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Der Beitrag verschiedener Akustik-Indikatoren für eine erweiterte Belästigungsanalyse in einer komplexen akustischen Situation nach Lärmschutzmaßnahmen Lercher P, Inst. für Sozialmedizin, Universität Innsbruck (Email: [email protected]) Widmann U, Müller BBM, Planegg bei München (Email: [email protected]) Einleitung Der Erklärungswert des typischen Lärrn- expositionsmaßes (Leq'A) für die Vorhersage individueller Belästigungsreaktionen unter Feldbedingungen ist bekannt niedrig (5-20%) und der erwartete Zugewinn durch Ver- besserung der Expositions-abschätzung unter "steady state"-Bedingungen (gleichbleibende Schallbelastung) wird als gering eingeschätzt (Job 1988). Die Umweltlärm-Wirkungsforschung geht ferner davon aus, daß, je niedriger die ge- messene Schallbelastung ist, der Stellenwert der Moderatoren Person, Situation und Umwelt für die erklärbare Varianz der Wirkungsindi- katoren deutlich ansteigt. Ziel dieser Untersuchung war es, diese vor- nehmlich aus Felderhebungen in städtischen oder flachen ländlichen Gegenden abgeleiteten Grundsätze für eine komplexe akustische Situation (Lärmschutz in alpinen Hanglagen) zu überprüfen und den Beitrag weiterer akustischer Indikatoren zu klären. Methoden In dieser Reanalyse wurden Expositions-, Belästigungs-, Sozial- und Gesundheitsdaten aus der Gemeinde Vomp (N=504, Beteiligung 60,3%) verwendet, welche im Rahmen der "Transitstudie" des Landes Tirol (1989/90) erhoben wurden (Lercher 1992). Die Lärrnerhebung wurde wie folgt aufgebaut: Für 3 Referenzpunkte lagen 24 h Dauer- messungen auf Band vor. Für 17 weitere Meß- punkte wurden zeitgleich mit jeweils einem der drei Referenzorte Kurzzeitmessungen (ca. 15 min) vorgenommen, um eine Relativauswertung der Meßdaten vornehmen zu können. Die frequenzabhängige Verknüpfung der Kurz- zeitdaten mit den Referenzorten lieferte die Ausbreitungsunterschiede zwischen den Meß- orten. Die Verknüpfung dieser Daten mit den repräsentativen Langzeitmessungen ergab dann die endgültige flächendeckende Lärmbe- schreibung für die Zuordnung. Als zusätzliche Expositions-indikatoren wurden L 5 ,A, N 5 ,sone und % Ereignisse> 50 dB,A verwendet. 86 Ergebnisse Zwischen Leq,A und allgemeiner Belästigung war univariat keine Beziehung (Tab 1). Der T 50 zeigte 1% Zuwachs an erklärter Varianz. Die beiden 5er Perzentilen L 5 und N 5 wiesen einen ähnlich hohen Erklärungswert auf. Im multivariaten Modell mit Adjustierung für Person-, Situations- und Umweltvariablen ergaben sich einige Verschiebungen für den geleisteten Erklärungsbeitrag (Tab 2). Hier lag der N5 vor dem L 5 und der Leq'A hatte sich im Gegensatz zum T 50 verbessert. Die Analyse der Interferenzwirkung mit dem Indikator "Störung der Erholung" zeigte in der univariaten Statistik (Tab 3) eine ähnlich niedrige Varianzaufklärung für den Dauerschallpegel und T50. Die Spitzen- perzentilen (L 5 ,N 5 ) erbrachten mit knapp über 2 % einen deutlich geringeren Beitrag als mit der allgemeinen Belästigung. Im multivariaten "Erholungsmodell" (Tab 4) verbessert sich zwar der relative Beitrag der Spitzenperzentilen wieder, erreicht aber nicht mehr jenes hohe Bedeutungsniveau wie im "Belästigungsmodell". Als gesundheitsnaher Störungsindikator wurde die Häufigkeit von Schlafstörungen genutzt. Die Varianzaufklärung lag hier erwartungsgemäß niedrig. (Tab 5). Univariat wiesen der Dauer- schallpegel und der T50 zwar statistisch signi- fikante Beziehungen zu den Schlafstörungen auf, nicht jedoch die beiden 5er Perzentilen. Im Gegensatz zu den beiden Vorrnodellen ergaben sich im multivariaten "Schlafmodell" keine Ver- besserungen (Tab 6). Im multivariaten Modell verringerte sich auch noch der relative Beitrag von T50 und Leq,A. Diskussion Die Ergebnisse machen einerseits deutlich, daß durch Einsatz von Akustik-Indikatoren, welche den tatsächlichen Schallwahrnehmungsprozeß des Menschen besser nachbilden können, eine Verbesserung der Prädiktion der allge- meinen, individuellen Belästigungsreaktion erreicht werden kann. Jedenfalls dann, wenn eine komplexere akustische Situation vorliegt,

Der Beitrag verschiedener Akustik-Indikatorenfür eine ... · Indikator "Störung der Erholung" zeigte in der univariaten Statistik (Tab 3) eine ähnlich niedrige Varianzaufklärung

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Der Beitrag verschiedener Akustik-Indikatoren für eine erweiterte Belästigungsanalyse ineiner komplexen akustischen Situation nach Lärmschutzmaßnahmen

Lercher P, Inst. für Sozialmedizin, Universität Innsbruck (Email: [email protected])Widmann U, Müller BBM, Planegg bei München (Email: [email protected])

EinleitungDer Erklärungswert des typischen Lärrn­expositionsmaßes (Leq'A) für die Vorhersageindividueller Belästigungsreaktionen unterFeldbedingungen ist bekannt niedrig (5-20%)und der erwartete Zugewinn durch Ver­besserung der Expositions-abschätzung unter"steady state"-Bedingungen (gleichbleibendeSchallbelastung) wird als gering eingeschätzt(Job 1988).Die Umweltlärm-Wirkungsforschung gehtferner davon aus, daß, je niedriger die ge­messene Schallbelastung ist, der Stellenwert derModeratoren Person, Situation und Umwelt fürdie erklärbare Varianz der Wirkungsindi­katoren deutlich ansteigt.Ziel dieser Untersuchung war es, diese vor­nehmlich aus Felderhebungen in städtischenoder flachen ländlichen Gegenden abgeleitetenGrundsätze für eine komplexe akustischeSituation (Lärmschutz in alpinen Hanglagen) zuüberprüfen und den Beitrag weiterer akustischerIndikatoren zu klären.MethodenIn dieser Reanalyse wurden Expositions-,Belästigungs-, Sozial- und Gesundheitsdatenaus der Gemeinde Vomp (N=504, Beteiligung60,3%) verwendet, welche im Rahmen der"Transitstudie" des Landes Tirol (1989/90)erhoben wurden (Lercher 1992).Die Lärrnerhebung wurde wie folgt aufgebaut:Für 3 Referenzpunkte lagen 24 h Dauer­messungen auf Band vor. Für 17 weitere Meß­punkte wurden zeitgleich mit jeweils einem derdrei Referenzorte Kurzzeitmessungen (ca. 15min) vorgenommen, um eine Relativauswertungder Meßdaten vornehmen zu können.Die frequenzabhängige Verknüpfung der Kurz­zeitdaten mit den Referenzorten lieferte dieAusbreitungsunterschiede zwischen den Meß­orten. Die Verknüpfung dieser Daten mit denrepräsentativen Langzeitmessungen ergab danndie endgültige flächendeckende Lärmbe­schreibung für die Zuordnung. Als zusätzlicheExpositions-indikatoren wurden L5,A, N5,sone

und % Ereignisse> 50 dB,A verwendet.

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ErgebnisseZwischen Leq,A und allgemeiner Belästigungwar univariat keine Beziehung (Tab 1). Der T50zeigte 1% Zuwachs an erklärter Varianz. Diebeiden 5er Perzentilen L5 und N5 wiesen einenähnlich hohen Erklärungswert auf.Im multivariaten Modell mit Adjustierung fürPerson-, Situations- und Umweltvariablenergaben sich einige Verschiebungen für dengeleisteten Erklärungsbeitrag (Tab 2). Hier lagder N5 vor dem L5 und der Leq'A hatte sich imGegensatz zum T50 verbessert.Die Analyse der Interferenzwirkung mit demIndikator "Störung der Erholung" zeigte in derunivariaten Statistik (Tab 3) eine ähnlichniedrige Varianzaufklärung für denDauerschallpegel und T50. Die Spitzen­perzentilen (L5, N5) erbrachten mit knapp über 2% einen deutlich geringeren Beitrag als mit derallgemeinen Belästigung.Im multivariaten "Erholungsmodell" (Tab 4)verbessert sich zwar der relative Beitrag derSpitzenperzentilen wieder, erreicht aber nichtmehr jenes hohe Bedeutungsniveau wie im"Belästigungsmodell".Als gesundheitsnaher Störungsindikator wurdedie Häufigkeit von Schlafstörungen genutzt. DieVarianzaufklärung lag hier erwartungsgemäßniedrig. (Tab 5). Univariat wiesen der Dauer­schallpegel und der T50 zwar statistisch signi­fikante Beziehungen zu den Schlafstörungenauf, nicht jedoch die beiden 5er Perzentilen. ImGegensatz zu den beiden Vorrnodellen ergabensich im multivariaten "Schlafmodell" keine Ver­besserungen (Tab 6). Im multivariaten Modellverringerte sich auch noch der relative Beitragvon T50 und Leq,A.DiskussionDie Ergebnisse machen einerseits deutlich, daßdurch Einsatz von Akustik-Indikatoren, welcheden tatsächlichen Schallwahrnehmungsprozeßdes Menschen besser nachbilden können, eineVerbesserung der Prädiktion der allge­meinen, individuellen Belästigungsreaktionerreicht werden kann. Jedenfalls dann, wenneine komplexere akustische Situation vorliegt,

wie dies bei Lännschutzmaßnahmen, die auchHanglagen betreffen, der Fall ist. Die Ver­besserung zeigt sich weniger nachhaltig beispezifischen Wirkungsindikatoren wie derStörung der Erholung und des Schlafes. Hierbekommen Variablen wie Lebens-, Bewälti­gungsstil, verhaltensbedingte, soziale undgesundheitliche Dispositionen ein höheresGewicht. Während Alter, Geschlecht undsoziale Schicht für die Varianzaufldärung derBelästigung meist nur einen marginalen Beitragleisten (Fields 1993), ist dies für "gesundheits­nahe" Wirkungsindikatoren nicht zu erwarten.Im "Langzeitkontext" kommt diesenModeratoren schon eine quasi "natürlich"größere Bedeutung zu (im "Schlafmodell" trägtdas Alter allein schon 40% zur Erklärung bei).Zur Abschätzung des realen Beitrags vonSchallindikatoren für diese Wirkungszu­sammenhänge werden deshalb anderekonzeptuelle und statistische Modelle benötigt(Lercher 1996, EvanslLepore 1997).LiteraturEvans GW, Lepore SJ. Moderating andmediating processes in environment-behaviorresearch. In: Moore GT,. Marans R (Eds).Advances in environment, behavior and design.New York: Plenum Press 1997.Fields JM. Effect of personal and situationalvariables on noise annoyance in residentialareas. J Acoust Soc Am 1993; 93: 2753-2763.Job RSF. Comrnunity response to noise: Areview of factors influencing the relationshipbetween noise exposure and reaction. J AcoustSoc Am 1988; 83: 991-1000.Lercher P. Auswirkungen des Strassenverkehrsauf Lebensqualität und Gesundheit. Transit­studie-SozialmedizischerTeilbericht. Innsbruck:Amt der Tiroler Landesregierung, 1992.Lercher P. Environmental noise and health: Anintegrated research perspective. Environ Int1996; 22:117-129.

Tab 2.Multivariate Analyse: Relative Bedeutung*der Lärmindikatoren im Belästigungsmodell

Indikator der Wald StatistikLärmbelastung Chi-Square

Leq24,A-bewertet 7,32Tso (Prozent Schallereignisse > SOdB) 0,50Ls (Schallpegel in 5% der Zeit) 11,22N5 (LautheiISOe2:el in 5% der Zeit) 16,07* Gemessen durch Wald Statistik

Tab 3. Univariate Analyse: Erklärte Varianz*Störung der Erholung durch Lärmindikatoren

Indikator der Erklärte VarianzLärmbelastung in %

Leq24,A-bewertet <1.0 %Tso (Prozent Schallereignisse > SOdE) <1.0 %Ls (Schallpegel in 5% der Zeit) 2.4 %N'S (Lautheitsoegel in 5% der Zeit) 2.2%* Gemessen durch R2

Tab 4. Multivariate Analyse: Relative Bedeu­tung*der Lärmindikatoren im Erholungsmodell

Indikator der Erklärte VarianzLärmbelastung in %

Leq24,A-bewertet 1,13Tso (Prozent Schallereignisse > SOdB) 0,01Ls (Schallpe"el in 5% der Zeit) 4,94Ns (Lautheitspegel in 5% der Zeit) 7,81* Gemessen durch Wald Statistik

Tab 5. Univariate Analyse: Erklärte Varianz*Störung des Schlafs durch Lärmindikatoren

Indikator der Erklärte VarianzLärmbelastung in %

Leq24,A-bewertet 1.2 %

T so (Prozent Schallerei"nisse > SOdB) 1.7 %

Ls (Schalloe2:el in 5% der Zeit) 0.5 %N5 (Lautheitsoe2:el in 5% der Zeit) 0.3 %Gemessen durch R2

*Gemessen durch R2

Tab 6. Multivariate Analyse: Relative Bedeu­tung* der Lärmindikatoren im Schlafmodell

* Gemessen durch Wald Statistik

Indikator der Erklärte VarianzLämlbelastung in %

Leq24 A-bewertet 1,50

Tso (Prozent Schallereignisse > SOdB) 0,01

L5 (Schalloegel in 5% der Zeit) 0,19

Ns (Lautheitsoellel in 5% der Zeit) 0,10

Tab 1. Univariate Analyse: Erklärte Varianz*Allgemeine Belästigung durch LärmindikatorenUnivariate Analyse: Anteil Erklärte Varianz

Ierklärter Varianz* in %Leq24,A-bewertet 0.0%Tso (Prozent Schallereignisse > SOdB) 1.0 %

Ls (Schalloe"el in 5% der Zeit) 7.0 %Ns (Lautheitsoegel in 5% der Zeit) 6.2 %

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