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Rudolph | Kotouc Das Sortiment aus Verbrauchersicht Seite 2-7
1|20062 2|2006
Der Verbraucher im Fokus der Sortimentsplanung – oder doch nicht?
In Standardwerken des Handelsma-
nagements wird das Sortiment vielfach
als das „dominierende Instrument“ des
Handelsmarketing bezeichnet (vgl.
Liebmann/Zentes 2001, S. 473; Tietz
1974, S. 226). Die Grundaufgabe der
Sortimentspolitik ist es, Verbrauchern
aus dem am Markt verfügbaren Waren-
angebot eine vorselektierte Auswahl an
Artikeln anzubieten. Moderne Ansätze
der Sortimentplanung wie „Category
Management“ oder „Efficient Consu-
mer Response“ stellen hierbei immer
wieder in den Vordergrund, dass ver-
braucherbezogene Faktoren die wich-
tigsten Einflüsse bei der Sortimentsbil-
dung darstellen (vgl. Möhlenbruch
1992, S. 59; Rudolph/Schmickler 2000,
S. 201ff.).
Gerade das Verhalten des Verbrau-
chers, dieser wichtigsten Variable der
Sortimentsplanung, wird allerdings
zunehmend komplexer und unbere-
chenbarer. Kunden zeigen heute kein
einheitliches, auf konstanten Bedürfnis-
sen basierendes Verhalten mehr, son-
dern entscheiden sich vielfach situa-
tionsspezifisch unterschiedlich (vgl.
Nicholson et al. 2002, S. 149; Schma-
len/Schachtner 1999, S. 141). Es kommt
immer mehr zu einer Partikularisierung
und Inflation der Konsumbedürfnisse
(vgl. Gross 2004, S. 34f.). Als Folge stre-
ben Verbraucher vermehrt nach indivi-
duellen und innovativen Produkten und
stellen somit auch immer höhere
Ansprüche an die Sortimentsleistung
eines Handelsbetriebes. Für Handels-
unternehmen wird es insofern immer
komplexer, alle verschiedenen Facetten
eines Verbrauchers durch nur ein Sorti-
ment gleichermaßen zu befriedigen.
Auch die Industrie passt sich an das
veränderte Konsumentenverhalten an.
Sie reagiert mit immer kürzeren Pro-
duktlebenszyklen, immer schneller wer-
denden Innovationsrhythmen und der
Einführung neuer Technologien, die es
möglich machen, praktisch jedes Pro-
dukt kundenspezifisch zu gestalten (vgl.
Backhaus 1997, S. 157; Wiedmann et al.
2001, S. 83). Die Folge: Immer mehr
Artikelvarianten drängen auf den Markt
(vgl. Edmunds/McSparran 1995, S. 114;
Kumar/Divakar 1999, S. 59).
Der außerordentlichen Produktviel-
falt seitens der Industrie steht aber eine
nur begrenzte Verkaufsfläche des Han-
dels gegenüber (vgl. Möhlenbruch 1992,
S. 225). Immer neue Line-Extensions
und Nischenprodukte, zugeschnitten
auf die neuen Bedürfnisse des „multiop-
tionalen Konsumenten“, machen dem
Handel seine Aufgabe als Intermediär
zwischen Hersteller und Verbraucher
zunehmend schwerer. Die verkürzten
Produktlebenszyklen erhöhen die Sorti-
mentsdynamik, operative Sortiments-
entscheidungen müssen in immer kür-
zeren Abständen getroffen werden.
Selbst bei einem vorgegebenen Sorti-
mentsrahmen steht ein Handelsunter-
nehmen folglich ständig vor der Frage,
welche neuen Produkte der Industrie
noch zusätzlich in ein Sortiment aufge-
nommen und welche Artikel dafür
ausgelistet werden sollen.
In vielen Handelsbetrieben wird die
Aufgabe des Vorselektierens als Folge der
zunehmenden Komplexität aber immer
öfter vernachlässigt. Die Ursachen hier-
für sind unterschiedlich. Da es immer
schwieriger wird zu verstehen, was Kun-
den wirklich wollen, wird vielfach nach
der „mehr-ist-besser-Logik“ verfahren
Das Sortiment aus Verbrauchersicht – oder warum die Formel „Größeres Sortiment = Zufriedenere Kunden = Mehr Umsatz“ nicht stimmt
Lange Zeit galt im Handel unwiderruflich das Credo, dass große Sortimente sowohl für Verbraucher als auch Unternehmen nur Vortei-le generieren. Verwirrte Kunden, komplexe Bewirtschaftungsprozesseund sinkende Umsätze führen allerdings immer mehr zu einem Para-digmenwechsel, der den Nutzen von zu großen und unstrukturiertenSortimenten in Frage stellt. Ziel des Artikels ist es, die potenziellennegativen Effekte der explodierenden Sortimente für Kunden undUnternehmen aufzuzeigen und erste Hinweise zu liefern, wie Sorti-mente kundenorientiert optimiert werden können.
Dipl.-Kfm.Alexander J. KotoucWissenschaftlicher Mit-arbeiter am Institut fürMarketing und Handelan der Universität St. Gallen, St. Gallen(CH)
Prof. Dr. ThomasRudolphInhaber des Gottlieb-Duttweiler-Lehrstuhlsfür internationales Han-delsmanagement undDirektor des Institutsfür Marketing und Han-del an der UniversitätSt. Gallen, St. Gallen(CH)
Das Sortiment aus Verbrauchersicht Rudolph | Kotouc
32|2006
(vgl. Rudolph/Schweizer 2003, S. 23;
Rudolph/Kotouc 2005, S. 66). Mit
immer breiteren und tieferen Sortimen-
ten wird somit versucht, möglichst viele
verschiedene Kundensegmente und
Bedarfslagen auf einmal zu adressieren.
Zum anderen werden Wachstumsziele
oftmals durch Neueinführungen ver-
folgt – und nicht durch die bessere
Umsetzung oder Optimierung des
bereits vorhandenen Sortimentes.
Das Resultat ist oftmals das gleiche:
Neue Artikel werden zum Sortiment
hinzugefügt, ohne dass bestehende Pro-
dukte eliminiert werden. Addition statt
Selektion ist das Resultat; es wird immer
nur noch mehr vom Selbigen angebo-
ten (vgl. Bosshart 2004, S. 29).
Entsprechend wuchsen Sortimente in
den letzten Jahren in vielen Handelsbe-
reichen, vor allem aber im Lebens-
mitteleinzelhandel, deutlich schneller
als die verfügbare Ladenfläche (vgl.
Corstjens/Corstjens 1999, S. 197; Kahn/
McAlister 1997, S. 66). So geben Schuh/
Schwenk (2001, S. 17) an, dass sich in
Deutschland in einem Zeitraum von
zehn Jahren die Artikelanzahl um 130 %
und die Anzahl der Produktvarianten
um bis zu 420 % erhöht hat (vgl. auch
Abb. 1).
Alles zu bieten bedeutet aber nicht
automatisch, dass alles auch vom Kun-
den gewünscht wird. Sortimentvielfalt,
die weder Kundenpräferenzen noch
Profilierungswirkung ausreichend in
Betracht zieht, kann negative Auswir-
kungen auf das Kundenverhalten, auf
die Rentabilität eines Sortimentes und
das Sortimentsprofil haben. Die nach-
folgenden Ausführungen sollen deutlich
machen, dass die Formel „größeres Sor-
timent = zufriedenere Kunden = mehr
Umsatz“ so nicht stimmt.
Auswirkungen auf das Einkaufsverhalten von Verbrauchern
Große Sortimente sind aus Konsumen-
tensicht nicht automatisch mit großem
Nutzen gleichzusetzen (vgl. Lehmann
1998, S. 64). Sortimentsvielfalt bedeutet
aus den Augen der Verbraucher oftmals
lediglich eine bloße Vervielfachung des
gleichen Angebotes (vgl. DeAngelis
2004, S. 56). Wird Verbrauchern ein zu
großes Sortiment aus Produkten und
Marken angeboten, deren Leistungsvor-
teil nicht mehr eindeutig erkennbar ist,
führt dieses „Übermaß an Auswahl“ zu
einem erschwerten Entscheidungspro-
zess (vgl. Esch/Rutenberg 2004, S. 24;
Huffman/Kahn 1998, S. 491). Die große
Auswahl eines Sortimentes wird also ab
einem bestimmen Punkt nicht mehr
länger als positiv beurteilt, man spricht
von „Overchoice“ und „Consumer Con-
fusion“ (vgl. Schweizer/Rudolph 2004,
S. 5). Kirsch (2005, S. 25) begründet
diese Verwirrung des Konsumenten
auch damit, dass Kunden einen regel-
rechten „Überdruss am Überfluss“
haben. Große Sortimente werden nicht
mehr als positiv, sondern als belastend
und persönlich einschränkend empfun-
den. Holme (1982, S. 39) erkannte die
Problematik zu großer Sortimente
bereits früh und spricht von „Stressge-
fühlen“ angesichts eines unüberschau-
baren Angebotes. Der Einkauf verliert
an Attraktivität und wird zur Pflicht-
übung. Vink/Schoormans (2003, S. 76)
formulieren das Problem noch drasti-
scher: "What assortment sizes are con-
sumers still willing to search?".
Für den Handel wird die Kundenver-
wirrung durch unüberschaubare Sorti-
mente direkt spürbar: Je mehr Zeit
Konsumenten vor einzelnen Regalen
verbringen, um aus der Angebotsvielfalt
eine Auswahl zu treffen, umso weniger
Zeit haben sie, das restliche Leistungs-
angebot des Unternehmens wahrzuneh-
men. Kunden, die zu lange vor den
Regalen stehen und versuchen Artikel zu
vergleichen, können weiterhin den Kun-
denfluss innerhalb des Ladens beein-
trächtigen. Ein Faktor, der sich wiede-
rum negativ auf die Ladenatmosphäre
auswirken kann. Ein weiterer direkter
Effekt ergibt sich durch sinkende Abver-
kaufszahlen. Finden Konsumenten im
Sortiment keine optimale Lösung für ihr
Bedürfnisproblem oder wird der Aus-
wahlprozess als zu langwierig betrachtet,
kann es zum Kaufabbruch kommen.
Anstatt von der Auswahl zu profitieren,
verlassen Konsumenten entnervt die
Verkaufsstelle. Indirekt können die
erwähnten Negativerlebnisse zu Unzu-
friedenheit und Verärgerung der Kun-
den führen. Langfristig übertragen sich
diese Emotionen auch auf das Image,
das gesamte Sortiment wird als schlech-
ter beurteilt.
Auswirkungen auf den Erfolgdes Handelsunternehmens
Zu große Sortimente behindern ent-
sprechend nicht nur den Entschei-
dungsprozess des Konsumenten, son-
dern auch die Profitabilität eines
Sortimentes. Trotz steigender Artikel-
zahlen ist in vielen Handelsbetrieben
von sinkenden Umsätzen die Rede.
Bereits im Jahr 1984 kam Klein-Blen-
kers (1984, S. 91ff.) zu dem Schluss, dass
„ausufernde Sortimente“ als ein wesent-
200
150
100
50
0
Wac
hstu
m (i
n %
)
1991 2000
Zeit (in Jahren)
ø-Artikelanzahl
ø-Verkaufsfläche
ø-Umsatz
Index: 1991 = 100 %
Abb. 1: Sortiments-, Flächen- und Umsatzwachstum im Deutschen LebensmitteleinzelhandelQuelle: In Anlehnung an Biester (1997, S. 17); Hiemeier/Bacos (2003, S. 6)
licher Grund für den Niedergang zahl-
reicher Einzelhandelsbetriebe angese-
hen werden können. Ebenso bezeichnet
Rudolph (2005, S. 81) eine zu große
Sortimentsbreite und -tiefe als Achilles-
ferse vieler Handelsunternehmen (vgl.
Abb. 2). Sobald ein Optimalpunkt über-
schritten wird, verursachen große Sorti-
mente eine regelrechte Kostenlawine,
die Rentabilität nimmt mit zunehmen-
der Artikelanzahl ab (vgl. Quelch/Kenny
1994, S. 153; Herrmann/Seilheimer
2002, S. 647ff.).
Große Sortimente erhöhen nicht nur
den Logistik- und Controllingaufwand
(vgl. Schröder 1999, S. 922), sondern
wirken sich auch negativ auf die Lager-
haltungskosten und das in Warenbe-
stand gebundene Kapital aus. Weiterhin
sind in einem großen Sortiment
„Ladenhüter“, also Artikel die unver-
hältnismäßig selten drehen, häufiger
vorhanden als in einem kleinen Sorti-
ment. Der Abschreibungsbedarf steigt
ebenfalls an (vgl. Corstjens/Corstjens
1999, S. 288). Mehr Artikel innerhalb
eines Sortimentes verringern weiterhin
die Effizienz des Filialpersonals (vgl.
Diller 2000, S. 474ff.). Auch die Gefahr
von temporären Regallücken (out-of-
stocks) wird bei großen Sortimenten
deutlich höher, da es äußerst komplex
ist, alle Waren in allen Varianten ständig
in ausreichender Menge im Regal ver-
fügbar zu machen. Die unkontrollierte
Sortimentsausweitung führt immer
mehr Handelsunternehmen somit nicht
zu neuen Umsätzen, sondern in eine
Komplexitätsfalle (vgl. Fisher/Ittner
1999, S. 771; van Ryzin/Mahajan 1999,
S. 1496ff.).
Zu umfangreiche Sortimente be-
schränken aber nicht nur die Wettbe-
werbsfähigkeit eines Handelsbetriebes.
Sie können auch zu einem negativen
Sortimentsprofil/Sortimentsimage aus
Konsumentensicht führen.
Auswirkungen auf das Sortimentsprofil
Im Handel ist seit langem bekannt, dass
der Aufbau und Erhalt langfristiger
Wettbewerbsvorteile meist darauf
beruht, dass Konsumenten das eigene
Leistungsangebot für besser empfinden
als das der Konkurrenz (vgl. Kuss/Tom-
czak 2000, S. 10). Rudolph (1993, S.
269ff.) spricht in diesem Zusammen-
hang auch von einem „einzigartigen
Profil“, das die Leistung einer Unterneh-
mung vom Wettbewerb abhebt.
Zu umfangreiche Sortimente können
sich auch negativ auf das Sortiments-
profil auswirken. Durch die übermäßi-
ge Sortimentsexpansion „verschwim-
men“ Sortimentsgrenzen zunehmend
(vgl. Barth et al. 2002, S. 154; Zentes/
Swoboda 1998, S. 125ff.). Warenwelten
gleichen sich immer mehr an, Handels-
sortimente werden von Kunden zuneh-
mend als austauschbarer empfunden.
Die zu große und unstrukturierte Aus-
breitung der Sortimente unterstützt
somit das Image einer Unternehmung
nicht, sie steht der Vermittlung von
Kompetenz eher entgegen. Es kommt
zu einer immer stärkeren Homogeni-
sierung der Handelsleistung (vgl. Lieb-
mann/Zentes 2001, S. 458).
Hart/Davies (1996, S. 309) definieren
diesen Zustand, bei dem es zu große Sor-
timente für den Konsumenten schwierig
machen, zu erkennen, für welche Werte
eine Verkaufsstelle eigentlich steht, als
„overpositioning“, Theis (1999, S. 580)
spricht in diesem Zusammenhang von
„Übersortierung“, Suarez (2005, S. 873)
von „over-merchandizing“, Möhlen-
bruch (1992, S. 255) von „Artikelhyper-
trophie“ und Schröder (1999, S. 907) gar
von „Sortimentsverwilderung“. Erken-
nen Kunden aber nicht mehr, für welche
Werte das Sortiment einer Verkaufsstelle
eigentlich steht, sehen sie auch keinen
Grund, warum sie genau in diesem
Geschäft wieder einkaufen sollten.
Unprofilierte, austauschbare Sortimente
führen insofern auch zu einer abneh-
menden Verkaufsstättentreue.
Abbildung 3 fasst die angeführten
Überlegungen zusammen und verdeut-
licht die potenziellen negativen Effekte
zu großer Sortimente graphisch.
Rudolph | Kotouc Das Sortiment aus Verbrauchersicht
4 2|2006
Rentabilität Optimum
Artikelanzahl
Abb. 2: Gesetz der abnehmenden SortimentsrentabilitätQuelle: In Anlehnung an Rudolph (2005, S. 81)
Potenzielle negative Effekte zu großer und unstrukturierter Sortimente
Überlastung der Konsumenten Sinkende Profitabilität Fehlende Profilierung
Suchprozesse und Auswahlprozessewerden erschwert
Verwirrung, Demotivation, Unzufriedenheit
ReduktionsstrategienKaufunlustSinkende Loyalität
Hohe Beschaffungs- und LagerkostenGroßer VerwaltungsaufwandGefahr von Stock-Outs
Sinkende RentabilitätAbnehmende ProfitabilitätVerlust an Marktanteil
Undifferenzierte, austauschbare Sortimentsleistung
Kein profitstarkes Sortimentsimage
Abb. 3: Potenzielle negative Effekte zu großer Sortimente
Das Sortiment aus Verbrauchersicht Rudolph | Kotouc
Lösungsansatz:
Nicht nur den Verbraucher in den
Fokus rücken, sondern das Sortiment
auch aus dem Fokus des Verbrauchers
betrachten.
Wir glauben, dass trotz des Postulats
der Kundenorientierung Sortimente
von Handel und Industrie nach wie vor
vielfach aus einem falschen Blickwinkel
heraus betrachtet werden. Das Kern-
stück eines Handelsbetriebes, die Sorti-
mentsplanung, stützt sich immer noch
stark auf Informationen aus dem
Warenwirtschaftssystem, dem Rech-
nungswesen, auf Daten aus dem Kas-
sensystem und auf Kundenkarteninfor-
mationen. Obwohl für Handel und
Industrie von großem Nutzen, hat diese
Form der kundenorientierten Sorti-
mentsbetrachtung nur wenig mit dem
Sortiment zu tun, das Kunden bei ihrem
Einkauf erleben. Die Folge ist, dass Sor-
timentsoptimierungen nur ansatzweise
kundenorientiert durchgeführt werden.
Unsere Meinung ist, dass Sortimente
erst dann kundenorientiert gestaltet
werden können, wenn man auch die Kri-
terien kennt, mit denen Kunden Sorti-
mente beurteilen (subjektive Sortiments-
betrachtung). Stellt das Sortiment für
Handel und Industrie lediglich eine
zusammenfassende Beurteilung aller sich
darin befindenden Artikel dar, so verbin-
den Verbraucher mit dem Begriff Sorti-
ment ein Leistungsbündel zur gleichzeiti-
gen Erfüllung verschiedener Bedürfnisse.
Entsprechend dieser Definition erscheint
es als nicht verwunderlich, dass das
objektive Sortiment (Summe aller Arti-
kel) in entsprechendem Ausmaß vom
subjektiv wahrgenommenen Sortiment
aus Kundensicht abweicht. Dieser Aspekt
wird bei der Sortimentsplanung bislang
eher ausgeblendet. Zu große Sortimente,
die Verbraucher eher verwirren und
unnötig Komplexität für das Unterneh-
men schaffen, sind die Folge.
Wie aber können Handel und Indus-
trie die Verbrauchersicht noch stärker in
die Sortimentsplanung integrieren? Die
nachfolgenden Ausführungen stellen
einige, erste Ideen dar.
Kernattribute identifizierenAus der Verhaltensforschung ist bekannt,
dass Verbraucher die Leistungsfähigkeit
eines Sortimentes anhand einer über-
schaubaren Menge von Signalelementen
beurteilen. Unternehmen sollten ent-
sprechend versuchen, diese Signalele-
mente in ihre Sortimentsplanung zu
integrieren. Ein Großteil der hierzu
benötigten Informationen schlummert,
bisher unbeachtet, in den Datenbanken
vieler Händler. Bislang ist der Artikel der
kleinste gemeinsame Nenner bei der Sor-
timentsoptimierung. Renner-Penner-
Listen, Analysen zu Verbundkäufen und
zur Käuferreichweite eines Artikels: Sie
alle beziehen sich auf die Informations-
einheit „Artikel“. Dieses Vorgehen steht
allerdings im Widerspruch zum Verbrau-
cher, der weniger den Artikel an sich,
sondern vielmehr dessen Attribut- und
Nutzenstruktur wahrnimmt und bewer-
tet. Warum also nicht die Attributstruk-
tur eines Artikels mit in den Sortiments-
planungsprozess integrieren? Artikel
qualifizieren sich nicht länger nur durch
Marge, Umsatz und Listungsgebühren
sondern auch über ihren wahrgenom-
menen Nutzen im Sortiment. Bei den
meisten Produkten des täglichen Lebens
verwenden Konsumenten nicht mehr als
vier bis sechs Attribute, um zu einer Aus-
wahlentscheidung zu kommen. Es bedarf
somit keiner großen Marktforschungser-
hebung, um die wichtigsten Attribute in
den Hauptwarengruppen eines Handels-
unternehmens zu bestimmen. Anhand
dieser Kernattribute gilt es dann weiter
zu überlegen, ob ein Sortiment wirklich
das anbietet, was Kunden auch wichtig
ist oder ob die angebotene Vielfalt
eigentlich völlig an den Bedürfnissen der
Verbraucher vorbeigeht.
Finanzwirtschaftliche und kunden-orientierte Kennzahlen kombinierenEs ist allgemein bekannt, dass nicht jeder
Artikel im Sortiment gleichermaßen
zum Gesamterfolg einer Unternehmung
beiträgt. Auch Artikel mit einem durch-
schnittlichen Deckungsbeitrag können
das Sortimentsimage aus Verbraucher-
sicht wesentlich stützen. Wirksam inte-
grieren können Manager die Kunden-
perspektive nur, wenn das Sortiment
unter einem ganzheitlicheren Blickwin-
kel betrachtet wird. Ganzheitlich heißt,
dass neben den finanzwirtschaftlichen
Kennzahlen aus dem Sortimentscontrol-
ling auch „weiche“, qualitative Indikato-
ren bei der Sortimentsgestaltung mit
berücksichtigt werden sollten. Konse-
quenterweise sollten Manager daher
Abstand von zu mechanistischen Ent-
scheidungsregeln bei der Sortimentspla-
nung nehmen. Zu komplexe Kennzahlen
können dazu führen, dass man sprich-
wörtlich das Sortiment vor lauter Arti-
keln nicht mehr sieht.
Fazit
Die Sortimentsauswahl ist sicher eines
der wichtigsten Elemente, das Verbrau-
cher an einem Handelsbetrieb schätzen.
Große Sortimente erhöhen die Aus-
wahlflexibilität, ermöglichen es, alle
Einkäufe in einer Verkaufsstelle zu erle-
digen und inspirieren auch zum Kauf
neuer Produkte.
Varietät ist aber nicht immer automa-tisch mit Variation gleichzusetzen.Wird die Aufgabe des Vorselektierens
bei der Sortimentsplanung vernachläs-
sigt oder rücken erfolgsorientierte
Kennzahlen zu stark in den Vorder-
grund, besteht die Gefahr, dass Sorti-
mente zu einer profillosen Ansammlung
von austauschbaren Artikeln verkom-
men. Statt Auswahl und Variation wird
immer wieder nur das Gleiche in unter-
schiedlichen Facetten angeboten. Die
Herausforderung, aus einem großen
Angebot an ähnlichen Artikeln das
Beste herauszufiltern, wird somit an die
Verbraucher delegiert. Nur wenige Kon-
sumenten besitzen allerdings die Muße,
den Einkaufsvorgang mit minutenlan-
gen Vergleichen von ähnlichen Produkt-
versionen vor den Regalen zu verbrin-
gen. Frustration und Unzufriedenheit
sind oft die Folge. Vielfach reagiert der
Konsument mit Kaufzurückhaltung, im
schlimmsten Fall wechselt er die Ver-
kaufsstelle oder kauft im Discountge-
schäft; nicht nur wegen des Preises,
sondern insbesondere wegen der über-
schaubaren Sortimente.
Verbraucher ticken anders. Sie laufen
durch ihre Umwelt und nehmen nur
das wahr, was ihnen als wichtig und
entscheidungsrelevant erscheint. Han-
delsunternehmen, die ignorieren, dass
Konsumenten die Leistungsfähigkeit
eines Sortimentes durch einfache
52|2006
Rudolph | Kotouc Das Sortiment aus Verbrauchersicht
Schlüsselmerkmale, nicht aber durch
die bloße Anzahl an Artikeln beurtei-
len, laufen Gefahr Verbraucher zu ver-
wirren und vom eigenen Angebot abzu-
schrecken. Die Herausforderung einer
zukunfts- und verbraucherorientierten
Sortimentsplanung besteht insofern
darin, dem Kunden durch ein klar
strukturiertes, systematisch aufgebau-
tes und verständliches Sortimentsange-
bot eine Orientierungshilfe anzubieten,
die die Kaufentscheidung aktiv verein-
facht. Oder einfacher ausgedrückt:
Gewinnen wird nicht der, der 23 unter-
schiedliche Sorten Erdbeerjoghurt im
Regal hat, sondern wer es schafft, dem
Verbraucher zu vermitteln, wie sich die
fünf im Sortiment befindenden Erd-
beerjoghurts unterscheiden und Ent-
scheidungshilfen zu bieten, welcher
davon der Beste für ihn ist.
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72|2006
Beirat Organisation
Dr. Wolfgang Armbrecht Direktor BMW Group München,BMW AG
Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Backhaus Westfälische Wilhelms-UniversitätMünster,Technische Universität Berlin
Prof. Dr. Hans H. Bauer Universität Mannheim
Dr. Hans-Jürg Bernet CEO Zürich Schweiz
Prof. Dr. Manfred Bruhn Universität Basel
Prof. Dr. Hermann Diller Universität Erlangen-Nürnberg
Prof. Dr. Franz-Rudolf Esch Justus-Liebig-Universität Gießen
Dr. Jürgen Häusler CEO Interbrand Zintzmeyer & LuxGruppe
Prof. Dr. Manfred Krafft Westfälische Wilhelms-UniversitätMünster
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Westfälische Wilhelms-UniversitätHeribert Meffert Münster
Prof. Dr. Anton Meyer Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen
Felix Richterich Verwaltungsratspräsident Ricola AG
Urs Riedener Mitglied der Generaldirektion undLeiter Departement MarketingMigros-Genossenschafts-Bund
Prof. Dr. Bodo B. Schlegelmilch Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Hans-Willi Schroiff Vice President Market Research/Business Intelligence Henkel KGaA
Prof. Dr. Hermann Simon Vorsitzender der GeschäftsführungSimon – Kucher & Partners
Alexander Stanke Direktor Marketing & BusinessManagement Siemens AG Medical Solutions
Dr. Raimund Wildner Managing Director GfK-Nürnberg e. V.
Elmar Wohlgensinger Präsident Schweizerische Gesell-schaft für Marketing GfM
Prof. Dr. Joachim Zentes Universität des Saarlandes