35
Demokratie in der EU Kritische Diskussion des „Demokratiedefizits“ der Europäischen Union Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung......................................................2 2. Asymmetrie der Europäischen Integration.........................2 3. Demokratiekonzepte in der EU....................................4 4. Voraussetzungen von Demokratie..................................6 5. Kritische Diskussion des „Demokratiedefizit“....................9 5.1 Das Fehlen eines europäischen „Demos“ und einer Zivilgesellschaft............................................... 10 5.2 Institutionelle Defizit und Parlamentarismus in der EU......12 5.3 Möglichkeiten der Partizipation und der „Acountabilitiy“....14 5.4 Kompatibilität von föderalem und demokratischem Prinzip.....16 5.5 Dominanz des föderalen Prinzips.............................18 6. Möglichkeiten der Demokratisierung.............................19 7. Resümee........................................................20 Biblographie...................................................... 22 1

Demokratiedefizit in Der EU

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Article on the democratic deficit of the European Union reviewing several theoretical schools and the institutional framework of the European Union. Language: German

Citation preview

Demokratie in der EUKritische Diskussion des Demokratiedefizits der Europischen UnionInhaltsverzeichnis

1.Einleitung22.Asymmetrie der Europischen Integration23.Demokratiekonzepte in der EU44.Voraussetzungen von Demokratie65.Kritische Diskussion des Demokratiedefizit95.1 Das Fehlen eines europischen Demos und einer Zivilgesellschaft105.2 Institutionelle Defizit und Parlamentarismus in der EU125.3 Mglichkeiten der Partizipation und der Acountabilitiy145.4 Kompatibilitt von fderalem und demokratischem Prinzip165.5 Dominanz des fderalen Prinzips186.Mglichkeiten der Demokratisierung197.Resmee20Biblographie22

1. Einleitung

Die vorliegende Seminararbeit beschftigt sich der Entwicklung, den Voraussetzungen und dem heutigen Stand der Demokratie in der Europischen Union. Dabei steht die Debatte um das Demokratiedefizit der EU im Mittelpunkt der Arbeit, da anhand seiner kritischen Betrachtung, die demokratische Beschaffenheit und die Herausforderungen fr die Demokratie in der Europischen Union deutlich werden.Um dem umfassenden Thema gerecht zu werden, soll zunchst ein Blick auf die historische Entwicklung der Europischen Union geworfen werden. Auf die Zusammenfassung des europischen Integrationsprozesses, die sich auf einige, wesentliche Aspekte beschrnkt, folgt ein berblick ber die demokratietheoretischen Anstze, welche die EU beeinflusst und geprgt haben. Anschlieend sollen die generellen Voraussetzungen zur Verwirklichung von Demokratie in aller Krze dargestellt werden, wobei in diesem Abschnitt bewusst auf eine klare Definition von Demokratie verzichtet wird. Die Problematik der Definition von Demokratie wird am Anfang des Abschnitts 5. behandelt, der die kritische Betrachtung des Demokratiedefizit in der Europischen Union umfasst. Die Diskussion des Defizits versucht einen berblick ber die in der Literatur am hufigsten angefhrten Mngel im politische System der EU zugeben, um diese dann kritisch zu betrachten. Dennoch kann auch hier aufgrund der zahllosen Beitrge und unbersichtlichen Menge an Meinungen und Thesen bezglich dieses Themas nur eine Auswahl prsentiert werden. Dies soll nur darauf hinweisen, dass es durchaus wahrscheinlich ist, dass noch weitere Kritik und Gegendarstellungen bezglich des Demokratiegehalts der EU aufgefhrt werden knnten. Abschlieend sollen noch einige Reformvorschlge angefhrt werden sowie die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst werden.2. Asymmetrie der Europischen Integration

Um die aktuelle Situation und auch die demokratietheoretisch lebhaft gefhrte Debatte um das Demokratiedefizit der Europischen Union zu verstehen, bedarf es einer zusammenfassenden Betrachtung der Entwicklung der europischen Integration hin zum Status Quo. Unter Integration oder Integrationsprozess ist hierbei die zunehmende, insbesondere wirtschaftliche, aber auch politische und soziale Verflechtung und (Verfahrens-)Angleichung der Mitgliedstaaten der Europischen Union zu verstehen. Egal welche Integrationstheorie man zugrunde legt[footnoteRef:1], man geht davon aus, dass die neu geschaffene Einheit mehr ist, als die Summe ihrer Einzelteile (vgl. Nohlen, 2005, S.390) [1: Wie im Folgenden noch erlutert, sind die Anfangsjahre der Union hauptschlich durch zwei theoretische Anstze geprgt, der neofunktionalistische und der intergouvernementalistische.]

Ausgangspunkt fr die Entwicklung der EU bildete der, nach dem Krieg tief-wurzelnde Wille zum Frieden sowie zur sozialen, wirtschaftlichen und politischen Stabilitt. Der schnellste und sicherste Weg zu diesem Ziel, so die politische Meinung, wre die wirtschaftliche Verflechtung insbesondere der ehemaligen Erzfeinde Deutschland und Frankreich. Das Integrationsprojekt war also die Reaktion auf eine leidensreiche Geschichte europischer Konflikte und auch auf die nach dem zweiten Weltkrieg von Westeuropa empfundene Bedrohung durch die Sowjetunion. Die Frage nach (demokratischer) Legitimitt stellt sich zunchst berhaupt nicht, war es doch offentsichtlich, dass die Integration (erstmals nur der Mrkte) dem Wohlstand und dem Frieden in Westeuropa dienten.(vgl. Kielmansegg, 1996, S.47)Der Prozess der Integration war jedoch von einer fundamentalen Asymmetrie geprgt, die sich nach Fritz W. Scharpf durch eine Diskrepanz zwischen negativer und positiver Integration auszeichnet. Unter negativer Integration wird die Beseitigung nationaler Marktbarrieren und Wettbewerbsbeschrnkungen verstanden, die das Ziel eines einheitlichen, freien Binnenmarktes verhinderten. Die positive Integration dagegen entsprche einer aktiv-gestaltenden Politik der Europischen Gemeinschaft. Scharpf spricht hier in Anlehnung an Joseph Weiler von einem Dualismus von supranationalem europischen Recht und intergouvernementaler europischer Politik. Die negative Integration konnte dank der gegebenen Supranationalitt des Rechts schon weit vorangetrieben werden, wohingegen die positive Integration auf die Zustimmung der nationalen Regierungen im Ministerrat angewiesen ist, also mit den hohen Konsenszwngen der intergouvernementalen Politik zu kmpfen hat. So beschrnkt die negative Integration zunehmend die Handlungsfhigkeit der nationalen Regierungen, whrend auf der anderen Seite nicht entsprechend Handlungsoptionen fr die europische Politik durch positive Integration geschaffen werden. Somit kam das Gleichgewicht von kapitalistischer konomie und demokratisch legitimierter Politik ins Schwanken zugunsten der konomie. (vgl. Scharpf, 1996, S.109ff) Oder mit anderen Worten, besteht trotz aller Anstregungen, noch immer eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen dem Tempo des wirtschaftlichen und des politischen Integrationsprozess; [...] dessen Ursache in erster Linien in den heterogenen Interessenslagen der Mitgliedstaaten zu suchen [ist]. (Gabriel/Kropp, 2008, S.18)

3. Demokratiekonzepte in der EU

Ist diese Asymmetrie, mit all ihren Konsequenzen, politisch gewollt oder liegt sie eventuell an dem in der europischen Gemeinschaft herrschenden Demokratiekonzept? Im Folgenden soll kurz beschrieben werden, welche Konzeptionen von Demokratie Einfluss bei der Grndung und Gestaltung der EG/EU hatten. Den Ausgangspunkt zur Grndung der Europischen Gemeinschaft bildeten die 1957 unterzeichneten Rmischen Vertrge, in denen der Brger als homo oeconomicus verstanden wurde. Das (wirtschaftlich) liberale Weltbild sah den Einzelen als Marktteilnehmer, der mittels Konkurrenz und Wettbewerb in einem gemeinsamen Binnenmarkt die Integration fdern sollte. So waren die gewhrten demokratischen Grundrechte auch hauptschlich wirtschaftlicher Art, um einen freien Transfer von Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital zu gewhren. (vgl. Leie, 1998, S.211) Aber auch in dem Verstndnis von Herrschaft innerhalb der EU drckt sich eine liberale Demokratievorstellung aus, deren (Kern-)Ziel die Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit der Brger darstellt. Der Fokus liegt also auf der Freiheit des Individuums, die durch Gewaltenteilung und die Garantie von Grundrechten gewhrleistet wird. Jedoch herrscht immer noch Uneinigkeit darber, ob die EU im Zuge ihrer Ausgestaltung besser ein parlamentarisches (mehr Machtkontrolle) oder ein prsidentielles (hhere Handlungsfhigkeit) Regierungsystem[footnoteRef:2] etablieren soll. (vgl. Benz, 2005, S.260ff) [2: Laut Benz ist zwar ein machtbegrenzendes System wegen der heterogenen Gesellschaft erforderlich, aber die Politikwissenschaft spricht sich vornehmlich fr ein prsidentielles Regierungssystem aus. Dieses soll mit einer formal getrennten, aber als Verhandlungspartner fungierenden Legislative und Exekutive ausreichend Gewaltenteilung mit Handlungsfhigkeit verbinden. ]

Durch den vielseitigen Einfluss auf die Gestaltung der EU kann man neben der herrschenden liberalen Demokratievorstellung noch weitere Konzeptionen erkennen. So hat etwa der Realismus, der von souvernen, interessensgeleiteten Nationalstaaten ausgeht, die Gestaltung der zweiten und dritten Sule[footnoteRef:3] der Union geprgt. In den beiden, vom Ministerrat dominierten Bereichen, geht es zunchst um die Durchsetzung nationaler Interessen. Der in der ersten Sule[footnoteRef:4] angestrebte wirtschaftliche Binnenmarkt der EG dagegen hat seinen Ursprung in der fderalen Theorie. Zu seiner Verwirklichung soll mithilfe gemeisamer Institutionen und Verfahrensregeln eine (zumindest wirtschaftlich) homogene Einheit entstehen. (vgl. Leie, 1998, S.210) Mit der Kritik an der reprsentativen Demokratie und der Forderung nach mehr Brgernhe und beteiligung finden auch partizipatorische Demokratietheorien Einzug in die Verfassungs- und Integrationsdebatte. Dabei sind weniger Referenden zu Verfassungsfragen gemeint als eine wirksame Vetomacht gegen Entscheidungen der europischen Organe. (vgl. Benz, 2005, S.262ff) Unter diesen Umstnden, lassen sich die Vordenker und Betreiber des Integrationsprozesses kaum einer einzelnen theoretischen Richtung zuordnen, denn es herrscht eine bunte Vielfalt an demokratietheoretischen Einflssen. [3: Die Gemeinsame Auen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Gemeinsame Innen- und Justizpolitik (PJZS) ] [4: Die erste Sule, ist somit die einzige wirklich supranationale, wenn man bedenkt, dass die nationalen Interessen in der zweiten und dritten Sule im Vordergrund stehen.]

Geprgt wurde der Integrationsprozess auch von der Debatte zwischen den Neofunktionalisten und den Intergouvernementalisten. Aus der, in den Grndungsjahren dominierenden, neofunktionalistischen Sicht, zeichnet sich der Integrationsprozess durch eine inkrementelle und automatische Vertiefung aus, die in einer nicht nher spezifizierten supranationalen Finalitt mndet(Malek, 2002, S.18). Dies beruht auf der Vorstellung von spill-over-Konzepten, die davon ausgehen, dass sich eine europische Kooperation in zunchst konomischen Bereichen nach und nach auf politisch sensiblere Bereiche ausweitet. Die Intergounvernementalisten dagegen, gehen davon aus, dass es nur dann zur Ausweitung der Kooperation kommt, wenn sie im Interesse und zum Vorteil der einzelnen Nationalstaaten ist. Die beiden Anstze laufen somit auf eine unterschiedliche Finalitt der Europischen Union hinaus, da die Neofunktionalisten von einer berwindung des Nationalstaats hin zu einer supranationalen Organisation ausgehen, die Intergouvernementalisten dagegen von einer Reduzierung der EU auf ein Verhandlungssystem der Mitgliedstaaten. In der politischen Wirklichkeit dagegen ist die EU lngst als supranationale Kooperationsform institutionalisiert, wobei die kollektive organisierte Problembearbeitung auf der einen Seite staatliche Handlungsfhigkeit verbessern soll, und gleichzeitig zu einem Verlust an nationaler Autonomie fhrt. Die beiden genannten, klassischen Modell stoen aber mit der Entwicklung der EU zu einem dynamischen Mehrebenensystem[footnoteRef:5] an ihre Grenzen, und werden nur noch partiell diskutiert. (vgl. Malek, 2002, S.11ff) [5: Der Begriff des dynamischen Mehrebenensystems wurde erstmals von Jachtenfuchs und Kohler verwendet und geprgt.]

Relative Einstimmigkeit herrscht in der Wissenschaft bezglich der Erfolgskriterien des Integrationsprozesses. Auf der einen Seite muss die institutionelle Handlungsfhigkeit der Union verbessert werden und allgemein akzeptierte Entscheidungsregeln eingefhrt werden. Auf der anderen Seite bentigen die politischen und sozialen[footnoteRef:6] Strukturen der 27 Mitgliedstaaten ein Mindestma an Homogenitt, um eine erfolgreiche Kooperation zu ermglichen. (vgl. Gabriel/Kropp, 2008, S.18) [6: Davon ausgehend, dass aus konomischer Sicht bereits eine relativ hohe Homogenitt erzielt worden ist.]

Und eine weitere Tatsache vereint die Vordenker und Betreiber des Integrationsprozesses, nmlich ihr Bekentnis und ihr Glaube an die Demokratie. Bereits in der Prambel der Einheitlichen Europischen Akte verpflichten sich die Mitgliedstaaten zur Verfechtung der Demokratie, was auch im Vertrag ber die Europischen Union (EUV), bekannt als Vertrag von Maastricht, bernommen wurde. Im Art. 1 Absatz 6 des EUV steht: Die Union beruht auf den Grundstzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie Rechtsstaatlichkeit; ... Vertraglich ist also die Demokratie bereits festgelegt, doch reichen diese formalen Beteuerungen nicht aus, sondern sie verlangen danach, demokratische Elemente in der Union zu verankern. Demokratie ist somit eine Anforderung an die Europischen Union. (vgl. Zulegg, 1999, S.12ff) Doch welche Voraussetzungen mssen geschaffen sein, um Demokratie zu verwirklichen?4. Voraussetzungen von Demokratie

Bevor die Ausgestaltung der Demokratie in der EU nher betrachtet wird, ist es ntig, festzuhalten, welche Voraussetzungen die Verwirklichung von Demokratie erfordert, oder welche die Demokratie wenigstens untersttzen und stabilisieren. Die Frage nach den (Funktions-)Voraussetzungen der Demokratie in der EU fhrt auch zur Frage nach der Demokratiefhigkeit der Union, die im Folgenden nher dargestellt werden soll. Betrachtet man Demokratie generell als Organisation der Herrschaftsordnung, hngt ihr Funktionieren von den jeweiligen Strukturen der zu organisierenden Gesellschaft ab. Dabei lassen sich laut Benz drei gesellschaftliche (Grund-)Voraussetzungen ausmachen: Kommunikation bzw. ffentlichkeit, eine Solidargemeinschaft und eine aktive Zivilgesellschaft. (vgl. Benz, 2005, S.256)Demokratie verlangt danach, dass sich eine ffentliche Meinung bilden kann, auf welche die Herrschaftsorgane reagieren knnen. Die politische Nation als Kommunikationsgemeinschaft bildet die Grundlage fr ein kollektives Bewutsein, das aus der Summe der individuellen Interessen ein gemeinsames Interesse (volont general) bildet und damit auch allen Mitgliedern die (zumindest theoretisch) gleichen Chancen bei der Partizipation zur Meinungsbildung ermglicht. Neben dieser ffentlichkeit bedarf es auch eines Minimums an Gemeinsamkeiten[footnoteRef:7] zwischen den Brgern fr eine funktionierende Demokratie. Denn um Herrschaftsausbung durch Amtstrger und Verteilungsentscheidungen nach Regeln der Mehrheitsdemokratie zu akzeptieren, mssen sich die Brger gegenseitig ein Minimum an Vertrauen und Solidaritt entgegenbringen. Auerdem wird angenommen, dass die Interessenartikulation in der modernen Massengesellschaft Strukturen einer Zivilgesellschaft bentigt, die es den Brgern ermglicht sich in Gruppen zusammenzuschlieen und zu engagieren. (vgl. Benz, 2005, S.256ff) [7: Dieses Minimum an Gemeinsamkeiten umschreibt Ernst Frnkel mit dem Begriff des unkontroversen Sektors, der auf die Notwendigkeit von allgemein akzeptierten Verhaltens- und Verfahrensregeln hinweist.]

Noch grundlegender sind die Institutionen, die Robert Dahl fr den demokratische Prozess als notwendig identifiziert. Dazu gehren etwa die Kontroll der Regierung, die aus gewhlten Vertretern besteht. Die Kontrolle wird durch freie, faire und regelmig stattfindende Wahlen garantiert, die eine friedlichen Regierungswechsel ermglichen. Ausserdem bentigen alle volljhrigen Brger sowohl aktives wie passives Wahlrecht, und die Mglichkeit sich in Vereinen, Verbnden und Parteien zu organisieren und ihre Interessen zu formulieren. In diesem Zusammenhang ist auch die Meinungs- und Pressefreiheit von zentraler Bedeutung fr die Demokratie. (vgl. u.a. Dahl, 1989, S.233) Fr das Funktionieren von Demokratie ist auch das Konzept der Legitimation von (politischer) Herrschaftsausbung von fundamentaler Bedeutung. Bei zunehmender Gre der Staaten kann Herrschaft nicht mehr vom Volk in persona ausgefhrt werden, es liegt also keine Identitt von Herrscher und Beherrschten vor. Sobald aber Menschen ber andere Menschen Herrschaft ausben, muss diese ihrer Rechtmigkeit halber gerechtfertigt, also legitimiert werden. Durch die Herleitung der Herrschaft vom Willen des Volkes, betont Demokratie die Beteiligung des Volkes am Staatswillen bzw. an der Entscheidungsfindung. (vgl. Kirsch, 2008, S.77)Es lassen sich, aus theoretischer Sicht, grob zwei Legitimationsstrnge innerhalb der EU unterscheiden. Auf der einen Seite geschieht Legitimationsvermittlung ber das Europische Parlament, das zunehmend an Bedeutung gewinnt, und auf der anderen Seite mittelbar ber die im Ministerrat vertretenen, nationalen Parlamente. Christian Calliess stellt hierbei fest, dass bei der Gewichtung der beiden Legitimationssulen hinsichtlich ihrer demokratischen Legitimation fr die Union geteilte Meinungen bestehen.[footnoteRef:8] So leitet das BVerfG mit seinem Maastricht-Urteil die demokratische Legitimation von den nationalen Parlament (und ihre Vertretung im Ministerrat) ab, und bescheinigt dem Europischen Parlament lediglich eine sttzende Funktion. Zu genau dem entgegengesetzten Urteil kam der EuGH, der in dem Europischen Parlament den zentralen Ausdruck des demokratischen Prinzips innerhalb der EU sieht. (vgl. Calliess, 2005, S.287ff) [8: Die Argumentationen bezglich der Legitimationsleistung drehen sich hauptschlich um die These, dass die Legitimationskette im Ministerrat lnger als im Europischen Parlament ist, und damit ihre Legitimationswirkung schwcher sei. ]

Seymour Martin Lipset macht mit der Effektivitt des politischen Systems eine weitere Funktionsvoraussetzung der Demokratie aus. Diese bemesse sich daran, ob elementare Funktionen eines Regierungssystems so erfllt werden, dass sie den Erwartungen der Mehrheit in der Bevlkerung und der Interessensgruppen gerecht wird. (vgl. Schmidt, 2000, S.440) Damit beschrnkt sich Lipset auf die Output-Legitimation, die das funktionale Prinzip der Ntzlichkeit in den Mittelpunkt stellt (government for the people). Ausgeklammert wird dabei aber die Input-Legitimation[footnoteRef:9], die auf die Zustimmung der Beherrschten angewiesen ist (government by the people). [9: Die Begriffe der Input- und Output-Legitimation sind aus David Eastons Theorie des politischen Systems entnommen. ]

Oft wird auch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in einen engen Zusammenhang mit der Fhigkeit zur Demokratie gebracht. Wobei dies nicht als zwingende, sondern eher als begnstigende Voraussetzung zu sehen ist, was etwa am Beispiel Indien deutlich wird. Dennoch hat die Aussage von Seymour Martin Lipset, dass ein hoher Wohlstand eines Volkes hohe Chancen der Demokratieerhaltung bedeutet, viel Zustimmung erhalten.[footnoteRef:10] (vgl. Schmidt, 2000, S.438) [10: Diese These wird auch von mehreren empirischen Studien gesttzt, wie etwa die Studie von Kenneth Bollen und Robert Jackmann, die den konomischen Entwicklungsstand als wichtigste erklrende Variable des Demokratiesierungsgrades identifiziert. (vgl. Bollen/Jackmann, 1989, S.619ff)]

Demokratie hat sich vor der Entstehung der Europischen Union immer in den Nationalstaaten entwickelt, weshalb man berechtigterweise die Frage stellen darf, ob Demokratie einen Nationalstaat voraussetzt? Oliver Leie verteidigt die These, dass ein demokratisches System nicht nur in historisch gewachsenen Nationalstaaten funktionieren kann, sondern auch auf der supranationalen Ebene der EU mglich ist. Zudem bescheinigt er der Union ein bereits bestehendes solides Demokratiepotenzial (Leie, 1998, S.220), in Form von etablierten Institutionen, deren volle Ausfaltung noch von nationalstaatlichen Interessen und Wiederstnden verhindert wird. (vgl. Leie, 1998, S.219ff) Kielmansegg dagegen spricht von einer begrenzten Demokratiefhigkeit und stellt die These auf, dass selbst eine demokratische Verfassung aus der europischen Gemeinschaft noch keine europische Demokratie machen wrde. Die Vermittlung von Legitimitt bleibt somit Aufgabe der Nationalstaaten, deren politische Form ist also der Ort fr Demokratie. (vgl. Kielmanseg, 1996, S.58)Peter Huber sieht die Demokratie eingebettet in einer Trias zusammen mit Staat und Volk. Woraus sich die Notwenidigkeit eines territorialem Herrschaftsverbands und eines (homogenen) Volks ergibt. Ersteres bescheinigt Huber der EU ohne Zweifel, in bezug auf ein Unionsvolk als Legitimationstrger, sei zu bedenken, dass nicht zwingend ein einheitliches Volk bentigt wird, sondern auch eine Mehrzahl an nationalen Vlkern die gemeinsame Grundlage bilden kann. Denn der eigentliche Kern der Demokratie sei in der individuellen staatsbrgerlichen Mndigkeit verortet. Ihre Facette umfassen die bereits bei Dahl dargestellten Institutionen, wie u.a. Wahlrecht, Bildung von politischen Parteien und Transparenz des staatlichen Handelns. Erst mit der Anerkennung dieser Mndigkeit, wird ein Herrschaftsverband demokratisch. (vgl. Huber, 1999, S.30ff)Die genannten Voraussetzung knnen je nach Definition und konkreter Ausgestaltung von Demokratie natrlich noch um verschiedene Komponenten erweitert bzw. variiert werden, aber drften doch grundlegenden Elemente zur Verwirklichung von Demokratie darstellen. Wie diese Voraussetzungen in der EU beschaffen sind und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, soll nun anhand der Debatte um das Demokratiedefizits der Europischen Union im folgenden Abschnitt der Arbeit zusammenfassend dargestellt und kritisch betrachtet werden.

5. Kritische Diskussion des Demokratiedefizit

Wenn man nach dem Demokratiedefizit der Europischen Union fragt, stellt sich zunchst die Frage, ob man den Demokratiemastab und seinen Legitimationsbedarf berhaupt auf die Staatengemeinschaft der Europische Union als ein schwer-vergleichbares System sui generis (Offe, 1998, S.99) anwenden kann? Die Antwort muss Ja lauten, denn die EU bt mit ihrer bindenden Rechtssetzung unmittelbar hoheitliche Gewalt aus. (vgl. Kielmansegg, 1996, S.51ff) Welches Ausma die Herrschaftsausbung mittlerweile erreicht hat, wird deutlich, wenn man davon ausgeht, dass bereits 80% des geltenden Wirtschaftsrechts Gemeinschaftsrecht ist, und beinahe jedes zweite deutsche Gesetz seinen Ursprung in Brssel hat. (vgl. Bauer, 2005, S.8) Auch im deutschen Grundgesetz sind im Art. 23, Absatz 1 die Grundstze, die die Bedingung zur Mitwirkung der BRD an der Entwicklung der Europischen Union darstellen, mit demokratisch, rechtsstaatlich, sozial und fderativ beschrieben. Damit ergibt sich schon aus dem Verfassungstext ein Gebot zur Verwirklichung demokratischer Grundstze. Freilich wird nicht erwhnt, welches Niveau oder welche Qualitt die Demokratie in der EU haben muss. (vgl. Kirsch, 2008, S.99)Die Antwort auf die Frage nach dem Demokratiedefizit der Europischen Union hngt logischerweise immer davon ab, wie(weit) man Demokratie definiert. Wird Demokratie als Verhinderung von Machtmissbrauch verstanden, wird man die EU mit ihrer konsensorientierten Entscheidungsfindung[footnoteRef:11] wohl als sehr demokratisch bezeichnen. Schlielich gibt es durch das in vielen Fllen noch bestehende Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat mittlerweile 27 Vetospieler, die fr ausreichend Machtkontrolle sorgen.[footnoteRef:12] Auch einige Vertreter der deliberativen Demokratietheorie, wie Charles Sabel oder Klaus Eder, bescheinigen der EU ein hohes Ma an Demokratie. Jedoch wird bei der Interpretation der EU ein verkrzter Mastab angelegt, wenn man Demokratie nur als das Vorhandsein von Verfahren versteht, die garantieren, dass mglichst viele (am besten alle) relevante Argument fr oder gegen eine Entscheidung abgewogen werden knnen. Aus dieser Sicht erscheint die EU als nahezu ideal-demokratisch, sind am Entscheidungsprozess doch eine Vielzahl von Akteuren (EU-Brokratie, nationale Regierungen, nationale wie europische Parlamente, etc.) beteiligt, die auch ein breites Spektrum an Perspektiven einbringen.(vgl. Hurrelmann, 2008, S.5) [11: Die konsensorientierte mehrheitliche Entscheidungsfindung im Ministerrat in Form des Einstimmigkeitsprinzips, wird aber in vielen Bereich zunehmend durch ein mehrheitsorientiertes Verfahren abgelst, was zwar die Transaktionskosten senkt/Effektivitt steigert, zugleich aber die Legitimationsherleitung schwcht.] [12: Zu den einflussreichsten Vertretern dieser realistischen Demokratietheorie im europischen Raum zhlen etwa Giandomenico Majone und Andrew Moravcsik, die beide der Meinung sind, die EU habe (zumindest strukturell) kein Demokratiedefizit. ]

Aber reichen diese doch sehr minimalen Definitionen von Demokratie aus, um die Kritik des Defizit zu beschwichtigen? Viele Autoren, unter ihnen auch Robert Dahl, wrden hier wohl mit Nein antworten, da die Demokratiedefinitionen, auf denen diese Argumente aufbauen, zu kurz gedacht sind. Beiden oben genannten Definitionen fehlt etwa das demokratische Gleichheitsprinzip, verkrzt ausgedrckt one person, one vote (Dahl, 1989, S.109), also die Mglichkeit aller Brgerinnen und Brger, als Gleich(wertig)e an den politischen Entscheidungsprozessen zu partizipieren. Zudem sucht man auch das Prinzip der Rechenschaftsablegung (acountability) vergeblich, das den Brgern ermglicht, die politischen Fhrer durch Abwahl zu kontrollieren und zu sanktioniern. (vgl. Hurrelmann, 2008, S.5)Durch diese Gegenberstellung wird schon klar, dass die Frage nach einem demokratische Defizit, und vor allem dessen Ausma, nicht einfach zu beantworten ist. Ausserdem stellt sich die Frage, falls ein Defizit besteht, welcher Natur dieses ist. Handelt es sich um ein strukturelles Defizit, das vielleicht nie vollstndig behoben werden kann, oder um ein institutionelles Defizit, dem man mit politischen Reformen begegnen kann? Im Folgenden sollen die wichtigsten Kritikpunkte des Demokratiedefizit dargestellt und kritisch diskutiert werden, wobei diese Arbeit nicht den Anspruch erheben kann, alle Meinungen und Kritikpunkte abzudecken, sondern versucht die in der Literatur am hufigsten aufgefhrten zusammenzufassen. Robert Dahl etwa, als eine der prominentesten Kritiker der euorpischen Demokratie, bezeichnete das Demokratiedefizit der EU sogar als gigantisch (Dahl, 1998, S.115), was man wohl als bertrieben bezeichnen darf, aber nicht wenige Autoren wrden in die gleiche Richtung argumentieren. Die These, dass die EU ein (strukturelles) Demokratiedefizit hat, nimmt an, dass ein Inkongruenzproblem innerhalb der EU besteht. Also eine zu groe (vielleich sogar unberbrckbare) Kluft zwischen Regierenden und Regierten. (vgl. Schmidt, 2000, S.431) Wie im Folgenden deutlich wird, hat dieses Problem mehrere Ursachen und Ausprgungen. Ausserdem wird deutlich, dass die Defizite oder Probleme der Demokratie in der EU eng miteinander verknpft sind.5.1 Das Fehlen eines europischen Demos und einer ZivilgesellschaftFr vielen Autoren ist der fundamentalste Kritikpunkt an der europischen Demokratie das kaum bestreitbare Fehlen eines (einheitlichen) europischen Demos. So wie in allen demokratischen Verfassungen das Prinzip der Volkssouvernitt zentrale Bedeutung hat, muss bezweifelt werden, ob eine Demokratie ohne ein, sich selbst als solches verstehendes, Demos berhaupt mglich ist. Das Scheitern einer europischen Verfassung macht deutlich, dass die nationalen Vorstellungen und Werte (noch) zu unterschiedlich sind, um eine kollektive europische Identitt zu bilden. Der Verfassungsentwurf, der die EU als politische Gemeinwesen darstellen sollte, war ein Versuch, eben dieses fehlende europische Brgerbewutsein zubilden. (vgl. Hurrelmann, 2008, S.7ff) Doch hat Europa nicht eine langjhrige Errinnerungsgemeinschaft, die eine Grundlage fr eine kollektive Identitt bilden knnte? Das Problem ist, dass die Erinnerung an die gemeinsame Geschichte, nicht als eine gemeinsame, europische Vergangenheit erinnert wird, sondern als nationalstaatliche. Man nehme das Beispiel der beiden Weltkriege, die sich auf deutscher Seite als eine selbstverschuldete Katastrophe, auf franzsischer, niederlndischer oder britischer Seite als teuer erkaufte Siege fr eine gute Sache eingeprgt haben. (vgl. Kielmansegg, 1996, S.56)Wesentlich zukunftsorienter gestaltet sich der Begriff einer gemeinsamen Erfahrungsgemeinschaft, wie etwa die Erfahrung gemeinsamer Bedrohung durch den Ost-West-Konflikt in der zweiten Hlfte des 20. Jahrhunderts. Doch es ist bei weitem nicht so, dass diese Erfahrung schon gemeinsame europische Erfahrungen waren. Denn so gibt Kielmansegg zu bedenken, um gemeinsam zu erfahren, bedarf es einer europischen Wir-Identitt, die zudem eine Abgrenzung vom Nicht-Europischen voraussetzt. Erst wenn sich die Europer selbst als solche wahrnehmen, was momentan noch nicht der Fall ist, kann sich eine Erfahrungsgemeinschaft entwickeln. (vgl. Kielmansegg, 1996, S.57) Noch banaler, aber zugleich der fundamentalste Grund, der sich der Herausbildung eines europischen Demos in den Weg stellt, ist das Nichtvorhandensein einer gemeinsamen Sprache. Aber wenn Europa in seiner Diversitt der Kulturen bestehen bleiben soll, was immer die politische Intention war, kann dieses strukturelle Problem vorerst nicht gelst werden. Selbst mit einer immer weitreichenderen Verbreitung des Englischen als europische Verkehrssprache, wird es wohl noch mehrere Generationen dauern, bis sich die Mehrzahl der Europer mit der Mehrzahl der Europer verstndigen kann. (vgl. Kielmansegg, 1996, S.55) Doch erst eine gemeinsame Sprache ermglicht auch eine gemeinsame ffentlichkeit, die das Forum des politischen Diskurses bildet. Dieser von den Massenmedien getragene ffentliche politische Diskurs, der die Politik berhaupt erst zur Sache der Allgemeinheit und damit die Demokratie zur Demokratie macht (Kielmansegg, 1996, S.57) ist auf europischer Ebene noch keine Wirklichkeit.[footnoteRef:13] [13: Arthur Benz fhrt hierzu an, dass es nicht die Sprachenvielfalt ist, die einer gemeinsamen Kommunikationsgemeinschaft im Weg steht, sondern vielmehr die fehlenden Vermittelungsstrukturen der ffentlichkeit.]

Auf der anderen Seite gibt Manfred Zulegg zu bedenken, dass die Sprachbarriere heutzutage bereits im groen Ma durch technische Hilfe gelst werden kann und keine national isolierten Kommunikationsrume mehr existieren. Mit zunehmenden Kompetenzen der EU steigt auch das Interesse an europischer Politik und die Zusammenarbeit der gesellschaftlichen Krfte nimmt zu. In unserem technisierten Zeitalter sind die Bedingungen fr den Meinungskampf um die besten politischen Konzepte somit vorteilhaft fr die Demokratiefhigkeit der Europischen Union. (vgl. Zulegg, 1999, S.20)Ein weiterer Kritikpunkt der Demokratie auf europischer Ebene ist die These, dass sich immer noch keine funktionierende europische Zivilgesellschaft etabliert hat. Mit Zivilgesellschaft ist in diesem Zusammenhang ein vitales europisiertes System intermedirer Institutionen (Schmidt, 2000, S.433) gemeint, dass sowohl Parteien und Verbnde als auch die Medien umfasst. Die genannten Institutionen der Zivilgesellschaft sind, wie schon Robert Dahl feststellte, die Grundlage fr einen demokratischen Willenbildungsprozess. 5.2 Institutionelle Defizit und Parlamentarismus in der EU Fr viele Autoren ist die institutionelle Rolle des Europischen Parlaments als reprsentatives Organ der Unionsbrger, der zentrale Anlasspunkt zur Kritik. So wird angefhrt, dass, trotz zunehmender Kompetenzflle, das Europischen Parlament immer noch nicht einem nationalen Parlament entspricht und somit auch nicht ausreichend Legitimationsleistung erzeugen kann. Kritisiert werden nicht ausreichende Kontrollmglichkeiten gegenber dem Ministerrat sowie die fehlende (oder zumindest ungengende) parlamentarische Abhngigkeit der EU-Kommission. Allerdings, so die Befrworter der europischen Demokratie, muss das Parlament mittlerweile die Zusammensetzung der Kommission mehrheitlich besttigen, und hat somit eine nicht unerhebliche Kontrollfunktion, wie der erzwungene Rcktritt der Kommission 1999 zeigte. (vgl. Kirsch, 2008, S.48) Weiterhin fehlet dem EP das Initiativrecht zur Gesetzgebung, welches die Kommission besitzt. Auch die eingeschrnkten Mitentscheidungsbefugnisse im Rechtssetzungsprozess lassen dem Europischen Parlament nur eine schwache Position. Auch das Haushaltsrecht liegt nicht vollstndig beim Parlament, da insbesondere bei den sogenannten obligatorischen Ausgaben[footnoteRef:14] der Rat das Letztentscheidungsrecht besitzt. (vgl. Calliess, 2005, S.290ff) [14: Unter die obligatorischen Ausgaben fllt u.a. auch die Agrarsubventionen, die immer noch fast die Hlfte des EU-Haushalts ausmachen.]

Trotz aller Machtzuwchse des Europischen Parlaments bleibt das politische System der EU also exekutiv-lastig, was sich auch in der Gesetzgebungsinitative der EU-Kommission, also dem Recht, Gesetzgebung zu initiieren, zeigt. Auerdem kann der Ministerrat in manchen Bereichen die Gesetzgebungskompetenz des Parlaments berstimmen, so zum Beispiel in der Auen- und Sicherheitspolitik oder der Steuerharmonisierung. Schlielich wird auch das oben genannte Argument der Kontrollfunktion ber die Kommission wieder abgeschwcht, da das Parlament keinerlei Einfluss auf die Nominierung der Kommissionsmitglieder hat. (vgl. Hurrelmann, 2008, S.4)Die schwache Position des Europischen Parlaments drckt sich, so die These von Peter Graf Kielmansegg, auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Europawahlen aus. Die Beteiligungsqote verluft seit 1979 mit fallender Tendenz und hat dieses Jahr mit 43,1 Prozent ihrer vorlufigen Niedrigstwert erreicht. Faktisch drckt also die Zusammensetzung des Parlaments die Prferenzen einer Minderheit der Wahlberechtigten aus. Natrlich ist das noch keine Argument fr ein demokratisches Defizit, solange alle Wahlberechtigten wenigstens die Mglichkeit hatten zu whlen. Graf Kielmansegg fhrt aber zu Recht an, dass die schwache Position des Europischen Parlaments dazu fhrt, dass in der ffentlichkeit der Mitgliedstaaten die Meinung herrscht, dass die Wahlen zum Europischen Parlament bedeutungslos seien, da das Parlament zu wenig Macht/Befugnisse, und damit Einfluss, habe. (vgl. Kielmansegg, 1996, S.50)Zudem besteht in der Union kein einheitliches Wahlrecht, die Wahlen zum Europischen Parlament werden deshalb in den Mitgliedstaaten nach unterschiedlichen nationalen Vorschriften abgehalten. Durch die Unterschiede bei der Anwendung von Verhltnis- oder Mehrheitswahlrecht kommt es zu Verzerrungen des Erfolgswerts der Stimmen, was im Widerspruch zum demokratischen Gleichheitsgrundsatz steht.[footnoteRef:15] (vgl. Kirsch, 2008, S.69) [15: Mit der Besttigung der 5%-Klausel bei der Bundestags in Deutschland durch das BVerfG, wird jedoch eine Ausnahme von der Gleichheit des Erfolgswertes (nicht aber des Zhlwertes) gemacht. (vgl. BVerfG 1, 208) ]

Der letzte aber zugleich wesentliche Mngel bei der institutionellen Ausgestaltung des Europischen Parlaments ist die Verteilung der Sitze, welche dem demokratischen Prinzip der Gleichheit bezglich der Reprsentation nicht gerecht wird. Rein rechnerisch vertritt ein luxemburgischer Abgeordnete knapp 67.000 Brger, wohingegen eine deutscher Abgeordneter beinahe 830.000 Brger reprsentiert. Somit kommt es zur Bevorzugung von kleineren Mitgliedstaaten bei der Bestzung des Parlaments, die auch nicht durch eine hhere Stimmgewichtung der greren Staaten im Ministerrat ausgeglichen werden kann. Diese Tatsache resultiert daraus, dass das Europische Parlament nicht nur eine Reprsentation der (Unions)Brger, sondern auch der Nationalstaaten darstellt. Durch diese Doppelrolle konkurrieren das demokratietheoretische Postulat der Gleichheit und der vlkerrechtliche Grundsatz der Staatengleichheit. (vgl. Calliess, 2005, S.299) Die diskutieren Mngel erscheinen betrchtlich, doch sollte man nicht dem Trugschluss erliegen, Demokratie mit einem parlamentarische System gleichzusetzen.[footnoteRef:16] Auerdem ist es selbst in einem parlamentarischen System nicht zwingend erforderlich, dass das Parlament besonders mchtig ist. (vgl. Kirsch, 2008, S.49) [16: Wenn auch eine parlamentarisches Regierungssystem die hufigste Regierungsform in (vermeintlich) demokratischen Staaten darstellt.]

Aber auch die Stellung und Konstitution des Ministerrates gibt Anlass zu harscher Kritik an seiner demokratischen Legitimation. Wie bereits erwhnt, ist der Ministerrat das Hauptrechtsetzungsorgan der EU, und hat somit auch den grten Legitimationszwang. Der Rat ist aber nur indirekt ber die nationalen Parlamente legitimiert und zudem vollzieht sich in ihm eine Verschrnkung der Gewalten. Denn obwohl er legislative Aufgaben auf europischer Ebene wahrnimmt, stellt er sich aus Vertretern der nationalen Exekutiven zusammen, die wiederum nur ber die Parlamente (also indirekt) einen Verantwortungszusammenhang zum Volk haben. Auerdem verwischen die zunehmend mehrheitlichen Entscheidungen im Ministerrat die Verantwortungzuweisung, die fr eine Sanktion mittels Abwahl ntig wren. (vgl. Kirsch, 2008, S.72) Die Schlsselstellung des Ministerrates generiert in diesem Zusammenhang noch ein weiteres Problem, denn sie bedeutet, dass europische Politik in erster Linie aus dem Kompromiss zwischen den Interessen der Nationalstaaten hervorgeht. Eine solche Politik entbehrt zwangslufig einer europischen Perspektive, welche nur, so Kielmansegg, durch eine gestrkte Position des Europischen Parlaments und der Kommission erlangt werden kann. (vgl. Kielmansegg, 1996, S.69)Oft wurde auch die Transparenz, deren Bedeutung fr die Demokratie nicht zu unterschtzen ist, bei den Verfahren auf europischer Ebene kritisiert. Es ist zu bezweifeln, ob der einfache Brger das komplexe Normensystem und die Entscheidungswege innerhalb der EU durchschaut. Ntig wre hier eine Offenlegung der Verfahren, also zum Beispiel ffentlichkeit bei Verhandlungen. Nur so kann der Souvern vernnftig am Willensbildungsprozess teilnehmen und auch die Handlungen seiner Vertreter beurteilen und gegebenenfalls sanktionieren. (vgl. Kirsch, 2008, S.74) 5.3 Mglichkeiten der Partizipation und der AcountabilitiyVersteht man Demokratie als die Chancengleichheit zur Teilnahme aller Brger am politischen Entscheidungsprozess, so stellt sich im Hinblick auf die EU die Frage nach den Partizipationsmglichkeiten des einzelnen Brgers. Achim Hurrelmann unterscheidet hier drei mgliche Wege der demokratischen Einflussnahme. Der naheliegendste Weg ist die Wahl zum Europischen Parlament, das seit 1979 von den Brgern aller Mitgliedsstaaten direkt gewhlt wird. Bei allen bereits aufgefhrten Defiziten, besteht fr Hurrelmann das grte Problem nicht in der Kompetenzschwche des Parlaments, sondern im Charakter der Europawahlen. Da es europische Parteien wenn berhaupt, erst in den Anfngen gibt, wird der Wahlkampf bei den Europawahlen von den nationalen Parteien bestritten. Daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass grtenteils nationale Themen die Wahlkmpfe bestimmen, und die Wahlen somit zu Abrechnung mit den Nationalregierungen degradiert werden. Europarlamentarier/-innen werden also nicht ihrer Rolle als Reprsentant auf europischer Ebene gewhlt, sondern als Vertreter einer nationalen Partei und deren Programm. Trifft dies zu, darf zu Recht bezweifelt werden, ob das Europischen Parlament wirklich eine demokratische Reprsentation der Brgerinnen und Brger darstellt. (vgl. Hurrelmann, 2008, S.4) Lsst sich dieser eklatante Mngel im politischen System der EU berhaupt beheben? Bezogen auf das Europische Parlament mssten entweder die Whler ihr Verhalten ndern oder aber die Parteien endlich europische Themen in den Wahlkampf einfliessen lassen.[footnoteRef:17] Das heisst aber, dass die Lsung davon abhngt, ob sich auf europischer Ebene Parteien, hnliche denen in den Nationalstaaten etablieren und bei Europawahlen nur um europische Themen gekmpft wird. Dieser Lsungsansatz impliziert aber bei nherer Betrachtung das Vorhandsein einer europischen Identitt, verlangt er schlielich nach einen europischen politischen Interesse innerhalb der Bevlkerung. (vgl. Hurrelmann, 2008, S.6) Wie bereits im letzten Abschnitt beschrieben wurde, ist eine europischen Zivilgesellschaft (noch) nicht gegeben, womit das eben genannte Argument fr ein Vorhandsein eines demokratischen Defizits in der EU nicht entkrftigt werden kann. [17: Hierzu sei anzumerken, dass es einer politisch-gebildeten Gesellschaft (vgl. Abschnitt europisches Demos als Unterbau bedrfte, wenn die Parteien keine Europathemen in den Wahlkampf nehmen, um diesem Lsungsvorschlag zum Erfolg zu verhelfen. ]

Als zweite Mglichkeit, die Politik auf europischer Ebene zu beeinflussen, nennt Hurrelmann die Wahlen zu den nationalen Parlamenten und Regierungen[footnoteRef:18], aus welchen sich schlielich der EU-Ministerrat zusammensetzt. Auch hierbei spielen EU-bezogene Themen kaum eine Rolle, und selbst wenn, ist der anschlieende Handlungsspielraum fr die nationalen Regierungen im Ministerrat gro. Denn auf Grund der Tatsache, dass Entscheidungen im Ministerrat mittlerweile oft mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden, ist es leicht, die Schuld an nicht durchgesetzten Interessen auf andere europische Regierungen zu schieben.[footnoteRef:19] Auerdem fllt es den nationalen Parlamenten oft schwer, die eigene Regierung einzuschrnken, etwa durch Vorgaben zur Information und zur Aushandlung der europischen Richtlinien.(vgl. Hurrelmann, 2008, S.4) [18: Laut Fritz W. Scharpf geht sowohl in den bundesdeutschen, wie auch den europischen Politikverflechtungen die zwischen den Regierungen ausgehandelte Politik an den gliedstaatlichen Parlamenten vorbei, womit es nicht zu einer parlamentarischen Kontrolle, sondern bestenfalls zu einer diffusen Generalverantwortung der Regierung gegenber ihren Whlern kommt. (vgl. Scharpf, 1996, S.122)] [19: Das Abstimmungsverfahren mittels qualifizierte Mehrheit bentigt, je nach Festlegung nur zwei Drittel oder drei Viertel der Stimmen; im Gegensatz zum Einstimmigkeitsprinzip, dass eine acountability der Regierung theoretisch mglich machen wrde]

Es stellt sich also die Frage, wie kann man auf nationaler Ebene die demokratische Rechenschaftspflicht der Regierungen fr ihre Aktionen im Ministerrat verbessern, um mehr Legitimation herzustellen? Ein zentraler Aspekt wre, die Verfahren im Ministerrat transparenter zu gestalten, zum Beispiel, dass Ratsversammlungen bei gesetzes-relevanten Themen grundstzlich ffentlich sind. Damit wrde auch ein zweiter Punkt erleichtert werden, nmlich ausgeweitete Kontrollmglichkeiten der nationalen Parlamente, etwa in Form von Einspruchsmglichkeiten gegen geplante europische Rechtsakte. Allerdings muss man bedenken, dass somit auch die Mglichkeiten einer effektiven Verhandlung im Ministerrat eingeschrnkt werden, der mittlerweile bei vielen Entscheidungen auch noch das Einverstndnis des Europischen Parlaments einholen muss. Die Demokratisierung stt auerdem an ihre Grenzen, da immer nur die eigene, nationale Regierung zur Rechenschaft gezwungen werden kann. Durch die qualifizierte Mehrheitsentscheidung kann die eigene Regierung aber berstimmt werden, und es besteht keinerlei Mglichkeit fr die Brger, eine fremde Regierung zu sanktionieren. (vgl. Hurrelmann, 2008, S.8)Als letzte Mglichkeit der politischen Partizipation der Brger sieht Hurrelmann die europische Zivilgesellschaft. Wie bereits im gleichnamigen Abschnitt dieser Arbeit diskutiert, darf stark bezweifelt werden, ob eine unionsweite Zivilgesellschaft berhaupt existiert. Hurrelmann spricht auch nicht von einer umfassende Kommunikationsgemeinschaft, sondern von der Mglichkeit der EU-Komission, Interessenvertreter in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen. Aber auch hierbei melden sich starke Zweifel an, sind damit doch in erster Linie professionelle Lobbyistinnen und Lobbyisten betroffen, die kaum als eine unverzerrte Abbildung der Brgerprferenzen gewertet werden knnen. Auerdem ist bleibt es bei der Kommission, zu entscheiden, ob und wie die im Konsultationsprozess formulierten Meinungen bercksichtigt werden. (vgl. Hurrelmann, 2008, S.5) Zwar sind die Konsultationsverfahren ffentlich und die Brsseler Lobbygruppen mittlerweile im Internet gelistet und abrufbar, aber der gleichen Mglichkeit zur Partizipation aller Brgerinnen und Brger ist damit wenig geholfen. Ein viel diskutierter Ansatz wre die Einfgung von europaweiten Referenden, die aber nicht die Verfassung betreffen sollten, sondern eben nur Sachfragen der europischen Politik behandeln drften. Der Vertrag von Lissabon tendiert schon in diese Richtung mit der Einfhrung von europischen Brgerbegehren, mit denen ein Gesetzgebungsvorschlag geuert werden kann. Dieses Instrument knnte zu einem vollwertigen Brgergesetzgebungsverfahren ausgebaut werden. (vgl. Hurrelmann, 2008, S.8) An dieser Stelle knnte man auch einen Vorschlag von Heidrun Abromeit anbringen, die sich fr ein direktdemokratisches Brger-Veto gegen EU-Entscheidungen ausspricht, dessen Ausgestaltung aber sicherlich kompliziert werden drfte. (vgl. Abromeit, 1998, S.82ff)Festzuhalten bleibt, dass hinsichtlich der Partizipationsmglichkeiten der Brger und der Rechenschaftsablegung der Regierungen, mit der noch abzuwartenden Ratifizierung des Vertrags von Lissabon die EU zwar demokratischer geworden ist, aber immer noch starke Defizite aufweist. Auf europischer Ebene ist aus demokratietheoretischer Sicht eine Kontrolle der Regierung durch die Regierten nur unbefriedigend hergestellt und auch die in diesem Abschnitt diskutierten Reformvorschlge sind noch keine Allheilmittel. Bei der gegebenen Komplexitt von EU-Entscheidungsverfahren, die versuchen der hohen Diversitt der europischen Bevlkerung gerecht zu werden, kann man nicht mit einfachen Lsungen rechnen. (vgl. Hurrelmann, 2008, S.9) 5.4 Kompatibilitt von fderalem und demokratischem Prinzip Im diesem Abschnitt der kritischen Diskussion ber das Demokratiedefizit der Europischen Union soll das demokratietheoretisch nicht unproblematische Verhltnis von Fderalismus und Demokratie dargestellt werden. Wie bereits erlutert, ist das fderale Prinzip ebenso wie das demokratische in den Vertrgen zur Europischen Gemeinschaft verankert.[footnoteRef:20] Doch lassen sich diese beiden Prinzipen ohne weiteres vereinbaren, insbesondere in einem komplexen politischen System wie der EU? Es geht zunchst also um die vielleicht selbstverstndlich erscheinende Kompatibilitt von Fderalismus und Demokratie. [20: Etwa im Vertrag von Maastricht]

Auch in Hinblick auf die EU ist man davon ausgegangen, dass das Prinzip des Fderalismus und das der Demokratie zwei kongruente Formen der (Staats)Organisation seien, die sich wechselseitig untersttzen. Die These ist, dass demokratische Grundwerte die Vorraussetzung fr eine fderales System sind, dessen funktionale Stabilitt von konstitutionellen Normen, Herrschaft des Rechts und einem Geist der Freiheit und Toleranz abhngt. Gleichzeitig untersttzt ein fderales System diese demokratischen Werte, indem es demokratische Legitimation durch Wahlen sowohl auf Bundes- als auch auf Staatsebene herstellt und (scheinbar) fr Gewaltenteilung sorgt. Auerdem erhht es mit zustzlichen Wahlen die Mglichkeiten der direkten Partizipation der Brger am politischen Geschehen. (vgl. Benz, 2009, S.4) Aus einer anderen Perspektive erscheint die Kombination von Demokratie und Fderalismus schwer kompatibel. Denn das oft als demokratisch erachtete Prinzip der Gewaltenteilung fhrt in seiner fderalen Ausgestaltung in aller Regel zu Politikverflechtungen, mitunter auch zur Gewaltenverschrnkung. Bedeutet die Verteilung von Kompetenzen auf mehrere Ebenen zunchst eine vertikale Gewaltenteilung, kommt es dabei meist zu Gewaltenverschrnkung durch intergouvernementale Beziehungen zwischen den Exekutiven.[footnoteRef:21] Diese stehen aber im Widerspruch zu grundlegenden demokratischen Prinzipien, wie etwa dem der kollektiven Selbstbestimmung. Man msste, um Konflikte bei den verteilten Aufgaben zu vermeiden alle Kompetenzen zentralisieren, also den Fderalismus wieder abschaffen. Die Herausforderung liegt also darin, fderative Verfahren und Arten des Mehrebenenregierens, die mit Demokratie vereinbar sind, zu suchen und solche, die es nicht sind, zu vermeiden. (vgl. Benz, 2009, S.5) [21: Diese vom politischen Pragmatismus geprgt Tendenz kann dann lediglich durch die erreichten Ergebnisse legitimiert werden (Ouput-Legitimation). ]

Im Hinblick auf die EU als eine komplexes Modell des Mehrebenenregierens, tauchen in Bezug auf die fderative Ordnung und deren Legitimation zwei Fragen auf. Zum einen die Frage nach der Input-Legitimitt, also wie sich die einzelnen Interessen der Brger in ein ffentliches Interesse umwandeln lassen, welches als Richtlinie fr die Politik gilt? Auf Seite der Output-Legitimitt muss gefragt werden, was die Regierung veranlasst, im ffentlichen Interesse zu handeln, und nicht in ihrem eigenen? In komplexen politischen Systemen versagen liberale oder deliberative Konzepte zur Herausbildung eines kollektiven, ffentlichen Interesses eben aufgrund der bestehenden Komplexitt.[footnoteRef:22] Es entsteht in zwei miteinander gekoppelten Prozessen, die zudem eine kontinuierliche Wiederholung bentigen. Die politische Fhrung entwirft Politikvorschlge oder mgliche Lsungen, von denen sie annimmt, dass sie das ffentliche Interesse abbilden. Im zweiten Prozess werden diese Vorschlge und Entscheidungen geprft, ob sie dem ffentlichem Interesse auch wirklich entsprechen, was wahrscheinlich der Fall ist, wenn ihnen eine Mehrheit im Parlament oder in der Whlerschaft zustimmt. Die Verantwortlichkeit der Regierenden auf der anderen Seite ist mit der Mglichkeit der Sanktion durch Abwahl gesichert, wobei laut Benz weniger die Sanktionierung von Bedeutung ist. Viel wichtiger seien Verfahren, die diesen kollektiven, zweigleiigen (Lern-)Prozess der wechelseitigen Anpassung von ffentlicher Meinung (auf Seite der Regierten) und Politikangebot (auf Seite der Regierenden) sicherstellen. (vgl. Benz, 2009, S.11ff) [22: Benz fhrt an, dass in komplexen System die Deliberation von Eliten dominiert wird, und somit defizitr ist. Und auch die Mehrheitsregel kann bei der Aggregation vielfltiger Interessen keine eindeutigen Ergebnisse erzielen, da die Mehrheiten je nach Verfahrensweise differieren.]

Hierbei ergibt sich ein grundlegendes theoretisches Problem bei den Entscheidungsverfahren auf europischer Ebene. Solange (im Ministerat) nach dem Einstimmigkeitsprinzip entschieden wird, hat jeder Akteur zumindest die Chance gleicher Interessensverwirklichung, was jedoch die Effektivitt des Regierens behindert. Eingeschrnkte Effektivitt mindert auch die Mglichkeit der Regierenden, ihr Politikangebot zu verndern, selbst wenn dies von den Whlern oder dem Parlament gefordert wird. (vgl. Benz, 2009, S.14) Wie schon im Abschnitt 5.2 gezeigt wurde, treten andererseits Probleme mit der Legitimation und Verantwortungszuweisung auf, sobald das Einstimmigkeitsprinzip durch ein Mehrheitsverfahren ersetzt wird. Es bleibt also eine wichtige Herausforderung, hier ein ertrgliche Balance zwischen demokratischer Legitimation und politischer Effektivitt zu schaffen.5.5 Dominanz des fderalen PrinzipsAuf diese berlegungen aufbauend, erscheint es aus demokratietheoretischer Sicht nicht unproblematisch, wenn man, so Peter Graf Kielmansegg, argumentiert, dass das fderale Prinzip in der EU das demokratische dominiert, ja dominieren msse. Dies ergibt sich aus der, bereits in Abschnitt 5.1 dargestellten Tatsache, dass die Zugehtikeit zur EU bestenfalls ein schwaches, sekundres Merkmal der politischen Identitt der beinahe 500 Million EU-Brger ist. Deshalb muss insbesondere die verfassungsgebende Gewalt in der EU bei den europischen Vlkern, und nicht bei dem europischen Volk liegen. Unter dieser Prmisse muss also bei Verfassungsfragen das fderale Prinzip, in Form des Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat, ber dem demokratischen stehen. Aber auch beim europischen Rechtssetzungsprozess dominiert das fderale Prinzip, da dem Ministerrat als Element der fderale Reprsentation (immer noch) die zentrale Rolle zuteil wird.[footnoteRef:23] (vgl. Kielmansegg, 1996, S.67) [23: Zudem fhrt Kielmansegg an, dass auch die Benennungsrecht der nationalen Regierungen fr die EU-Kommission und den EuGH das fderale Prinzip vor dem demokratischen betonen.]

6. Mglichkeiten der Demokratisierung

In den vorherigen Abschnitten wurden bereits einige Lsungsvorschlge, insbesondere hinsichtlich der institutionellen Defizit, genannt. Zunchst bleibt aber festzuhalten, dass nationalstaatliche Demokratievorstellungen nicht einfach auf die Gemeinschaft bertragen werden knnen.(vgl. Bauer, 2005, S.9) Wenn aber der bisherige Bezugsrahmen des Nationalstaats wegfllt, dann mssen alle Elemente von Gesellschaft, Staat und Demokratie neu berdacht und ihre Beziehungen untereinander berprft werden.(Leie, 1998, S.230) Wobei die Wissenschaft lediglich eine Hilfestellung geben kann, die Entscheidungen mssen letztlich von der Politik getroffen werden, deren Arbeit noch erschwert wird, da es immer noch keine Einigung ber die Finalitt der Europischen Union gibt. (vgl. Leie, 1998, S.231) Hinsichtlich der institutionellen Reformvorschlge herrscht eine groe Auswahl, wobei viele davon auf eine strkere Parlamentisierung hinauslaufen, um die Legitimationsleistung zu verbessern und somit das Demokratiedefizit zu beseitigen. Der am weitest reichende Vorschlag umfasst ein vollwertiges Budgetrecht, die volle Kontrolle ber den politischen Prozess sowie das Recht auf die Wahl der Kommission und ihres Prsidenten. Somit wre das Europische Parlament, dass ja eine direkte Legitimation durch die Wahl der Brger innehat, die zentrale Institution auf europischer Ebene. Der Ministerrat wrde dabei als eine Art zweiter Kammer und Lndervertretung, hnlich dem Bundesrat, bestehen. (vgl. Schmidt, 2000, S.432)Auerdem knnten etwa die nationalen Parlamente in den Entscheidungsprozess auf europischer Ebene einbezogen werden. Ein Vorschlag wre, die jeweiligen nationalen Minister im Rat durch die nationalen Parlamente zu kontrollieren, etwa mittels einer Informationspflicht. Die Kontrollfunktion knnte zudem erhht werden, wenn die EU-Kommission verpflichtet wre, ihre Legislativvorschlge direkt an die nationalen Parlamente zu schicken. Zudem knnten die nationalen Parlamente zu berwachung des Subsidiarittsprinzips[footnoteRef:24] herangezogen werden, indem sie innerhalb einer Frist Bedenken bezglich eines Gesetzesentwurfs vorbringen knnen, die dann nochmals vom Europischen Parlament berprft werden mssen. Eine weiter Mglichkeit der (vgl. Calliess, 2005, S.304ff) [24: Das Subsidiarittsprinzip ist im europischen Einigungsprozess seit dem Vertrag von Maastricht verankert, der der Gemeinschaft vorschreibt, nur in ihrem ausschlielich festgelegten Zustndigkeitsbereich ttig zu werden oder falls Manahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden knnen. ]

Die Aufwertung des Europischen Parlaments wird kontrovers diskutiert. Einige Autoren sind der Ansicht, dass man die Kompetenzen des Parlaments so ausweiten msste[footnoteRef:25], dass es sich die Brger nicht mehr leisten knnen, die Europawahl als unbedeutend und nichtig zu betrachten. Damit, so das Argument, knnte man zugleich eine Identittsbildung durch Politisierung ankurbeln und den Grundstein fr eine gemeinsame europische Identitt legen. Dieses Argument ist jedoch mit Skepsis zu betrachten, denn zum einen ist trotz zunehmender Kompetenzzuwchse die Wahlbeteiligung immer weiter gesunken. Zum anderen sind es gerade die schwache europische Identitt, die bezweifeln lsst, ob parlamentarische Mehrheitsentscheidungen bei Minderheiten auf Akzeptanz stoen oder doch eher als Fremdbestimmung verstanden werden. (vgl. Hurrelmann, 2008, S.7) Auch Manfred Schmidt bezweifelt, ob durch eine Aufwertung des Europischen Parlaments das strukturelle Demokratiedefizit gelst werden kann. Denn die kollektive Identitt und ein europisierter politischen Diskurs knnen nicht erzwungen werden. Nur langfristig und mit einem Ausbau hin zur Kultur- und Sprachunion lassen diese strukturellen Mngel beseitigen, wobei man die Bildungshoheit hierzu wahscheinlich auf europische Ebene verlagern msste. Oder man orientiert sich am schweizerischen System, in dem der ffentliche Diskurs zwar getrennt in den verschiedenen Sprachgruppen stattfindet, aber von einer bergreifenden Kommunikation und Kooperation der politischen Eliten begleitet wird. (vgl. Schmidt, 2000, S.434ff) [25: Zum Beispiel indem man die Kommission von Parlament gewhlt wird, und von dessen fortwhrender Untersttzung abhngig ist.]

7. Resmee

Die unglaubliche Vielfalt an Meinungen und Arbeiten zu dem Thema machen es nicht grade leicht, die bersicht zu behalten, weshalb abschlieend eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse sinnvoll erscheint. Wie es im Text bereits errtert wurde, gibt es auch Stimmen, die die Europischen Union fr schwer zu demokratisierend oder fr nicht demokratiefhig halten. Die Argumentation dieser Autoren geht aber meist von einem, in diesem Fall berholten oder nicht ausreichend Verstndnis von Demokratie aus. Demokratie wird hierbei zu sehr im Rahmen des traditionellen Nationalstaats gedacht. Deshalb schliee ich mich der Meinung an, dass die EU sehr wohl demokratiefhig ist, man dabei aber den Demokratiebegriff weiterentwicklen und -denken muss. In diesem Zusammenhang wird oft die These angefhrt, dass sich die Demokratie zur Demoi-kratie wandeln mssen.Es bleibt festzuhalten, dass die Europischen Union demokratiefhig ist, aber elementare demokratischer Prinzipien, wie etwa Legitimation von Herrschaft, Gleichheit der Stimme und Mglichkeiten der Partizipatin in institutioneller Sicht defizitr sind. Obwohl die EU mittlerweile berein betrchtliches Ma an Legitimation verfgt[footnoteRef:26], berwiegen die Argumente der Befrworter eines Demokratiedefizit. (vgl. Schmidt, 2000, S.435ff) Auerdem bleibt ein zentraler Aspekt das Fehlen eines (zumindest politischen) europischen Demos. Selbst wenn man vom schweizer Modell ausgeht, hat die EU noch keine ausreichende Homogenitt der Brger (und der Interessen der Eliten) erreicht um einen europaweiten politischen Willensbildungsprozess zu etablieren. [26: Interesant ist jedoch, dass die Anhnger der Meinung, es gebe kein Demokratiedefizit, argumentieren, dass falls ein Demokratiedefizit besteht, dieses zumindest demokratisch legitimiert ist. Dies wird auch von Kritiker der Demokratie in der EU nicht vollkommen abgestritten, in Anbetracht der gestiegenen Legitimationsleistung der EU.]

Die Komplexitt der EU und ihrer Institutionen verschliet sich einfachen Lsungen, wobei wie gezeigt es einige vielversprechende Reformvorschlge gibt. Man sollte aber bedenken, dass Demokratisierungsmglichkeiten (insbesondere die der strukturellen Defizite) meist nicht ohne eine zumindest vage Vorstellung der endgltigen politischen Form der Europischen Union erdacht werden. Die Finalitt der EU ist somit wichtiger Aspekte bei der Weiterentwicklung der europischen Staatengemeinschaft. Wie weit man hier zusammen gehen mchte, oder ob sich doch nationalstaatliche Interessen durchsetzen, bleibt ungewiss und macht die politikwissenschaftliche Debatte um die Zukunft und die Reformen der EU zu einem spannenden und lebhaften Thema.

Biblographie

Abromeit, Heidrun: Ein Vorschlag zur Demokratisierung des europischen Entscheidungssystems, in: Politische Vierteljahresschrift, Ausgabe 29, Verlag fr Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 1998 Bauer, Hartmut: Demokratie in Europa - Einfhrende Problemskizze, in: Bauer, Hartmut/Huber, Peter M./Sommermann, Karl-Peter (Hrsg.): Demokratie in Europa, Mohr Siebeck Verlag, Tbingen, 2005 Benz, Arthur: Ein gordischer Knoten der Politikwissenschaft? Zur Vereinbarkeit von Fderalismus und Demokratie, in: Politische Vierteljahresschrift, Ausgabe 50, Verlag fr Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2009 Benz, Arthur: Politikwissenschaftliche Diskurse ber demokratisches Regieren im europischen Mehrebenensystem, in: Bauer, Hartmut/Huber, Peter M./Sommermann, Karl-Peter (Hrsg.): Demokratie in Europa, Mohr Siebeck Verlag, Tbingen, 2005 Bollen, Kenneth A./Jackmann, Robert W.: Democracy, Stability and Dichotomies, in American Sociological Review, Volumen 54, American Sociological Association, Washington D.C., 1989 Calliess, Christian: Optionen zur Demokratisierung der EU, in: Bauer, Hartmut/Huber, Peter M./Sommermann, Karl-Peter (Hrsg.): Demokratie in Europa, Mohr Siebeck Verlag, Tbingen, 2005 Coultrap, John: From Parliamentarism to Pluralism. Models of Democracy and the European Unions Democratic Deficit, in: Journal of Theoretical Politics, Volume 11, Sage Publications, London, 1999 Dahl, Robert Alan: Democracy and its critics, Yale University Press, New Haven, 1989 Gabriel, Oscar W./Kropp, Sabine (Hrsg.): Die EU-Staaten im Vergleich. Strukturen, Prozesse, Politikinhalte, 3.Auflage, Verlag fr Sozialwissenschaften, 2008 Huber, Peter M.: Demokratiefhigkeit in der Europischen Union, in: Drexl, Josef/Kreuzer, Karl F./Scheuning, Dieter H./Sieber, Ulrich (Hrsg.): Europischen Demokratie, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 1999 Hurrelmann, Achim: Demokratie in der Europischen Union: Bestandsaufnahme, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Ausgabe 32, bpb Bundeszentrale fr politische Bildung, Bonn, 2008 Hurrelmann, Achim: Verfassung und Integration in Europa: Wege zu einer supranationalen Demokratie, Campus Verlag, Frankfurt/Main, 2005 Kielmansegg, Peter Graf: Integration und Demokratie, in: Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate: Europische Integration, Leske + Budrich Verlag, Opladen, 1996 Kirsch, Andrea: Demokratie und Legitimation in der Europischen Union, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 2008 Leie, Olaf: Demokratie auf europisch: Mglichkeiten und Grenzen einer supranationalen Demokratie am Beispiel der Europischen Union, Europischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 1998 Malek, Tanja: Politikgestaltung auf europischer Ebene, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 2002 Nettesheim, Martin: Demokratisierung der Europischen Union und Europisierung der Demokratietheorie, in: Bauer, Hartmut/Huber, Peter M./Sommermann, Karl-Peter (Hrsg.): Demokratie in Europa, Mohr Siebeck Verlag, Tbingen, 2005 Nohlen, Dieter/Schultze, Rainer-Olaf: Lexikon der Politikwissenschaft Offe, Claus: Demokratie und Wohlfahrtsstaat: Eine europische Regimeform unter dem Stre der europischen Integration, in: Streeck, Wolfgang (Hrsg.): Internationale Wirtschaft, nationale Demokratie: Herausforderungen fr die Demokratietheorie, Campus Verlag, Frankfurt/Main, 1998 Scharpf, Fritz W.: Politische Optionen im vollendeten Binnenmarkt, in:Jachtenfuchs, Markus/Kohler-Koch, Beate: Europische Integration, Leske + Budrich Verlag, Opladen, 1996 Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien, Eine Einfhrung, 3.Auflage, Leske + Budrich Verlag, Opladen, 2000 Zulegg, Manfred: Demokratie ohne Volk oder Demokratie der Vlker? - Zur Demokratiefhigkeit der Europischen Union, in: Drexl, Josef/Kreuzer, Karl F./Scheuning, Dieter H./Sieber, Ulrich (Hrsg.): Europischen Demokratie, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 1999

1