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Vor 21 Jahren entfachte eine zweiteilige Farbreportage die Sehnsucht vieler Tourenfahrer. Das märchenhafte Hoggar-Massiv und die abgelegene Oase Djanet waren Ziel einer Rundfahrt durch die Zentral-Sahara. Eine Reportage mit Bildern von Reiner H. Nitschke DAS UR-ERLEBNIS 48 TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS 49

DAS UR-ERLEBNIS - tourenfahrer.de · 80 TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS81 Reportage Fort Gardel 26.11.1982: Vor 18 Tagen haben wir Algier verlassen. Es kommt

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Vor 21 Jahren entfachte eine zweiteilige Farbreportage die Sehnsucht vieler Tourenfahrer.

Das märchenhafte Hoggar-Massiv und die abgelegene Oase Djanet waren Ziel einer Rundfahrt

durch die Zentral-Sahara. Eine Reportage mit Bildern von Reiner H. Nitschke

DDAASS UURR--EERRLLEEBBNNIISS

48 TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS 49

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Ins Herz desHoggar-Gebirgesführt uns die Piste von Tamanrasset nachHirhafok. Wir haben das Gefühl, die Zivilisationjetzt endgültig hinter uns zu lassen.

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Ein einzigartigesErlebnis ist die Fahrtvon Tam hinauf zum 2726 Meterhohen Assekrem, den wir überdie östliche Route anfahren.

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Bizarre, kantigeFelsformationensäumen die Piste überdas Plateau du Fadnoun nördlich von Fort Gardel.

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Abends ist es schlagartig kalt –das kleine Lagerfeueraus Kamelmist und Tamarisken-Ästen wird daher zum Ritual.

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Langweilig oderauch meditativ –je nach Sichtweise - so sind großeTeile der Sahara, wie hier die Regionzwischen Reggane und In Salah.

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Der Brunnenvon Fort Gardelist Quelle und wichtigerOrientierungspunkt ander Piste nach Djanet.

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Durchbaggernoder fliegen –das ist die Alternative, umdie Tiefsandfelder vor Djanetzu durchqueren.

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Die Felsen desTassili n’Ajjerscheinen im Licht der letzten Sonnen -strahlen zu glühen. Die Reflexion des Kenn -zeichen wirkt wie ein Irrlicht in der Wüste.

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Mit Freudeund Neugierbegegnen die Kinder der Sahara allen freundlichen Fremden. AufdringlichesBetteln ist die Ausnahme.

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Ein Meer derVerlockungist der Erg Occidental westlich von El Golea. Zwargelten Sanddünen als Wahrzeichen der Sahara, siesind aber keinesfalls die beherrschende Wüstenform.

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Erschöpft, aberglücklichblicken wir auf die sanften Dünen des ErgOccidental. Ein schlichter Kerzenstummelersetzt heute das mühsame Lagerfeuer.

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Fast so großwie Frankreichist die Gebirgsregion des Hoggar. Die charakteristi-schen Felsendome und Basaltorgeln sind Ergebnis heftiger Vulkan-Ausbrüche in Tertiär und Quartär.

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Wie ein schwererSamtvorhangfällt die Nacht über dieatemlose Stille der Wüste. HöchsteZeit, eine Lagerstätte zu suchen.

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Wie klein dochder Mensch ist

wird einem nirgends so bewusstwie auf hoher See oder in der

monströsen Einsamkeit der Wüste.

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Man nennt esschnöde »Wellblech«

wenn der Pistenstaub von den Blattfedern der Landroverund Lastwagen zu hartnäckigen Querrillen verdichtet

wurde. Eine Tortur für Mensch und Maschine.

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TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS 8180 TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS

Reportage

Fort Gardel 26.11.1982: Vor 18 Tagen haben wirAlgier verlassen. Es kommt mir wie eine Ewigkeit

vor, die uns jetzt von der »Zivilisation« trennt. Sicherein blödes Wort. Doch hier draußen, oder besser hierdrinnen in der Zentral-Sahara, wird es wieder zum Be -griff. Man verbindet mit ihm so triviale Dinge wie Früh-stücksei, Dusche, Tageszeitung, Bier, Musik und schließ -lich sogar Asphalt. Das erste Mal haben wir ihn verlassen,als wir hinter El Golea in die Dünen fuhren, um un sererstes Nachtlager im Freien aufzuschlagen. Wir muss -ten eine etwa 500 Meter breite Ebene durchqueren. DieOberfläche schien fest zu sein, darunter verbarg sichweißer Staub. Ingrid lag schon nach wenigen Meternauf der Nase. Ich blieb am Gas und erreichte eineGeschwindigkeit, bei der die harte Kruste trägt. Direktam Fuße der mächtigen Dünen stellte ich die BMW aufdem Spaten ab, um die zweite Maschine zu holen. Ingridwar ziemlich frustriert. Djanet, unser Traumziel, schienfür sie plötzlich in unerreichbare Ferne gerückt.

Eine Woche später sah die Welt wieder etwas andersaus. Wir hatten im Konvoi mit zwei VW-Bussen undeinem Hanomag die Piste von Reggane nach In Salahgeschafft.

Die Entscheidung für den Abstecher nach Regganean der Tanezrouft-Piste fiel ganz spontan. Wir hattengerade unser Dünen-Camp verlassen, uns mit zwei ekel-haft sandigen Umleitungen herumgeplagt, als plötzlichdas Schild »Timimoun 280 km« auftauchte. Nach demMotto »wann kommt man da mal wieder hin?« schwenk -te ich nach rechts in die lang gezogene Abzweigung. ImNachinein glaube ich, dass es auch ein unbewusstes Aus-weichen, Hinauszögern war. Wären wir nämlich gera-deaus weitergefahren, so hätten wir schon in wenigenTagen vor den Toren Tamanrassets und damit auch vorder Entscheidung gestanden, uns bis Djanet durchzu-schlagen oder auf demselben Weg um zukehren. Heutewissen wir, dass die Richtung stimmte. Denn Timimounist tatsächlich eine sehr interessante Oase, und die PisteReggane – In Salah war ein gutes Training. Um einigewichtige Pisten-Erfahrungen reicher kehrten wir wie-der zur Hoggar-Route zurück.

1978 wurde diese Straße durchgehend geteert. Schonein Jahr später zeigte sie die ersten Schäden. Heute istsie größtenteils praktisch unbrauchbar. Es gibt zwischenIn Salah und der Arak-Schlucht noch längere Passagen,die gut befahren werden können. Doch danach ist dieStraße so zerrissen, dass man selbst mit dem Motorradnicht mehr allen Löchern ausweichen kann. Teilweisehaben die Lastwagen den Teer wieder in eine graue Well-blechpiste zermahlen. Es ist, als ob die Wüste das vonMenschenhand besetzte Land zurückerobert. Dort, wodie Straße wieder die Gestalt einer Naturpiste angenom -men hat, fährt es sich am besten. In Salah-Tamanrasset,das sind 700 Kilometer, die man vor wenigen Jahren

noch an einem Tag bewältigen konnte. Wir treffen Leute,die sind schon eine halbe Woche unterwegs.

Nachdem wir seit zehn Tagen die Sahara von ihrerlangweiligen Seite gesehen haben – mit Ausnahme derUmgebung von Timimoun – saugen wir jetzt umsobegieriger die interessante Landschaft in uns auf. Wirpassieren große, gelbe Sanddünen, die schwarze Bergeverschlingen; dazwischen Ebenen, in denen runde Fel-sen wie gigantische Murmeln aufgereiht sind. Mit denStrahlen der späten Nachmittagssonne erreichen wirdie Arak-Schlucht. Die Straße führt am Grund einestiefen Canyons entlang. Rundliche Basalttürme hebensich wie Scherenschnitte gegen den untergehenden Feu-erball der Sonne ab und markieren damit die obereKante der Schlucht. Hinter jeder Kurve tauchen neueFelsgestalten auf. Kupferfarbene Gesteinsbuckel glühenim Abendlicht. Wir sind begeistert. Nur die stete Prä-senz des Militärs hält uns vom Verweilen ab. Auch foto-grafieren ist nicht erlaubt.

20 Kilometer hinter diesem ersten Vorboten des Hog-gar-Massivs suchen wir uns einen günstigen Nachtplatz.Das ist nicht einfach hier, denn die Straße wird meistvon Felsen begrenzt. Endlich finden wir ein Oued, eintrockenes Flussbett, das die Straße kreuzt. Obwohl manin einem Oued nicht schlafen sollte, da man von weitentfernten Regenfällen überrascht und samt Fahrzeugfortgerissen werden kann, erscheint uns dies als einzigeMöglichkeit. Die Straße ist wie in der ganzen Arak-Schlucht deichförmig angelegt, die Bankette mitMaschendraht gesichert. Das Ergebnis ist nicht umwer-fend. Immer wieder ist die Straße auf 20, 50 oder 100Metern weggerissen. Eine tödliche Falle für Nachtfah-rer. Von dem sehr hohen Bankett komme ich noch ganzgut runter, aber dann grabe ich die BMW nach 20 Meternbis zu den Kanistern ein. Sie steht wie betoniert. Werin solchen Situationen alleine ist, muss die ganze Ma -schine abpacken, um wieder rauszukommen.

Im Sichtschutz eines Dornenstrauchs schlagen wirunser Camp auf. Ich suche wie jeden Abend Feuerholz,Ingrid befreit unsere Schlafstelle von Dornen und Kamel -mist. Es soll unsere letzte Nacht ohne Zelt sein. In dennächsten Wochen wird es nämlich wesentlich kälterwerden. Um unser Kopfende baue ich eine »Burg« auszwei Gepäck rol len und dem Wasserkanister. Vielleichthält dies Schlan gen oder sonstige unerwünschten Nachtgäste ab ... Während das letzte Stück Kamelmistim Feuer glüht, entfaltet sich über uns wieder der Sternenhimmel.

Dieser Himmel ist es vor allem, der eine Sahara-Reisezu einem unvergesslichen Erlebnis macht. Kurz nach-dem sich die Sonne binnen Sekunden verabschiedet hat,glimmt der Horizont wie eine mächtige violett strah-len de Leuchtstoffröhre. Das Violett wird allmählichdunkelblau und schließlich blauschwarz. Mit der

Fast 3000 Meterhoch ragen die Kegel

des Hoggar in den Himmel. Je nach Tageszeitleuchtet das Basaltgestein in den unterschiedlichs -

ten Violett-Tönen. Trotz der zauberhaften Kulissegilt es beim Fahren aufmerksam zu sein, sonst

gerät die schwere Fuhre schon mal aus der Balance.

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TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS 83

schwindenden Leuchtkraft der Ionosphäre entwickeltsich über uns zugleich das Bild der Sterne. Aufgrundder geringen Luftfeuchtigkeit sieht man in der Wüstewesentlich mehr als in Europa. Wer sich konzentriert,kann sogar Zeuge der kosmonautischen Umweltver-schmutzung werden: Künstliche Himmelskörper zie-hen leuchtend ihre Bahn.

Heute erleben wir die Landschaft leider nur noch inzerrissenen optischen Fragmenten, so sehr müssen wiruns aufs Fahren konzentrieren. Im »Spezialslalom«schaf fen wir ganze 30 Kilometer in der Stunde. Dochso lange es irgendwie geht, wollen wir nicht runter vonder Straße, denn die Lastwagen haben teilweise tiefeGrä ben in den Sand gezogen. Schon aus weiter Entfer-nung kündigt sich das Nahen der Trucks an: zuerst eindumpfes Grollen, dann eine Staubwolke. Oft vergehennoch einige Minuten, bis die 6x6-getriebenen Unge -tüme an uns vorbeidonnern. Herzklopfen bereitet esuns immer, wenn die Fahrer gerade vor uns auf dasStraßenbankett zurückkehren oder es sogar kreuzen.Die Zugmaschinen vollführen dabei atemberaubendeBocksprünge und scheinen fast umzukippen; nur derschwere Auflieger (meist ein Tank) scheint sie daran zuhindern. Nicht immer, wie einige Wracks am Wegedemonstrieren.

An der Tankstelle von In Ecker kommen wir mit einemTrucker ins Gespräch. Er ist einige Jahre in Deutsch-land gefahren. »Urach-Ulm, connaissez-vous?«, erklärter und macht dabei mit seiner rechten Hand eine spi-ralförmige Bewegung nach oben. Er meint wohl dieGeislinger Steige, und ich nicke verständnisvoll. Da fährter doch lieber hier in der Wüste. Während Autofahreran das gegenüberliegende »Café« verwiesen werden,lässt der Tankwart uns bei sich Wasser fassen. Die Fahrtnach Tam zieht sich doch länger hin als erwartet. Somüssen wir schon hier auftanken. Da In Ecker früherdas Zentrum der französischen Atombombenversuchewar, hätten wir dies eigentlich lieber vermieden.

Ein total genervtes italienisches Paar kommt uns aufeiner 1000er Moto Guzzi entgegen. Das letzte Stück vorTamanrasset wäre die Hölle, nur noch Sand, Sand undnochmals Sand, klagen sie. Auf unsere Frage, wo siedenn überall waren, antworten sie »Tam«, die Endsta-tion der meisten Straßenfahrer und erst recht natürlichmit Sozius. Tatsächlich kommt eine längere Umleitung,die uns jedoch keine Probleme bereitet, und schließlichgeraten wir auf eine blitzsaubere, noch ungeteerteTrasse, auf der wir mit 100 km/h bis kurz vor Tam gelan-gen. Hier stoßen wir auf eine Barriere, auf deren Rück-seite ein Umleitungsschild nach links weist ... Wir freuenuns diebisch und rollen auf den letzten Kilometerngepflegten Asphalts in den Ort.

Für südalgerische Verhältnisse ist hier richtig was los.Es gibt Brathähnchen, viele Läden, einen schlecht sor-

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Reportage

Viel schöner alsoft beschrieben

ist die Strecke durch dieBasalt-Klotz-Landschaft des Plateau de Fadnoun bei Illizi.

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TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS 8584 TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS

Reportage

tierten Markt, ein Hotel und einen Campingplatz. DieStraßenszene wird von Tuareg, Polizisten, Soldaten undTouristen geprägt. Als sich der französische MissionarCharles de Foucauld 1906 hier niederließ, schrieb erüber Tamanrasset: »Es sind nur sehr wenige seßhafteEinwohner da, etwa zwanzig armselige Hütten, übereinen Raum von drei Kilometern verstreut, aber in derUmgebung gibt es viele Nomaden; dies ist das Zentrumdes stärksten Nomadenstammes im ganzen Land. «Heute teilen die stolzen Tuareg das gleiche Schicksalwie die meisten Nomadenstämme dieser Erde. Sie sindentwurzelt und finden sich in der europäisch gepräg-ten Scheinwelt nicht zurecht. So geben sich die einsti-gen Raubritter der Wüste dem Müßiggang hin. Kör-perliche Arbeit verachten sie. Dafür hielten sie sich bisvor kurzem noch schwarze Sklaven.

Da wir Begleiter für unsere Fahrt nach Djanet suchen,gehen wir auf den unverschämt teuren Campingplatz.Dort finden wir tatsächlich zwei Deutsche, die mit ihrem betagten Landrover ebenfalls nach Djanet möch-ten und die bereit sind, für uns zusätzlich Benzin mit-zunehmen. Damit ist unser Hauptproblem gelöst, undich begebe mich auf die Daira, die Gemeindeverwal-tung, um die Genehmigung zum Befahren der B-Pistezu beantragen.

Sie gehört zu den landschaftlich schönsten, aber auchzu den schwierigsten Strecken der Sahara. Auf den 700Kilometern gibt es praktisch keine Versorgungsmög-lichkeiten. Und auch am Ziel- und Wendepunkt, derOase Djanet, sind sie recht beschränkt. Immerhin gibtes dort Brot und Benzin. Als wir uns vor einer Wochein Reggane für die Piste nach In Salah abmeldeten, muss ten wir Wasser-, Lebensmittel- und Benzinvorräteangeben. Hier in Tamanrasset interessiert das nieman-den. Man muss lediglich mit mindestens zwei Fahr -zeugen einen Konvoi bilden. Dafür lässt mich ein arro-gan ter Schreiberling drei Stunden im Wartezimmerschmoren. Am Abend erwische ich endlich den sehrfreundlichen Chef der Wilaya (Regierungsbezirk) per-sönlich und erhalte so noch kurz vor Büroschluss dieAutorisation.

Als ich die Stufen der Daira hinuntersteige, befällt

Wunderbare grüne Tupfer

bilden die Gueltas. WillkommeneWasserstellen inmitten derFelswüste. Die vonIssakarasseme sind besondersschön. Karawane bei Illizi.

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Reportage

mich ein bedrückendes Gefühl. Es ist keine beklem-mende Angst, eher ein unsicheres Schweben über einemriesigen Feld der Ungewissheit. Jetzt, mit den Papierenin der Hand, gibt es kein Zurück mehr. Was werden dienächsten Tage bringen? Was passiert, wenn einer vonuns schwer stürzt oder eine Maschine liegen bleibt? Dja-net kommt mir auf einmal wieder unendlich weit vor.

Auf dem Campingplatz schwatzen wir noch mit dreiToyota-Fahrern aus Bayern. Sie kommen gerade ausDjanet und können uns, obwohl sie den leichteren Wegüber In Amguel gewählt haben, gute Tipps geben. Einervon ihnen trägt einen mächtigen Schulterverband undschaut immer etwas wehmütig auf unsere beiden BMWs.

Er hat seine schon im Norden auf der Teerstraße in eingroßes Loch geschmissen ... »Wir haben ein Telex anden ADAC geschickt, und schon war die Sache erledigt,die Maschine ist jetzt schon zu Hause!«, erzählt er. Esist schon beruhigend, wenn man hin und wieder hört,dass die Sache mit dem Schutzbrief auch tatsächlichfunktioniert.

Die Fahrt von Tam zum Assekrem-Pass wird zumein zigartigen Erlebnis. Wer hier durchrast, um »die Rund -fahrt« an einem Tag zu machen, muss schon blind sein.Blind für eine fast außerirdische Welt. Die Fahrt in dieseUrwelt ist voller Überraschungen. Es ist kein kompak-tes Bergmassiv, das wir auf dem Weg zum 2726 Meter

hohen Assekrem durchqueren, sondern eher eine riesigeHochbühne. Witzige, aber auch unheimliche Basalt figu -renbilden die Kulisse. Die Farbe der Bühnen aus stattungändert sich von Stunde zu Stunde, gegen Abend sogarvon Minute zu Minute. Schon deshalb sollte man sichZeit und Muße nehmen.

Die Piste ist sehr gut angelegt und stellt erst auf denletzten Kilometern zur Passhöhe hinauf höhere fahre-rische Anforderungen. Sechs Kilometer un ter demScheitelpunkt stehen links zwei Schilder mit den Auf-schriften »Tamanrasset 76« und »Assekrem 6«. Nachrechts weist kein Schild. Trotzdem blicken wir et wasehrfürchtig in die Tiefe, denn hier soll die berüchtigte

Rosa Pastelltöne undgrüne Palmblätter

kennzeichnen die Oasen-Städte, deren betulichesTreiben einem nach Tagen in der Einsamkeit fast schonwieder hektisch erscheint.

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TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS 8988 TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS

Reportage

Piste nach Hirhafok abzweigen. Tatsächlich entde ckenwir auf einem flachen Stein das Wort Hirhafok voneinem krakeligen Pfeil unterstrichen. Kein Zweifel, hierwerden wir wohl morgen früh hinunter müssen.

Zunächst kraxeln wir aber in den Fußrasten stehendden Assekrem-Pass empor. Der Bergsattel ist von einerdicken Steinmauer umgeben. Gleichzeitig mit uns tref-fen unsere Mitstreiter für die Djanet-Piste mit ihremLandrover ein. Sie mussten noch reparieren und sinderst am Nachmittag in Tam losgefahren. Gemeinsamkeuchen wir den steilen Hang zum Gipfel des Assekremempor. Noch etwa sechs weitere Besucher genießen dasSchauspiel des Sonnenuntergangs über der Märchen-Kulisse des Hoggar-Gebirges.

Kaum ist der Feuerball hinter den Zinnen und Domenverschwunden, kommt der Frost herangekrochen. Erschüttelt meine vom schnellen Aufstieg nass geschwitz-te Rückenpartie. Womit der Grundstein für eine satteErkältung wohl gelegt ist. Zum Schutz vor der schnei-denden Kälte kriechen wir in die Steinhütte des Charles de Foucauld.

Neben seiner Strohhütte in Tamanrasset hatte sichder Mönch, der sich in den letzten Jahren vor seinemgewaltsamen Tod voll und ganz den Nomaden und ihrerSprache gewidmet hatte, hier oben in 2726 Meter Höheeine zweite Einsiedelei erbaut. »... auf einem Bergpla-teau, das Asekrem heißt; man folgt einer undeutlichenPiste, die in Serpentinen riesige Canyons, Felsschluch-ten und steile Wände durchquert. Das ganze gleichteiner Mondlandschaft mit unglaublichen Mengen her-abgestürzter Felsbrocken und in den Himmel ragenderSpitzen. Man versteht, daß die Tuareg das Zentrum desHoggar ihre Kudia, ihre "Festung" nennen«, schreibtFoucauld im Jahre 1911 und fährt fort: »Das Panoramavor meiner Hütte ist unsäglich, es ist unvorstellbarschön. Ich kann nicht hinsehen auf dieses Meer vonGipfeln und von wildzerklüfteten Felsen, ohne Gottanzubeten ... Diesen Anblick kann man nicht beschrei-ben. Er zeigt uns, wie einsam der Mensch mit ihm ist.Wie ein Wassertropfen im Meer ... «

Die 85 Kilometer vom Assekrem hinunter nach Hir-hafok sind in der Tat ein starkes Stück. Aber es hatte janicht an Warnungen gefehlt. Die meisten Djanet-Fah-rer wählen nicht umsonst die Piste Hirhafok-In Amguel,um dann auf der Hoggar-Route nach Tam zu gelangen,beziehungsweise umgekehrt. So wundert es uns nicht,dass uns keine Menschenseele begegnet. Wer hier lie-gen bleibt, hat ausgesprochenes Pech, denn Abschlep-pen ist unmöglich. Man schleppt schon an sich selbstgenug. Vor allem für Autos ist es eine mörderischeQuälerei. Wir müssen denn auch immer wieder 20 oder30 Minuten auf den Landrover warten, der die fuß-ballgroßen Felsen nur im Schritttempo bewältigenkann. Für uns sind die steilen Bergabpassagen Furcht

erregend, da sie mit Tempo genommen werden müs-sen. Nur einmal füßeln oder gar bremsen, schon wirddas Vorderrad vom nächsten Stein herumgerissen, undman liegt flach.

Nach 18 Kilometern haben wir das Gröbste hinteruns. Wir liegen total geschafft in der warmen Mittags-sonne und schauen zurück auf den 2243 Meter hohenPass, der von hier unten so arglos aussieht. Die hefti-gen Regenfälle der letzten Jahre haben ihn praktischunpassierbar gemacht. Nach 20 weiteren, nunmehrrecht flinken Kilometern zweigt nach links eine Pistezur Guelta von Issakarassene ab. Dieses Wasserloch istim Gegensatz zur Guelta, die wir gestern auf dem Wegvon Tam zum Assekrem aufgesucht haben, recht sau-ber. Das dunkelgrüne Wasser ist unter den Schattenspendenden Felsen gefroren. Entsprechend fröstelndfällt auch die Kopfwäsche aus.

Später entdecken wir direkt an der Hauptpiste nocheinmal eine Guelta-Kette, die von wabenförmigen Basalt-stufen eingerahmt ist. Ein natürliches Amphi theater, indem Oleander und Schilf gedeihen. Paradiesisch! Weni-ger Freude bereitet dafür die letzte Abfahrt hinab in dieWüste von Hirhafok. Dass die beiden BMWs hier nichtschlicht und einfach zerbrochen sind, erscheint mir Mo -nate später noch als Rätsel. Auch hier wieder die glei-che Situation: Während der Landrover sich im Schritt-tempo von Felsen zu Felsen hangelt, müssen wir es mitden Motorrädern ordentlich krachen lassen. Das Ganzedürfte ein Gefälle von 30 Prozent haben. Unterwegs gibtes kein Halten. Jedes Zögern würde sofort durch einquer stehendes oder wegrutschendes Vorderrad quit-tiert. Trial pur mit fast 300 Kilo Maschinengewicht.

In der Oase Hirhafok umfängt uns ein buntes Trei-ben. Das Bild wird von unverschleierten, hübschenFrauen und einem Schwarm lachender Kinder geprägt.Anderen Reiseberichten zufolge sollen die Tuareg vonHirhafok schon »versaut« sein und für jedes Foto vielGeld verlangen. Uns winken zumindest die Frauen zu.Und da es schon spät ist, versuche ich gar nicht erst zufotografieren. Wir müssen uns einen Nachtplatz außer-halb der Oase suchen. Etwa fünf Kilometer weiter wirddie breite Sandpiste von einem überdimensioniertenMurmelfeld gesäumt. Dazwischen finden wir einen sehrschönen Platz.

Im letzten Flackern des kümmerlichen Feuers dres-sieren wir noch eine winzige Wüstenmaus, die so scharfauf Brotstücke ist, dass sie sogar auf die Hand kommt.

Nach einer kalten Nacht wartet auf uns wieder diePiste. Die steinigen Trassen des Hoggars liegen hinteruns. Jetzt heißt es, mehr oder weniger ominösen Spu-renbündeln durch Kies und Sand zu folgen. Immer wie-der gabeln sich die Spuren. Genau auf Höhe der OaseTifokraouine strande ich in einem scheinbar bodenlo-sen Kiesfeld. Die BMW steckt bis zu beiden Achsen in

Besonders streng gläubige Moslems

bevölkern die Stadt Ghardaia und derenUmgebung. Die Frauen der Mozabiten sind

bis auf ein Auge völlig verschleiert.

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TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS 91

sein. Deshalb habe ich mir wohl auch den Hals etwasverrenkt. Im Moment ärgert mich aber mehr der zer-manschte Scheinwerfer. Alles andere lässt sich wiederhinbiegen.

Die Wüste hatte also ihren Tribut gefordert. Währendich nun etwas zaghaft durch den Sand eiere, denke ichan die Wahnsinnigen der Rallye Paris-Algier-Dakar. Inwenigen Wochen werden auch sie von Norden aus Rich-tung Djanet vorstoßen. Wer vorne mitreden will, muss160 fahren. Ich hatte vorhin knappe 100 drauf ...

Am Nachmittag muss ich den letzten Rest wehleidi-gen Zauderns aufgeben. Das ansteigende Sandfeld amDjebel Telertheba fordert volle Power. Es läuft mir kaltden Rücken runter, als ich das zierliche Persönchen vormir mit der BMW kämpfen sehe. Ingrid lässt das Gasstehen, selbst als sie mit der Maschine fast quer durchden Sand pflügt, reißt immer wieder im richtigen Mo -ment den Lenker herum. Erst kurz unterhalb des Dünen -kamms brechen ihre Kräfte zusammen, und sie beugtsich dem Sog des feinen Sandes, der die 350-Kilo-Fuhreschlagartig abbremst und sie zu Boden zwingt. Ichschleudere haarscharf mit dem schweren Heck meinerBMW vorbei, erreiche mit dem letzten Drehmomentdes zweiten Gangs den Kamm und steige mit wackli-gen Knien ab. Das war mehr als knapp. Als ich die paarMeter zurückstapfe, sinke ich fast bis zum Ende des Stiefelschafts ein ...

Das Oued Tin-Hadjäne, dem die Piste nun folgt, lässtuns kaum Zeit, unsere Kräfte zu regenerieren. Wirschlingern und hoppeln über die winzigen Dünen undsind froh, endlich einen guten Nachtplatz zu entdecken.Wir warten noch auf den Landrover, der mit den letz-ten goldenen Sonnenstrahlen herangestaubt kommt.Dann durchqueren wir das Oued und schlagen unserLager direkt am Fuße eines Felsenturmes auf. Auch hierbilden riesige Murmeln aus Granitgestein die Ku lisse,in der wir Knochenreste mehrerer Mufflons finden.

Wir sind jetzt 340 Kilometer von Tamanrasset ent-fernt und füllen die 40 Liter Benzinreserve in unserebeiden Tanks. Damit sind wir nun vom Landrover unab-hängig. Wie wichtig es sein kann, dass man selbst genugVorräte auf seinem eigenen Fahrzeug mitschleppt, zeigt

90 TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS

Reportage

einem Trocken-Flussbett. Ingrid zieht es vor, durch einedieser grabenähnlichen Lkw-Rillen zu robben, was an -gesichts des breiten Boxermotors nicht ganz einfach ist.Doch sie kommt durch und kann mir schließlich zuHilfe kommen. So erreichen wir bald Ideles, wo wir klä -ren wollen, ob es nun eine Tankstelle gibt oder nicht. DieAngaben hierüber sind nämlich höchst widersprüch-lich. Einige wollen getankt haben, andere schwören Steinund Bein, dass es in ganz Ideles keine Zapfsäule gebe.Es gibt! Wir sichten die neue Tankstelle schon von wei-tem. Sie wird auch von einem alten Mann behütet. NurSprit gibt es keinen. Ja, Diesel habe es schon einmalgegeben. Aber erst im nächsten Jahr soll die Tankstellerichtig eröffnet werden. Wir versuchen, wenigstens Brotzu bekommen. Doch das wird in Ideles nur für Kindergebacken. Getreide ist rar in Algerien.

Die Piste ist jetzt teilweise trassiert, da sie über stei-nige Bergpassagen führt. Doch dann senkt sich dieStrecke wieder hinab in den unvermeidlichen Sand. Die-ser ist nicht immer weich. Er ist vielmehr voller Tücke.Mal saugt er dein Vorderrad ein, dass es dich fast überden Lenker zieht, mal drischt er mit seinen scharfkan-tigen, sichelförmigen Verwehungen auf dich ein, alswolle er das ächzende Motorrad in eine Pistenmarkie-rung zerstückeln. Wir sehen Wracks, die an einen aus-gewachsenen Panzerunfall erinnern: Folgen eines Über-schlags in der Wüste!

Auch mich erwischt es bei Kilometer 233 nach Taman-rasset. Ich fliege im gleißenden Licht der Mittagssonneparallel zur mehligen Hauptpiste über eine recht grif-fige Sand- und Kiesebene. Es fährt sich fast wie auf Schie-nen. Kann sogar mal wieder in den fünften Gang hoch-schalten. Doch urplötzlich scheine ich auf die »Eisen-bahn-Schwellen« geraten zu sein. Ich stehe sofort in denRasten, krache voll in einen Graben, reiße den Lenkerwieder raus, spüre ein Stechen im Kreuz und brechevoll in den nächsten Graben, aus dem die noch immergestauchte Gabel sich nicht mehr herausschnellen kann.Die Maschine steht Kopf und landet schließlich mit demlinken Zylinder im aufgepflügten Kies und mit demWasserkanister auf meinem linken Bein. Ich liege re -gungslos im Staub. Angst schnürt mich fest. Die Angst,beim Versuch, mich zu bewegen, feststellen zu müssen,dass es nicht mehr geht. Als ich endlich richtig zur Besin-nung komme, kniet Ingrid kreidebleich neben mir. Ichertaste meine linke Schulter, die ziemlich schmerzt,ziehe dann meinen Fuß unter dem Motorrad hervor.Der Motocross-Stiefel hat sich bewährt.

Während ich auf dem Rücken liege und erstmal kräf-tig durchatme, betrachte ich voller Sorge die Maschine.Wir müssen sie aufrichten, damit nicht noch mehr Ben-zin ausläuft. Ich setze den Integralhelm ab. Er ist genauauf der Höhe der Schläfe, dort wo das Visier befestigtist, zerkratzt. Ich muss mit dem Kopf seitlich aufgeprallt

Roter Lehm istder Baustoff

der die oft festungsartigen Orteder Sahara prägt. Die Ziegel werdeneinfach in der Sonne getrocknet.Nicht vergessen: Algerische Dattelngelten als die besten.

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Platz verlassen haben könnte. Doch die Angst war um -sonst, sie hockt auf einem Felsen und studiert die Land-karte. Sie ist wesentlich ruhiger als ich, da sie uns schonvon weitem mit dem Fernglas gesehen hat.

Ab Fort Serouenout gibt es keine Orientierungspro-bleme mehr. Die Piste führt jetzt wieder durch ein Stein-feld, das man kaum verlassen kann. In diesen Passagennerven die zu regelrechtem Wellblech geformten Quer-rillen besonders. An der Kreuzung mit der StreckeAmguid-Djanet sinken wir wortlos in den schmalenSchatten unserer Maschinen. »AM 443« steht auf demskurrilen Steinmal, das von unzähligen Ölsardinen -dosen umgeben ist. Wir mampfen mal wieder Voll-kornbrot mit Schmalzfleisch. Ich registriere erstmals,dass eine Erkältung im Anmarsch ist. Das fehlt noch beider ganzen Anstrengung!

Das Panorama wird jetzt vom grauen Massiv des 2165Meter hohen Tazat geprägt. Wir steuern direkt auf seinerechte Dreiecksspitze zu, um sie dann im Norden lie-gen zu lassen. Südöstlich vom Tazat wird die Lage etwaschaotisch. Die ehemals trassierte Hauptpiste ist nur imSchritttempo zu meistern. Eine jungfräuliche Puder-schicht verrät, dass sich hier schon lange keiner mehrabgequält hat. Doch eine klare alternative Hauptroute

will sich aus dem halben Dutzend Spuren nicht her-auskristallisieren. Ich lenke exakt Kurs Nordost. DieSandfelder werden immer ausgedehnter. Wir schwin-gen in weiten Bögen in die Täler und baggern schlin-gernd die Steigungen empor. Teilweise gleiten wir wieauf Samt dahin. Ein Genuss nach den Strapazen desTages. Die Tatsache, dass in diesem butterweichen Feldnoch keiner vor uns gefahren ist, lässt aber allmählichZweifel aufkommen. Da die Richtung stimmt, folgenwir jedoch weiterhin unseren Schatten und stoßenschließlich auf eine deutlich markierte Piste.

Fort Gardel rückt in greifbare Nähe. Nach dem Kilo-meterstand dürften wir nurnoch zehn Kilometer entferntsein. Doch die Wüste hält nocheine Sonderprüfung in Formeines ausgesprochen ekelhaf-ten Oueds parat. In den knie-tiefen Spurrillen steht dieBMW von ganz alleine, als ichzurückgehen muss, um Ingridaus dem Sand zu graben. Siewollte das Oued partout imQuerflug neh men. Obwohl

Reportage

sich am nächsten Vormittag. Fünf Kilometer vor demzerfallenen französischen Fort Serouenout warten wirvergebens auf den Landrover. Nach einer halben Stundewird es zur Gewissheit, dass irgendetwas nicht stimmt.Das Gelände ist hügelig, und man kann keinen Kilo-meter weit blicken. Während Ingrid an einer markan-ten Stelle wartet, fahre ich zurück. Ich suche fieberhaftnach Spuren. Und tatsächlich: Nach etwa zwei Kilo-metern, da wo unsere Piste in einem Rechtsknick einenHügel hinaufführt, geht wirklich eine Spur geradeausweiter in das Kiesfeld des breiten Wadis. Ich erkennedie charakteristische Fährte der Michelin-Sandreifenund jage dem Landrover hinterher.

Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf.Das Gelände wird immer schwieriger, doch ich bleibeam Gas. Dritter voll. Eine Stimme scheint sich zu mel-den: »Das sind die Situationen, in denen die schwerenStürze passieren. Fahre konzentriert! Präge dir genaudie Richtung ein, aus der du kommst!« Ich beginne zurechnen. Sie haben mindestens eine halbe Stunde Vor-sprung. Ich muss einen 80er-Schnitt fahren, um sie ineiner Stunde einzuholen. Eine Stunde? So weit kann ichmich unmöglich von Ingrid entfernen. Mittlerweiletrennt uns schon ein Bergmassiv von der Piste. Die zweiReifenspuren irren jetzt völlig ziel- und planlos durchdie Wüste. Sie müssen wohl gemerkt haben, dass etwasnicht stimmt. Und endlich! Ich plumpse wie ein Steinauf die Sitzbank. Am Horizont steht ein kleiner, blauerKasten mitten in der Wüste. Weit und breit keine Piste.Die beiden Fahrer gucken leicht verstört durch ihre ver-staubten Scheiben. Sie haben weder Kompass nochIGN-Karte dabei.

Wir kehren auf den nunmehr drei Reifenspuren zurPiste zurück. Unterwegs packt mich noch einmal dieAngst. Da ja seit dem Sturz mein Tachometer kaputtist, habe ich gar keinen Überblick, wie lange ich unter-wegs bin. Und die Befürchtung wächst, dass Ingrid ihren

Der feine Sandist überall

staubiges Pflaster in den Gassen der Oasen und steteGefahr für die schnurgeradenAsphaltbänder, die die Oasendes Nordens verbinden.

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TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS 9594 TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS

Reportage

der Sand weich ist, hat sie sich ordentlich ge prellt. Undwas viel schlimmer ist: Dieser erste schwere Sturz hatihr Selbstvertrauen angeknackst.

Am Horizont tauchen jetzt die flachen Türme desTassili auf. Ihr Grau wird von den flachen, langen Strahlen der Abendsonne violett gefärbt. Unter denhüp fenden Rädern der Motorräder leuchtet das Well-blech rostbraun. Schirm-Akazien setzen pittoreskePunkte in die malerische Landschaft. Mit einem un -beschreiblichen Hochgefühl donnern wir nebeneinan-der die letzten Kilometer gen Norden. Obwohl keinSchild, kein Haus zu erkennen ist, sind wir sicher – dasist Fort Gardel. Wichtiger Kreuzungspunkt der Pistennach Illizi im Norden und Djanet im Osten. Wir hal-ten Kurs Ost.

Fünfzig Kilometer vor Djanet hält die Sahara einesihrer ausgefeiltesten Marterwerkzeuge bereit: Wellblechextrem. Geschmiedet wurde es in jahrzehntelangerArbeit von den blattgefederten Rädern der Last- undGeländewagen. Man könnte es auch mit Querrillen undQuerriffelungen beschreiben. Überall dort, wo Wüstenauf unbefestigten Routen durchquert werden, findetman »Wellblech«. Doch die gröbsten »Schmiede« warenoffensichtlich auf der Piste nach Djanet am Werk. DieQuerrillen gleichen hier eher den Bewässerungsgräbeneines Palmengartens. Statt Wasser gibt es jedoch nurSand. Bisweilen sogar recht heimtückischen. Er kün-digt sich nicht etwa an. Nein – er flimmert im grellenLicht der Wüstensonne vor sich hin, um dann urplötz-lich das Vorderrad mit einem vernehmlichen »Pfff«förmlich einzusaugen. Zurück bleibt eine dichte, weißeWolke. Wenn man Pech hat, verschleiert sie den eige-nen Überschlag.

Saltos in der Wüste sind gar nicht so selten. Meistsind diese gemeinen Sandlöcher, auch »Fech Fech«genannt, daran ursächlich beteiligt. Um nämlich dieTortur des Wellblechfahrens zu lindern, muss man alsWüstenfahrer eine schlichte Devise beherzigen: Gasgeben. Ab einer bestimmten Geschwindigkeit fallen dieRäder nicht mehr in jede Querrille. Sie tanzen vielmehrauf den Zwischenstegen. Je tiefer und weiter die Pistegeriffelt ist, umso höher liegen aber diese Ideal-Geschwindigkeit und das damit verbundene Risiko. Istdies im Auto schon kein Zuckerschlecken, so wird derRitt auf einem Motorrad zum Urerlebnis: Unter demHintern einen wild gewordenen Gaul, in den Händeneinen Presslufthammer. Am Abend auf der Alu-Mattevorm Lagerfeuer reibt man sich dann die geschwolle-nen Gelenke. Während der Fahrt gilt das Mitgefühl eherder Maschine. Immer wieder geht ein Schütteln undKrachen durch die Enduro, dass du dich wunderst, dasssie nicht ganz einfach zerbricht. Zumindest könnte maldas Vorderrad bersten oder die Kardanwelle ihren Geistaufgeben. Doch alles arbeitet wie zum Trotze der Natur.

5000 Touren im dritten Gang. Das sind 80 km/h. DasMotorrad wird ruhiger; bei 90 gleitet es über den weiß-grauen Boden hinweg. So sieht der Idealzustand aus.Doch er dauert wie immer nur sehr kurz. Ein heftigesRütteln im Lenker kündigt neue, längere Wellblech-Frequenzen an. Ich drehe kurz auf 100 km/h, muss aberwieder weg vom Gas, da das Motorrad hinten nachrechts und links ausschlägt. Gut 400 Kilo drohen ausder Kontrolle zu geraten. Ich bremse mit dem Fuß ab.Doch das Schütteln wird immer schlimmer. Ich wähledie Flucht nach draußen und folge einigen Spuren, dienach links in die Sandwüste führen. In den Fußrastenstehend dirigiere ich das Motorrad fast rechtwinklig vonder Piste weg, um die tiefen Lastwagenspuren zu kreu-zen. Obwohl purer Sand, staucht jede der gut 30 Zen-timeter tiefen Reifenspuren Federn und Wirbelsäulezusammen. Endlich bin ich draußen. Etwa 50 Meterneben der Hauptpiste verlieren sich die Spuren. Ich habeein weites Sandfeld für mich.

Während ich kräftig am Gasgriff drehe, schweift meinBlick nach rechts, um mir noch einmal die Hauptrich-tung der Piste einzuprägen. Dann muss ich noch wei-ter nach links ausweichen. Ich fahre jetzt exakt nachNorden – es ist kurz vor zwölf, und ich folge meinemSchatten. Djanet liegt genau im Osten. Doch das Risiko,sich zu verirren, ist hier relativ gering, da sich vor mirdas Plateau des Tassili n'Ajjer auftürmt und hinter mirdie rötlichgelben Dünen des Erg d'Admer ein undurch-dringliches Meer bilden. Zwischen diesen beiden mar-kanten Landschaftsformen verläuft die Piste von FortGardel nach Djanet.

Die Nähe des Ergs ist allgegenwärtig. Die Ausläuferdes Dünen-Meeres reichen fast bis zum Plateaurand.Schon 35 Kilometer hinter dem zerfallenen französi-schen Fort mussten wir die erste Düne durchqueren.Sie schien uns unendlich weit von unserem TageszielDjanet entfernt. Doch es gibt kein Zurück mehr, auchwenn mich vorübergehend der Mut verlässt, ich nie-dergeschlagen über dem Lenker hänge.

Fort Gardel – Djanet, das sind 140 bis 150 Kilome-ter, je nach Fahrweise. Sie werden übereinstimmendvon allen Afrika-Fahrern als die härtesten in der Saha -ra bezeichnet. Am Ziel wird Ingrid die erste Frau sein,die mit einer voll bepackten Reisemaschine bis zur libyschen Grenze vorgedrungen ist. Doch dieseErkenntnis stellt sich erst Wochen später, daheim inGesprächen mit Sahara-Experten, ein. Hier in der Wüste bewegen uns andere Dinge. Zum Beispiel: Wann kommt endlich die nächste Schatten spendendeAkazie?

Am Nachmittag blicken wir hinab in ein weites Tal.Da unten muss die viel gepriesene Oase liegen. Die letz-ten Kilometer haben es noch einmal in sich. Rechts undlinks Felsen. Keine Chance, den tiefen Sandrillen aus-

Nicht ganzwüstentauglich

war wohl dieser VW-Bus? Kritischer Blick auf die obligatorische IGN-Karte.

Lehm-Ruinen bei Timimoun.

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zuweichen. Am Beginn der geschotterten Ortsstraßewill uns ein Schild auf den Arm nehmen: »Chausséedéformée à 10 km«. Nach Tagen in der stillen Schön-heit der Wüste wirkt Djanet befremdlich. Überall ste-hen Soldaten mit Schnellfeuergewehren. Militärlasterdonnern rücksichtslos durch die Oase. Menschen undPflanzen in eine graue Staubwolke hüllend. Jeder Tou-rist muss in Djanet das »Hotel Zeriba« aufsuchen. Esbesteht aus Strohhütten, einigen Zeltstellplätzen undtotal ruinierten sanitären Anlagen. Nachdem wir eineder Hütten bezogen haben, gehen wir auf die Daira, dieOrtsbehörde, wo wir schon seit zwei Tagen als vermisstgelten – wegen unseres Abstechers zum Assekrem-Passhatten wir mehr Zeit als geplant benötigt.

Gegen Abend mache ich eine tolle Entdeckung. Inder so genannten Bar des »Hotel Zeriba« gibt es CocaCola. Nachdem ein messingfarbenes 10-Dinar-Stückden Besitzer gewechselt hat, marschiere ich stolz zuunserer Strohhütte. Zur Feier des Tages kochen wir überdem Gas Chili con Carne mit Spaghetti und trinkendazu Coca Cola. Die große Flasche gibt nur 0,5 Literher. Aber es reicht, damit uns schlecht wird. Dann falleich erschöpft auf die Strohmatte. Zwischen Kopf undder Wand, die aus gebündelten Palmblättern besteht,lege ich meine Daunenweste. Vielleicht haben dieweißen Geckos Respekt vor dem glatten Nylonstoff. Als wir die nackte Glühbirne ausschalten, registrierenwir, dass es schon wieder dunkel ist. Nacht über Djanet. Ich habe leichtes Fieber. Die Erkältung scheintdem Höhepunkt entgegenzustreben. Ich schlafe un -endlich tief. Träume von haushohen Wellen, die aufmich ein stürzen. Ich winde mich immer wieder unterihnenhindurch. Das Motorrad schlingert wild hin und her. Die Wellen schlagen schließlich über mirzusammen. Sie sind aus Sand. Ich werde seekrank. Muss brechen. Lehne mich weit über den Lenker. Doches kommt nichts. Ich wache auf. Der Baumwollstoffmeines Schlafsacks klebt an meiner Haut. Ich muss lange geschlafen haben. Mit den nassen Fingern tasteich nach dem Knopf an meiner Armbanduhr, um dieAnzeige zu beleuchten. Es ist erst acht Uhr abends! OhGott, nimmt das denn kein Ende?

Ein leichter Frost schüttelt mich. Ich versuche, wie-der einzuschlafen. Meine Schläfen pochen. Ich regis -triere jedes Geräusch. Die Hütte raschelt an allen Eckenund Enden. Ich höre Schritte hinter der Wand. Dortwo unsere Maschinen stehen. Haben wir noch das Werk-zeug reingeholt? Doch dann übertönt der blöde Schafs-bock meine Gedanken. Ein Kleffer antwortet. Ein Hahnfühlt sich angesprochen. Weitere Köter stimmen ein.Dann ein infernalisches Gebrüll. Undefinierbar. Allesübertönend. Markerschütternd. Ein Kamelbulle wirdganz offensichtlich abgestochen. Doch es ist ein quick-lebendiger Esel. Der Zirkus Djanet ist erwacht. Und er

wird bis zum kurzen Morgengrauen nicht mehr ru hen.Genauso wenig wie ich.

Punkt 5 Uhr reißt mich der Muezzin aus dem dump-fen Halbschlaf. Ich habe im Laufe dieser Nacht allesverflucht. Der Tag muss der letzte sein in diesem Kaff!Der Drang in die Stille der Wüste wird unerträglich.Aus völlig unerklärlichen Gründen sitzt Ingrid plötz-lich auf der Bettkante und verkündet jovial, dass sie jetztBrot hole. Es ist 6 Uhr 30! Und dies ist in der Tat einEreignis, das mir noch einmal deutlich unterstreicht,dass dies kei ne normale Nacht war. Ein Szenario aussubtropischen Ge räuschen und Gerüchen und Fieber-wahn findet endlich ein Ende, als Ingrid wieder im Raumsteht. Drei lan ge, noch warme Baguettes unter dem Arm.Während ich die hervorragende algerische Orangen-konfitüre zentimeterdick auf das knusprige Weißbrotstreiche, erzählt sie mir, dass es draußen höchstens fünfGrad Celsius hat und dass vor dem Bäcker mindestenszwanzig Kinder barfüßig im Staub stehen und gedul-dig warten.

Das Frühstücken schlaucht mich derart, dass ich wie-der völlig lasch auf der Matte liege. Ingrid sucht verge-bens in den unergündlichen Wirren unseres Gepäcksnach den nicht mitgenommenen Grippe-Tabletten. Ichdenke noch, mein Gott, wie kriegen wir den ganzenScheiß wieder aufs Motorrad. Dann schlafe ich ein. AlsIngrid wieder neben mir am Bett auftaucht, ist es 14Uhr. Ich habe sieben Stunden durchgeschlafen undfühle mich bedeutend besser. Wir beschließen, so baldwie möglich aufzubrechen.

Die nächste Überraschung erleben wir beim Bäcker.Obwohl er erst um 16 Uhr offiziell öffnet, ist schon umdreiviertel das Brot ausverkauft. Da wir sieben Tageohne Versorgungsmöglichkeit vor uns haben, könnenwir keinesfalls ohne Brot fahren. Als sich das letzte Maldie dunkle Tür öffnet, zwänge ich mich rein, um mitdem Bäcker zu reden. Es tut ihm alles furchtbar leid,aber er habe nun mal nichts mehr. Und zur endgülti-gen Erklärung deutet er auf den vermeintlich leerenBrotkorb. Am Boden liegen noch fünf Brote, die aberso dunkel gebacken sind, dass kein Mensch sie hier kaufen würde. Uns ist schon in den anderen Bäckereienim algerischen Süden aufgefallen, dass immer wiederzu dunkle Baguettes aussortiert werden. Angesichts derbevorstehenden Etappe sind wir weniger wählerisch.Ich angele mir drei der Weißbrote und reiche demBäcker das Geld, den staatlichen Einheitspreis von 1,10Dinar pro Brot. Doch er will für diese »schäbige« Warekein Geld.

Erst nachdem wir uns auf der Daira wieder abge-meldet haben, können wir zum Tanken fahren. Damitwill man verhindern, dass Touristen auf eigene Faustdie Felszeichnungen der Umgebung erkunden. An derTankstelle stoßen wir völlig überrascht auf einen Eng-

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Ohne Filter –ganz echtist die Mondsichel im violettenAbenvorhang über der Sebkhavon Timimoun.

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pass: Es gibt kein Superbenzin. So etwas spricht sichnormalerweise unter den Fremden schnell herum, aberegal. Wir müssen schließlich weiter und tanken Nor-mal. Der Tankwart glaubt uns, dass wir die Geneh -migung zur Weiterfahrt haben, ohne dass wir sie ersthervorkramen müssen. Er füllt die beiden 40-Liter-Tanks, die zwei 5-Liter-Plastikkanister und den 20-Liter-Wehrmachtskanister, ohne einen Tropfen da -neben zu gießen, und weigert sich anschließend auchnoch, Trinkgeld anzunehmen. Erstaunt stellen wir dannfest, dass wir auf der Strecke Tamanrasset-Djanet mitjeder Maschine nur sieben Liter pro 100 Kilometer verbraucht haben.

Mit einem Gefühl der Erleichterung rollen wir einletztes Mal durch den staubigen Sand von Djanet. Aufdem Weg zum Flugplatz, an dem unsere Piste nach FortGardel abzweigt, halten wir noch bei Ali. Der flickt Land-rover wieder zusammen, verweigert die Annahme vonDevisen, kassiert dafür stattliche Dinar-Beträge und istkeinesfalls daran interessiert, einen Motorradreifen vonuns zu kaufen. Da wir den lästigen Ballast loswerdenwollen, schenken wir ihm den Reifen.

Die ersten Kilometer nach Djanet sind wieder dieHölle auf Erden für einen Motorradfahrer mit einemvoll bepackten Touren-Bike. Die Freude auf das abend-liche Camp in dieser faszinierenden Landschaft treibtuns trotzdem frohen Mutes ungeachtet der tiefen Sand-felder den Berg empor. Wir werfen einen letzten Blickauf Djanet, diese Oase am Ende der Welt. Gleichzeitigentschwinden die letzten Sonnenstrahlen. Wir fahrennoch etwa fünf Kilometer, um aus der Reichweite vaga-bundierender Soldaten zu kommen, und biegen dannrechts ab in ein malerisches Tal. Der Boden ist mit gel-bem Sand gepudert. Schwarze, vom Wind gezeichneteFelsen bilden eine fast unheimliche Kulisse. Die skur-rilen Sodomsapfel-Bäume wirken wie Gewächse auseiner anderen Welt. Ihre vertrockneten Äste stinkenund qualmen so erbärmlich, dass sich ein Tuareg lie-ber in seine Decken verkriecht, als damit ein Feuer zumachen. Wir sind keine Tuareg und lernen die Tückedes Brennstoffs erst kennen. So stoßen wir stinkendeRauchzeichen in den bleigrauen Himmel, der schonwieder von eigentümlichen Wolken verhangen ist.

Dann wird es rasch dunkel, und die Kälte kriecht he -ran. Ich liege fröstelnd im Daunenschlafsack. Schonnach einer Stunde wälze ich mich wieder verschwitztauf der Thermomatte hin und her. Das Grippe-Fieberkämpft seinen hoffentlich letzten Kampf. Erst das Klap-pern vom Teekessel weckt mich wieder auf. Ingridwärmt sich ihre klammen Finger über dem stinkendenFeuer. Die gegenüberliegende Felswand wird schon vonfahlem Sonnenlicht erhellt. Über uns wieder die grauenSchäfchenwolken. Eine gespenstische Stimmung liegtüber dieser Landschaft. Ich sauge mit dem dünnen Ben-

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Reportage

Wenn der Himmelbleigrau wirdknirscht es bald zwischen denZähnen. Sandstürme kommenunverhofft und erschweren die Orientierung ungemein ...

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zinschlauch Wasser aus dem Wasserkanister an undlasse es in unsere rote Waschschüssel rinnen. Im Laufeder Reise haben wir gelernt, uns mit einem Liter Was-ser pro Person von Kopf bis Fuß zu waschen. Obwohldas Wasser eisig ist, wasche ich mir den Schweiß derNacht ab. Es tut sehr gut. Danach ist mir warm. Wirfrühstücken das dunkle Weißbrot und genießen denTee, bevor wir das anstrengendste Stück Piste angehen.

Ich habe gerade meinen Tankrucksack befestigt, alsein Schuss durch das Tal hallt. Weitere Schüsse folgen.Nichts wie weg hier, ist die Devise. Vielleicht sind dasnur die Soldaten aus Djanet, die ihre Übungen begin-nen. Wohl ist uns trotzdem nicht, und wir packen hastigunsere Sachen auf. Dann kicke ich meine Maschine an,um die Batterie zu schonen. Erstmals springt sie auf denersten Tritt an. Doch als wir losfahren wollen, ver-schluckt sich der Motor und geht aus. Beim Druck aufden Anlasserknopf ertönt nur das Klackern des Magnet-schalters. Die Batterie ist endgültig zusammengebro-chen! Und schon wieder diese Schüsse ...

Der Vormittag ist damit gelaufen. Wir müssen beideMaschinen wieder abpacken, es hilft alles nichts. Dannbasteln wir aus den beiden Steckdosen-Kabeln ein pro-visorisches Starterkabel von der einen zur anderen Ma -schine. Nach einer guten Stunde nervenaufreibenderSchrauberei, untermalt von vereinzelten Schüssen,haben wir’s geschafft. Beide Motoren laufen, und wirkönnen endlich verschwinden von hier.

Die heutige Tagesetappe werden wir in guter Erin-nerung behalten. Es läuft recht locker. Das Wissen, dieseStrecke ja schon einmal geschafft zu haben, beflügeltungemein. Es gibt keine zermürbenden Zweifel mehr.Unsere gute Stimmung hält auch am nächsten Tag an,als wir die berüchtigte Bergpiste nach Illizi angehen.Morgens füllen wir noch unsere Wasservorräte an derPumpe in Fort Gardel auf. Ein trostloser Flecken. Bet-telnde, von Fliegen umschwirrte Kinder und heimtü -ckisch unter dem Sand versteckter Stacheldraht prägendas Bild. Die Zeribas, die Strohhütten der Tuareg, habenhier gar nichts Romantisches mehr an sich. Ich fühlemich eher an einen Slum erinnert.

Nördlich von Fort Gardel verengt sich die Western-Kulisse zu einem engen Tal, an dessen Ende die Pistein Kehren emporsteigt. Zuvor warnt noch ein Schild»200 km gefährliche Piste«. Doch dieser Hinweis beziehtsich mehr auf Auto- und Lastwagenfahrer, die biswei-len ihre liebe Not haben, alle vier Räder diesseits desAbgrundes zu halten. Wir hingegen genießen das stei-nige Zwischenspiel. Vom Sand haben wir erstmal dieSchnauze voll.

Die Durchquerung des Tassili n'Ajjer und des Pla-teau du Fadnoun wird in vielen Berichten meiner Mei-nung nach völlig falsch beschrieben. Es handelt sich näm -lich keineswegs um eine langweilige schwarze Geröll -

ebene. Vielmehr ist die Szenerie ausgesprochen bizarrund abwechslungsreich. In kleine Quader zerborsteneSteinpyramiden säumen die Wellblechpiste, verwun-schene Schluchten tun sich immer wieder auf, gewagteSkulpturen erinnern an Monster und Urviecher. Nichtweiche Basaltbuckel wie im Hoggar, sondern kantigeBauklötze, wie von mächtigen Kräften aufgetürmt, prä-gen die Natur.

Mitten durch diese Mondlandschaft schlängelt sicheine Wellblechpiste, die der nach Djanetkaum nachsteht.Nur, das es hier überhaupt kein Ausweichen gibt. Im -merhin kann man sich dadurch nicht verfahren. Unddas ist auch gut so. Denn während der zwei Tage, diewir bis Illizi brauchen, begegnen uns nur zwei Tuaregmit Range Rovern. Die Trucker meiden das Plateau undwählen lieber den Umweg über Amguid.

Im Windschatten eines gigantischen steinernenPfer dekopfes schlagen wir unser Nachtlager auf. Es istschwie rig, zwischen den scharfkantigen Steinen einenPlatz zum Schlafen zu finden. Hier wird man wiederan schaulich daran erinnert, dass die Sahara keineswegsnur eine Sandwüste ist. Tatsächlich bedecken die Dünennur etwa ein Zehntel der Gesamtfläche. Dazwischen do -minieren flache Kieswüsten und eben die einmalig fas-zinierenden Gebirge der Zentral-Sahara, von denen dasim Tschad liegende Tibesti praktisch unerreichbar ist.

Unser Camp liegt gut 2000 Meter hoch, und der Windpfeift durch die Felsspalten, in denen wir Decken undGetreidedepots der Tuareg entdecken. Wir stellen unsauf eine kalte Nacht ein. Tatsächlich weckt uns ein über-raschend milder Morgen. Anzeichen dafür, dass wie-der ein ausgedehntes Wolkenfeld den Himmel verhüllte.Noch 150 Kilometer trennen uns von Illizi, das wir heuteerreichen wollen.

Der oft als schrecklich beschriebene Aufstieg zum Pla-teau du Fadnoun entpuppt sich als harmloser Pass, derin Denzels Alpenführer bestenfalls den Schwierigkeits-grad 4-5 erhalten würde. So genießen wir die Vorzügeunseres Einspurfahrzeugs, passieren völlig abgebro-chene Wegpassagen auf dem verbliebenen schmalenSteg und betrachten mit einem leichten Schaudern diehalsbrecherischen Umführungen, die man als Auto -fahrer wählen muss.

Auch das Wellblech macht uns kaum noch was aus.Oft fahren wir am äußersten Rand der Piste auf einemregelrechten schrägen Bankett, mal finden wir in derMitte eine ganz passable Spur. Das Wellblech schillertin allen erdenklichen Farben – blauschwarz, rosa, weiß.Das »Curry-Wellblech« fasziniert mich besonders. Ichmuss wieder an das Bild des Plateaus denken, das in vielen Büchern gezeichnet wurde. Es entstand zwei-felsohne aus dem eingeengten und frustrierten Blick-winkel eines Autofahrers. In der Tat würde ich liebermit einem Mofa zum Nordkap eiern, als mich hier mit

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Reportage

Eine tolleBegrüßung

erwartet uns in El Adeb Larache: Couscous von den Erdölarbeitern. Da sind

die Strapazen schnell vergessen.

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Der Ort, mit dem wir seit Wochen fast schon heimatliche Gefühleverbinden, weil hinter ihm die Teer straße wieder beginnen soll, istgar keiner; nur ein sta chel zaun bewehrtes Camp und einige weit verstreute Wellblechbaracken. Noch nicht einmal ein Ortsschildgibt es.

Das Schwimmbad entpuppt sich als ziemlich trüber Betontüm-pel. Aber viel wichtiger ist die »Wasserfabrik« direkt daneben. WerGlück hat und hier das Personal antrifft, kommt in den Genuss einerüberwältigenden Gastfreundschaft. Kaum hat man uns gesichtet,nehmen wundersame Dinge ihren Lauf. Ein junger, bär tiger Alge-rier bedeutet uns zunächst, neben dem Schwimmbecken zu warten.Dann staubt er mit seinem Range Rover davon. Nur fünf Minutenspäter jagt er mit durchdrehenden Rädern wieder heran. Der freund-lich grinsende Fahrer steigt aus und fischt unglaubliche Dinge ausdem Führerhaus: eine riesige Schüssel Couscous, frische warmeBaguettes, Salatplatten und jede Menge Dosen Aprikosennektar.

Dann hocken sich die drei Algerier mit einem wohlwollenden»mange, mange!« um uns herum und sehen zu, wie sich zwei aus-gemergelte und total verstaubte Gestalten mästen. Auf diese Weiselernen wir die vorzügliche Kantinenkost der Sonatrac kennen. Aberdies ist nicht das einzige Privileg, das die Arbeiter dieser staatlichenErdölgesellschaft genießen. Sie gehören auch zu den bestbezahltenKräften Algeriens und haben alle vier Wochen für zwei Wochen Hei-maturlaub. Jeder Sonatrac-Mann kommt in den Genuss, egal ob eram Bohrloch steht oder einen Tankzug steuert.

Auch Ali fährt für die Sonatrac einen Tanklastwagen. Wir lernenihn am nächsten, am ersten Tag auf dem Asphalt kennen und schät-zen. Ich habe gerade meine Maschine aus 120 km/h mit einem plat-ten Vorderrad nach einer kriminellen Pendelei zum Stehen gebracht,als neben uns die Luftdruckbremsen des 30-Tonners pfeifen. Es wirddie netteste Reifenpanne meines Lebens. Ali füttert abwechselndIngrid und mich mit einem traumhaften Rindfleisch-Sandwich undköstlichen Orangen. Ich muss ihm fast auf die Finger klopfen, damiter mir nicht auch noch das Schlauchwechseln abnimmt. Nach ge -lungener Operation beschließen wir angesichts der schwindendenSonne, gemeinsam ein Nachtlager aufzuschlagen. Ali kann erst garnicht fassen, dass wir in diesem winzigen, dünnhäutigen Zelt unsereNächte verbringen. So zaubert er einen ganzen Stapel Decken undein Kopfkissen aus seinem Truck hervor, als die abendliche Kälteschon wieder herangekrochen kommt. Es hat gar keinen Sinn, ihnvon den Vorzügen unserer Daunenschlafsäcke zu überzeugen. ImWindschutz des Trucks kochen wir Tee und essen Käse. Unser letz-ter Abend im »Grand Sud«, im großen Süden.

Es ist, als wolle uns der Norden gebührend empfangen. Kaumhaben wir uns im Zelt verkrochen, regnen wir ein. Auch nach zwölfStunden regnet es noch. Es ist mittlerweile neun Uhr morgens. Dawir am Abend durch ein trockenes Oued von der Straße weggefah-ren sind, befürchten wir das Schlimmste. Ängstlich lugen wir ausdem Zelt, doch die Maschinen stehen noch, und das Flussbett istnicht überflutet. In Windeseile haben wir alles zusammengepackt.Im Führerhaus von Alis Truck frühstücken wir noch gemeinsam,ehe wir die Maschinen starten, zum langen, feuchten und kaltenAbschied von der Sahara. Drei Tage später stehen wir im Hafen von Algier.

102 TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS

Reportage

einem ächzenden und bockenden Auto abzuplagen. Wirlassen es dafür ordentlich knallen. Wellblech inSchräglage, anlegen am Bankett, mit Tempo 100 dieKuppen empor, das ist ein ganz neues Fahrgefühl. Dochdie Euphorie erhält schnell einen Dämpfer, als ich michmittels Vollbremsung in eine dichte Staubwolke hülle.Ingrid deutet mein »Rauchzeichen « richtig und kommtebenfalls vor dem tiefen Graben zum Stehen. Immerwieder müssen wir jetzt Auswaschungen durchqueren.

Wenig später gibt Ingrid Handzeichen. Ihre Fuß -bremse geht nicht mehr. Das ist auf unbefestigten Pistenbesonders unangenehm. Ein Blick unter das Motorradverschafft Klärung. Sie muss so brutal aufgesetzt sein,dass der Querträger des Hauptständers in der Mitte

durch geknickt ist. Die beiden Bögen des Ständers sindnun nach außen gespreizt und blockieren das Brems-gestänge. Nur mit Gewalt lässt sich der Ständer etwasnach unten drücken. Jetzt hat die Enduro zwar we nigerBodenfreiheit, aber die Hinterradbremse geht wieder.

Illizi liegt inmitten eines roten Sandmeeres am Fußedes Plateaus. Die Aussicht vor der Abfahrt ist überwäl-tigend. Weiß glitzernde Salzpfannen und rote Dünenwerden von schwarzen Bergketten umrahmt. Wenigerprosaisch ist der Ort selber. Militär, wohin man schaut.Dafür werden wir auf der Polizeistation freundlichstmit Kaffee bewirtet. Ich lasse mir dann erklären, wo diedrei Läden des Ortes sind. Zwei sind geschlossen, indem andern liegen die frischen Eingeweide einer Ziegeauf der Theke. Ich bevorzuge die eine verrostete DoseÖlsardinen. Ansonsten gibt es noch jede Menge Erbsenund Kugelschreiber.

Am Abend sitzen wir auf dem scharfen Kamm einerhohen Wanderdüne und tunken mit dem fünf Tagealten Weißbrot aus Djanet das Sardinenöl. Wir sind nurnoch etwa fünf Kilometer gefahren, nachdem wir dieMaschinen voll getankt hatten. Eine atemberaubendeDünendurchquerung, wie man sie nirgends sonst inAlgerien findet. Hinter dem Flugplatz sind wir danneinige Kilometer von der Piste abgezweigt, um direktam Fuße der Dünen zu zelten. Noch vor Sonnenauf-gang starte ich zu einer kleinen Wanderung. Ein Erleb-nis durchaus mit Suchtcharakter. Hinter jedem Sand-gipfel tauchen wieder neue auf. Ein Meer, in dem mansich tatsächlich leicht verirren kann. Schließlich ent-decke ich von einer etwa 150 Meter hohen Düne auseinen winzigen Punkt: unser Zelt. Mit den ersten Son-nenstrahlen kommt Leben in den Sand. Fahle Riffe-lungen gewinnen Kontur. Geheimnisvolle Tierspurenkreuzen meinen Weg. Erstaunlich, dass selbst auf denhöchsten Dünen Pflanzenwurzeln zum Vorschein kom-men. Dieses eigenartige rötliche Meer, das für den Men-schen eine Todesfalle darstellt, bietet doch einigen hochspezialisierten Lebensformen Raum.

Die Piste von Illizi nach El Adeb Larache stellt uns dannvor völlig überraschende Probleme. Wir nähern unsnämlich den Erdölfeldern und damit auch einem Chaosaus undefinierbaren Spuren und Wegweisern. Hinzukommt, dass 1982 eine vollkommen neue Pistenstraßevom Militär gewalzt wurde. Laut IGN-Karte und Kom-pass fahren wir daher stundenlang in die falsche Him-melsrichtung. Dabei fing am Morgen alles ganz harm -los an. Der Sand trägt hier so gut, dass wir die Mo tor -räder mit Leichtigkeit durchs Gelände treiben können.Auf Höhe des total versandeten Fort Flatters stoßen wirauf zwei Lastwagen-Oldtimer aus Deutschland. Freaks,die mit zwei Borgwards unterwegs sind gen Schwarz-afrika. Die Berliner geben uns den Tipp, in El Adeb Larache die »piscine«, das Schwimmbad, aufzusu chen.

SauberesTrinkwasser

ist für die Wüstenetappen fundamental.Nicht immer geht es, wie hier bei In Ecker, ohne Katadyn-Filter.

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TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS 105104 TOURENFAHRER-Spezial: BMW GS

Dokumentation

sammlern, Schmugglern usw. informiert, ob undwas es Neues gibt. Die nicht nur der lokalen Exe-kutive, sondern auch in der Zivilbevölkerung schonMonate zuvor aufgefallenen logistischen Aktivitä-ten der Geiselnehmer im Bereich der Gräberpistewären einem kompetenten Führer höchstwahr-scheinlich zu Ohren gekommen. Doch welcherIndividual-Tourist hätte im Zeitalter der GPS-Ori-entierung auf einer als sicher geltenden Route wieder Gräberpiste einen Führer engagiert?

Visum: Deutsche, österreichische und Schweizer

Staatsbürger benötigen zur Einreise nach Alge-rien einen mindestens drei Monate gültigen Rei-sepass mit Visum. Nach brieflicher Anforderungder Antragsformulare (Rückumschlag beilegen)sollte das Visum drei Wochen vor Reiseantritt beider zuständigen Botschaft beantragt werden(Anm.: Das Visum wird nicht auf algerischen Ver-tretungen außerhalb des Staates ausgestellt, des-sen Staatsbürger man ist). Sobald der Botschaftdie Einladung durch eine algerische Reise-Agen-tur vorliegt, wird das Visum erteilt.

In der BRD: Görschstraße 45, 13187 Berlin, Tel.030/437370.

In Österreich: Rudolfinergasse 18, 1190 Wien, Tel.1/36988530.

In der Schweiz: Willadingweg 74, 3006 Bern, Tel.031/3526961.

Anreise: Am einfachsten erfolgt die Anreise nach Alge-

rien über Tunesien. In dieses kleine NachbarlandAlgeriens gelangt der Motorradreisende mit derjeden Samstag von Genua nach Tunis (zurück amFreitag) fahrenden Fähre der tunesischen Fähr-gesellschaft CTN (Fahrzeit rund 22 h). Alternativbesteht auch zweimal wöchentlich eine Verbin-dung zwischen Marseille und Tunis. Für die Pas-sage sind hin und zurück pro Bike rund 130 Euro,für den Fahrer rund 330 Euro (bei komfortablerUnterbringung in einer Zweibettkabine) zu bezah-len. Ein Teil der tunesischen Einreise-Formalitä-ten wird an Bord erledigt, sodass die Einreise-Pro-zedur am Hafen meist zügig verläuft.

Grenzübergänge: Der Übergang zwischen dem tunesischen Ort

Hazoua und dem algerischen Taleb-Larbi istwegen der für europäische Reisende kulanten(kaum Gepäck-Kontrollen), zügigen und freundli-chen Abfertigung die beste Wahl. Die nördlichgelegenen Grenzübergänge zwischen Tunesien

und Algerien sind – ganz abgesehen von der höhe-ren Terrorismus-Gefahr – nicht zu empfehlen. DieÜbergänge von Marokko sind für Europäer nachwie vor grundsätzlich geschlossen. Die An reisemit der Fähre von Marseille nach Algier ist wegender danach nötigen Fahrt durch terroris tisch mehroder weniger bedrohte Regionen als riskant ein-zustufen.

Grenzformalitäten: Ein einzuführendes Kfz muss zugelassen sein. Ist

man nicht selbst Halter, hat man neben dem Fahr-zeugschein eine internationale Vollmacht vorzu-legen – am einfachsten erhältlich bei Automo-bilclubs. Nach Erledigung der tunesischen Aus-reiseformalitäten beginnt an der einige KilometerNiemandsland entfernten algerischen Grenze dieEinreise mit der polizeilichen Abfertigung (Ausfül-len des Einreise-»Fiche« und Visum-Kontrolle).Vom Zoll werden dann anhand zweier weitererauszufüllender Formulare ein »permit de circula-tion« und eine »déclaration de devises« ausge-stellt. In Letztere müssen neben den mitgeführtenGeldmitteln auch Notebooks und Videokameraseingetragen werden. Touristen dürfen in Algeriennur mit algerischer Kfz-Haftpflichtversicherungfahren. Am schnellsten und billigsten gibt’s die ander Grenze. (Anm.: Die heimische Kfz-Versiche-rung kann man sich für die Aufenthaltszeit in Alge-rien erstatten lassen.)

Finanzen: Geld kann man im Gegensatz zu früher auch auf

der Bank wechseln, ohne die Reise damit drastischzu verteuern. Der einst für Touristen lohnende, weilnur einen Bruchteil des offiziellen Wechselkursesbetragende Schwarzmarkt-Kurs unterscheidetsich nämlich nur mit hohem Verhandlungsge-schick vom Kurs der Bank – und das nur um maxi-mal zehn bis 15 Prozent. Offiziell erhält man für 1Euro im Februar 2004 rund 88 algerische Dinar.Rund 35 Dinar sind für den Liter Benzin zu bezah-len. Ein einfaches Hotel kostet rund 1.000 bis 1.500Dinar pro Nacht. Ein Pflichtumtausch ist an derGrenze nicht mehr zu leisten. Den für den Ab -schluss der algerischen Kfz-Versicherung und einerstes Tanken erforderlichen Betrag kann manbeim algerischen Zoll tauschen. Ist der gerade malohne Bargeld-Vorräte, geht das auch im Versi-cherungsbüro nebenan oder bei der kleinen Bankim Ort Taleb-Larbi selbst.

Motorrad und Ausrüstung: Ohne Begleitung durch ein Auto (für den Trans-

port von Gepäck, Wasser und Benzin) sind nurEnduros mit folgenden Features wirklich geeignet(gegebenenfalls nach entsprechender Um- undAusrüstung):

1) langhubige und auch unter Ausnutzung dervollen Zuladung belastbare und gut gedämpfteFeder-Elemente,

2) Front- und erforderlichenfalls Hecktanks miteiner Benzin-Transportkapazität für 500 KilometerReichweite bei einem Durchschnittsverbrauchvon zirka 50 Prozent über dem gewohnten.

3) Unterbringungsmöglichkeit für zirka zehn bis15 Liter Trinkwasser,

4) schwerpunktgünstige Beladung mit leichtemund nur wirklich notwendigem Gepäck, wegen dergeringeren Verletzungsgefahr untergebracht inweichen Packtaschen (z. B. von Ortlieb), Tankta-schen und einer hinter dem Fahrer befestigtenCamping-Rolle. Was darin keinen Platz findet, istüberflüssig!

5) Grobstollige und robuste Bereifung mit ver-stärkten Motocross-Schläuchen (auch aufSchlauchlos-Felgen),

6) ein für die hohen Belastungen geeignetesSatelliten-Navigationsgerät. Entsprechend modi-fizierte Geräte und schwingungsdämpfende Hal-terungen gibt es bei der Firma TOURATECH.

Fahrerausrüstung: Neben einem hochwertigen Enduro- oder Moto -

cross-Helm sind Motocross-Stiefel bester Qua-lität, ein Kombi-Protektor (z. B. »Safety-Jacket«)unter der Jacke und Knieprotektoren in der Hoseein Muss! Ein Trinkrucksack (»Camelbag«, auchin Kombination mit einem kleinen Fahrer-Rucksackerhältlich) ist die Lösung des für Motorradfahrerin der trockenen Sahara-Luft prekären Dehydra-tionsproblems.

Literatur: »Algerische Sahara«, ein Reiseführer mit

Streckenbeschreibung, erschienen im VerlagReise Know-how;

»Motorradreisen zwischen Urlaub und Expedi-tion«, ein umfassendes Handbuch für Sahara -reisen per Motorrad; 5. Auflage; ebenfalls VerlagReise Know-how.

Landkarten: Übersichtskarte Michelin 953, 1: 4.000.000; Detail-

karten IGN, 1:200.000 (auf CD für ans GPS ange-schlossene Notebooks und Navigations-Soft-ware; siehe TF 12/2003, Seite 78, »Kartenspiele amPC« und TF 2/2004, Seite 83, »Neu orientiert«).

gerkrieg zwischen um ihren Wahlsieg betrogenenIslamisten und machtbesessenen Militärs. Über100.000 Menschen starben dabei – die meistendurch terroristische Akte, nicht durch kriegsähn-liche Kampfhandlungen. 1999 beruhigten sich dieVerhältnisse unter einer neuen, der bisherigenKorruption und Vetternwirtschaft entgegentre-tenden Regierung. Das Land wurde wieder vonLiebhabern der algerischen Wüste regelrecht fre-quentiert. Ab 2002 suchte dann eine neue Welledes Terrorismus Nord-Algerien heim, schwapptezudem erstmals in die Sahara – zumindest an derenNordrand: In Städten wie Touggourt, Quargla, ElGolea und Reggane ereigneten sich zahlreicheAttentate auf Polizisten, Soldaten und Behörden.Touristen waren von solchen Ereignissen nie direktbetroffen – und konnten sich in den Tiefen der alge-rischen Sahara sicher fühlen. Zu menschenleer,zu weit weg von den Krisen der Welt erschien sie.

Ein Trugschluss – wie sich im Frühjahr 2003 her-ausstellte. Insgesamt 32 Reisende wurden im Laufweniger Tage in grundsätzlich sicher geltendenRegionen der algerischen Sahara gefangengenommen und monatelang festgehalten. Täterwaren bestens organisierte islamistische Revolu-tionäre, die die Massen-Geiselnahme von langerHand geplant hatten, um mit dem erpresstem Löse-geld ihren Kampf gegen die aktuelle Regierung zufinanzieren.

Seit der Geisel-Affäre gibt das Deutsche Aus-wärtige Amt in seinen Reisehinweisen nicht mehrnur die seit Jahren üblichen Empfehlungen her-aus – z. B. den Norden des Landes wegen mögli-cher terroristischer Aktivitäten zu meiden und denSüden mit Führern oder Reiseveranstaltern zubereisen. Nun gilt eine offizielle Reisewarnung füralle Gebiete südlich der Städte Béchar, Ghardaiaund Touggourt. Sie macht für deutsche Staats-bürger die gesamte algerische Sahara tabu –zumindest für alle, die Verantwortung für Mitrei-sende wie für sich selbst übernehmen. Im nichtdeutschsprachigen Ausland sieht man das anders:Schon zu Weihnachten 2003 war wieder relativreger Tourismus im Süden Algeriens zu verzeich-nen – überwiegend durch nach Tamanrasset undDjanet fliegende Franzosen, Italiener und Spanier.

Sollten die Verhältnisse nach den Parlaments-Wahlen im April 2004 ruhiger und stabiler werden,dürfte auch der Überland-Tourismus wieder insRollen kommen – vielleicht auch wieder für Deut-sche. Grund für eine Rücknahme der DAA-War-nung könnte die nun für alle Sahara-Reisendenobligatorischen Betreuung durch eine algerischeReise-Agentur sein, denn die gewährt zweifelloshohe Sicherheit vor kriminellen Übergriffen. Weni-ger weil lokale Führer Touristen bei solchen An -griffen wie den Geiselnahmen von 2003 mit Waf-fengewalt verteidigen könnten. Vielleicht aber mitWorten – wie von mir 1987 erlebt, als ein Truppbewaffneter Tuareg-Rebellen seine offensichtli-chen Überfallabsichten nach einem Gespräch mitunserem Führer zum friedlichen »Tee-Besuch«abwandelte. Auch wenn ein solches Erlebnis nichtzu verallgemeinern ist, sind gerade in nicht »hasen-reinen« Regionen (siehe Sahara-Reportage in TF12/2002 und 1/2003) Guides in der Lage, durch ent-sprechende Routen- und Lagerplatzwahl unange-nehmen Kontakten vorzubeugen. Ihr Informations-Stand ist generell ein hoher Sicherheitsfaktor undberücksichtigt Risiken, die auch erfahrenen Saha -ra-Reisende nicht bekannt sind oder sein können– nicht zuletzt, weil sich ein Führer bei jeder Begeg-nung mit Polizei, Militär, Nomaden, Jägern, Holz-

TF-Autor Thomas Troßmann hat rund drei Jahrein der algerischen Sahara verbracht, den Groß-teil davon auf Motorradgruppenreisen seines Veranstaltungsunternehmens. Aufgrund der Rei-se warnungen des Deutschen Auswärtigen Amteshat seine WÜSTENFAHRER Reise GmbH(http://www. wuestenfahrer.com) die DestinationAlgerien bis auf Weiteres aus dem Programmgenommen.

Sicherheitslage: Schon zu Zeiten von »Tourenfahrer«-Chefredak-

teur Reiner Nitschke wie auch meiner ersten Alge-rien-Reise gab es in der Sahara ein gewisses Risikodurch Kriminalität. Immer wieder mal schockier-ten Berichte von ausgeraubten oder gar bei Über-fällen umgekommenen Reisenden. Den Sahara-Tourismus brachte dies aber nie zum Erliegen. Diesgelang erst dem 1994 in Algerien einsetzenden Bür-

Marokko

Algier

Ghardaia

Timimoun

Adrar

El Adeb Larache

In Amenas

El Oued

HassiBel Guebbour

Reggane Aoulef

Arak

Hirhafok Djanet

Illizi

Tamanrasset

In EckerTeerPiste

In Salah

El Golea

Bou-Saada

Hassi Messaoud

Algerien

Tunesien

Libyen

S A H A R A A T L A S

G R A N D

E R G O C C I D E N T A L

G R A N D

E R G O R I E N T A L

P L A T E A U D U

T A D E MA I T

T A S S I L I N ´ A J J E R

H O G G A R

Laghouat

300 km

Fort GardelAssekrem

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