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Der gefährliche Nietzsche und wenn meine Philosophie eine Hölle ist, so will ich wenigstens den Weg zu ihr mit guten Sentenzen pflastern. (Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1887-1889) ich bin das furchtbarste Dynamit, das es giebt. (Nietzsche an Georg Brandes, Anfang Dezember 1888) . Bevor ich mich meinem eigentlichen Thema zuwende, erlauben Sie mir bitte, daß ich von einer ganz persönlichen Irritation berichte, die zunächst gar nichts mit Nietzsche zu tun hat: Vor Jahren nahm ich mir gelegentlich vor und vergaß es dann immer wieder, meine (wahrscheinlich falsche) Erinnerung zu verifizieren, Claude Lévi-Strauss habe sich irgendwo unverhohlen positiv über den Grafen Gobineau geäußert ausgerechnet ein Jude über den Ahnherrn des Rassismus. Wahrscheinlich eine Freudsche Fehlleistung von mir. Und tatsächlich fand ich gelegentlich in Lévi-Strauss’ berühmtem Aufsatz Rasse und Geschichte (1952) Gobineau erwähnt: als „Vater der rassistischen Theorien“, der sich durch die „Erbsünde“ eines „rein biologischen Rassebegriffs“ schon in

Der gefährliche Nietzsche - s-space.snu.ac.krs-space.snu.ac.kr/bitstream/10371/87335/1/11. 3부 위험한 인간... · Der gefährliche Nietzsche ... Claude Lévi-Strauss: Mythologica

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Der gefaumlhrliche Nietzsche

und wenn meine Philosophie eine Houmllle ist sowill ich wenigstens den Weg zu ihr mit guten Sentenzenpflastern

(Nietzsche Nachgelassene Fragmente 1887-1889)

ich bin das furchtbarste Dynamit das es giebt(Nietzsche an Georg Brandes Anfang Dezember

1888)

Bevor ich mich meinem eigentlichen Thema zuwende erlauben Sie mir bittedaszlig ich von einer ganz persoumlnlichen Irritation berichte die zunaumlchst gar nichtsmit Nietzsche zu tun hat Vor Jahren nahm ich mir gelegentlich vor und vergaszliges dann immer wieder meine (wahrscheinlich falsche) Erinnerung zuverifizieren Claude Leacutevi-Strauss habe sich irgendwo unverhohlen positiv uumlberden Grafen Gobineau geaumluszligert ausgerechnet ein Jude uumlber den Ahnherrn desRassismus Wahrscheinlich eine Freudsche Fehlleistung von mir Und tatsaumlchlichfand ich gelegentlich in Leacutevi-Straussrsquo beruumlhmtem Aufsatz Rasse undGeschichte (1952) Gobineau erwaumlhnt als bdquoVater der rassistischen Theorienldquoder sich durch die bdquoErbsuumlndeldquo eines bdquorein biologischen Rassebegriffsldquo schon in

dem bdquoTeufelskreisldquo befunden habe bdquoder von einem intellektuellen Irrtum derdurchaus guten Glaubens begangen sein konnte zur zwangslaumlufigenLegitimierung aller Diskriminierungs- und Ausbeutungsmaszlignahmen fuumlhrtldquo1)

Also keine positive Bezugnahme Allerdings blieb mir das vage Gefuumlhl dies seigar nicht meinelsquo Stelle gewesen Doch dann las ich Jahre spaumlter nochmalsLeacutevi-Straussrsquo Strukturale Anthropologie in die dieser Aufsatz inzwischenaufgenommen worden war und fand gleich auf den ersten Seiten dieerstaunliche Bemerkung bdquodie Sozialanthropologie [sei] heute der Gefahrausgesetzt Durkheim zu verlieren so wie sie schon Gobineau [ ] verlorenhatldquo2) Gobineaus intellektuelle Aumlchtung also ein Verlust Leacutevi-Straussknuumlpft dann in dem Aufsatz Rasse und Kultur (1971) ganz positiv an diebdquoLehre Gobineausldquo an allerdings unter der Voraussetzung daszlig man sie nichtmehr auf die bdquoVerschiedenheit der Rassenldquo sondern auf die bdquoVerschiedenheitder Kulturenldquo beziehe3) Er billigt Gobineaus Ansichten gespraumlchsweise sogareine bdquosehr moderne Faumlrbungldquo4) zu und enthuumlllt schlieszliglich daszlig der Schluszligseiner monumentalen Mythologiques durch den Schluszligsatz von Gobineaus Essaisurrsquol ineacutegaliteacute des races inspiriert gewesen sei5) Ich muszlig gestehen ich warschockiert zumal ja Leacutevi-Strauss als Ethnologe kompromiszliglos an derUumlberzeugung festhielt bdquodaszlig die rassistischen Theorien ungeheuerlich und absurd

1) Claude Leacutevi-Strauss bdquoRasse und Geschichteldquo (uumlbs v Traugott Koumlnig) In Leacutevi-StraussStrukturale Anthropologie Ⅱ Suhrkamp Frankfurt M 1975 S 363-407 hier S 363

2) Claude Leacutevi-Strauss bdquoDas Feld der Anthropologieldquo (1960 uumlbs v Eva Moldenhauer)-

In ebd S 11-44 hier S 123) Claude Leacutevi-Strauss bdquoRasse und Kulturldquo In Leacutevi-Strauss Der Blick aus der Ferne

Uumlbs v Hans-Horst Henschen u Joseph Vogl Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt M 1993 S 21-52 hier S 22

4) Claude Leacutevi-Strauss u Didier Eribon Das Nahe und das Ferne Eine Autobiographie inGespraumlchen Uumlbs v Hans-Horst Henschen S Fischer Frankfurt M 1989 S 217

5) Vgl Claude Leacutevi-Strauss Regarder Eacutecouter Lire Plon Paris 1993 S 147f vglClaude Leacutevi-Strauss Mythologica Der nackte MenschⅣ Uumlbs v Eva MoldenhauerSuhrkamp Frankfurt M 1975 S 817

zugleich sindldquo6) Bis mir der Gedanke durch den Kopf schoszlig Aber wie kannich daruumlber aburteilen obwohl ich doch noch nie eine Zeile Gobineau gelesenhabe Fuumlr eine solche unvoreingenommene Lektuumlre hat Leacutevi-Strauss seinemwiderstrebenden Gespraumlchspartner eine beherzigenswerte Leseanweisung gegeben

Als Mensch war Gobineau wahrscheinlich von rassistischen Vorurteileneingenommen Das waren zu seiner Zeit viele [ ] Man moumlge doch die Passagenauszliger acht lassen in denen die Vorurteile die Oberhand uumlber die Reflexiongewinnen [ ] und man moumlge doch bereit sein uumlberall da wo er bdquoRasseldquoschreibt bdquoKulturldquo zu lesen dann wird man in ihm uumlber den groszligen Schriftstellerund Autor der Pleacuteiades der Souvenirs de voyage der Nouvelles asiatiquesoder der Trois ans en Asie hinaus einen originellen Denker finden7)

Und nun meine gegenlaumlufige Leseerfahrung mit Nietzsche Im Herbst 2000erschien in der Wochenzeitung Die Zeit ein Aufsatz meines einstigenphilosophischen Lehrers Ernst Tugendhat uumlber Macht und Antiegalitarismusbei Nietzsche und Hitler8) Ich verpaszligte diese Nummer der Zeit weil ichzum Erscheinungsdatum beim Internationalen Germanisten-Kongreszlig in Wienwar und kurz darauf nach Delhi reiste daszlig ich es aber schlieszliglich versaumlumtesie in der Bibliothek zu lesen lag wohl an einem inneren WiderstrebenHatte man mich doch nach meiner Flucht aus der DDR 1961 oumlffentlichbeschimpft ich haumltte dies aus einer faschistischen Gesinnung heraus getandenn mein Lieblingsautor sei Friedrich Nietzsche gewesen von dem ja derungeheuerliche Satz stamme bdquoDu gehst zu Frauen Vergiszlig die Peitschenichtldquo Die mich so schmaumlhten mochten Nietzsche zum letzten Mal in der

6) Leacutevi-Strauss u Eribon Das Nahe und das Ferne S 2187) Ebd S 2348) Erweiterte Fassung inzwischen in Ernst Tugendhat Aufsaumltze 1992-2000 Suhrkamp

2001 S 225-261

Hitler-Zeit gelesen haben denn in der DDR war er ja verboten Ihr aktuellerStichwortgeber war aber der marxistische Philosoph Georg Lukaacutecs (er durftefreilich seit der Niederschlagung der Ungarischen Revolution 1956 nicht mehrzitiert werden) der Nietzsche als bdquofuumlhrende[n] Philosoph[en] der Reaktion fuumlrdie ganze imperialistische Periodeldquo9) als bdquoerste[n] philosophische[n] Heroldder imperialistischen Barbareildquo ja als bdquoeine[n] der wichtigsten Ahnen desFaschismusldquo10) diffamiert hatte am ausgiebigsten im Nietzsche-Kapitel derZerstoumlrung der Vernunft11) wozu Adorno schneidend bemerkte bdquoAmkrassesten wohl manifestierte sich in dem Buch Die Zerstoumlrung derVernunftlsquo die von Lukaacutecsrsquo eigenerldquo12)

Kurz vor dem Zusammenbruch des Ostblocks versuchte dann derLukaacutecs-Schuumller Wolfgang Harich (der nach dem Ungarn-Aufstand mehr als einJahrzehnt in der DDR im Zuchthaus gesessen hatte) ein letztes Mal das dortigePublikationsverbot Nietzsches zu retten13) indem er Lukaacutecsrsquo Faschismusvorwurferneuerte und nochmals das ganze Suumlndenregister zusammenstellte HerrenmoralVorlaumluferschaft des Futurismus als bdquoauthentischste[r] faschistische[r] Kunstrichtungldquo

9) Georg Lukaacutecs bdquoDer deutsche Faschismus und Nietzscheldquo (1943) In Lukaacutecs SchicksalswendeBeitraumlge zu einer neuen deutschen Ideologie Aufbau-Verlag Berlin 1956 S 7-28 hierS 7

10) Georg Lukaacutecs bdquoNietzsche als Vorlaumlufer der faschistischen Aumlsthetikldquo (1934) In LukaacutecsBeitraumlge zur Geschichte der Aumlsthetik Aufbau-Verlag Berlin 1956 S 286-317 hier S315 u 317

11) Georg Lukaacutecs Die Zerstoumlrung der Vernunft Der Weg des Irrationalismus von Schellingzu Hitler Aufbau-Verlag Berlin 1956 S 244-317 (Kap 3 bdquoNietzsche als Begruumlnderdes Irrationalismus der imperialistischen Periodeldquo)

12) Theodor W Adorno bdquoErpreszligte Versoumlhnung Zu Georg Lukaacutecs Wider denmiszligverstandenen Realismuslsquoldquo In Adorno Noten zur Literatur Hrsg v RolfTiedemann Suhrkamp Frankfurt M 1974 ( Gesammelte Schriften 11) S 251-280=

hier S 25213) Vgl Wolfgang Harich bdquoRevision des marxistischen Nietzschebildeslsquoldquo In Sinn und

Form 39 (1987) S 1018-1053 Zitate im folgenden mit einfacher Seitenangabe-

(S 1021) Anti-Feminismus Rassismus mit bdquophilosemitischen Anwandlungenldquo(S 1028) Kriegshetze Nuumltzlichkeit fuumlr den bdquoIdeologiebedarf des demokratischaufgeputzten Dollarimperialismusldquo (S 1032f) Mit der Konsequenz daszlig bdquoihn zuedieren [ ] uumlberhaupt zum Verbrechen geworden seildquo (S 1034) bdquoDen Mannnicht fuumlr zitierfaumlhig zu halten sollte zu den Grundregeln geistiger Hygienegehoumlrenldquo (S 1036)

So rabulistisch Harich oft Zitate manipuliert so gibt es doch genuumlgendNietzschesche Kernsaumltze vor allem aus Also sprach Zarathustra14) die fuumlruns peinlich zu lesen sind

Voll ist die Erde von Uumlberfluumlssigen verdorben ist das Leben durch die Viel-zu-VielenMoumlge man sie mit dem bdquoewigen Lebenldquo aus diesem Leben weglocken (S 55)Dass Jedermann lesen lernen darf verdirbt auf die Dauer nicht allein dasSchreiben sondern auch das Denken (S 48)bdquodie Menschen sind nicht gleichldquo Und sie sollen es auch nicht werden (S130)Bessere Raubthiere sollen sie also werden feinere kluumlgere menschen-aumlhnlichere der Mensch naumlmlich ist das beste Raubthier (S 263)bdquoWas ist gut Tapfer sein ist gut Der gute Krieg istrsquos der jede Sache heiligtldquo(S 307)Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen Und den kurzen Friedenmehr als den langen (S 55)Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung desKriegers alles Andre ist Thorheit (S 85)So will ich Mann und Weib kriegstuumlchtig den Einen gebaumlrtuumlchtig das Andre

14) Friedrich Nietzsche Kritische Studienausgabe in 15 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter Muumlnchen u Berlin New York 1980 Bd 4 im folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe andere-

Werke Nietzsches unter Band- und Seitenangabe Nachlaszligstuumlcke zusaumltzlich mit Heft-und Fragmentnumerierung

beide aber tanzsuumlchtig mit Kopf und Beinen (S 264)Gelobt sei was hart macht (S 194)Aber ich sage was faumlllt das soll man auch noch stossen (S 261)

Zitiert oder paraphrasiert finden sich solche Gemeinspruumlche gern beiMussolini wie bei der deutschen Rechten der Zwischenkriegszeit (etwa inErnst Juumlngers Sammelband Krieg und Krieger15)) ja sie bilden denGrundstock fuumlr Alfred Baeumlers heroisch-realistischelsquo GesamtdarstellungNietzsche der Philosoph und Politiker16) Thomas Mann betonte daher inseinem kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gehaltenen VortragNietzschersquos Philosophie im Lichte unserer Erfahrung (1947)

Nicht umsonst ist sein Wort vom bdquogefaumlhrlichen Lebenldquo ins Italienische uumlbersetzt

15) Krieg und Krieger Hrsg v Ernst Juumlnger Junker und Duumlnnhaupt Verlag Berlin 1930Vgl hierzu Walter Benjamins vernichtende Rezension bdquoTheorien des deutschenFaschismus Zu der Sammelschrift Krieg und Kriegerlsquo Herausgegeben von ErnstJuumlngerldquo In Benjamin Gesammelte Schriften Kritiken und RezensionenⅢ Hrsg vHella Tiedemann-Bartels Suhrkamp Frankfurt M 1972 S 238-250

16) Alfred Baeumler Nietzsche der Philosoph und Politiker 2 Aufl Reclam Leipzig 1931(sup31937) Baeumler der 1923 mit der bedeutenden Untersuchung- Das Irrationalismusproblemin der Aumlsthetik und Logik des 18 Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft (2 AuflWissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1967) hervorgetreten war und 1926 eineso genialische wie problematische Rieseneinleitung zu einer Bachofen-Auswahl(bdquoBachofen der Mythologe der Romantikldquo In Der Mythus von Orient und OccidentEine Metaphysik der Alten Welt Aus den Werken von J[ohann] J[akob] Bachofen miteiner Einleitung von Alfred Baeumler hrsg v Manfred Schroeter CH Beck Muumlnchen1926 S XXIII-CCXCIV) verfaszligt hatte zeigte in seinem Nietzsche-Buch nur nochschwache Reste seines intellektuellen Vermoumlgens Seinen geistigen Tiefstand erreichte erin dem Aufsatz bdquoNietzsche und der Nationalsozialismusldquo (1934 In Alfred BaeumlerStudien zur deutschen Geistesgeschichte Junker und Duumlnnhaupt Berlin 1937 S281-294) und in der Aufsatzsammlung Maumlnnerbund und Wissenschaft (Junker undDuumlnnhaupt Berlin 1937) Wie zur Strafe hat er seither auszliger einigen-

Nachkriegs-Ausreden nichts (nicht einmal negativ) Nennenswertes mehr zustande-

bringen koumlnnen

worden und in den Argot des Faschismus eingegangen Alles was er in letzterUumlberreiztheit gegen Moral Humanitaumlt Mitleid Christentum und fuumlr die schoumlneRuchlosigkeit den Krieg das Boumlse gesagt hat war leider geeignet in derSchund-Ideologie des Faschismus seinen Platz zu finden [ ]17)

Und er fuumlgte hinzu bdquoWer Nietzsche eigentlichlsquo nimmt woumlrtlich nimmtwer ihm glaubt ist verlorenldquo18)

Um Nietzsche vor solcher faschistischen Vereinnahmung zu retten folgtenPhilosophen wie Karl Jaspers19) Karl Loumlwith20) oder Walter Kaufmann21)

derselben hermeneutischen Maxime wie dann Leacutevi-Strauss gegenuumlberGobineau solche Passagen eher auszliger Acht zu lassen in denen rassistischeoder andere zeittypische Vorurteile die Oberhand uumlber die Reflexiongewinnen miszligverstaumlndliche Begriffe zu praumlzisieren und uumlber seineschriftstellerischen Qualitaumlten hinaus entschieden die Originalitaumlt seinesDenkens herauszuarbeiten Freilich eines ist die Rettunglsquo eines vergessenenoder verfemten ein anderes die kritische Analyse eines kanonisiertenDenkers der keine solche selektive Wahrnehmung genuumlgen kann Denn inden letzten zwei drei Jahrzehnten hat im Westen zweifellos eineKanonisierung Nietzsches als Kritikers der Moderne stattgefunden

Der skeptische Wissenschaftler der die Pervertierung des Willens zur Macht den

17) Thomas Mann Gesammelte Werke in dreizehn Baumlnden Bd 9 Reden und Aufsaumltze 1Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt M 1990 S 675-712 hier S 702

18) Ebd S 70819) Karl Jaspers Nietzsche Einfuumlhrung in das Verstaumlndnis seines Philosophierens de

Gruyter Berlin Leipzig 1936 (sup21947)20) Karl Loumlwith Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkunft des Gleichen Die Runde

Berlin 1935 (sup21956) ders Von Hegel zu Nietzsche Der revolutionaumlre Bruch im Denkendes neunzehnten Jahrhunderts Europa Verlag Zuumlrich New York 1941 (51964)

21) Walter Kaufmann Nietzsche Philosopher Psychologist Antichrist Princeton UniversityPress Princeton N J 1950 (sup31968)

Aufstand der reaktiven Kraumlfte und die Entstehung der subjektzentrierten Vernunftmit anthropologischen psychologischen und historischen Methoden enthuumlllenmoumlchte findet Nachfolger in Bataille Lacan und Foucault der eingeweihteKritiker der Metaphysik der ein Sonderwissen in Anspruch nimmt und dieEntstehung der Subjektphilosophie bis in die vorsokratischen Anfaumlnge hineinverfolgt in Heidegger und Derrida22)

Und wie diese Kanonisierung vor allem von franzoumlsischen Intellektuellenausgegangen ist23) so sind hier zugleich die Affinitaumlten zwischen Nietzscheund dem Faschismus deutlich benannt worden So fordert etwa Derrida

La plus grande indeacutecence est [ ] de rigueur en ce lieu On se demandera [ ]pourquoi la seule institution drsquoenseignement le seul commencement drsquoinstitutionenseignante qui ait jamais pu se reacuteclamer de lrsquoenseignement de Nietzsche surlrsquoenseignement aura eacuteteacute nazie [ ]A la formation deacutemocratique et nivelante agrave la preacutetendue liberteacute acadeacutemique danslrsquouniversiteacute agrave lrsquoextension maximale de la culture doivent succeacuteder la contraintele dressage (Zucht) la seacutelection sous la direction drsquoun guide drsquoun Fuumlhrer et

mecircme drsquoun grossen Fuumlhrers [ ]Lrsquoavenir du texte-Nietzsche nrsquoest pas clos Mais si dans les contours encore ouvertsdrsquoune eacutepoque la seule politique se disant soi disant nietzscheacuteenne aura eacuteteacute naziecela est neacutecessairement signifiant et doit ecirctre interrogeacute dans toutes ses porteacutees24)

22) Juumlrgen Habermas Der philosophische Diskurs der Moderne Zwoumllf VorlesungenSuhrkamp Frankfurt M 1985 S 120 1968 hatte Habermas noch erleichtert-

konstatiert bdquoNietzsche hat nichts Ansteckendes mehrldquo (Juumlrgen Habermas bdquoNachwortldquozu Friedrich Nietzsche Erkenntnistheoretische Schriften Suhrkamp Frankfurt M 1968S 237-261 hier S 237)

23) Vgl vor allem die Sammelbaumlnde Nietzsche aujourdrsquohui 2 Bde Union geacuteneacuteraledrsquoeacuteditions Paris 1973 sowie daran anknuumlpfend The New Nietzsche Contemporary Stylesof Interpretation Hrsg v David B Allison Dell Publishing Co New York 1977 undNietzsche aus Frankreich Essays von Maurice Blanchot Jacques Derrida PierreKlossowski Philippe Lacoue-Labarthe Jean-Luc Nancy u Bernard Pautrat Hrsg vWerner Hamacher Ullstein Frankfurt M Berlin 1986

24) Jacques Derrida Otobiographies Lrsquoenseignement de Nietzsche et la politique du nom

Eine solche Befragung aus dem Geist der sprachanalytischen Ethikunternimmt Tugendhats Vergleich von Nietzsches und Hitlers Frontstellunggegen den Egalitarismus der seit der Franzoumlsischen Revolution seit dieBegruumlndung moralischer und politischer Normen nicht mehr durch Autoritaumltsondern wechselseitig zu erfolgen habe das dominante Verstaumlndnis vonMoral und Legitimitaumlt ausmache Beide verwerfen kompromiszliglos die Idee derGleichheit zugunsten der Macht Hitler im Namen des schrankenlosenNationalismus und der (im wesentlichen auf Gobineau zuruumlckgehenden)Rassentheorie (Tugendhat nennt dies horizontalen Inegalitarismuslsquo) Nietzschedagegen im Sinne einer bdquoblutsmaumlszligig bestimmten Ungleichheit zwischen denhoumlherenlsquo und den gewoumlhnlichenlsquo Menschenldquo25) (vertikaler Inegalitarismuslsquo)Wenn bei Nietzsche anfangs bdquodas Niedrige in einer konventionellenLebensweise besteht das Houmlhere das Eigenstaumlndige und das

propre Paris 1984 S 81-84 90 u 98 (bdquoAn dieser Stelle ist [ ] die groumlszligte Indezenzhellip

geboten Man wird sich sogar fragen [ ] warum die einzige Unterrichtsinstitution derhellip

einzige Beginn einer Unterrichtsinstitution der sich je auf Lehre oder UnterrichtNietzsches uumlber den Unterricht berufen konnte nazistisch war [ ] Auf diehellip

nivellierende und demokratische Bildung die vorgebliche akademische Freiheit in derUniversitaumlt und die maximale Bildungs-Ausbreitung sollen folgen der Zwang dieZucht die Auswahl unter Leitung eines Lenkers eines Fuumlhrers ja eines groszligenFuumlhrerslsquo [ ] Die Zukunft des Textes Nietzsche ist nicht abgeschlossen Aber wenn inhellip

den noch offenen Umrissen einer Epoche die einzige nietzscheanisch genannte(sogenannte) Politik eine Nazi-Politik gewesen ist ist das notwendig signifikant undmuszlig in seiner ganzen Tragweite befragt werdenldquo [Jacques Derrida bdquoNietzschesAutobiographie oder Politik des Eigennamens Die Lehre Nietzschesldquo Uumlbs v FriedrichA Kittler In Fugen Deutsch-franzoumlsisches Jahrbuch fuumlr Text-Analytik Walter-VerlagOlten Freiburg iB 1980 S 64-98 hier S 85 88 u 91])

25) Tugendhat bdquoMacht und Antiegalitarismus bei Nietzsche und Hitlerldquo S 228 im-

folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe

Uumlber-sich-hinaus-Gehen auf ein Werk bedeutetldquo (S 237) so verschaumlrfe sichdies spaumlter zu einem Gegensatz von Starkenlsquo und Schwachenlsquo vonHerrenmorallsquo und Herdenmorallsquo ja Sklavenmorallsquo Die dieserRadikalisierung zugrundeliegende bdquoThese daszlig alles Leben Wille zur Machtist und nichts ausserdemlsquo [Jenseits von Gut und Boumlse sect 36]ldquo sei bdquotrotz derUnbestimmtheit dieses Ausdrucks aber auch gerade wegen dieserUnbestimmtheit ein genialer Gedankeldquo (S 237f) weil Nietzsche dadurcheinige fuumlr ihn wesentliche Gesichtspunkte integrieren konnte das Moment der(vor allem kuumlnstlerischen) Kreativitaumlt im Uumlbersichhinausgehen des Willenszur Macht das Axiom von der Unterschiedenheit houmlherer und niedrigerMenschen den Egoismusverdacht gegen alles vermeintlich unegoistischeVerhalten die Untergrabung aller vorgegebenen Werte durch den TodGotteslsquo schlieszliglich die Ausdehnung des Willens zur Macht auf alles Lebenuumlberhaupt (S 238f) Durch diese Ausweitung konvergiere Nietzscheungeachtet seiner dominant anthropologischen Norm-Begruumlndung mit Hitlersnaturalistischer Uumlberzeugung daszlig das Recht des Staumlrkeren ein allgemeinesGesetz der Natur sei (S 240f)

Sowohl bei Nietzsche wie bei Hitler ergibt sich der Inegalitarismus also nicht nuraus einer Leugnung der Relevanz von Moral gegenuumlber Macht sondern er wirdvon beiden auszligerdem noch in dieser merkwuumlrdigen Weise uumlberspitzt daszlig es einebesonders relevante Inegalitaumlt von Natur aus geben soll die zwischen Uumlber- undUntermenschen eine Grunddifferenz die sie bdquosehenldquo und die andere nichterkennen koumlnnen daher nennen wir sie eben wahnhaft (S 259)

Wobei bdquofuumlr Hitler die Subjekte des Machtkampfes die Voumllker sind fuumlr dieNietzsche die Individuenldquo (S 260) Aus dieser Vergleichung zieht Tugendhatden aktuellen Schluszlig

Was Nietzsche als bdquoNationalitaumlts-Wahnsinnldquo verachtete ist in Wahrheit fuumlr einen

Inegalitarismus der Entrechtung in einer egalitaumlren Welt die einzige Chance [ ]Vielleicht ist der Hitlerismus [ ] heute eine Sache der Vergangenheit aber derhorizontale Antiegalitarismus an sich den Hitler vertreten hat lebt mit der ihmeigenen Destruktionstendenz weiter Hingegen kann der vertikale Inegalitarismusin der Form in der ihn Nietzsche vertreten hat in nachfeudalenkapitalistischen Verhaumlltnissen wohl keine Breitenwirkung mehr finden Derheute fortlebende vertikale Inegalitarismus ist nicht mehr einer der Entrechtungsondern hat eine andere primaumlr oumlkonomische Gestalt (S 261)

Dies mag fuumlr fortgeschrittene Industrielaumlnder zutreffen Gilt dies aberebenso fuumlr Laumlnder der Dritten Welt

Dies zu den Konsequenzen aus Nietzsches Antiegalitarismus Was seinenUrsprung angeht so beruft sich Tugendhat auf die These seines Lehrers KarlUlmer bdquodaszlig man Nietzsches ganzes Denken [ ] aus der Frage verstehenkann wie groszliges Menschentum und houmlhere Kulturlsquo moumlglich seienldquo26) undfuumlgt hinzu

Hinter dieser Frage stand nun fuumlr Nietzsche die Uumlberzeugung daszlig es einerseitsgroszlige (bdquohoumlhereldquo) und andererseits bdquogewoumlhnlicheldquo bdquoniedrigeldquo Menschen gibt [ ]Es scheint ein bei Nietzsche bis in die Adoleszenz zuruumlckreichendes Axiomgewesen zu sein daszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassenfallen Wie man fruumlher als Adliger oder Plebejer geboren wurde so dachte sichNietzsche die Differenz zwischen besonderen und gewoumlhnlichen Menschen als

26) Vgl Karl Ulmer Nietzsche Einheit und Sinn seines Werkes Francke Bern Muumlnchen1962 ( Delp Taschenbuumlcher Bd 363) bes S 12=

von Geburt vorgegeben (S 236)

Diese fuumlr Tugendhat ungewoumlhnlich vage Behauptung (scheint [] ein bisin die Adoleszenz [] zuruumlckreichendes Axiom [] gewesen zu seinlsquo) laumlszligt sichschwerlich aus Nietzsches Schriften und Briefen seiner Schuumller- undStudentenzeit belegen Was sich hier allenfalls findet sind zeittypischeBekundungen des Genieglaubens wie der Beginn des Aufsatzes Napoleonals Praesident (1862) bdquoDaszlig das Genie von andern und houmlhern Gesetzenabhaumlngig ist als der gewoumlhnliche Mensch von Gesetzen die oft denallgemeinen Grundsaumltzen von Moral u Recht zu widersprechen scheinenldquound daszlig bdquodas Genie den Gipfelpunkt natuumlrlicher und geistiger Harmoniebildetldquo27) Oder die Feier des bdquogroszligen Geistesldquo am Beginn seinesWallenstein-Aufsatzes (1863) bdquoEs ist eine Folge der geistigen Ueberlegenheitgroszliger Menschen daszlig sie ihre Umgebungen mit sich fortreiszligen so daszlig sichdie Groszligartigkeit ihrer Anschauungen und Handlungen in dem Geiste derihnen nahe Stehenden gleichsam wiederspiegeltldquo28) Oder Gegensatzpaare wieErsterlsquo vs Mitmenschenlsquo29) bdquoder Einzelneldquo vs bdquoMasseldquo bdquoMengeldquo bdquoUnzahlmittelmaumlszligiger Koumlpfeldquo30) bdquoordentlicher und ideenreicher Philologldquo vs

27) Friedrich Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe Begruumlndet v Giorgio Colli uMazzino Montinari weitergefuumlhrt v Wolfgang Muumlller-Lauter u Karl Pestalozzi 1 AbtBd 1-5 de Gruyter Berlin New York 1995-2003 Bd 2 S 357-362 hier S 357

28) Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist den Soldaten in Wallensteins Lager an derErhaltung ihres Feldherrn im Oberbefehl sehr gelegenldquo In ebd Bd 3 S 77-80 hierS 77

29) bdquoDer Erste der ein Kraut pflanzte oder saumlete eroumlffnete seinen Mitmenschen einunermeszligliches Feld der Thaumltigkeit und legte den Grund zu einem viel houmlheren Gradeder Erleuchtung und Milderungldquo (Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist der Ackerbau alsdie Grundlage aller gesetzlichen Ordnung und Gesittung zu betrachtenldquo [1863] In ebdS 91-95 hier S 92)

30) bdquoDen groszligen Gedanken produzirt nur der Einzelne Massenuumlberzeugungen haben-

immer etwas Halbes und Verschwommenes Dagegen sind die Triebe der Masse-

maumlchtiger als die des Einzelnen [ ] Es ist ein schrecklicher Gedanke eine- hellip -

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

국문초록lt gt

위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

lsquo rsquo lsquo rsquolsquo rsquo lsquo rsquo

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

dem bdquoTeufelskreisldquo befunden habe bdquoder von einem intellektuellen Irrtum derdurchaus guten Glaubens begangen sein konnte zur zwangslaumlufigenLegitimierung aller Diskriminierungs- und Ausbeutungsmaszlignahmen fuumlhrtldquo1)

Also keine positive Bezugnahme Allerdings blieb mir das vage Gefuumlhl dies seigar nicht meinelsquo Stelle gewesen Doch dann las ich Jahre spaumlter nochmalsLeacutevi-Straussrsquo Strukturale Anthropologie in die dieser Aufsatz inzwischenaufgenommen worden war und fand gleich auf den ersten Seiten dieerstaunliche Bemerkung bdquodie Sozialanthropologie [sei] heute der Gefahrausgesetzt Durkheim zu verlieren so wie sie schon Gobineau [ ] verlorenhatldquo2) Gobineaus intellektuelle Aumlchtung also ein Verlust Leacutevi-Straussknuumlpft dann in dem Aufsatz Rasse und Kultur (1971) ganz positiv an diebdquoLehre Gobineausldquo an allerdings unter der Voraussetzung daszlig man sie nichtmehr auf die bdquoVerschiedenheit der Rassenldquo sondern auf die bdquoVerschiedenheitder Kulturenldquo beziehe3) Er billigt Gobineaus Ansichten gespraumlchsweise sogareine bdquosehr moderne Faumlrbungldquo4) zu und enthuumlllt schlieszliglich daszlig der Schluszligseiner monumentalen Mythologiques durch den Schluszligsatz von Gobineaus Essaisurrsquol ineacutegaliteacute des races inspiriert gewesen sei5) Ich muszlig gestehen ich warschockiert zumal ja Leacutevi-Strauss als Ethnologe kompromiszliglos an derUumlberzeugung festhielt bdquodaszlig die rassistischen Theorien ungeheuerlich und absurd

1) Claude Leacutevi-Strauss bdquoRasse und Geschichteldquo (uumlbs v Traugott Koumlnig) In Leacutevi-StraussStrukturale Anthropologie Ⅱ Suhrkamp Frankfurt M 1975 S 363-407 hier S 363

2) Claude Leacutevi-Strauss bdquoDas Feld der Anthropologieldquo (1960 uumlbs v Eva Moldenhauer)-

In ebd S 11-44 hier S 123) Claude Leacutevi-Strauss bdquoRasse und Kulturldquo In Leacutevi-Strauss Der Blick aus der Ferne

Uumlbs v Hans-Horst Henschen u Joseph Vogl Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt M 1993 S 21-52 hier S 22

4) Claude Leacutevi-Strauss u Didier Eribon Das Nahe und das Ferne Eine Autobiographie inGespraumlchen Uumlbs v Hans-Horst Henschen S Fischer Frankfurt M 1989 S 217

5) Vgl Claude Leacutevi-Strauss Regarder Eacutecouter Lire Plon Paris 1993 S 147f vglClaude Leacutevi-Strauss Mythologica Der nackte MenschⅣ Uumlbs v Eva MoldenhauerSuhrkamp Frankfurt M 1975 S 817

zugleich sindldquo6) Bis mir der Gedanke durch den Kopf schoszlig Aber wie kannich daruumlber aburteilen obwohl ich doch noch nie eine Zeile Gobineau gelesenhabe Fuumlr eine solche unvoreingenommene Lektuumlre hat Leacutevi-Strauss seinemwiderstrebenden Gespraumlchspartner eine beherzigenswerte Leseanweisung gegeben

Als Mensch war Gobineau wahrscheinlich von rassistischen Vorurteileneingenommen Das waren zu seiner Zeit viele [ ] Man moumlge doch die Passagenauszliger acht lassen in denen die Vorurteile die Oberhand uumlber die Reflexiongewinnen [ ] und man moumlge doch bereit sein uumlberall da wo er bdquoRasseldquoschreibt bdquoKulturldquo zu lesen dann wird man in ihm uumlber den groszligen Schriftstellerund Autor der Pleacuteiades der Souvenirs de voyage der Nouvelles asiatiquesoder der Trois ans en Asie hinaus einen originellen Denker finden7)

Und nun meine gegenlaumlufige Leseerfahrung mit Nietzsche Im Herbst 2000erschien in der Wochenzeitung Die Zeit ein Aufsatz meines einstigenphilosophischen Lehrers Ernst Tugendhat uumlber Macht und Antiegalitarismusbei Nietzsche und Hitler8) Ich verpaszligte diese Nummer der Zeit weil ichzum Erscheinungsdatum beim Internationalen Germanisten-Kongreszlig in Wienwar und kurz darauf nach Delhi reiste daszlig ich es aber schlieszliglich versaumlumtesie in der Bibliothek zu lesen lag wohl an einem inneren WiderstrebenHatte man mich doch nach meiner Flucht aus der DDR 1961 oumlffentlichbeschimpft ich haumltte dies aus einer faschistischen Gesinnung heraus getandenn mein Lieblingsautor sei Friedrich Nietzsche gewesen von dem ja derungeheuerliche Satz stamme bdquoDu gehst zu Frauen Vergiszlig die Peitschenichtldquo Die mich so schmaumlhten mochten Nietzsche zum letzten Mal in der

6) Leacutevi-Strauss u Eribon Das Nahe und das Ferne S 2187) Ebd S 2348) Erweiterte Fassung inzwischen in Ernst Tugendhat Aufsaumltze 1992-2000 Suhrkamp

2001 S 225-261

Hitler-Zeit gelesen haben denn in der DDR war er ja verboten Ihr aktuellerStichwortgeber war aber der marxistische Philosoph Georg Lukaacutecs (er durftefreilich seit der Niederschlagung der Ungarischen Revolution 1956 nicht mehrzitiert werden) der Nietzsche als bdquofuumlhrende[n] Philosoph[en] der Reaktion fuumlrdie ganze imperialistische Periodeldquo9) als bdquoerste[n] philosophische[n] Heroldder imperialistischen Barbareildquo ja als bdquoeine[n] der wichtigsten Ahnen desFaschismusldquo10) diffamiert hatte am ausgiebigsten im Nietzsche-Kapitel derZerstoumlrung der Vernunft11) wozu Adorno schneidend bemerkte bdquoAmkrassesten wohl manifestierte sich in dem Buch Die Zerstoumlrung derVernunftlsquo die von Lukaacutecsrsquo eigenerldquo12)

Kurz vor dem Zusammenbruch des Ostblocks versuchte dann derLukaacutecs-Schuumller Wolfgang Harich (der nach dem Ungarn-Aufstand mehr als einJahrzehnt in der DDR im Zuchthaus gesessen hatte) ein letztes Mal das dortigePublikationsverbot Nietzsches zu retten13) indem er Lukaacutecsrsquo Faschismusvorwurferneuerte und nochmals das ganze Suumlndenregister zusammenstellte HerrenmoralVorlaumluferschaft des Futurismus als bdquoauthentischste[r] faschistische[r] Kunstrichtungldquo

9) Georg Lukaacutecs bdquoDer deutsche Faschismus und Nietzscheldquo (1943) In Lukaacutecs SchicksalswendeBeitraumlge zu einer neuen deutschen Ideologie Aufbau-Verlag Berlin 1956 S 7-28 hierS 7

10) Georg Lukaacutecs bdquoNietzsche als Vorlaumlufer der faschistischen Aumlsthetikldquo (1934) In LukaacutecsBeitraumlge zur Geschichte der Aumlsthetik Aufbau-Verlag Berlin 1956 S 286-317 hier S315 u 317

11) Georg Lukaacutecs Die Zerstoumlrung der Vernunft Der Weg des Irrationalismus von Schellingzu Hitler Aufbau-Verlag Berlin 1956 S 244-317 (Kap 3 bdquoNietzsche als Begruumlnderdes Irrationalismus der imperialistischen Periodeldquo)

12) Theodor W Adorno bdquoErpreszligte Versoumlhnung Zu Georg Lukaacutecs Wider denmiszligverstandenen Realismuslsquoldquo In Adorno Noten zur Literatur Hrsg v RolfTiedemann Suhrkamp Frankfurt M 1974 ( Gesammelte Schriften 11) S 251-280=

hier S 25213) Vgl Wolfgang Harich bdquoRevision des marxistischen Nietzschebildeslsquoldquo In Sinn und

Form 39 (1987) S 1018-1053 Zitate im folgenden mit einfacher Seitenangabe-

(S 1021) Anti-Feminismus Rassismus mit bdquophilosemitischen Anwandlungenldquo(S 1028) Kriegshetze Nuumltzlichkeit fuumlr den bdquoIdeologiebedarf des demokratischaufgeputzten Dollarimperialismusldquo (S 1032f) Mit der Konsequenz daszlig bdquoihn zuedieren [ ] uumlberhaupt zum Verbrechen geworden seildquo (S 1034) bdquoDen Mannnicht fuumlr zitierfaumlhig zu halten sollte zu den Grundregeln geistiger Hygienegehoumlrenldquo (S 1036)

So rabulistisch Harich oft Zitate manipuliert so gibt es doch genuumlgendNietzschesche Kernsaumltze vor allem aus Also sprach Zarathustra14) die fuumlruns peinlich zu lesen sind

Voll ist die Erde von Uumlberfluumlssigen verdorben ist das Leben durch die Viel-zu-VielenMoumlge man sie mit dem bdquoewigen Lebenldquo aus diesem Leben weglocken (S 55)Dass Jedermann lesen lernen darf verdirbt auf die Dauer nicht allein dasSchreiben sondern auch das Denken (S 48)bdquodie Menschen sind nicht gleichldquo Und sie sollen es auch nicht werden (S130)Bessere Raubthiere sollen sie also werden feinere kluumlgere menschen-aumlhnlichere der Mensch naumlmlich ist das beste Raubthier (S 263)bdquoWas ist gut Tapfer sein ist gut Der gute Krieg istrsquos der jede Sache heiligtldquo(S 307)Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen Und den kurzen Friedenmehr als den langen (S 55)Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung desKriegers alles Andre ist Thorheit (S 85)So will ich Mann und Weib kriegstuumlchtig den Einen gebaumlrtuumlchtig das Andre

14) Friedrich Nietzsche Kritische Studienausgabe in 15 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter Muumlnchen u Berlin New York 1980 Bd 4 im folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe andere-

Werke Nietzsches unter Band- und Seitenangabe Nachlaszligstuumlcke zusaumltzlich mit Heft-und Fragmentnumerierung

beide aber tanzsuumlchtig mit Kopf und Beinen (S 264)Gelobt sei was hart macht (S 194)Aber ich sage was faumlllt das soll man auch noch stossen (S 261)

Zitiert oder paraphrasiert finden sich solche Gemeinspruumlche gern beiMussolini wie bei der deutschen Rechten der Zwischenkriegszeit (etwa inErnst Juumlngers Sammelband Krieg und Krieger15)) ja sie bilden denGrundstock fuumlr Alfred Baeumlers heroisch-realistischelsquo GesamtdarstellungNietzsche der Philosoph und Politiker16) Thomas Mann betonte daher inseinem kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gehaltenen VortragNietzschersquos Philosophie im Lichte unserer Erfahrung (1947)

Nicht umsonst ist sein Wort vom bdquogefaumlhrlichen Lebenldquo ins Italienische uumlbersetzt

15) Krieg und Krieger Hrsg v Ernst Juumlnger Junker und Duumlnnhaupt Verlag Berlin 1930Vgl hierzu Walter Benjamins vernichtende Rezension bdquoTheorien des deutschenFaschismus Zu der Sammelschrift Krieg und Kriegerlsquo Herausgegeben von ErnstJuumlngerldquo In Benjamin Gesammelte Schriften Kritiken und RezensionenⅢ Hrsg vHella Tiedemann-Bartels Suhrkamp Frankfurt M 1972 S 238-250

16) Alfred Baeumler Nietzsche der Philosoph und Politiker 2 Aufl Reclam Leipzig 1931(sup31937) Baeumler der 1923 mit der bedeutenden Untersuchung- Das Irrationalismusproblemin der Aumlsthetik und Logik des 18 Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft (2 AuflWissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1967) hervorgetreten war und 1926 eineso genialische wie problematische Rieseneinleitung zu einer Bachofen-Auswahl(bdquoBachofen der Mythologe der Romantikldquo In Der Mythus von Orient und OccidentEine Metaphysik der Alten Welt Aus den Werken von J[ohann] J[akob] Bachofen miteiner Einleitung von Alfred Baeumler hrsg v Manfred Schroeter CH Beck Muumlnchen1926 S XXIII-CCXCIV) verfaszligt hatte zeigte in seinem Nietzsche-Buch nur nochschwache Reste seines intellektuellen Vermoumlgens Seinen geistigen Tiefstand erreichte erin dem Aufsatz bdquoNietzsche und der Nationalsozialismusldquo (1934 In Alfred BaeumlerStudien zur deutschen Geistesgeschichte Junker und Duumlnnhaupt Berlin 1937 S281-294) und in der Aufsatzsammlung Maumlnnerbund und Wissenschaft (Junker undDuumlnnhaupt Berlin 1937) Wie zur Strafe hat er seither auszliger einigen-

Nachkriegs-Ausreden nichts (nicht einmal negativ) Nennenswertes mehr zustande-

bringen koumlnnen

worden und in den Argot des Faschismus eingegangen Alles was er in letzterUumlberreiztheit gegen Moral Humanitaumlt Mitleid Christentum und fuumlr die schoumlneRuchlosigkeit den Krieg das Boumlse gesagt hat war leider geeignet in derSchund-Ideologie des Faschismus seinen Platz zu finden [ ]17)

Und er fuumlgte hinzu bdquoWer Nietzsche eigentlichlsquo nimmt woumlrtlich nimmtwer ihm glaubt ist verlorenldquo18)

Um Nietzsche vor solcher faschistischen Vereinnahmung zu retten folgtenPhilosophen wie Karl Jaspers19) Karl Loumlwith20) oder Walter Kaufmann21)

derselben hermeneutischen Maxime wie dann Leacutevi-Strauss gegenuumlberGobineau solche Passagen eher auszliger Acht zu lassen in denen rassistischeoder andere zeittypische Vorurteile die Oberhand uumlber die Reflexiongewinnen miszligverstaumlndliche Begriffe zu praumlzisieren und uumlber seineschriftstellerischen Qualitaumlten hinaus entschieden die Originalitaumlt seinesDenkens herauszuarbeiten Freilich eines ist die Rettunglsquo eines vergessenenoder verfemten ein anderes die kritische Analyse eines kanonisiertenDenkers der keine solche selektive Wahrnehmung genuumlgen kann Denn inden letzten zwei drei Jahrzehnten hat im Westen zweifellos eineKanonisierung Nietzsches als Kritikers der Moderne stattgefunden

Der skeptische Wissenschaftler der die Pervertierung des Willens zur Macht den

17) Thomas Mann Gesammelte Werke in dreizehn Baumlnden Bd 9 Reden und Aufsaumltze 1Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt M 1990 S 675-712 hier S 702

18) Ebd S 70819) Karl Jaspers Nietzsche Einfuumlhrung in das Verstaumlndnis seines Philosophierens de

Gruyter Berlin Leipzig 1936 (sup21947)20) Karl Loumlwith Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkunft des Gleichen Die Runde

Berlin 1935 (sup21956) ders Von Hegel zu Nietzsche Der revolutionaumlre Bruch im Denkendes neunzehnten Jahrhunderts Europa Verlag Zuumlrich New York 1941 (51964)

21) Walter Kaufmann Nietzsche Philosopher Psychologist Antichrist Princeton UniversityPress Princeton N J 1950 (sup31968)

Aufstand der reaktiven Kraumlfte und die Entstehung der subjektzentrierten Vernunftmit anthropologischen psychologischen und historischen Methoden enthuumlllenmoumlchte findet Nachfolger in Bataille Lacan und Foucault der eingeweihteKritiker der Metaphysik der ein Sonderwissen in Anspruch nimmt und dieEntstehung der Subjektphilosophie bis in die vorsokratischen Anfaumlnge hineinverfolgt in Heidegger und Derrida22)

Und wie diese Kanonisierung vor allem von franzoumlsischen Intellektuellenausgegangen ist23) so sind hier zugleich die Affinitaumlten zwischen Nietzscheund dem Faschismus deutlich benannt worden So fordert etwa Derrida

La plus grande indeacutecence est [ ] de rigueur en ce lieu On se demandera [ ]pourquoi la seule institution drsquoenseignement le seul commencement drsquoinstitutionenseignante qui ait jamais pu se reacuteclamer de lrsquoenseignement de Nietzsche surlrsquoenseignement aura eacuteteacute nazie [ ]A la formation deacutemocratique et nivelante agrave la preacutetendue liberteacute acadeacutemique danslrsquouniversiteacute agrave lrsquoextension maximale de la culture doivent succeacuteder la contraintele dressage (Zucht) la seacutelection sous la direction drsquoun guide drsquoun Fuumlhrer et

mecircme drsquoun grossen Fuumlhrers [ ]Lrsquoavenir du texte-Nietzsche nrsquoest pas clos Mais si dans les contours encore ouvertsdrsquoune eacutepoque la seule politique se disant soi disant nietzscheacuteenne aura eacuteteacute naziecela est neacutecessairement signifiant et doit ecirctre interrogeacute dans toutes ses porteacutees24)

22) Juumlrgen Habermas Der philosophische Diskurs der Moderne Zwoumllf VorlesungenSuhrkamp Frankfurt M 1985 S 120 1968 hatte Habermas noch erleichtert-

konstatiert bdquoNietzsche hat nichts Ansteckendes mehrldquo (Juumlrgen Habermas bdquoNachwortldquozu Friedrich Nietzsche Erkenntnistheoretische Schriften Suhrkamp Frankfurt M 1968S 237-261 hier S 237)

23) Vgl vor allem die Sammelbaumlnde Nietzsche aujourdrsquohui 2 Bde Union geacuteneacuteraledrsquoeacuteditions Paris 1973 sowie daran anknuumlpfend The New Nietzsche Contemporary Stylesof Interpretation Hrsg v David B Allison Dell Publishing Co New York 1977 undNietzsche aus Frankreich Essays von Maurice Blanchot Jacques Derrida PierreKlossowski Philippe Lacoue-Labarthe Jean-Luc Nancy u Bernard Pautrat Hrsg vWerner Hamacher Ullstein Frankfurt M Berlin 1986

24) Jacques Derrida Otobiographies Lrsquoenseignement de Nietzsche et la politique du nom

Eine solche Befragung aus dem Geist der sprachanalytischen Ethikunternimmt Tugendhats Vergleich von Nietzsches und Hitlers Frontstellunggegen den Egalitarismus der seit der Franzoumlsischen Revolution seit dieBegruumlndung moralischer und politischer Normen nicht mehr durch Autoritaumltsondern wechselseitig zu erfolgen habe das dominante Verstaumlndnis vonMoral und Legitimitaumlt ausmache Beide verwerfen kompromiszliglos die Idee derGleichheit zugunsten der Macht Hitler im Namen des schrankenlosenNationalismus und der (im wesentlichen auf Gobineau zuruumlckgehenden)Rassentheorie (Tugendhat nennt dies horizontalen Inegalitarismuslsquo) Nietzschedagegen im Sinne einer bdquoblutsmaumlszligig bestimmten Ungleichheit zwischen denhoumlherenlsquo und den gewoumlhnlichenlsquo Menschenldquo25) (vertikaler Inegalitarismuslsquo)Wenn bei Nietzsche anfangs bdquodas Niedrige in einer konventionellenLebensweise besteht das Houmlhere das Eigenstaumlndige und das

propre Paris 1984 S 81-84 90 u 98 (bdquoAn dieser Stelle ist [ ] die groumlszligte Indezenzhellip

geboten Man wird sich sogar fragen [ ] warum die einzige Unterrichtsinstitution derhellip

einzige Beginn einer Unterrichtsinstitution der sich je auf Lehre oder UnterrichtNietzsches uumlber den Unterricht berufen konnte nazistisch war [ ] Auf diehellip

nivellierende und demokratische Bildung die vorgebliche akademische Freiheit in derUniversitaumlt und die maximale Bildungs-Ausbreitung sollen folgen der Zwang dieZucht die Auswahl unter Leitung eines Lenkers eines Fuumlhrers ja eines groszligenFuumlhrerslsquo [ ] Die Zukunft des Textes Nietzsche ist nicht abgeschlossen Aber wenn inhellip

den noch offenen Umrissen einer Epoche die einzige nietzscheanisch genannte(sogenannte) Politik eine Nazi-Politik gewesen ist ist das notwendig signifikant undmuszlig in seiner ganzen Tragweite befragt werdenldquo [Jacques Derrida bdquoNietzschesAutobiographie oder Politik des Eigennamens Die Lehre Nietzschesldquo Uumlbs v FriedrichA Kittler In Fugen Deutsch-franzoumlsisches Jahrbuch fuumlr Text-Analytik Walter-VerlagOlten Freiburg iB 1980 S 64-98 hier S 85 88 u 91])

25) Tugendhat bdquoMacht und Antiegalitarismus bei Nietzsche und Hitlerldquo S 228 im-

folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe

Uumlber-sich-hinaus-Gehen auf ein Werk bedeutetldquo (S 237) so verschaumlrfe sichdies spaumlter zu einem Gegensatz von Starkenlsquo und Schwachenlsquo vonHerrenmorallsquo und Herdenmorallsquo ja Sklavenmorallsquo Die dieserRadikalisierung zugrundeliegende bdquoThese daszlig alles Leben Wille zur Machtist und nichts ausserdemlsquo [Jenseits von Gut und Boumlse sect 36]ldquo sei bdquotrotz derUnbestimmtheit dieses Ausdrucks aber auch gerade wegen dieserUnbestimmtheit ein genialer Gedankeldquo (S 237f) weil Nietzsche dadurcheinige fuumlr ihn wesentliche Gesichtspunkte integrieren konnte das Moment der(vor allem kuumlnstlerischen) Kreativitaumlt im Uumlbersichhinausgehen des Willenszur Macht das Axiom von der Unterschiedenheit houmlherer und niedrigerMenschen den Egoismusverdacht gegen alles vermeintlich unegoistischeVerhalten die Untergrabung aller vorgegebenen Werte durch den TodGotteslsquo schlieszliglich die Ausdehnung des Willens zur Macht auf alles Lebenuumlberhaupt (S 238f) Durch diese Ausweitung konvergiere Nietzscheungeachtet seiner dominant anthropologischen Norm-Begruumlndung mit Hitlersnaturalistischer Uumlberzeugung daszlig das Recht des Staumlrkeren ein allgemeinesGesetz der Natur sei (S 240f)

Sowohl bei Nietzsche wie bei Hitler ergibt sich der Inegalitarismus also nicht nuraus einer Leugnung der Relevanz von Moral gegenuumlber Macht sondern er wirdvon beiden auszligerdem noch in dieser merkwuumlrdigen Weise uumlberspitzt daszlig es einebesonders relevante Inegalitaumlt von Natur aus geben soll die zwischen Uumlber- undUntermenschen eine Grunddifferenz die sie bdquosehenldquo und die andere nichterkennen koumlnnen daher nennen wir sie eben wahnhaft (S 259)

Wobei bdquofuumlr Hitler die Subjekte des Machtkampfes die Voumllker sind fuumlr dieNietzsche die Individuenldquo (S 260) Aus dieser Vergleichung zieht Tugendhatden aktuellen Schluszlig

Was Nietzsche als bdquoNationalitaumlts-Wahnsinnldquo verachtete ist in Wahrheit fuumlr einen

Inegalitarismus der Entrechtung in einer egalitaumlren Welt die einzige Chance [ ]Vielleicht ist der Hitlerismus [ ] heute eine Sache der Vergangenheit aber derhorizontale Antiegalitarismus an sich den Hitler vertreten hat lebt mit der ihmeigenen Destruktionstendenz weiter Hingegen kann der vertikale Inegalitarismusin der Form in der ihn Nietzsche vertreten hat in nachfeudalenkapitalistischen Verhaumlltnissen wohl keine Breitenwirkung mehr finden Derheute fortlebende vertikale Inegalitarismus ist nicht mehr einer der Entrechtungsondern hat eine andere primaumlr oumlkonomische Gestalt (S 261)

Dies mag fuumlr fortgeschrittene Industrielaumlnder zutreffen Gilt dies aberebenso fuumlr Laumlnder der Dritten Welt

Dies zu den Konsequenzen aus Nietzsches Antiegalitarismus Was seinenUrsprung angeht so beruft sich Tugendhat auf die These seines Lehrers KarlUlmer bdquodaszlig man Nietzsches ganzes Denken [ ] aus der Frage verstehenkann wie groszliges Menschentum und houmlhere Kulturlsquo moumlglich seienldquo26) undfuumlgt hinzu

Hinter dieser Frage stand nun fuumlr Nietzsche die Uumlberzeugung daszlig es einerseitsgroszlige (bdquohoumlhereldquo) und andererseits bdquogewoumlhnlicheldquo bdquoniedrigeldquo Menschen gibt [ ]Es scheint ein bei Nietzsche bis in die Adoleszenz zuruumlckreichendes Axiomgewesen zu sein daszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassenfallen Wie man fruumlher als Adliger oder Plebejer geboren wurde so dachte sichNietzsche die Differenz zwischen besonderen und gewoumlhnlichen Menschen als

26) Vgl Karl Ulmer Nietzsche Einheit und Sinn seines Werkes Francke Bern Muumlnchen1962 ( Delp Taschenbuumlcher Bd 363) bes S 12=

von Geburt vorgegeben (S 236)

Diese fuumlr Tugendhat ungewoumlhnlich vage Behauptung (scheint [] ein bisin die Adoleszenz [] zuruumlckreichendes Axiom [] gewesen zu seinlsquo) laumlszligt sichschwerlich aus Nietzsches Schriften und Briefen seiner Schuumller- undStudentenzeit belegen Was sich hier allenfalls findet sind zeittypischeBekundungen des Genieglaubens wie der Beginn des Aufsatzes Napoleonals Praesident (1862) bdquoDaszlig das Genie von andern und houmlhern Gesetzenabhaumlngig ist als der gewoumlhnliche Mensch von Gesetzen die oft denallgemeinen Grundsaumltzen von Moral u Recht zu widersprechen scheinenldquound daszlig bdquodas Genie den Gipfelpunkt natuumlrlicher und geistiger Harmoniebildetldquo27) Oder die Feier des bdquogroszligen Geistesldquo am Beginn seinesWallenstein-Aufsatzes (1863) bdquoEs ist eine Folge der geistigen Ueberlegenheitgroszliger Menschen daszlig sie ihre Umgebungen mit sich fortreiszligen so daszlig sichdie Groszligartigkeit ihrer Anschauungen und Handlungen in dem Geiste derihnen nahe Stehenden gleichsam wiederspiegeltldquo28) Oder Gegensatzpaare wieErsterlsquo vs Mitmenschenlsquo29) bdquoder Einzelneldquo vs bdquoMasseldquo bdquoMengeldquo bdquoUnzahlmittelmaumlszligiger Koumlpfeldquo30) bdquoordentlicher und ideenreicher Philologldquo vs

27) Friedrich Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe Begruumlndet v Giorgio Colli uMazzino Montinari weitergefuumlhrt v Wolfgang Muumlller-Lauter u Karl Pestalozzi 1 AbtBd 1-5 de Gruyter Berlin New York 1995-2003 Bd 2 S 357-362 hier S 357

28) Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist den Soldaten in Wallensteins Lager an derErhaltung ihres Feldherrn im Oberbefehl sehr gelegenldquo In ebd Bd 3 S 77-80 hierS 77

29) bdquoDer Erste der ein Kraut pflanzte oder saumlete eroumlffnete seinen Mitmenschen einunermeszligliches Feld der Thaumltigkeit und legte den Grund zu einem viel houmlheren Gradeder Erleuchtung und Milderungldquo (Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist der Ackerbau alsdie Grundlage aller gesetzlichen Ordnung und Gesittung zu betrachtenldquo [1863] In ebdS 91-95 hier S 92)

30) bdquoDen groszligen Gedanken produzirt nur der Einzelne Massenuumlberzeugungen haben-

immer etwas Halbes und Verschwommenes Dagegen sind die Triebe der Masse-

maumlchtiger als die des Einzelnen [ ] Es ist ein schrecklicher Gedanke eine- hellip -

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

국문초록lt gt

위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

lsquo rsquo lsquo rsquolsquo rsquo lsquo rsquo

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

zugleich sindldquo6) Bis mir der Gedanke durch den Kopf schoszlig Aber wie kannich daruumlber aburteilen obwohl ich doch noch nie eine Zeile Gobineau gelesenhabe Fuumlr eine solche unvoreingenommene Lektuumlre hat Leacutevi-Strauss seinemwiderstrebenden Gespraumlchspartner eine beherzigenswerte Leseanweisung gegeben

Als Mensch war Gobineau wahrscheinlich von rassistischen Vorurteileneingenommen Das waren zu seiner Zeit viele [ ] Man moumlge doch die Passagenauszliger acht lassen in denen die Vorurteile die Oberhand uumlber die Reflexiongewinnen [ ] und man moumlge doch bereit sein uumlberall da wo er bdquoRasseldquoschreibt bdquoKulturldquo zu lesen dann wird man in ihm uumlber den groszligen Schriftstellerund Autor der Pleacuteiades der Souvenirs de voyage der Nouvelles asiatiquesoder der Trois ans en Asie hinaus einen originellen Denker finden7)

Und nun meine gegenlaumlufige Leseerfahrung mit Nietzsche Im Herbst 2000erschien in der Wochenzeitung Die Zeit ein Aufsatz meines einstigenphilosophischen Lehrers Ernst Tugendhat uumlber Macht und Antiegalitarismusbei Nietzsche und Hitler8) Ich verpaszligte diese Nummer der Zeit weil ichzum Erscheinungsdatum beim Internationalen Germanisten-Kongreszlig in Wienwar und kurz darauf nach Delhi reiste daszlig ich es aber schlieszliglich versaumlumtesie in der Bibliothek zu lesen lag wohl an einem inneren WiderstrebenHatte man mich doch nach meiner Flucht aus der DDR 1961 oumlffentlichbeschimpft ich haumltte dies aus einer faschistischen Gesinnung heraus getandenn mein Lieblingsautor sei Friedrich Nietzsche gewesen von dem ja derungeheuerliche Satz stamme bdquoDu gehst zu Frauen Vergiszlig die Peitschenichtldquo Die mich so schmaumlhten mochten Nietzsche zum letzten Mal in der

6) Leacutevi-Strauss u Eribon Das Nahe und das Ferne S 2187) Ebd S 2348) Erweiterte Fassung inzwischen in Ernst Tugendhat Aufsaumltze 1992-2000 Suhrkamp

2001 S 225-261

Hitler-Zeit gelesen haben denn in der DDR war er ja verboten Ihr aktuellerStichwortgeber war aber der marxistische Philosoph Georg Lukaacutecs (er durftefreilich seit der Niederschlagung der Ungarischen Revolution 1956 nicht mehrzitiert werden) der Nietzsche als bdquofuumlhrende[n] Philosoph[en] der Reaktion fuumlrdie ganze imperialistische Periodeldquo9) als bdquoerste[n] philosophische[n] Heroldder imperialistischen Barbareildquo ja als bdquoeine[n] der wichtigsten Ahnen desFaschismusldquo10) diffamiert hatte am ausgiebigsten im Nietzsche-Kapitel derZerstoumlrung der Vernunft11) wozu Adorno schneidend bemerkte bdquoAmkrassesten wohl manifestierte sich in dem Buch Die Zerstoumlrung derVernunftlsquo die von Lukaacutecsrsquo eigenerldquo12)

Kurz vor dem Zusammenbruch des Ostblocks versuchte dann derLukaacutecs-Schuumller Wolfgang Harich (der nach dem Ungarn-Aufstand mehr als einJahrzehnt in der DDR im Zuchthaus gesessen hatte) ein letztes Mal das dortigePublikationsverbot Nietzsches zu retten13) indem er Lukaacutecsrsquo Faschismusvorwurferneuerte und nochmals das ganze Suumlndenregister zusammenstellte HerrenmoralVorlaumluferschaft des Futurismus als bdquoauthentischste[r] faschistische[r] Kunstrichtungldquo

9) Georg Lukaacutecs bdquoDer deutsche Faschismus und Nietzscheldquo (1943) In Lukaacutecs SchicksalswendeBeitraumlge zu einer neuen deutschen Ideologie Aufbau-Verlag Berlin 1956 S 7-28 hierS 7

10) Georg Lukaacutecs bdquoNietzsche als Vorlaumlufer der faschistischen Aumlsthetikldquo (1934) In LukaacutecsBeitraumlge zur Geschichte der Aumlsthetik Aufbau-Verlag Berlin 1956 S 286-317 hier S315 u 317

11) Georg Lukaacutecs Die Zerstoumlrung der Vernunft Der Weg des Irrationalismus von Schellingzu Hitler Aufbau-Verlag Berlin 1956 S 244-317 (Kap 3 bdquoNietzsche als Begruumlnderdes Irrationalismus der imperialistischen Periodeldquo)

12) Theodor W Adorno bdquoErpreszligte Versoumlhnung Zu Georg Lukaacutecs Wider denmiszligverstandenen Realismuslsquoldquo In Adorno Noten zur Literatur Hrsg v RolfTiedemann Suhrkamp Frankfurt M 1974 ( Gesammelte Schriften 11) S 251-280=

hier S 25213) Vgl Wolfgang Harich bdquoRevision des marxistischen Nietzschebildeslsquoldquo In Sinn und

Form 39 (1987) S 1018-1053 Zitate im folgenden mit einfacher Seitenangabe-

(S 1021) Anti-Feminismus Rassismus mit bdquophilosemitischen Anwandlungenldquo(S 1028) Kriegshetze Nuumltzlichkeit fuumlr den bdquoIdeologiebedarf des demokratischaufgeputzten Dollarimperialismusldquo (S 1032f) Mit der Konsequenz daszlig bdquoihn zuedieren [ ] uumlberhaupt zum Verbrechen geworden seildquo (S 1034) bdquoDen Mannnicht fuumlr zitierfaumlhig zu halten sollte zu den Grundregeln geistiger Hygienegehoumlrenldquo (S 1036)

So rabulistisch Harich oft Zitate manipuliert so gibt es doch genuumlgendNietzschesche Kernsaumltze vor allem aus Also sprach Zarathustra14) die fuumlruns peinlich zu lesen sind

Voll ist die Erde von Uumlberfluumlssigen verdorben ist das Leben durch die Viel-zu-VielenMoumlge man sie mit dem bdquoewigen Lebenldquo aus diesem Leben weglocken (S 55)Dass Jedermann lesen lernen darf verdirbt auf die Dauer nicht allein dasSchreiben sondern auch das Denken (S 48)bdquodie Menschen sind nicht gleichldquo Und sie sollen es auch nicht werden (S130)Bessere Raubthiere sollen sie also werden feinere kluumlgere menschen-aumlhnlichere der Mensch naumlmlich ist das beste Raubthier (S 263)bdquoWas ist gut Tapfer sein ist gut Der gute Krieg istrsquos der jede Sache heiligtldquo(S 307)Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen Und den kurzen Friedenmehr als den langen (S 55)Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung desKriegers alles Andre ist Thorheit (S 85)So will ich Mann und Weib kriegstuumlchtig den Einen gebaumlrtuumlchtig das Andre

14) Friedrich Nietzsche Kritische Studienausgabe in 15 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter Muumlnchen u Berlin New York 1980 Bd 4 im folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe andere-

Werke Nietzsches unter Band- und Seitenangabe Nachlaszligstuumlcke zusaumltzlich mit Heft-und Fragmentnumerierung

beide aber tanzsuumlchtig mit Kopf und Beinen (S 264)Gelobt sei was hart macht (S 194)Aber ich sage was faumlllt das soll man auch noch stossen (S 261)

Zitiert oder paraphrasiert finden sich solche Gemeinspruumlche gern beiMussolini wie bei der deutschen Rechten der Zwischenkriegszeit (etwa inErnst Juumlngers Sammelband Krieg und Krieger15)) ja sie bilden denGrundstock fuumlr Alfred Baeumlers heroisch-realistischelsquo GesamtdarstellungNietzsche der Philosoph und Politiker16) Thomas Mann betonte daher inseinem kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gehaltenen VortragNietzschersquos Philosophie im Lichte unserer Erfahrung (1947)

Nicht umsonst ist sein Wort vom bdquogefaumlhrlichen Lebenldquo ins Italienische uumlbersetzt

15) Krieg und Krieger Hrsg v Ernst Juumlnger Junker und Duumlnnhaupt Verlag Berlin 1930Vgl hierzu Walter Benjamins vernichtende Rezension bdquoTheorien des deutschenFaschismus Zu der Sammelschrift Krieg und Kriegerlsquo Herausgegeben von ErnstJuumlngerldquo In Benjamin Gesammelte Schriften Kritiken und RezensionenⅢ Hrsg vHella Tiedemann-Bartels Suhrkamp Frankfurt M 1972 S 238-250

16) Alfred Baeumler Nietzsche der Philosoph und Politiker 2 Aufl Reclam Leipzig 1931(sup31937) Baeumler der 1923 mit der bedeutenden Untersuchung- Das Irrationalismusproblemin der Aumlsthetik und Logik des 18 Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft (2 AuflWissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1967) hervorgetreten war und 1926 eineso genialische wie problematische Rieseneinleitung zu einer Bachofen-Auswahl(bdquoBachofen der Mythologe der Romantikldquo In Der Mythus von Orient und OccidentEine Metaphysik der Alten Welt Aus den Werken von J[ohann] J[akob] Bachofen miteiner Einleitung von Alfred Baeumler hrsg v Manfred Schroeter CH Beck Muumlnchen1926 S XXIII-CCXCIV) verfaszligt hatte zeigte in seinem Nietzsche-Buch nur nochschwache Reste seines intellektuellen Vermoumlgens Seinen geistigen Tiefstand erreichte erin dem Aufsatz bdquoNietzsche und der Nationalsozialismusldquo (1934 In Alfred BaeumlerStudien zur deutschen Geistesgeschichte Junker und Duumlnnhaupt Berlin 1937 S281-294) und in der Aufsatzsammlung Maumlnnerbund und Wissenschaft (Junker undDuumlnnhaupt Berlin 1937) Wie zur Strafe hat er seither auszliger einigen-

Nachkriegs-Ausreden nichts (nicht einmal negativ) Nennenswertes mehr zustande-

bringen koumlnnen

worden und in den Argot des Faschismus eingegangen Alles was er in letzterUumlberreiztheit gegen Moral Humanitaumlt Mitleid Christentum und fuumlr die schoumlneRuchlosigkeit den Krieg das Boumlse gesagt hat war leider geeignet in derSchund-Ideologie des Faschismus seinen Platz zu finden [ ]17)

Und er fuumlgte hinzu bdquoWer Nietzsche eigentlichlsquo nimmt woumlrtlich nimmtwer ihm glaubt ist verlorenldquo18)

Um Nietzsche vor solcher faschistischen Vereinnahmung zu retten folgtenPhilosophen wie Karl Jaspers19) Karl Loumlwith20) oder Walter Kaufmann21)

derselben hermeneutischen Maxime wie dann Leacutevi-Strauss gegenuumlberGobineau solche Passagen eher auszliger Acht zu lassen in denen rassistischeoder andere zeittypische Vorurteile die Oberhand uumlber die Reflexiongewinnen miszligverstaumlndliche Begriffe zu praumlzisieren und uumlber seineschriftstellerischen Qualitaumlten hinaus entschieden die Originalitaumlt seinesDenkens herauszuarbeiten Freilich eines ist die Rettunglsquo eines vergessenenoder verfemten ein anderes die kritische Analyse eines kanonisiertenDenkers der keine solche selektive Wahrnehmung genuumlgen kann Denn inden letzten zwei drei Jahrzehnten hat im Westen zweifellos eineKanonisierung Nietzsches als Kritikers der Moderne stattgefunden

Der skeptische Wissenschaftler der die Pervertierung des Willens zur Macht den

17) Thomas Mann Gesammelte Werke in dreizehn Baumlnden Bd 9 Reden und Aufsaumltze 1Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt M 1990 S 675-712 hier S 702

18) Ebd S 70819) Karl Jaspers Nietzsche Einfuumlhrung in das Verstaumlndnis seines Philosophierens de

Gruyter Berlin Leipzig 1936 (sup21947)20) Karl Loumlwith Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkunft des Gleichen Die Runde

Berlin 1935 (sup21956) ders Von Hegel zu Nietzsche Der revolutionaumlre Bruch im Denkendes neunzehnten Jahrhunderts Europa Verlag Zuumlrich New York 1941 (51964)

21) Walter Kaufmann Nietzsche Philosopher Psychologist Antichrist Princeton UniversityPress Princeton N J 1950 (sup31968)

Aufstand der reaktiven Kraumlfte und die Entstehung der subjektzentrierten Vernunftmit anthropologischen psychologischen und historischen Methoden enthuumlllenmoumlchte findet Nachfolger in Bataille Lacan und Foucault der eingeweihteKritiker der Metaphysik der ein Sonderwissen in Anspruch nimmt und dieEntstehung der Subjektphilosophie bis in die vorsokratischen Anfaumlnge hineinverfolgt in Heidegger und Derrida22)

Und wie diese Kanonisierung vor allem von franzoumlsischen Intellektuellenausgegangen ist23) so sind hier zugleich die Affinitaumlten zwischen Nietzscheund dem Faschismus deutlich benannt worden So fordert etwa Derrida

La plus grande indeacutecence est [ ] de rigueur en ce lieu On se demandera [ ]pourquoi la seule institution drsquoenseignement le seul commencement drsquoinstitutionenseignante qui ait jamais pu se reacuteclamer de lrsquoenseignement de Nietzsche surlrsquoenseignement aura eacuteteacute nazie [ ]A la formation deacutemocratique et nivelante agrave la preacutetendue liberteacute acadeacutemique danslrsquouniversiteacute agrave lrsquoextension maximale de la culture doivent succeacuteder la contraintele dressage (Zucht) la seacutelection sous la direction drsquoun guide drsquoun Fuumlhrer et

mecircme drsquoun grossen Fuumlhrers [ ]Lrsquoavenir du texte-Nietzsche nrsquoest pas clos Mais si dans les contours encore ouvertsdrsquoune eacutepoque la seule politique se disant soi disant nietzscheacuteenne aura eacuteteacute naziecela est neacutecessairement signifiant et doit ecirctre interrogeacute dans toutes ses porteacutees24)

22) Juumlrgen Habermas Der philosophische Diskurs der Moderne Zwoumllf VorlesungenSuhrkamp Frankfurt M 1985 S 120 1968 hatte Habermas noch erleichtert-

konstatiert bdquoNietzsche hat nichts Ansteckendes mehrldquo (Juumlrgen Habermas bdquoNachwortldquozu Friedrich Nietzsche Erkenntnistheoretische Schriften Suhrkamp Frankfurt M 1968S 237-261 hier S 237)

23) Vgl vor allem die Sammelbaumlnde Nietzsche aujourdrsquohui 2 Bde Union geacuteneacuteraledrsquoeacuteditions Paris 1973 sowie daran anknuumlpfend The New Nietzsche Contemporary Stylesof Interpretation Hrsg v David B Allison Dell Publishing Co New York 1977 undNietzsche aus Frankreich Essays von Maurice Blanchot Jacques Derrida PierreKlossowski Philippe Lacoue-Labarthe Jean-Luc Nancy u Bernard Pautrat Hrsg vWerner Hamacher Ullstein Frankfurt M Berlin 1986

24) Jacques Derrida Otobiographies Lrsquoenseignement de Nietzsche et la politique du nom

Eine solche Befragung aus dem Geist der sprachanalytischen Ethikunternimmt Tugendhats Vergleich von Nietzsches und Hitlers Frontstellunggegen den Egalitarismus der seit der Franzoumlsischen Revolution seit dieBegruumlndung moralischer und politischer Normen nicht mehr durch Autoritaumltsondern wechselseitig zu erfolgen habe das dominante Verstaumlndnis vonMoral und Legitimitaumlt ausmache Beide verwerfen kompromiszliglos die Idee derGleichheit zugunsten der Macht Hitler im Namen des schrankenlosenNationalismus und der (im wesentlichen auf Gobineau zuruumlckgehenden)Rassentheorie (Tugendhat nennt dies horizontalen Inegalitarismuslsquo) Nietzschedagegen im Sinne einer bdquoblutsmaumlszligig bestimmten Ungleichheit zwischen denhoumlherenlsquo und den gewoumlhnlichenlsquo Menschenldquo25) (vertikaler Inegalitarismuslsquo)Wenn bei Nietzsche anfangs bdquodas Niedrige in einer konventionellenLebensweise besteht das Houmlhere das Eigenstaumlndige und das

propre Paris 1984 S 81-84 90 u 98 (bdquoAn dieser Stelle ist [ ] die groumlszligte Indezenzhellip

geboten Man wird sich sogar fragen [ ] warum die einzige Unterrichtsinstitution derhellip

einzige Beginn einer Unterrichtsinstitution der sich je auf Lehre oder UnterrichtNietzsches uumlber den Unterricht berufen konnte nazistisch war [ ] Auf diehellip

nivellierende und demokratische Bildung die vorgebliche akademische Freiheit in derUniversitaumlt und die maximale Bildungs-Ausbreitung sollen folgen der Zwang dieZucht die Auswahl unter Leitung eines Lenkers eines Fuumlhrers ja eines groszligenFuumlhrerslsquo [ ] Die Zukunft des Textes Nietzsche ist nicht abgeschlossen Aber wenn inhellip

den noch offenen Umrissen einer Epoche die einzige nietzscheanisch genannte(sogenannte) Politik eine Nazi-Politik gewesen ist ist das notwendig signifikant undmuszlig in seiner ganzen Tragweite befragt werdenldquo [Jacques Derrida bdquoNietzschesAutobiographie oder Politik des Eigennamens Die Lehre Nietzschesldquo Uumlbs v FriedrichA Kittler In Fugen Deutsch-franzoumlsisches Jahrbuch fuumlr Text-Analytik Walter-VerlagOlten Freiburg iB 1980 S 64-98 hier S 85 88 u 91])

25) Tugendhat bdquoMacht und Antiegalitarismus bei Nietzsche und Hitlerldquo S 228 im-

folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe

Uumlber-sich-hinaus-Gehen auf ein Werk bedeutetldquo (S 237) so verschaumlrfe sichdies spaumlter zu einem Gegensatz von Starkenlsquo und Schwachenlsquo vonHerrenmorallsquo und Herdenmorallsquo ja Sklavenmorallsquo Die dieserRadikalisierung zugrundeliegende bdquoThese daszlig alles Leben Wille zur Machtist und nichts ausserdemlsquo [Jenseits von Gut und Boumlse sect 36]ldquo sei bdquotrotz derUnbestimmtheit dieses Ausdrucks aber auch gerade wegen dieserUnbestimmtheit ein genialer Gedankeldquo (S 237f) weil Nietzsche dadurcheinige fuumlr ihn wesentliche Gesichtspunkte integrieren konnte das Moment der(vor allem kuumlnstlerischen) Kreativitaumlt im Uumlbersichhinausgehen des Willenszur Macht das Axiom von der Unterschiedenheit houmlherer und niedrigerMenschen den Egoismusverdacht gegen alles vermeintlich unegoistischeVerhalten die Untergrabung aller vorgegebenen Werte durch den TodGotteslsquo schlieszliglich die Ausdehnung des Willens zur Macht auf alles Lebenuumlberhaupt (S 238f) Durch diese Ausweitung konvergiere Nietzscheungeachtet seiner dominant anthropologischen Norm-Begruumlndung mit Hitlersnaturalistischer Uumlberzeugung daszlig das Recht des Staumlrkeren ein allgemeinesGesetz der Natur sei (S 240f)

Sowohl bei Nietzsche wie bei Hitler ergibt sich der Inegalitarismus also nicht nuraus einer Leugnung der Relevanz von Moral gegenuumlber Macht sondern er wirdvon beiden auszligerdem noch in dieser merkwuumlrdigen Weise uumlberspitzt daszlig es einebesonders relevante Inegalitaumlt von Natur aus geben soll die zwischen Uumlber- undUntermenschen eine Grunddifferenz die sie bdquosehenldquo und die andere nichterkennen koumlnnen daher nennen wir sie eben wahnhaft (S 259)

Wobei bdquofuumlr Hitler die Subjekte des Machtkampfes die Voumllker sind fuumlr dieNietzsche die Individuenldquo (S 260) Aus dieser Vergleichung zieht Tugendhatden aktuellen Schluszlig

Was Nietzsche als bdquoNationalitaumlts-Wahnsinnldquo verachtete ist in Wahrheit fuumlr einen

Inegalitarismus der Entrechtung in einer egalitaumlren Welt die einzige Chance [ ]Vielleicht ist der Hitlerismus [ ] heute eine Sache der Vergangenheit aber derhorizontale Antiegalitarismus an sich den Hitler vertreten hat lebt mit der ihmeigenen Destruktionstendenz weiter Hingegen kann der vertikale Inegalitarismusin der Form in der ihn Nietzsche vertreten hat in nachfeudalenkapitalistischen Verhaumlltnissen wohl keine Breitenwirkung mehr finden Derheute fortlebende vertikale Inegalitarismus ist nicht mehr einer der Entrechtungsondern hat eine andere primaumlr oumlkonomische Gestalt (S 261)

Dies mag fuumlr fortgeschrittene Industrielaumlnder zutreffen Gilt dies aberebenso fuumlr Laumlnder der Dritten Welt

Dies zu den Konsequenzen aus Nietzsches Antiegalitarismus Was seinenUrsprung angeht so beruft sich Tugendhat auf die These seines Lehrers KarlUlmer bdquodaszlig man Nietzsches ganzes Denken [ ] aus der Frage verstehenkann wie groszliges Menschentum und houmlhere Kulturlsquo moumlglich seienldquo26) undfuumlgt hinzu

Hinter dieser Frage stand nun fuumlr Nietzsche die Uumlberzeugung daszlig es einerseitsgroszlige (bdquohoumlhereldquo) und andererseits bdquogewoumlhnlicheldquo bdquoniedrigeldquo Menschen gibt [ ]Es scheint ein bei Nietzsche bis in die Adoleszenz zuruumlckreichendes Axiomgewesen zu sein daszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassenfallen Wie man fruumlher als Adliger oder Plebejer geboren wurde so dachte sichNietzsche die Differenz zwischen besonderen und gewoumlhnlichen Menschen als

26) Vgl Karl Ulmer Nietzsche Einheit und Sinn seines Werkes Francke Bern Muumlnchen1962 ( Delp Taschenbuumlcher Bd 363) bes S 12=

von Geburt vorgegeben (S 236)

Diese fuumlr Tugendhat ungewoumlhnlich vage Behauptung (scheint [] ein bisin die Adoleszenz [] zuruumlckreichendes Axiom [] gewesen zu seinlsquo) laumlszligt sichschwerlich aus Nietzsches Schriften und Briefen seiner Schuumller- undStudentenzeit belegen Was sich hier allenfalls findet sind zeittypischeBekundungen des Genieglaubens wie der Beginn des Aufsatzes Napoleonals Praesident (1862) bdquoDaszlig das Genie von andern und houmlhern Gesetzenabhaumlngig ist als der gewoumlhnliche Mensch von Gesetzen die oft denallgemeinen Grundsaumltzen von Moral u Recht zu widersprechen scheinenldquound daszlig bdquodas Genie den Gipfelpunkt natuumlrlicher und geistiger Harmoniebildetldquo27) Oder die Feier des bdquogroszligen Geistesldquo am Beginn seinesWallenstein-Aufsatzes (1863) bdquoEs ist eine Folge der geistigen Ueberlegenheitgroszliger Menschen daszlig sie ihre Umgebungen mit sich fortreiszligen so daszlig sichdie Groszligartigkeit ihrer Anschauungen und Handlungen in dem Geiste derihnen nahe Stehenden gleichsam wiederspiegeltldquo28) Oder Gegensatzpaare wieErsterlsquo vs Mitmenschenlsquo29) bdquoder Einzelneldquo vs bdquoMasseldquo bdquoMengeldquo bdquoUnzahlmittelmaumlszligiger Koumlpfeldquo30) bdquoordentlicher und ideenreicher Philologldquo vs

27) Friedrich Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe Begruumlndet v Giorgio Colli uMazzino Montinari weitergefuumlhrt v Wolfgang Muumlller-Lauter u Karl Pestalozzi 1 AbtBd 1-5 de Gruyter Berlin New York 1995-2003 Bd 2 S 357-362 hier S 357

28) Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist den Soldaten in Wallensteins Lager an derErhaltung ihres Feldherrn im Oberbefehl sehr gelegenldquo In ebd Bd 3 S 77-80 hierS 77

29) bdquoDer Erste der ein Kraut pflanzte oder saumlete eroumlffnete seinen Mitmenschen einunermeszligliches Feld der Thaumltigkeit und legte den Grund zu einem viel houmlheren Gradeder Erleuchtung und Milderungldquo (Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist der Ackerbau alsdie Grundlage aller gesetzlichen Ordnung und Gesittung zu betrachtenldquo [1863] In ebdS 91-95 hier S 92)

30) bdquoDen groszligen Gedanken produzirt nur der Einzelne Massenuumlberzeugungen haben-

immer etwas Halbes und Verschwommenes Dagegen sind die Triebe der Masse-

maumlchtiger als die des Einzelnen [ ] Es ist ein schrecklicher Gedanke eine- hellip -

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

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위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

Hitler-Zeit gelesen haben denn in der DDR war er ja verboten Ihr aktuellerStichwortgeber war aber der marxistische Philosoph Georg Lukaacutecs (er durftefreilich seit der Niederschlagung der Ungarischen Revolution 1956 nicht mehrzitiert werden) der Nietzsche als bdquofuumlhrende[n] Philosoph[en] der Reaktion fuumlrdie ganze imperialistische Periodeldquo9) als bdquoerste[n] philosophische[n] Heroldder imperialistischen Barbareildquo ja als bdquoeine[n] der wichtigsten Ahnen desFaschismusldquo10) diffamiert hatte am ausgiebigsten im Nietzsche-Kapitel derZerstoumlrung der Vernunft11) wozu Adorno schneidend bemerkte bdquoAmkrassesten wohl manifestierte sich in dem Buch Die Zerstoumlrung derVernunftlsquo die von Lukaacutecsrsquo eigenerldquo12)

Kurz vor dem Zusammenbruch des Ostblocks versuchte dann derLukaacutecs-Schuumller Wolfgang Harich (der nach dem Ungarn-Aufstand mehr als einJahrzehnt in der DDR im Zuchthaus gesessen hatte) ein letztes Mal das dortigePublikationsverbot Nietzsches zu retten13) indem er Lukaacutecsrsquo Faschismusvorwurferneuerte und nochmals das ganze Suumlndenregister zusammenstellte HerrenmoralVorlaumluferschaft des Futurismus als bdquoauthentischste[r] faschistische[r] Kunstrichtungldquo

9) Georg Lukaacutecs bdquoDer deutsche Faschismus und Nietzscheldquo (1943) In Lukaacutecs SchicksalswendeBeitraumlge zu einer neuen deutschen Ideologie Aufbau-Verlag Berlin 1956 S 7-28 hierS 7

10) Georg Lukaacutecs bdquoNietzsche als Vorlaumlufer der faschistischen Aumlsthetikldquo (1934) In LukaacutecsBeitraumlge zur Geschichte der Aumlsthetik Aufbau-Verlag Berlin 1956 S 286-317 hier S315 u 317

11) Georg Lukaacutecs Die Zerstoumlrung der Vernunft Der Weg des Irrationalismus von Schellingzu Hitler Aufbau-Verlag Berlin 1956 S 244-317 (Kap 3 bdquoNietzsche als Begruumlnderdes Irrationalismus der imperialistischen Periodeldquo)

12) Theodor W Adorno bdquoErpreszligte Versoumlhnung Zu Georg Lukaacutecs Wider denmiszligverstandenen Realismuslsquoldquo In Adorno Noten zur Literatur Hrsg v RolfTiedemann Suhrkamp Frankfurt M 1974 ( Gesammelte Schriften 11) S 251-280=

hier S 25213) Vgl Wolfgang Harich bdquoRevision des marxistischen Nietzschebildeslsquoldquo In Sinn und

Form 39 (1987) S 1018-1053 Zitate im folgenden mit einfacher Seitenangabe-

(S 1021) Anti-Feminismus Rassismus mit bdquophilosemitischen Anwandlungenldquo(S 1028) Kriegshetze Nuumltzlichkeit fuumlr den bdquoIdeologiebedarf des demokratischaufgeputzten Dollarimperialismusldquo (S 1032f) Mit der Konsequenz daszlig bdquoihn zuedieren [ ] uumlberhaupt zum Verbrechen geworden seildquo (S 1034) bdquoDen Mannnicht fuumlr zitierfaumlhig zu halten sollte zu den Grundregeln geistiger Hygienegehoumlrenldquo (S 1036)

So rabulistisch Harich oft Zitate manipuliert so gibt es doch genuumlgendNietzschesche Kernsaumltze vor allem aus Also sprach Zarathustra14) die fuumlruns peinlich zu lesen sind

Voll ist die Erde von Uumlberfluumlssigen verdorben ist das Leben durch die Viel-zu-VielenMoumlge man sie mit dem bdquoewigen Lebenldquo aus diesem Leben weglocken (S 55)Dass Jedermann lesen lernen darf verdirbt auf die Dauer nicht allein dasSchreiben sondern auch das Denken (S 48)bdquodie Menschen sind nicht gleichldquo Und sie sollen es auch nicht werden (S130)Bessere Raubthiere sollen sie also werden feinere kluumlgere menschen-aumlhnlichere der Mensch naumlmlich ist das beste Raubthier (S 263)bdquoWas ist gut Tapfer sein ist gut Der gute Krieg istrsquos der jede Sache heiligtldquo(S 307)Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen Und den kurzen Friedenmehr als den langen (S 55)Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung desKriegers alles Andre ist Thorheit (S 85)So will ich Mann und Weib kriegstuumlchtig den Einen gebaumlrtuumlchtig das Andre

14) Friedrich Nietzsche Kritische Studienausgabe in 15 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter Muumlnchen u Berlin New York 1980 Bd 4 im folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe andere-

Werke Nietzsches unter Band- und Seitenangabe Nachlaszligstuumlcke zusaumltzlich mit Heft-und Fragmentnumerierung

beide aber tanzsuumlchtig mit Kopf und Beinen (S 264)Gelobt sei was hart macht (S 194)Aber ich sage was faumlllt das soll man auch noch stossen (S 261)

Zitiert oder paraphrasiert finden sich solche Gemeinspruumlche gern beiMussolini wie bei der deutschen Rechten der Zwischenkriegszeit (etwa inErnst Juumlngers Sammelband Krieg und Krieger15)) ja sie bilden denGrundstock fuumlr Alfred Baeumlers heroisch-realistischelsquo GesamtdarstellungNietzsche der Philosoph und Politiker16) Thomas Mann betonte daher inseinem kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gehaltenen VortragNietzschersquos Philosophie im Lichte unserer Erfahrung (1947)

Nicht umsonst ist sein Wort vom bdquogefaumlhrlichen Lebenldquo ins Italienische uumlbersetzt

15) Krieg und Krieger Hrsg v Ernst Juumlnger Junker und Duumlnnhaupt Verlag Berlin 1930Vgl hierzu Walter Benjamins vernichtende Rezension bdquoTheorien des deutschenFaschismus Zu der Sammelschrift Krieg und Kriegerlsquo Herausgegeben von ErnstJuumlngerldquo In Benjamin Gesammelte Schriften Kritiken und RezensionenⅢ Hrsg vHella Tiedemann-Bartels Suhrkamp Frankfurt M 1972 S 238-250

16) Alfred Baeumler Nietzsche der Philosoph und Politiker 2 Aufl Reclam Leipzig 1931(sup31937) Baeumler der 1923 mit der bedeutenden Untersuchung- Das Irrationalismusproblemin der Aumlsthetik und Logik des 18 Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft (2 AuflWissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1967) hervorgetreten war und 1926 eineso genialische wie problematische Rieseneinleitung zu einer Bachofen-Auswahl(bdquoBachofen der Mythologe der Romantikldquo In Der Mythus von Orient und OccidentEine Metaphysik der Alten Welt Aus den Werken von J[ohann] J[akob] Bachofen miteiner Einleitung von Alfred Baeumler hrsg v Manfred Schroeter CH Beck Muumlnchen1926 S XXIII-CCXCIV) verfaszligt hatte zeigte in seinem Nietzsche-Buch nur nochschwache Reste seines intellektuellen Vermoumlgens Seinen geistigen Tiefstand erreichte erin dem Aufsatz bdquoNietzsche und der Nationalsozialismusldquo (1934 In Alfred BaeumlerStudien zur deutschen Geistesgeschichte Junker und Duumlnnhaupt Berlin 1937 S281-294) und in der Aufsatzsammlung Maumlnnerbund und Wissenschaft (Junker undDuumlnnhaupt Berlin 1937) Wie zur Strafe hat er seither auszliger einigen-

Nachkriegs-Ausreden nichts (nicht einmal negativ) Nennenswertes mehr zustande-

bringen koumlnnen

worden und in den Argot des Faschismus eingegangen Alles was er in letzterUumlberreiztheit gegen Moral Humanitaumlt Mitleid Christentum und fuumlr die schoumlneRuchlosigkeit den Krieg das Boumlse gesagt hat war leider geeignet in derSchund-Ideologie des Faschismus seinen Platz zu finden [ ]17)

Und er fuumlgte hinzu bdquoWer Nietzsche eigentlichlsquo nimmt woumlrtlich nimmtwer ihm glaubt ist verlorenldquo18)

Um Nietzsche vor solcher faschistischen Vereinnahmung zu retten folgtenPhilosophen wie Karl Jaspers19) Karl Loumlwith20) oder Walter Kaufmann21)

derselben hermeneutischen Maxime wie dann Leacutevi-Strauss gegenuumlberGobineau solche Passagen eher auszliger Acht zu lassen in denen rassistischeoder andere zeittypische Vorurteile die Oberhand uumlber die Reflexiongewinnen miszligverstaumlndliche Begriffe zu praumlzisieren und uumlber seineschriftstellerischen Qualitaumlten hinaus entschieden die Originalitaumlt seinesDenkens herauszuarbeiten Freilich eines ist die Rettunglsquo eines vergessenenoder verfemten ein anderes die kritische Analyse eines kanonisiertenDenkers der keine solche selektive Wahrnehmung genuumlgen kann Denn inden letzten zwei drei Jahrzehnten hat im Westen zweifellos eineKanonisierung Nietzsches als Kritikers der Moderne stattgefunden

Der skeptische Wissenschaftler der die Pervertierung des Willens zur Macht den

17) Thomas Mann Gesammelte Werke in dreizehn Baumlnden Bd 9 Reden und Aufsaumltze 1Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt M 1990 S 675-712 hier S 702

18) Ebd S 70819) Karl Jaspers Nietzsche Einfuumlhrung in das Verstaumlndnis seines Philosophierens de

Gruyter Berlin Leipzig 1936 (sup21947)20) Karl Loumlwith Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkunft des Gleichen Die Runde

Berlin 1935 (sup21956) ders Von Hegel zu Nietzsche Der revolutionaumlre Bruch im Denkendes neunzehnten Jahrhunderts Europa Verlag Zuumlrich New York 1941 (51964)

21) Walter Kaufmann Nietzsche Philosopher Psychologist Antichrist Princeton UniversityPress Princeton N J 1950 (sup31968)

Aufstand der reaktiven Kraumlfte und die Entstehung der subjektzentrierten Vernunftmit anthropologischen psychologischen und historischen Methoden enthuumlllenmoumlchte findet Nachfolger in Bataille Lacan und Foucault der eingeweihteKritiker der Metaphysik der ein Sonderwissen in Anspruch nimmt und dieEntstehung der Subjektphilosophie bis in die vorsokratischen Anfaumlnge hineinverfolgt in Heidegger und Derrida22)

Und wie diese Kanonisierung vor allem von franzoumlsischen Intellektuellenausgegangen ist23) so sind hier zugleich die Affinitaumlten zwischen Nietzscheund dem Faschismus deutlich benannt worden So fordert etwa Derrida

La plus grande indeacutecence est [ ] de rigueur en ce lieu On se demandera [ ]pourquoi la seule institution drsquoenseignement le seul commencement drsquoinstitutionenseignante qui ait jamais pu se reacuteclamer de lrsquoenseignement de Nietzsche surlrsquoenseignement aura eacuteteacute nazie [ ]A la formation deacutemocratique et nivelante agrave la preacutetendue liberteacute acadeacutemique danslrsquouniversiteacute agrave lrsquoextension maximale de la culture doivent succeacuteder la contraintele dressage (Zucht) la seacutelection sous la direction drsquoun guide drsquoun Fuumlhrer et

mecircme drsquoun grossen Fuumlhrers [ ]Lrsquoavenir du texte-Nietzsche nrsquoest pas clos Mais si dans les contours encore ouvertsdrsquoune eacutepoque la seule politique se disant soi disant nietzscheacuteenne aura eacuteteacute naziecela est neacutecessairement signifiant et doit ecirctre interrogeacute dans toutes ses porteacutees24)

22) Juumlrgen Habermas Der philosophische Diskurs der Moderne Zwoumllf VorlesungenSuhrkamp Frankfurt M 1985 S 120 1968 hatte Habermas noch erleichtert-

konstatiert bdquoNietzsche hat nichts Ansteckendes mehrldquo (Juumlrgen Habermas bdquoNachwortldquozu Friedrich Nietzsche Erkenntnistheoretische Schriften Suhrkamp Frankfurt M 1968S 237-261 hier S 237)

23) Vgl vor allem die Sammelbaumlnde Nietzsche aujourdrsquohui 2 Bde Union geacuteneacuteraledrsquoeacuteditions Paris 1973 sowie daran anknuumlpfend The New Nietzsche Contemporary Stylesof Interpretation Hrsg v David B Allison Dell Publishing Co New York 1977 undNietzsche aus Frankreich Essays von Maurice Blanchot Jacques Derrida PierreKlossowski Philippe Lacoue-Labarthe Jean-Luc Nancy u Bernard Pautrat Hrsg vWerner Hamacher Ullstein Frankfurt M Berlin 1986

24) Jacques Derrida Otobiographies Lrsquoenseignement de Nietzsche et la politique du nom

Eine solche Befragung aus dem Geist der sprachanalytischen Ethikunternimmt Tugendhats Vergleich von Nietzsches und Hitlers Frontstellunggegen den Egalitarismus der seit der Franzoumlsischen Revolution seit dieBegruumlndung moralischer und politischer Normen nicht mehr durch Autoritaumltsondern wechselseitig zu erfolgen habe das dominante Verstaumlndnis vonMoral und Legitimitaumlt ausmache Beide verwerfen kompromiszliglos die Idee derGleichheit zugunsten der Macht Hitler im Namen des schrankenlosenNationalismus und der (im wesentlichen auf Gobineau zuruumlckgehenden)Rassentheorie (Tugendhat nennt dies horizontalen Inegalitarismuslsquo) Nietzschedagegen im Sinne einer bdquoblutsmaumlszligig bestimmten Ungleichheit zwischen denhoumlherenlsquo und den gewoumlhnlichenlsquo Menschenldquo25) (vertikaler Inegalitarismuslsquo)Wenn bei Nietzsche anfangs bdquodas Niedrige in einer konventionellenLebensweise besteht das Houmlhere das Eigenstaumlndige und das

propre Paris 1984 S 81-84 90 u 98 (bdquoAn dieser Stelle ist [ ] die groumlszligte Indezenzhellip

geboten Man wird sich sogar fragen [ ] warum die einzige Unterrichtsinstitution derhellip

einzige Beginn einer Unterrichtsinstitution der sich je auf Lehre oder UnterrichtNietzsches uumlber den Unterricht berufen konnte nazistisch war [ ] Auf diehellip

nivellierende und demokratische Bildung die vorgebliche akademische Freiheit in derUniversitaumlt und die maximale Bildungs-Ausbreitung sollen folgen der Zwang dieZucht die Auswahl unter Leitung eines Lenkers eines Fuumlhrers ja eines groszligenFuumlhrerslsquo [ ] Die Zukunft des Textes Nietzsche ist nicht abgeschlossen Aber wenn inhellip

den noch offenen Umrissen einer Epoche die einzige nietzscheanisch genannte(sogenannte) Politik eine Nazi-Politik gewesen ist ist das notwendig signifikant undmuszlig in seiner ganzen Tragweite befragt werdenldquo [Jacques Derrida bdquoNietzschesAutobiographie oder Politik des Eigennamens Die Lehre Nietzschesldquo Uumlbs v FriedrichA Kittler In Fugen Deutsch-franzoumlsisches Jahrbuch fuumlr Text-Analytik Walter-VerlagOlten Freiburg iB 1980 S 64-98 hier S 85 88 u 91])

25) Tugendhat bdquoMacht und Antiegalitarismus bei Nietzsche und Hitlerldquo S 228 im-

folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe

Uumlber-sich-hinaus-Gehen auf ein Werk bedeutetldquo (S 237) so verschaumlrfe sichdies spaumlter zu einem Gegensatz von Starkenlsquo und Schwachenlsquo vonHerrenmorallsquo und Herdenmorallsquo ja Sklavenmorallsquo Die dieserRadikalisierung zugrundeliegende bdquoThese daszlig alles Leben Wille zur Machtist und nichts ausserdemlsquo [Jenseits von Gut und Boumlse sect 36]ldquo sei bdquotrotz derUnbestimmtheit dieses Ausdrucks aber auch gerade wegen dieserUnbestimmtheit ein genialer Gedankeldquo (S 237f) weil Nietzsche dadurcheinige fuumlr ihn wesentliche Gesichtspunkte integrieren konnte das Moment der(vor allem kuumlnstlerischen) Kreativitaumlt im Uumlbersichhinausgehen des Willenszur Macht das Axiom von der Unterschiedenheit houmlherer und niedrigerMenschen den Egoismusverdacht gegen alles vermeintlich unegoistischeVerhalten die Untergrabung aller vorgegebenen Werte durch den TodGotteslsquo schlieszliglich die Ausdehnung des Willens zur Macht auf alles Lebenuumlberhaupt (S 238f) Durch diese Ausweitung konvergiere Nietzscheungeachtet seiner dominant anthropologischen Norm-Begruumlndung mit Hitlersnaturalistischer Uumlberzeugung daszlig das Recht des Staumlrkeren ein allgemeinesGesetz der Natur sei (S 240f)

Sowohl bei Nietzsche wie bei Hitler ergibt sich der Inegalitarismus also nicht nuraus einer Leugnung der Relevanz von Moral gegenuumlber Macht sondern er wirdvon beiden auszligerdem noch in dieser merkwuumlrdigen Weise uumlberspitzt daszlig es einebesonders relevante Inegalitaumlt von Natur aus geben soll die zwischen Uumlber- undUntermenschen eine Grunddifferenz die sie bdquosehenldquo und die andere nichterkennen koumlnnen daher nennen wir sie eben wahnhaft (S 259)

Wobei bdquofuumlr Hitler die Subjekte des Machtkampfes die Voumllker sind fuumlr dieNietzsche die Individuenldquo (S 260) Aus dieser Vergleichung zieht Tugendhatden aktuellen Schluszlig

Was Nietzsche als bdquoNationalitaumlts-Wahnsinnldquo verachtete ist in Wahrheit fuumlr einen

Inegalitarismus der Entrechtung in einer egalitaumlren Welt die einzige Chance [ ]Vielleicht ist der Hitlerismus [ ] heute eine Sache der Vergangenheit aber derhorizontale Antiegalitarismus an sich den Hitler vertreten hat lebt mit der ihmeigenen Destruktionstendenz weiter Hingegen kann der vertikale Inegalitarismusin der Form in der ihn Nietzsche vertreten hat in nachfeudalenkapitalistischen Verhaumlltnissen wohl keine Breitenwirkung mehr finden Derheute fortlebende vertikale Inegalitarismus ist nicht mehr einer der Entrechtungsondern hat eine andere primaumlr oumlkonomische Gestalt (S 261)

Dies mag fuumlr fortgeschrittene Industrielaumlnder zutreffen Gilt dies aberebenso fuumlr Laumlnder der Dritten Welt

Dies zu den Konsequenzen aus Nietzsches Antiegalitarismus Was seinenUrsprung angeht so beruft sich Tugendhat auf die These seines Lehrers KarlUlmer bdquodaszlig man Nietzsches ganzes Denken [ ] aus der Frage verstehenkann wie groszliges Menschentum und houmlhere Kulturlsquo moumlglich seienldquo26) undfuumlgt hinzu

Hinter dieser Frage stand nun fuumlr Nietzsche die Uumlberzeugung daszlig es einerseitsgroszlige (bdquohoumlhereldquo) und andererseits bdquogewoumlhnlicheldquo bdquoniedrigeldquo Menschen gibt [ ]Es scheint ein bei Nietzsche bis in die Adoleszenz zuruumlckreichendes Axiomgewesen zu sein daszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassenfallen Wie man fruumlher als Adliger oder Plebejer geboren wurde so dachte sichNietzsche die Differenz zwischen besonderen und gewoumlhnlichen Menschen als

26) Vgl Karl Ulmer Nietzsche Einheit und Sinn seines Werkes Francke Bern Muumlnchen1962 ( Delp Taschenbuumlcher Bd 363) bes S 12=

von Geburt vorgegeben (S 236)

Diese fuumlr Tugendhat ungewoumlhnlich vage Behauptung (scheint [] ein bisin die Adoleszenz [] zuruumlckreichendes Axiom [] gewesen zu seinlsquo) laumlszligt sichschwerlich aus Nietzsches Schriften und Briefen seiner Schuumller- undStudentenzeit belegen Was sich hier allenfalls findet sind zeittypischeBekundungen des Genieglaubens wie der Beginn des Aufsatzes Napoleonals Praesident (1862) bdquoDaszlig das Genie von andern und houmlhern Gesetzenabhaumlngig ist als der gewoumlhnliche Mensch von Gesetzen die oft denallgemeinen Grundsaumltzen von Moral u Recht zu widersprechen scheinenldquound daszlig bdquodas Genie den Gipfelpunkt natuumlrlicher und geistiger Harmoniebildetldquo27) Oder die Feier des bdquogroszligen Geistesldquo am Beginn seinesWallenstein-Aufsatzes (1863) bdquoEs ist eine Folge der geistigen Ueberlegenheitgroszliger Menschen daszlig sie ihre Umgebungen mit sich fortreiszligen so daszlig sichdie Groszligartigkeit ihrer Anschauungen und Handlungen in dem Geiste derihnen nahe Stehenden gleichsam wiederspiegeltldquo28) Oder Gegensatzpaare wieErsterlsquo vs Mitmenschenlsquo29) bdquoder Einzelneldquo vs bdquoMasseldquo bdquoMengeldquo bdquoUnzahlmittelmaumlszligiger Koumlpfeldquo30) bdquoordentlicher und ideenreicher Philologldquo vs

27) Friedrich Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe Begruumlndet v Giorgio Colli uMazzino Montinari weitergefuumlhrt v Wolfgang Muumlller-Lauter u Karl Pestalozzi 1 AbtBd 1-5 de Gruyter Berlin New York 1995-2003 Bd 2 S 357-362 hier S 357

28) Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist den Soldaten in Wallensteins Lager an derErhaltung ihres Feldherrn im Oberbefehl sehr gelegenldquo In ebd Bd 3 S 77-80 hierS 77

29) bdquoDer Erste der ein Kraut pflanzte oder saumlete eroumlffnete seinen Mitmenschen einunermeszligliches Feld der Thaumltigkeit und legte den Grund zu einem viel houmlheren Gradeder Erleuchtung und Milderungldquo (Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist der Ackerbau alsdie Grundlage aller gesetzlichen Ordnung und Gesittung zu betrachtenldquo [1863] In ebdS 91-95 hier S 92)

30) bdquoDen groszligen Gedanken produzirt nur der Einzelne Massenuumlberzeugungen haben-

immer etwas Halbes und Verschwommenes Dagegen sind die Triebe der Masse-

maumlchtiger als die des Einzelnen [ ] Es ist ein schrecklicher Gedanke eine- hellip -

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

국문초록lt gt

위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

lsquo rsquo lsquo rsquolsquo rsquo lsquo rsquo

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

(S 1021) Anti-Feminismus Rassismus mit bdquophilosemitischen Anwandlungenldquo(S 1028) Kriegshetze Nuumltzlichkeit fuumlr den bdquoIdeologiebedarf des demokratischaufgeputzten Dollarimperialismusldquo (S 1032f) Mit der Konsequenz daszlig bdquoihn zuedieren [ ] uumlberhaupt zum Verbrechen geworden seildquo (S 1034) bdquoDen Mannnicht fuumlr zitierfaumlhig zu halten sollte zu den Grundregeln geistiger Hygienegehoumlrenldquo (S 1036)

So rabulistisch Harich oft Zitate manipuliert so gibt es doch genuumlgendNietzschesche Kernsaumltze vor allem aus Also sprach Zarathustra14) die fuumlruns peinlich zu lesen sind

Voll ist die Erde von Uumlberfluumlssigen verdorben ist das Leben durch die Viel-zu-VielenMoumlge man sie mit dem bdquoewigen Lebenldquo aus diesem Leben weglocken (S 55)Dass Jedermann lesen lernen darf verdirbt auf die Dauer nicht allein dasSchreiben sondern auch das Denken (S 48)bdquodie Menschen sind nicht gleichldquo Und sie sollen es auch nicht werden (S130)Bessere Raubthiere sollen sie also werden feinere kluumlgere menschen-aumlhnlichere der Mensch naumlmlich ist das beste Raubthier (S 263)bdquoWas ist gut Tapfer sein ist gut Der gute Krieg istrsquos der jede Sache heiligtldquo(S 307)Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen Und den kurzen Friedenmehr als den langen (S 55)Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung desKriegers alles Andre ist Thorheit (S 85)So will ich Mann und Weib kriegstuumlchtig den Einen gebaumlrtuumlchtig das Andre

14) Friedrich Nietzsche Kritische Studienausgabe in 15 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter Muumlnchen u Berlin New York 1980 Bd 4 im folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe andere-

Werke Nietzsches unter Band- und Seitenangabe Nachlaszligstuumlcke zusaumltzlich mit Heft-und Fragmentnumerierung

beide aber tanzsuumlchtig mit Kopf und Beinen (S 264)Gelobt sei was hart macht (S 194)Aber ich sage was faumlllt das soll man auch noch stossen (S 261)

Zitiert oder paraphrasiert finden sich solche Gemeinspruumlche gern beiMussolini wie bei der deutschen Rechten der Zwischenkriegszeit (etwa inErnst Juumlngers Sammelband Krieg und Krieger15)) ja sie bilden denGrundstock fuumlr Alfred Baeumlers heroisch-realistischelsquo GesamtdarstellungNietzsche der Philosoph und Politiker16) Thomas Mann betonte daher inseinem kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gehaltenen VortragNietzschersquos Philosophie im Lichte unserer Erfahrung (1947)

Nicht umsonst ist sein Wort vom bdquogefaumlhrlichen Lebenldquo ins Italienische uumlbersetzt

15) Krieg und Krieger Hrsg v Ernst Juumlnger Junker und Duumlnnhaupt Verlag Berlin 1930Vgl hierzu Walter Benjamins vernichtende Rezension bdquoTheorien des deutschenFaschismus Zu der Sammelschrift Krieg und Kriegerlsquo Herausgegeben von ErnstJuumlngerldquo In Benjamin Gesammelte Schriften Kritiken und RezensionenⅢ Hrsg vHella Tiedemann-Bartels Suhrkamp Frankfurt M 1972 S 238-250

16) Alfred Baeumler Nietzsche der Philosoph und Politiker 2 Aufl Reclam Leipzig 1931(sup31937) Baeumler der 1923 mit der bedeutenden Untersuchung- Das Irrationalismusproblemin der Aumlsthetik und Logik des 18 Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft (2 AuflWissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1967) hervorgetreten war und 1926 eineso genialische wie problematische Rieseneinleitung zu einer Bachofen-Auswahl(bdquoBachofen der Mythologe der Romantikldquo In Der Mythus von Orient und OccidentEine Metaphysik der Alten Welt Aus den Werken von J[ohann] J[akob] Bachofen miteiner Einleitung von Alfred Baeumler hrsg v Manfred Schroeter CH Beck Muumlnchen1926 S XXIII-CCXCIV) verfaszligt hatte zeigte in seinem Nietzsche-Buch nur nochschwache Reste seines intellektuellen Vermoumlgens Seinen geistigen Tiefstand erreichte erin dem Aufsatz bdquoNietzsche und der Nationalsozialismusldquo (1934 In Alfred BaeumlerStudien zur deutschen Geistesgeschichte Junker und Duumlnnhaupt Berlin 1937 S281-294) und in der Aufsatzsammlung Maumlnnerbund und Wissenschaft (Junker undDuumlnnhaupt Berlin 1937) Wie zur Strafe hat er seither auszliger einigen-

Nachkriegs-Ausreden nichts (nicht einmal negativ) Nennenswertes mehr zustande-

bringen koumlnnen

worden und in den Argot des Faschismus eingegangen Alles was er in letzterUumlberreiztheit gegen Moral Humanitaumlt Mitleid Christentum und fuumlr die schoumlneRuchlosigkeit den Krieg das Boumlse gesagt hat war leider geeignet in derSchund-Ideologie des Faschismus seinen Platz zu finden [ ]17)

Und er fuumlgte hinzu bdquoWer Nietzsche eigentlichlsquo nimmt woumlrtlich nimmtwer ihm glaubt ist verlorenldquo18)

Um Nietzsche vor solcher faschistischen Vereinnahmung zu retten folgtenPhilosophen wie Karl Jaspers19) Karl Loumlwith20) oder Walter Kaufmann21)

derselben hermeneutischen Maxime wie dann Leacutevi-Strauss gegenuumlberGobineau solche Passagen eher auszliger Acht zu lassen in denen rassistischeoder andere zeittypische Vorurteile die Oberhand uumlber die Reflexiongewinnen miszligverstaumlndliche Begriffe zu praumlzisieren und uumlber seineschriftstellerischen Qualitaumlten hinaus entschieden die Originalitaumlt seinesDenkens herauszuarbeiten Freilich eines ist die Rettunglsquo eines vergessenenoder verfemten ein anderes die kritische Analyse eines kanonisiertenDenkers der keine solche selektive Wahrnehmung genuumlgen kann Denn inden letzten zwei drei Jahrzehnten hat im Westen zweifellos eineKanonisierung Nietzsches als Kritikers der Moderne stattgefunden

Der skeptische Wissenschaftler der die Pervertierung des Willens zur Macht den

17) Thomas Mann Gesammelte Werke in dreizehn Baumlnden Bd 9 Reden und Aufsaumltze 1Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt M 1990 S 675-712 hier S 702

18) Ebd S 70819) Karl Jaspers Nietzsche Einfuumlhrung in das Verstaumlndnis seines Philosophierens de

Gruyter Berlin Leipzig 1936 (sup21947)20) Karl Loumlwith Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkunft des Gleichen Die Runde

Berlin 1935 (sup21956) ders Von Hegel zu Nietzsche Der revolutionaumlre Bruch im Denkendes neunzehnten Jahrhunderts Europa Verlag Zuumlrich New York 1941 (51964)

21) Walter Kaufmann Nietzsche Philosopher Psychologist Antichrist Princeton UniversityPress Princeton N J 1950 (sup31968)

Aufstand der reaktiven Kraumlfte und die Entstehung der subjektzentrierten Vernunftmit anthropologischen psychologischen und historischen Methoden enthuumlllenmoumlchte findet Nachfolger in Bataille Lacan und Foucault der eingeweihteKritiker der Metaphysik der ein Sonderwissen in Anspruch nimmt und dieEntstehung der Subjektphilosophie bis in die vorsokratischen Anfaumlnge hineinverfolgt in Heidegger und Derrida22)

Und wie diese Kanonisierung vor allem von franzoumlsischen Intellektuellenausgegangen ist23) so sind hier zugleich die Affinitaumlten zwischen Nietzscheund dem Faschismus deutlich benannt worden So fordert etwa Derrida

La plus grande indeacutecence est [ ] de rigueur en ce lieu On se demandera [ ]pourquoi la seule institution drsquoenseignement le seul commencement drsquoinstitutionenseignante qui ait jamais pu se reacuteclamer de lrsquoenseignement de Nietzsche surlrsquoenseignement aura eacuteteacute nazie [ ]A la formation deacutemocratique et nivelante agrave la preacutetendue liberteacute acadeacutemique danslrsquouniversiteacute agrave lrsquoextension maximale de la culture doivent succeacuteder la contraintele dressage (Zucht) la seacutelection sous la direction drsquoun guide drsquoun Fuumlhrer et

mecircme drsquoun grossen Fuumlhrers [ ]Lrsquoavenir du texte-Nietzsche nrsquoest pas clos Mais si dans les contours encore ouvertsdrsquoune eacutepoque la seule politique se disant soi disant nietzscheacuteenne aura eacuteteacute naziecela est neacutecessairement signifiant et doit ecirctre interrogeacute dans toutes ses porteacutees24)

22) Juumlrgen Habermas Der philosophische Diskurs der Moderne Zwoumllf VorlesungenSuhrkamp Frankfurt M 1985 S 120 1968 hatte Habermas noch erleichtert-

konstatiert bdquoNietzsche hat nichts Ansteckendes mehrldquo (Juumlrgen Habermas bdquoNachwortldquozu Friedrich Nietzsche Erkenntnistheoretische Schriften Suhrkamp Frankfurt M 1968S 237-261 hier S 237)

23) Vgl vor allem die Sammelbaumlnde Nietzsche aujourdrsquohui 2 Bde Union geacuteneacuteraledrsquoeacuteditions Paris 1973 sowie daran anknuumlpfend The New Nietzsche Contemporary Stylesof Interpretation Hrsg v David B Allison Dell Publishing Co New York 1977 undNietzsche aus Frankreich Essays von Maurice Blanchot Jacques Derrida PierreKlossowski Philippe Lacoue-Labarthe Jean-Luc Nancy u Bernard Pautrat Hrsg vWerner Hamacher Ullstein Frankfurt M Berlin 1986

24) Jacques Derrida Otobiographies Lrsquoenseignement de Nietzsche et la politique du nom

Eine solche Befragung aus dem Geist der sprachanalytischen Ethikunternimmt Tugendhats Vergleich von Nietzsches und Hitlers Frontstellunggegen den Egalitarismus der seit der Franzoumlsischen Revolution seit dieBegruumlndung moralischer und politischer Normen nicht mehr durch Autoritaumltsondern wechselseitig zu erfolgen habe das dominante Verstaumlndnis vonMoral und Legitimitaumlt ausmache Beide verwerfen kompromiszliglos die Idee derGleichheit zugunsten der Macht Hitler im Namen des schrankenlosenNationalismus und der (im wesentlichen auf Gobineau zuruumlckgehenden)Rassentheorie (Tugendhat nennt dies horizontalen Inegalitarismuslsquo) Nietzschedagegen im Sinne einer bdquoblutsmaumlszligig bestimmten Ungleichheit zwischen denhoumlherenlsquo und den gewoumlhnlichenlsquo Menschenldquo25) (vertikaler Inegalitarismuslsquo)Wenn bei Nietzsche anfangs bdquodas Niedrige in einer konventionellenLebensweise besteht das Houmlhere das Eigenstaumlndige und das

propre Paris 1984 S 81-84 90 u 98 (bdquoAn dieser Stelle ist [ ] die groumlszligte Indezenzhellip

geboten Man wird sich sogar fragen [ ] warum die einzige Unterrichtsinstitution derhellip

einzige Beginn einer Unterrichtsinstitution der sich je auf Lehre oder UnterrichtNietzsches uumlber den Unterricht berufen konnte nazistisch war [ ] Auf diehellip

nivellierende und demokratische Bildung die vorgebliche akademische Freiheit in derUniversitaumlt und die maximale Bildungs-Ausbreitung sollen folgen der Zwang dieZucht die Auswahl unter Leitung eines Lenkers eines Fuumlhrers ja eines groszligenFuumlhrerslsquo [ ] Die Zukunft des Textes Nietzsche ist nicht abgeschlossen Aber wenn inhellip

den noch offenen Umrissen einer Epoche die einzige nietzscheanisch genannte(sogenannte) Politik eine Nazi-Politik gewesen ist ist das notwendig signifikant undmuszlig in seiner ganzen Tragweite befragt werdenldquo [Jacques Derrida bdquoNietzschesAutobiographie oder Politik des Eigennamens Die Lehre Nietzschesldquo Uumlbs v FriedrichA Kittler In Fugen Deutsch-franzoumlsisches Jahrbuch fuumlr Text-Analytik Walter-VerlagOlten Freiburg iB 1980 S 64-98 hier S 85 88 u 91])

25) Tugendhat bdquoMacht und Antiegalitarismus bei Nietzsche und Hitlerldquo S 228 im-

folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe

Uumlber-sich-hinaus-Gehen auf ein Werk bedeutetldquo (S 237) so verschaumlrfe sichdies spaumlter zu einem Gegensatz von Starkenlsquo und Schwachenlsquo vonHerrenmorallsquo und Herdenmorallsquo ja Sklavenmorallsquo Die dieserRadikalisierung zugrundeliegende bdquoThese daszlig alles Leben Wille zur Machtist und nichts ausserdemlsquo [Jenseits von Gut und Boumlse sect 36]ldquo sei bdquotrotz derUnbestimmtheit dieses Ausdrucks aber auch gerade wegen dieserUnbestimmtheit ein genialer Gedankeldquo (S 237f) weil Nietzsche dadurcheinige fuumlr ihn wesentliche Gesichtspunkte integrieren konnte das Moment der(vor allem kuumlnstlerischen) Kreativitaumlt im Uumlbersichhinausgehen des Willenszur Macht das Axiom von der Unterschiedenheit houmlherer und niedrigerMenschen den Egoismusverdacht gegen alles vermeintlich unegoistischeVerhalten die Untergrabung aller vorgegebenen Werte durch den TodGotteslsquo schlieszliglich die Ausdehnung des Willens zur Macht auf alles Lebenuumlberhaupt (S 238f) Durch diese Ausweitung konvergiere Nietzscheungeachtet seiner dominant anthropologischen Norm-Begruumlndung mit Hitlersnaturalistischer Uumlberzeugung daszlig das Recht des Staumlrkeren ein allgemeinesGesetz der Natur sei (S 240f)

Sowohl bei Nietzsche wie bei Hitler ergibt sich der Inegalitarismus also nicht nuraus einer Leugnung der Relevanz von Moral gegenuumlber Macht sondern er wirdvon beiden auszligerdem noch in dieser merkwuumlrdigen Weise uumlberspitzt daszlig es einebesonders relevante Inegalitaumlt von Natur aus geben soll die zwischen Uumlber- undUntermenschen eine Grunddifferenz die sie bdquosehenldquo und die andere nichterkennen koumlnnen daher nennen wir sie eben wahnhaft (S 259)

Wobei bdquofuumlr Hitler die Subjekte des Machtkampfes die Voumllker sind fuumlr dieNietzsche die Individuenldquo (S 260) Aus dieser Vergleichung zieht Tugendhatden aktuellen Schluszlig

Was Nietzsche als bdquoNationalitaumlts-Wahnsinnldquo verachtete ist in Wahrheit fuumlr einen

Inegalitarismus der Entrechtung in einer egalitaumlren Welt die einzige Chance [ ]Vielleicht ist der Hitlerismus [ ] heute eine Sache der Vergangenheit aber derhorizontale Antiegalitarismus an sich den Hitler vertreten hat lebt mit der ihmeigenen Destruktionstendenz weiter Hingegen kann der vertikale Inegalitarismusin der Form in der ihn Nietzsche vertreten hat in nachfeudalenkapitalistischen Verhaumlltnissen wohl keine Breitenwirkung mehr finden Derheute fortlebende vertikale Inegalitarismus ist nicht mehr einer der Entrechtungsondern hat eine andere primaumlr oumlkonomische Gestalt (S 261)

Dies mag fuumlr fortgeschrittene Industrielaumlnder zutreffen Gilt dies aberebenso fuumlr Laumlnder der Dritten Welt

Dies zu den Konsequenzen aus Nietzsches Antiegalitarismus Was seinenUrsprung angeht so beruft sich Tugendhat auf die These seines Lehrers KarlUlmer bdquodaszlig man Nietzsches ganzes Denken [ ] aus der Frage verstehenkann wie groszliges Menschentum und houmlhere Kulturlsquo moumlglich seienldquo26) undfuumlgt hinzu

Hinter dieser Frage stand nun fuumlr Nietzsche die Uumlberzeugung daszlig es einerseitsgroszlige (bdquohoumlhereldquo) und andererseits bdquogewoumlhnlicheldquo bdquoniedrigeldquo Menschen gibt [ ]Es scheint ein bei Nietzsche bis in die Adoleszenz zuruumlckreichendes Axiomgewesen zu sein daszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassenfallen Wie man fruumlher als Adliger oder Plebejer geboren wurde so dachte sichNietzsche die Differenz zwischen besonderen und gewoumlhnlichen Menschen als

26) Vgl Karl Ulmer Nietzsche Einheit und Sinn seines Werkes Francke Bern Muumlnchen1962 ( Delp Taschenbuumlcher Bd 363) bes S 12=

von Geburt vorgegeben (S 236)

Diese fuumlr Tugendhat ungewoumlhnlich vage Behauptung (scheint [] ein bisin die Adoleszenz [] zuruumlckreichendes Axiom [] gewesen zu seinlsquo) laumlszligt sichschwerlich aus Nietzsches Schriften und Briefen seiner Schuumller- undStudentenzeit belegen Was sich hier allenfalls findet sind zeittypischeBekundungen des Genieglaubens wie der Beginn des Aufsatzes Napoleonals Praesident (1862) bdquoDaszlig das Genie von andern und houmlhern Gesetzenabhaumlngig ist als der gewoumlhnliche Mensch von Gesetzen die oft denallgemeinen Grundsaumltzen von Moral u Recht zu widersprechen scheinenldquound daszlig bdquodas Genie den Gipfelpunkt natuumlrlicher und geistiger Harmoniebildetldquo27) Oder die Feier des bdquogroszligen Geistesldquo am Beginn seinesWallenstein-Aufsatzes (1863) bdquoEs ist eine Folge der geistigen Ueberlegenheitgroszliger Menschen daszlig sie ihre Umgebungen mit sich fortreiszligen so daszlig sichdie Groszligartigkeit ihrer Anschauungen und Handlungen in dem Geiste derihnen nahe Stehenden gleichsam wiederspiegeltldquo28) Oder Gegensatzpaare wieErsterlsquo vs Mitmenschenlsquo29) bdquoder Einzelneldquo vs bdquoMasseldquo bdquoMengeldquo bdquoUnzahlmittelmaumlszligiger Koumlpfeldquo30) bdquoordentlicher und ideenreicher Philologldquo vs

27) Friedrich Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe Begruumlndet v Giorgio Colli uMazzino Montinari weitergefuumlhrt v Wolfgang Muumlller-Lauter u Karl Pestalozzi 1 AbtBd 1-5 de Gruyter Berlin New York 1995-2003 Bd 2 S 357-362 hier S 357

28) Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist den Soldaten in Wallensteins Lager an derErhaltung ihres Feldherrn im Oberbefehl sehr gelegenldquo In ebd Bd 3 S 77-80 hierS 77

29) bdquoDer Erste der ein Kraut pflanzte oder saumlete eroumlffnete seinen Mitmenschen einunermeszligliches Feld der Thaumltigkeit und legte den Grund zu einem viel houmlheren Gradeder Erleuchtung und Milderungldquo (Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist der Ackerbau alsdie Grundlage aller gesetzlichen Ordnung und Gesittung zu betrachtenldquo [1863] In ebdS 91-95 hier S 92)

30) bdquoDen groszligen Gedanken produzirt nur der Einzelne Massenuumlberzeugungen haben-

immer etwas Halbes und Verschwommenes Dagegen sind die Triebe der Masse-

maumlchtiger als die des Einzelnen [ ] Es ist ein schrecklicher Gedanke eine- hellip -

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

국문초록lt gt

위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

lsquo rsquo lsquo rsquolsquo rsquo lsquo rsquo

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

beide aber tanzsuumlchtig mit Kopf und Beinen (S 264)Gelobt sei was hart macht (S 194)Aber ich sage was faumlllt das soll man auch noch stossen (S 261)

Zitiert oder paraphrasiert finden sich solche Gemeinspruumlche gern beiMussolini wie bei der deutschen Rechten der Zwischenkriegszeit (etwa inErnst Juumlngers Sammelband Krieg und Krieger15)) ja sie bilden denGrundstock fuumlr Alfred Baeumlers heroisch-realistischelsquo GesamtdarstellungNietzsche der Philosoph und Politiker16) Thomas Mann betonte daher inseinem kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gehaltenen VortragNietzschersquos Philosophie im Lichte unserer Erfahrung (1947)

Nicht umsonst ist sein Wort vom bdquogefaumlhrlichen Lebenldquo ins Italienische uumlbersetzt

15) Krieg und Krieger Hrsg v Ernst Juumlnger Junker und Duumlnnhaupt Verlag Berlin 1930Vgl hierzu Walter Benjamins vernichtende Rezension bdquoTheorien des deutschenFaschismus Zu der Sammelschrift Krieg und Kriegerlsquo Herausgegeben von ErnstJuumlngerldquo In Benjamin Gesammelte Schriften Kritiken und RezensionenⅢ Hrsg vHella Tiedemann-Bartels Suhrkamp Frankfurt M 1972 S 238-250

16) Alfred Baeumler Nietzsche der Philosoph und Politiker 2 Aufl Reclam Leipzig 1931(sup31937) Baeumler der 1923 mit der bedeutenden Untersuchung- Das Irrationalismusproblemin der Aumlsthetik und Logik des 18 Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft (2 AuflWissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1967) hervorgetreten war und 1926 eineso genialische wie problematische Rieseneinleitung zu einer Bachofen-Auswahl(bdquoBachofen der Mythologe der Romantikldquo In Der Mythus von Orient und OccidentEine Metaphysik der Alten Welt Aus den Werken von J[ohann] J[akob] Bachofen miteiner Einleitung von Alfred Baeumler hrsg v Manfred Schroeter CH Beck Muumlnchen1926 S XXIII-CCXCIV) verfaszligt hatte zeigte in seinem Nietzsche-Buch nur nochschwache Reste seines intellektuellen Vermoumlgens Seinen geistigen Tiefstand erreichte erin dem Aufsatz bdquoNietzsche und der Nationalsozialismusldquo (1934 In Alfred BaeumlerStudien zur deutschen Geistesgeschichte Junker und Duumlnnhaupt Berlin 1937 S281-294) und in der Aufsatzsammlung Maumlnnerbund und Wissenschaft (Junker undDuumlnnhaupt Berlin 1937) Wie zur Strafe hat er seither auszliger einigen-

Nachkriegs-Ausreden nichts (nicht einmal negativ) Nennenswertes mehr zustande-

bringen koumlnnen

worden und in den Argot des Faschismus eingegangen Alles was er in letzterUumlberreiztheit gegen Moral Humanitaumlt Mitleid Christentum und fuumlr die schoumlneRuchlosigkeit den Krieg das Boumlse gesagt hat war leider geeignet in derSchund-Ideologie des Faschismus seinen Platz zu finden [ ]17)

Und er fuumlgte hinzu bdquoWer Nietzsche eigentlichlsquo nimmt woumlrtlich nimmtwer ihm glaubt ist verlorenldquo18)

Um Nietzsche vor solcher faschistischen Vereinnahmung zu retten folgtenPhilosophen wie Karl Jaspers19) Karl Loumlwith20) oder Walter Kaufmann21)

derselben hermeneutischen Maxime wie dann Leacutevi-Strauss gegenuumlberGobineau solche Passagen eher auszliger Acht zu lassen in denen rassistischeoder andere zeittypische Vorurteile die Oberhand uumlber die Reflexiongewinnen miszligverstaumlndliche Begriffe zu praumlzisieren und uumlber seineschriftstellerischen Qualitaumlten hinaus entschieden die Originalitaumlt seinesDenkens herauszuarbeiten Freilich eines ist die Rettunglsquo eines vergessenenoder verfemten ein anderes die kritische Analyse eines kanonisiertenDenkers der keine solche selektive Wahrnehmung genuumlgen kann Denn inden letzten zwei drei Jahrzehnten hat im Westen zweifellos eineKanonisierung Nietzsches als Kritikers der Moderne stattgefunden

Der skeptische Wissenschaftler der die Pervertierung des Willens zur Macht den

17) Thomas Mann Gesammelte Werke in dreizehn Baumlnden Bd 9 Reden und Aufsaumltze 1Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt M 1990 S 675-712 hier S 702

18) Ebd S 70819) Karl Jaspers Nietzsche Einfuumlhrung in das Verstaumlndnis seines Philosophierens de

Gruyter Berlin Leipzig 1936 (sup21947)20) Karl Loumlwith Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkunft des Gleichen Die Runde

Berlin 1935 (sup21956) ders Von Hegel zu Nietzsche Der revolutionaumlre Bruch im Denkendes neunzehnten Jahrhunderts Europa Verlag Zuumlrich New York 1941 (51964)

21) Walter Kaufmann Nietzsche Philosopher Psychologist Antichrist Princeton UniversityPress Princeton N J 1950 (sup31968)

Aufstand der reaktiven Kraumlfte und die Entstehung der subjektzentrierten Vernunftmit anthropologischen psychologischen und historischen Methoden enthuumlllenmoumlchte findet Nachfolger in Bataille Lacan und Foucault der eingeweihteKritiker der Metaphysik der ein Sonderwissen in Anspruch nimmt und dieEntstehung der Subjektphilosophie bis in die vorsokratischen Anfaumlnge hineinverfolgt in Heidegger und Derrida22)

Und wie diese Kanonisierung vor allem von franzoumlsischen Intellektuellenausgegangen ist23) so sind hier zugleich die Affinitaumlten zwischen Nietzscheund dem Faschismus deutlich benannt worden So fordert etwa Derrida

La plus grande indeacutecence est [ ] de rigueur en ce lieu On se demandera [ ]pourquoi la seule institution drsquoenseignement le seul commencement drsquoinstitutionenseignante qui ait jamais pu se reacuteclamer de lrsquoenseignement de Nietzsche surlrsquoenseignement aura eacuteteacute nazie [ ]A la formation deacutemocratique et nivelante agrave la preacutetendue liberteacute acadeacutemique danslrsquouniversiteacute agrave lrsquoextension maximale de la culture doivent succeacuteder la contraintele dressage (Zucht) la seacutelection sous la direction drsquoun guide drsquoun Fuumlhrer et

mecircme drsquoun grossen Fuumlhrers [ ]Lrsquoavenir du texte-Nietzsche nrsquoest pas clos Mais si dans les contours encore ouvertsdrsquoune eacutepoque la seule politique se disant soi disant nietzscheacuteenne aura eacuteteacute naziecela est neacutecessairement signifiant et doit ecirctre interrogeacute dans toutes ses porteacutees24)

22) Juumlrgen Habermas Der philosophische Diskurs der Moderne Zwoumllf VorlesungenSuhrkamp Frankfurt M 1985 S 120 1968 hatte Habermas noch erleichtert-

konstatiert bdquoNietzsche hat nichts Ansteckendes mehrldquo (Juumlrgen Habermas bdquoNachwortldquozu Friedrich Nietzsche Erkenntnistheoretische Schriften Suhrkamp Frankfurt M 1968S 237-261 hier S 237)

23) Vgl vor allem die Sammelbaumlnde Nietzsche aujourdrsquohui 2 Bde Union geacuteneacuteraledrsquoeacuteditions Paris 1973 sowie daran anknuumlpfend The New Nietzsche Contemporary Stylesof Interpretation Hrsg v David B Allison Dell Publishing Co New York 1977 undNietzsche aus Frankreich Essays von Maurice Blanchot Jacques Derrida PierreKlossowski Philippe Lacoue-Labarthe Jean-Luc Nancy u Bernard Pautrat Hrsg vWerner Hamacher Ullstein Frankfurt M Berlin 1986

24) Jacques Derrida Otobiographies Lrsquoenseignement de Nietzsche et la politique du nom

Eine solche Befragung aus dem Geist der sprachanalytischen Ethikunternimmt Tugendhats Vergleich von Nietzsches und Hitlers Frontstellunggegen den Egalitarismus der seit der Franzoumlsischen Revolution seit dieBegruumlndung moralischer und politischer Normen nicht mehr durch Autoritaumltsondern wechselseitig zu erfolgen habe das dominante Verstaumlndnis vonMoral und Legitimitaumlt ausmache Beide verwerfen kompromiszliglos die Idee derGleichheit zugunsten der Macht Hitler im Namen des schrankenlosenNationalismus und der (im wesentlichen auf Gobineau zuruumlckgehenden)Rassentheorie (Tugendhat nennt dies horizontalen Inegalitarismuslsquo) Nietzschedagegen im Sinne einer bdquoblutsmaumlszligig bestimmten Ungleichheit zwischen denhoumlherenlsquo und den gewoumlhnlichenlsquo Menschenldquo25) (vertikaler Inegalitarismuslsquo)Wenn bei Nietzsche anfangs bdquodas Niedrige in einer konventionellenLebensweise besteht das Houmlhere das Eigenstaumlndige und das

propre Paris 1984 S 81-84 90 u 98 (bdquoAn dieser Stelle ist [ ] die groumlszligte Indezenzhellip

geboten Man wird sich sogar fragen [ ] warum die einzige Unterrichtsinstitution derhellip

einzige Beginn einer Unterrichtsinstitution der sich je auf Lehre oder UnterrichtNietzsches uumlber den Unterricht berufen konnte nazistisch war [ ] Auf diehellip

nivellierende und demokratische Bildung die vorgebliche akademische Freiheit in derUniversitaumlt und die maximale Bildungs-Ausbreitung sollen folgen der Zwang dieZucht die Auswahl unter Leitung eines Lenkers eines Fuumlhrers ja eines groszligenFuumlhrerslsquo [ ] Die Zukunft des Textes Nietzsche ist nicht abgeschlossen Aber wenn inhellip

den noch offenen Umrissen einer Epoche die einzige nietzscheanisch genannte(sogenannte) Politik eine Nazi-Politik gewesen ist ist das notwendig signifikant undmuszlig in seiner ganzen Tragweite befragt werdenldquo [Jacques Derrida bdquoNietzschesAutobiographie oder Politik des Eigennamens Die Lehre Nietzschesldquo Uumlbs v FriedrichA Kittler In Fugen Deutsch-franzoumlsisches Jahrbuch fuumlr Text-Analytik Walter-VerlagOlten Freiburg iB 1980 S 64-98 hier S 85 88 u 91])

25) Tugendhat bdquoMacht und Antiegalitarismus bei Nietzsche und Hitlerldquo S 228 im-

folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe

Uumlber-sich-hinaus-Gehen auf ein Werk bedeutetldquo (S 237) so verschaumlrfe sichdies spaumlter zu einem Gegensatz von Starkenlsquo und Schwachenlsquo vonHerrenmorallsquo und Herdenmorallsquo ja Sklavenmorallsquo Die dieserRadikalisierung zugrundeliegende bdquoThese daszlig alles Leben Wille zur Machtist und nichts ausserdemlsquo [Jenseits von Gut und Boumlse sect 36]ldquo sei bdquotrotz derUnbestimmtheit dieses Ausdrucks aber auch gerade wegen dieserUnbestimmtheit ein genialer Gedankeldquo (S 237f) weil Nietzsche dadurcheinige fuumlr ihn wesentliche Gesichtspunkte integrieren konnte das Moment der(vor allem kuumlnstlerischen) Kreativitaumlt im Uumlbersichhinausgehen des Willenszur Macht das Axiom von der Unterschiedenheit houmlherer und niedrigerMenschen den Egoismusverdacht gegen alles vermeintlich unegoistischeVerhalten die Untergrabung aller vorgegebenen Werte durch den TodGotteslsquo schlieszliglich die Ausdehnung des Willens zur Macht auf alles Lebenuumlberhaupt (S 238f) Durch diese Ausweitung konvergiere Nietzscheungeachtet seiner dominant anthropologischen Norm-Begruumlndung mit Hitlersnaturalistischer Uumlberzeugung daszlig das Recht des Staumlrkeren ein allgemeinesGesetz der Natur sei (S 240f)

Sowohl bei Nietzsche wie bei Hitler ergibt sich der Inegalitarismus also nicht nuraus einer Leugnung der Relevanz von Moral gegenuumlber Macht sondern er wirdvon beiden auszligerdem noch in dieser merkwuumlrdigen Weise uumlberspitzt daszlig es einebesonders relevante Inegalitaumlt von Natur aus geben soll die zwischen Uumlber- undUntermenschen eine Grunddifferenz die sie bdquosehenldquo und die andere nichterkennen koumlnnen daher nennen wir sie eben wahnhaft (S 259)

Wobei bdquofuumlr Hitler die Subjekte des Machtkampfes die Voumllker sind fuumlr dieNietzsche die Individuenldquo (S 260) Aus dieser Vergleichung zieht Tugendhatden aktuellen Schluszlig

Was Nietzsche als bdquoNationalitaumlts-Wahnsinnldquo verachtete ist in Wahrheit fuumlr einen

Inegalitarismus der Entrechtung in einer egalitaumlren Welt die einzige Chance [ ]Vielleicht ist der Hitlerismus [ ] heute eine Sache der Vergangenheit aber derhorizontale Antiegalitarismus an sich den Hitler vertreten hat lebt mit der ihmeigenen Destruktionstendenz weiter Hingegen kann der vertikale Inegalitarismusin der Form in der ihn Nietzsche vertreten hat in nachfeudalenkapitalistischen Verhaumlltnissen wohl keine Breitenwirkung mehr finden Derheute fortlebende vertikale Inegalitarismus ist nicht mehr einer der Entrechtungsondern hat eine andere primaumlr oumlkonomische Gestalt (S 261)

Dies mag fuumlr fortgeschrittene Industrielaumlnder zutreffen Gilt dies aberebenso fuumlr Laumlnder der Dritten Welt

Dies zu den Konsequenzen aus Nietzsches Antiegalitarismus Was seinenUrsprung angeht so beruft sich Tugendhat auf die These seines Lehrers KarlUlmer bdquodaszlig man Nietzsches ganzes Denken [ ] aus der Frage verstehenkann wie groszliges Menschentum und houmlhere Kulturlsquo moumlglich seienldquo26) undfuumlgt hinzu

Hinter dieser Frage stand nun fuumlr Nietzsche die Uumlberzeugung daszlig es einerseitsgroszlige (bdquohoumlhereldquo) und andererseits bdquogewoumlhnlicheldquo bdquoniedrigeldquo Menschen gibt [ ]Es scheint ein bei Nietzsche bis in die Adoleszenz zuruumlckreichendes Axiomgewesen zu sein daszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassenfallen Wie man fruumlher als Adliger oder Plebejer geboren wurde so dachte sichNietzsche die Differenz zwischen besonderen und gewoumlhnlichen Menschen als

26) Vgl Karl Ulmer Nietzsche Einheit und Sinn seines Werkes Francke Bern Muumlnchen1962 ( Delp Taschenbuumlcher Bd 363) bes S 12=

von Geburt vorgegeben (S 236)

Diese fuumlr Tugendhat ungewoumlhnlich vage Behauptung (scheint [] ein bisin die Adoleszenz [] zuruumlckreichendes Axiom [] gewesen zu seinlsquo) laumlszligt sichschwerlich aus Nietzsches Schriften und Briefen seiner Schuumller- undStudentenzeit belegen Was sich hier allenfalls findet sind zeittypischeBekundungen des Genieglaubens wie der Beginn des Aufsatzes Napoleonals Praesident (1862) bdquoDaszlig das Genie von andern und houmlhern Gesetzenabhaumlngig ist als der gewoumlhnliche Mensch von Gesetzen die oft denallgemeinen Grundsaumltzen von Moral u Recht zu widersprechen scheinenldquound daszlig bdquodas Genie den Gipfelpunkt natuumlrlicher und geistiger Harmoniebildetldquo27) Oder die Feier des bdquogroszligen Geistesldquo am Beginn seinesWallenstein-Aufsatzes (1863) bdquoEs ist eine Folge der geistigen Ueberlegenheitgroszliger Menschen daszlig sie ihre Umgebungen mit sich fortreiszligen so daszlig sichdie Groszligartigkeit ihrer Anschauungen und Handlungen in dem Geiste derihnen nahe Stehenden gleichsam wiederspiegeltldquo28) Oder Gegensatzpaare wieErsterlsquo vs Mitmenschenlsquo29) bdquoder Einzelneldquo vs bdquoMasseldquo bdquoMengeldquo bdquoUnzahlmittelmaumlszligiger Koumlpfeldquo30) bdquoordentlicher und ideenreicher Philologldquo vs

27) Friedrich Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe Begruumlndet v Giorgio Colli uMazzino Montinari weitergefuumlhrt v Wolfgang Muumlller-Lauter u Karl Pestalozzi 1 AbtBd 1-5 de Gruyter Berlin New York 1995-2003 Bd 2 S 357-362 hier S 357

28) Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist den Soldaten in Wallensteins Lager an derErhaltung ihres Feldherrn im Oberbefehl sehr gelegenldquo In ebd Bd 3 S 77-80 hierS 77

29) bdquoDer Erste der ein Kraut pflanzte oder saumlete eroumlffnete seinen Mitmenschen einunermeszligliches Feld der Thaumltigkeit und legte den Grund zu einem viel houmlheren Gradeder Erleuchtung und Milderungldquo (Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist der Ackerbau alsdie Grundlage aller gesetzlichen Ordnung und Gesittung zu betrachtenldquo [1863] In ebdS 91-95 hier S 92)

30) bdquoDen groszligen Gedanken produzirt nur der Einzelne Massenuumlberzeugungen haben-

immer etwas Halbes und Verschwommenes Dagegen sind die Triebe der Masse-

maumlchtiger als die des Einzelnen [ ] Es ist ein schrecklicher Gedanke eine- hellip -

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

국문초록lt gt

위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

worden und in den Argot des Faschismus eingegangen Alles was er in letzterUumlberreiztheit gegen Moral Humanitaumlt Mitleid Christentum und fuumlr die schoumlneRuchlosigkeit den Krieg das Boumlse gesagt hat war leider geeignet in derSchund-Ideologie des Faschismus seinen Platz zu finden [ ]17)

Und er fuumlgte hinzu bdquoWer Nietzsche eigentlichlsquo nimmt woumlrtlich nimmtwer ihm glaubt ist verlorenldquo18)

Um Nietzsche vor solcher faschistischen Vereinnahmung zu retten folgtenPhilosophen wie Karl Jaspers19) Karl Loumlwith20) oder Walter Kaufmann21)

derselben hermeneutischen Maxime wie dann Leacutevi-Strauss gegenuumlberGobineau solche Passagen eher auszliger Acht zu lassen in denen rassistischeoder andere zeittypische Vorurteile die Oberhand uumlber die Reflexiongewinnen miszligverstaumlndliche Begriffe zu praumlzisieren und uumlber seineschriftstellerischen Qualitaumlten hinaus entschieden die Originalitaumlt seinesDenkens herauszuarbeiten Freilich eines ist die Rettunglsquo eines vergessenenoder verfemten ein anderes die kritische Analyse eines kanonisiertenDenkers der keine solche selektive Wahrnehmung genuumlgen kann Denn inden letzten zwei drei Jahrzehnten hat im Westen zweifellos eineKanonisierung Nietzsches als Kritikers der Moderne stattgefunden

Der skeptische Wissenschaftler der die Pervertierung des Willens zur Macht den

17) Thomas Mann Gesammelte Werke in dreizehn Baumlnden Bd 9 Reden und Aufsaumltze 1Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt M 1990 S 675-712 hier S 702

18) Ebd S 70819) Karl Jaspers Nietzsche Einfuumlhrung in das Verstaumlndnis seines Philosophierens de

Gruyter Berlin Leipzig 1936 (sup21947)20) Karl Loumlwith Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkunft des Gleichen Die Runde

Berlin 1935 (sup21956) ders Von Hegel zu Nietzsche Der revolutionaumlre Bruch im Denkendes neunzehnten Jahrhunderts Europa Verlag Zuumlrich New York 1941 (51964)

21) Walter Kaufmann Nietzsche Philosopher Psychologist Antichrist Princeton UniversityPress Princeton N J 1950 (sup31968)

Aufstand der reaktiven Kraumlfte und die Entstehung der subjektzentrierten Vernunftmit anthropologischen psychologischen und historischen Methoden enthuumlllenmoumlchte findet Nachfolger in Bataille Lacan und Foucault der eingeweihteKritiker der Metaphysik der ein Sonderwissen in Anspruch nimmt und dieEntstehung der Subjektphilosophie bis in die vorsokratischen Anfaumlnge hineinverfolgt in Heidegger und Derrida22)

Und wie diese Kanonisierung vor allem von franzoumlsischen Intellektuellenausgegangen ist23) so sind hier zugleich die Affinitaumlten zwischen Nietzscheund dem Faschismus deutlich benannt worden So fordert etwa Derrida

La plus grande indeacutecence est [ ] de rigueur en ce lieu On se demandera [ ]pourquoi la seule institution drsquoenseignement le seul commencement drsquoinstitutionenseignante qui ait jamais pu se reacuteclamer de lrsquoenseignement de Nietzsche surlrsquoenseignement aura eacuteteacute nazie [ ]A la formation deacutemocratique et nivelante agrave la preacutetendue liberteacute acadeacutemique danslrsquouniversiteacute agrave lrsquoextension maximale de la culture doivent succeacuteder la contraintele dressage (Zucht) la seacutelection sous la direction drsquoun guide drsquoun Fuumlhrer et

mecircme drsquoun grossen Fuumlhrers [ ]Lrsquoavenir du texte-Nietzsche nrsquoest pas clos Mais si dans les contours encore ouvertsdrsquoune eacutepoque la seule politique se disant soi disant nietzscheacuteenne aura eacuteteacute naziecela est neacutecessairement signifiant et doit ecirctre interrogeacute dans toutes ses porteacutees24)

22) Juumlrgen Habermas Der philosophische Diskurs der Moderne Zwoumllf VorlesungenSuhrkamp Frankfurt M 1985 S 120 1968 hatte Habermas noch erleichtert-

konstatiert bdquoNietzsche hat nichts Ansteckendes mehrldquo (Juumlrgen Habermas bdquoNachwortldquozu Friedrich Nietzsche Erkenntnistheoretische Schriften Suhrkamp Frankfurt M 1968S 237-261 hier S 237)

23) Vgl vor allem die Sammelbaumlnde Nietzsche aujourdrsquohui 2 Bde Union geacuteneacuteraledrsquoeacuteditions Paris 1973 sowie daran anknuumlpfend The New Nietzsche Contemporary Stylesof Interpretation Hrsg v David B Allison Dell Publishing Co New York 1977 undNietzsche aus Frankreich Essays von Maurice Blanchot Jacques Derrida PierreKlossowski Philippe Lacoue-Labarthe Jean-Luc Nancy u Bernard Pautrat Hrsg vWerner Hamacher Ullstein Frankfurt M Berlin 1986

24) Jacques Derrida Otobiographies Lrsquoenseignement de Nietzsche et la politique du nom

Eine solche Befragung aus dem Geist der sprachanalytischen Ethikunternimmt Tugendhats Vergleich von Nietzsches und Hitlers Frontstellunggegen den Egalitarismus der seit der Franzoumlsischen Revolution seit dieBegruumlndung moralischer und politischer Normen nicht mehr durch Autoritaumltsondern wechselseitig zu erfolgen habe das dominante Verstaumlndnis vonMoral und Legitimitaumlt ausmache Beide verwerfen kompromiszliglos die Idee derGleichheit zugunsten der Macht Hitler im Namen des schrankenlosenNationalismus und der (im wesentlichen auf Gobineau zuruumlckgehenden)Rassentheorie (Tugendhat nennt dies horizontalen Inegalitarismuslsquo) Nietzschedagegen im Sinne einer bdquoblutsmaumlszligig bestimmten Ungleichheit zwischen denhoumlherenlsquo und den gewoumlhnlichenlsquo Menschenldquo25) (vertikaler Inegalitarismuslsquo)Wenn bei Nietzsche anfangs bdquodas Niedrige in einer konventionellenLebensweise besteht das Houmlhere das Eigenstaumlndige und das

propre Paris 1984 S 81-84 90 u 98 (bdquoAn dieser Stelle ist [ ] die groumlszligte Indezenzhellip

geboten Man wird sich sogar fragen [ ] warum die einzige Unterrichtsinstitution derhellip

einzige Beginn einer Unterrichtsinstitution der sich je auf Lehre oder UnterrichtNietzsches uumlber den Unterricht berufen konnte nazistisch war [ ] Auf diehellip

nivellierende und demokratische Bildung die vorgebliche akademische Freiheit in derUniversitaumlt und die maximale Bildungs-Ausbreitung sollen folgen der Zwang dieZucht die Auswahl unter Leitung eines Lenkers eines Fuumlhrers ja eines groszligenFuumlhrerslsquo [ ] Die Zukunft des Textes Nietzsche ist nicht abgeschlossen Aber wenn inhellip

den noch offenen Umrissen einer Epoche die einzige nietzscheanisch genannte(sogenannte) Politik eine Nazi-Politik gewesen ist ist das notwendig signifikant undmuszlig in seiner ganzen Tragweite befragt werdenldquo [Jacques Derrida bdquoNietzschesAutobiographie oder Politik des Eigennamens Die Lehre Nietzschesldquo Uumlbs v FriedrichA Kittler In Fugen Deutsch-franzoumlsisches Jahrbuch fuumlr Text-Analytik Walter-VerlagOlten Freiburg iB 1980 S 64-98 hier S 85 88 u 91])

25) Tugendhat bdquoMacht und Antiegalitarismus bei Nietzsche und Hitlerldquo S 228 im-

folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe

Uumlber-sich-hinaus-Gehen auf ein Werk bedeutetldquo (S 237) so verschaumlrfe sichdies spaumlter zu einem Gegensatz von Starkenlsquo und Schwachenlsquo vonHerrenmorallsquo und Herdenmorallsquo ja Sklavenmorallsquo Die dieserRadikalisierung zugrundeliegende bdquoThese daszlig alles Leben Wille zur Machtist und nichts ausserdemlsquo [Jenseits von Gut und Boumlse sect 36]ldquo sei bdquotrotz derUnbestimmtheit dieses Ausdrucks aber auch gerade wegen dieserUnbestimmtheit ein genialer Gedankeldquo (S 237f) weil Nietzsche dadurcheinige fuumlr ihn wesentliche Gesichtspunkte integrieren konnte das Moment der(vor allem kuumlnstlerischen) Kreativitaumlt im Uumlbersichhinausgehen des Willenszur Macht das Axiom von der Unterschiedenheit houmlherer und niedrigerMenschen den Egoismusverdacht gegen alles vermeintlich unegoistischeVerhalten die Untergrabung aller vorgegebenen Werte durch den TodGotteslsquo schlieszliglich die Ausdehnung des Willens zur Macht auf alles Lebenuumlberhaupt (S 238f) Durch diese Ausweitung konvergiere Nietzscheungeachtet seiner dominant anthropologischen Norm-Begruumlndung mit Hitlersnaturalistischer Uumlberzeugung daszlig das Recht des Staumlrkeren ein allgemeinesGesetz der Natur sei (S 240f)

Sowohl bei Nietzsche wie bei Hitler ergibt sich der Inegalitarismus also nicht nuraus einer Leugnung der Relevanz von Moral gegenuumlber Macht sondern er wirdvon beiden auszligerdem noch in dieser merkwuumlrdigen Weise uumlberspitzt daszlig es einebesonders relevante Inegalitaumlt von Natur aus geben soll die zwischen Uumlber- undUntermenschen eine Grunddifferenz die sie bdquosehenldquo und die andere nichterkennen koumlnnen daher nennen wir sie eben wahnhaft (S 259)

Wobei bdquofuumlr Hitler die Subjekte des Machtkampfes die Voumllker sind fuumlr dieNietzsche die Individuenldquo (S 260) Aus dieser Vergleichung zieht Tugendhatden aktuellen Schluszlig

Was Nietzsche als bdquoNationalitaumlts-Wahnsinnldquo verachtete ist in Wahrheit fuumlr einen

Inegalitarismus der Entrechtung in einer egalitaumlren Welt die einzige Chance [ ]Vielleicht ist der Hitlerismus [ ] heute eine Sache der Vergangenheit aber derhorizontale Antiegalitarismus an sich den Hitler vertreten hat lebt mit der ihmeigenen Destruktionstendenz weiter Hingegen kann der vertikale Inegalitarismusin der Form in der ihn Nietzsche vertreten hat in nachfeudalenkapitalistischen Verhaumlltnissen wohl keine Breitenwirkung mehr finden Derheute fortlebende vertikale Inegalitarismus ist nicht mehr einer der Entrechtungsondern hat eine andere primaumlr oumlkonomische Gestalt (S 261)

Dies mag fuumlr fortgeschrittene Industrielaumlnder zutreffen Gilt dies aberebenso fuumlr Laumlnder der Dritten Welt

Dies zu den Konsequenzen aus Nietzsches Antiegalitarismus Was seinenUrsprung angeht so beruft sich Tugendhat auf die These seines Lehrers KarlUlmer bdquodaszlig man Nietzsches ganzes Denken [ ] aus der Frage verstehenkann wie groszliges Menschentum und houmlhere Kulturlsquo moumlglich seienldquo26) undfuumlgt hinzu

Hinter dieser Frage stand nun fuumlr Nietzsche die Uumlberzeugung daszlig es einerseitsgroszlige (bdquohoumlhereldquo) und andererseits bdquogewoumlhnlicheldquo bdquoniedrigeldquo Menschen gibt [ ]Es scheint ein bei Nietzsche bis in die Adoleszenz zuruumlckreichendes Axiomgewesen zu sein daszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassenfallen Wie man fruumlher als Adliger oder Plebejer geboren wurde so dachte sichNietzsche die Differenz zwischen besonderen und gewoumlhnlichen Menschen als

26) Vgl Karl Ulmer Nietzsche Einheit und Sinn seines Werkes Francke Bern Muumlnchen1962 ( Delp Taschenbuumlcher Bd 363) bes S 12=

von Geburt vorgegeben (S 236)

Diese fuumlr Tugendhat ungewoumlhnlich vage Behauptung (scheint [] ein bisin die Adoleszenz [] zuruumlckreichendes Axiom [] gewesen zu seinlsquo) laumlszligt sichschwerlich aus Nietzsches Schriften und Briefen seiner Schuumller- undStudentenzeit belegen Was sich hier allenfalls findet sind zeittypischeBekundungen des Genieglaubens wie der Beginn des Aufsatzes Napoleonals Praesident (1862) bdquoDaszlig das Genie von andern und houmlhern Gesetzenabhaumlngig ist als der gewoumlhnliche Mensch von Gesetzen die oft denallgemeinen Grundsaumltzen von Moral u Recht zu widersprechen scheinenldquound daszlig bdquodas Genie den Gipfelpunkt natuumlrlicher und geistiger Harmoniebildetldquo27) Oder die Feier des bdquogroszligen Geistesldquo am Beginn seinesWallenstein-Aufsatzes (1863) bdquoEs ist eine Folge der geistigen Ueberlegenheitgroszliger Menschen daszlig sie ihre Umgebungen mit sich fortreiszligen so daszlig sichdie Groszligartigkeit ihrer Anschauungen und Handlungen in dem Geiste derihnen nahe Stehenden gleichsam wiederspiegeltldquo28) Oder Gegensatzpaare wieErsterlsquo vs Mitmenschenlsquo29) bdquoder Einzelneldquo vs bdquoMasseldquo bdquoMengeldquo bdquoUnzahlmittelmaumlszligiger Koumlpfeldquo30) bdquoordentlicher und ideenreicher Philologldquo vs

27) Friedrich Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe Begruumlndet v Giorgio Colli uMazzino Montinari weitergefuumlhrt v Wolfgang Muumlller-Lauter u Karl Pestalozzi 1 AbtBd 1-5 de Gruyter Berlin New York 1995-2003 Bd 2 S 357-362 hier S 357

28) Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist den Soldaten in Wallensteins Lager an derErhaltung ihres Feldherrn im Oberbefehl sehr gelegenldquo In ebd Bd 3 S 77-80 hierS 77

29) bdquoDer Erste der ein Kraut pflanzte oder saumlete eroumlffnete seinen Mitmenschen einunermeszligliches Feld der Thaumltigkeit und legte den Grund zu einem viel houmlheren Gradeder Erleuchtung und Milderungldquo (Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist der Ackerbau alsdie Grundlage aller gesetzlichen Ordnung und Gesittung zu betrachtenldquo [1863] In ebdS 91-95 hier S 92)

30) bdquoDen groszligen Gedanken produzirt nur der Einzelne Massenuumlberzeugungen haben-

immer etwas Halbes und Verschwommenes Dagegen sind die Triebe der Masse-

maumlchtiger als die des Einzelnen [ ] Es ist ein schrecklicher Gedanke eine- hellip -

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

국문초록lt gt

위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

lsquo rsquo lsquo rsquolsquo rsquo lsquo rsquo

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

Aufstand der reaktiven Kraumlfte und die Entstehung der subjektzentrierten Vernunftmit anthropologischen psychologischen und historischen Methoden enthuumlllenmoumlchte findet Nachfolger in Bataille Lacan und Foucault der eingeweihteKritiker der Metaphysik der ein Sonderwissen in Anspruch nimmt und dieEntstehung der Subjektphilosophie bis in die vorsokratischen Anfaumlnge hineinverfolgt in Heidegger und Derrida22)

Und wie diese Kanonisierung vor allem von franzoumlsischen Intellektuellenausgegangen ist23) so sind hier zugleich die Affinitaumlten zwischen Nietzscheund dem Faschismus deutlich benannt worden So fordert etwa Derrida

La plus grande indeacutecence est [ ] de rigueur en ce lieu On se demandera [ ]pourquoi la seule institution drsquoenseignement le seul commencement drsquoinstitutionenseignante qui ait jamais pu se reacuteclamer de lrsquoenseignement de Nietzsche surlrsquoenseignement aura eacuteteacute nazie [ ]A la formation deacutemocratique et nivelante agrave la preacutetendue liberteacute acadeacutemique danslrsquouniversiteacute agrave lrsquoextension maximale de la culture doivent succeacuteder la contraintele dressage (Zucht) la seacutelection sous la direction drsquoun guide drsquoun Fuumlhrer et

mecircme drsquoun grossen Fuumlhrers [ ]Lrsquoavenir du texte-Nietzsche nrsquoest pas clos Mais si dans les contours encore ouvertsdrsquoune eacutepoque la seule politique se disant soi disant nietzscheacuteenne aura eacuteteacute naziecela est neacutecessairement signifiant et doit ecirctre interrogeacute dans toutes ses porteacutees24)

22) Juumlrgen Habermas Der philosophische Diskurs der Moderne Zwoumllf VorlesungenSuhrkamp Frankfurt M 1985 S 120 1968 hatte Habermas noch erleichtert-

konstatiert bdquoNietzsche hat nichts Ansteckendes mehrldquo (Juumlrgen Habermas bdquoNachwortldquozu Friedrich Nietzsche Erkenntnistheoretische Schriften Suhrkamp Frankfurt M 1968S 237-261 hier S 237)

23) Vgl vor allem die Sammelbaumlnde Nietzsche aujourdrsquohui 2 Bde Union geacuteneacuteraledrsquoeacuteditions Paris 1973 sowie daran anknuumlpfend The New Nietzsche Contemporary Stylesof Interpretation Hrsg v David B Allison Dell Publishing Co New York 1977 undNietzsche aus Frankreich Essays von Maurice Blanchot Jacques Derrida PierreKlossowski Philippe Lacoue-Labarthe Jean-Luc Nancy u Bernard Pautrat Hrsg vWerner Hamacher Ullstein Frankfurt M Berlin 1986

24) Jacques Derrida Otobiographies Lrsquoenseignement de Nietzsche et la politique du nom

Eine solche Befragung aus dem Geist der sprachanalytischen Ethikunternimmt Tugendhats Vergleich von Nietzsches und Hitlers Frontstellunggegen den Egalitarismus der seit der Franzoumlsischen Revolution seit dieBegruumlndung moralischer und politischer Normen nicht mehr durch Autoritaumltsondern wechselseitig zu erfolgen habe das dominante Verstaumlndnis vonMoral und Legitimitaumlt ausmache Beide verwerfen kompromiszliglos die Idee derGleichheit zugunsten der Macht Hitler im Namen des schrankenlosenNationalismus und der (im wesentlichen auf Gobineau zuruumlckgehenden)Rassentheorie (Tugendhat nennt dies horizontalen Inegalitarismuslsquo) Nietzschedagegen im Sinne einer bdquoblutsmaumlszligig bestimmten Ungleichheit zwischen denhoumlherenlsquo und den gewoumlhnlichenlsquo Menschenldquo25) (vertikaler Inegalitarismuslsquo)Wenn bei Nietzsche anfangs bdquodas Niedrige in einer konventionellenLebensweise besteht das Houmlhere das Eigenstaumlndige und das

propre Paris 1984 S 81-84 90 u 98 (bdquoAn dieser Stelle ist [ ] die groumlszligte Indezenzhellip

geboten Man wird sich sogar fragen [ ] warum die einzige Unterrichtsinstitution derhellip

einzige Beginn einer Unterrichtsinstitution der sich je auf Lehre oder UnterrichtNietzsches uumlber den Unterricht berufen konnte nazistisch war [ ] Auf diehellip

nivellierende und demokratische Bildung die vorgebliche akademische Freiheit in derUniversitaumlt und die maximale Bildungs-Ausbreitung sollen folgen der Zwang dieZucht die Auswahl unter Leitung eines Lenkers eines Fuumlhrers ja eines groszligenFuumlhrerslsquo [ ] Die Zukunft des Textes Nietzsche ist nicht abgeschlossen Aber wenn inhellip

den noch offenen Umrissen einer Epoche die einzige nietzscheanisch genannte(sogenannte) Politik eine Nazi-Politik gewesen ist ist das notwendig signifikant undmuszlig in seiner ganzen Tragweite befragt werdenldquo [Jacques Derrida bdquoNietzschesAutobiographie oder Politik des Eigennamens Die Lehre Nietzschesldquo Uumlbs v FriedrichA Kittler In Fugen Deutsch-franzoumlsisches Jahrbuch fuumlr Text-Analytik Walter-VerlagOlten Freiburg iB 1980 S 64-98 hier S 85 88 u 91])

25) Tugendhat bdquoMacht und Antiegalitarismus bei Nietzsche und Hitlerldquo S 228 im-

folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe

Uumlber-sich-hinaus-Gehen auf ein Werk bedeutetldquo (S 237) so verschaumlrfe sichdies spaumlter zu einem Gegensatz von Starkenlsquo und Schwachenlsquo vonHerrenmorallsquo und Herdenmorallsquo ja Sklavenmorallsquo Die dieserRadikalisierung zugrundeliegende bdquoThese daszlig alles Leben Wille zur Machtist und nichts ausserdemlsquo [Jenseits von Gut und Boumlse sect 36]ldquo sei bdquotrotz derUnbestimmtheit dieses Ausdrucks aber auch gerade wegen dieserUnbestimmtheit ein genialer Gedankeldquo (S 237f) weil Nietzsche dadurcheinige fuumlr ihn wesentliche Gesichtspunkte integrieren konnte das Moment der(vor allem kuumlnstlerischen) Kreativitaumlt im Uumlbersichhinausgehen des Willenszur Macht das Axiom von der Unterschiedenheit houmlherer und niedrigerMenschen den Egoismusverdacht gegen alles vermeintlich unegoistischeVerhalten die Untergrabung aller vorgegebenen Werte durch den TodGotteslsquo schlieszliglich die Ausdehnung des Willens zur Macht auf alles Lebenuumlberhaupt (S 238f) Durch diese Ausweitung konvergiere Nietzscheungeachtet seiner dominant anthropologischen Norm-Begruumlndung mit Hitlersnaturalistischer Uumlberzeugung daszlig das Recht des Staumlrkeren ein allgemeinesGesetz der Natur sei (S 240f)

Sowohl bei Nietzsche wie bei Hitler ergibt sich der Inegalitarismus also nicht nuraus einer Leugnung der Relevanz von Moral gegenuumlber Macht sondern er wirdvon beiden auszligerdem noch in dieser merkwuumlrdigen Weise uumlberspitzt daszlig es einebesonders relevante Inegalitaumlt von Natur aus geben soll die zwischen Uumlber- undUntermenschen eine Grunddifferenz die sie bdquosehenldquo und die andere nichterkennen koumlnnen daher nennen wir sie eben wahnhaft (S 259)

Wobei bdquofuumlr Hitler die Subjekte des Machtkampfes die Voumllker sind fuumlr dieNietzsche die Individuenldquo (S 260) Aus dieser Vergleichung zieht Tugendhatden aktuellen Schluszlig

Was Nietzsche als bdquoNationalitaumlts-Wahnsinnldquo verachtete ist in Wahrheit fuumlr einen

Inegalitarismus der Entrechtung in einer egalitaumlren Welt die einzige Chance [ ]Vielleicht ist der Hitlerismus [ ] heute eine Sache der Vergangenheit aber derhorizontale Antiegalitarismus an sich den Hitler vertreten hat lebt mit der ihmeigenen Destruktionstendenz weiter Hingegen kann der vertikale Inegalitarismusin der Form in der ihn Nietzsche vertreten hat in nachfeudalenkapitalistischen Verhaumlltnissen wohl keine Breitenwirkung mehr finden Derheute fortlebende vertikale Inegalitarismus ist nicht mehr einer der Entrechtungsondern hat eine andere primaumlr oumlkonomische Gestalt (S 261)

Dies mag fuumlr fortgeschrittene Industrielaumlnder zutreffen Gilt dies aberebenso fuumlr Laumlnder der Dritten Welt

Dies zu den Konsequenzen aus Nietzsches Antiegalitarismus Was seinenUrsprung angeht so beruft sich Tugendhat auf die These seines Lehrers KarlUlmer bdquodaszlig man Nietzsches ganzes Denken [ ] aus der Frage verstehenkann wie groszliges Menschentum und houmlhere Kulturlsquo moumlglich seienldquo26) undfuumlgt hinzu

Hinter dieser Frage stand nun fuumlr Nietzsche die Uumlberzeugung daszlig es einerseitsgroszlige (bdquohoumlhereldquo) und andererseits bdquogewoumlhnlicheldquo bdquoniedrigeldquo Menschen gibt [ ]Es scheint ein bei Nietzsche bis in die Adoleszenz zuruumlckreichendes Axiomgewesen zu sein daszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassenfallen Wie man fruumlher als Adliger oder Plebejer geboren wurde so dachte sichNietzsche die Differenz zwischen besonderen und gewoumlhnlichen Menschen als

26) Vgl Karl Ulmer Nietzsche Einheit und Sinn seines Werkes Francke Bern Muumlnchen1962 ( Delp Taschenbuumlcher Bd 363) bes S 12=

von Geburt vorgegeben (S 236)

Diese fuumlr Tugendhat ungewoumlhnlich vage Behauptung (scheint [] ein bisin die Adoleszenz [] zuruumlckreichendes Axiom [] gewesen zu seinlsquo) laumlszligt sichschwerlich aus Nietzsches Schriften und Briefen seiner Schuumller- undStudentenzeit belegen Was sich hier allenfalls findet sind zeittypischeBekundungen des Genieglaubens wie der Beginn des Aufsatzes Napoleonals Praesident (1862) bdquoDaszlig das Genie von andern und houmlhern Gesetzenabhaumlngig ist als der gewoumlhnliche Mensch von Gesetzen die oft denallgemeinen Grundsaumltzen von Moral u Recht zu widersprechen scheinenldquound daszlig bdquodas Genie den Gipfelpunkt natuumlrlicher und geistiger Harmoniebildetldquo27) Oder die Feier des bdquogroszligen Geistesldquo am Beginn seinesWallenstein-Aufsatzes (1863) bdquoEs ist eine Folge der geistigen Ueberlegenheitgroszliger Menschen daszlig sie ihre Umgebungen mit sich fortreiszligen so daszlig sichdie Groszligartigkeit ihrer Anschauungen und Handlungen in dem Geiste derihnen nahe Stehenden gleichsam wiederspiegeltldquo28) Oder Gegensatzpaare wieErsterlsquo vs Mitmenschenlsquo29) bdquoder Einzelneldquo vs bdquoMasseldquo bdquoMengeldquo bdquoUnzahlmittelmaumlszligiger Koumlpfeldquo30) bdquoordentlicher und ideenreicher Philologldquo vs

27) Friedrich Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe Begruumlndet v Giorgio Colli uMazzino Montinari weitergefuumlhrt v Wolfgang Muumlller-Lauter u Karl Pestalozzi 1 AbtBd 1-5 de Gruyter Berlin New York 1995-2003 Bd 2 S 357-362 hier S 357

28) Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist den Soldaten in Wallensteins Lager an derErhaltung ihres Feldherrn im Oberbefehl sehr gelegenldquo In ebd Bd 3 S 77-80 hierS 77

29) bdquoDer Erste der ein Kraut pflanzte oder saumlete eroumlffnete seinen Mitmenschen einunermeszligliches Feld der Thaumltigkeit und legte den Grund zu einem viel houmlheren Gradeder Erleuchtung und Milderungldquo (Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist der Ackerbau alsdie Grundlage aller gesetzlichen Ordnung und Gesittung zu betrachtenldquo [1863] In ebdS 91-95 hier S 92)

30) bdquoDen groszligen Gedanken produzirt nur der Einzelne Massenuumlberzeugungen haben-

immer etwas Halbes und Verschwommenes Dagegen sind die Triebe der Masse-

maumlchtiger als die des Einzelnen [ ] Es ist ein schrecklicher Gedanke eine- hellip -

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

국문초록lt gt

위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

Eine solche Befragung aus dem Geist der sprachanalytischen Ethikunternimmt Tugendhats Vergleich von Nietzsches und Hitlers Frontstellunggegen den Egalitarismus der seit der Franzoumlsischen Revolution seit dieBegruumlndung moralischer und politischer Normen nicht mehr durch Autoritaumltsondern wechselseitig zu erfolgen habe das dominante Verstaumlndnis vonMoral und Legitimitaumlt ausmache Beide verwerfen kompromiszliglos die Idee derGleichheit zugunsten der Macht Hitler im Namen des schrankenlosenNationalismus und der (im wesentlichen auf Gobineau zuruumlckgehenden)Rassentheorie (Tugendhat nennt dies horizontalen Inegalitarismuslsquo) Nietzschedagegen im Sinne einer bdquoblutsmaumlszligig bestimmten Ungleichheit zwischen denhoumlherenlsquo und den gewoumlhnlichenlsquo Menschenldquo25) (vertikaler Inegalitarismuslsquo)Wenn bei Nietzsche anfangs bdquodas Niedrige in einer konventionellenLebensweise besteht das Houmlhere das Eigenstaumlndige und das

propre Paris 1984 S 81-84 90 u 98 (bdquoAn dieser Stelle ist [ ] die groumlszligte Indezenzhellip

geboten Man wird sich sogar fragen [ ] warum die einzige Unterrichtsinstitution derhellip

einzige Beginn einer Unterrichtsinstitution der sich je auf Lehre oder UnterrichtNietzsches uumlber den Unterricht berufen konnte nazistisch war [ ] Auf diehellip

nivellierende und demokratische Bildung die vorgebliche akademische Freiheit in derUniversitaumlt und die maximale Bildungs-Ausbreitung sollen folgen der Zwang dieZucht die Auswahl unter Leitung eines Lenkers eines Fuumlhrers ja eines groszligenFuumlhrerslsquo [ ] Die Zukunft des Textes Nietzsche ist nicht abgeschlossen Aber wenn inhellip

den noch offenen Umrissen einer Epoche die einzige nietzscheanisch genannte(sogenannte) Politik eine Nazi-Politik gewesen ist ist das notwendig signifikant undmuszlig in seiner ganzen Tragweite befragt werdenldquo [Jacques Derrida bdquoNietzschesAutobiographie oder Politik des Eigennamens Die Lehre Nietzschesldquo Uumlbs v FriedrichA Kittler In Fugen Deutsch-franzoumlsisches Jahrbuch fuumlr Text-Analytik Walter-VerlagOlten Freiburg iB 1980 S 64-98 hier S 85 88 u 91])

25) Tugendhat bdquoMacht und Antiegalitarismus bei Nietzsche und Hitlerldquo S 228 im-

folgenden zitiert unter einfacher Seitenangabe

Uumlber-sich-hinaus-Gehen auf ein Werk bedeutetldquo (S 237) so verschaumlrfe sichdies spaumlter zu einem Gegensatz von Starkenlsquo und Schwachenlsquo vonHerrenmorallsquo und Herdenmorallsquo ja Sklavenmorallsquo Die dieserRadikalisierung zugrundeliegende bdquoThese daszlig alles Leben Wille zur Machtist und nichts ausserdemlsquo [Jenseits von Gut und Boumlse sect 36]ldquo sei bdquotrotz derUnbestimmtheit dieses Ausdrucks aber auch gerade wegen dieserUnbestimmtheit ein genialer Gedankeldquo (S 237f) weil Nietzsche dadurcheinige fuumlr ihn wesentliche Gesichtspunkte integrieren konnte das Moment der(vor allem kuumlnstlerischen) Kreativitaumlt im Uumlbersichhinausgehen des Willenszur Macht das Axiom von der Unterschiedenheit houmlherer und niedrigerMenschen den Egoismusverdacht gegen alles vermeintlich unegoistischeVerhalten die Untergrabung aller vorgegebenen Werte durch den TodGotteslsquo schlieszliglich die Ausdehnung des Willens zur Macht auf alles Lebenuumlberhaupt (S 238f) Durch diese Ausweitung konvergiere Nietzscheungeachtet seiner dominant anthropologischen Norm-Begruumlndung mit Hitlersnaturalistischer Uumlberzeugung daszlig das Recht des Staumlrkeren ein allgemeinesGesetz der Natur sei (S 240f)

Sowohl bei Nietzsche wie bei Hitler ergibt sich der Inegalitarismus also nicht nuraus einer Leugnung der Relevanz von Moral gegenuumlber Macht sondern er wirdvon beiden auszligerdem noch in dieser merkwuumlrdigen Weise uumlberspitzt daszlig es einebesonders relevante Inegalitaumlt von Natur aus geben soll die zwischen Uumlber- undUntermenschen eine Grunddifferenz die sie bdquosehenldquo und die andere nichterkennen koumlnnen daher nennen wir sie eben wahnhaft (S 259)

Wobei bdquofuumlr Hitler die Subjekte des Machtkampfes die Voumllker sind fuumlr dieNietzsche die Individuenldquo (S 260) Aus dieser Vergleichung zieht Tugendhatden aktuellen Schluszlig

Was Nietzsche als bdquoNationalitaumlts-Wahnsinnldquo verachtete ist in Wahrheit fuumlr einen

Inegalitarismus der Entrechtung in einer egalitaumlren Welt die einzige Chance [ ]Vielleicht ist der Hitlerismus [ ] heute eine Sache der Vergangenheit aber derhorizontale Antiegalitarismus an sich den Hitler vertreten hat lebt mit der ihmeigenen Destruktionstendenz weiter Hingegen kann der vertikale Inegalitarismusin der Form in der ihn Nietzsche vertreten hat in nachfeudalenkapitalistischen Verhaumlltnissen wohl keine Breitenwirkung mehr finden Derheute fortlebende vertikale Inegalitarismus ist nicht mehr einer der Entrechtungsondern hat eine andere primaumlr oumlkonomische Gestalt (S 261)

Dies mag fuumlr fortgeschrittene Industrielaumlnder zutreffen Gilt dies aberebenso fuumlr Laumlnder der Dritten Welt

Dies zu den Konsequenzen aus Nietzsches Antiegalitarismus Was seinenUrsprung angeht so beruft sich Tugendhat auf die These seines Lehrers KarlUlmer bdquodaszlig man Nietzsches ganzes Denken [ ] aus der Frage verstehenkann wie groszliges Menschentum und houmlhere Kulturlsquo moumlglich seienldquo26) undfuumlgt hinzu

Hinter dieser Frage stand nun fuumlr Nietzsche die Uumlberzeugung daszlig es einerseitsgroszlige (bdquohoumlhereldquo) und andererseits bdquogewoumlhnlicheldquo bdquoniedrigeldquo Menschen gibt [ ]Es scheint ein bei Nietzsche bis in die Adoleszenz zuruumlckreichendes Axiomgewesen zu sein daszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassenfallen Wie man fruumlher als Adliger oder Plebejer geboren wurde so dachte sichNietzsche die Differenz zwischen besonderen und gewoumlhnlichen Menschen als

26) Vgl Karl Ulmer Nietzsche Einheit und Sinn seines Werkes Francke Bern Muumlnchen1962 ( Delp Taschenbuumlcher Bd 363) bes S 12=

von Geburt vorgegeben (S 236)

Diese fuumlr Tugendhat ungewoumlhnlich vage Behauptung (scheint [] ein bisin die Adoleszenz [] zuruumlckreichendes Axiom [] gewesen zu seinlsquo) laumlszligt sichschwerlich aus Nietzsches Schriften und Briefen seiner Schuumller- undStudentenzeit belegen Was sich hier allenfalls findet sind zeittypischeBekundungen des Genieglaubens wie der Beginn des Aufsatzes Napoleonals Praesident (1862) bdquoDaszlig das Genie von andern und houmlhern Gesetzenabhaumlngig ist als der gewoumlhnliche Mensch von Gesetzen die oft denallgemeinen Grundsaumltzen von Moral u Recht zu widersprechen scheinenldquound daszlig bdquodas Genie den Gipfelpunkt natuumlrlicher und geistiger Harmoniebildetldquo27) Oder die Feier des bdquogroszligen Geistesldquo am Beginn seinesWallenstein-Aufsatzes (1863) bdquoEs ist eine Folge der geistigen Ueberlegenheitgroszliger Menschen daszlig sie ihre Umgebungen mit sich fortreiszligen so daszlig sichdie Groszligartigkeit ihrer Anschauungen und Handlungen in dem Geiste derihnen nahe Stehenden gleichsam wiederspiegeltldquo28) Oder Gegensatzpaare wieErsterlsquo vs Mitmenschenlsquo29) bdquoder Einzelneldquo vs bdquoMasseldquo bdquoMengeldquo bdquoUnzahlmittelmaumlszligiger Koumlpfeldquo30) bdquoordentlicher und ideenreicher Philologldquo vs

27) Friedrich Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe Begruumlndet v Giorgio Colli uMazzino Montinari weitergefuumlhrt v Wolfgang Muumlller-Lauter u Karl Pestalozzi 1 AbtBd 1-5 de Gruyter Berlin New York 1995-2003 Bd 2 S 357-362 hier S 357

28) Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist den Soldaten in Wallensteins Lager an derErhaltung ihres Feldherrn im Oberbefehl sehr gelegenldquo In ebd Bd 3 S 77-80 hierS 77

29) bdquoDer Erste der ein Kraut pflanzte oder saumlete eroumlffnete seinen Mitmenschen einunermeszligliches Feld der Thaumltigkeit und legte den Grund zu einem viel houmlheren Gradeder Erleuchtung und Milderungldquo (Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist der Ackerbau alsdie Grundlage aller gesetzlichen Ordnung und Gesittung zu betrachtenldquo [1863] In ebdS 91-95 hier S 92)

30) bdquoDen groszligen Gedanken produzirt nur der Einzelne Massenuumlberzeugungen haben-

immer etwas Halbes und Verschwommenes Dagegen sind die Triebe der Masse-

maumlchtiger als die des Einzelnen [ ] Es ist ein schrecklicher Gedanke eine- hellip -

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

국문초록lt gt

위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

Uumlber-sich-hinaus-Gehen auf ein Werk bedeutetldquo (S 237) so verschaumlrfe sichdies spaumlter zu einem Gegensatz von Starkenlsquo und Schwachenlsquo vonHerrenmorallsquo und Herdenmorallsquo ja Sklavenmorallsquo Die dieserRadikalisierung zugrundeliegende bdquoThese daszlig alles Leben Wille zur Machtist und nichts ausserdemlsquo [Jenseits von Gut und Boumlse sect 36]ldquo sei bdquotrotz derUnbestimmtheit dieses Ausdrucks aber auch gerade wegen dieserUnbestimmtheit ein genialer Gedankeldquo (S 237f) weil Nietzsche dadurcheinige fuumlr ihn wesentliche Gesichtspunkte integrieren konnte das Moment der(vor allem kuumlnstlerischen) Kreativitaumlt im Uumlbersichhinausgehen des Willenszur Macht das Axiom von der Unterschiedenheit houmlherer und niedrigerMenschen den Egoismusverdacht gegen alles vermeintlich unegoistischeVerhalten die Untergrabung aller vorgegebenen Werte durch den TodGotteslsquo schlieszliglich die Ausdehnung des Willens zur Macht auf alles Lebenuumlberhaupt (S 238f) Durch diese Ausweitung konvergiere Nietzscheungeachtet seiner dominant anthropologischen Norm-Begruumlndung mit Hitlersnaturalistischer Uumlberzeugung daszlig das Recht des Staumlrkeren ein allgemeinesGesetz der Natur sei (S 240f)

Sowohl bei Nietzsche wie bei Hitler ergibt sich der Inegalitarismus also nicht nuraus einer Leugnung der Relevanz von Moral gegenuumlber Macht sondern er wirdvon beiden auszligerdem noch in dieser merkwuumlrdigen Weise uumlberspitzt daszlig es einebesonders relevante Inegalitaumlt von Natur aus geben soll die zwischen Uumlber- undUntermenschen eine Grunddifferenz die sie bdquosehenldquo und die andere nichterkennen koumlnnen daher nennen wir sie eben wahnhaft (S 259)

Wobei bdquofuumlr Hitler die Subjekte des Machtkampfes die Voumllker sind fuumlr dieNietzsche die Individuenldquo (S 260) Aus dieser Vergleichung zieht Tugendhatden aktuellen Schluszlig

Was Nietzsche als bdquoNationalitaumlts-Wahnsinnldquo verachtete ist in Wahrheit fuumlr einen

Inegalitarismus der Entrechtung in einer egalitaumlren Welt die einzige Chance [ ]Vielleicht ist der Hitlerismus [ ] heute eine Sache der Vergangenheit aber derhorizontale Antiegalitarismus an sich den Hitler vertreten hat lebt mit der ihmeigenen Destruktionstendenz weiter Hingegen kann der vertikale Inegalitarismusin der Form in der ihn Nietzsche vertreten hat in nachfeudalenkapitalistischen Verhaumlltnissen wohl keine Breitenwirkung mehr finden Derheute fortlebende vertikale Inegalitarismus ist nicht mehr einer der Entrechtungsondern hat eine andere primaumlr oumlkonomische Gestalt (S 261)

Dies mag fuumlr fortgeschrittene Industrielaumlnder zutreffen Gilt dies aberebenso fuumlr Laumlnder der Dritten Welt

Dies zu den Konsequenzen aus Nietzsches Antiegalitarismus Was seinenUrsprung angeht so beruft sich Tugendhat auf die These seines Lehrers KarlUlmer bdquodaszlig man Nietzsches ganzes Denken [ ] aus der Frage verstehenkann wie groszliges Menschentum und houmlhere Kulturlsquo moumlglich seienldquo26) undfuumlgt hinzu

Hinter dieser Frage stand nun fuumlr Nietzsche die Uumlberzeugung daszlig es einerseitsgroszlige (bdquohoumlhereldquo) und andererseits bdquogewoumlhnlicheldquo bdquoniedrigeldquo Menschen gibt [ ]Es scheint ein bei Nietzsche bis in die Adoleszenz zuruumlckreichendes Axiomgewesen zu sein daszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassenfallen Wie man fruumlher als Adliger oder Plebejer geboren wurde so dachte sichNietzsche die Differenz zwischen besonderen und gewoumlhnlichen Menschen als

26) Vgl Karl Ulmer Nietzsche Einheit und Sinn seines Werkes Francke Bern Muumlnchen1962 ( Delp Taschenbuumlcher Bd 363) bes S 12=

von Geburt vorgegeben (S 236)

Diese fuumlr Tugendhat ungewoumlhnlich vage Behauptung (scheint [] ein bisin die Adoleszenz [] zuruumlckreichendes Axiom [] gewesen zu seinlsquo) laumlszligt sichschwerlich aus Nietzsches Schriften und Briefen seiner Schuumller- undStudentenzeit belegen Was sich hier allenfalls findet sind zeittypischeBekundungen des Genieglaubens wie der Beginn des Aufsatzes Napoleonals Praesident (1862) bdquoDaszlig das Genie von andern und houmlhern Gesetzenabhaumlngig ist als der gewoumlhnliche Mensch von Gesetzen die oft denallgemeinen Grundsaumltzen von Moral u Recht zu widersprechen scheinenldquound daszlig bdquodas Genie den Gipfelpunkt natuumlrlicher und geistiger Harmoniebildetldquo27) Oder die Feier des bdquogroszligen Geistesldquo am Beginn seinesWallenstein-Aufsatzes (1863) bdquoEs ist eine Folge der geistigen Ueberlegenheitgroszliger Menschen daszlig sie ihre Umgebungen mit sich fortreiszligen so daszlig sichdie Groszligartigkeit ihrer Anschauungen und Handlungen in dem Geiste derihnen nahe Stehenden gleichsam wiederspiegeltldquo28) Oder Gegensatzpaare wieErsterlsquo vs Mitmenschenlsquo29) bdquoder Einzelneldquo vs bdquoMasseldquo bdquoMengeldquo bdquoUnzahlmittelmaumlszligiger Koumlpfeldquo30) bdquoordentlicher und ideenreicher Philologldquo vs

27) Friedrich Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe Begruumlndet v Giorgio Colli uMazzino Montinari weitergefuumlhrt v Wolfgang Muumlller-Lauter u Karl Pestalozzi 1 AbtBd 1-5 de Gruyter Berlin New York 1995-2003 Bd 2 S 357-362 hier S 357

28) Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist den Soldaten in Wallensteins Lager an derErhaltung ihres Feldherrn im Oberbefehl sehr gelegenldquo In ebd Bd 3 S 77-80 hierS 77

29) bdquoDer Erste der ein Kraut pflanzte oder saumlete eroumlffnete seinen Mitmenschen einunermeszligliches Feld der Thaumltigkeit und legte den Grund zu einem viel houmlheren Gradeder Erleuchtung und Milderungldquo (Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist der Ackerbau alsdie Grundlage aller gesetzlichen Ordnung und Gesittung zu betrachtenldquo [1863] In ebdS 91-95 hier S 92)

30) bdquoDen groszligen Gedanken produzirt nur der Einzelne Massenuumlberzeugungen haben-

immer etwas Halbes und Verschwommenes Dagegen sind die Triebe der Masse-

maumlchtiger als die des Einzelnen [ ] Es ist ein schrecklicher Gedanke eine- hellip -

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

국문초록lt gt

위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

Inegalitarismus der Entrechtung in einer egalitaumlren Welt die einzige Chance [ ]Vielleicht ist der Hitlerismus [ ] heute eine Sache der Vergangenheit aber derhorizontale Antiegalitarismus an sich den Hitler vertreten hat lebt mit der ihmeigenen Destruktionstendenz weiter Hingegen kann der vertikale Inegalitarismusin der Form in der ihn Nietzsche vertreten hat in nachfeudalenkapitalistischen Verhaumlltnissen wohl keine Breitenwirkung mehr finden Derheute fortlebende vertikale Inegalitarismus ist nicht mehr einer der Entrechtungsondern hat eine andere primaumlr oumlkonomische Gestalt (S 261)

Dies mag fuumlr fortgeschrittene Industrielaumlnder zutreffen Gilt dies aberebenso fuumlr Laumlnder der Dritten Welt

Dies zu den Konsequenzen aus Nietzsches Antiegalitarismus Was seinenUrsprung angeht so beruft sich Tugendhat auf die These seines Lehrers KarlUlmer bdquodaszlig man Nietzsches ganzes Denken [ ] aus der Frage verstehenkann wie groszliges Menschentum und houmlhere Kulturlsquo moumlglich seienldquo26) undfuumlgt hinzu

Hinter dieser Frage stand nun fuumlr Nietzsche die Uumlberzeugung daszlig es einerseitsgroszlige (bdquohoumlhereldquo) und andererseits bdquogewoumlhnlicheldquo bdquoniedrigeldquo Menschen gibt [ ]Es scheint ein bei Nietzsche bis in die Adoleszenz zuruumlckreichendes Axiomgewesen zu sein daszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassenfallen Wie man fruumlher als Adliger oder Plebejer geboren wurde so dachte sichNietzsche die Differenz zwischen besonderen und gewoumlhnlichen Menschen als

26) Vgl Karl Ulmer Nietzsche Einheit und Sinn seines Werkes Francke Bern Muumlnchen1962 ( Delp Taschenbuumlcher Bd 363) bes S 12=

von Geburt vorgegeben (S 236)

Diese fuumlr Tugendhat ungewoumlhnlich vage Behauptung (scheint [] ein bisin die Adoleszenz [] zuruumlckreichendes Axiom [] gewesen zu seinlsquo) laumlszligt sichschwerlich aus Nietzsches Schriften und Briefen seiner Schuumller- undStudentenzeit belegen Was sich hier allenfalls findet sind zeittypischeBekundungen des Genieglaubens wie der Beginn des Aufsatzes Napoleonals Praesident (1862) bdquoDaszlig das Genie von andern und houmlhern Gesetzenabhaumlngig ist als der gewoumlhnliche Mensch von Gesetzen die oft denallgemeinen Grundsaumltzen von Moral u Recht zu widersprechen scheinenldquound daszlig bdquodas Genie den Gipfelpunkt natuumlrlicher und geistiger Harmoniebildetldquo27) Oder die Feier des bdquogroszligen Geistesldquo am Beginn seinesWallenstein-Aufsatzes (1863) bdquoEs ist eine Folge der geistigen Ueberlegenheitgroszliger Menschen daszlig sie ihre Umgebungen mit sich fortreiszligen so daszlig sichdie Groszligartigkeit ihrer Anschauungen und Handlungen in dem Geiste derihnen nahe Stehenden gleichsam wiederspiegeltldquo28) Oder Gegensatzpaare wieErsterlsquo vs Mitmenschenlsquo29) bdquoder Einzelneldquo vs bdquoMasseldquo bdquoMengeldquo bdquoUnzahlmittelmaumlszligiger Koumlpfeldquo30) bdquoordentlicher und ideenreicher Philologldquo vs

27) Friedrich Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe Begruumlndet v Giorgio Colli uMazzino Montinari weitergefuumlhrt v Wolfgang Muumlller-Lauter u Karl Pestalozzi 1 AbtBd 1-5 de Gruyter Berlin New York 1995-2003 Bd 2 S 357-362 hier S 357

28) Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist den Soldaten in Wallensteins Lager an derErhaltung ihres Feldherrn im Oberbefehl sehr gelegenldquo In ebd Bd 3 S 77-80 hierS 77

29) bdquoDer Erste der ein Kraut pflanzte oder saumlete eroumlffnete seinen Mitmenschen einunermeszligliches Feld der Thaumltigkeit und legte den Grund zu einem viel houmlheren Gradeder Erleuchtung und Milderungldquo (Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist der Ackerbau alsdie Grundlage aller gesetzlichen Ordnung und Gesittung zu betrachtenldquo [1863] In ebdS 91-95 hier S 92)

30) bdquoDen groszligen Gedanken produzirt nur der Einzelne Massenuumlberzeugungen haben-

immer etwas Halbes und Verschwommenes Dagegen sind die Triebe der Masse-

maumlchtiger als die des Einzelnen [ ] Es ist ein schrecklicher Gedanke eine- hellip -

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

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위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

von Geburt vorgegeben (S 236)

Diese fuumlr Tugendhat ungewoumlhnlich vage Behauptung (scheint [] ein bisin die Adoleszenz [] zuruumlckreichendes Axiom [] gewesen zu seinlsquo) laumlszligt sichschwerlich aus Nietzsches Schriften und Briefen seiner Schuumller- undStudentenzeit belegen Was sich hier allenfalls findet sind zeittypischeBekundungen des Genieglaubens wie der Beginn des Aufsatzes Napoleonals Praesident (1862) bdquoDaszlig das Genie von andern und houmlhern Gesetzenabhaumlngig ist als der gewoumlhnliche Mensch von Gesetzen die oft denallgemeinen Grundsaumltzen von Moral u Recht zu widersprechen scheinenldquound daszlig bdquodas Genie den Gipfelpunkt natuumlrlicher und geistiger Harmoniebildetldquo27) Oder die Feier des bdquogroszligen Geistesldquo am Beginn seinesWallenstein-Aufsatzes (1863) bdquoEs ist eine Folge der geistigen Ueberlegenheitgroszliger Menschen daszlig sie ihre Umgebungen mit sich fortreiszligen so daszlig sichdie Groszligartigkeit ihrer Anschauungen und Handlungen in dem Geiste derihnen nahe Stehenden gleichsam wiederspiegeltldquo28) Oder Gegensatzpaare wieErsterlsquo vs Mitmenschenlsquo29) bdquoder Einzelneldquo vs bdquoMasseldquo bdquoMengeldquo bdquoUnzahlmittelmaumlszligiger Koumlpfeldquo30) bdquoordentlicher und ideenreicher Philologldquo vs

27) Friedrich Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe Begruumlndet v Giorgio Colli uMazzino Montinari weitergefuumlhrt v Wolfgang Muumlller-Lauter u Karl Pestalozzi 1 AbtBd 1-5 de Gruyter Berlin New York 1995-2003 Bd 2 S 357-362 hier S 357

28) Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist den Soldaten in Wallensteins Lager an derErhaltung ihres Feldherrn im Oberbefehl sehr gelegenldquo In ebd Bd 3 S 77-80 hierS 77

29) bdquoDer Erste der ein Kraut pflanzte oder saumlete eroumlffnete seinen Mitmenschen einunermeszligliches Feld der Thaumltigkeit und legte den Grund zu einem viel houmlheren Gradeder Erleuchtung und Milderungldquo (Friedrich Nietzsche bdquoIn wie fern ist der Ackerbau alsdie Grundlage aller gesetzlichen Ordnung und Gesittung zu betrachtenldquo [1863] In ebdS 91-95 hier S 92)

30) bdquoDen groszligen Gedanken produzirt nur der Einzelne Massenuumlberzeugungen haben-

immer etwas Halbes und Verschwommenes Dagegen sind die Triebe der Masse-

maumlchtiger als die des Einzelnen [ ] Es ist ein schrecklicher Gedanke eine- hellip -

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

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2000 985172 Die Zeit985173

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

bdquoFabrikarbeiter im Dienste der Wissenschaftldquo31) Schlieszliglich der gutstudentische Ausruf des Frischpromovierten bdquoPhilister zu sein ἄνθρωπος ἄμο

Heerdenmensch davor behuumlte mich Zeus und alle Musenldquoυσος 32)

Der konkrete Ausgangspunkt von Nietzsches antiegalitaumlren Tiraden istvielmehr in den (bereits von Derrida mit dem Nazismus in Verbindunggebrachten) oumlffentlichen Vortraumlgen Ueber die Zukunft unsererBildungsanstalten vom Beginn seiner Basler Professorentaumltigkeit (Anfang1872) zu finden Denn hier geiszligelt es Nietzsche als bdquonichtswuumlrdige Signaturunsrer gebildeten Gegenwartldquo daszlig man bdquodie Rechte des Genius [ ]demokratisirt [ ] um der eignen Bildungsarbeit und Bildungsnoth enthobenzu seinldquo ( S 666) bdquoDie eigentliche Bildungsaufgabe waumlre demnachmoumlglichst courantelsquo Menschen zu bildenldquo (S 667) Eine solchebdquoallerallgemeinste Bildungldquo aber sei bdquoeben die Barbareildquo (S 668)Dagegen fordert Nietzsche bdquoeine wahre dh eine aristokratische auf eineweise Auswahl der Geister gestuumltzte Bildungldquo (S 712) ja er bezeichnet diebdquoConcentration der Bildung auf Wenigeldquo als ein bdquonothwendiges Gesetz der[ ] Naturldquo (S 647) Doch sei bdquoauch diese kleine Anzahl von wahrhaftGebildeten nicht einmal moumlglich wenn nicht eine grosse Masse im Grundegegen ihre Natur und nur durch eine verlockende Taumluschung bestimmt sich

Unzahl mittelmaumlszligiger Koumlpfe mit wirklich einfluszligreichen Dingen beschaumlftigt zu wissenDas zeigt die Halbheit u Leidenschaft aller politischen Bestrebungen in der Menge-

Aumlhnlich steht es mit theologischen Dingenldquo ( Nachgelassene Aufzeichnungen 56 [2] Inebd Bd 3 S 362f)

31) Nachgelassene Aufzeichnungen 52 [30] In ebd S 222f In einem Freundesbrief an-

Erwin Rohde lt20 11 1868gt setzt Nietzsche das bdquowimmelnde Philologengezuumlchtunserer Tageldquo bdquounserm Geniusldquo in Opposition zu bdquounserm Geniusldquo (Friedrich NietzscheSaumlmtliche Briefe Kritische Studienausgabe in 8 Baumlnden Hrsg v Giorgio Colli uMazzino Montinari Deutscher Taschenbuch Verlag u de Gruyter 1968 hier Bd 2 S344 kuumlnftig zitiert mit der Sigle- KSB und Band- u Seitenzahl)

32) Nietzsche an Carl von Gersdorff lt11 4 1869gt In ebd S 385

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

국문초록lt gt

위험한 인간 니체

- -

-

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2000 985172 Die Zeit985173

lsquo rsquo lsquo rsquolsquo rsquo lsquo rsquo

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lsquo rsquo ldquo rdquo lsquo

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

mit der Bildung einlieszligeldquo und in dieser bdquolaumlcherlichen Improportionalitaumlt [ ]stecke das eigentliche Bildungsgeheimniszlig daszlig naumlmlich zahllose Menschenscheinbar fuumlr sich im Grunde nur um einige wenige Menschen moumlglich zumachen nach Bildung ringen fuumlr die Bildung arbeitenldquo (S 665) UndNietzsche vergiszligt nicht abschlieszligend einzuschaumlrfen bdquoalle Bildung faumlngt mitdem Gegentheile dessen an was man jetzt als akademische Freiheit preistmit dem Gehorsam mit der Unterordnung mit der Zucht mit derDienstbarkeitldquo (S 750)

In der Vorrede zu dem ungeschriebenen Buchlsquo Der griechische Staat(Weihnachten 1872) radikalisiert Nietzsche dies zu der bdquograusam klingende[n]Wahrheitldquo

daszlig zum Wesen einer Kultur das Sklaventhum gehoumlre [ ] Das Elend dermuumlhsam lebenden Menschen muszlig noch gesteigert werden um einer geringenAnzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermoumlglichen [ ]Deshalb duumlrfen wir auch die herrliche Kultur mit einem bluttriefenden Siegervergleichen der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesseltenBesiegten als Sklaven mitschleppt als welchen eine wohlthaumltige Macht die Augenverblendet hat so daszlig sie von den Raumldern des Wagens fast zermalmt doch nochrufen bdquoWuumlrde der Arbeitldquo bdquoWuumlrde des Menschenldquo ( S 767 769)

Im Gegensatz zur Antike seien bdquoaus der Verzaumlrtelung des neuerenMenschen [ ] die ungeheuren socialen Nothstaumlnde der Gegenwart geborenldquoja in einer fragmentarischen Variante (Anfang 1871) faumlhrt Nietzsche ganzoffen fort bdquoals deren im Wesen der Natur liegendes Gegenmittel ich dieSklaverei sei es auch unter mildernden Namen zu empfehlen wage dieSklaverei die weder dem urspruumlnglichen Christenthum noch demGermanenthum irgendwie anstoumlszligig geschweige denn verwerflich zu sein

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

국문초록lt gt

위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

lsquo rsquo lsquo rsquolsquo rsquo lsquo rsquo

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

duumlnkteldquo ( S 341 Frg 10 [1])

In den Nachgelassenen Fragmentenlsquo jener Jahre kehren solcheUumlberlegungen vielfaumlltig variiert wieder Deutlicher als die gleichzeitigenabgeschlossenen Schriften zeigen sie einerseits die konkrete Verankerung inNietzsches akademischer Disziplin der klassischen Philologie etwa

Wenn Friedrich August Wolf die Nothwendigkeit der Sklaven im Interesse einerKultur behauptet hat so ist dies eine der kraumlftigsten Erkenntnisse meines groszligenVorgaumlngers zu deren Erfassung die Anderen zu weichlich sind ( S 156 7[79])Ich wuumlrde aus meinem idealen Staate die sogenannten bdquoGebildetenldquo hinaustreibenwie Plato die Dichter dies ist mein Terrorismus ( S 164 7 [113])Mein Ziel ist volle Feindschaft zwischen unserer jetzigen bdquoCulturldquo und demAlterthum zu erzeugen Wer der ersten dienen will muss das letztere hassen( S 33 3 [68])

Andererseits machen sie gelegentlich schlaglichtartig Nietzsches aktuellepolitische Befuumlrchtungen namhaft

Die allgemeine Bildung ist nur ein Vorstadium des Communismus Die Bildungwird auf diesem Wege so abgeschwaumlcht daszlig sie gar kein Privilegium mehrverleihen kann Am wenigsten ist sie ein Mittel gegen den Communismus Dieallgemeinste Bildung dh die Barbarei ist eben die Voraussetzung desCommunismus [ ] ( S 243 8 [57])Bakunin [ ] will nur die bisherige Bildung das ganze geistige Weiterlebenvernichten [ ] Die Bildung uumlbertraumlgt sich nicht einfach durch die GenerationSie ist viel gefaumlhrdeter sie kann Jahrhunderte lang wirklich vernichtet werdenEs ist moumlglich die Bildung zu vernichten Sie zu ruiniren ist sogar sehrleicht und das Werk weniger Menschen und Jahre [ ] ( S 580f 26 [14])

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

국문초록lt gt

위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

So scheint es auf den ersten Blick noch ganz innerhalb des bisherigenNietzscheschen Horizonts zu liegen wenn er im Maumlrz 1875 von derbdquoErzeugung von besseren Menschenldquo als bdquoAufgabe der Zukunftldquo ( S 363 [75]) spricht und wenn er wenig spaumlter notiert

Mich interessirt allein das Verhaumlltniss des Volkes zur Erziehung des Einzelnenund da ist allerdings bei den Griechen Einiges sehr guumlnstig fuumlr die Entwicklungdes Einzelnen doch nicht aus Guumlte des Volkes sondern aus dem Kampf derboumlsen TriebeMan kann durch gluumlckliche Erfindungen das grosse Individuum nochganz anders und houmlher erziehen als es bis jetzt durch die Zufaumllleerzogen wurde ( S 43 5 [11])

Doch er fuumlgt noch einen Satz hinzu bdquoDa liegen meine HoffnungenZuumlchtung der bedeutenden Menschenldquo (ebd) und unternimmt damit einefolgenreiche Verknuumlpfung zwischen seiner aristokratischen Bildungskonzeptionund dem aufkommenden Sozialdarwinismus33) die 1885 in die Absichtmuumlndet bdquoeine regierende Kaste zu zuumlchten die zukuumlnftigen Herren derErdeldquo ( S 582 37 [8]) bis es schlieszliglich in einem der allerletztenFragmente programmatisch heiszligt

die groszlige Politik will die Physiologie zur Herrin uumlber alle anderen Fragenmachen sie will eine Macht schaffen stark genug die Menschheit als Ganzes

33) So hatte Nietzsche schon 1872 73 notiert bdquoDie entsetzliche Consequenz des Darwinismusden ich uumlbrigens fuumlr wahr halte [ ]ldquo ( S 461 19 [132]) Andererseits wendet erhellip Ⅶ

sich spaumlter im 5 Buch der Froumlhlichen Wissenschaft (1887) gegen den bdquoDarwinismus mitseiner unbegreiflich einseitigen Lehre vom Kampf umrsquos Daseinlsquoldquo bdquoUm den ganzenenglischen Darwinismus herum haucht Etwas wie englische Uebervoumllkerungs-Stickluftwie Kleiner-Leute-Geruch von Noth und Engeldquo ( S 585 Nr 349)Ⅳ

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

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위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

und Houmlheres zu zuumlchten mit schonungsloser Haumlrte gegen das Entartende undParasitische am Leben [ ] ( S 638 25 [1])

Denn mochte man es noch fuumlr eine faccedilon de parler halten wenn inMenschliches Allzumenschliches I (1878) unter der Uumlberschrift bdquoVon Gebluumltldquo( S 287 Nr 440) von bdquodurch Vererbung immer mehr gesteigerte[n]Kuumlnste[n]ldquo gesprochen wird so ist es eine ganz unmiszligverstaumlndlicheNaturalisierung sozialer Normen wenn Nietzsche 1881 im Hinblick auf diebdquoEigenschaften des niedersten belebten Wesensldquo behauptet bdquoSklaverei istnothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebenso Kastenldquo ( S490f 11 [134]) und das Individuum eine bdquoAmoumlben-Einheitldquo (S 515 11[189]) nennt Und dies getreu dem Programm

Meine Aufgabe die Entmenschung der Natur und dann die Vernatuumlrlichung desMenschen nachdem er den reinen Begriff bdquoNaturldquo gewonnen hat (S 525 11 [211])

Mit dieser programmatischen bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo ist dann der Weggebahnt zur Feier der bdquoliebliche[n] Bestie Menschldquo34) ja der bdquoblonde[n] Bestieldquodie bdquovielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord NiederbrennungSchaumlndung Folterung mit einem Uumlbermuthe und seelischen Gleichgewichtedavongehe wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei uumlberzeugt davondass die Dichter fuumlr lange nun wieder Etwas zu singen und zu ruumlhmen habenldquo35)

34) Die froumlhliche Wissenschaft (1882 S 555 Nr 327)- Ⅲ

35) Zur Genealogie der Moral (1887 V S 275 Nr 11) Kurz darauf spricht- Ⅰ

Nietzsche vom bdquoWuumlthen der blonden germanischen Bestieldquo um schlieszliglich zuresuumlmieren bdquoMan mag im besten Rechte sein wenn man vor der blonden Bestie aufdem Grunde aller vornehmen Rassen die Furcht nicht los wird und auf der Hut istaber wer moumlchte nicht hundertmal lieber sich fuumlrchten wenn er zugleich bewunderndarf als sich nicht fuumlrchten aber dabei den ekelhaften Anblick des MissrathenenVerkleinerten Verkuumlmmerten Vergifteten nicht mehr los werden koumlnnen Und ist dasnicht unser Verhaumlngnissldquo (Ebd S 276f) Vgl hierzu Detlef Brennecke bdquoDie blonde

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

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위험한 인간 니체

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2000 985172 Die Zeit985173

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

bdquoSklaverei ist nothwendig zur Bildung eines houmlheren Organismus ebensoKastenldquo diese Notiz unternimmt aber nicht nur einen Bruumlckenschlag vonNietzsches disziplinaumlrem Ausgangspunkt der Klassischen Philologie zurBiologie sondern auch zur damals aufbluumlhenden Indologie und dies nichtzum ersten Mal Lobte er doch schon im Januar 1875 seinen JugendfreundPaul Deussen den Schopenhauerianer und Sanskrit-Philologen fuumlr seinbegonnenes bdquoedles Lebenswerk [ ] die indische Philosophie durch guteUumlbersetzungen uns zugaumlnglich zu machenldquo und aumluszligerte seine bdquoBegierdeselber aus jener Quelle zu trinken welche Du uns allen einmal oumlffnen willstldquo(KSB V S 10f)36) wie er auch dem gemeinsamen Freund Carl vonGersdorff bekannte daszlig bdquoich mit einer Art von wachsendem Durst michgerade in den 2 letzten Monaten nach Indien umsahldquo ja aus derenglischen Uumlbersetzung der buddhistischen Sutta Nipaacuteta habe er schon einesder festen Schluszligworte uumlbernommen bdquoso wandle ich einsam wie dasRhinocerosldquo (lt13 12 1875gt ebd S 127f) So ruumlhmte er acht Jahrespaumlter Deussens Vedanta-Werk als bdquoden klassischen Ausdruck der mirfremdesten Denkweiseldquo indem sein Also sprach Zarathustra bdquoungefaumlhr mitderselben Beredsamkeit Ja sagt wo Dein Buch Nein sagtldquo37)

Bestie Vom Miszligverstaumlndnis eines Schlagwortsldquo In Nietzsche-Studien 5 (1976) S113-145

36) Vgl auch Johann Figl bdquoNietzsches fruumlhe Begegnung mit dem Denken Indiens Auf derGrundlage seiner unveroumlffentlichten Kollegnachschrift aus Philosophiegeschichte (1865)ldquoIn Nietzsche-Studien 18 (1989) S 455-471

37) Nietzsche an Paul Deussen lt16 3 1883gt (KSB S 342f) Kurz zuvor hatteⅥ

Nietzsche schon an Franz Overbeck geschrieben bdquoDeussens Vedanta-Werk istausgezeichnet Uumlbrigens bin ich fuumlr diese Philosophie beinahe das boumlse Principldquo (lt6 31883gt ebd S 339)-

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

E-Mail hbirusjacobs-universityde 2007 9 30 2007 10 18 2007 10 30

Dementsprechend erwaumlhnt Nietzsche schon in der Geburt der Tragoumldie( S 133) den Buddhismus den er bald darauf in der 3 UnzeitgemaumlssenBetrachtung Schopenhauer als Erzieher (1874) noch ganz unbefangen mitdem Christentum in Parallele setzt ( S 410f) waumlhrend er schlieszliglichbeide im Antichrist ( S 186 sect 20) zwar als bdquonihilistischeldquo bzw alsbdquodeacutecadence-Religionenldquo bezeichnet den Buddhismus aber als bdquohundert Malrealistischer als das Christenthumldquo als bdquodie einzige eigentlich positivistischeReligionldquo und als bdquojenseits von Gut und Boumlseldquo stehend feiert bdquoDerBuddhismus nochmals gesagt ist hundert Mal kaumllter wahrhafter objektiverldquo(ebd S 189 sect 23) Ja er identifiziert ihn mit seinem eigenen Programmeiner bdquoVernatuumlrlichung des Menschenldquo indem er in Ecce homo dem bdquotiefe[n]Physiolog[en] Buddhaldquo seine Verehrung bezeugt

bdquoNicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende durch Freundschaft kommtFeindschaft zu Endeldquo das steht am Anfang der Lehre Buddharsquos so redetnicht die Moral so redet die Physiologie ( S 273 bdquoWarum ich so weisebinldquo 6)

Daher flankiert er in seinen Notizheften den beruumlhmten Schluszlig von Eccehomo bdquoDionysos gegen den Gekreuzigten ldquo (ebd S 374) mit der analogenFormel bdquoBuddha gegen den Gekreuzigtenlsquoldquo ( S 267 14 [91])

In aumlhnlicher Weise hat Nietzsche bereits fruumlh den Hinduismus im Blickwenn er in der 2 Unzeitgemaumlssen Betrachtung Vom Nutzen und Nachtheilder Historie fuumlr das Leben (1874) das Gesellschaftsmodell von PlatonsPoliteia mit einer bdquoKastenordnungldquo ( S 328) vergleicht Und er sieht seineUumlberlegungen zur Kulturnotwendigkeit der Sklaverei geradezu durch dasindische Kastensystem bestaumltigt so daszlig er in Menschliches AllzumenschlichesI (1878) unter der Uumlberschrift bdquoCultur und Kasteldquo (II S 286f Nr 439)

notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

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Schluumlsselbegriffe Wille zur Macht Freiheit und Selbstverantwortung

Umwertung aller Werte Tod Gottes Wahnsinn

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notiert

Eine houmlhere Cultur kann allein dort entstehen wo es zwei unterschiedene Kastender Gesellschaft giebt die der Arbeitenden und die der Muumlssigen zu wahrerMusse Befaumlhigten oder mit staumlrkerem Ausdruck die Kaste der Zwangs-Arbeitund die Kaste der Frei-Arbeit Der Gesichtspunct der Vertheilung des Gluumlcks istnicht wesentlich wenn es sich um die Erzeugung einer houmlheren Cultur handeltjedenfalls aber ist die Kaste der Muumlssigen die leidensfaumlhigere leidendere ihrBehagen am Dasein ist geringer ihre Aufgabe groumlsser

Gleichsam als Widerlegung des ihm von Tugendhat unterstellen Axiomslsquobdquodaszlig die Menschen in zwei blutsmaumlszligig geschiedene Klassen fallenldquo faumlhrtNietzsche aber fort

Findet nun gar ein Austausch der beiden Kasten statt so dass die stumpferenungeistigeren Familien und Einzelnen aus der oberen Kaste in die niedereherabgesetzt werden und wiederum die freieren Menschen aus dieser den Zustandzur houmlheren erlangen so ist ein Zustand erreicht uumlber den hinaus man nur nochdas offene Meer unbestimmter Wuumlnsche sieht So redet die verklingendeStimme der alten Zeit zu uns aber wo sind noch die Ohren sie zu houmlren

In der Genealogie der Moral (1887) ist von einer solchen Liberalisierungder Kastenordnung nicht mehr die Rede Ja im Fruumlhjahr 1888 notiertNietzsche (XIII S 394f 14 [221])

Die Ordnung der Kasten beruht auf der Beobachtung daszlig es drei oder vierArten Mensch giebt zu anderer Thaumltigkeit bestimmt und am besten entwickeltwie diese Thaumltigkeit durch Arbeitstheilung ihnen allen zusteht [ ]die Ordnung der Kasten ist nur die Sanktionirung eines Naturabstandes

zwischen mehreren physiologischen Typen (Charakteren Temperamenten usw) [ ]a) die geistigeren Menschen ( die Gelehrten die Rathgeber die Richter die

Philosophen ) Lehrstandb) die muskulaumlren Menschen der Kriegerstand Wehrstandc) die Handel Landbau und Viehzucht lttreibendengt Naumlhrstandd) endlich die niedrige (unterworfene Art) von Eingeborenen als

Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

homo Kapitels bdquoWarum ich ein Schicksal binldquo (VI S 365)

Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

Nie war Nietzsche vom Wahnsinn entfernter als in einem solchen Satz

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Dienstboten-Rasse anerkannt [ ]

Dieser Lobpreis der Kastenordnung kulminierte wenige Monate vorNietzsches geistigem Zusammenbruch als er auf eine franzoumlsischeUumlbersetzung des Mānava-Dharmaśāstra38) stieszlig und daruumlber am 31 5 1888begeistert an Heinrich Koumlselitz (alias Peter Gast) schrieb

Dies absolut arische Erzeugniszlig ein Priestercodex der Moral auf Grundlage der

Veden der Kasten Vorstellung und uralten Herkommens nicht pessimistischwie sehr auch immer priesterhaft ergaumlnzt meine Vorstellungen uumlber Religionin der merkwuumlrdigsten Weise Ich bekenne den Eindruck daszlig mir alles Anderewas wir von groszligen Moral-Gesetzgebungen haben als Nachahmung und selbstCarikatur davon erscheint voran der Aegypticismus aber selbst Plato scheint mirin allen Hauptpunkten einfach bloszlig gut belehrt durch einen Brahmanen(KSBVIII S 325)

In diesem Sinne nennt Nietzsche im Antichrist das bdquoGesetzbuch des Manuldquobdquoein unvergleichlich geistiges und uumlberlegenes Werk das mit der Bibel auchnur in Einem Athem [zu] nennen eine Suumlnde wider den Geist waumlreldquo (VI S240 sect 56) und entwirft auf dieser Basis in seinen bdquoNachgelassenenFragmentenldquo eine Typologie der Religionen

Ja-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse ManuJa-sagende semitische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse AT Islam

38) Vgl Annemarie Etter bdquoNietzsche und das Gesetzbuch des Manuldquo In Nietzsche-Studien16 (1987) S 340-352

Nein-sagende arische Religion als Ausgeburt der herrschenden Klasse BuddhismusNein-sagende semitische Religion als Ausgeburt der unterdruumlckten Klasse NT

mit dem fragwuumlrdigen Resuumlmee bdquoEs ist vollkommen in Ordnung daszligwir keine Religion unterdruumlckter arischer Rassen haben denn das ist einWiderspruch eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zu Grundeldquo ( S380f 14 [195])

Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

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Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

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Doch alsbald unternimmt Nietzsche in mehreren Anlaumlufen einevernichtende bdquoKritik des Manu-Gesetzbuchsldquo als bdquoTheologen-Brutanstaltldquo undbdquoSchule der Verdummungldquo ( S 385f 14 [203]) als auf der bdquoheiligenLuumlgeldquo ruhendes bdquodurchdachte[s] System der Unterdruumlckungldquo (S 439f 15[45]) und zieht daraus den alle gaumlngigen rassistischen Klischees ins Gegenteilverkehrenden Schluszlig

Man redet heute viel von dem semitischen Geiste des neuen Testaments aberwas man so nennt ist bloszlig priesterlich und im arischen Gesetzbuch reinsterRasse im Manu ist diese Art bdquoSemitismusldquo dh Priester-Geist schlimmer alsirgendwo (S 386 14 [203])

Wir haben das klassische Muster als spezifisch arisch wir duumlrfen also diebestausgestattete und besonnenste Art Mensch verantwortlich machen fuumlr diegrundsaumltzlichste Luumlge die je gemacht worden ist Man hat das nachgemachtuumlberall beinahe der arische Einfluszlig hat alle Welt verdorben (S 440 15 [45])

So erstaunlich diese radikale Kehrtwendung erscheinen mag sie ist nichtuncharakteristisch fuumlr das letzte Jahr vor dem Ausbruch von NietzschesWahnsinn Denn zwar erfahren hier seine Tiraden oft eine aumluszligersteSteigerung ins Schrille und Megalomane wie etwa am Beginn des Ecce

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Ich kenne mein Loos Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung anetwas Ungeheures anknuumlpfen an eine Krisis wie es keine auf Erden gab andie tiefste Gewissens-Collision an eine Entscheidung heraufbeschworen gegenAlles was bis dahin geglaubt gefordert geheiligt worden war Ich bin keinMensch ich bin Dynamit

Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

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Zugleich aber laumlszligt Nietzsche vor allem in nicht zur Publikationbestimmten Aufzeichnungen zunehmend verfestigte Selbststilisierungen fallenSo ist es ein ganz ungewohnter Ton der Maumlszligigung wenn er zu bedenkengibt

Der Haszlig gegen die Mittelmaumlszligigkeit ist eines Philosophen unwuumlrdig es ist fastein Fragezeichen an seinem Recht auf bdquoPhilosophieldquo Gerade deshalb weil er dieAusnahme ist hat er die Regel in Schutz zu nehmen hat er allem Mittleren denguten Muth zu sich selber zu erhalten (XII S 559f 10 [175])

Oder wenn er ungeachtet seiner radikalen Kritik der Gegenwart einraumlumt

Im Groszligen gerechnet ist in unsrer jetzigen Menschheit ein ungeheures Quantumvon Humanitaumlt erreicht Daszlig dies im allgemeinen nicht empfunden wird ist

selber ein Beweis dafuumlr wir sind fuumlr die kleinen Nothstaumlnde so empfindlichgeworden daszlig wir das was erreicht ist unbillig uumlbersehen [ ] Ich versuche aufmeine Weise eine Rechtfertigung der Geschichte (XIII S 449f 15 [63])

Waumlhrend er aber seit seinen schriftstellerischen Anfaumlngen etwa in demAphorismus bdquoDer Krieg unentbehrlichldquo (Menschliches Allzumenschliches INr 477 II S 311f) immer wieder einen bdquoPaumlan auf den Kriegldquo (VIIS 346f 10 [1]) angestimmt hatte ja in der spaumlten Goumltzen-Daumlmmerung den

Krieg als wichtigstes Mittel zur bdquoUmwerthung aller Werteldquo proklamierte (VIS 57) weil er zur Freiheit und Selbstverantwortung erziehe (ebd S 139)notierte er unmittelbar am Rande des Wahnsinns unter der Uumlberschrift bdquoLetzteErwaumlgungldquo

Zuletzt koumlnnten wir selbst der Kriege entrathen [ ] wir haben Alles noch zuorganisiren Es giebt noch wirksamere Mittel die Physiologie zu Ehren zubringen als durch Lazarethe ich wuumlszligte einen besseren Gebrauch von den 12Milliarden zu machen die der bdquobewaffnete Friedeldquo heute Europa kostet Undkurz und gut (XIII S 644 25 [14])

Und er schreibt in der unmittelbar darauf folgenden Notiz (ebd S 645 25[15]) in einer Mischung aus Wahn und Hellsicht

Niemand verlangt strenger als ich daszlig Jedermann Soldat ist es giebt durchauskein anderes Mittel ein ganzes Volk zu den Tugenden des Gehorchens undBefehlens zum Takt in Haltung und Gebaumlrden zu der froumlhlichen und tapferenArt [ ] zu der Freiheit des Geistes inzwischen zu erziehen [ ] es giebtauch kein anders Mittel um uumlber jede Kluft von Rang Geist Aufgabe hinwegein maumlnnliches gegenseitiges Wohlwollen uumlber ein ganzes Volk hinzubreiten[ ] Daszlig man eine solche Auslese der Kraft und Jugend und Macht nachher vordie Kanonen stellt ist Wahnsinn

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