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378 IV. Valenz. Grundlagen und Grundfragen 30. Die Problematik der Valenzebenen 1. Einführung 2. Wozu Valenz? 3. Kategoriale und semantische Valenz 4. Dimensionen der Valenz 5. Die Unabhängigkeit der Dimensionen 6. Konsequenzen für Kernfragen der Valenztheorie 7. Literatur in Auswahl 1. Einführung Die Frage, welche Ebenen der Sprachbe- schreibung eine adäquate Valenztheorie be- rücksichtigen muss, ist nicht nur ent- scheidend für die Architektur einer solchen Theorie, sondern hängt auch eng zusammen mit anderen Kernproblemen der Valenzfor- schung, insbesondere mit der Klassifikation von Valenzphänomenen (z. B. Ergänzungen vs. Angaben) und mit der Ermittlung von sprachlichen Gesetzen, die auf dem Valenzbe- griff beruhen. Im folgenden soll das Ebenenproblem nicht disziplinhistorisch, sondern systema- tisch diskutiert werden, und zwar aus der Perspektive der multidimensionalen Valenz- theorie (MVT), die in Jacobs (1994a, ge- schrieben 1987) umrissen und u. a. in Blume (1993, 2000), Engelberg (2000), Jacobs (1992a, 1994b, 1995, 2002) weiterentwickelt wurde. (Weitere Arbeiten, die Ergebnisse der MVT aufgreifen, sind A ´ gel 2000, Kap. 7.1, Breindl 1989, Butulussi 1991, Storrer 1992, Primus 1999 und Zifonun et al. 1997, Kap. E2.2. Kritisches zur MVT in Zifonun 1995, Fischer 1999. Vgl. auch Art. 29 in diesem Band.) Zunächst wird ausführlich die Posi- tion der MVT zur Ebenenproblematik darge- stellt. Danach werden einige Konsequenzen für die Klassifikation von Valenzphänome- nen und für Valenzgesetze umrissen. Dabei wird von der zum Zeitpunkt der Nieder- schrift (2002) aktuellen Version der MVT ausgegangen, die sich von früheren Versionen zwar nicht in den Grundgedanken, aber in wichtigen Details unterscheidet. 2. Wozu Valenz? Eine Erörterung von Grundproblemen der Valenztheorie muss im Auge behalten, wozu das Valenzkonzept in der Sprachwissenschaft dient. Natürlich gibt es dazu verschiedene Meinungen. Wenn man aber betrachtet, wel- che Forschung unter der Überschrift „Va- lenz“ tatsächlich betrieben wird, lässt sich durchaus ein gemeinsamer Nenner erkennen: Mit dem Valenzkonzept sollen bestimmte mit einzelnen Wörtern verbundene und für sie spezifische Informationen darüber erfasst werden, in welchen Satzumgebungen sie un- ter welchen inhaltlichen Bedingungen vor- kommen können. Diese wortspezifischen In- formationen über mögliche Satzumgebungen manifestieren sich z. B. in Sprecherurteilen darüber, welche der Verben öffnet, erblickt, schnarcht unter welchen semantischen Voraussetzungen in die folgenden Umgebun- gen eingesetzt werden können: (1) a. Er - - -. b. Ihm - - -. c. Er - - - die Tür. d. Er - - - der Tür. e. Er - - - die Tür mit einem Trick. f. Er - - - ihr die Tür . g. Die Tür - - - ihn. Deutsche Sprecher identifizieren für öffnet a, c, e und f als mögliche Umgebungen, wäh- rend sie gegen die anderen Umgebungen ver- schiedenartige und verschieden starke Ein- wände haben. Bei g. haben viele Sprecher zu- dem die Intuition, dass die Unmöglichkeit von öffnet am Inhalt liegt, nämlich daran, dass es nicht möglich ist, dass eine Tür je- manden öffnet. Dass diese Informationen für öffnet spezi- fisch sind, zeigt der Vergleich mit entspre- chenden Urteilen für andere Verben. So er- hält man bei erblickt eine ganz andere Vertei- lung: c möglich, alle anderen nicht möglich. Bei schnarcht ergibt sich: a möglich, alle an- deren unmöglich. Auch die inhaltlichen Be- gleiterscheinungen der Einsetzung in die Satzrahmen werden für jedes dieser Verben anders beurteilt. Die sich in solchen Urteilen manifestieren- den wortspezifischen Informationen über mögliche Satzumgebungen sind es also, die mit dem Begriff „Valenz“ (bzw. mit ungefähr synonymen Termini, wie „Selektion“ in der Generativen Grammatik) anvisiert werden. Damit ergibt sich schon eine erste Weichen- stellung für die sprachtheoretische Lokalisie- rung der Valenz: Wie alle wortspezifischen Brought to you by | Dalhousie University Authenticated | 172.16.1.226 Download Date | 7/31/12 12:24 PM

Dependenz und Valenz Volume 918 (Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung) || Die Problematik der Valenzebenen

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Page 1: Dependenz und Valenz Volume 918 (Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung) || Die Problematik der Valenzebenen

378 IV. Valenz. Grundlagen und Grundfragen

30. Die Problematik der Valenzebenen

1. Einführung2. Wozu Valenz?3. Kategoriale und semantische Valenz4. Dimensionen der Valenz5. Die Unabhängigkeit der Dimensionen6. Konsequenzen für Kernfragen der

Valenztheorie7. Literatur in Auswahl

1. Einführung

Die Frage, welche Ebenen der Sprachbe-schreibung eine adäquate Valenztheorie be-rücksichtigen muss, ist nicht nur ent-scheidend für die Architektur einer solchenTheorie, sondern hängt auch eng zusammenmit anderen Kernproblemen der Valenzfor-schung, insbesondere mit der Klassifikationvon Valenzphänomenen (z. B. Ergänzungenvs. Angaben) und mit der Ermittlung vonsprachlichen Gesetzen, die auf dem Valenzbe-griff beruhen.

Im folgenden soll das Ebenenproblemnicht disziplinhistorisch, sondern systema-tisch diskutiert werden, und zwar aus derPerspektive der multidimensionalen Valenz-theorie (MVT), die in Jacobs (1994a, ge-schrieben 1987) umrissen und u. a. in Blume(1993, 2000), Engelberg (2000), Jacobs(1992a, 1994b, 1995, 2002) weiterentwickeltwurde. (Weitere Arbeiten, die Ergebnisse derMVT aufgreifen, sind Agel 2000, Kap. 7.1,Breindl 1989, Butulussi 1991, Storrer 1992,Primus 1999 und Zifonun et al. 1997, Kap.E2.2. Kritisches zur MVT in Zifonun 1995,Fischer 1999. Vgl. auch Art. 29 in diesemBand.) Zunächst wird ausführlich die Posi-tion der MVT zur Ebenenproblematik darge-stellt. Danach werden einige Konsequenzenfür die Klassifikation von Valenzphänome-nen und für Valenzgesetze umrissen. Dabeiwird von der zum Zeitpunkt der Nieder-schrift (2002) aktuellen Version der MVTausgegangen, die sich von früheren Versionenzwar nicht in den Grundgedanken, aber inwichtigen Details unterscheidet.

2. Wozu Valenz?

Eine Erörterung von Grundproblemen derValenztheorie muss im Auge behalten, wozudas Valenzkonzept in der Sprachwissenschaftdient. Natürlich gibt es dazu verschiedene

Meinungen. Wenn man aber betrachtet, wel-che Forschung unter der Überschrift „Va-lenz“ tatsächlich betrieben wird, lässt sichdurchaus ein gemeinsamer Nenner erkennen:Mit dem Valenzkonzept sollen bestimmte miteinzelnen Wörtern verbundene und für siespezifische Informationen darüber erfasstwerden, in welchen Satzumgebungen sie un-ter welchen inhaltlichen Bedingungen vor-kommen können. Diese wortspezifischen In-formationen über mögliche Satzumgebungenmanifestieren sich z. B. in Sprecherurteilendarüber, welche der Verben öffnet, erblickt,schnarcht unter welchen semantischenVoraussetzungen in die folgenden Umgebun-gen eingesetzt werden können:

(1) a. Er - - -.b. Ihm - - -.c. Er - - - die Tür.d. Er - - - der Tür.e. Er - - - die Tür mit einem Trick.f. Er - - - ihr die Tür.g. Die Tür - - - ihn.

Deutsche Sprecher identifizieren für öffnet a,c, e und f als mögliche Umgebungen, wäh-rend sie gegen die anderen Umgebungen ver-schiedenartige und verschieden starke Ein-wände haben. Bei g. haben viele Sprecher zu-dem die Intuition, dass die Unmöglichkeitvon öffnet am Inhalt liegt, nämlich daran,dass es nicht möglich ist, dass eine Tür je-manden öffnet.

Dass diese Informationen für öffnet spezi-fisch sind, zeigt der Vergleich mit entspre-chenden Urteilen für andere Verben. So er-hält man bei erblickt eine ganz andere Vertei-lung: c möglich, alle anderen nicht möglich.Bei schnarcht ergibt sich: a möglich, alle an-deren unmöglich. Auch die inhaltlichen Be-gleiterscheinungen der Einsetzung in dieSatzrahmen werden für jedes dieser Verbenanders beurteilt.

Die sich in solchen Urteilen manifestieren-den wortspezifischen Informationen übermögliche Satzumgebungen sind es also, diemit dem Begriff „Valenz“ (bzw. mit ungefährsynonymen Termini, wie „Selektion“ in derGenerativen Grammatik) anvisiert werden.Damit ergibt sich schon eine erste Weichen-stellung für die sprachtheoretische Lokalisie-rung der Valenz: Wie alle wortspezifischen

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37930. Die Problematik der Valenzebenen

Informationen gehört Valenz ins Lexikon.Die an (1) illustrierten Eigenschaften von öff-net, erblickt und schnarcht beziehen sich zwarauf Satzumgebungen und werden sicher auchvon syntaktischen Regeln � also Regeln desAufbaus von Sätzen und komplexen Satztei-len � berücksichtigt, sie können aber nichtdurch syntaktische Regeln vorausgesagt wer-den. Deshalb müssen sie in dem Teil derGrammatik untergebracht werden, der diefür syntaktische Regeln relevanten, aber nichtdurch sie voraussagbaren Eigenschaften vonAusdrücken erfasst, also im Lexikon. (Dabeiwird hier von einer syntaxnahen Stufe desLexikons ausgegangen, auf der Wörter in vollflektierter Form verzeichnet sind.)

Damit ist jedoch noch keine Vorentschei-dung im Hinblick auf die Ebenenproblematikgetroffen, denn das Lexikon (wie die Syntax)umfasst ja mehrere Repräsentationsebenen:Lexikoneinträge bestehen (mindestens) auseiner phonologischen Repräsentation (PR),die relevante Aspekte der lautlichen Form,z. B. die Segmentfolge, festhält, einer katego-rialen Repräsentation (KR), die über nicht-lautliche Aspekte der Form informiert, z. B.über Wortart- und Flexionsmerkmale, gege-benenfalls auch über die interne Konstitu-entenstruktur des Ausdrucks, sowie aus einersemantischen Repräsentation (SR), die diegrammatisch festgelegte Bedeutung des Wor-tes charakterisiert. Auf welcher dieser lexika-lischen Ebenen die Valenz angesiedelt werdenmuss, ist zunächst nicht klar.

Klar ist jedoch schon vor einer genauerenUntersuchung, dass sich die Valenz nicht ausden traditionell auf der kategorialen Ebeneverzeichneten Wortart- und Flexionsangabenergibt. Zwar schließt auch die Kennzeich-nung von öffnet als Verb in der dritten Per-son, Präsens, Singular, Indikativ bestimmteSatzumgebungen aus (etwa Er will die Tür - - -),sie lässt jedoch alle unter (1) aufgeführtenUmgebungen zu, hat also mit den dort wirk-samen Restriktionen nichts zu tun. Auch dieUnterscheidung transitiv vs. intransitiv, mitder man traditionell Umgebungsrestriktionenerfasst, die nicht durch Wortart- und Flexi-onsangaben erfasst werden (sowie andere In-formationen, etwa Passivierbarkeit), versagtvor den Verhältnissen in (1). So kann sie dieganz unterschiedlichen Einsetzungsmöglich-keiten von öffnet und erblickt in (1) (s. o.)nicht erklären, da ja beide Verben transitivsind. Valenz muss also zusätzlich zur Wortartund Flexionsangabe im Lexikoneintrag ver-zeichnet werden und ersetzt die traditionelle

Angabe der Transitivitätsstufe in dem Um-fang, in dem diese die möglichen Satzumge-bungen zu ungenau identifiziert.

3. Kategoriale und semantischeValenz

Wenn man auf dieser Grundlage auszulotenbeginnt, wie die Valenz von Wörtern expli-ziert werden kann, wie also die fraglichenwortspezifischen Informationen über Satz-umgebungen in Lexikoneinträgen festgehal-ten werden können, erkennt man schnell,dass Valenz auf mehreren Repräsentationse-benen des Lexikons angesiedelt werden muss.Betrachten wir zunächst erblickt.

Viele der an (1) illustrierten Umgebungs-restriktionen für dieses Wort kann man erfas-sen, wenn man annimmt, dass es ein Depen-dens (s. 4.1) im Nominativ und eines im Ak-kusativ fordert. So folgt aus dieser Forderungdie Unmöglichkeit der Einsetzung in a, b undd, während die mögliche Umgebung c dieForderung erfüllt. Symbolisieren wir dieseForderung durch „/nom/akk“. Da /nom/akkaus den KR-Merkmalen Nominativ und Ak-kusativ aufgebaut ist, liegt es nahe, /nom/akkebenfalls als KR-Merkmal zu betrachten.Dann kann man dieses Merkmal der KR vonerblickt, also [V,3pers,präs, …], hinzufügenund erhält [V,3pers,präs, …, /nom/akk].

Die Entscheidung für diese Form der Ein-beziehung von Valenzinformationen in dieKR-Ebene der lexikalischen Repräsentationmuss natürlich weiter gerechtfertigt werden.So sollten sich wortspezifische Forderungennach Dependentien mit bestimmten Merkma-len, wenn ihre Explikation als KR-Merkmaladäquat ist, hinsichtlich relevanter Generali-sierungen nicht von anderen KR-Merkmalenunterscheiden. Dazu wurde in Jacobs (1992a,b)gezeigt, dass KR-Valenzmerkmale genau wieandere KR-Merkmale dem Prinzip gehor-chen, dass in ihnen enthaltene Informationenim Satz nur dann von einer Konstituente Xzur Mutterkonstituente von X transferiertwerden können, wenn X ein syntaktischesHaupt (‘head’) ist, es sei denn, es liegt einedie Asymmetrie zwischen Haupt- und Nicht-Haupt nivellierende Integration von X in dieSchwesterkonstituente vor (vgl. Jacobs 1993).Die Unterwerfung unter dieses für KR-Merkmale typische Haupt-Prinzip wird dage-gen durch andere Formate der Repräsenta-tion entsprechender wortspezifischer Forde-rungen nicht erfasst, so durch die Subkatego-

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380 IV. Valenz. Grundlagen und Grundfragen

risierungsrahmen der Generativen Gramma-tik (vgl. z. B. Haegeman 1994).

Doch auch, wenn sich diese Form der lexi-kalischen Repräsentation von Valenzinfor-mationen rechtfertigen lässt, werden mit ihrdie spezifischen Umgebungsbeschränkungenvon erblickt nicht vollständig erfasst. So er-klärt /nom/akk nicht, warum das Verb in (1g)nicht möglich ist, vgl. *Die Tür erblickt ihn.Auch intuitiv liegt hier eine andere Art vonProblem vor als etwa in (1d): Die Einsetzungin (1g) ist seltsam, weil eine Entität, die etwaserblickt, belebt sein muss, Türen jedoch nichtbelebt sind; deshalb führt die Einsetzung vonerblickt in (1g) zu keinem Satz, der Situatio-nen, die mit unserem Wissen über Türenübereinstimmen, zutreffend beschreibenkann. (Natürlich können wir unser Wissenüber Türen ändern oder erblickt metapho-risch verwenden. Dann kann *Die Tür er-blickt ihn akzeptabel werden, vgl. 4.2.2.1)

Wie können wir diese Erklärung der Ef-fekte der Einsetzung von erblickt in (1g) aufeine lexikalische Valenzinformation zurück-führen? Dass eine Entität, die etwas erblickt,belebt sein muss, ist sicher kein Zusammen-hang, der die PR oder die KR (s. o.) desVerbs betrifft, ja auf diesen Ebenen, auf de-nen es ja um Formaspekte geht, steht nichteinmal ein Vokabular zur Formulierung die-ser Restriktion zur Verfügung. Dagegen kannsie ohne weiteres an der semantischen Reprä-sentation von erblickt festgemacht werden.Diese SR muss � ganz unabhängig von derFrage der Valenz (vgl. 4.2.1) � zum Aus-druck bringen, dass man mit dem Verb überSituationen spricht, in denen ein Individuumzu einem anderen in eine bestimmte Bezie-hung tritt, nämlich eben in die Erblicken-Be-ziehung. Eine SR, die das leistet, kann soaussehen:

ERBLICKT[s](x)(y)

Diese SR besagt, dass die grammatische Be-deutung von erblickt ein dreistelliges Prädi-kat ist, das auf eine Situation s und zwei Indi-viduen x, y genau dann zutrifft, wenn s eineSituation ist, die darin besteht, dass y von xerblickt wird. Die Variablen in den Klammer-paaren hinter ERBLICKT markieren also dieRelate der durch das Prädikat denotiertenBeziehung, wobei „x“, „y“ für Individuen ste-hen, „s“ für die jeweilige Situation. (EckigeKlammern markieren referentielle Relatposi-tionen, vgl. 4.2.1) Bei der Äußerung von Sät-zen, in denen das Verb vorkommt, werdendie Relatvariablen mit passenden Entitätenbelegt, d. h. es wird festgelegt, von welchen

konkreten Relaten die Rede ist, wobei dieSpezifikationen der Relate durch die dasVerb begleitenden Argumente (vgl. 4.2.1) zubeachten sind. (Das auf Davidson 1967 zu-rückgehende Verfahren, auch die jeweils be-schriebene Situation als Relat des Verbs aufzu-fassen, wird in Engelberg 2000 ausführlich be-gründet.) � Die Restriktion, die die Blockadevon erblickt in (1g) erklärt (s. o.), kann mannun leicht als eine auf die SR dieses Verbsbezogene Bedeutungsregel formulieren:

(BR1) ∀x∀y∀s[ERBLICKT[s](x)(y) ⇒BELEBT[x]]

BR1 besagt, dass Individuen, die andere Indi-viduen erblicken, belebt sein müssen (beiwörtlicher Verwendung des Verbs, vgl.4.2.2.1). � Damit haben wir die fraglicheRestriktion an der lexikalisch zugewiesenenSR des Verbs festgemacht. Durch das Sub-skript �BEL an der entsprechenden Relatpo-sition können wir in der SR auf die Bedeu-tungsregel hinweisen:

ERBLICKT[s](�BELx)(y)

Ein weiteres Beispiel für einen Zusammen-hang, der durch eine auf KR beschränkte Va-lenzexplikation nicht erfasst wird, ist die Un-möglichkeit von schnarcht in (1c), vgl. *Erschnarcht die Tür. Man könnte zunächst an-nehmen, sie sei darauf zurückzuführen, dassschnarcht nur ein Nominativ-Dependens imSatz fordert, also das KR-Merkmal /nomhat. Aber daraus folgt nicht, dass schnarchtkein Akkusativ-Dependens zulässt, und dasdarf angesichts von Er schnarcht den ganzenTag auch nicht folgen. Außerdem würde einsolcher auf KR bezogener Erklärungsansatzder Intuition nicht Rechnung tragen, dass*Er schnarcht die Tür in Konflikt damit steht,dass schnarcht keine Situationen beschreibt,in denen Individuen in eine Beziehung treten.In schnarcht-Situationen ist vielmehr stetsnur ein Individuum (eben der Schnarcher) in-volviert. Das geht aber wieder aus der SRhervor, wenn sie elementare Bedeutungsintui-tionen über dieses Wort erfasst:

SCHNARCHT[s](x)

Diese SR erklärt die Inakzeptabilität von(1c), denn nach einem generellen Gesetz derValenzrealisierung können Dependentien, dieunterschiedlichen KR-Kasusforderungen un-terliegen (s. o.), nicht auf dasselbe SR-Relatbezogen werden. (Genaueres in 4.2.1) *Erschnarcht die Tür verstößt gegen dieses Ge-setz, da die unterschiedlichen Kasus auf un-terschiedlichen KR-Forderungen beruhen

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38130. Die Problematik der Valenzebenen

müssen, aber nach Aufweis der SR vonschnarcht nur ein zur Bedeutung der beidenNominale passendes (nämlich Individuen-)Relat zur Verfügung steht. � Dagegen gehtder Akkusativ in Er schnarcht den ganzen Tagnicht auf eine KR-Forderung des Verbs zu-rück, sondern ist eine inhärente Markierungder semantischen Funktion Maßbestimmung.(Einen Konflikt mit dem fraglichen Gesetzgibt es aber auch schon deshalb nicht, weildas Akkusativ-Nominal nicht auf das Indivi-duen-, sondern auf das Situationsrelat bezo-gen wird, s. u.)

Wie eben illustriert, kann man also einigeder Umgebungsrestriktionen, die nach 2. dieValenz eines Wortes ausmachen, an der SR,genauer: an den Relatpositionen in dieser SR,festmachen. Ich bezeichne deshalb im folgen-den die Gesamtheit der Relatpositionen inder SR eines Ausdrucks X als semantische(oder SR-)Valenz von X.

Die Verteilung von Valenzinformationenauf die SR- und die KR-Ebene, deren Not-wendigkeit eben illustriert wurde, muss ein-hergehen mit der Erfassung der Entspre-chung zwischen den beiden Valenzebenen. Soentspricht die erste Individuenrelatpositionder SR-Valenz von erblickt der Stelle /nom inder KR-Valenz /nom/akk des Verbs (s. o.), diezweite Individuenrelatposition der Stelle /akk.Die Situationsrelatposition entspricht keinerKR-Valenzstelle. Diese Korrespondenz kannman durch eine entsprechende Indizierungder KR-Valenz sichtbar machen:

/nomx/akky

(Diese Indizierung wird im folgenden nur an-gegeben, wenn sie relevant ist.)

Valenz muss also auf mehreren Ebenen desLexikons angesiedelt werden, nämlich außerin KR auch in SR. Die Beschränkung auf nureine Ebene würde entweder einen Teil der an(1) illustrierten Kombinationsrestriktionenvon Verben nicht erfassen � und damit einenTeil dessen, was üblicherweise als ihre Valenzverstanden wird � oder sie würde in Konfliktgeraten mit dem für die Ebenen zur Verfü-gung stehenden Analyseinstrumentarium.

Die Notwendigkeit der Unterscheidungzwischen KR- und SR-Valenz ergibt sichdemnach aus zwei Faktoren:

(i) Annahmen über die Art der zu erfassen-den sprachlichen Daten

(ii) sprachtheoretische Differenzierung dergrammatischen Teilebenen

Wenn bezüglich (i) andere Vorentscheidun-gen getroffen worden wären, wenn z. B. Ef-

fekte wie der der Einsetzung von erblickt in(1g) als irrelevant für die Frage der Valenzbetrachtet worden wären, wäre damit viel-leicht auch die Notwendigkeit der Verteilungvon Valenzinformationen auf mehrere Be-schreibungsebenen entfallen. Aber eine sol-che Einengung des Datenbereichs ist in derValenzforschung nicht erfolgt und wäre imLichte der Überlegungen, die in 6.1 angestelltwerden, auch nicht sinnvoll. Dass dennochnicht von Anfang an (und schon gar nicht beiTesniere 1969, vgl. Storrer 1992, 4.1.1) eineMehrebenen-Theorie der Valenz anvisiertwurde, dass vielmehr die systematische Ab-grenzung kategorialer und semantischer Va-lenzaspekte eine relativ späte Entwicklung in-nerhalb der in Tesnieres Tradition stehendenValenzforschung war � die „semantischeWende“ (vgl. ebd., 4.1.6), die in Deutschlandmit Arbeiten von Helbig (z. B. 1982) und derIDS-Projektgruppe Verbvalenz (1981) ein-setzte �, hängt viel mehr mit Faktor (ii) zu-sammen, ist nämlich im wesentlichen ein Er-gebnis der zunehmenden technischen Ausdif-ferenzierung und modularen Abgrenzung dersemantischen von der kategorialen Ebene,die einer der wichtigsten Entwicklungstrendsder Sprachwissenschaft der letzten Jahr-zehnte war.

Allerdings hat man sich auch nach der „se-mantischen Wende“ selten klar gemacht, dassdie Unterscheidung kategorialer und seman-tischer Valenzaspekte sich nicht nur als Diffe-renzierung der lexikalischen Repräsentationvon Valenz auswirkt, sondern auch als eineder einschlägigen grammatischen Gesetze.Das gilt für die lexikalischen Valenzgesetze,s. 6.2, aber auch für solche, die die Verarbei-tung von Valenzinformationen im Satz steu-ern. Die diesbezüglich für KR- und für SR-Valenzen geltenden Mechanismen unterschei-den sich erheblich: Während KR-Valenz-merkmale dem allgemein für KR-Merkmalegeltenden Haupt-Prinzip folgen (s. o.), ist die-ses für die Verarbeitung von SR-Valenzen ir-relevant (auf der SR-Ebene steht nicht einmalder Begriff „Haupt“ zur Verfügung). DieAusbreitung der in den SR-Relatstellen ent-haltenen Valenzinformationen im Satz folgtvielmehr Prinzipien der Komposition lexika-lischer Bedeutungen zu Satzbedeutungen(vgl. Jacobs 1995), die wiederum für KR-Merkmale irrelevant sind.

Die Abgrenzung der SR- von der KR-Va-lenzebene ermöglicht im übrigen auch eineErklärung für die zunächst rätselhafte Un-möglichkeit von erblickt in (1e), vgl. *Er er-blickt die Tür mit einem Trick. Die Erklärung

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382 IV. Valenz. Grundlagen und Grundfragen

ist analog zu der für (1g) vorgeschlagenen:Das Adverbial mit einem Trick widersprichteiner sortalen Forderung, die erblickt seinemSituationsrelat auferlegt, das im Satz durchdas Adverbial spezifiziert wird (vgl. 4.2.1): Si-tuationen, die man mit erblickt beschreibt,sind keine Handlungen, denn ihr Eintretenwird vom jeweiligen Subjekt nicht aktiv undintentional herbeigeführt. In der SR für er-blickt können wir das wieder durch ein ent-sprechendes Subskript an der die Relatposi-tion markierenden Klammer festhalten (alsVerweis auf eine entsprechende Bedeutungs-regel, s. o.):

ERBLICKT[�HDLs](�BELx)(y)

Ein Art-und-Weise-Adverbial wie mit einemTrick kann nun aber sinnvoll nur auf Situa-tionen angewandt werden, die Handlungensind, vgl. Er öffnete die Tür mit einem Trick.Damit kann *Er erblickt die Tür mit einemTrick durch einen Konflikt zwischen der SRvon erblickt und den inhaltlichen Anwen-dungsbedingungen des Adverbials (die eben-falls als sortale Restriktion expliziert werdenkönnen) erklärt werden.

4. Dimensionen der Valenz

Damit jedoch die Ebenendifferenzierung alsFundament der Valenztheorie dienen kann,muss sie weiter präzisiert werden. Zusätzlichzu den zwei Valenzebenen KR und SR müs-sen auf jeder dieser Ebenen verschiedene Teil-phänomene unterschieden werden, die hierals Dimensionen der Valenz bezeichnet wer-den sollen. Betrachten wir zunächst die Di-mensionen der kategorialen Valenz.

4.1. Kategoriale ValenzdimensionenAuf der KR-Ebene notierten wir die Valenzvon erblickt durch „/nom/akk“. Die dadurchsymbolisierte Forderung an die syntaktischenUmgebungen des Verbs hat zwei verschie-dene Aspekte, beinhaltet nämlich sowohl Re-alisierungsforderungen als auch Merkmals-forderungen.

4.1.1. RealisierungsforderungenWenn erblickt das Merkmal /nom/akk hat,sollte sich das syntaktisch so auswirken, dassSätze, in denen das Verb vorkommt, ohnedass ein Nominativ- und ein Akkusativde-pendens realisiert werden, ungrammatischsind. Dazu gehören Sätze wie (2). (Ich nehmean, dass Sätze die Kategorie [V,…, /] haben,also verbale Syntagmen ohne Valenzforde-

rungen � ‘gesättigte Verbalphrasen’ � sind.Zudem betrachte ich nur Nebensätze, um dieVerbstellungsproblematik auszublenden.)

(2) * [V, …, /]

[N, nom, …] [V, …, /nom/akk]

(dass) er erblickt

Dass solche Strukturen, in denen zu wenigeVerbdependentien realisiert werden, tatsäch-lich ausgeschlossen werden, sichert eine Be-dingung für die syntaktische Verarbeitungvon KR-Valenzmerkmalen, die in Jacobs(1992a, b) expliziert wurde: Jede der im KR-Valenzmerkmal /m1/…/mn einer valenztra-genden Konstituente VT enthaltenen Forde-rungen /mi muss entweder a) durch eineSchwesterkonstituente von VT erfüllt unddann gelöscht oder b) zur Mutterkonstituentevon VT transferiert werden (unter Beachtungdes Haupt-Prinzips, s. 3). Das läuft daraufhinaus, dass es zu jeder KR-Valenzforde-rung /mi ein Dependens von VT geben muss,das die Forderung erfüllt, vorausgesetzt manbetrachtet als Dependentien von VT jeneKonstituenten, die mit VT oder einer Projek-tion von VT eine VT-Phrase (also eine kom-plexe Konstituente der Kategorie von VT)bilden. Diese Bedingung wird in (2) offen-sichtlich verletzt, denn es gibt kein Depen-dens des Verbs, das die Forderung /akk er-füllt.

Die Bedingung klärt auch die für die Rea-lisierung in Frage kommenden strukturellenPositionen, schließt also z. B. auch (3) aus,wo zwar ein Akkusativ-Nominal realisiertwird, aber, weil es kein Dependens des Verbs(also nicht mit dem Verb oder einer Projek-tion des Verbs verschwestert) ist, für dessenForderung /akk nicht greifbar ist:

* [V, …, /]

[V, …, /nom]

[P, …]

[N, nom, …] [P, …] [N, akk, …] [V, …, /nom/akk]

(dass) er auf die Tür erblickt

(3)

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38330. Die Problematik der Valenzebenen

Die von der Bedingung vorausgesetzte Mög-lichkeit des Transfers von KR-Valenzforde-rungen zu einer Projektion des Valenzträgerswird durch (4) illustriert, wo /akk von er-blickt zu jetzt erblickt und /nom von erblicktzu die Tür jetzt erblickt projiziert wird. Hiersind alle einschlägigen Gesetze erfüllt:

[V, …, /]

[V, …, /nom]

[V, …, /nom/akk]

[N, nom, …] [N, akk, …] [ADV, …] [V, …, /nom/akk]

(dass) er die Tür jetzt erblickt

(4)

Solche Gesetzmäßigkeiten der syntaktischenAusbreitung lexikalischer Realisierungsforde-rungen spielten in der bisherigen Valenzfor-schung allerdings kaum eine Rolle. Im Mit-telpunkt der Forschung zu Realisierungsfor-derungen stand vielmehr die empirische Er-mittlung obligatorischer Dependentien, alsosolcher, die infolge einer Valenzforderungnicht weglassbar sind. (Genaueres in 5.2.2)Dabei wurde die bekannte Weglassprobenicht selten so angewandt, dass die (Nicht-)Weglassbarkeit einer Konstituente X ohneweitere Prüfung als Beleg dafür gewertetwurde, dass X für einen Valenzträger VT imSatz obligatorisch bzw. fakultativ ist (mit ent-sprechenden Rückschlüssen auf die Valenzvon VT). Das ist problematisch, denn (Nicht-)Weglassbarkeit kann viele Ursachen haben,die mit Valenz gar nichts zu tun haben. Solässt weder die Weglassbarkeit des Objekts in(5) noch die Nicht-Weglassbarkeit des Lokal-adverbials in (6) Rückschlüsse auf die Valenzdes Hauptverbs zu:

(5) Das hab’ ich gesehen. J Hab’ ich ge-sehen.

(6) Angeblich wurden in keiner Universitätjemals Fahrkurse angeboten J *Angeb-lich wurden jemals Fahrkurse angeboten

Die Weglassung von das in (5) wird nichtdurch die KR-Valenz von gesehen lizenziert,sondern durch die Vorfeldposition (unterVoraussetzung inhaltlicher Rekonstruierbar-keit aus dem Kontext). Das zeigt sich darin,dass das Objekt in anderen syntaktische Posi-tionen nicht weglassbar ist, vgl. *dass ich ge-sehen hab’. (Das Objekt unterliegt demnacheiner Realisierungsforderung durch das Verb,

muss also auch in der elliptischen Versionvon (5) unhörbar vorhanden sein, vgl. Jacobs1993.) � Auch die Nicht-Weglassbarkeit desLokaladverbials in (6) hat mit Valenz nichtszu tun, liegt vielmehr daran, dass das nega-tiv-polare jemals die Anwesenheit der im Ad-verbial enthaltenen Negation voraussetzt.

Solche Beispiele (und andere, vgl. Blume1993, Jacobs 1994b) zeigen, dass für denWeglasstest das gleiche gilt wie für andere Di-agnoseverfahren in der Linguistik: Sie gebennur dann Aufschluss über das zu testendePhänomen � hier: valenzbedingte Realisie-rungsforderungen �, wenn sie unter Beach-tung einer vorangehenden theoretischen Ein-grenzung des Phänomens angewandt werden.

4.1.2. Merkmalsforderungen

Wenn /nom/akk besagt, dass der Valenzträgerein Nominativ- und ein Akkusativdependensfordert, beinhaltet das nicht nur, dass eineentsprechende Anzahl von Dependentien rea-lisiert werden muss, sondern auch, dass diesedie richtigen Merkmale haben müssen, hierdie Kasus Nominativ bzw. Akkusativ. Ausge-schlossen sollten also neben Fällen wie (2)auch solche wie (7) sein:

* [V, …, /]

[N, nom, …] [N, dat, …]

(dass) er der Tür erblickt

[V, …, /nom/akk]

[V, …, /nom]

(7)

Auch dieser Effekt muss durch die Bedingun-gen gesichert werden, die ausbuchstabieren,wie sich KR-Valenzmerkmale im Satz aus-wirken: Eine Konstituente X erfüllt nur danndie in der Stelle /mi des Merkmals /m1/…/mn

enthaltene Forderung, wenn mi in der Kate-gorie von X enthalten ist. Diese Bedingungwird in (7) verletzt, da die Kategorie von derTür das Merkmal akk(usativ) nicht enthält.Wenn dagegen in derselben Position ein Aus-druck im Akkusativ gewählt wird, ist die For-derung erfüllt, vgl. dass er die Tür erblickt.

Da Konstituenten, die solchen Merkmals-forderungen gehorchen, stets auch eine Reali-sierungsforderung erfüllen, unterliegen sieden für diese geltenden strukturellen Restrik-tionen, vgl. 4.1.1. Daraus ergeben sich wich-

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384 IV. Valenz. Grundlagen und Grundfragen

tige Unterscheidungskriterien zu anderenFormen der Merkmalsbeeinflussung im Satz:

[V, …]

[V, …]

[N, …, fem, …]

[N, …] […, neut, …] [N, …, fem, …] [V, ...]

(dass) Gold seine Farbe verändert

(8)

Prima facie stellt hier das Subjekt Gold andas Possessivpronomen seine genauso eineMerkmalsforderung wie das Verb an das Ob-jekt in dass er die Tür erblickt. Es fordertnämlich das Genus Neutrum am Prono-men(-Stamm), vgl. *dass Gold ihre Farbe ver-ändert (bei Koreferenz von Subjekt und Pro-nomen). Wenn man aber die strukturellen Be-dingungen der Sättigung von KR-Valenzenberücksichtigt, erkennt man, dass es sich hierum ein anderes Phänomen handelt: Eine KR-Valenzforderung /mi eines Valenzträgers VTkann nur durch ein Dependens von VT er-füllt werden, also durch eine Schwester (einerProjektion) von X, vgl. 4.1.1. In (8) ist seineaber kein Dependens von Gold. Also muss dievon Substantiven ausgehende Genussteue-rung von der Merkmalsbeeinflussung durchKR-Valenzen theoretisch unterschieden wer-den.

Gegen die Beschränkung des Einflussesvon KR-Merkmalsforderungen auf Depen-dentien des Valenzträgers könnte man Bei-spiele wie dass er an ihn denkt anführen. Wa-rum muss ihn im Akkusativ sein (vgl. *dasser an ihm denkt), obwohl die Präposition anauch mit Dativ-Komplementen kompatibelist? Man könnte versuchen, das auf eine KR-Kasusforderung des Verbs und damit auf eineStruktur, die die fragliche Beschränkung ver-letzt, zurückzuführen:

[V, ..., /]

[V, …, /nom]

[P, ...]

[N, nom, …] [P, ...] [N, akk, …] [V, …, /nom/akk]

(dass) er an ihn denkt

(9)

(9) ist aber u. a. deshalb problematisch, weildie syntaktische Rolle der Präposition offenbleibt. Eine alternative Struktur, die der in-tuitiven Abhängigkeit des Akkusativs vomgewählten Verb Rechnung trägt, aber dieRolle der Präposition klärt und auch nicht inKonflikt mit der diskutierten Beschränkung(d. h. mit der Erklärung für Daten wie (3))steht, ist (10).

Hier wird vom Verb in der Objektpositionkein Kasus, sondern eine Präposition gefor-dert, nämlich die Variante von an (genannt„an1“), die selbst per KR-Valenz ein Akkusa-tiv-Komplement fordert. Man muss hierzuallerdings eine Kennzeichnung der jeweils ge-wählten Präposition(svariante) als Merkmalin ihre eigene Kategorie aufnehmen, damitKR-Valenzen von Verben ein solches Merk-mal (das nach dem Haupt-Prinzip auf diePräpositionalphrase übertragen wird) for-dern können. Eine solche KR für Präpositio-nen erscheint generell erforderlich, um dasPhänomen der valenzgeforderten Präpositio-nen zu erfassen, vgl. *dass er über ihndenkt. � Die an (10) illustrierte Analyse klärtnicht nur die Rolle der Präposition und löstden scheinbaren Konflikt von Sätzen dieserArt mit unserer syntaktischen Beschränkungfür die Erfüllung von KR-Valenzforderun-gen, sondern macht auch einige offenbar zu-treffende Voraussagen, nämlich dass dieseArt der Abhängigkeit des Kasus eines Präpo-sitionskomplements vom Verb nur auftritt,wenn die Präposition selbst vom Verb festge-legt wird, und dass sie nicht auftritt, wenn diePräposition keine alternativen KR-Valenzenhat, also z. B. nur Dativ- oder nur Akkusativ-Komplemente (wie mit bzw. für) zulässt (vgl.auch Artikel 29, 4.2.3).

In diesem Zusammenhang stellt sich dieFrage nach generellen Beschränkungen fürdie Merkmale, die qua KR-Valenz gefordertwerden. Dass Kasus und Adpositionen va-lenzgefordert sein können, kann als sichergelten. Ebenso sicher ist, dass der Status einesnicht-finiten Verbs durch die KR-Valenz desjeweils übergeordneten Verbs festgelegt seinkann, vgl. Er braucht nicht {zu kommen,*kommen}, Er will {kommen, *zu kommen},He wants {to come, *come}. Auch die Reali-sierung eines Verbdependens als Satz oder alsNominal scheint manchmal von der KR-Va-lenz des Verbs abzuhängen, vgl. Er hofft{dass er einen Gewinn macht, *einen Gewinn},Er erhofft {einen Gewinn, ?dass er einen Ge-winn macht}, wobei auch der Einfluss sortalerForderungen (vgl. 4.2.2.1) zu erwägen

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38530. Die Problematik der Valenzebenen

(10) [V, ..., /]

[V, …, /nom]

[P, an1 , …, /]

[N, nom, …] [P, an1, …, /akk] [N, akk, …] [V, …, /nom/an1]

(dass) er an ihn denkt

wäre. � Dagegen erweist sich generell fürPerson-, Genus- und Numerusmerkmale,dass sie, auch wenn sie durch eine andereKonstituente X beeinflusst werden, nicht vonder KR-Valenz von X abhängen (vgl. die Be-merkungen zu (8)), sondern über verschie-dene Formen der Kongruenz mit X (manch-mal auch durch sortale Restriktionen) festge-legt werden. Entsprechend könnte man fol-gende Generalisierung wagen: KR-Valenzfor-derungen beziehen sich nur auf solche Merk-male eines Dependens X, die nicht der nähe-ren Charakterisierung des Denotats von Xdienen, etwa seiner Anzahl, seines Ge-schlechts usw. (In der Terminologie des gene-rativen Minimalismus: KR-Valenzforderun-gen beziehen sich nur auf uninterpretierbareMerkmale, vgl. Radford 1997.) Das stehtnicht in Konflikt mit der Möglichkeit, dassPräpositionen gefordert werden (s. o.), dadiese gerade dann, wenn sie KR-valenzgefor-dert sind, bedeutungslos sind, also (wie Ka-sus) das Denotat der entsprechenden Phrasenicht beeinflussen.Übrigens wird auch Kasusnicht immer über KR-Valenz festgelegt. Esgibt auch Kasusfestlegung über Kongruenz,z. B. bei appositiven Nominalen (Er half Pe-ter, seinem alten Freund), über die Position inder Konstituentenstruktur, z. B. beim Genitivpostnominaler Attribute (das Haus der Be-gegnung), über die semantische Funktion,z. B. beim Akkusativ von Maßbestimmungen(Er schnarcht den ganzen Tag), oder über De-faults, z. B. beim Nominativ aller nicht durchandere Mechanismen kasusfixierten deut-schen Nominale (Oh Gott, der Geburtstag desChefs! Ich habe noch gar kein Geschenk). DieAbgrenzung dieser Formen der Kasusfestle-gung von der über KR-Valenz ist manchmalschwierig. So könnte man, da der Nominativder Default-Kasus des Deutschen ist, anneh-men, dass die hier als valenzgefordert behan-delten Nominative tatsächlich Default-Kasussind, dass also z. B. erblickt nicht die KR-Va-

lenz /nom/akk, sondern /N/akk hat, wobei /Nein beliebiges Nominal fordert, das dann perDefault im Nominativ realisiert wird. Erstweitergehende Überlegungen über lexikali-sche Wohlgeformtheitsbedingungen für KR-Valenzen (vgl. 6.2) zeigen, dass das Merkmalnom(inativ) bereits auf der Ebene der KR-Valenz präsent ist.

Wie bei den Realisierungsforderungen ginges in der traditionellen Valenzforschung auchbei den Merkmalsforderungen vor allem umdie empirische Diagnose, wobei die Testme-thodik mit Problemen verbunden war, dieden in 4.1.1 erwähnten ähnelten: Die verwen-deten Austauschproben lassen zwar erken-nen, ob die Realisierung bestimmter Merk-male in einer Satzposition X von der Beset-zung einer anderen Position Y abhängt, abersie lassen, wenn sie nicht in weitergehendetheoretische Überlegungen eingebettet wer-den, die Gründe für solche Abhängigkeitenunklar, können also z. B. nicht unterscheiden,ob X durch die Valenz von Y oder über Kon-gruenz mit Y beeinflusst wird. (Bei naiverAnwendung solcher Proben kann man nichteinmal feststellen, ob X von Y oder Y von Xbeeinflusst wird.)

4.2. Semantische ValenzdimensionenNach den Überlegungen in 3. besteht die se-mantische Valenz von erblickt aus dem Ensem-ble der Relatpositionen in der semantischenRepräsentation ERBLICKT [�HDLs] (�BELx)(y). Auch hierbei kann man noch weitere As-pekte unterscheiden, nämlich Relatforde-rungen und verschiedene Arten von inhaltli-chen Forderungen an Relate.

4.2.1. RelatforderungenDie semantische Valenz von erblickt enthälteine bestimmte Anzahl von Relatpositionenbestimmter semantischer Typen, nämlichzwei für Individuen und eine für eine Situa-tion. Dies wirkt sich insofern als Forderung

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386 IV. Valenz. Grundlagen und Grundfragen

an die möglichen syntaktischen Umgebungendes Verbs aus, als in Sätzen, in denen dasVerb vorkommt, Zahl und Art der Argu-mente des Verbs zu diesem Ensemble von Re-latpositionen passen müssen. Die Argumenteeines Valenzträgers VT in einem Satz S sindjene Dependentien von VT, die ein Relat inder semantischen Valenz von VT spezifizie-ren, indem sie eine zusätzliche Informationüber das Relat geben. So sind Peter, die Türund jetzt in (11a) Argumente von erblickt,weil sie Informationen zu den Relaten x, ybzw. s geben, vgl. die SR (11b):

(11) a. (dass) Peter jetzt die Tür erblicktb. PETER[x] & JETZT(s) & DIE-

TÜR[y] & ERBLICKT[�HDLs](�BELx) (y)

Das Dependens Peter informiert darüber,dass das Verbrelat x eine Entität namens Pe-ter ist, die Tür sagt uns, dass das Verbrelaty eine (den Gesprächsteilnehmern bekannte)Tür ist, und jetzt qualifiziert die vom Verbbeschriebene Situation s als eine jetzt eintre-tende. Andere Argumente informieren überRelate des Verbs, indem sie über sie quantifi-zieren, wie das Subjekt in (12):

(12) a. (dass) jeder jetzt die Tür erblicktb. ∀x[PERSON[x] ⇒ [JETZT(s) &

DIE-TÜR[y] & ERBLICKT[�HDLs](�BELx) (y)]

Dass Zahl und Art der Argumente eines Va-lenzträger VT zu den Relatforderungen vonVT passen müssen, heißt nun nicht, dass eszu jeder Relatposition genau ein Argumentim Satz geben muss (wie es das Theta-Krite-rium der Generativen Grammatik nahe legt,vgl. Haegeman 1994). Die Bedingungen, diedie Argumente mit den Relatpositionen ver-knüpfen, sind liberaler, wirken sich aber dochbeschränkend auf die Satzumgebungen fürVT aus. Eine von ihnen wurde schon in 2.am Beispiel *Er schnarcht die Tür illustriert:Für n (n � 1) durch die KR-Valenz gefor-derte Argumente mit unterschiedlichem Ka-sus müssen mindestens n Relate in der se-mantischen Valenz zur Verfügung stehen.(Weiteres zu Valenzgesetzen in 6.)

Diese Bedingung lässt durchaus zu, dassRelatpositionen manchmal nicht durch Argu-mente spezifiziert werden, wie z. B. in (13):

(13) a. (dass) Peter zuschlägtb. PETER[x] & ZUSCHLÄGT[s](x)(y)

(13a) beschreibt in der relevanten Lesart eineRelation zwischen einem Individuum, das

schlägt, und einem, dem der Schlag gilt.Während aber der Schlagende durch ein Ar-gument spezifiziert wird, bleibt der Geschla-gene ungenannt. Um wen es sich handelt, er-gibt sich ausschließlich aus dem Äußerungs-kontext. In (13b) kommt das dadurch zumAusdruck, dass es kein das Relat y näherkennzeichnendes Prädikat gibt. Das unter-scheidet (13) von (11)�(12). Da die Möglich-keit eines solchen impliziten (d. h. nicht durchein Argument spezifizierten) Relats offen-sichtlich vom gewählten Valenzträger VT ab-hängt, muss sie im Lexikoneintrag von VTfestgehalten werden, nämlich dadurch, dasses zu der fraglichen SR-Valenzstelle keineentsprechende KR-Valenzstelle gibt, vgl.5.2.2.

Die erwähnte Bedingung lässt auch zu,dass ein Relat durch mehrere Argumente spe-zifiziert wird, vorausgesetzt, sie haben nichtverschiedenen valenzgeforderten Kasus. Dasliegt z. B. in Konstruktionen mit prädikativenAdverbialen vor:

(14) a. (dass) Peter müde nach Hause kamb. PETER[x] & MÜDE[x] & NACH-

HAUSE-KAM[s](x)

Doch wie kann man feststellen, welche Relat-positionen ein Wort hat? Das ist eine Grund-frage der lexikalischen Semantik, sind dochdie mit Wörtern verbundenen Relatpositio-nen ein zentraler Aspekt ihrer Bedeutung. Somuss, ganz unabhängig von den Belangen derValenztheorie, jede vernünftige Explikationder Bedeutung der Nomina Kleinkind undTochter erfassen, dass Tochter eine Relatposi-tion mehr als Kleinkind hat, also keine Eigen-schaft, sondern eine Beziehung bezeichnet: ‘xist ein Kleinkind’ vs. ‘x ist Tochter von y’.Dabei kann man sich hier auf eine klare Intu-ition stützen, die durch verschiedene Testver-fahren bestätigt wird, etwa dadurch, dass sichaus Sätzen, in denen Tochter ohne ein das y-Relat spezifizierendes Argument vorkommt,die Existenz eines solchen Relats folgernlässt, während entsprechendes bei Kleinkindnicht der Fall ist: Petra ist die Tochter ⇒ Esgibt jemanden, dessen Tochter Petra ist vs.Petra ist ein Kleinkind ⇒/ Es gibt jemanden,dessen Kleinkind Petra ist. Auch Assoziati-onstests, wie sie in Heringer 1986 vorgeschla-gen wurden, sind sensitiv für diesen Unter-schied.

Wie andere Diagnoseverfahren der Valenz-theorie (s. o.) führen jedoch auch Tests fürRelatpositionen leicht in die Irre, wenn sienicht durch theoriebezogene Überlegungen

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38730. Die Problematik der Valenzebenen

gestützt werden. So ergibt eine naive Anwen-dung des Folgerungstests, dass das Verb trägtkeine Relatposition für den Nutznießer derHandlung hat, vgl. Er trägt den Koffer ⇒/ Esgibt jemanden, dem er den Koffer trägt, unddass folglich in Er trägt ihr den Koffer dasDativdependens des Verbs kein Argument ist.In anderen Zusammenhängen verhalten sichbenefaktive Dative jedoch wie Argumente.Z. B. kann man sie keinem schon vorhande-nen Dativ-Argument hinzufügen, vgl. *Sei-nem Freund schrieb er dem Finanzamt einenBrief. Das wäre nach einschlägigen lexikali-schen Valenzgesetzen nur dann zu erwarten,wenn der Benefaktiv ein Argument ist (vgl.Engelberg 2000, 3.1.2). Die Auflösung desWiderspruchs liegt in der Annahme einer Po-lysemie. Transitive Handlungsverben haben(mindestens) zwei Lesarten: eine ohne, einemit einer durch einen Dativ zu spezifizieren-den Relatposition für den Nutznießer. In Ab-wesenheit des Dativs � also auch beim Fol-gerungstest � wird stets die erste Lesart reali-siert, weil sie weniger markiert ist. (Die zweiteLesart entsteht durch einen produktiven Va-lenzerweiterungsprozess.)

Besondere Vorsicht ist bei der Anwendungdes Folgerungstests auf Adverbiale geboten.So darf man daraus, dass aus Peter mähte dasGras nicht folgt, dass Peter das Gras mit derHilfe einer anderen Person mähte, nichtschließen, dass die PP in Peter mähte dasGras mit Gerdas Hilfe kein Relat des Verbsspezifiziert, also kein Argument ist. Die Exis-tenz eines passenden Relats folgt ja aus Petermähte das Gras, aber natürlich in unspezifi-scher Form: Peter mähte das Gras ⇒ Es gabeine Situation, die darin bestand, dass Peterdas Gras mähte. Genau dieses Situationsrelatist es, das von mit Gerdas Hilfe spezifiziertwird.

Bei anderen in der Literatur vorgeschlage-nen Tests für Argumente vs. Nicht-Argu-mente ist zu bezweifeln, ob sie diesen Unter-schied überhaupt erfassen. Das gilt z. B. fürdie Auslagerung eines Verbdependens in ei-nen koordinativ angeschlossenen, mit gesche-hen gebildeten Satz, die nach verbreiteter(auch in Jacobs 1994a vertretener) Auffas-sung nur bei Nicht-Argumenten möglich ist,vgl. Er schrieb ihr einen Brief J ??Er schriebeinen Brief, und das geschah ihr vs. Er schriebfür Petra einen Brief J Er schrieb einen Brief,und das geschah für Petra. Abgesehen davon,dass dieser Test auf viele Fälle gar nicht an-wendbar ist (z. B. auf obligatorische Depen-dentien), hat Engelberg (2000) gezeigt, dass

er nicht Argumente von Nicht-Argumentenunterscheidet, sondern Argumente, die dasSituationsrelat spezifizieren, von anderenVerbdependentien: Das pronominale Subjektvon geschehen bezieht sich anaphorisch aufdie vom Verb im vorangehenden Teilsatz be-schriebene Situation, und das ausgelagerteVerbdependens wird durch geschehen überdiese Situation prädiziert � wozu es natür-lich als Situationsprädikat fungieren könnenmuss. Er darf also weder ein Individuenargu-ment sein, wie ihr im obigen Beispiel, nochsich auf die ganze Proposition beziehen, wieleider in Er schrieb leider einen Brief J ??Erschrieb einen Brief, und das geschah leider.

Solche Probleme bei der Anwendung vonTests für Relatpositionen bzw. Argumentesprechen natürlich nicht gegen die Einbezie-hung dieser Faktoren in die Valenzanalyse(wie manchmal behauptet wurde), genausowenig, wie vergleichbare Diagnoseproblemegegen die Berücksichtigung von Realisie-rungs- oder Merkmalsforderungen sprechen,vgl. 4.1.1. Sie machen aber deutlich, dass sichdie Valenzforschung mehr als bisher der Tat-sache stellen muss, dass sich ihr Gegenstandnicht durch theoriefrei anwendbare operatio-nale Verfahren ermitteln lässt (was für ande-ren Teile der linguistischen Forschung, etwafür die zu syntaktischen Konstituentenstruk-turen, längst selbstverständlich geworden ist).

Theorieabhängig ist auch die noch nichterläuterte Unterscheidung zwischen referen-tiellen (R-)Relatpositionen und nicht-referen-tiellen (Non-R-)Relatpositionen. R-Relatpo-sitionen nehmen die Entitäten auf, auf dieman sich mit dem Valenzträger bezieht unddie man durch ihn zumindest teilweise identi-fiziert. Die Entitäten in Non-R-Relatpositio-nen werden dagegen (wenn überhaupt) erstdurch hinzukommende Argumente des Va-lenzträgers identifiziert. Z. B. hat Tochterzwei Relatpositionen: ‘x ist Tochter von y’(s. o.). Dabei besetzt x die R-Relatposition,denn x ist das Individuum, auf das man sichmit Tochter bezieht, vgl. etwa Die Tochterfreut sich (was bedeutet ‘Das Individuum, dasTochter von jemand ist, freut sich’, und nicht‘Das Individuum, von dem jemand eineTochter ist, freut sich’). Das Relat y ist dage-gen in einer Non-R-Position und wird ent-sprechend erst durch ein eventuell hinzukom-mendes Argument identifiziert, wie in DieTochter von Gerda freut sich. Wir kennzeich-nen R-Relatpositionen durch eckige, Non-R-Relatpositionen durch runde Klammern, alsoz. B. TOCHTER[x](y). Entsprechend gibt es

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388 IV. Valenz. Grundlagen und Grundfragen

zwei Arten von Argumenten, nämlich Identi-fizierer, d. h. solche, die Non-R-Relate desValenzträgers spezifizieren, und Modifizierer,d. h. solche, die R-Relate spezifizieren. In DieTochter von Gerda freut sich ist von Gerdademnach Identifizierer. Ein Modifiziererwäre in der Küche in Die Tochter in der Küchefreut sich, denn die Präpositionalphrase be-zieht sich auf das R-Relat x.

Bei Verben ist die Situationsstelle als R-Relatposition zu betrachten, die Individuen-relate von Verben sind dagegen stets in Non-R-Positionen, z. B. SCHNARCHT[s](x). InPeter schnarcht seit zwei Stunden wäre Peteralso Identifizierer, seit zwei Stunden Modifi-zierer, denn Peter bezieht sich auf das Non-R-Relat x, seit zwei Stunden auf das R-Relat s.

Die Unterscheidung von R- und Non-R-Relatpositionen bzw. von Modifizierern undIdentifizierern ist für viele grammatische undlexikalische Generalisierungen relevant. Sosind R- im Gegensatz zu Non-R-Positionenin Sprachen wie dem Deutschen weder mitKR-Valenzforderungen noch mit Rollenfor-derungen verbunden, vgl. 5.1 bzw. 5.3. Ent-sprechend unterliegen Modifizierer im Ge-gensatz zu Identifizierern in diesen Sprachenkeinen Realisierungs- oder KR-Merkmalsfor-derungen und haben keine vom Verb zuge-wiesenen semantischen Rollen.

Solche Unterschiede zwischen Identifizie-rern und Modifizierern nimmt die Valenzfor-schung bis heute zum Anlass, Modifizierer alsAngaben, also als nicht valenzabhängig zubetrachten. Dagegen werden sie hier, wohlzur Überraschung mancher Leser, als Argu-mente klassifiziert, also als Ausdrücke, dieauf die semantische Valenz des jeweiligenHaupts bezogen sind. Begründen lässt sichdiese Neuklassifikation einerseits damit, dassnach dem heutigen Stand der Forschung Mo-difizierer in der semantischen Struktur dengleichen Status haben wie Identifizierer, in-dem sie vom Valenzträger eingeführte Relatespezifizieren, andererseits damit, dass sichModifizierer bezüglich einer Reihe von gram-matischen Generalisierungen wie Identifizie-rer verhalten und nicht wie jene Dependen-tien, die tatsächlich keine Argumente sind,die also, wie epistemische, evaluative oderSprechakt-Adverbiale (z. B. vermutlich, leider,offen gesagt), keine Relate eines Valenzträ-gers spezifizieren, sondern Operationen aufder Proposition oder der Illokution zum Aus-druck bringen, vgl. 6. Eine dieser Generalisie-rungen ist, dass Modifizierer und Identifizie-

rer im Gegensatz zu Nicht-Argumenten sor-tale Forderungen des jeweiligen Valenzträ-gers beachten müssen.

4.2.2. Inhaltliche Forderungen an Relate

4.2.2.1. Sortale ForderungenDie semantische Repräsentation ERBLICKT[�HDLs] (�BELx) (y) spezifiziert nicht nur dienach ihrem groben semantischen Typ (Situa-tion vs. Individuum) klassifizierten Relatpo-sitionen des Verbs, sondern auch weitere Be-dingungen für die Relate: Die x-Relatstellekann nur durch belebte Individuen gefülltwerden, und die s-Stelle ist für Situationen re-serviert, die keine Handlungen sind. Die Sub-skripte �BEL und �HDL an den Relat-klammern, die diese Bedingungen repräsen-tieren, sind als Abkürzungen entsprechenderBedeutungsregeln zu lesen, vgl. 3.

Solche sortalen Forderungen wirken sichinsofern als Beschränkungen für die mögli-chen syntaktischen Umgebungen des Verbsaus, als die Prädikate, die zur Formulierungder Argumente dienen, keine mit den Forde-rungen in Konflikt stehenden Folgerungenbeinhalten dürfen:

(15) a. *(dass) das Auto den Polizisten er-blickt

b. DAS-AUTO [�BELx] & DEN-PO-LIZISTEN [y] & ERBLICKT[�HDLs] (�BELx) (y)

Hier besteht ein Widerspruch zwischen dervom Verb an x gestellten Forderung nach Be-lebtheit und der Folgerung aus dem Argu-ment-Prädikat DAS-AUTO, dass x unbelebtist. Das führt dazu, dass der Satz (bei norma-ler Interpretation der involvierten Prädikate,s. u.) semantisch abweichend ist. Deshalbkommt als Subjekt-Argument von erblicktnur ein Nominal in Frage, das belebte Deno-tate nicht ausschließt, wie der Mann, Fido, je-mand oder sie.

Sortale Forderungen haben allerdings un-ter den mit natürlichsprachlichen Prädikatenverbundenen Folgerungen in mancher Hin-sicht einen Sonderstatus. So sind sie keineImplikationen, sondern Präsuppositionen,d. h. sie grenzen ein, für welche Entitätenman überhaupt sinnvoll die Frage nach demZutreffen des Prädikats stellen kann. Dasmanifestiert sich u. a. darin, dass sortale For-derungen von normaler Satznegation nichtberührt werden: Sowohl aus Er erblickt dieTür als auch aus Er erblickt die Tür nicht folgtdie Belebtheit des Subjekts.

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38930. Die Problematik der Valenzebenen

Die problematischste Besonderheit sorta-ler Forderungen ist, dass Verletzungen wie in(15a) nicht notwendigerweise zu inakzeptab-len Äußerungen führen. Dadurch unterschei-den sich sortale Forderungen u. a. von denmit Relatpositionen verbundenen grobenTyp-Festlegungen, wie Individuum vs. Situa-tion. Eine Äußerung von Die Abreise erblicktden Polizisten, wo statt eines Individuumseine Situation die Subjekt-Relatposition füllt,ist stets inakzeptabel bzw. uninterpretierbar.Eine von Das Auto erblickt den Polizisten istes nicht: Einerseits gibt es denkbare Bezugssi-tuationen, in denen die mit DAS-AUTO ver-bundene Folgerung der Unbelebtheit aufge-hoben ist, etwa wenn es um ein anthropo-morphisiertes Auto in einem Comic geht. An-dererseits sind wir u. U. auch dann, wennkeine die Deutung von Prädikaten verän-dernde Bezugssituation vorliegt, bereit, Äu-ßerungen mit verletzten sortalen Restriktio-nen wie (15a) zu akzeptieren, wenn wir ihneneinen metaphorischen oder metonymischenSinn geben können. Dieses Phänomen ist fürdie lexikalische Semantik besonders da prob-lematisch, wo es nicht als punktuelle Nicht-Einhaltung sprachlicher Regeln (etwa zur Er-zielung ästhetischer Effekte) abgetan werdenkann, sondern gängigen Mustern folgt, etwain Fällen wie Der Schweinebraten an Tischsieben möchte noch ein Bier oder Deutschlandtrauert um seinen größten Rennfahrer. Wiesolche routinemäßigen Verletzungen einervom Verb ausgehenden sortalen Forderungzu explizieren sind, ist noch umstritten. Fällewie der erste der eben genannten könnten aufstandardisierte, vom syntaktischen Kontextausgelöste Uminterpretationen des jeweiligenArguments („coercions“, vgl. Pustejovsky1995) zurückgeführt werden. In Fällen wiedem zweiten könnte eine lexikalische Polyse-mie des Subjekt-Nomens vorliegen (im Bei-spiel etwa ‘geographische Region’ vs. ‘Bevöl-kerung dieser Region’), vielleicht auch eindiesbezüglich unterspezifizierter Lexikonein-trag für das Verb (vgl. Dölling 1997).

Wie in 4.2.1 schon angedeutet, unterliegennicht nur Identifizierer, sondern auch Modifi-zierer sortalen Restriktionen. Auch diese sindalso keineswegs frei hinzufügbar (wie es ihretraditionelle Einstufung als Angaben sugge-riert), sondern müssen die sortalen Forderun-gen des Valenzträgers an das Relat, das siespezifizieren, berücksichtigen. Das wurdeschon in 3. mit dem Beispiel *Er erblickt dieTür mit einem Trick illustriert, dessen Selt-samkeit auf einen Konflikt zwischen der mit

dem Situationsrelat des Verbs verbundenenForderung �HDL und der Beschränkungdes Adverbials auf �HDL-Situationen zu-rückgeführt und in der (vereinfachten) se-mantischen Repräsentation (16) veranschau-licht werden kann:

(16) ER[x] & DIE-TÜR [�BELy] & MIT-EINEM-TRICK (�HDLs) & ER-BLICKT [�HDLs] (�BELx) (y)

Sortalem Einfluss unterliegen natürlich auchModifizierer nominaler Valenzträger, was alt-bekannte Beispiele wie *grüne Ideen belegen,die auf einen Konflikt zwischen einer mit demreferentiellen Relat des Nomens verbundenenSortenfestlegung (hier in etwa: �KONKRET)und der Sortenforderung des dieses Relat spe-zifizierenden Adjektivs in seiner wörtlichenLesart (�KONKRET) zurückgeführt wer-den können, ein Konflikt, der genau wie derin (15) unter bestimmten Bedingungen (etwabei metaphorischer Interpretation) nicht zueiner inakzeptablen Äußerung führen muss.

4.2.2.2. RollenforderungenRelatpositionen sind außer mit Sortenforde-rungen oft auch mit Rollenforderungen ver-bunden, d. h. mit Festlegungen der Weise, wiedas Relat in die vom jeweiligen Ausdruck be-schriebene Situation involviert ist. So fordertdie Subjekt-Relatposition von öffnet (innicht-übertragener Lesart) von der entspre-chenden Entität nicht nur Belebtheit, son-dern unter anderem auch, dass es die be-schriebene Situation kontrolliert, d. h. aus ei-genem Antrieb initiiert und ihren Verlauf be-einflusst (Primus 1999, Blume 2000). Kon-trolle ist eine der Forderungen, die für die ge-meinhin als „Agens“ bezeichnete semantischeRolle charakteristisch sind. Weitere Agens-charakteristika sind (nach Blume 2000) Ver-ursachung und Wahrnehmung/Empfindung.Diese Charakteristika sind allerdings nichtals notwendige Bedingungen für das Vorlie-gen eines Agens zu betrachten. Nach einerIdee Dowtys (1991) ist „Agens“ vielmehr einPrototypen-Begriff, der in dem Maß zutrifft,in dem die einzelnen für ihn charakteristi-schen Eigenschaften vorliegen. Entsprechen-des gilt für die Patiens-Rolle und ihre Cha-rakteristika, die (nach Primus und Blume)Konversen von Agenscharakteristika sind,z. B. das Betroffen-Sein von einer Verursa-chung.

Valenzrelevant sind Rollenforderungenwieder dadurch, dass sie den syntaktischenUmgebungen des Valenzträgers inhaltliche

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390 IV. Valenz. Grundlagen und Grundfragen

Restriktionen auferlegen, vgl. z. B. *Derschlafende Polizist öffnet die Tür. Die zentraleBedeutung der Rollenforderungen für die Va-lenztheorie ergibt sich aber daraus, dass dielexikalischen Regeln, die die semantische mitder kategorialen Valenz verknüpfen, wesent-lich auf solche Forderungen Bezug nehmen.Vor allem werden die Kasusforderungen andie Argumente durch die entsprechendenRollenforderungen gesteuert, vgl. 6.2. Umdiese Zusammenhänge zu explizieren, mussman die Rollenforderungen geeignet reprä-sentieren. Hierzu bietet sich, analog zu den sor-talen Forderungen, ein Vermerk an der Relat-position an, z. B. ÖFFNET[s](�BEL, �KONTR,

�KAUSx)(y). Dabei können Rollensubskriptewie �KONTR und �KAUS wie die sortalenSubskripte als Abkürzung entsprechender Be-deutungsregeln aufgefasst werden:

(BR2) ∀x∀y∀s [ÖFFNET [s] (x) (y) ⇒KONTROLLIERT (x) (s)]

Rollenforderungen sind allerdings im Gegen-satz zu sortalen Forderungen in der Regelkeine Präsuppositionen, sondern Implikatio-nen, werden also von Negation betroffen:Aus Er öffnet die Tür folgt, dass das Subjektim erläuterten Sinn die Situation kontrolliert,aus Er öffnet die Tür nicht folgt das nicht.Dass die Negation dennoch die Kasuszuwei-sung an die Argumente nicht beeinflusst,zeigt, dass es bei der Steuerung der Kasus-durch die Rollenforderungen nicht daraufankommt, ob die letzteren erfüllt sind, son-dern ob sie in der jeweiligen lexikalischen SRals Forderungen enthalten sind.

Problematisch bleibt auch nach der Wendezu einer flexibleren Analyse, bei der Agensund Patiens als Proto-Rollen aufgefasst wer-den, die Frage, mit welchem Inventar kon-kreter Rollenforderungen (wie Kontrolle,Verursachung, Wahrnehmung) man die Zu-sammenhänge zwischen semantischer undkategorialer Valenz in natürlichen Sprachenam besten erfasst. (Dowty 1991, Primus 1999und Blume 2000 nehmen, obwohl sie alle vonProto-Rollen ausgehen, verschiedene Inven-tare an.) Die Lösung dieses Problems hängtz. T. von der eines anderen ab, nämlich vonder präzisen Festlegung der Deutung der an-genommenen Rollenbegriffe, ohne die nichtgewährleistet ist, dass die mit diesen Begriffenformulierten Hypothesen empirischen Gehalthaben. Darauf weist Engelberg (2000) hin,der am Beispiel von Wahrnehmung und Kon-trolle (bzw. Intention) auch vorführt, wie eine

Präzisierung von Rollenbegriffen durch Ein-beziehung psychologischer und neurologi-scher Erkenntnisse geleistet werden kann.

5. Die Unabhängigkeitder Dimensionen

Die theoretische Brisanz der Zerlegung derValenz in verschiedene Dimensionen liegt da-rin, dass diese Dimensionen unabhängig von-einander sind. Es handelt sich also nicht umverschiedene Aspekte ein und desselben Phä-nomens, die immer zusammen vorliegen müs-sen, sondern um verschiedene Phänomene,die zusammen vorliegen können, aber nichtmüssen. Entsprechend muss Valenz als die(nicht-ausschließende) Oder-Verknüpfungdieser Phänomene gedeutet werden. DieseTatsache hat u. a. zur Folge, dass Klassifika-tionen von Valenzphänomenen und Valenz-gesetze nach den verschiedenen Dimensionendifferenziert werden müssen, vgl. 6. � Im fol-genden soll die Unabhängigkeit der Valenzdi-mensionen durch Beispiele belegt werden, indenen sie sich voneinander trennen. Dabeigibt es sowohl Fälle, in denen es zu einer glo-balen Divergenz von kategorialer und seman-tischer Valenz kommt, als auch solche, in de-nen Dimensionen der jeweils gleichen Valenz-ebene nicht konvergieren.

Die Unabhängigkeit der Valenzdimensio-nen überträgt sich auf die ihnen entsprechen-den syntagmatischen Beziehungen, die z. T.en passant schon oben eingeführt wurden (S:ein Satz in einer bestimmten Lesart, X, Y:Konstituenten von S, wobei X Dependensvon Y ist, vgl. 4.1.1):

X ist in S für Y notwendig gdw. X in Seiner Realisierungsforderung in derKR-Valenz von Y unterliegt;X wird in S von Y formregiert gdw. X inS einer Merkmalsforderung in der KR-Valenz von Y unterliegt;X ist in S Argument von Y gdw. X in Sein Relat in der SR-Valenz von Y spezi-fiziert (wobei Argumente Identifiziereroder Modifizierer sein können, je nach-dem, ob es sich um ein Non-R- oder einR-Relat in der SR-Valenz von Y han-delt);X wird in S von Y sortal regiert gdw.X in S einer in der SR-Valenz von Yenthaltenen sortalen Forderung unter-liegt;X ist in S Partizipant von Y gdw. X inS einer in der SR-Valenz von Y ausge-henden Rollenforderung unterliegt.

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39130. Die Problematik der Valenzebenen

Zusammen bezeichne ich diese Beziehungenals Valenzbindungsrelationen und eine Konsti-tuente X, die in einer dieser Relationen zu ei-ner Konstituente Y steht, als von Y valenzge-bunden oder als Ergänzung von Y. Wenn Xnotwendig für Y oder von Y formregiert ist,bezeichne ich X auch als Komplement von Y.

5.1. Divergenz von kategorialer undsemantischer Valenz

Dass valenzgebundene Konstituenten nichtimmer Komplemente sind, belegen Adverbi-ale wie jetzt oder mit einem Trick in (11) bzw.(16) oben. Die jeweiligen SRen zeigen, dassdie Adverbiale das Situationsrelat des Verbsspezifizieren und damit per definitionem Ar-gumente des Verbs sind, die zudem sortal re-giert sind, da sie die mit der Relatpositionverbundene Forderung �HDL (‘keine Hand-lung’) respektieren müssen (wogegen mit ei-nem Trick in (16) verstößt, vgl. 4.2.2.1).Gleichzeitig unterliegen die Adverbiale aberkeiner KR-Realisierungsforderung, könnenalso weggelassen werden, und auch ihre kate-gorialen Merkmale sind vom Verb nicht vor-gegeben. Z. B. muss eine Zeitpunkt-Bestim-mung wie jetzt kein Adverb sein, sondernkann auch als Präpositionalphrase (um zweiUhr) realisiert werden, wobei beliebige Prä-positionen gewählt werden können, die zurFunktion ‘Zeitpunkt-Bestimmung’ passen(vgl. nach dem Mittagessen). Im Lexikonein-trag von erblickt kommt diese Nicht-Konver-genz von KR- und SR-Valenz darin zumAusdruck, dass es im KR-Valenzmerkmal/nom/akk keine Stelle gibt, die der Situations-stelle in ERBLICKT[�HDLs](�BELx)(y) ent-spricht.

All das ist typisch für Modifikatoren, alsofür Argumente, die das referentielle Relat desValenzträgers spezifizieren. Auch Modifika-toren von Nomina oder Adjektiven stehen invielen Sprachen nicht unter KR-Valenzein-fluss. Allerdings haben Nomina und Adjek-tive gelegentlich (aber seltener als Verben)auch Non-R-Relatpositionen, die dann mitKR-Valenzforderungen verknüpft sein kön-nen, vgl. die Valenzen von Suche (in die Suchenach dem Gral) und ähnlich (in ein ihm ähnli-cher Schauspieler):

(17) a. /nachx

b. SUCHE[s](x)

(18) a. /daty

b. ÄHNLICH[x](y)

Dass im Deutschen bei R-Relaten semanti-sche ohne kategoriale Valenzforderungen

auftreten, steht also außer Zweifel. Ob dasauch sprachübergreifend gilt, ob also Modifi-zierer niemals KR-Valenzforderungen ausge-setzt sind, ist jedoch fraglich. Zu prüfen wärehier u. a. der Status von Modifizierern mit lo-kalen oder instrumentalen Kasus (die es invielen Sprachen gibt, vgl. Blake 1994, 5.6 �5.7). Soweit diese Kasus durch die KR-Va-lenz des Verbs gefordert werden (also keineinhärente Markierung der semantischenFunktion sind, wie der Akkusativ deutscherMaßbestimmungen), sprechen sie gegen einegenerelle Divergenz von SR- und KR-Valenzbei R-Relaten.

Ebenso ist noch nicht völlig klar, ob kate-goriale auch ohne semantische Valenzforde-rungen auftreten können. Mögliche Beispielefindet man unter Expletiv-Dependentien. Sokönnte die Nicht-Weglassbarkeit und die ka-tegoriale Beschränktheit des expletiven Sub-jekts deutscher Witterungsverben auf eineentsprechende KR-Forderung im Lexikon-eintrag der Verben zurückgeführt werden.Wenn dann angenommen wird, dass solcheSubjekte nichts bezeichnen, resultieren Lexi-koneinträge, in denen einer KR-Forderungkeine SR-Forderung entspricht:

(19) a. /explb. REGNET[s]

Diese Analyse ist aber umstritten. Engelberg(2000, 122 ff.) hat mit Blick auf die Verhält-nisse in anderen Sprachen vorgeschlagen, dasExpletivum in Sätzen wie Es regnet als eine(inhaltlich leere) Spezifizierung der vom Verbbeschriebenen Situation zu deuten, also /explauf die s-Relatposition zu beziehen. Damitläge keine KR-Valenz ohne SR-Valenz mehrvor. � Ob sich andere inhaltsleere Komple-mente, etwa die Reflexiva in Er {ärgert,schämt, fürchtet} sich, analog analysieren las-sen, ist offen.

5.2. Divergenz von KR-Forderungen5.2.1. Realisierungs- ohne Merkmals-

forderungenDie Formen der Kopula sein fordern die Rea-lisierung eines prädikativen Dependens, vgl.(20a), ohne diesem kategoriale Restriktionenaufzuerlegen, vgl. (20b):

(20) a. dass Peter *(klug) istb. dass Peter {ein Student, klug, im Gar-

ten, weg} ist

Das erfasst man, wenn man den Formen vonsein das KR-Valenzmerkmal /nom/Ø zuord-

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392 IV. Valenz. Grundlagen und Grundfragen

net, wobei „/Ø“ bedeutet ‘fordert die Reali-sierung eines Dependens mit beliebiger Kate-gorie’:

(21) a. * [V, ..., /]

[N, nom, …] [V, ..., /nom/Ø]

(dass) Peter ist

[V, …, /]

[N, nom ,…] [V, …, /nom]

[V, …, /nom/Ø]

(dass) Peter ist

[ein Studend]NklugAdj[im Garten]PwegAdv

b.

Dass (21a) unzulässig ist, folgt aus dem Prin-zip (vgl. 4.1.1), dass jede Forderung in einemKR-Valenzmerkmal von der Schwester er-füllt oder zur Mutter transferiert werdenmuss. Für /Ø geschieht in (21a) weder daseine noch das andere. Die Zulässigkeit allerVarianten von (21b) ergibt sich daraus, dass/Ø durch Dependentien beliebiger Kategorienerfüllt werden kann. (Natürlich könnte da-mit /Ø in (21a) als von Peter erfüllt betrachtetwerden. Doch dann müsste /nom nach obentransferiert werden; auch in diesem Fall wärealso die Kategorisierung von Peter ist als[V,…,/] � d. h. als Satz � unzulässig.)

Doch wie kann bei dieser Analyse erfasstwerden, dass die Kopula nicht beliebige Aus-drücke als Prädikativkomplement zulässt,vgl. (22)?

(22) a. dass Peter {ein Student, *einen Stu-dent} ist

b. *dass Peter {neulich, auf jeden Fall,nicht} ist

Bei (22a) ist daran zu erinnern, dass Kasus,wenn sie nicht valenzgefordert sind, über an-dere Mechanismen festgelegt werden, vgl.4.1.2. Beim Kasus nominaler Prädikative imDeutschen liegt wahrscheinlich Kasuskon-gruenz mit dem Nominal vor, das das seman-tische Subjekt des Prädikativs spezifiziert:Wenn dieses Nominal im Nominativ ist, mussauch das Prädikativ im Nominativ sein, vgl.(22a), wenn das Nominal im Akkusativ ist,ist das Prädikativ in der Regel im Akkusativ,vgl. dass er ihn {*ein Faschist, einenFaschisten} nannte.

Die Verstöße in (22b) können auf semanti-sche Konflikte zurückgeführt werden, wennman für ist die folgende SR und die Bedeu-tungsregel (BR3) annimmt (P: eine Variablefür einstellige Individuenprädikate):

IST(x)(P)

(BR3) ∀xP[IST(x)(P) ⇒ P[x]]

Die Bedeutung der Kopula wird damit alsBeziehung zwischen einem Individuum x undeinem Prädikat P expliziert, die darin besteht,dass P auf x zutrifft. Als Spezifizierungen deszweiten Relats von IST kommen also nurAusdrücke in Frage, die sich auf das die ersteRelatposition füllende Invidividuum als Prä-dikat anwenden lassen � und damit keinerder Ausdrücke in (22b): neulich lässt sich überEreignisse, aber nicht über Personen prädizie-ren, auf jeden Fall und nicht sind Prädikateüber Propositionen. � Aus (BR3) folgt auchdie Unmöglichkeit, Verben als Prädikative zuverwenden, vgl. *dass Peter {schläft, schlafen,geschlafen} ist, da x die R-Stelle von P füllenmuss und Verben keine R-Stelle für Indivi-duen haben, vgl. 4.2.1. (Die vorgeschlageneRepräsentation der Kopula ist aber noch mitvielen offenen Fragen verbunden, etwa imHinblick auf den Situationsbezug von Prädi-kativkonstruktionen, vgl. Maienborn 2001.)

Im übrigen ist ausbleibende Formrektionauch bei obligatorischen Komplementen an-derer Verbarten zu konstatieren, etwa bei denadverbialen Ergänzungen von Verben wiewohnen:

(23) a. dass Peter *(in München) wohntb. dass Peter {in München, weit weg,

schön} wohnt

Wenn man hierfür eine Analyse in Betrachtzieht, die analog zu der für die Kopula skiz-zierten ist, muss man klären, worüber die ad-verbialen Komplemente in der Bedeutung derjeweiligen Sätze prädizieren. Zifonun (1995)nimmt eine Prädikation über das Subjekt an,während Kaufmann (1995) und Engelberg(2000) eine Prädikation über die beschriebeneSituation vorschlagen.

5.2.2. Merkmals- ohne Realisierungs-forderungen? Der Fall derfakultativen Ergänzungen

Die in 5.1 diskutierten Modifizierer belegenmit der Möglichkeit der Divergenz von KR-und SR-Valenz, dass valenzgebundene Kon-stituenten nicht immer notwendig sind. Dieausufernde Diskussion über fakultative Er-

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39330. Die Problematik der Valenzebenen

gänzungen beschäftigte sich jedoch nicht mitModifizierern (da sie nicht als Ergänzungenbetrachtet wurden), sondern mit weglassba-ren Identifizierer, also mit Argumenten, dieein Non-R-Relat spezifizieren, aber unter ge-eigneten pragmatischen Bedingungen unrea-lisiert bleiben können:

(24) dass er (den Vertrag) unterschreibt

In unserem Rahmen kann allerdings die Weg-lassbarkeit des Objekts nicht auf fehlendeNotwendigkeit im Sinn der Definition in 5.zurückgeführt werden, denn das Objekt un-terliegt einer KR-Merkmalsforderung unddamit notwendigerweise auch einer Realisie-rungsforderung, vgl. (25a, b):

[V, …, /]

[V, …, /nom]

[N, nom, …] [N, akk, …] [V, …, /nom/akk]

(dass) er den Vertrag unterschreibt

(25) a.

b.

[N, nom, …] [V, …, /nom/akk]

(dass) er unterschreibt

[V, …, /]*

(25b) verletzt für /akk das Prinzip, dass KR-Valenzstellen gesättigt oder nach oben trans-feriert werden müssen. Und tatsächlich wärees unlogisch anzunehmen, eine Merkmalsfor-derung könne ohne Realisierung einer Kons-tituente, die das Merkmal hat, erfüllt werden.

Eine mit diesen Überlegungen kompatibleErklärung der Weglassbarkeit des Objekts in(24) ergibt sich, wenn wir für die objektloseFassung dieses Satzes die Struktur (26) an-nehmen:

(26) [V, …, /]

[N, nom, …] [V, …, /nom]

(dass) er unterschreibt

Mit dem Wegfall der Merkmalsforderung/akk wird hier auch die Realisierung einesAkkusativdependens nicht mehr gefordert.

Damit erfüllt die Struktur alle unsere Prinzi-pien. Sie setzt aber voraus, dass das Lexikondem Verb unterschreibt neben der in (25a) re-alisierten KR-Valenz /nom/akk eine weitere,um eine Stelle reduzierte KR-Valenz /nomzuordnet, dass es also zwei durch ihre KR-Valenz unterschiedene lexikalische Variantendes Verbs gibt. Nach Jacobs (1994b) liegt beifakultativen Ergänzungen generell eine sol-che lexikalische Variantenbildung bezüglichder KR-Valenzen vor (und nicht, wie manch-mal behauptet wurde, eine rein pragmatischeAnnullierung von Valenzforderungen).

Dass auch in der objektlosen Variante von(24) eine Objekt mitverstanden wird, kannman mit dem schon in 4.2.1 angedeutetenFormat der Repräsentation impliziter Relateerfassen, d. h. dadurch, dass in der entspre-chenden SR eine Objekt-Position angenom-men wird, der keine Position in der KR-Va-lenz entspricht:

UNTERSCHREIBT’[s](x)(�DEFy)

Das Subskript �DEF zeigt an, dass das im-plizite Objekt-Relat definit, also in der Äuße-rungssituation bekannt sein muss (vgl. ?Erunterschrieb, aber ich weiß nicht was). Damitwird die Annahme, in der objektlosen Ver-sion von (26) liege eine eigene Variante desVerbs vor, auch semantisch gestützt, denn fürexplizite Objekte von unterschreibt gilt keineDefinitheitsforderung (vgl. Er unterschreibtirgendetwas). Nicht nur die KR-Valenz derVerbvariante in (26) weicht also von der derVariante in (25a) ab, sondern auch die lexika-lische SR, nämlich durch die Definitheitsfor-derung. In Jacobs (1994b) wird gezeigt, dassVerben mit fakultativen Ergänzungen in denobjektlosen Varianten stets mit spezifischenBedeutungen verbunden sind, besondersdeutlich, wenn den impliziten Relaten sortaleForderungen auferlegt werden, die für ent-sprechende explizite Argumente nicht gelten,z. B. Er gibt ‘Er gibt den Mitspielern Karten’(vgl. auch Agel 1991).

Die entscheidende Evidenz für diese Ana-lyse fakultativer Ergänzungen als Ergebnis ei-ner lexikalischen Valenzvariation kommt je-doch aus lexikalischen Valenzregeln, die aufder Basis dieser Analyse bestimmte Beschrän-kungen für die Fakultativisierung von Ver-bdependentien erklären, vgl. 6.2.

Fassen wir zusammen: Formregierte Kons-tituenten, die nicht notwendig (im Sinn derDefinitionen in 5.) sind, gibt es nicht. Traditi-onelle fakultative Ergänzungen sind für dasVerb (oder eine andere Konstituente) not-

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394 IV. Valenz. Grundlagen und Grundfragen

wendige Identifizierer, die in einer durch lexi-kalische Valenzvariation ermöglichten alter-nativen Satzstruktur unrealisiert bleiben.Entsprechend sind obligatorische Ergänzun-gen notwendige Dependentien, für die eskeine solche Alternativstruktur gibt, wie dasdirekte Objekt in Peter überreicht ihr *(denPokal).

5.3. Divergenz von SR-ForderungenAuch die Dimensionen der SR-Valenz � Re-lat-, Sorten- und Rollenforderungen � müs-sen nicht konvergieren. So folgt aus unsererDefinition von „Rollenforderung“ als Festle-gung der Weise, wie ein Relat in die vom Aus-druck beschriebene Situation involviert ist(vgl. 4.2.2.2), dass die Relate eines Aus-drucks, der keine Situation beschreibt, keinerRollenforderung durch diesen Ausdruck un-terliegen. Zu diesen nicht-rollenzuweisendenAusdrücken gehören Funktionswörter, etwadas Modalverb muss (p: eine Variable fürPropositionen):

(27) a. /infp

b. MUSS(p)

Muss fordert eine durch eine infinitivischeVerbprojektion ausgedrückte Propositionund charakterisiert sie als in einem durch denKontext festgelegten Sinn notwendig. (Wenndie Verbprojektion offene Valenzstellen hat,werden diese nach in Jacobs 1992a, b, 1995explizierten Prinzipien übernommen.) DasModalverb beschreibt aber keine Situationund weist deshalb seinem infinitivischen De-pendens auch keine Rolle in einer Situationzu. Die Infinitiv-Ergänzung ist also Argu-ment und Komplement, aber nicht Partizi-pant des Modalverbs (s. 5). Außerdem ist sieauch nicht sortal regiert, denn das Relat un-terliegt auch keiner Sortenforderung.

Bei Vollwörtern können nicht-rollenzuwei-sende Relatpositionen allerdings durchausmit sortalen Forderungen verknüpft sein.Z. B. verbinden Nomina und Adjektive mitihrem R-Relat (das mangels Situationsbezugkeine semantische Rolle trägt) oft sehr spezi-fische sortale Beschränkungen, z. B. Kitz (nurRehe, Gemsen oder Ziegen), kaputt (nur Ar-tefakte).

6. Konsequenzen für Kernfragender Valenztheorie

6.1. Klassifikation von ValenzphänomenenWenn die Valenzdimensionen unabhängigsind, muss man die Repräsentation der Va-lenz im Lexikon und die der Valenzbindung

im Satz hinsichtlich der einzelnen Dimensio-nen differenzieren, denn dann kann ja ausValenz(bindung) in einer Dimension nichtauf Valenz(bindung) in allen Dimensionengeschlossen werden. Wie die lexikalische Dif-ferenzierung aussehen kann, wurde schon anmehreren Beispielen für KR- und SR-Valen-zen einzelner Wörter vorgeführt. Die syntak-tische Differenzierung der Valenzbindungkann man an den entsprechenden Satz-KRnund -SRn ablesen. Übersichtlicher ist aber diefolgende Notation, die für jede Dimensiondas (Nicht-)Vorliegen von Valenzbindung di-rekt anzeigt (zu „not(wendig)“, „form(re-giert)“, „arg(ument)“, „sort(al regiert)“, „par-t(izipant)“ vgl. 5., zu „obl(igatorisch)“ vgl.5.2.2):

(28)a. dass Peter seinem ehemaligen Lehrer begegnete

+obl, +not, +form, +arg, +sort, +part

(28) zeigt, wie weit das traditionelle Klassifi-kationsschema im Bereich der Valenzbin-dung, also Ergänzungen vs. fakultative Er-gänzungen vs. Angaben, hinter den tatsächli-chen Differenzierungen zurückbleibt. Ande-rerseits scheint unsere multidimensionaleAnalyse den Begriff „Valenz(bindung)“ selbstüberflüssig zu machen, indem sie ihn zu einerpraktischen, aber sprachtheoretisch verzicht-baren Sammelbezeichnung für eine Reihevon Phänomenen degradiert, denen nur ge-meinsam ist, dass sie sich in wortspezifischenUmgebungsrestriktionen manifestieren (vgl.2.).

Doch die Phänomene hängen durch mehrals das zusammen. Unsere Darstellung derUnabhängigkeit der Dimensionen enthieltschon Hinweise auf Implikationen zwischenihnen. Bezogen auf die Valenzbindung fasst(DI) diese Implikationen zusammen. Dabeizeigt jeder der Pfeilrichtung folgende Wegvon Dimension D1 zu Dimension D2 an, dassD1 D2 impliziert (wobei es zur Verbindungvon not und arg vielleicht Ausnahmen gibt,vgl. (19)).

Mit (DI) werden bestimmte Dimensions-kombinationen ausgeschlossen, z. B. *[�obl,�arg], *[�form, �not], *[�part, �sort],*[�sort, �arg]. Darüber hinaus lässt (DI) ei-nen generellen Zusammenhang erkennen:Alle Implikationsketten in (DI) münden inarg, also in der Beziehung, die zwischen X

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39530. Die Problematik der Valenzebenen

(29)b. dass Peter seine langjährige Freundin heiratete

– obl, +not, +form, +arg, +sort, +part

c. dass Peter ein begeisterter Segler ist

+obl, +not, – form, +arg, – sort, – part

d. dass Peter abreisen muß

+obl, +not, +form, +arg, – sort, – part

e. dass Peter die Tür jetzt erblickt

– obl, – n ot, – form,+arg, +sort, – part

f. dass Peter leider abreist

– obl, – not, – form,– arg, – sort, – part

(DI) obl

form not arg

part sort

und Y besteht, wenn X die Füllung einer Re-latposition von Y spezifiziert. Damit erwei-sen sich die in (DI) links von arg angesiedel-ten Dimensionen als verschiedene Ausprä-gungen von Relatforderungen. Der Begriff„Valenz(bindung)“ ist damit auch in der mul-tidimensionalen Sichtweise mehr als ein Eti-kett für eine arbiträr zusammengestellteGruppe von Umgebungsrestriktionen: Er be-zeichnet vielmehr genau die Umgebungsres-triktionen eines Ausdrucks, die Ausprägun-gen seiner semantischen Relationalität sind.(Ähnlich wird Valenz auch von Lehmann1992 gedeutet. Man erinnere sich im übrigen,dass es auch andere Umgebungsrestriktionengibt, etwa jene, die durch Wortart oder Fle-xion bedingt sind, vgl. 2.)

Dennoch scheinen die Begriffe „Valenz“und „Valenzbindung“, so wie sie in der multi-dimensionalen Theorie expliziert werden,keine Bedeutung für die Formulierung empi-

risch gehaltvoller sprachlicher Generalisie-rungen zu haben. Wir verstehen diese Begriffeja als nicht-ausschließende Oder-Verknüp-fung der einzelnen Dimensionen. Die vielensprachlichen Erscheinungen, die damit unter„Valenz(bindung)“ fallen, bilden anscheinendtrotz ihrer gemeinsamen Fundierung in dersemantischen Relationalität im Hinblick auflexikalische bzw. syntaktische Gesetze keinenatürliche Klasse. So gibt es meines Wissensfür das Deutsche keine zutreffende syntakti-sche Generalisierung der Form „Wenn X vonY valenzgebunden ist, dann hat X die Eigen-schaft P“ (es sei denn, P folgt per definitio-nem aus der Valenzbindung, aber dann ist dieGeneralisierung ohne empirischen Gehalt).

Im Kontrast dazu nehmen zahlreichenicht-triviale sprachliche Gesetze auf die ein-zelnen Dimensionen der Valenz(bindung) Be-zug, vgl. 6.2. Und natürlich wurden die Di-mensionen im Vorangehenden schon so kon-zipiert, dass auf ihrer Basis interessante Ge-neralisierungen formuliert werden können.Mit Blick auf solche Generalisierungenwurde auch der Argumentbegriff weiter ge-fasst als üblich. Er trifft nun auf viele Depen-dentien zu, die traditionell als Angaben (bzw.in generativen Arbeiten als Adjunkte) be-trachtet wurden. Wie wir gleich sehen wer-den, bestätigen zahlreiche Gesetzmäßigkeitendiese begriffliche Verschiebung.

In der traditionellen Valenzforschungwurde die Frage der Relevanz der zentralenBegriffe (wie „Ergänzung“ und „Angabe“)für grammatische Generalisierungen kaumernsthaft geprüft. Stattdessen hat sie sich ineine langwierige und fruchtlose Debatte überDiagnoseverfahren für diese Begriffe verhed-dert. Nach Jacobs 1994a ist der unglücklicheVerlauf dieser Debatte weitgehend darauf zu-rückzuführen, dass die Multidimensionalitätder Valenz(bindung), insbesondere die Unab-hängigkeit der Dimensionen, verkanntwurde.

6.2. ValenzgesetzeAls Valenzgesetze bezeichne ich alle Generali-sierungen über natürliche Sprachen, die we-sentlichen Gebrauch von Begriffen der Va-lenztheorie machen. Da diese Begriffe, so wiesie hier eingeführt wurden, zwischen den Di-mensionen der Valenz differenzieren, tun diesauch die mit ihnen formulierten Gesetze. Da-bei können entsprechend differenzierte Va-lenzgesetze (a) nur eine Dimension betreffenoder (b) einen Zusammenhang zwischenmehreren Dimensionen herstellen. Beide Ar-

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396 IV. Valenz. Grundlagen und Grundfragen

ten von Gesetzen können auf das Lexikon,also auf die Valenz i. e. S., oder auf die Syn-tax, also auf die Valenzbindung, bezogensein.

Unter den syntaktischen Gesetzen desTyps (a) sind z. B. solche, die von dem Begriff„Argument“ Gebrauch machen. Wenn unsereEinstufung von Modifizierern als Argu-menten korrekt ist, sollte sie darauf beruhen,dass sich Modifizierer hinsichtlich bestimm-ter sprachlicher Phänomene wie Identifiziererund anders als zweifelsfreie Nicht-Argumen-te, etwa epistemische, evaluatorische oderSprechakt-Adverbiale, verhalten. In Jacobs2002 wird eine Reihe von solchen Phänome-nen aufgelistet: Wie Identifizierer und andersals zweifelsfreie Nicht-Argumente sind Modi-fizierer pronominalisierbar, erfragbar, inCleft-Sätzen abspaltbar, links- und rechtsver-setzbar (vgl. auch Jacobs 2001), als postno-minale Attribute verwendbar, und wie beiIdentifizierern werden ihre Grundpositionenim deutschen Mittelfeld (vgl. Frey/Pittner1998) von denen der Nicht-Argumente c-kommandiert. Entsprechend können diesePhänomene durch Argument-Gesetze erfasstwerden: Nur Argumente sind pronominali-sierbar, nur Argumente sind erfragbar, nurArgumente können abgespalten werden usw.Außerdem wurde schon in 4.2.2.1 darauf hin-gewiesen, dass Modifizierer wie Identifizierersortalen Restriktionen unterliegen können,im Gegensatz zu zweifelsfreien Nicht-Argu-menten, die tatsächlich, wie es traditionell fürAngaben postuliert wurde, stets frei hinzu-fügbar sind. Es gilt also, dass nur Argumentesortal regiert sein können. � Im übrigen kön-nen wir Gesetze, die auf dem enger gefasstenArgumentbegriff bisheriger Arbeiten beru-hen, in der Regel durch Ersetzung von „Ar-gument“ durch „Identifizierer“ adaptieren,etwa das Gesetz (aus Jacobs 1993), dass nurArgumente ins Verb integriert (und damitz. B. fokusprojektiv) werden können. In un-serem begrifflichen Rahmen gilt: Nur Identi-fizierer können ins Verb integriert werden.

Bei dem Gesetz, dass nur Argumente sor-tal regiert sein können handelt es sich im üb-rigen nicht um ein (a)-, sondern um ein (b)-Gesetz, da es mehrere Valenzbindungsdimen-sionen miteinander verknüpft. Es folgt ausder Dimensionenhierarchie (DI) in 6.1, genauwie eine Reihe weiterer syntaktischer Gesetzedieser Art, etwa dass nur Argumente notwen-dig oder formregiert sein können. Diese Res-triktion wird allerdings von Modifizierern tri-vial erfüllt, da sie, wie schon angedeutet, nie-

mals einer KR-Valenzforderung des jeweili-gen Haupts unterliegen (ein weiteres (b)-Ge-setz). Zentral für die Valenzforschung derletzten Jahre waren allerdings weniger solchesyntaktischen Gesetze, sondern lexikalischeGesetze, die festlegen, welche Ausdrücke mitwelchen KR-Valenzen, vor allem mit welchenKasusforderungen, auftreten können. Auchhier gibt es (a)- und (b)-Gesetze. Die ersterenhaben die Form von Wohlgeformtheitsbedin-gungen für KR-Valenzmerkmale. Z. B. giltfür KR-Valenzmerkmale von Verben sprach-übergreifend folgende Bedingung (vgl. Pri-mus 1999, Blume 2000; vorausgesetzt ist,dass die Verben in der Grundform vorliegen,ihre Valenz also nicht durch flexivische Dia-thesen, wie Passivierung oder Imperativisie-rung, verändert wurde):

(KR-G)Falls der Kasus ki höher in der Kasushierar-chie liegt als der Kasus kj und ein KR-Va-lenzmerkmal eine Stelle /kj enthält, enthält esauch eine Stelle /ki. (Kasushierarchie für Ak-kusativsprachen: nom � akk � dat � gen).

(KR-G) ist ein Präferenzgesetz, d. h. KR-Va-lenzen, die dagegen verstoßen, sind möglich,aber markiert, was sich u. a. darin manifes-tiert, dass sie besonderen semantischen Be-dingungen unterliegen und relativ selten vor-kommen. In Akkusativsprachen wie demDeutschen sind in diesem Sinn markierteKR-Valenzen z. B. /dat, /nom/dat, /nom/gen,während /nom, /nom/akk, /nom/akk/dat un-markiert sind. Das erklärt, warum Valenzender ersten Gruppe durch eine viel kleinereZahl von Verben instantiiert werden als dieder zweiten und wieso sie, im Gegensatz zuletzteren, nur bei Verben aus bestimmten Be-deutungsklassen vorkommen (s. u.).

Im Mittelpunkt der in den letzten Jahrenintensiv betriebenen Kasusforschung standenaber lexikalische Gesetze vom Typ (b), näm-lich solche, die das ‘Linking’ von KR-Kasus-forderungen mit SR-Valenzfaktoren steuern.Ein Strang dieser Forschung macht diese Ge-setze an den hierarchischen Verhältnissen in-nerhalb einer als SR fungierenden Dekompo-sitionsstruktur fest, z. B. Kaufmann 1995,Wunderlich 1997. (Zu Problemen dieses An-satzes s. Engelberg 2000, 1.2.2) Hier wird da-gegen davon ausgegangen, dass es beimLinking auf die Rollenforderungen im Sinnvon 4.2.2.2 ankommt, also auf jene mit Re-latpositionen verbundenen, durch Bedeu-tungsregeln explizierbaren Implikationen der

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39730. Die Problematik der Valenzebenen

jeweiligen Verb(lesart)en, die charakteristischfür die als Prototypen verstandenen Kon-zepte Agens bzw. Patiens sind, z. B. Verursa-chung, Kontrolle bzw. Betroffen-Sein vonVerursachung, Betroffen-Sein von Kontrolleusw. Die Klassifizierung dieser Forderungenin Proto-Agens- bzw. Proto-Patiens-Implika-tionen ist entscheidend für die Gesetze, diedie fraglichen KR-SR-Zusammenhänge er-fassen, z. B. für das folgende, das für (dieGrundform von)Verben V und für nach (KR-G) unmarkierte KR-Valenzmerkmale gilt:

(KR-SR-G)1. Wenn eine Stelle /nom in der KR-Valenz

von V einer Relatposition Ri in der SR-Valenz von V entspricht, dann gibt eskeine Relatposition Rj in der SR-Valenzvon V, die mit mehr Proto-Agens-Implika-tionen verbunden ist als Ri.

2. Wenn eine Stelle /akk in der KR-Valenzvon V einer Relatposition Ri in der SR-Valenz von V entspricht, dann gibt eskeine Relatposition Rj in der SR-Valenzvon V, die mit mehr Proto-Patiens-Impli-kationen verbunden ist als Ri.

Dieses (vereinfachte, vgl. Blume 2000) Gesetzlinkt in Akkusativsprachen die Stellen /nomund /akk von unmarkierten verbalen KR-Va-lenzen mit den SR-Relatpositionen, die mitdem jeweiligen Maximum von Proto-Agens-bzw. Proto-Patiens-Implikationen verbundensind. Für Ergativsprachen gilt (KR-SR-G)entsprechend für /erg(ativ) bzw. /abs(olu-tus). � Dass dieses Gesetz zweistellige kausa-tive Verben wie öffnen oder töten erfasst, istoffensichtlich, ebenso, dass der /dat-Stellevon Besitztransferverben mit der Valenz/nom/akk/dat, z. B. schenken oder übergeben,zutreffend eine hinsichtlich der Proto-Rollenmittlere Relatposition zugewiesen wird. Aberauch weniger klassische Verben, die für an-dere Linking-Ansätze problematisch sind,entsprechen (KR-SR-G). So erfüllt ein stati-sches Verhältnisverb wie betrifft (in Der Vor-schlag betrifft das nächste Haushaltsjahr) dasGesetz trivialerweise, da keine seiner Relat-positionen mit Proto-Agens- oder -Patiens-Implikationen verbunden ist. Schließlich li-zenziert (KR-SR-G) die Zuweisung der KR-Valenz /nom an einstellige Verben auch dann,wenn sie, wie hinfallen oder ankommen, keineAgens-Subjekte haben: Die entsprechendeSR-Relatposition hat zwar keine Proto-Agens-Implikationen, aber es gibt auch keine

andere Relatposition mit mehr Proto-Agens-Implikationen.

Markierte KR-Valenzen im Sinn von (KR-G) unterliegen, wie gesagt, strengeren Link-ing-Bedingungen. So gilt nach Blume (2000)für zweistellige markierte Verbvalenzen wie/nom/dat sprachübergreifend, dass sie nurauftreten, wenn es kein zu großes, aber auchkein zu kleines Agens-Patiens-Gefälle zwi-schen den entsprechenden Relatpositionengibt. Diese eingeschränkte semantische Tran-sitivität ist nach Blume (2000) im wesentli-chen in zwei Konstellationen gewährleistet:(i) Eine Relatposition hat nur wenige, die an-dere überhaupt keine Proto-Rollen-Implika-tionen; (ii) beide Relatpositionen habenProto-Agens-Implikationen oder beide habenProto-Patiens-Implikationen. (i) liegt z. B. beiVerben der unkontrollierten Wahrnehmungvor, wie schmecken, gefallen, (ii) bei Interak-tionsverben wie helfen, folgen.

Solche auf Rollenforderungen Bezugnehmenden Linking-Gesetze sichern, dassKR-Valenzen die relevanten Eigenschaftender jeweiligen SR-Valenzen transparent ma-chen und letztlich, dass in der Kommunika-tion die den KR-Valenzstellen entsprechen-den Argumente im Satz den ‘richtigen’ SR-Stellen zugeordnet werden können. DiesemZweck dienen auch allgemeinere Gesetze desKR-SR-Verhältnisses, so das in 4.2.1 er-wähnte Prinzip, dass für n (n � 1) KR-Stel-len mit unterschiedlichem Kasus mindestensn Relate in der SR-Valenz zur Verfügung ste-hen müssen.

Diese lexikalischen Gesetze des Zusam-menhangs zwischen der KR- und der SR-Va-lenz restringieren bei Verben mit mehrerenLesarten oder morphologisch verwandtenVerben auch die lexikalische Valenzvariation,da die möglichen Valenzvarianten in dem vonden Gesetzen eingegrenzten Spielraum blei-ben müssen. Damit ergeben sich u. a. überra-schende Erklärungen für Erscheinungen imUmkreis der fakultativen Ergänzungen, die janach 5.2.2 ein Fall von lexikalischer Valenz-variation sind. Auch die stellenreduziertenValenzen, die bei Weglassung der jeweiligenKomplemente anzunehmen sind (vgl. ebd.),müssen nämlich, da sie vom Lexikon zuge-wiesen sind, den lexikalischen Valenzgesetzengehorchen. Damit wird z. B. richtig vorausge-sagt, dass in (29)�(30) jeweils nur das indi-rekte, nicht das direkte Objekt weggelassenwerden kann:

(29) a. dass er (dem Boten) das Paket über-gibt

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398 IV. Valenz. Grundlagen und Grundfragen

b. dass er dem Boten *(das Paket) über-gibt

(30) a. dass er (seinem Nachbarn) das Hausrenoviert

b. dass er seinem Nachbarn *(dasHaus) renoviert

c. dass er (seinem Nachbarn das Haus)renoviert

Für die Version mit weggelassenem direktemObjekt wäre ja jeweils die KR-Valenz /nom-/dat anzunehmen, vgl. 5.2.2. Diese ist abernach (KR-G) markiert, das Verb muss des-halb semantisch eingeschränkt transitiv imSinne obiger Erläuterungen sein. Das trifftaber auf übergibt und renoviert nicht zu:Übergibt hat für /nom/dat einen zu hohenTransitivitätsgrad, denn die /nom-Position istagentivisch und die /dat-Relatposition ist miteiner Proto-Patiens-Implikation verbunden:Die Kontrolle des Übergebers über die be-schriebene Situation betrifft auch das Verhal-ten des Rezipienten in dieser Situation. Dage-gen ist renoviert für /nom/dat zu wenig transi-tiv: Die /nom-Relatposition ist agentivisch,aber die /dat-Position bleibt ganz ohne Proto-Rollen-Implikationen: Der Nutznießer mussin der beschriebenen Situation weder etwastun oder wahrnehmen noch etwas ‘erleiden’.(Eine ähnliche Darstellung, die noch nichtauf Blumes Linking-Gesetze rekurriert, gibtJacobs 1994b. Auch Rapp 1997 führt Be-schränkungen für Fakultativität auf SR-Fak-toren zurück. Dagegen bleiben solche Be-schränkungen völlig rätselhaft, wenn manFakultativität rein pragmatisch erklärt oder,wie die Generative Grammatik, die weggelas-senen Argumente durch unhörbare, aber inder syntaktischen Struktur dennoch vorhan-dene Pronomina repräsentiert.)

Natürlich bleibt bei Valenzgesetzen nochviel zu tun. Es dürfte aber deutlich gewordensein, dass die hier propagierte Position zurEbenenproblematik, die eine kategoriale undeine semantische Ebene der Valenz und aufbeiden Ebenen verschiedene voneinander un-abhängige Dimensionen unterscheidet, einenreich differenzierten Rahmen für die Formu-lierung solcher Gesetze und damit für dieEinbindung von Valenzphänomenen in eineumfassende Sprachtheorie bereitstellt.

7. Literatur in Auswahl

Agel, Vilmos (1991): Lexikalische Ellipsen: Fragenund Vorschläge. In: Zeitschrift für GermanistischeLinguistik 19, 24�48.

Agel, Vilmos (2000): Valenztheorie. Tübingen.

Blake, Barry J. (1994): Case. Cambridge.

Blume, Kerstin (1993): Valenz und Nicht-Notwen-digkeit (� Arbeiten des SFB 282, Nr. 48). Wup-pertal.

Blume, Kerstin (2000): Markierte Valenzen imSprachvergleich: Lizenzierungs- und Linkingbedin-gungen. Tübingen.

Breindl, Eva (1989): Präpositionalobjekte und Prä-positionalobjektsätze im Deutschen. Tübingen.

Butulussi, Eleni (1991): Studien zur Valenz kogniti-ver Verben im Deutschen und Neugriechischen. Tü-bingen.

Davidson, Donald (1967): The Logical Form ofAction Sentences. In: Rescher, Nicholas (ed.): TheLogic of Decision and Action. Pittsburgh, 81�95.

Dölling, Johannes (1997): Semantic Form and Ab-ductive Fixation of Parameters. In: van der Sandt,Rob, et al. (eds.): From Underspecification to Inter-pretation (� Working Papers of the Institute forLogic and Linguistics, IBM Deutschland, Nr. 29).Heidelberg, 113�139.

Dowty, David (1991): Thematic Proto-Roles andArgument Selection. In: Language 67, 547�619.

Engelberg, Stefan (2000): Verben, Ereignisse unddas Lexikon. Tübingen.

Fischer, Klaus (1999): Verb valency � an attemptat conceptual clarification. In: Web Journal of Mo-dern Language Linguistics 4�5/99-00.

Frey, Werner/Pittner, Karin (1998): Zur Positionie-rung der Adverbiale im deutschen Mittelfeld. In:Linguistische Berichte 176, 489�534.

Haegeman, Liliane (1994): Introduction to Govern-ment & Binding Theory. 2nd Edition. Oxford.

Helbig, Gerhard (1982): Valenz � Satzglieder � se-mantische Kasus � Satzmodelle. Leipzig.

Heringer, Hans-Jürgen (1986): The Verb and ItsSemantic Power: Association as a Basis for ValenceTheory. In: Journal of Semantics 4, 79�99.

Jacobs, Joachim (1992a): Syntax und Valenz. In:Hoffmann, Ludger (Hg.): Deutsche Syntax. Ansich-ten und Aussichten (� IDS Jahrbuch 1991). Berlin/New York, 94�127.

Jacobs, Joachim (1992b): Bewegung als Valenzver-erbung. In: Linguistische Berichte 138, 85�122.

Jacobs, Joachim (1993): Integration. In: Reis,Marga (Hg.): Wortstellung und Informationsstruk-tur. Tübingen, 63�116.

Jacobs, Joachim (1994a): Kontra Valenz (� Fokus.Linguistisch-Philologische Studien, Bd. 12). Trier.

Jacobs, Joachim (1994b): Das lexikalische Funda-ment der Unterscheidung von fakultativen und ob-ligatorischen Ergänzungen. In: Zeitschrift für Ger-manistische Linguistik 22.3, 284�319.

Jacobs, Joachim (1995): Wieviel Syntax braucht dieSemantik? Möglichkeiten und Grenzen einer sparsa-

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39930. Die Problematik der Valenzebenen

men Theorie der Bedeutungskomposition (� Arbei-ten des SFB 282, Nr. 73). Wuppertal.

Jacobs, Joachim (2001): The dimensions of topic-comment. In: Linguistics 39�4, 641�681.

Jacobs, Joachim (2002): Zirkumstantien sind Argu-mente. Ms. Wuppertal.

Kaufmann, Ingrid (1995): Konzeptuelle Grundlagensemantischer Dekompositionsstrukturen. Die Kom-binatorik lokaler Verben und prädikativer Komple-mente. Tübingen.

Lehmann, Christian (1992): Valenz. In: Anschütz,Susanne (Hg.): Texte, Sätze, Wörter und Moneme.Festschrift für Klaus Heger zum 65. Geburtstag.Heidelberg, 435�454.

Maienborn, Claudia (2001): Die logische Form vonKopula-Sätzen. Habilitationsschrift. Humboldt-Universität Berlin.

Projektgruppe Verbvalenz (1981): Konzeption einesWörterbuchs deutscher Verben. Zur Theorie undPraxis einer semantisch orientierten Valenzlexiko-graphie. Tübingen.

Primus, Beatrice (1999): Cases and Thematic Roles� Ergative, Accusative and Active. Tübingen.

31. Ebenen der Valenzbeschreibung: Die logische unddie semantische Ebene

1. Entstehung des Sprachgebrauchs2. Logische Valenz als ein Aspekt semantischer

Valenz3. Literatur in Auswahl

Die Grundidee des Konzepts der logischenund semantischen Valenz ist: (1) Der Inhaltvon Satzbedeutungen besteht in der Beschrei-bung von Sachverhalten (oder von Situatio-nen als Sachverhalten); (2) Sachverhaltsbe-schreibungen haben die Struktur von Propo-sitionen, die formallogisch als Prädikat-Ar-gument-Strukturen darstellbar sind; (3) dielogischen und semantischen Struktur- undFunktionseigenschaften von Propositionenwerden prädeterminiert von strukturbilden-den (logischen) und funktionalen (semanti-schen) Eigenschaften des Verbs als natürlich-sprachliche Hauptklasse logischer Prädikate;(4) beschreibbar sind diese Eigenschaften vonVerben (und Valenzträgern anderer Wortar-ten in Prädikatsfunktion) als logische und/oder semantische Valenz. (5) Abhängig vonden jeweiligen sprachtheoretischen Prämissenwerden die logischen und semantischen Va-lenzeigenschaften sowie die der propositiona-

Pustejovski, James (1995): The Generative Lexicon.Cambridge/Mass.

Radford, Andrew (1997): Syntax. A Minimalist In-troduction. Cambridge.

Rapp, Irene (1997): Fakultativität von Verbargu-menten als Reflex der semantischen Struktur. In:Linguistische Berichte 172, 490�529.

Storrer, Angelika (1992): Verbvalenz: theoretischeund methodische Grundlagen ihrer Beschreibung inGrammatikographie und Lexikographie. Tübingen.

Tesniere, Lucien (1969): Elements de syntaxe struc-turale. Paris (2. Auflage).

Wunderlich, Dieter (1997): Cause and the Structureof Verbs. In: Linguistic Inquiry 28, 27�68.

Zifonun, Gisela (1995): Wieviele Valenzrelationenbraucht eine Grammatik? In: Eichinger, Ludwig/Eroms. Hans-Werner (Hgg.): Dependenz und Va-lenz. Hamburg, 177�190.

Zifonun, Gisela, et al. (1997): Grammatik der deut-schen Sprache (� Schriften des Instituts für Deut-sche Sprache, Bd. 7.1�7.3). Berlin/New York.

Joachim Jacobs, Wuppertal (Deutschland)

len Satzbedeutung entweder als unterschiedli-che Aspekte der Valenz und Satzstruktur in-terpretiert oder verschiedenen Beschrei-bungsebenen zugeordnet.

1. Entstehung des Sprachgebrauchs

Seit Beginn der 70er Jahre wurden auch inder Valenztheorie Ebenenmodelle favorisiert.Eine Äußerung Helbigs dazu findet sich in ei-nem von Helbig herausgegebenen Sammel-band (1971a, 42 f.) unter dem Stichwort„Ausbau der Valenztheorie“: „Am wesent-lichsten ist wohl die Einsicht, dass innerhalbder Sprache mehrere Ebenen geschieden wer-den müssen, die zwar nicht unabhängig von-einander sind, aber zunächst unabhängigvoneinander beschrieben werden müssen“(ebd., 43). Vorbild war die generative Gram-matik und das dort avisierte Verhältnis vonKonstituentenstrukturebene und Transfor-mationsebene bzw. seit Chomsky (1965) voneiner Ebene der Tiefenstruktur und einerEbene der Oberflächenstruktur. Die entste-henden Ebenenkonzepte sind wesentlich von

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