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Wandel möglich machen Den Sozialraum wahrnehmen – Impulse für die „Kirche am Ort“ Anregungen zur Sozialraumanalyse

Den Sozialraum wahrnehmen – Impulse für die „Kirche am Ort“...Vorwort Seite 04 Grundlagen Einführung Seite 08 „Räumlich denken“ – Was bedeutet „Sozialraum“ Seite

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  • Wandelmöglich machen

    Den Sozialraum wahrnehmen – Impulse für

    die „Kirche am Ort“

    Anregungen zur Sozia

    lraumanalyse

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  • IMPRESSUM

    REDAKTION Michael Elmenthaler, Dr. Christiane Bundschuh-Schramm,Alexander Bair, Bernd Müller

    GESTALTUNG Werbeagentur Know-How, Herrenberg

    DRUCK Druckerei Maier, Rottenburg

    HERAUSGEBER Bischöfliches OrdinariatHauptabteilung IV – Pastorale Konzeptionder Diözese Rottenburg-StuttgartPostfach 9, 72101 Rottenburg

    INTERNETAUFTRITT www.kirche-am-ort.deEMAIL [email protected]

    Rottenburg, 2016

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  • Vorwort Seite 04

    GrundlagenEinführung Seite 08„Räumlich denken“ – Was bedeutet „Sozialraum“ Seite 10

    Aus biblischen Quellen schöpfenWandel gestalten am Beispiel der Josuageschichte Seite 14Die „Zeichen der Zeit“ erkennen Seite 19Genau hinschauen, was da ist Seite 20Sich dem Strom des Lebens anvertrauen und loslassen Seite 21

    Den Sozialraum wahrnehmenDer Demographiebericht der Bertelsmann Stiftung als Datenquelle Seite 27Das Netzwerk wird sichtbar – im Netz Seite 30Das Leben der Menschen bei einem Gemeinderundgang wahrnehmen Seite 32Gesellschaftliche Milieus der Menschen erkennen Seite 36Gott lebt in unserer Stadt – Impulsfragen zur Spurensuche Seite 42

    Die Gemeinde/Seelsorgeinheit verstehenEntwicklungen und Trends erkennen – kirchliche Statistiken auswerten Seite 46Die Pastoralvisitation als Chance nutzen Seite 49Gemeindebefragung Seite 50Wie sehen Kirchengemeinde- oder Pastoralräte ihre eigene Kirchengemeinde Seite 51Ziele bestimmen die Analyse Seite 57Nach Sehen und Urteilen auch Handeln Seite 59

    Erfolgreich planenDie Kraftquelle des Erfolgs entdecken Seite 62Acht W-Fragen für eine erfolgreiche Projektplanung Seite 65

    Überraschend präsent seinDer Gemeinde auf dem Marktplatz begegnen Seite 70Moderne „Schatzsuche“ Seite 71

    AnlageVerwendete Quellen und hilfreiche Links Seite 76

    Inhaltsverzeichnis

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  • 4 | K I R C H E A M O R T

    Vorwort

    Liebe Verantwortliche in den Gemeinden und Seelsorgeeinheiten unserer Diözese,

    immer mehr weitet sich in unserer pastoralen Situation der Blick über Gemeindegrenzen hinaus. Es zeigen sich neue Kooperationspartner oder kommen andere verstärkt in den Blick. Pastorale Orte und Handlungsräume tun sich auf– z.B. in den unterschiedlichen kategorialen Feldern oder verschiedenen sozial-caritativen Prozessen wie „Caritasim Lebensraum“ (DiCV) oder „Menschen besuchen und begleiten“ (CKD). Schließlich entdecken wir mehr und mehrden ganzen Sozialraum, in dem die jeweilige Gemeinde ist und wir erfahren voller Neugierde und Interesse, wo undwie Menschen auch jenseits unserer Gemeindegrenzen leben, was sie bedrückt, welche Hoffnungen sie in sichtragen und wozu sie Unterstützung und Hilfe auch von der Kirche erwarten.

    Es wird deutlich, dass Kirche über die Gemeinde hinaus geht. Unser diözesaner Entwicklungsprozess „Kirche amOrt – Kirche an vielen Orten gestalten“ wird deshalb bewirken, dass die Sozial- und Lebensräume, in denen Men-schen leben und die sie gestalten, vermehrt in den Blick kommen.

    Alle Menschen, gleich welcher religiösen, konfessionellen oder weltanschaulichen Prägung, sind Adressaten undPartner des pastoralen Handelns, weil wir für alle die heilsame und freimachende Botschaft des Evangeliums präsenthalten wollen und sie mit allen in ihren jeweiligen Lebenwirklichkeiten entdecken möchten.

    Mit dieser Arbeitshilfe laden wir Sie ein, die engen Grenzen der eigenen Gemeinde zu überschreiten und den jewei-ligen Sozialraum in Ihrer Stadt, Ihrer Kommune, Ihrem Dorf oder Ihrer Seelsorgeeinheit in den Blick zu nehmen. Siefinden in diesem Heft Sehhilfen, um ihr konkretes pastorales Handeln zu reflektieren und vielleicht auch ganz neueund andere Schwerpunkte zu setzen, getragen von dem Wissen, dass Gott schon immer und lange vor unserem pa-storalen Planen und Handeln den Menschen zugewandt ist.

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    Diese Arbeitshilfe unterstützt Sie dabei, vor ihren Planungen genau hinzuschauen, damit schließlich Ihr „Entwick-lungsplan Pastoral“ eine realistische und ortsbezogene Grundlage hat.

    Wir gleichen damit den Kundschaftern, die Mose ausschickt, um das Gelobte Land zu entdecken bzw. um die Früchteaufzufinden, die dort ohne das eigene Zutun gewachsen sind. So können wir zu einer missionarischen Kirche werden,die zu den Menschen eine Botschaft trägt, die aber gleichzeitig durch die Geschichte Gottes mit jedem Menschenihrerseits wieder missioniert wird.

    Von Herzen danke ich den drei Autoren, die recherchiert und Neues erdacht haben, damit diese Arbeitshilfe nun zurVerfügung gestellt werden kann. Sie wurde bereits vor 5 Jahren erstmals veröffentlicht. Danke an die Projektkoor-dination von „Kirche am Ort“, die diese Arbeitshilfe für eine erneute Auflage durchgesehen und angepasst hat.

    Ich wünsche Ihnen, dass darin viele hilfreiche Anregungen enthalten sind, dass wir mit großem Interesse auf Ent-deckungsreise gehen und staunend wahrnehmen können, wie das Reich Gottes am Wachsen ist.

    Ihr

    Matthäus KarrerDomkapitularLeiter der HA IV - Pastorale Konzeption

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  • Grundlagen

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    „Krise kann ein produktiver Zustand sein. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.”Max Frisch

    Die Verantwortlichen in Gemeinden, Gemeinden für Katholiken anderer Muttersprache, Seelsorgeeinheiten, Einrich-tungen, Gruppen und Verbänden spüren, dass es vielerorts in Zukunft nicht mehr so geht, wie es bisher ging. Gemeindearbeit verändert sich ständig. Viele teilen den Eindruck, dass Geschwindigkeit und Grundsätzlichkeit gesellschaftlicher Veränderungen die kirchlichen Lebensformen derzeit in ganz besonderer Weise herausfordern.Menschen grenzen sich in „Milieus“ zunehmend voneinander ab. Die Vielfalt an ausgeprägten Profilen von Einzelnen,Gruppen und Organisationen nimmt zu – ein Blick auf Homepages und Networks im Internet bestätigt dies. Die Bedeutung und Bindungsfähigkeit von Institutionen und großen Organisationen nimmt ab, während die persönlicheFreiheit wichtiger wird. Die zunehmende Suche nach Orientierung ist begleitet vom Entschluss, sich nicht dauerhaftverpflichten zu wollen. Gleichzeitig nimmt das Bedürfnis nach aktiver Teilhabe und Mitgestaltung zu.

    Vielerorts suchen Verantwortliche mit wenig Erfolg nach ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, umetablierte kirchliche Lebensfelder und Gremien weiter „besetzen“ zu können, während Menschen gleichzeitig durch-aus ansprechbar sind für religiöse oder soziale Fragestellungen – ohne aber deshalb auf die Idee zu kommen, sichin der Gemeinde ehrenamtlich zu engagieren. Sie tun dies oft in anderen Einrichtungen oder Organisationen undmachen auf diese Weise Kirche an vielen Orten präsent - ohne dies explizit zu benennen. Auch Verantwortliche inGemeinden nehmen vermehrt wahr, dass Kirche an vielen Orten gestaltet wird und suchen selber nach Gelegenheitenfür ein Engagement auf Zeit. Der Dienst von Kirchen, Rituale und Lebensübergänge sinnvoll zu gestalten, wird dank-bar angenommen und angesichts von Krisen oder katastrophalen Ereignissen sind Kirchen der Ort, an dem sichMenschen versammeln. Dies führt aber keinesfalls zu einem regelmäßigen Gottesdienstbesuch ...

    Das sind nur ein paar „Splitter“ aktueller pastoraler Herausforderungen. Wenn Krisen auch Chancen sind, dannleben wir in einer ungeheuer spannenden Zeit. Es gilt herauszufinden, wo und wie „Kirche am Ort“ in Zukunft le-bendig sein soll. Dabei ist abzuwägen, was an unseren Handlungsfeldern sterben darf, damit Neues auferstehenund Raum finden kann. Dies ist die Dynamik des Wandels – Tod und Auferstehung, loslassen und neu geschenktbekommen. Das Eine gibt es nicht ohne das Andere. Aber – was loslassen und was halten? Wir tun uns eher leicht,Schwerpunkte zu setzen, gerne auch immer mehr und möglichst ideal, während es viel weniger gelingt, Nachran-gigkeiten zu definieren und damit gestalterische Freiräume zu schaffen. Voraussetzung dafür, dass Verantwortlichein Gemeinden und Seelsorgeeinheiten entscheiden können, wie sie in Zukunft „Gemeinde Jesu Christi“ sein wollen,ist das Lesen von „Zeichen der Zeit“. Gott wirkt in der Zeit – das ist unser Bekenntnis. Gott wirkt im Leben derMenschen – deshalb möchten wir „Gott und den Menschen nahe“ sein.

    Hauptberuflich und ehrenamtlich Mitarbeitende sind unersetzlich. Genauso wichtig ist aber das Bewusstsein, dassGott immer schon bei den Menschen angekommen ist, bevor wir auftauchen und dass die nach unseren Wünschen„gemachte“ Pastoral manchmal an seinen Plänen scheitert – Gott sei Dank.

    Einführung

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    Umso wichtiger ist es, genau hinzuschauen, hinzuhören und hineinzufühlen, wo Gott einlädt, seine Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter zu sein – und die angebotenen Chancen zu ergreifen.

    Den eigenen Sozialraum kann man mit ganz unterschiedlichen „Brillen“ wahrnehmen und analysieren: kritisch oderwohlwollend, distanziert oder voreingenommen, pessimistisch oder idealistisch. Die eigene Brille bestimmt, was wirsehen oder übersehen. Gerade deshalb bedarf die Analyse einer geistlichen Haltung. Dann kann schon das Sehenzu einem schöpferischen Akt werden. Im diözesanen Entwicklungsprozess "Kirche am Ort – Kirche an vielen Ortengestalten" kommt diesem „Hinschauen“ von Beginn an eine zentrale Bedeutung zu. Wenn Kirche Partnerin anderersein möchte zum Wohl der Menschen, brauchen die Akteure Klarheit darüber, wer denn alles im Raum einer Seel-sorgeeinheit und Gemeinde mit diesem Anliegen unterwegs ist, welche Gruppen und Einrichtungen bestehen undwie konkret das Netzwerk „Kirche am Ort“ gestaltet werden kann. Schließlich ist Kirche umfassender als das, wasin einer Gemeinde wahrgenommen werden kann. Deshalb braucht es den Blick nicht nur auf die 10% derer, die„kommen“, sondern auch auf die 90% der Getauften, die sich möglicherweise in ihrem Alltag um ein christlichesLeben bemühen, das aber gar nicht gesehen wird. Darüber hinaus gibt es die vielen Menschen, die zwar nicht Mit-glied der Kirche sind, mit denen uns aber gemeinsame Anliegen verbinden oder die unsere Unterstützung und Hilfebrauchen. Auftrag der Kirche ist die Welt.

    „Die Dinge, die wir später bereuen, sind nicht die Fehler, die wir gemacht haben. Die Dinge, die wir später bereuen, sind die Chancen, die wir nicht ergriffen haben.”unbekannter Verfasser

    Wir möchten mit dieser Arbeitshilfe sensibilisieren und motivieren, nach den eigenen Ressourcen zu forschen. Wirerschließen dazu biblische Zugänge und geben den Verantwortlichen Material an die Hand, damit sie den Sozialraum,dessen Teil ihrer Gemeinde ist, wahrnehmen können. Wir haben nach etwas ungewöhnlichen „modernen“ Ansätzengesucht, um die vielschichtige Wirklichkeit der Menschen und die Chancen zur Vernetzung untereinander in denBlick zu bekommen. Schließlich möchten wir dazu beitragen, mehr über die eigene Gemeinde und Seelsorgeeinheitzu erfahren. Das angebotene Handwerkszeug öffnet die Augen für die pastoralen Ansätze einer missionarischenKirche, die eine beziehungsreiche Kirche mit den Menschen am Ort ist. Konkrete Planungshilfen stehen am Endedieser Arbeitshilfe. Diese Arbeitshilfe richtet sich zuerst an Verantwortliche in Seelsorgeeinheiten und Kirchenge-meinden. Die zahlreichen Impulse können aber auch für Verbände, Einrichtungen und Initiativen hilfreich sein, die„Kirche am Ort“ in ihrer Vielfalt lebensnah gestalten möchten.

    Wir freuen uns, wenn Sie mit dem hier vorliegenden Material Schritte in Ihrer Gemeinde gehen können, die Ihnendie Lebenswirklichkeit der Menschen am Ort vertieft erschließen. Daraus können sich dann ganz vielfältige und un-terschiedliche Konsequenzen ergeben, wie Sie am Ort antworten – als Kirchengemeinde, Gemeinde für Katholikenanderer Muttersprache, als Seelsorgeeinheit oder als Einrichtung und Verband.

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  • 10 | K I R C H E A M O R T

    Wir sind gewohnt, in Flächen zu denken. Auch Kirchen-gemeinden denken wir oft als Territorium. Der Flächefehlt aber eine wichtige weitere Dimension, nämlich dieder Beziehungen untereinander, des konkreten Lebensund Zusammenlebens. Diese versuchen wir, mit dem Begriff „Sozialraum“ zu fassen. Der Deutsche Caritas-verband arbeitet schon lange mit dem Begriff der „So-zialraumorientierung“. Diese dort verwendete Definitionsowie die fünf handlungsleitenden Prinzipien des Cari-tasverbandes sind auch für die Pastoral eine wichtigeOrientierung. Der nachfolgende Text ist aus „neue Cari-tas 11/2013, II.III“.

    Der Sozialraum

    Der Sozialraum wird definiert als sozialgeografisch ab-grenzbarer Lebensraum, der sowohl durch strukturelleals auch durch soziale Merkmale gekennzeichnet ist: AlsBezirk, Stadtteil oder Dorf hat der Sozialraum für diekommunale Verwaltung und Planung sowie als politi-sches Gemeinwesen räumlich und objektiv fassbareGrenzen und Strukturen.

    Zugleich ist der Sozialraum als Wohn- und Lebensumfeldeine subjektiv wahrgenommene Kategorie. Er wird durchsoziale Beziehungen, Aktivitäten und persönliche Inte-ressen im Alltag jeder Person und damit durch ihrejeweils individuelle lebensweltliche Realität bestimmt.

    Die subjektive Lebenswelt verfügt über räumliche undobjektiv fassbare Einflussgrößen, die den sozialen undgeografischen Raum miteinander verbinden: Sie gestal-ten in Wechselwirkungsprozessen das Wohn- und Lebensumfeld der Menschen – den sozialen Nahraum,den Stadtteil, die Nachbarschaft. Der Sozialraum wird sozugleich zu einer definierten, administrativen Planungs-und Verwaltungsdimension und strukturiert das politi-

    sche Gemeinwesen. Die Grenzen des Sozialraumes sindnach diesem Verständnis aus pragmatischen Steuerungs-notwendigkeiten einerseits festgelegt und andererseitsdurch die subjektiv unterschiedliche Wahrnehmung flie-ßend. Gerade die persönlichen Beziehungen und Kon-takte beschränken sich beispielsweise je nachLebensalter oder ökonomischer Ausgangslage in derRegel nicht allein auf das unmittelbare Wohnumfeld undsind mittlerweile auch durch virtuelle Kontakte zuneh-mend geografisch losgelöst.

    Sozialraumorientierung

    Ziel der Sozialraumorientierung ist es, den Sozialraumgemeinsam mit den Menschen und ausgehend vonihrem Willen und ihren Bedarfslagen zu gestalten. Dabeiwerden in einem mehrdimensionalen Ansatz – anknüp-fend an die Tradition der Gemeinwesenarbeit – sozial-arbeiterische Handlungskonzepte mit Strategien dersektorenübergreifend angelegten, integrierten Dorf be-ziehungsweise Stadtentwicklung und Raumplanung ver-bunden.

    Die Caritas orientiert sich bei der Umsetzung von Sozi-alraumorientierung an fünf handlungsleitenden Prinzi-pien:

    1. Interessen und Wille der Menschen als AusgangspunktAusgangspunkt aller Aktivitäten im Sozialraum sinddie Interessen und der erklärte Wille der Bewohner-schaft eines Stadtteils, einer Nachbarschaft odereines Dorfes. Als lokale Akteure und Impulsgeberfür Entwicklungen und Prozesse bringen sie ihre Er-fahrungen und ihr Wissen über die Verhältnisse vorOrt aktiv gestaltend mit ein.

    „Räumlich denken“ – Was bedeutet „Sozialraum“

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    2. Eigeninitiative und Selbsthilfe als starke Motoren Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Lebenssituationsollen nicht für, sondern gemeinsam mit den Men-schen im Sozialraum erdacht, geplant und durchge-führt werden. Alle sollen im Rahmen ihrer Möglich-keiten dazu beitragen. Eine befähigende, aktivie-rende, moderierende Arbeit hat Priorität.

    3. Ressourceneinsatz aller Akteure vor Ort als LösungsansatzSozialraumorientierung geht von den persönlichenStärken und Potenzialen des/der Einzelnen aus undaktiviert diese. Zugleich werden alle verfügbaren so-zialräumlichen Ressourcen personeller, institutionel-ler oder materieller Art in den Blick genommen undmobilisiert. Persönliche Netzwerke, die Angebote derbestehenden Infrastruktur, im Sozialraum angesie-delte Unternehmen, soziale Dienste und Einrichtun-gen oder Pfarrgemeinden/pastorale Räume könnenganz spezifische Beiträge zur Verbesserung der Le-bensqualität im Sozialraum leisten.

    4. Zielgruppenübergreifender FokusSozialraumorientierung erfordert eine erweiterteSicht auf ein Wohngebiet und die dort lebendenMenschen: Aktionen werden ausgehend von ge-meinsamen Interessen der Bewohnerschaft einesSozialraums geplant und durchgeführt. Sie sollenvon möglichst vielen und unterschiedlichen Perso-nen- und Akteursgruppen jeweils im Rahmen ihrerMöglichkeiten getragen werden. Eine Vordefinitionvon Zielgruppen wird vermieden. Der Einzelfall wirdin den Kontext des Feldes gestellt.

    5. Bereichsübergreifende Kooperation und VernetzungSozialraumorientierte Arbeit nutzt die Kompetenzenund Ressourcen aller Bereiche durch den Aufbauund die Pflege von Kooperations- und Vernetzungs-strukturen zwischen der freien Wohlfahrtspflege mitihren Diensten und Einrichtungen, kommunaler Ver-waltung, Sozial- und Bauplanung, Pfarrgemeinden,Bildungseinrichtungen, lokaler Wirtschaft und derWohnungswirtschaft sowie den lokalen zivilgesell-schaftlichen Initiativen. Alle fünf Prinzipien zusam-mengenommen bedeuten: Gemeinsam mit denMenschen und anderen Akteuren vor Ort entwickeltdie Caritas Handlungsstrategien für den Sozialraumund trägt zu deren Umsetzung bei.

    Diese fünf Prinzipien gehören zusammen und werdenletztlich nur gemeinsam wirksam. Sie beinhalten eineSozialraumanalyse, die hinschaut und wahr nimmt, wieMenschen leben und wo konkret sich Armut zeigt oderLeben begrenzt wird. Hierzu zeigen die verschiedenenBausteine, die in diesem Heft beschrieben sind, Wegeauf. Analysen sind kein Selbstzweck. Sie geben Antwortauf konkrete Fragestellungen am Ort. Es gilt, der Gefahrzu begegnen, dass letztlich „nur“ Daten zusammen ge-tragen werden, aber keine Aktivierung der Menschenstattfindet, die selbst entdecken, wo Entwicklung anstehtund Engagement gefragt ist.

    Im Rahmen des Deutschen Caritasverbandes arbeiten18 Diözesan-Caritasverbände an insgesamt 47 regiona-len Standorten im Rahmen des Projektes „Gemeinsamaktiv im Sozialraum“ an sozialraumorientierten Ansät-zen, die sowohl städtische als auch ländliche Räume inden Blick nehmen. Unter www.caritas.de gibt es weitereInformationen und wertvolle Anregungen zu diesemThema.

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  • Aus biblischen

    Quellen schöpfen

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    „So werdet ihr wissen, welchen Weg ihr gehen sollt; denn ihr seid den Weg ja früher noch nie gegangen.”Jos 3,4

    Die Josuageschichte kann helfen, Veränderungen in un-seren Gemeinden, Gruppen und Einrichtungen in denBlick zu nehmen und einem biblisch begründeten Ent-wicklungsweg zu folgen.

    Das Buch Josua beginnt zu einer Zeit, als das Volk Israelbereits seit 40 Jahren in der Wüste unterwegs ist. Moses,dem Führer des Volkes, war es jedoch nicht vergönnt,das Land in Besitz zu nehmen. Seine Aufgabe soll nunJosua zu Ende bringen und das Volk in eine neue Zukunftführen.

    *nach Horst Bracks, Gemeindeakademie Rummelsberg

    1. Den Text wirken lassen:· Ein Besinnungstag oder ein Wochenende bietet Zeit und Raum, um den Text (Jos 1 - 4) zu hören, zu verstehen und wirken zu lassen.· Der biblische Text sollte langsam vorgelesen wer-den. In kurzen Pausen können die Teilnehmer ihre Impulse, Gedanken und Gefühle notieren, medita-tive Musik ist dazu hilfreich.

    2. Den Text übertragen:· Die vier Textpassagen (Vorbereitung – Kundschaf-ter – Passage – Denksteine) können in vier Klein-gruppen parallel besprochen werden, indem dieTeilnehmerInnen die auf den Textblättern aufge-worfenen Fragen beantworten.· Ergebnisse werden zusammengefasst und auf einem großen Blatt notiert.

    3. Die Ergebnisse mitteilen:· In einem großen Tagungsraum ist auf dem Fußbo-den mit blauen Tüchern der Fluss Jordan darge-stellt.· Die Sprecher der Gruppen teilen nacheinander ihre Ergebnisse mit, indem sie sich dem Fluss nähern, innehalten, ihn überqueren und die beschriebenen Blätter aufhängen.

    4. Die Konsequenzen bedenken:· In einem anschließenden Rundgespräch (oder in Murmelgruppen) werden die Ergebnisse bedacht und diskutiert.

    · Es wird erarbeitet, welche Konsequenzen die bibli-schen Impulse für die Veränderungsaufgaben in der Gemeinde/in der Organisation haben können.

    · Eine Entscheidung für Schwerpunkte, Optionen und Maßnahmen kann sich anschließen.

    Wandel gestalten am Beispielder Josuageschichte*

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    Die Josuageschichte Grundschritt Grundfrage Veränderungsprozess

    1. Die Vorbereitung (Jos 1,1-11)

    Mose ist gestorben. Abschied vom Alten Von was müssen wirJosua soll das Volk uns verabschieden?über den Jordan, Was hat sich überlebt?die Grenze führen. Was hat sich verändert?

    in das von Gott Die Vision Welche Vision haben wir?verheißene Land. Die Verheißung Welche Verheißung istGott wird bei Eine neue Perspektive uns zugesagt?seinem Volk sein, Das neue Zielseid mutig und stark

    handelt nach den Erinnerung Was wollen wir aus Gesetzen des Mose Ermahnung unserer Vergangenheit

    Bewahrung des Besten bewahren? An was aus der Vergangenheit wollen wir festhalten,

    weil es zu unserer Identität gehört?

    Hab keine Angst, Der Zuspruch Welchen Zuspruch Gott ist mit dir Der Segen brauchen wir?bei allem, was Welchen Zuspruch du unternimmst. hören wir?

    Welchen Zuspruch sprechen wir uns zu?Unter welchen Segen stellen wir uns?

    Geht, versorgt euch Die Überprüfung der Welche Kräfte und mit Lebensmitteln Ressourcen Mittel haben wir?für den Weg Die Vergewisserung Welche Kräfte müssen ins neue Land der Ressourcen wir konzentrieren und

    sammeln?

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  • K I R C H E A M O R T | 17

    Die Josuageschichte Grundschritt Grundfrage Veränderungsprozess

    2. Die Kundschafter (Jos 2,1-24)

    Geht, erkundet das Land Die Analyse der Auf was müssen (und seine Gefahren) Gefahren wir aufpassen?

    Die Analyse der Wo müssen wir Chancen vorsichtig sein?

    Mit welchen Widerständen ist zu rechnen? Was wartet auf uns imneuen Land? Was sind die Chancen?

    Rahab hilft den Externe Welche Unterstützung Kundschaftern Unterstützung können wir uns holen? und versteckt sie ist notwendig Was benötigen wir vor Verfolgern besonders?

    Die Kundschafter Zeit zum Haben wir genügendsind drei Tage Nachwirken lassen Zeit zum Verarbeiten?unterwegs im Wie planen wir den Gebirge und warten Übergang?

    Was müssen wir sammeln?

    3. Die Passage (Jos 3,1-17)

    Die Marschordnung Ordnung hilft Die Priester gehen wird verkündet: mit der Lade voran, die Lade, die Priester, Vorbilder machen Mutdas Volk …

    Priester tragen Die heiligen Symbole Was ist uns heilig?das Heiligtum vor bewusst machen Was gehört in unsere Lade?dem Volk her

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  • 18 | K I R C H E A M O R T

    Die Josuageschichte Grundschritt Grundfrage Veränderungsprozess

    Die Priester warten Da, wo die Angst am Wie kann uns Gott, Jesus,

    im Fluss, lassen größten ist, müssen die Gemeinde in der Angst

    das Volk vorbeiziehen das Heiligtum und beistehen? Welche

    die Priester sein. Verantwortung und

    Die Priester flüchten Vorbildfunktion haben

    nicht vor der Gefahr. unsere Führungskräfte

    Die Führungskräfte bei der Veränderung?

    gehen zuerst

    Das Volk zieht geordnet Schutz und Ordnung Was müssen Führungskräfte

    durch den Jordan wie schützen?

    Welche Ordnung brauchen

    wir für den Übergang?

    4. DENKSTEINE DES DURCHZUGS (Jos 4,1-51)

    Jeder Stamm sammelt Symbole der Welches Symbol wollen

    einen Stein zur Erinnerung Veränderug wir uns für diese Veränderung

    aus dem Flussbett und Symbole der Erinnerung geben? Was soll das Symbol

    trägt ihn ans Ufer ausdrücken ausdrücken für

    uns und für andere?

    Die Steine werden Alle sehen die Symbole Wertschätzung aller Symbole,

    aufgeschichtet auch die der anderen Stämme

    Nun gehen die Völker

    zügig ans andere Ufer

    Die Priester kommen mit Gott hält seinem Volk

    der Lade nach den Rücken frei, hat

    die Gefahr ausgehalten

    Das Wasser kommt Die Gefahr ist bewältigt

    zurück

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  • K I R C H E A M O R T | 19

    Das Lesen der „Zeichen der Zeit“ ist eine der wichtigstenQuellen unseres Glaubens. Diese „Zeichen der Zeit“ fin-den sich im Leben einzelner Menschen und im Zusam-menleben einer Gesellschaft. Wer also die Lebens-wirklichkeit von Menschen bewusst wahrnimmt, wirdsehen können, wie Gott auch heute handelt. Daraus ent-steht Motivation und Energie für Glauben und Handelnals Gemeinde, als Gruppe oder als Individuum. Esbraucht keine weiteren übernatürlichen Zeichen dafür,dass Gott gegenwärtig und immer „mit uns“ ist, als die„natürlichen“, die er in unserer Zeit setzt. Notwendig istvielmehr eine Wahrnehmungsschulung, um die „Zeichender Zeit“ zu erkennen. Bei „Kirche am Ort“ wird deshalbauch die Haltung des „Erwartens“ betont.

    Schon zu seinen Lebzeiten wurden von Jesus „Zeichenvom Himmel“ verlangt (vgl. Mt 16, 1). In unserer Pasto-ral heißen solche „himmlischen“ Erwartungen zum Bei-spiel: Die Menschen sollen wieder „zur Kirche kommen“,oder: Wir haben wieder genügend „Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter“. Es wäre schön, wenn manche pasto-ralen Erfolge vom Himmel fallen würden. Wir scheinenmanchmal ganz konkrete Zeichen zu wollen, die uns ver-sichern, dass sich Gott nach unseren Vorstellungen rich-tet – so wie damals die Pharisäer.

    Jesus antwortet seinen Zeitgenossen mit einem Tadel:„Ihr könnt das Aussehen des Himmels deuten, nicht aberdie „Zeichen der Zeit“ (Mt 16, 2). Einige dieser „Zeichender Zeit“ finden wir bei Matthäus beschrieben: „Blindesehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden reinund Taube hören; Tote stehen auf und den Armen wirddas Evangelium verkündet“ (Mt 11,5). „Wenn ich aberDämonen durch den Geist Gottes austreibe, dann ist dasReich Gottes schon zu euch gekommen“ (Mt 12, 28).Überall, wo diese „Wunder“ geschehen, ist Gott am Wir-ken. Da sind für unsere Kirchengemeinden und Seelsor-

    geeinheiten die Gesprächs- und Aktionspartner, weilGott bereits handelt – in der Welt und über unsere ei-genen Organisationsgrenzen als Kirche hinaus. Deshalbist der Blick über den Tellerrand auf die anderen Ak-teure im Sozialraum so wichtig. Unter folgendem Linkhttps://analysehhilfenkirchenentwicklung.wordpress.com/bietet das Team von "Kirche am Ort" immer wieder"Sehhilfen" zu den Zeichen der Zeit an, die für Kirchen-entwicklung relevant sind.

    Fragen zur Weiterarbeit in Gesprächskreisen oder Gremien

    Wie übersetzen und übertragen wir Begriffe wie blind,taub, tot, arm, dämonisch in die heutige Zeit. Welche Lebensumstände können damit heute beschrieben wer-den?

    Nach einer kurzen Einführung in das Thema: Wo gesche-hen „Zeichen der Zeit“ und wie verändern sie meinen/unseren Glauben sowie unser Handeln als Gemeinde?

    Wenn wir zeitgemäß Kirche am Ort sein möchten, diedie Zeichen der Zeit wahrnimmt, welche Gewichte müss-ten sich dann in der konkreten Pastoral verschieben?Was würden wir dadurch gewinnen?

    Das „Lesen der Zeichen der Zeit“ ist eine spirituelle Dimension und wesentliche Kraftquelle des Glaubens.Wie können wir in Verkündigung und Liturgie, bei loka-len Bräuchen oder in Gruppen und Kreisen diese Seitelebendigen Glaubens fördern?

    Die „Zeichen der Zeit“ erkennen

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  • 20 | K I R C H E A M O R T

    Impuls:Die biblische Geschichte der Brotvermehrung (Mk 6, 30-44) ist eine wunderbare Parabel für die Entwicklungs-schritte einer Gemeinde, einer Seelsorgeeinheit in ihremSozialraum.

    Viele Menschen sind hinter Jesus her. Sie haben erfahren,dass dieser Mann aus Nazareth gerade „in“ ist und er„einem etwas gibt“. Wie bei anderen Sinnanbietern pro-bieren sie es auch einmal bei ihm. Wo sie hingehören(wollen), wissen sie nicht, sind sie doch wie Schafe ohneeinen Hirten.

    Unvermeidlich regen sich gegen Abend menschliche Be-dürfnisse. Worte Jesu allein machen auch nicht satt. Esmuss noch etwas anderes geben. Aber denen, die bisherJesus am nächsten waren, fällt nur ein, die Leute weg-zuschicken. Sollen sie für sich selbst sorgen und ihrenHunger dort stillen, wo sie etwas finden. „Das geht unsnichts mehr an.“

    Jesus sieht das anders. Bei ihm sollen alle satt werdenkönnen und nicht nur die Apostel. Er verlangt das Un-mögliche: „Gebt ihr ihnen zu essen.“

    „Was? Das kann doch nicht dein Ernst sein. Wie denn?Wir haben doch selbst nichts – und übrigens: Tun wir dennnicht schon genug? Vielleicht lässt sich ja mit Geld etwasmachen.“ Weil Jesus die Menschen und ihre Lebensweltkennt, fordert er die Jünger auf: „Schaut doch zuerst ein-mal nach, was da ist. Es ist sicher genug für alle.“

    Das Sammelergebnis der Apostel ist nicht gerade um-werfend. Ganze fünf Brote und zwei Fische bringen siebei. Doch kein Grund für Jesus, den Mut zu verlieren,sondern Zeit für seinen (nicht gerade revolutionären) Or-ganisationsvorschlag: „Wenn ihr so da steht, als ob ihrnichts mit den anderen zu tun hättet, dann kann das mitdem Sattsein nichts werden. Setzt euch zusammen,schaut euch an und nehmt euch wirklich wahr, teilt eureTräume und Ideen. Investiert in gemeinsame Zeit undredet miteinander.“

    Jetzt hat Jesus alles, was nötig ist, um die Vielen satt zumachen. Das, was Gott in den verschiedenen Begegnun-gen und Gruppen bereits hat wachsen lassen – ihr Brotund ihr Wissen umeinander –, ist Grund zur Freude. Erdankt Gott und nimmt die Wirklichkeit so an, wie sie ist.Was die Menschen brauchen, ist da. Im Austeilen, dannim Weitergeben und beim miteinander essen wird das,was da ist, verwandelt zum Überfluss, der alle sattmacht.

    Fragen zur Weiterarbeit:Wonach „hungern“ die Menschen in unserer Stadt/un-serem Dorf?

    Welche „Nahrungsmittel“ (Ressourcen, positive Ansätze,Hilfsangebote ...) fallen uns ein, die in unserer Ge-meinde/unserer Stadt verteilt sind?

    Welche Schritte können wir in unserer Gemeinde/unsererStadt gehen, um lebendige Gemeinschaften in unsererGemeinde oder vernetztes Handeln in unserer Stadt zufördern – damit „Hungernde“ satt werden?

    Genau hinschauen, was da ist

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    Das Leben meint es letztlich gut mit uns. Gott begleitetuns und lässt sich zu allen Zeiten finden. Auch mit denMethoden der Sozialraumanalyse versuchen wir „Zei-chen unserer Zeit“ zu entdecken. Gemeinden, Gremien,Einrichtungen, Verbände und Einzelpersonen stehendabei vor der Herausforderung, sich dem Strom des Le-bens anzuvertrauen, um Gott darin zu begegnen. Diegeistlichen Haltungen, um die es dabei geht, sind: los-lassen, sich ergreifen lassen und vertrauen. "Vertrauen"und "lassen" sind bei "Kirche am Ort" zentrale Haltun-gen. Auf der Seite www.kirche-am-Ort.de finden sich An-regungen zum Einüben dieser Haltungen.Eine Mög-lichkeit, sich diesen Haltungen zu nähern, ist die Medi-tation der „Geschichte von der Sandwüste“. Sie gehörtin mehreren Völkern zur mündlichen Überlieferung, fastimmer wird sie aber von den Derwischen und ihren Schü-lern erzählt. Die folgende Fassung ist von Awad Afifi ausTunesien. Er starb 1870.

    Ein Strom floss von seinem Ursprung in fernen Gebirgendurch sehr verschiedene Landschaften und erreichteschließlich die Sandwüste. Genau so, wie er alle anderenHindernisse überwunden hatte, versuchte der Strom nunauch, die Wüste zu durchqueren. Aber er merkte, dass –so schnell er auch in den Sand fließen mochte – seineWasser verschwanden. Er war jedoch überzeugt, dass esseine Bestimmung sei, die Wüste zu durchqueren, auchwenn es keinen Weg gab. Da hörte er, wie eine verbor-gene Stimme aus der Wüste ihm zuflüsterte: „Der Winddurchquert die Wüste und der Strom kann es auch.“

    Der Strom wandte ein, dass er sich gegen den Sandwerfe, aber dabei nur aufgesogen würde, der Wind aberkönne fliegen und deshalb die Wüste durchqueren.

    „Wenn du dich auf die gewohnte Weise vorantreibst,wird es dir unmöglich sein, sie zu durchqueren. Du wirstentweder verschwinden oder du wirst ein Sumpf. Dumusst loslassen und dem Wind erlauben, dich zu dei-nem Bestimmungsort hinüberzutragen.

    „Aber wie sollte das zugehen?“ „Indem du ihm ver-traust und dich von ihm aufnehmen lässt.“

    Diese Vorstellung war für den Fluss unannehmbar.Schließlich war er noch nie zuvor aufgesogen worden.Er wollte keinesfalls seine Eigenart verlieren. Denn wennman sich einmal verliert: wie kann man da wissen, obman sich je wiedergewinnt.

    „Der Wind erfüllt seine Aufgabe“, sagte der Sand. „Ernimmt das Wasser auf, trägt es über die Wüste und lässtes dann wieder fallen. Als Regen fällt es hernieder unddas Wasser wird wieder ein Fluss.“

    „Woher kann ich wissen, ob das wirklich wahr ist?“

    „Es ist so, und wenn du es nicht glaubst, kannst du ebennur ein Sumpf werden. Und auch das würde viele, vieleJahre dauern; und es ist bestimmt nicht dasselbe wie einFluss.“

    „Aber kann ich nicht derselbe Fluss bleiben, der ich jetztbin?“

    „In keinem Fall kannst du bleiben, was du bist“, flüstertedie geheimnisvolle Stimme. „Was wahrhaft wesentlichan dir ist, wird fortgetragen und bildet wieder einenStrom. Heute wirst du nach dem genannt, was du jetztgerade bist, doch du weißt nicht, welcher Teil deinerselbst der Wesentliche ist.“

    Sich dem Strom des Lebens anvertrauen und loslassen

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  • 22 | K I R C H E A M O R T

    Als der Strom dies hörte, stieg in seinem Innern langsamein Widerhall auf. Dunkel erinnerte er sich an einen Zu-stand, in dem der Wind ihn – oder einen Teil von ihm?War es so? – auf seinen Schwingen getragen hatte. Ererinnerte sich auch daran, dass dies, und nicht das fürjedermann Sichtbare, das Eigentliche war, was zu tunwäre – oder tat er es schon?

    Und der Strom ließ seinen Dunst aufsteigen in die Armedes Windes, der ihn willkommen hieß, sachte und leichtaufwärts trug und ihn, sobald sie nach vielen, vielen Mei-len den Gipfel des Gebirges erreicht hatten, wieder sanftherabfallen ließ. Und weil er voller Bedenken gewesenwar, konnte der Strom nun in seinem Gemüte die Erfah-rung in allen Einzelheiten viel deutlicher festhalten underinnern und davon berichten. Er erkannte: „Ja, jetzt binich wirklich ich selbst.“

    Der Strom lernte sich anzuvertrauen und loszulassen.Aber die Sandwüste flüsterte: „Wir wissen, weil wirsehen, wie es sich Tag für Tag ereignet: denn wir, dieSandwüste, sind immer dabei, das ganze Flussufer ent-lang bis zurück zum Gebirge.“

    Und deshalb sagt man, dass der Weg, den der Strom desLebens auf seiner Reise einschlagen muss, in den Sandgeschrieben ist.

    Möglichkeiten zur Arbeit mit dieser Geschichte:(Bei Seminaren, die den Fokus auf die persönliche Lebensgeschichte von Teilnehmenden legen, kann dieGeschichte im Stil eines Psychodramas gespielt werden.Personen identifizieren und besetzen die verschiedenenRollen und kommunizieren im Spiel miteinander.)

    Was sagt uns diese Geschichte über den Weg unsererGemeinde?

    Was könnte (ganz theoretisch) diese Haltung des Los-lassens und Anvertrauens in unserer Gemeindepastoralnach „innen“ und in unseren Sozialraum hinein bewir-ken?

    Wodurch können und möchten wir diese Haltung desLoslassens und Vertrauens fördern und welchen Einflusshat dies auf unsere Pastoral?

    Beschreiben Sie in Worten/Bildern/Skulpturen den„Sumpf“ eines/ihres Gemeindelebens und ebenfalls denRegen, der sich zu einem frischen Strom sammelt. Liegenin dem Beschriebenen Impulse für weitere Schritte impastoralen Handeln?

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  • Den Sozialraum

    wahrnehmen

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  • 26 | K I R C H E A M O R T

    Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat unterdem Begriff „Kapitalsorten“ vier Bestandteile des per-sönlichen „Kapitals“, der Ressourcen einer Person be-schrieben. Er spricht vom sozialen, ökonomischen,kulturellen und symbolischen Kapital. Ein Sozialraum istdabei mehr als die Summe der ökonomischen und kul-turellen Ressourcen einzelner Menschen. Der „Reich-tum“ von Menschen ist wesentlich abhängig von seinensozialen Netzwerken und Beziehungen. Solche Netz-werke erfordern Zeit, Aufmerksamkeit, Gefühl, Intelli-genz, Empathie; all das, was Menschen an außer-gewöhnlichen Fähigkeiten hervorgebracht haben. Man-che Menschen verfügen über viele solcher Ressourcenandere sind eher arm daran.

    Der jeweilige Sozialraum, in dem Menschen beheimatetsind, bietet größere oder geringere Chancen, solche Res-sourcen vorzufinden und daran teilhaben zu dürfen. Wiesteht es um den Sozialraum, in dem sich „Kirche am Ort“zeigt? Welche (auch religiöse) Qualitäten finden Sie vor?Wo werden Menschen mit einbezogen oder ausge-schlossen?

    Die nachfolgenden Seiten zeigen Wege auf, um einer Be-antwortung dieser Fragen näher zu kommen. An man-chen Orten gibt es auch schon Erkenntnisse aus derArbeit anderer. So mag eine Caritasregion, die CKD (Ca-ritas-Konferenzen-Deutschland) oder auch der BdKJ imRahmen des #jugendforum wichtige Aspekte des Sozi-alraums schon in den Blick genommen haben. Vorhan-denes nutzen zu können ist schon ein erstes Ergebnisdes Hinschauens auf das, was am Ort geschieht.

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  • K I R C H E A M O R T | 27

    Was bietet der Demographiebericht?Wer wissen möchte, wie viele Singles oder Verheiratete,wie viele Menschen verschiedener Altersstufen in einerKommune leben, der findet im Demographiebericht derBertelsmann Stiftung Antworten. Auch zur Familienzu-wanderung oder -abwanderung, zur Alters- oder Bil-dungswanderung und zur wirtschaftlichen und sozialenLage einer Kommune finden sich dort Daten. Prognosenins Jahr 2030 bilden die Entwicklung der Bevölkerunginsgesamt und die Entwicklung der Altersgruppen ab.

    Daten aus den statistischen Ämtern der Länder (StaLa),der Bundesagentur für Arbeit, der Gesellschaft für Kon-sumforschung AG (GfK), dem Stifterverband Wissen-schaftsstatistik sowie dem Ausländerzentralregister(AZR) sind hier leicht verständlich aufgearbeitet.

    Mit ihrer Informationsplattform (www.wegweiser-kom-mune.de) stellt die Bertelsmann Stiftung über das Inter-net frei zugängliche statistische Daten und Prognosenzur Verfügung, mit denen der demographische Wandelvor Ort beobachtet und beschrieben werden kann. EineBenutzung für wirtschaftliche Zwecke wird ausgeschlos-sen, jede sonstige Verwendung ausdrücklich erlaubt. Anmerkung: Diese Internet-Anwendung unterstützt fol-gende Browsertypen: Microsoft Internet Explorer ab Ver-sion 6, Netscape ab Version 7.2, Mozilla Firefox abVersion 1.0 .

    Für jede deutsche Kommune mit mehr als 5.000 Einwoh-nern werden dort Bevölkerungsprognosedaten bis zumJahr 2030 und ca. 90 sozioökonomische Indikatoren zurVerfügung gestellt. Die Daten liegen in verschiedenenZeiträumen vor und können mit dem Umfeld (Kreis undLand) oder auch mit anderen Kommunen verglichen werden.

    Wie kann der Demographiebericht eingesetzt werden?Für eine Kirchengemeinde sind vor allem die Daten zursozialen Lage interessant. Sie erlauben Hinweise auf dieLebensqualität der Bevölkerung und die spezifische Situation von Kindern, Jugendlichen, Familien oder altenMenschen. Ebenfalls interessieren könnte die Entwick-lung der Altersgruppen, die Familienwanderung und dieBildungswanderung, die Arbeitsplatzentwicklung, derAnteil der Haushalte mit und ohne Kinder, die Daten zurArbeitslosigkeit und die Armutsstatistik.

    Die Verteilung der Altersgruppen lässt sich mit den Zah-len aus dem kirchlichen Meldewesen vergleichen.

    Unter „Methodik“ (www.wegweiser.kommune.de/me-thodik) findet sich eine Indikatorenliste, die bei der Aus-wertung hilft. Die einzelnen Kategorien und Aussagenim Demografiebericht werden darin erläutert.

    Auf der Informationsplattform der Bertelsmann-Stiftung(www.bertelsmann-stiftung.de) finden sich zahlreicheergänzende und aktuelle Informationen.

    Der Demographiebericht derBertelsmann Stiftung als Datenquelle

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  • 28 | K I R C H E A M O R T

    Mögliche Auswertungsfragen:• Wo finden wir unsere persönlichen Erfahrungenoder Einschätzungen bestätigt?

    • Was sind neue Erkenntnisse für uns?• Welche positiven Trends und Entwicklungensehen wir?

    • Welche gegenwärtige Situation und welche Entwicklungen beunruhigen uns?

    • Was fordert uns als christliche Gemeindebesonders heraus?

    • Welche Entwicklungen machen uns neugierig?• Wo tun wir bereits etwas Richtiges?• Wo könnten darüber hinaus noch Aufgabenund Felder für unser Engagement liegen?

    • Welche Konsequenzen haben die Erkenntnissefür die Struktur unserer Gemeinde und unserer Seelsorgeeinheit?

    Weiterführende StudienDas Spektrum möglicher Handlungsfelder zur Verbesse-rung der sozialen Lage vor Ort und zur Stärkung derIdentität mit der Gemeinde ist groß. Einige konkret vor-gestellte Konzepte und Studien bieten daneben Infor-mationen und Anregungen zu unterschiedlichenFragestellungen im sozialen Kontext.

    Dies ist ebenfalls auf der Homepage der Bertelsmann-Stiftung zu finden.

    Auswertung verschiedener ThemenbereicheUnter „Themen“ am unteren Ende der Seite findet sichzuerst das Stichwort „Demographischer Wandel“. Hierfinden sich Informationen zur Bevölkerungsentwicklungwährend der vergangenen sieben Jahre und eine Prog-nose über die Entwicklung bis 2030. Auf dieser Seitekönnen Sie unter "Kommunale Berichte" auch Daten fürIhre eigene Kommune abrufen. Die folgenden Fragenkönnen jeweils auf die Kirchengemeinde hin, aber auchauf Dorf oder Stadtviertel hin bezogen werden.• Entsprechen diese Tendenzen der Entwicklungbei Ihnen?

    • Wie groß ist der Anteil Ihrer Gemeindemitglieder an der Gesamtbevölkerung?

    • Entspricht die Altersstruktur der kommunalen Bevölke-rung der Mitgliederstruktur in Ihrer Gemeinde?

    • Vermutlich entwickelt sich die Altersstruktur der Gemeindemitglieder ähnlich wie diejenige der Kommune. Wie könnten Sie sich auf eine solche Veränderung vorbereiten?

    • Wie sieht die Wohnsituation der Menschen in Ihrem Lebensraum aus? Die Statistik liefert hier nur ein arithmetisches Mittel. Wie ist die Wohnlage in Ihrer Gemeinde? (Vgl. auch Gemeinderundgang)

    • Wo arbeiten die Menschen in Ihrer Gemeinde? Decken sich Ihre Beobachtungen und Einschätzungenmit den Zahlen der Kommune?

    Das Datenfeld „Wirtschaft & Arbeit“ im Sozialbericht• Wie ist die Arbeitssituation in einzelnen Bereichen? • Welche Nöte der Arbeitnehmer kennen Sie? • Gibt die Arbeitsplatzentwicklung Grund zuOptimismus oder zur Sorge?

    • Wie hoch ist der Anteil Hochqualifizierteran Ihrem Wohnort?

    • Was fordert Sie als christliche Gemeindebesonders heraus?

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  • K I R C H E A M O R T | 29

    In besonderem Maß aufschlussreich sind die Daten zursozialen Lage der Menschen im Sozialbericht für ihrenRaum.

    • Wie ist die Lebenssituation der Menschenin Ihrer Gemeinde?

    • Arbeitslose – Alleinerziehende – Kranke – Alte – Behinderte – Arme – benachteiligte Kinder undJugendliche – Suchtkranke, gibt es sie?

    • Werden sie in Ihrer Gemeinde wahr- und ernst genommen?

    • Gibt es bereits Initiativen, in denen Sie sich der Men-schenin sozialen Brennpunkten annehmen? WelcheDienste (Nachbarschaftshilfe, Seniorenbesuchsdienst,Hospizarbeit, Mutter-Kind-Gruppen, Tafel-Angebot...)gibt es im Umfeld Ihrer Gemeinde?

    • Gibt es in Ihrer Kommune einen Nährbodenfür soziales Engagement?

    • Wo in Ihrem Umfeld nehmen Sie eine besondere,menschenfreundliche Atmosphäre wahr?

    • Welche Unterstützung und Wertschätzung erhaltenMenschen, die sich im caritativen Bereich engagieren?

    • Welche sozialen Einrichtungen gibt es? (Sozialstation, Dienste und Einrichtungen des Caritasverbands, Diakonisches Werk, andere Wohl-fahrtsverbände der Kommune, Beratungsstellen,Kitas, Familienzentren usw.) Wie könnten Kontakteund mögliche Kooperationen mit diesen Stellen ge-funden und ausgebaut werden?

    Im Themenfeld „Integration“ finden sich Daten zu aus-ländischen Bevölkerungsanteilen. • Wo kommen Katholiken anderer Nationalitäten inIhrer Gemeinde vor?

    • Begegnen Sie Menschen anderer Nationalitäten und Religionen eher mit Ressentiment oder mit Offenheit?

    • Welche Initiativen zur Integration von Flüchtlingen gibtes und wie ist Kirche beteiligt?

    • Wie einladend oder verschlossen wirkt Ihre Gemeinde nach außen?

    Zwei Fragen zum Schluss: • Hat die Beschäftigung mit den statistischen Datenneue Erkenntnisse gebracht?

    • Wo liegen künftige Aufgaben und Felder für IhrEngagement?

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  • 30 | K I R C H E A M O R T

    Mit der Einführung einer diözesanen Webkarte im Inter-net wird die Entwicklung zur Netzwerkstruktur nach undnach anschaulich und für alle Interessierten sichtbar.

    In Zusammenarbeit mit dem Trierer Informationstechno-logieunternehmen alta4 entsteht ab Mitte 2016 einePlattform, auf der sich neben den klassischen Orten wieKirchengemeinden, Kirchen und Gemeindehäusern alleanderen Orte pastoralen Handelns abbilden lassen.

    Der Entwicklungsprozess „Kirche am Ort - Kirche an vie-len Orten gestalten“ erweitert den Blick auf pastorale,soziale und spirituelle Orte im Feld einer Seelsorgeein-heit. In der Kirche am Ort vernetzen sich die kirchlichenOrte miteinander, aber auch mit anderen Kirchen undgesellschaftlichen Partnern. Darüber hinaus können dieaktuellen Daten (Stand 2015) der Sinusstudie für den je-weiligen Sozialraum einer Kirchengemeinde oder Seel-sorgeeinheit eingesehen und für eigene Analysen undPlanungen nutzbar gemacht werden

    Das leistet künftig die diözesane Webkarte. Sie wird aufder Startseite www.drs.de zu finden sein. Inhaltlich undtechnisch kümmern sich die HA XIII und die HA IV umdie Umsetzung.

    Das Netzwerk wird sichtbar –im Netz

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  • K I R C H E A M O R T | 31

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  • 32 | K I R C H E A M O R T

    Kirchengemeinden in einer Seelsorgeeinheit sind Teil der„Kirche am Ort“. Sie stehen nicht für sich selbst, sonderngestalten mit allen, die heute hier leben, das Zusammen-leben und die konkreten Lebensbedingungen. Um die-sem Auftrag nachkommen zu können, müssen sie überdas Leben der Menschen vor Ort etwas wissen: überihren Alltag, ihre Sorgen, ihre Bedürfnisse und die Le-benssituationen, die sie prägen. Solches Wissen ist inZeiten der Veränderung besonders wertvoll; denn das ei-gene Tun muss ja neu ausgerichtet und Notwendigesvon Verzichtbarem unterschieden werden. Dabei fälltdieses Wissen den Kirchengemeinden nicht mehr einfachzu – dazu sind die Lebensentwürfe der Menschen vorOrt zu unterschiedlich geworden. Längst nicht mehr alleLebenssituationen kommen im Alltag der Kirchenge-meinden tatsächlich auch vor. Es gilt also, neu aufmerk-sam zu werden, den Blick zu weiten und dieverschiedenen Lebenswelten bewusst wahrzunehmenund Antworten zu finden auf die Frage: Für wen und mitwem will die Kirchengemeinde konkret „Kirche am Ort“sein? Wer können die Menschen, die wir in den Blicknehmen, für uns sein?

    Dazu lädt dieser Gemeindespaziergang in zwei Schrittenein.

    Vorbereitendes (Zeit: ca 1,5-2 h):Die Gruppe (10-15, max 20 Personen) bereitet den Spa-ziergang vor. Material: Ein (vergrößerter) Stadtplan/Ortsplan des Ge-meindegebiets mit lokaler Umgebung auf einer Pinn-wand befestigt, verschiedenfarbige Pinnnadeln, Plakatund Farbstifte für eine „Legende“, Schreibzeug und dieunten aufgeführten Wahrnehmungsfragen.

    In drei Schritten werden1. anknüpfend an die grundlegenden Bereiche Wohnen,Arbeiten, Versorgung (Einkaufen, Gesundheit, Pflege), Bildung und Freizeit die Lebensbereiche der Menschen am Ort mit Pinnnadeln markiert. Die unterschiedlichen Bereiche werden durch besondere Farben herausge-hoben. Eine eigens erstellte Legende hilft, den Überblick zu behalten.

    2. das kirchliche Leben (Gebäude, Einrichtungen …) am Ort gekennzeichnet (ebenfalls mit Pins).

    3. Bezirke am Ort eingeteilt, die arbeitsteilig von Klein-gruppen (3-5 Personen) durch den Spaziergang näher erschlossen werden sollen.

    Beispiel für eine Legende:Wohnen:Arbeiten:Versorgung:Bildung:Freizeit:Kirchliche Einrichtungen:

    Das Leben der Menschen bei einem Gemeinderundgang wahrnehmen

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  • K I R C H E A M O R T | 33

    1. Schritt: Lebensbereiche

    Fragen zum Lebensbereich „Wohnen“Wo und wie wohnen die Menschen in unserem Ort?(Aus den Fragen auswählen, evtl. lokale Aspekte ergänzen)• Welche Wohnformen finden wir im Ort oder Stadtteil vor (Wohneigentum, Mietwohnungen, Ein- oder Mehrfamilienhäuser, Sozialwohnungen ...)?

    • Welche verschiedenen Teilgebiete lassen sichso unterscheiden?

    • Lassen die unterschiedlichen Wohnformen und Teilgebiete auch „soziale“ Unterschiede (Wohlstand, Bildung, Lebensstil, Lebensstandard …) erkennen?

    Anmerkung: Wenn verfügbar, kann hier eine Verknüp-fung zu den Sinus-Daten der Wohnbezirke hergestelltwerden.

    Fragen zum Lebensbereich „Arbeiten“• Wo arbeiten die Menschen, die hier wohnen? • Arbeiten sie außerhalb oder im Ort?• Durch welche Arten von Arbeit ist der jeweilige Ortgeprägt (produzierendes Gewerbe, Dienstleistungen,Land- und Forstwirtschaft)?

    • Welche Art von Unternehmen herrscht vor?(Großunternehmen, Mittelstand, Kleinbetriebe)

    • Was bedeutet das für das Leben hier am Ort?

    Fragen zum Lebensbereich „Bildung“• Wie viele Betreuungsmöglichkeiten für unter 3-Jährigestehen zur Verfügung?

    • Wie viele Kindergärten gibt es? • Wo gehen die Kinder/Jugendlichen zur Schule? • Welche Schulen haben wir am Ort? Welche Schulensind Ganztagesschulen?

    • Welche und wie viele Ausbildungsbetriebe gibt es?• Wo gibt es außerschulische Bildungsangebote fürJugendliche und Erwachsene am Ort? Welcher Art (Volkshochschule, Musikschule, beruflicheWeiterbildung? Uni/FH/PH...)?

    • Was bedeutet das für das Leben hier am Ort?

    Fragen zum Lebensbereich „Versorgung“• Wo gehen die Menschen am Ort zum Einkaufen?Im Ort? Außerhalb?

    • Wie sieht das Verhältnis Einkaufszentren – Einzelhandel aus?

    • Wo gehen die Menschen zum Arzt? Welche therapeutischen Einrichtungen gibt es am Ort?Welche sozialen Einrichtungen und Dienste bestehenund wie werden sie wahrgenommen?Gibt es Orte, an denen Jugendliche sich treffen könnenoder wo sie in Krisen Hilfe erfahren können?

    • Wo gibt es Hilfen zur Pflege für ältere Menschen? Welche Dienstleistungen gibt es für ältere Menschen (Freizeit- und Bildungsangebote, Essen auf Rädern, ambulante Pflegedienste …)

    • Gibt es stationäre Alteneinrichtungen?Was bedeutet das für das Leben hier am Ort?

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  • 34 | K I R C H E A M O R T

    Fragen zum Lebensbereich „Freizeit“• Wo verbringen die Menschen ihre Freizeit? • Welche Sportangebote gibt es? • Wo befindet sich das nächste Theater, Ballett, Kino, Kleinkunstbühne?

    • Welche Feste prägen den Ort? • Gibt es Angebote für einzelne Altersgruppen? • Wie sind Menschen mit Migrationshintergrund im Freizeitbereich eingebunden?

    • Was bedeutet das für das Leben hier am Ort?

    Markante Plätze• Welche Orte, Plätze, Gebäude geben unserer Stadt (dem Stadtteil oder dem Dorf) ihr typisches, ihrprägendes Gesicht?

    • Wie werden sie genutzt? • Gibt es für bestimmte Zielgruppen typische Treffpunkte?

    2. Schritt: Kirche am Ort

    • Wo und wie sind die Kirchen im öffentlichen Raum

    präsent (Kirchengebäude, Gemeindezentrum, Wege-

    kreuze, Plakate und Veranstaltungshinweise, Schau-

    kasten, Gottesdiensttafel ...)?

    • Wie erfahren die Menschen von kirchlichen Angeboten?

    • Wie wirkt das kirchliche Erscheinungsbild: einladend,

    abweisend, zeitgemäß, von gestern? Unterscheiden sich

    hier evangelische und katholische Kirchengemeinden?

    • Wo und welche kirchlichen Einrichtungen gibt es am

    Ort? Wie zugänglich, zentral oder dezentral liegen die

    kirchlichen Gebäude? Wer nimmt diese Einrichtungen wie

    in Anspruch? Wie findet man sich als Fremder darin zu-

    recht?

    • Wie passen die Angebote der Kirchengemeinden zu den

    vorgefundenen Lebensbereichen? Wo sind kirchliche An-

    gebote inhaltlich nah an den Lebensbereichen der Men-

    schen verortet? Wo nicht?

    3. Schritt: Der Rundgang

    Im Überblick werden Thesen und Fragen entwickelt, diedurch die Rundgänge näher beleuchtet werden sollen.Dann werden Bezirke für die Rundgänge festgelegt.Beispielfragen: • Was passiert an den Orten unterschiedlicher Lebensbereiche?

    • Wie sieht das Leben dort aus? • In welcher Beziehung stehen diese Lebensbereichezur Kirchengemeinde/zu den kirchlichen Einrichtungen?

    Absprachen zu den Rundgängen: Welche Bezirke werdenvon wem und wann begangen?

    Hinweise zur Durchführung:Es empfiehlt sich, in kleinen Gruppen von 3-5 Personenzu gehen. Der Spaziergang der Kleingruppen muss nichtzeitgleich stattfinden, sondern kann von den Gruppenindividuell vereinbart werden. Eine (digitale) Fotokamerahilft, Eindrücke festzuhalten und nachher auszuwerten.In ländlichen bzw. flächenmäßig großen Gemeindenempfiehlt es sich, den „Rundgang“ als „Rundfahrt“ mitFahrrädern oder mit dem PKW zu machen.

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    Anmerkung:Möglicherweise geben die Erfahrungen der Mitarbeite-rinnen einer Sozialstation dort einen tieferen Einblick indie Wohn- und Lebenssituation von Gemeindemitglie-dern. Vielleicht lässt sich durch ein Mitgehen ein inten-siver Blick hinter die Türen der Marginalisiertenorganisieren. Auch die Caritas oder die Agentur für Ar-beit wären Adressen, bei denen etwas über die Lebens-situation von sozial Benachteiligten zu erfahren wäre.

    Hinweise zur Auswertung:Die Kleingruppen notieren sich ihre Eindrücke. Zur Ge-samtschau des Gemeinderundgangs kommt die Gesamt-gruppe erneut zusammen. Die Kleingruppen bringen ihreErgebnisse mit (z.B. eine mit Eindrücken kommentierteBilderwand o.ä.)

    Erster Schritt: • Was haben wir erlebt? • Was ist uns auf unserem Rundgang aufgefallen? • Wo sehen wir unsere Beobachtungen am Stadtplan bestätigt? Wo nicht?

    • Welche unerwarteten Beobachtungen konnten wir feststellen?

    Zweiter Schritt: • Können wir typische Besonderheiten für unseren Ort und die Menschen, die hier wohnen, feststellen?

    • Welches sind die zentralen Themen der Menschen, diehier leben?

    • Worauf dürfen die Menschen hier zu Recht stolz sein? • Womit haben die Menschen hier am ehestenSchwierigkeiten/Probleme?

    Dritter Schritt:• Wie stehen die Lebensbereiche der Menschen mit denkirchlichen Angeboten in Zusammenhang?

    • Wie nah steht die Kirchengemeinde diesergesellschaftlichen Situation?

    • Wo sehen wir die größte Nähe? Wo sehen wir die größte Distanz?

    • Sind die Kirchengemeinde und die kirchlichenEinrichtungen richtig aufgestellt?

    • Können sie ihren Auftrag, die Botschaft Jesu am Ort ,lebendig werden zu lassen, erfüllen?

    Vierter Schritt:• Welcher Handlungsbedarf ergibt sich ausunserem Rundgang für die Weiterentwicklung unserer Kirchengemeinden?

    • Für welchen Handlungsbedarf sehen wir uns alsKirchengemeinden in der Pflicht?

    • Für welchen Bereich fühlen wir uns kompetent? • Braucht es ergänzende Angebote? • Braucht es andere Angebote? • Wo sehen wir Verbesserungsmöglichkeiten bei denAngeboten unserer Kirchengemeinde?

    • Wo könnte es sinnvoll sein, Kooperationen mitanderen Partnern anzustreben oder auszubauen?

    Fünfter Schritt:Ein Handlungsplan wird erstellt:• Welche wichtigen Fragen müssen als nächstesgeklärt werden?

    • Wer nimmt dann welche Aufgaben oder Aktivitäten wahr?

    • Bis wann sollen diese Schritte gemacht sein?• Wann kommt unser Handlungsplan zur Wiedervorlage?

    • Wer übernimmt die Verantwortung dafür?

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  • 36 | K I R C H E A M O R T

    Hinführung zur Sinus-Milieu-Studie

    Von Ähnlichkeiten zu MilieusObwohl unsere Alltagswelt sehr vielgestaltig und un-übersichtlich ist und obwohl jeder viele seiner Entschei-dungen individuell treffen kann, gibt es doch so etwaswie typische soziale Muster. Bestimmte Einstellungenund Merkmale kommen einfach häufiger vor als andere.Das betrifft Grundwerte und Lebenseinstellungenebenso wie Geschmack und Mode. Ein populärer Ver-such, diese typischen sozialen Muster abzubilden, ist dasMilieumodell des Heidelberger Instituts „Sinus Sociovi-sion“. Dieses Modell hat sich – das kann man nach 25Jahren wohl sagen – in der Marktforschung bewährt.(Der Demographiebericht der Bertelsmann Stiftung nutztvor allem amtliche Quellen, mit der Abbildung und Be-schreibung der gesellschaftlichen Milieus fließen auchKompetenzen privater Anbieter mit ein).

    Gestützt auf Verhaltensbeobachtungen, so genannte Tie-feninterviews und Gruppendiskussionen, unterscheidendie Heidelberger gegenwärtig 10 kulturelle Gruppen(Milieus) im sozialen Lebensraum, die sich in ihrer All-tagsästhetik und ihrer Werteorientierung klar unterschei-den und die auch deutlich beschreibbar sind. Diesensoziokulturellen Mustern haben die Forscher Namen ge-geben wie „Bürgerliche Mitte“ oder „Performer“, „he-donistisches“ oder „traditionelles Milieu“.

    Nach 2005, dem Erscheinungsjahr der ersten Sinus-Mi-lieustudie, wurde diese 2013 und 2016 weiterentwickelt,und damit auf soziokulturelle Veränderungen reagiert.Dazu gehören u.a. die wachsenden Wohlstandspolari-sierung, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, biografi-sche Brüche, Bildungsprobleme, Digitalisierung undEntsolidarisierung

    Plausibel abgesichert durch verschiedene Studien wer-den den Milieus Eigenschaften und Verhaltensweisen zu-geordnet, angefangen bei den Fernsehgewohnheitenüber die bevorzugte Literatur oder Wohnzimmereinrich-tung bis hin zur bevorzugten Automarke. Auch demo-graphische Merkmale spielen eine Rolle:

    Die Milieuforschung erfasst alle wichtigen Erlebensbe-reiche, mit denen Haushalte täglich zu tun haben wieArbeit, Freizeit, Familie und Konsum. Natürlich beschrei-ben Milieus die Komplexität menschlicher Lebensweltennur unzureichend, aber als Anregungen zur Wahrneh-mung des Sozialraumes können sie sehr nützlich sein.

    Weitere Informationen und Erläuterungen finden sichauf der homepage www.sinus-institut.de

    Auf der Seite der Ruhr-Uni Bochum, Pastoral findet sicheine sehr aufschlussreiche Präsentation zum sogenann-ten „Milieuhandbuch 2013“. Dargestellt wird die „Re-ligiöse und kirchliche Orientierung in den Sinus-Milieus“.(http://www.ruhr-unibochum.de/ pastoral/ mam/images/auszug_sinus-studie_2013.pdf)

    Mit Förderung des Verbands der Diözesen Deutschlandserstellte die SINUS Markt- und Sozialforschung GmbHim Auftrag der Medien-Dienstleistung eine umfassendeStudie, die in einem „Milieuhandbuch 2013“ dokumen-tiert ist (unter http://www.mdg-online.de/shop/ gibt esneben den kostenpflichtigen Handbüchern auch eine zu-sammenfassende Präsentation). Untersucht wurden:• Lebensphilosophien, Lebenssinn• Wohlbefinden, Glück, Glaube, Religion• chrtistliches Leben, religiöse Praxis• Wahrnehmungen/Erwartungen an die Kirche• Teilnahme am kirchlichen Leben

    Gesellschaftliche Milieus der Menschen erkennen

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  • K I R C H E A M O R T | 37

    Wesentliche Ergebnisse der Milieu-Studiefür die Kirchen:Viele Befragte verstehen sich nicht als gläubig im tradi-tionellen Sinn und suchen auch nicht aktiv nach einerBeziehung zu Gott. Insbesondere in den jungen und un-terschichtigen Milieus spielen Glaube und Religion imAlltag häufig gar keine Rolle mehr.

    Bei vielen Befragten ist der Glaube individualisiert – undnicht an die katholische Religion und Kirche gebunden.Viele bezeichnen sich zwar als religiös, definieren aberden Inhalt ihres Glaubens ebenso wie ihre Vorstellungenvon Gott eher diffus. Kernelemente des katholischen Be-kenntnisses (z. B. Auferstehung von den Toten, Erbsünde,unbefleckte Empfängnis) werden nur noch von wenigenwörtlich genommen.

    Die Verbindlichkeit der katholischen Religion als ge-schlossenes Glaubenssystem scheint in der Vielfalt reli-giöser und spiritueller Angebote verloren gegangen zusein. Viele stellen sich ein individuelles Glaubens-Patch-work zusammen und bedienen sich dabei aus vielfälti-gen (häufig fernöstlichen) Quellen.

    Während von den jungen Milieus die freie Wahl vonGlaube und Religion selbstverständlich einge-fordertwird, finden sich bei (älteren) Angehörigen des traditio-nellen Segments noch Restbestände einer dem katholi-schen Katechismus verpflichteten Lebensführung.

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  • 38 | K I R C H E A M O R T

    In den Milieus der Traditionellen, der Konservativ-Etab-lierten und zu einem guten Teil auch der BürgerlichenMitte gehören Glaube, Religion und Kirche zusammen,geben in ihrer traditionellen Gestalt Rückhalt, Orientie-rung und Struktur und sorgen für soziale Einbettung.

    Weithin überlebt hat sich allerdings die traditionelle(volkskirchliche) Frömmigkeit; sie gilt heute in den meis-ten Milieus, auch in denen des traditionellen Segments,als unzeitgemäße, unkritisch-naive Haltung, der es letzt-lich an (Selbst)Verantwortung mangelt – und die allen-falls noch in exotischem Gewand (Mystiker, Mönche,Einsiedler) geschätzt wird.

    In den modernen gehobenen Milieus findet häufig eineintellektuell-distanzierte Auseinanderset-zung mit Fragender Religion und des Glaubens statt. Die christliche Re-ligion gilt zwar als zentraler Bestandteil der abendlän-dischen Kultur und als Basis einer allgemeinverbindlichen Ethik. Vom Kanon kirchlicher Glaubens-sätze haben sich aber die meisten emanzipiert, und fürdie persönliche Ausgestaltung ihres Glaubens habendiese keine Verbindlichkeit.

    Die Wahrnehmung gesellschaftlicher MilieusDie Frage nach der Milieuzugehörigkeit der Gemeinde-mitglieder und nach deren Orientierung in Bezug aufkirchliche und religiöse Themen ist nichts weniger als derVersuch, spezifische Perspektiven auf jede Milieugrup-pierung hin einzunehmen und zu erkunden, ob und wiedort Zugänge zu Religion und Kirche herzustellen oderzu finden sind.

    Um mit kaum oder gar nicht erreichten Milieus in Kon-takt zu kommen, müssten Angebote oder Felder gemein-samen Handelns mit den „fremden“ Milieuangehörigenzusammen entwickelt werden.

    Unter dem Titel „Zukunftshorizont Kirche – was Katho-liken von ihrer Kirche erwarten“ hat das Institut„PRAGMA“ im Auftrag der Diözese Rottenburg-Stutt-gart eine repräsentative Studie erstellt, die zahlreiche er-gänzende und bestätigende Erkenntnisse beiträgt.(Zukunftshorizont Kirche, Was Katholiken von ihrer Kir-che erwarten, Grünewald 2014)

    Vorschlag einer Wochenend-Klausur zur Wahr-nehmung der Sinus-Milieus Die Moderation einer solchen Klausur (z.B. mit Kirchen-gemeinde- oder Pastoralräten) sollte von Personen über-nommen werden, die mit der Sinus-Milieu-Studievertraut sind. Eine Arbeitshilfe zu Sinus-Milieus und Ge-meinden sowie eine grafisch aufbereitete Verteilung derMilieus im Gemeindegebiet kann in einigen Dekanatenbei den Dekanatsgeschäftsstellen angefragt werden.Ab Sommer sind die Daten der Sinusstudie (Stand 2015)auf der diözesanen Webkarte hinterlegt – siehe S. 30 indiesem Heft). Eine Plakatsammlung mit einer illustriertenDarstellung der Milieus kann beim Institut für Fort- undWeiterbildung, Karmeliterstraße 9, 72108 Rottenburgausgeliehen werden.

    Ziele der Klausur:- Die Teilnehmenden kennen die Sinus-Milieu-Studie und verstehen einzelne Milieus in ihren religiösen Be-dürfnissen.

    - Die Teilnehmenden kennen die Milieu-Zusammenset-zung ihrer Ortsgemeinde und die Begrenztheit durch die Milieuprägung der Mitglieder.

    - Die Teilnehmenden suchen Schnittstellen, an denen die christliche Botschaft an spezifische Lebenshori-zonte anknüpfen kann.

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    Verlaufsplan der Klausur

    Zeit Inhalt Methode/Medien

    Freitagabend17:00 Ankommen18:00 Abendessen

    19:00 Begrüßung + evtl. organisatorische Klärungen Flipchart, Überblick über Inhalte und Verlauf der Klausur Moderationskoffer

    Einheit 1: Die Sinus-Milieu-Studie – Verstehen Laptop, Beamer, 19:10 · Schritt 1: Präsentation Leinwand

    (Datei „Milieus und ihre Einstellungen zur Kirche“können Sie per E-Mail über www.kirche-am-Ort.de bei uns anfordern)

    20:00 · Schritt 2: Rückfragen, Diskussion Gruppenarbeit· Schritt 3: Versuch einer ersten Übertragung auf die KGR-Mitglieder und die engagierten Kirchengemeinde-mitglieder (Kleingruppe, Auswertung)

    21:30 Abendlob

    Samstag7:45 Morgenlob8:00 Frühstück und Zimmer räumen

    9:00 Klärung eventueller Fragen vom Vorabend? Plenum

    Einheit 2: Die Sinus-Milieus – Aneignen PlenumIm größeren Raum wird die „Kartoffelgrafik“ Straßenkreide oderauf den Boden übertragen. Tücher zum Abbilden Durch Hineinstellen in entsprechende Kartoffeln der Milieusordnen sich die TN einzelnen Milieus zu und kommen untereinander ins Gespräch über ihre jeweils ein-genommene Position:

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  • 40 | K I R C H E A M O R T

    Zeit Inhalt Methode/Medien

    Samstag

    Jeder soll sich (nacheinander) in dem Milieu einordnen:- aus dem er stammt- in dem seine Eltern heute leben- in dem er heute lebt- das ihm neben seinem eigenen Milieu am sympathischsten istbzw. mit dem er sich wohl fühlt.

    - mit dem er sich unwohl fühlt

    - in dem er die meisten Kirchenbesucher einordnen würde

    - in dem er seinen Pfarrer bzw. die anderen pastoralen Mitarbeiter

    einordnen würde.

    9:45 Welche Milieus sind im KGR und unter den Hauptamtlichen vertreten? Gruppenarbeit

    Sind das dieselben, die wir in den Gottesdiensten und Gemeindegruppen

    vorfinden? Welche Milieus finden wir bei uns nicht wieder?

    Wie nehmen uns die Menschen aus diesen Milieus wohl wahr?

    Gibt es bei uns ein „Fremdeln“ auf bestimmte Milieus hin?

    10:15 Pause

    Einheit 3: Der Lebensraum als Milieukarte – Verorten Plenum

    10:30 Schritt 1: Stadtplan und farbige Pins: welche Milieus und welche Selbsteinschätzung

    Nationalitäten ordnen wir welchen Stadtteilen eher zu? Stadtplan und farbige

    Pins

    11:00 Schritt 2: Die Ergebnisse der Milieukartierung der Firma Microm als Analyse mit Hilfe der

    Werkzeug der Lebensraumanalyse vorstellen. Milieukartierung

    (Eventuell Verknüpfung mit dem Gemeindeumgang) Laptop, Beamer,

    Leinwand

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  • K I R C H E A M O R T | 41

    Zeit Inhalt Methode/Medien

    12:00 Mittagessen

    13:45 Schritt 3: Wahrnehmung der Übereinstimmungen / Unterschiede Vergleich

    zwischen Einschätzung und Studie. Wo leben die Gewinner und wo

    leben die Verlierer unserer Gesellschaft?

    14:15 Einheit 4: Umgang mit den Milieus vor Ort Gruppenarbeit

    Wie zufrieden sind wir mit unserer Orientierung auf einzelne Milieus hin?

    Wäre unter den gegebenen Bedingungen mehr erreichbar?

    Passen beispielsweise unsere katechetischen Angebote auf die

    entsprechenden Zielgruppen (Milieus) hin?

    Auf welche Milieus könnte wer überzeugend zugehen?

    Welche konkreten Schritte nehmen wir uns vor?

    Bis wann sollen diese Schritte gemacht sein?

    Wer übernimmt jeweils die Verantwortung dafür?

    Wann überprüfen wir im KGR die Ergebnisse?

    15:15 Kaffee

    15:45 Auswertung des Wochenendes als Blitzlichtrunde Plenum

    16:30 Heimfahrt

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  • 42 | K I R C H E A M O R T

    VorüberlegungenGeistlicher Hintergrund der nachfolgenden Fragen ist derGlaube an die Gegenwart Gottes in unserer Welt. Gottmuss nicht erst durch uns oder durch die Kirche der Weltgebracht werden. Wir können vielmehr Gottes Wirken inder Welt finden und uns davon leiten lassen. Gott ist„Mitbürger“ und sein Geist ist an vielen Orten spürbar.

    Methodisch handelt es sich um systemische Fragen, diebesonders zum Nachdenken und zum geistigen Verknüp-fen von verschiedenen Erkenntnissen anregen. Die an-gebotenen Impulsfragen sind „einfache“ Fragen, die esin sich haben. Sie können auf ganz verschiedene Weiseund von unterschiedlichen Gruppen, Verbände oder Ein-richtungen verwendet und kombiniert werden. Kirchen-gemeinde- oder Pastoralräte könnten sich zum Sitzungs-beginn eine der Fragen stellen. Bei einer weiteren Sit-zung könnte dann eine andere Frage hilfreich sein. Auchfür eine Klausurtagung bieten sich die Impulse an. Diefolgenden Fragen bilden also keinen Fragebogen, son-dern sind kleine Helfer, um verschiedene Puzzleteile derWirklichkeit zu betrachten.

    Methodisch lassen sich die Fragen sowohl in kleinenGruppen besprechen als auch im Plenum. Folgende Al-ternativen (und noch viele andere) sind denkbar:

    • kurze Einzelbesinnung – Anhörrunde (ohne Diskus-sion) – Sammeln der gehörten Gemeinsamkeiten/Schwerpunkte mit der Frage: Was ist uns in unsererAuseinandersetzung mit den Fragen klar geworden?Was bedeuten diese Erkenntnisse für uns als Ge-meinde? (Stichworte zu den einzelne Aussagen solltenschriftlich festgehalten werden.)

    • Bilden von Interessengruppen zu zwei oder drei Fragen – jede Gruppe berichtet über zwei ihrer Gesprächsthe-men im Plenum – Verdichtung: Was ist uns in unsererAuseinandersetzung mit den Fragen klar geworden?Was bedeuten diese Erkenntnisse für uns als Ge-meinde? (Stichworte zu den einzelne Aussagen solltenschriftlich festgehalten werden.)

    • Eine Arbeitsgruppe könnte auch anhand ausgewählter Fragen (zu deren Beantwortung teilweise Daten zu-sammengetragen werden müssen) ein Bild der Ge-meinde in ihrem Lebensraum beschreiben und diesesdem KGR (als Vorbereitung auf eine Klausur oder an-lässlich einer Gemeindeversammlung) vorstellen undins Gespräch bringen.

    Gott lebt in unserer Stadt – Impulsfragen zur Spurensuche

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  • K I R C H E A M O R T | 43

    Impulsfragen:• Wenn es stimmt, dass Gott nicht zu den Menschen ge-bracht werden muss, sondern dass er als „Mitbürger“ lebt und sein Geist im Leben der Menschen entdeckt werden kann, · wo sehen wir dann in unserer Stadt dieGegenwart Gottes?· Mit welchen Begriffen beschreiben wir diese„Gegenwart Gottes“?

    • Wo werden in unserer Stadt christliche Werte in be-sonderer Weise gelebt? Wo sind Menschen, die sich caritativ oder sozial einsetzen – um der Menschen und um Gottes Willen. Was sagen/denken diese, wenn sie über „Kirche“ reden? Sind das Hypothesen oder eigene Erfahrungen?

    • Wo in unserem Ort sprechen Menschen über Religion und Menschlichkeit? Was würde uns ein Reporter, denwir dort hinschicken, über diese Gespräche berichten?

    • Wo sind in unserer Stadt die Armen und Leidenden? Woran merken sie, dass wir als christliche Gemeinde unserem Auftrag für sie nachkommen?

    • Wenn wir an unsere Gemeinde vor 5 Jahren und heute denken – was hat sich nachweislich verändert? Wel--che Veränderungen gab es im gleichen Zeitraum in der Gesellschaft allgemein?

    • Was sagen andere über unsere Kirchengemeinde, über „die Katholischen“. · Angenommen, der Bürgermeister und der evangeli-sche Pfarrer würden sich über „die Katholischen“ unterhalten – was würden sie sagen? · Wie unterscheiden sich möglicherweise Aussagen über die Kirche allgemein von denen über unsere Kirchengemeinde?

    • Mit welchen Themen beschäftigte sich im letzten Jahrder bürgerliche Gemeinderat/Stadtrat? Wo warendabei unsere Interessen/Möglichkeiten als Kirchenge-meinde tangiert? Wo werden ethische oder diakoni-sche Fragen gestellt und wie haben wir unseingebracht? Was denken andere über unser Engage-ment und wie haben/hätten sie auf unser Engagementreagiert?

    • Zeitungen schreiben oft, was die Menschen hörenoder lesen möchten. Was interessiert demnach dieMenschen an unserem Ort (evtl. Collage erstellen) undwie interessant ist das für uns? Wie interessant sindwiederum wir für die Menschen?

    • Beschreiben Sie einen Menschen aus Ihrem Bekann-tenkreis, der der Kirche eher fremd gegenübersteht:Was sagt, wie denkt, was tut er/sie, wo verbringt erseine Freizeit? Gab es schon einmal ein Gespräch überKirche/Religion: Was denkt und wie handelt er/sie. Gibtes Unterschiede zu meinem/unserem Handeln? Wassagt mir das für uns als Gemeinde?

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  • Sozialraum KaO_Layout 1 11.04.2016 17:07 Seite 44

  • 4Die Gemeinde/Seelsorge-

    einheit verstehen

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  • 46 | K I R C H E A M O R T

    Entwicklungen und Trends erkennen – kirchliche Statistiken auswerten

    Mit geringem Aufwand lässt sich durch die Betrachtungvon Entwicklungen ein Eindruck der eigenen Kirchenge-meinde gewinnen. Die statistische Aufarbeitung derDaten kann möglicherweise im Pfarrbüro oder durch eh-renamtliche Mitarbeiter/innen erfolgen. Ausgewertet undaufgearbeitet werden die Ergebnisse in einer Arbeits-gruppe, die dem KGR/PaR eine Präsentation vorlegt.Diese wird diskutiert. Gemeinsam werden Konsequenzenentwickelt.

    Statistische Zahlen geben immer eine gefilterte Wirklich-keit wieder. Sie können jedoch hilfreiche Signale sein,um Entwicklungstendenzen wahrzunehmen.

    • Wenn Sie statistische Daten erstellen oder auswerten, notieren Sie nebenbei auf Haftnotizzetteln die Fragenund Erkenntnisse, die Ihnen kommen.

    Geschichte und Entwicklung der Gemeinde(Quelle: Berichte, Erzählungen)

    • Aus welcher größeren Einheit wurde die Gemeinde (neu) gegründet oder ausgegliedert?

    • Ergaben sich später noch größere Veränderungen beim Gemeindegebiet oder den Gemeindemitglie-dern?

    • Welche wichtigen pastoralen Entwicklungen und Er-eignisse der letzten vier Jahrzehnte (seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil) lassen sich beschreiben?

    • Welche Profile und Schwerpunkte haben das Gemein- deleben bisher ausgezeichnet?

    EntwicklungWie hat sich die Mitgliederzahl (Anzahl der Katholikenmit Hauptwohnsitz in der Kirchengemeinde am 31.12.des jeweiligen Jahres) entwickelt? (Quelle: kirchliche Sta-tistik).

    Sie können die Zahlen, die Ihnen vom Meldewesen derDiözese ([email protected]) zur Verfügung ge-stellt werden, mit denen ihrer Kommune vergleichen, dieSie aus dem Demographiebericht der Bertelsmann Stif-tung entnehmen.• Was erkennen Sie? • Welche lokalen Gründe gibt es für diese Entwicklung (z.B. Überalterung, Wegzug junger Menschen auf-grund geschwundener Erwerbsmöglichkeiten, Errich-tung eines Neubaugebietes usw.)?

    Was bedeutet das für Ihre Kirchengemeinde und deren Dienst vor Ort? Kombinieren Sie die Zahlenreihen mit der Bevölkerungs-prognose bis 2030 für Ihre Kommune oder Ihren Land-kreis (siehe Demographiebericht). Welche Herausforde-rungen ergeben sich für Ihre Situation vor Ort? Deckt sich die Entwicklung der Mitgliederzahl mit denAngeboten in der Gemeinde? Hat sich die Attraktivität der Gemeinde in ähnlicherWeise entwickelt?

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  • K I R C H E A M O R T | 47

    Wie hat sich der Gottesdienstbesuch im Vergleich zur Katholikenzahl entwickelt? (Quelle: kirchliche Statistik)

    Anmerkung: Die Zahlen der Gottesdienstbesucher oder der Kirchen-austritte sind allerdings nur bedingt aussagekräftig, weil die Situationunterschiedlicher Gemeinden sehr differiert: So ist beispielsweise ineiner Stadtgemeinde mit hoher Fluktuation eine geringere Bindungan die örtliche Kirchengemeinde zu erwarten. Dorfgemeinden, die ineinem katholischen Milieu existieren, können dagegen in der Regelmit einem weit höheren Gottesdienstbesuch rechnen. Auch die Per-sonalsituation kann einen gewissen Unterschied begründen, wo esbeispielsweise besonders gute Prediger gibt, ziehen diese auch Got-tesdienstbesucher aus umliegenden Gemeinden an.

    Wie verläuft die Entwicklung im Vergleich zur Dynamik in der Diözese Rottenburg-Stuttgart?Entsprechende Daten finden sich auf den Seiten derHauptabteilung IV zur Statistik: http://pastorale-konzep-tion.drs.de

    Wie entwickelte sich parallel zur Gemeindeent-wicklung die Zahl und Zusammensetzung derhauptamtlichen pastoralen Mitarbeiter/innen?Lassen sich die Veränderungen (z.B. durch Veränderungin der Stellenbesetzung) auch in der Statistik beobach-ten? Sind in der Entwicklung des Gottesdienstbesuchesbeispielsweise entsprechende Sprünge zu erkennen?

    Wie hat sich die ehrenamtliche Mitarbeit in diesem Zeitraum entwickelt?Gibt es Messgrößen, die das beschreiben können?

    Wie sieht die Mitgliederstruktur Ihrer Kirchengemeinde aus?Die Entwicklung der Gemeindemitglieder betrachtet dieGesamtzahl der Katholiken vor Ort. Aussagekräftig istdarüber hinaus die Frage nach der Altersstruktur der Ge-meindemitglieder.

    Eine Alterspyramide für die Diözese findet sich bei http://pastorale-konzeption.drs.de bei Meldewesen/Statistik.Im Pfarramt lässt sich ohne größeren Aufwand auf derDatenbasis des kirchlichen Meldewesens (DaviP) eine Bilanz über die Altersstruktur erstellen. (vgl. dazu dieAusführungen in der Arbeitshilfe Pastoralvisitation)

    Dem Demographiebericht der Bertelsmann Stiftung lässtsich eine Prognose der verschiedenen Altersgruppen aufdas Jahr 2030 bezogen. • Welches Gewicht haben die einzelnen Altersgruppen in der Gemeinde?

    • Wie entwickelt sich die Altersstruktur der Gemeinde-mitglieder?

    • Wie könnten wir uns auf eine solche Veränderung vor-bereiten?

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  • 48 | K I R C H E A M O R T

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  • K I R C H E A M O R T | 49

    Um die richtigen Antworten auf aktuelle gesellschaftlicheVeränderungen finden zu können, sind immer wiederAnstrengungen nötig, muss man sich als Gemeindeimmer wieder neu auf den Weg machen. Kirche istetwas, das sich ständig verändert und wandelt. Eine an-stehende Pastoralvisitation ist Anlass, darüber nachzu-denken, was Ihrer Gemeinde Tiefe, Weite und Orien-tierung gibt. Den eigenen Sozialraum, das Gefüge unddie Aktivitäten der Gemeinde im Licht des Evangeliumszu betrachten, kann ganz neue Perspektiven eröffnen,aus denen der „Entwicklungsplan Pastoral“gespeistwird, den jede Seelsorgeeinheit mit ihren Kirchenge-meinden als Teil der Pastoralvisitation entwickelt. Es wirdempfohlen, in die Erarbeitung Menschen einzubeziehen,die nicht zum Kern der Kirchengemeinde gehören, aberin der Gesellschaft aktiv und verankert sind. Im „Ent-wicklungsplan Pastoral“ geht es um eine geistliche Fun-dierung, einen Wahrnehmungsprozess, um aus derLebenswirklichkeit der am Ort lebenden Menschen he-raus Profile und Prioritäten entwickeln zu können undschließlich ganz konkrete strukturelle und organisatori-sche Konsequenzen zu vereinbaren. Die Arbeitshilfe 1 imRahmen des Prozesses „Kirche am Ort“ gibt hier wich-tige Anregungen und Hilfen, ebenso die Arbeitshilfen zurPastoralvisitation (bestellen über [email protected])

    Der Prozess zur Erstellung des Entwicklungsplans Pas-toral in Seelsorgeeinheiten kann sich als sehr fruchtbarerweisen, wenn er entsprechend ausführlich gestaltetwird. Routinen im Gemeindealltag aus verschiedenenPerspektiven zu betrachten, zu hinterfragen und schließ-lich vielleicht zu einem neuen Bild zusammenzusetzen,erfordert personelle und zeitliche Ressourcen. MehrereMonate Vorlauf sind nötig und nicht jede Gemeinde wirdentsprechende Kompetenzen in den eigenen Reihen fin-den. Deswegen unterstützt die Diözese solche Vorhabenmit Gemeindeberatern und KGR-Moderatoren. Eine vomKirchengemeinderat/Pastoralrat eingesetztes Prozess-team „Kirche am Ort“ kann den Sozialraum einer Seel-sorgeeinheit und ihrer Gemeinden analysierend in denBlick nehmen.

    Zur Vorbereitung des Prozesses zur Erstellung eines„Entwicklungsplan Pastoral“ hat sich auch ein Klausur-wochenende bewährt, bei dem mit Hilfe des Fragebo-gens (siehe 4.3) miteinander die Gemeinde/ Seelsorge-einheit beschrieben wird. Wir empfehlen, die Diskussionextern moderieren zu lassen und die Ergebnisse und An-fragen im Hinblick auf den Entwicklungsplan festzuhal-ten. Die Verantwortlichen Ihrer Seelsorgeeinheit sinddann entlastet und können sich entsprechend ihrer Rollein den Prozess mit einbringen.

    Die Pastoralvisitation als Chance nutzen

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  • 50 | K I R C H E A M O R T

    Falls eine systematische Befragung in der Kirchenge-meinde angedacht wird, gilt es vorher zu überlegen, waseine solche Erkundung leisten soll. Eine Befragung, dienicht Antworten sucht auf drängende Fragen oder Pro-bleme und die nicht Veränderungs- oder Aktivierungs-prozesse anvisiert, lohnt den Aufwand nicht. Mitarbeiterund Befragte werden unnötig beschäftigt, Ressourcenvergeudet. Nur wer weiß, welchem Ziel eine Gemeinde-befragung dient, wird mit diesem Instrument sinnvollumgehen.

    Was wollen Sie also mit Ihrer Befragung erreichen? Wol-len Sie• etwas über die Kirche am Ort, ihre Gemeinden, Grup-pen und Einrichtungen, Dorf oder Quartier erfahren,etwa um Kooperationen zu fördern oder Profile dereinzelnen Akteure zu entwickeln?

    • die Wirkung Ihrer Gemeinde oder der kirchlichen In-stitutionen erkunden, um etwaigen Handlungsbedarfzu erkennen oder Schwerpunkte neu zu entwickeln?

    • etwas über die Bedeutung des gelebten Glaubens fürunterschiedliche Generationen oder Milieus (Gottes-dienste, Gebetsformen, Rituale etc.) herausfinden?

    • Erwartungen und Anforderungen an die hauptamtli-chen pastoralen Mitarbeiter/-innen herausfinden oderverdeutlichen?

    • Bedürfnisse und Erwartungen an Ihre Kirchenge-meinde erfragen, vielleicht mit dem Ziel, die Zufrieden-heit zu erhöhen oder Angebote zu verändern bezie-hungsweise neu zu entwickeln?

    • die Zufriedenheit von ehrenamtlichen Mitarbeitern ermitteln, um Bedürfnisse oder Frustrationen rechtzei-tig zu erkennen?

    Ein Programm, das für nichtkommerzielle Nutzer kosten-los ist und komfortabel viele Dimensionen einer Befra-gung unterstützt, ist GrafStat (www.grafstat.de). Von derErstellung eines Fragebogenformulars über den ausfüll-baren Druck eines solchen Formulars (oder der Erzeu-gung eines internetfähigen HTML-Formulars) bis zuvielfältigen Auswertungs- und Dokumentationsmöglich-keiten findet sich hier ausreichend technische Unterstüt-zung für eine professionelle Befragung. Im GrafStat-Forum können Sie Fragen stellen oder von Erfahrungenanderer profitieren: unter www.forschenmitgrafstat.deerhalten Sie Hinweise und Tipps und Uwe Diener, derAutor von Grafstat, steht Ihnen als Ansprechpartner zurVerfügung.

    Ein wichtiges Kriterium neben der Planung vom Ziel her(siehe Seite 57 und dem Abwägen von Aufwand und Er-gebnis ist die Qualität der Befragung. Ohne entspre-chende fachliche Begleitung droht einem Befragungs-prozess, dass Ergebnisse nicht realistisch oder nicht be-lastbar sind. Die fachlich kompetente Begleitung undausreichend personelle Ressourcen sind unbedingte Vo-raussetzung dafür, einen Befragungsprozess in der Ge-meinde zu starten. Die Gefahr, im Datensammelnstecken zu bleiben und Mitarbeiter und Befragte zu frus-trieren, sollte nicht unterschätzt werden. Jede Befragungwirkt sich auf die Gemeinde aus, aktivierend oder aberdemotivierend, wenn keine entsprechende Umsetzungerfolgt.

    Gemeindebefragung

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  • Weit weniger Ressourcen als eine Gemeindebefragungerfordert die Auseinandersetzung mit dem im Folgendenvorgestellten Fragebogen. Er hilft, als Kirchengemeinde-oder Pastoralrat miteinander über die Situation der ei-genen Gemeinde ins Gespräch zu kommen.

    Ziel: Bedeutsame Themenbereiche für die Weiterentwicklungder Kirchengemeinde werden entdeckt.

    Durchführung:

    1. Schritt:Der Fragebogen wird in Einzelarbeit von den Mitgliederndes KGR/PaR beantwortet.

    2. Schritt: In der KGR/PaR-Sitzung (kann auch im Rahmen einesKlausurtages/-wochenendes sein) werden die Einzelant-worten zusammengetragen und eine gemeinsame Ant-wort des KGR/PaR gesucht. Wichtiger als das Ergebnis(z.B. das Kreuz im Fragebogen) ist der Gesprächsprozessund das Wahrnehmen und Festhalten von zu Tage tre-tenden wichtigen Themen. Am Schluss steht der vomKGR/PaR „gemeinsam“ ausgefüllte Fragebogen.

    3. Schritt: Vereinbarungen zur Weiterarbeit werden getroffen.Es hat sich als hilfreich erwiesen, • für die Bearbeitung im KGR-Plenum einen externen Moderator zu beauftragen.

    • im Vorfeld der gemeinsamen Sitzung (bzw. Klausur) die Ergebnisse durch die ModeratorIn zu einer Ge-samtübersicht aufbereiten zu lassen.

    Wie sehen Kirchengemeinde- oder Pastoralräte ihre eigene Kirchengemeinde

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  • 52 | K I R C H E A M O R T

    1. Wie beurteilen Sie die allgemeine Lebensqualität in Ihrem Ort?sehr gut sehr schlecht

    1 2 3 4 5� � � � �

    2. In welcher Qualität können die Versorgungsbedürfnisse der BürgerInnen in Ihrem Ort erfüllt werden?

    sehr gut sehr schlecht1 2 3 4 5

    Wohnen � � � � �

    Arbeiten � � � � �

    Einkaufen � � � � �

    Freizeitaktivitäten � � � � �

    Kulturelle Angebote � � � � �

    Gesundheitsversorgung � � � � �