1
MAGAZIN BÜCHER 344 Biol. Unserer Zeit 5/2014 (44) www.biuz.de © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Das Buch eignet sich vor allem für Einsteiger, die sich erstmals mit dem Thema befassen. Der deutsche Titel ist jedoch leicht irreführend, da es nur nachrangig um Intelligenz geht. Der Titel der amerikanischen Originalausgabe „Supercoopera- tors: The Mathematics of Evolu- tion, Altruism and Human Beha- viour (Or, Why We Need Each Other to Succeed)“ ist eine deutlich treffendere Beschreibung des Inhal- tes. Auch sollten sich potenzielle Leser darüber im Klaren sein, dass es sich bei dem Buch in weiten Tei- len um eine Autobiographie und Beschreibung der Forschungsleis- tung des Autors und seiner Mitar- beiter handelt, nicht um eine un- parteiische Übersicht. Es steht je- doch außer Frage, dass Nowak in vielen Bereichen der Kooperations- forschung bedeutende Beträge ge- macht hat. Insofern steht es ihm durchaus zu, seine Sicht dieses Ge- biets darzulegen. Auch machen die vielen Anekdoten das Buch zu ei- ner kurzweiligen Lektüre und ein parteiischer Stil führt meist zu ei- nem spannenderen Text. Aber gele- gentlich wären ein etwas (selbst-) kritischerer Blick und eine weniger geglättete Darstellung wünschens- wert gewesen. Fazit: Ein lesenswertes und les- bares Buch zu einem Thema, das weite Teile der Biologie betrifft. Aber auch darüber hinaus ist es interessant für alle, die wissen möchten, wie Kooperation funktio- niert, wann sie egoistischen Strate- gien überlegen ist, und wie sie sich nutzen lassen könnte, um einige der schwierigsten gesellschaft- lichen Herausforderungen zu lösen, vor denen wir derzeit stehen. Kooperative Intelligenz: Das Erfolgsgeheimnis der Evolution Martin A. Nowak, Roger Highfield, C. H. Beck, München. 347 S., 24,95 R. ISBN 978-3406655470 Ralf Dahm, IMB, Mainz ZOOLOGIE Demokratie zum Schwärmen Dass Bienen mit ihrer Tanzsprache recht präzise die Koordinaten ergiebiger Sammelgründe mittei- len, war 1973 nobelpreiswürdig und gehört zu den Paradebeispie- len für die außerordentlichen Leis- tungen von Insekten mit gerade einmal stecknadelgroßem Gehirn. 40 Jahre später zeigt sich, dass Bienenvölker über weitere über- raschende Fähigkeiten verfügen, die wir bisher nur von Menschen kannten: Mehrheitsentscheidun- gen, oder eben Demokratie. So stellt es jedenfalls der weltweit tonangebende Bienenforscher Thomas Seeley von der Cornell Universität dar. Jedes Jahr im Früh- ling bilden Honigbienenvölker große Schwärme, die aus zehn- tausenden Arbeiterinnen und der Bienenkönigin bestehen. Diese Masse an Bienen verlässt die alte Kolonie, biwakiert behelfsmäßig an einem Ast und sendet dann Kundschafterinnen aus, eine neue Bleibe zu finden. Diese Späherin- nen durchkämmen ein mehrere Quadratkilometer großes Gebiet und untersuchen mögliche Nist- plätze. Die Nisthöhle muß groß genug sein (denn nur dann kann genügend Honig eingelagert wer- den, um lange Winter zu überste- hen), sollte gleichzeitig hoch über dem Boden einen kleinen Eingang haben (was die Verteidigung der Honigvorräte erleichtert), und idealerweise nach Süden gerichtet sein (das vereinfacht die Tempera- turregulierung). Aber wie entscheidet der Schwarm, welcher der gefundenen Nistplätze der beste ist, und wie findet der Schwarm dann zum neuen Nest? All das beantwortet Seeley leichtverständlich, lebendig und unterhaltsam. Dabei wird deutlich, wie einfache Regeln und Regelkreise komplexe Ergebnisse hervorrufen, und wie der Schwarm als Einheit die beste Entscheidung trifft, ohne dass eine einzelne Biene über alle Informationen ver- fügt. Daraus destilliert Seeley Re- geln, die auch im menschlichen Miteinander zu besseren Entschei- dungen führen sollten (und in den von ihm geleiteten Fakultätssitzun- gen erprobt wurden). Nebenbei beleuchtet Seeley mit viel Respekt für die Leistungen der beteiligten Forscher die Geschichte der Entde- ckungen, die mit den Beobach- tungen und Versuchen Martin Lindauers in den Nachkriegsjahren in München begannen. Seeley hatte als junger Doktorand Lindauers Werke mühsam Wort für Wort übersetzt; kurioserweise sind die meisten Lindauer-Zitate Rückübertragungen aus dem Amerikanischen, wo sich doch Lindauers Original soviel kräftiger liest. Von einigen Übersetzungs- schnitzern abgesehen ist „Bienen- demokratie“ ein schön produzier- tes Buch, an dem nicht nur Imker Gefallen finden werden. Bienendemokratie Thomas D. Seeley, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 2014. 320 S., 22,99 R. ISBN 978-3-10-075138-6 Uli Ernst, KU Leuven

Demokratie zum Schwärmen

  • Upload
    uli

  • View
    215

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Demokratie zum Schwärmen

M AG A Z I N B Ü C H E R

344 Biol. Unserer Zeit 5/2014 (44) www.biuz.de © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Das Buch eignet sich vor allemfür Einsteiger, die sich erstmals mitdem Thema befassen. Der deutscheTitel ist jedoch leicht irreführend,da es nur nachrangig um Intelligenzgeht. Der Titel der amerikanischenOriginalausgabe „Supercoopera-tors: The Mathematics of Evolu-tion, Altruism and Human Beha-viour (Or, Why We Need Each Other to Succeed)“ ist eine deutlichtreffendere Beschreibung des Inhal-tes. Auch sollten sich potenzielleLeser darüber im Klaren sein, dasses sich bei dem Buch in weiten Tei-len um eine Autobiographie undBeschreibung der Forschungsleis-tung des Autors und seiner Mitar-beiter handelt, nicht um eine un-parteiische Übersicht. Es steht je-doch außer Frage, dass Nowak invielen Bereichen der Kooperations-forschung bedeutende Beträge ge-macht hat. Insofern steht es ihmdurchaus zu, seine Sicht dieses Ge-biets darzulegen. Auch machen dievielen Anekdoten das Buch zu ei-ner kurzweiligen Lektüre und einparteiischer Stil führt meist zu ei-nem spannenderen Text. Aber gele-gentlich wären ein etwas (selbst-)kritischerer Blick und eine wenigergeglättete Darstellung wünschens-wert gewesen.

Fazit: Ein lesenswertes und les-bares Buch zu einem Thema, dasweite Teile der Biologie betrifft.Aber auch darüber hinaus ist esinteressant für alle, die wissenmöchten, wie Kooperation funktio-niert, wann sie egoistischen Strate-gien überlegen ist, und wie sie sichnutzen lassen könnte, um einigeder schwierigsten gesellschaft-lichen Herausforderungen zu lösen,vor denen wir derzeit stehen.

Kooperative Intelligenz: Das Erfolgsgeheimnis der EvolutionMartin A. Nowak, Roger Highfield,C. H. Beck, München. 347 S.,24,95 R. ISBN 978-3406655470

Ralf Dahm, IMB, Mainz

ZO O LO G I E

Demokratie zumSchwärmen

Dass Bienen mit ihrer Tanzspracherecht präzise die Koordinatenergiebiger Sammelgründe mittei-len, war 1973 nobelpreiswürdigund gehört zu den Paradebeispie-len für die außerordentlichen Leis -tungen von Insekten mit geradeeinmal stecknadelgroßem Gehirn.40 Jahre später zeigt sich, dassBienenvölker über weitere über -raschende Fähigkeiten verfügen,die wir bisher nur von Menschenkannten: Mehrheitsentscheidun-gen, oder eben Demokratie. Sostellt es jedenfalls der weltweittonangebende BienenforscherThomas Seeley von der CornellUniversität dar. Jedes Jahr im Früh -ling bilden Honigbienenvölkergroße Schwärme, die aus zehn -tausenden Arbeiterinnen und derBienenkönigin bestehen. DieseMasse an Bienen verlässt die alteKolonie, biwakiert behelfsmäßigan einem Ast und sendet dannKundschafterinnen aus, eine neueBleibe zu finden. Diese Späherin-nen durchkämmen ein mehrereQuadratkilometer großes Gebietund untersuchen mögliche Nist-plätze. Die Nisthöhle muß großgenug sein (denn nur dann kanngenügend Honig eingelagert wer -den, um lange Winter zu überste-hen), sollte gleichzeitig hoch überdem Boden einen kleinen Einganghaben (was die Verteidigung derHonigvorräte erleichtert), undidealerweise nach Süden gerichtetsein (das vereinfacht die Tempera-turregulierung).

Aber wie entscheidet derSchwarm, welcher der gefundenenNistplätze der beste ist, und wiefindet der Schwarm dann zumneuen Nest? All das beantwortetSeeley leichtverständlich, lebendigund unterhaltsam. Dabei wirddeutlich, wie einfache Regeln undRegelkreise komplexe Ergebnisse

hervorrufen, und wie der Schwarmals Einheit die beste Entscheidungtrifft, ohne dass eine einzelneBiene über alle Informationen ver-fügt. Daraus destilliert Seeley Re-geln, die auch im menschlichenMiteinander zu besseren Entschei-dungen führen sollten (und in denvon ihm geleiteten Fakultätssitzun-gen erprobt wurden). Nebenbeibeleuchtet Seeley mit viel Respektfür die Leistungen der beteiligtenForscher die Geschichte der Entde-ckungen, die mit den Beobach -tungen und Versuchen Martin Lindauers in den Nachkriegsjahrenin München begannen. Seeleyhatte als junger Doktorand Lindauers Werke mühsam Wort für Wort übersetzt; kurioserweisesind die meisten Lindauer-ZitateRückübertragungen aus dem Amerikanischen, wo sich doch Lindauers Original soviel kräftigerliest. Von einigen Übersetzungs-schnitzern abgesehen ist „Bienen-demokratie“ ein schön produzier-tes Buch, an dem nicht nur ImkerGefallen finden werden.

BienendemokratieThomas D. Seeley, S. FischerVerlag, Frankfurt, 2014. 320 S.,22,99 R.ISBN 978-3-10-075138-6

Uli Ernst, KU Leuven