. - Hier, das soll ich dir noch

  • von ihr geben. Gibt ihm einen

    Briefumschlag...

    Bernhard: Nimmt ihn. Sie ist also weg.

    Edward: Hattest Du sie gekannt?

    Bernhard: Was heit gekannt? So richtig

    wusste ich gar nichts ber sie. Abwesend.

    Undine.

    Edward: Undine hie sie! Dann ist sie ja

    eine Nixe! Und Nixen bleiben niemals lange

    an Bord, Bernhard. Das weit du doch. Und

    auerdem: Ist sie nicht die Freundin vom

    Kptn?

    Bernhard: Ja, da magst du recht haben.

    Offenbar hatte ich Rosinen im Kopf.

    Edward: Httest du sie geheiratet, wrest

    du unsterblich geworden!

    Bernard: Warum hast du mir das nicht eher

    gesagt, Edward.

    Edward: Tja, zu spt.

  • Bernhard: Es ist nie zu spt.

    Edward: Einer Nixe begegnet man nur

    einmal in zweihundert Jahren. Gehen wir

    heut Abend einen trinken? Sie gehen.

    Langsamer Fade out -

    Bernhard(im Off): Aber die Runde geht

    dieses Mal an dich! Letztens war ich an der

    Reihe.

    Edward (im Off): Ja, ja schon gut . Heute

    wrst du sowieso eingeladen gewesen. Bei

    deinem Herzschmerz! Apropos Kptn. Hast

    du Klaus irgendwann mal gesehen?

    Bernhard( im Off): Nein. Zum Dienst ist er

    nicht erschienen, sagte mir der Navigator.

    Edward (im Off): So kenne ich Klaus gar

    nicht.

    Bernhard( im Off): Merkwrdig.

    Edward (im Off): Es wird doch nichts

    passiert sein? -Fade out-

  • Am selben Abend. In Bernhards Kajte.

    Bernhard und Edward beim Whisky.

    Edward: Willst du noch einen Bernhard.

    (Schenkt sich und Bernhard ein.)

    Bernhard: Ja einer geht noch. Als

    Schlaftrunk sozusagen. (Trinkt.)Edward: Da wirst du aber gut schlafen, mein

    Freund. Die Flasche ist bald leer. Sicher

    wird dir heute nacht noch eine Nixe im

    Traum erscheinen. (Trinkt.)Bernhard: Ja, eine Nixe. - Eine Nixe am

    Nil, die Mumien beschwrt und Pharaonen

    beglckt.

    Edward: Wer sie heiratet, wird unsterblich.

    Bernhard: Du sagtest dies heute morgen

    schon. Woher weit du das?

    Edward: Woher? Aus einem alten

    Seemannsmrchen, gesponnen mit

    Jahrhunderte langem Seemannsgarn. Ein

  • schottischer Landsmann hatte es mir einst

    erzhlt.

    Bernhard: Ich kenne es noch nicht. Tell

    me your Story, Edward!

    Edward: Aber nur, wenn du dabei nicht

    einschlfst. Versprochen?

    Bernhard: Versprochen. Pionier-Ehrenwort!

    Edward: Na dann. Bist du bereit?

    Bernhard: ( Bernhard fallen die Augen

    zu. Macht den Gru der Jung-Pioniere.)

    Immer bereit!

    Edward: Du meintest wohl IMMER BREIT!

    Zgert. Also gut. - Vor langer, langer ,

    lngst vergessener Zeit, fuhr ein Schiff aus

    dem Hafen von Alexandria hinaus auf das

    weite, weite Meer und nahm Kurs, auf ein

    lngst untergegangenes Eiland, mit Namen

    Atlantis. Dort, auf Atlantis, ging ein jeder

    seiner Muse nach und keiner wurde zu

  • irgendetwas gezwungen. Niemand wollte

    reicher sein, als der andere, oder ihm gar

    etwas wegnehmen. Es war genug fr alle

    zum Leben da, und wer konnte und wollte,

    baute frohen Mutes mit; - an den hohen

    Trmen, den schnen und groen Palsten.

    Er tat Dienst in den edlen und strahlenden

    Tempeln der Hauptstadt - oder kmmerte

    sich um die prchtigen, fruchtbaren Grten,

    und die mit Blumen und Palmen

    geschmckten Wiesen auf der seligen Insel.

    Auch saen holde Sngerinnen auf den

    Stufen der Treppen hinauf zu den heiligsten

    Hallen des Reiches, an ihren

    wohlklingenden Harfen - und verschnerten

    Jung und Alt, Frau und Mann, mit ihren

    sen Liedern bei Tage, wie zur

    Abendsonne, und manchmal auch unter

  • dem klaren Sternenhimmel - ihr

    segenreiches Leben...

    Edward: Hrst du noch zu Bernhard?

    Bernhard: Natrlich. Ich bin noch voll da.

    Edward: Du bist VOLL da.

    Bernhard: Sandmann, lieber Sandmann...

    (Bernhard schnarcht.)

    Edward: Na gut. Ein ander Mal mehr.Er

    legt ihn ins Bett. Knipst das Licht aus

    und verlsst die Kajte.

    Im Off/Also nicht sichtbar. Wo verdammt,

    kann nur Klaus abgeblieben sein? Ein

    Kapitn lsst doch nicht einfach seine

    Mannschaft im Stich!

    ZEITSPRUNG

    Ein Jahr spter. Kap Arkona auf Rgen.

    Aussichtspunkt. Leuchtturm.

    Undine im Blazer. Bernhard im billigen

  • Jogginganzug.

    Undine: Hier sind wir frher immer

    hingefahren. Am Ende der Ferien. Es war

    das Ende der Welt fr uns.

    Bernhard: Ja. Das Ende unserer kleinen

    Welt. Lngst ist sie untergegangen.

    Undine: Ich habe ein Kind abgetrieben, und

    wei nicht, ob es von Klaus oder von dir ist.

    Pause.

    Bernhard: Du berforderst mich. Deswegen

    hast du mich also hierher bestellt.

    Undine: Nein. Es war der Hafen von

    Venedig, die Akropolis, oder die Sphinx von

    Gizeh. Ich wollte einfach noch mal all die

    erbaulichen historischen Erluterungen

    darber von dir hren, die du den Gsten

    immer aufgetischt hattest.

    Bernhard: Mach dich nicht lcherlich. Das

    ist der Schnee von vorgestern.

  • Undine: Ich mich lcherlich machen! Wie

    soll ich damit leben?

    Bernhard: Du musst damit leben.

    Undine: Du etwa nicht?

    Bernhard: Du httest eben mit Klaus nicht

    ficken mssen. Ich bin auch gar nicht

    wichtig. Wahrscheinlich war es sowieso von

    ihm.

    Pause. Sie schaut aufs Meer. Er macht

    Landschaftsaufnahmen mit seinem Handy.

    Am Ende fotografiert er Undine. Was fr

    eine Wonne! Eine Nixe am Kap Arkona!

    Undine: Hr auf damit! So lst man

    Probleme nicht.

    Bernhard: Es gibt kein Problem. Lass uns

    das vergessen hier, ja! Und zwar schnell.

    Geht.

    Undine: Ihm nach schreiend. Fr dich nicht.

    Fr dich gibt es kein Problem. Fuck you!

  • Sucht eine Nummer in ihrem Handy.

    Bernhard: Kommt zurck. Was erwartest du

    von mir? Was soll ich machen?

    Undine: Steckt das Handy weg. Reue

    zeigen. Einen Ansatz von Reue wenigstens.

    Bernhard: Reue!! Dafr dass ich mithren

    musste, wie ihr bei Mondschein zusammen

    an Deck Sex hattet! Und das alles bei

    Vollmond! Im Juni! Nein. Nix bereuen! Ohne

    mich das Ganze!

    Undine: Ich geh jetzt runter an den Strand.

    Wenn du willst, kannst du ja mitkommen.

    Geht. Mach, was du willlst.

    Bernhard: Wtend. Bin ich dein Hund oder

    wie?

    Etwas spter

    Am Strand.

    Undine: Du verstehst mich nicht.

    Bernhard: Ich verstehe dich sehr wohl. Du

  • willst jetzt, dass ich mich schme, mich

    berhaupt jemals auf dich eingelassen zu

    haben. Das kannst du dir abschminken!

    Sucht nach Muscheln.

    Undine: Vielleicht hast du Recht.

    Bernhard: Ein Bernstein! Mit Fliege sogar!

    Ich schenk ihn dir! Legt ihn in ihre Hand.

    Leb wohl, liebste Nixe! Geht.

    Undine: Bestrzt. Jetzt bleib doch! Du

    sollst dich nicht schmen. Das ist doch

    kindisch.

    Bernhard: Kommt zurck. Ich soll mich also

    nicht schmen. Was dann?

    Undine: Stehen sollst du zu mir.

    Wenigstens im Nachhinein.

    Bernhard: Wie war das noch? Ich stehe zu

    dir, und anschlieend stehst du zu Klaus.

    Klaus, der Allerweltskapitn. Klaus, dem die

    Weltgeschichte egal sein konnte. Klaus ber

  • alle Meere. - So geht das nicht, Frau Nixe.

    Undine: Klaus ist vermisst. Ich erfuhr es, als

    ich, von Kairo aus, Euch auf hoher See noch

    einmal angerufen hatte.

    Bernhard: Lakonisch. Inzwischen gibt es

    Neuigkeiten.

    Undine: Was fr Neuigkeiten?!

    Bernhard: Man fand seinen Leichnam am

    Strand von Lampedusa.

    Undine: So!! Pause. Bestimmt, weil er

    betrunken war. Ein Curacao-Orange zu viel.

    Bernhard: Nach all den Glcksmomenten

    mit dir. Von Venedig ber Athen via Kairo,

    hat er sich schlielich auf der Weiterfahrt

    nach Tripolis dem Meer bergeben. Klaus,

    ein erfahrener berseekapitn, der das

    Mittelmeer in der Pfeife rauchte. Aber

    vielleicht war ja alles auch ganz anders. Wer

    wei?

  • Undine: Wir werden es wohl nie erfahren.

    Oder weit du etwa mehr in dieser Sache,

    als du zugibst? Eine Vermutung wirst du

    doch wenigstens haben. Ich darf doch

    annehmen, dass damals ermittelt worden ist.

    Oder?

    Bernhard: Was soll das jetzt? Von mir

    erfhrst du nichts. Ich fhle mich an mein

    Schweigen gebunden. Warum wolltest du

    dieses Treffen, nach all dem? Wir waren

    lngst fertig miteinander.

    Undine: Du warst mit der Amerikanerin im

    Bett, die in Athen an Bord ging.

    Bernhard: Na und! Da war doch schon alles

    gelaufen. Klaus versumte keine Minute,

    dich der gesamten Mannschaft, ja den

    Gsten, als seine neue prominente Verlobte

    vorzustellen. Da habe ich mir eben noch ne

    Touristin geangelt. Ich wei gar nicht, was

  • du willst.

    Undine: Es passte mir in Wirklichkeit gar

    nicht mit Klaus. Ich habe dir Briefe

    geschrieben. Einen nach dem anderen.

    Edward, dein getreuer Steward, hatte sie dir

    immer berbracht.

    Bernhard: Ich habe sie nie gelesen, und

    gleich ins Wasser geworfen. Das war doch

    nur ein Spiel.

    Undine: Mitnichten. Es war kein Spiel.

    Httest du doch nur einmal reingeschaut!

    Bernhard: Was wolltest du von Klaus?

    Undine: Was wollte ich!? Ich wei es nicht!

    Bernhard: Dann will ich es dir sagen. Du

    warst scharf auf den Alphawolf im Rudel.

    Das ist alles.

    Undine: Nein. War ich nicht.

    Bernhard: Doch, das warst du. Charles

    Darwin lsst gren. Und jetzt bist du hier

  • am Kap Arkona und jammerst mir was vor.

    Geh in dein Fernsehstudio zurck, gewinne

    eine weitere Million dazu, und such dir neue

    Alphawlfe Was erwartest du eigentlich

    von mir?

    Pause.

    Undine: Ich habe ein Kind verloren. Und

    vielleicht warst du der Vater.

    Bernhard: Du wolltest es nicht, Undine.

    Lass es sein!

    Undine: Das ist nicht wahr. Es ist einfach

    nicht wahr.

    Bernhard: Du hast es nicht gewollt einen

    Schwangerschaftsabbruch vornehmen

    lassen. Ergo hast du es auch nicht

    bekommen. Und Basta. Wozu jetzt die

    inszenierte Tragdie?

    Undine: Du bist nicht erreichbar, fr das

    was ich fhle. Du bist grausam!

  • Bernhard: Grausam! Die Estefania

    wurde symbolisch fr einen Euro verkauft,

    und ich muss meine wenigen Ersparnisse

    aufbrauchen, bevor ich berhaupt Sttze

    beantragen kann. Das ist grausam! Bis auf

    das letzte Hemd muss man sich

    ausgezogen haben, um nicht in der Gosse

    zu landen in diesem verfickten

    wiedervereinigten Land. Schei Teutonien!

    Undine: Recht hast du. Das hier - haben wir

    nicht gewollt. - Bekacktes neoliberales Gro-

    Germanien!

    Bernhard: Holt einen Flachmann aus der

    Jacke suft. Auch n Schluck?

    Undine: Wehrt ab. Ich kann dich doch

    untersttzen, Darling.

    Bernhard: Als Trost!

    Undine: Ich trste dich nicht. Ich mchte,

    dass du auf dieser Welt bleibst.

  • Bernhard: Was willst du konkret?

    Undine: Loyalitt.

    Bernhard: Loyalitt! Ich kenne dich doch

    gar nicht. Was wei ich denn berhaupt

    ber dein Leben? Eigentlich nichts.

    Undine: Als wenn ich mehr ber deines

    wissen wrde.

    Bernhard: Schon mal gut. Zwei, die sich

    nicht gut kennen, sind einander loyal.

    Undine: Aber wir kennen uns.

    Bernhard: Das ist das Problem.

    Irgendwoher kennen wir uns dann doch.

    Findet was im Sand. Schon wieder ein

    Bernstein mit Insekteneinschluss! Sieh mal,

    ein Skorpion! Sie kssen sich. Ziehen sich

    aus, und gehen ins Wasser.

    Im Meer.

    Undine: Vielleicht sollten wir ja wieder

    zusammen aufs Meer fahren.

  • Bernhard. Ja. Aufs Meer. Dort haben wir

    keine Verantwortung.

    Undine: So ist das. Nix Verantwortung. -

    Auer fr uns selbst.

    Bernhard: Und sogar das ist egal. Notfalls

    schluckt es uns. Das Meer. Das

    gottverfluchte Meer.

    Undine: Gewiss. Das Meer schluckt auch

    uns Helden. Klaus ist uns schon

    vorausgegangen.

    Bernhard: War Klaus etwa ein Held? Waren

    wir Helden? Versucht vergeblich, sich im

    Wasser eine Zigarette anzuznden.. Waren

    wir wirklich Helden?

    Undine: Das ist nicht wichtig, Bernhard. Das

    ist vllig abwegig. Es ist wirklich nicht

    wichtig. Es ist Geschichte. Nicht mehr und

    nicht weniger. Geschichte!

    Bernhard: Schwimmen wir?

  • Undine: Wohin sollen wir jetzt schwimmen?

    Bernhard: Wohin du willst, Darling.

    Hauptsache, wir schwimmen.

    Sie schwimmen und schwimmen, und

    schwimmen.

    Sie tauchen manchmal noch auf.

    Irgendwann sieht man nur noch das Meer.

    - Ende -

    Das Meer schluckt

  • auch uns HeldenDeutsch-deutsche Tragikomdie in

    zwei Akten

    von Steffen GreschCopyright Steffen Gresch 2005-2010

    Personen.

    Undine Rebstock Passagierin, Ferienreisende

    Bernhard Schnbaum Betreuer, ReiseleiterEdward Ein Steward britischer Herkunft

  • Schaupltze.

    Im Ersten, und bis zur Mitte des Zweiten Aktes: Traumschiff, aus Venedig auslaufend; spter auf See

    Schlussszenen: Kap Arkona auf der Insel Rgen

    Urauffhrung: Bisher keine.

    ffentlich vorgetragen als

    Szenische Lesung von Steffen

    Gresch zusammen mit Nelia

    Dorscheid am 12.April 2008 und

    29.Januar 2009 in Saarbrcken

  • Partner von

    Montag, 2. FEBRUAR 2009

    Zeitung fr Saarbrcken, Kultur-Regional

    Deutsch-deutsche Befindlichkeiten und VerstrickungenSaarbrcken. Um deutsch-deutsche Befindlichkeiten undVerstrickungen ging es im 11.Literatur-Salon bei den "Winzern",veranstaltet zusammen mit Kir-Resonanz und dem LiterarischenZirkel. In der leider nur sprlichbesuchten Veranstaltung lasSteffen Gresch zusammen mitNelia Dorscheid sein Stck "DasMeer schluckt auch uns Helden".Auf einem Traumschiff landen einMann und eine Frau nachfrhlicher Zecherei in der Kajteund finden raus, dass sie sichschon mal getroffen haben.Damals im Osten, 85 in einerWarhol-Ausstellung in Dresden.Sie sinnieren ber einAutorentreffen in Weimar, wie einTrotzki-Buch fr ihn denParteiaustritt brachte, wie siebeide weggingen, noch vor derWende. Zwei Unstete,Unbehauste sind sie, passendalso ihr Zusammentreffen aufeinem Schiff. Fr beide ist ihrkleines Land unerreichbargeworden, nie knnen sie mehrihr Heimweh stillen. Denn dasVertraute ist fern und inzwischen

    ohnehin ganz verndert. GreschsStck ist tief ironisch undkomisch, zeitkritisch undemotional erzhlt. Unterfttert miteigenen Erfahrungen des inQuedlinburg geborenen Autors,der lange in Leipzig gelebt hat,Mitbegrnder einerOppositionsgruppe war und 1987nach West-Berlin ging. Inverteilten Rollen lesen undspielen er und Dorscheid denBernhard Schnbaum und dieUndine Rebstock, die so vieleIllusionen hatten, das Paradiessuchten und im herzlosenRaubtierkapitalismus landeten,der sie nun zu fressen droht.Dorscheid und Gresch bringenden mit Seemannsgarn undNixengeschichten angereichertenZweiakter ber die beiden Misfits,die Kosmonauten aufunbekannter Umlaufbahn,gefhlvoll und unterhaltsam rber.Am Schluss werden Trume undHoffnungen im Suff ertrnkt oderauch im Meer. Ungewiss, ob esda noch mal ein Auftauchen gibt.rr

  • Kontaktdaten von Steffen Gresch:

    Steffen GreschAn der Trift 23

    Deutschland - 66123Saarbrcken

    E-Mail:[email protected] [email protected]

    Mobil: 0176-65814045

  • ZEITSPRUNGPersonen.Schaupltze.