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1 Deutscher Berufsverband für Altenpflege e.V. Mehr als gute Pflege - Altenpflege Stellungnahme Deutscher Berufsverband für Altenpflege (DBVA) zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufsgesetz) Die geplante Zusammenführung der drei Pflegefachberufe „Altenpflege“, „Gesundheits- und Krankenpflege“ und „Gesundheits- und Kinderkrankenpflege“ wird aktuell als Entwurf des Pflegeberufereformgesetzes im Deutschen Bundestag beraten. Der Deutsche Berufsverband für Altenpflege, der als der Verband für die Belange um die pflegerische Versorgung alter Menschen zuständig ist, weiß seit vierzig Jahren, welche Fachexpertise Pflegepersonal in der Betreuung und der fachspezifischen Pflege alter Menschen in den unterschiedlichen Settings (Häuslichkeit, Tagespflege, Wohngemeinschaften, stationäre und ambulante Pflege, Krankenhaus, Reha- Einrichtungen etc.) benötigt, möchte Ihnen daher seine Einschätzung zum Pflegeberufegesetz näherbringen. Grundsätzlich ist es anerkennenswert, dass mit dem vorgelegten Referentenentwurf die Pflegeberufe aufgewertet werden sollen. Diesen Anspruch erfüllt der Referentenentwurf trotz einiger positiver Ansätze jedoch nicht. Die Kardinalprobleme in der Pflege, wie zum Beispiel die Verbesserung der Arbeits- bedingungen und Verdienstmöglichkeiten, kann ein Pflegeberufegesetz gar nicht beeinflussen. Dafür ist eine gesetzliche Personalbemessung für alle Beschäftigten in der Akut- und Langzeitpflege erforderlich sowie Tarifverträge. Eine ausreichende Zahl an Pflegefachkräften kann aber langfristig nur gewonnen und gehalten werden, wenn sich Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten spürbar und nachhaltig verbessern. Für die auch vom DBVA seit langem geforderte Abschaffung des Schulgeldes, das in einigen Bundesländern für die Altenpflegeausbildung noch erhoben wird, ist das Pflegeberufegesetz nicht nötig, da dieses unkompliziert auch durch die Länder geschehen kann. Das Pflegeberufegesetz birgt dagegen aber – aus unserer Sicht - erhebliche Gefahren und Nachteile, auf die wir mit dieser Stellungnahme hinweisen.

Deutscher Berufsverband für Altenpflege e.V. Mehr als gute ... · 1 Deutscher Berufsverband für Altenpflege e.V. Mehr als gute Pflege - Altenpflege Stellungnahme Deutscher Berufsverband

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Deutscher Berufsverband für Altenpflege e.V.

Mehr als gute Pflege - Altenpflege

Stellungnahme Deutscher Berufsverband für Altenpflege (DBVA)

zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe

(Pflegeberufsgesetz)

Die geplante Zusammenführung der drei Pflegefachberufe „Altenpflege“, „Gesundheits- und Krankenpflege“ und „Gesundheits- und Kinderkrankenpflege“ wird aktuell als Entwurf des Pflegeberufereformgesetzes im Deutschen Bundestag beraten. Der Deutsche Berufsverband für Altenpflege, der als der Verband für die Belange um die pflegerische Versorgung alter Menschen zuständig ist, weiß seit vierzig Jahren, welche Fachexpertise Pflegepersonal in der Betreuung und der fachspezifischen Pflege alter Menschen in den unterschiedlichen Settings (Häuslichkeit, Tagespflege, Wohngemeinschaften, stationäre und ambulante Pflege, Krankenhaus, Reha-Einrichtungen etc.) benötigt, möchte Ihnen daher seine Einschätzung zum Pflegeberufegesetz näherbringen. Grundsätzlich ist es anerkennenswert, dass mit dem vorgelegten Referentenentwurf die Pflegeberufe aufgewertet werden sollen. Diesen Anspruch erfüllt der Referentenentwurf trotz einiger positiver Ansätze jedoch nicht. Die Kardinalprobleme in der Pflege, wie zum Beispiel die Verbesserung der Arbeits-bedingungen und Verdienstmöglichkeiten, kann ein Pflegeberufegesetz gar nicht beeinflussen. Dafür ist eine gesetzliche Personalbemessung für alle Beschäftigten in der Akut- und Langzeitpflege erforderlich sowie Tarifverträge. Eine ausreichende Zahl an Pflegefachkräften kann aber langfristig nur gewonnen und gehalten werden, wenn sich Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten spürbar und nachhaltig verbessern. Für die auch vom DBVA seit langem geforderte Abschaffung des Schulgeldes, das in einigen Bundesländern für die Altenpflegeausbildung noch erhoben wird, ist das Pflegeberufegesetz nicht nötig, da dieses unkompliziert auch durch die Länder geschehen kann. Das Pflegeberufegesetz birgt dagegen aber – aus unserer Sicht - erhebliche Gefahren und Nachteile, auf die wir mit dieser Stellungnahme hinweisen.

verthiedemmi
Ausschussstempel - mehrzeilig

2

Der Gesetzentwurf sieht vor, die bisher drei separaten dreijährigen, jeweils passgenauen Ausbildungen zu einer generalistischen Ausbildung zusammenzufassen. Da die neue Ausbildung genau wie die bisherigen Einzelausbildungen auch drei Jahre dauern wird, ist davon auszugehen, dass eine generalistische Ausbildung zwar breiter angelegt ist, aber an Tiefe verlieren wird. Dies wird zu einem Verlust der spezifischen und notwendigen Kompetenzen sowohl in der Altenpflege als auch in der Kinderkrankenpflege führen. Eine ausschließliche Basisqualifizierung widerspricht den immer komplexer werdenden Versorgungsanforderungen in der Akut- und Langzeitpflege, Altenpflege und Kinderkrankenpflege. Eine generalistische Ausbildung, die das Fachwissen verflacht, kann demzufolge keine Antwort auf komplexer werdende Versorgungsbedürfnisse sein. Die Zusammenlegung der Berufe wird zu einem oberflächlichen Breitenwissen und mangelnder Berufsfähigkeit führen. Mangelnde Berufsfähigkeit nach einer dreijährigen Pflegeausbildung führt zu Frustration bei den Berufsangehörigen und fördert Berufsausstiegsgedanken. Die Einführung der generalistischen Ausbildung ist ein Wagnis mit Chancen und Risiken. Eine dringend notwendige Chancen-Risiko-Abwägung wurde nicht vorgenommen. Eine eingehendere Erprobung gibt es bislang nicht. Die in den Eckpunkten für die Ausbildungs- und Prüfungsordnung zitierte „Synopse evaluierter Modellprojekte“ von Prof. Görres hat zwar 26 abgeschlossene Modellprojekte ausgewertet, von diesen waren aber nur zwei generalistisch, die übrigen integrativ oder integriert. Eine Überlegenheit des generalistischen Modells konnte nicht festgestellt werden. Die Modellversuche haben sämtlich bestätigt, dass eine Ausbildungszeit von drei Jahren nicht reicht und eine Verlängerung der Ausbildungszeit notwendig ist. Das Pflegeberufegesetz birgt nach Auffassung des DBVA erhebliche Gefahren und Nachteile für die zu Pflegenden, auf die wir Sie hinweisen möchten. Der Deutsche Berufsverband für Altenpflege spricht sich daher für den Erhalt und die Weiterentwicklung der drei eigenständigen Ausbildungen in der Pflege aus. Die Spezifika der Berufsbilder müssen erhalten bleiben. Der DBVA begründet dieses wie folgt: Basisqualifizierung widerspricht komplexer werdenden Versorgungsan-forderungen (Verlust von Fachkompetenz in allen drei Pflegeberufen) Der Entwurf sieht vor, dass die bisher drei separaten dreijährigen Ausbildungen der Krankenpflege, der Altenpflege und der Kinderkrankenpflege zu einer sogenannten generalistischen Ausbildung zusammengefasst werden. Da die neue Ausbildung genau wie die bisherigen Einzelausbildungen auch drei Jahre dauern wird, ist davon auszugehen, dass eine generalistische Ausbildung zwar breiter angelegt ist, aber an Tiefe verlieren wird. Dies wird zu einem Verlust der spezifischen und notwendigen Kompetenzen sowohl in der Altenpflege wie auch in der Kinderkrankenpflege führen. Eine ausschließliche Basisqualifizierung widerspricht den immer komplexer werdenden Versorgungsanforderungen in der Akut- und Langzeitpflege wie auch der Kinderkrankenpflege.

3

Eine generalistische Ausbildung, die das Fachwissen verflacht, kann demzufolge keine Antwort auf komplexer werdende Versorgungsbedürfnisse sein. Insgesamt tendiert die Entwicklung im Gesundheitswesen immer stärker zur Spezialisierung der medizinischen Disziplinen; dadurch steigt zum Beispiel in den Kliniken die Nachfrage nach spezialisierten Pflegekräften. Dieser Bedarf hat zur Entwicklung neuer Berufsbilder wie „Operationstechnischer Assistent“ (OTA), „Anästhesie-technischer Assistent“ (ATA), „Chirurgischtechnischer Assistent“ (CTA) und „Intensivmedizin-technischer Assistent“ (ITA) geführt, die in den Krankenhäusern inzwischen fest etabliert sind. Sollte die generalistische Pflegeausbildung realisiert werden, wären insbesondere kranke Kinder und die zu Pflegenden in der Langzeitpflege (bzw. Altenarbeit) eindeutig die Verlierer und damit leider auch Opfer der Pflegeausbildungsreform. Diese Erkenntnis führte daher insbesondere auch dazu, dass folgende medizinische Fachgesellschaften die generalistische Pflegeausbildung grundsätzlich ablehnen:1

o Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ, www.bvkj.de)

o Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ, www.dakj.de)

o Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie- und psychotherapie e.V.

(DGGPP)

o Deutsche Gesellschaft für Geriatrie e.V. (DGG)

o Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH, www.dgkch.de)

o Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ, www.dgkj.de)

o Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und

Psychotherapie (DGKJP, www.dgkjp.de)

o Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ,

www.dgspj.de)

o Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland

(GKinD, www.gkind.de)

o Verband der Leitenden Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen

Deutschlands (VLKKD,

Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery (Präsident der Bundesärztekammer) warnt mit

Blick auf die Krankenpflegekräfte „Die geplante breite, allgemein angelegte

Ausbildung mit wesentlich weniger praktischen Einsatzzeiten in den Krankenhäusern

als bisher müsse zwangsläufig an vielen Stellen zu Lasten der Tiefe einer

zielgerichteten Ausbildung gehen und laufe Gefahr, zu einer oberflächlichen

Schmalspur-Ausbildung zu verflachen.

Die Krankenhäuser müssten die Absolventen dann aufwendig nachschulen und

ihnen die erforderlichen Fachkenntnisse nachträglich vermitteln, was zusätzlich Zeit

und Geld koste und eine weitere Belastung für die anderen Mitarbeiter darstelle.“2

1 Kranke Kinder im Abseits: Hauptsache „irgendwie“ pflegen? – Kinderkrankenpflege soll abgeschafft werden,

http://www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/hauptsache-irgendwie-pflegereform-ignoriert-kinder/ Sowie: Schreiben der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie e.V. an Bundesminister Hermann Gröhe, http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&ved=0ahUKEwimgZfM0vDKAhWhIJoKHXwbBQkQFggnMAE&url=http%3A%2F%2Fwww.dvlab.de%2Fbuendnis-altenpflege%2Fpdf%2FGroehe_2016.pdf&usg=AFQjCNEn01W0zUo-SMYPm_iv7ghAHb_RgQ

4

Auch die Hamburger Krankenhausgesellschaft und die Ärztekammer Hamburg

warnen „Die Reform birgt drei wesentliche Risiken: das Interesse an einer

Ausbildung und Tätigkeit in der Akutpflege im Krankenhaus wird weiter abnehmen,

die Absolventen werden für ihre Tätigkeit im Krankenhaus schlechter qualifiziert sein,

und Ausbildungskapazitäten werden reduziert.“3

Gegen die Zusammenlegung der Ausbildung von Erwachsenenkrankenpflege,

Kinderkrankenpflege und Altenpflege hat sich jüngst auch der Landkreistag NRW

ausgesprochen und befürchtet eine schlechtere Ausbildung in den Pflegeberufen

sowie eine höhere Kostenbelastung der Pflegeempfänger in der Langzeitpflege und

der Sozialhilfeträger.4

Die Reform in der derzeit vorgesehenen Form wird nach Einschätzung der

Krankenhausgesellschaft in Baden-Württemberg eher zum Abbau als zum Aufbau

von Ausbildungsplätzen führen;

„Zum einen wird sich der Kreis der Personen, aus dem sich Interessenten für die

berufliche Ausbildung rekrutieren, verkleinern. Noch sprechen die Krankenpflege-

und die Altenpflegeausbildung durchaus unterschiedliche Zielgruppen an … Zudem

deutet sich an, dass sich etliche bislang noch aktive, kleinere Ausbildungsträger

(kleinere Heim und ambulante Pflegedienste) aus der Ausbildung zurückziehen

werden…Die Reform des Ausbildungsrechts wird Strukturveränderungen in der

Pflege nach sich ziehen. Die stärkere Medizinalisierung der Ausbildung wird zu einer

Änderung des Berufsprofils und damit zu einer Aufgabenverlagerung führen. Die

Pflegefachkraftquote in der Altenpflege in der heutigen Form wird vermutlich

aufgegeben und es wird stärker mit einem gestuften System von „Nichtfachkräften“

gearbeitet werden müssen.“ 5

Getragen wird diese grundsätzlich ablehnende Haltung auch von folgenden

Selbsthilfegruppen/Interessenvertretungen und Gewerkschaften:6,7

o Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di

o Deutscher Gewerkschaftsbund DGB

o Landkreistag NRW

o Bundesarbeitsgemeinschaft Kind und Krankenhaus (BAKuK, www.bakuk.de)

o Deutscher Kinderschutzbund. Bundesverband (www.dksb.de)

o Handeln statt Misshandeln - Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter e.V., HsM

o Initiative „Ich bin keine Fallpauschale“ (www.ichbinkeinefallpauschale.de)

o Kindernetzwerk. Dachverband der Eltern-Selbsthilfe in Deutschland

(www.kindernetzwerk.de)

2 HKG, Ärztekammer und bpa warnen vor neuer Schmalspurausbildung in der Pflege,

http://www.hkgev.de/mitteilungsanzeige/hkg-aerztekammer-und-bpa-warnen-vor-neuer-schmalspurausbildung-in-der-pflege.html 3 EBENDA

4 http://www.lkt-nrw.de/Presse.aspx?rssid=be4b7741-9c52-42f8-8f0a-792095e4244f 5 BWKG-Positionen zum Gesetz zur Reform der Pflegeberufe 6 DGB-Stellungnahme- Reform-der-Pflegeberufe-PflBG

Stellungnahme der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di Reform-der-Pflegeberufe-PflBG 7 Siehe Fußnote 2

5

Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di

führen aus „ Der Ansatz einer generalisierten Ausbildung vernachlässigt die sehr

komplexen Anforderungen der einzelnen Pflegerichtungen, beispielsweise die

Unterschiede zwischen Langzeit- und Akutpflege oder zwischen medizinisch

orientierter Pflege und gerontopsychiatrischer Pflege. Kompetenzen einzuebnen

macht Pflegeberufe nicht attraktiver – im Gegenteil: Das führt zu einer

Schmalspurausbildung, die die Berufsfähigkeit nach Abschluss der Ausbildung

gefährdet“

Weiterhin ist davon auszugehen, dass sich die meisten Fachkräfte nach einer

generalistischen Ausbildung für den Akutbereich bzw. Klinikbereich entscheiden

werden. Die Langzeitpflege bzw. Altenpflege wird also nicht nur spezifisches Wissen,

sondern auch Personal verlieren. Dieser doppelte Verlust wird angesichts der

demografischen Entwicklung, des Anstiegs von pflegebedürftigen alten Menschen

und demenziellen Erkrankungen zu deutlichen „Versorgungsengpässen“ mit

Fachkräften führen.8

Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens spricht von einem

„Super-GAU“ für die Pflege. Steffens betonte, es fehlten Untersuchungen darüber, ob

die Reform tatsächlich mehr junge Menschen anziehe. Für NRW prognostizierte sie

im Gegenteil sogar einen Abbau von tausenden Ausbildungsplätzen, da die Reform

deren Finanzierung verschlechtere.

Gegen die Zusammenlegung der Ausbildung von Erwachsenenkrankenpflege,

Kinderkrankenpflege und Altenpflege spricht sich auch der Landkreistag NRW aus

und befürchtet schlechtere Ausbildung in den Pflegeberufen und eine höhere

Kostenbelastung der Sozialhilfeträger.9

Neue Pflegeausbildung geht am gesellschaftlichen Auftrag und Bedarf vorbei

Berufliche Pflege hat einen gesellschaftlichen Auftrag. Er besteht u.a. darin, auf die

dringlichen gegenwärtigen und künftigen Versorgungsbedürfnisse der Bevölkerung

zu reagieren. Diese ergeben sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vor

allem aus den Folgen des demografischen und sozialen Wandels. Die

Professionalisierung der Pflege wie auch die Inhalte einer Pflegeausbildung müssen

sich hieran orientieren. Entsprechend muss der Fokus primär auf den Bedürfnissen

der stark steigenden Zahl hochaltriger Menschen liegen.

Die europäische Bevölkerung lebt immer länger. Die Zahl der über 80jährigen soll

Prognosen zufolge bis 2060 auf 62 Millionen ansteigen. Unter den älteren Menschen

leidet eine große Zahl an chronischen Erkrankungen, Gebrechlichkeit und Morbidität

und ist zur Aufrechterhaltung einer guten Lebensqualität auf Hilfe angewiesen.

8 Pressemitteilung zum Welt-Alzheimertag 2015, „Neue Pflegeausbildung gefährdet die Pflege von

Demenzkranken“ mit Ergebnissen zur Befragung von Altenpflegeschülern; Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und –psychotherapie e.V.; 18.09.2015 9 Vgl. http://www.lkt-nrw.de/Presse.aspx?rssid=be4b7741-9c52-42f8-8f0a-792095e4244f

6

Daraus resultiert in ganz Europa eine steigende Nachfrage nach Fachkräften in der

Langzeitpflege. Gleichzeitig wird die EU-Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bis

2060 um 14,2 % abnehmen, weshalb das Arbeitskräfteangebot hinter dem Bedarf in

der Langzeitpflege zurückbleiben wird. Hinzu kommt, dass immer mehr Frauen in

den Arbeitsmarkt eintreten und für ihre Altersvorsorge länger arbeiten, sodass die

potentielle Reserve an informellen Pflegenden – zumeist Ehefrauen, Töchtern oder

Schwiegertöchtern – abnimmt.10

Wer diese für die Pflegeausbildung wichtigen Entwicklungen ignoriert, missachtet die

Realitäten sowie den gesellschaftlichen Auftrag der beruflichen Pflege.

Generalistische Pflegeausbildung ist Abschied von der Altenpflege. Die EU-

Berufsanerkennungsrichtlinie (BAR), die im Januar 2014 in Kraft getreten ist und bis

Januar 2016 in nationales Recht umgesetzt werden muss, hat zum Ziel, dass

Berufsabschlüsse in der EU durch eine Vereinheitlichung leichter verglichen und

anerkannt werden können. Die BAR gibt u.a. auch die Inhalte für die

Krankenpflegeausbildung in der EU vor (nicht für die Altenpflege). Diese Inhalte sind

stark medizinisch, klinisch und an Akutmedizin ausgerichtet. Wenn Deutschland eine

generalistische Pflegeausbildung einführt, dann muss sich diese also an den Inhalten

der BAR für die Krankenpflegeausbildung ausrichten. Hierdurch wäre die Altenpflege

nur noch ein marginaler Bestandteil in einer Krankenpflegeausbildung. Eine

inhaltliche Weiterentwicklung der Altenpflege für eine alternde Gesellschaft wie

Deutschland ist dann kaum noch möglich. Mit der generalistischen Pflegeausbildung

gibt Deutschland seine Vorreiterrolle in der EU auf.

Die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung stellt angesichts der großen demo-

grafischen und sozialen Veränderungen eine der wichtigsten sozial- und gesund-

heitspolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre dar.

Die zukünftige Ausbildung muss daher sicherstellen, dass ausreichendes

gerontologisches, geriatrisches, pädiatrisches sowie gerontopsychiatrisches

Fachwissen und entsprechende Handlungskompetenzen vermittelt werden. Dies

spiegelt sich in der Beschreibung des Ausbildungsziels (§5) im Gesetzentwurf nicht

wider. Auch die politisch und fachlich gewünschte verstärkte, wohnortnahe und

quartiersbezogene Ausrichtung und Gestaltung der Pflege und Altenhilfe und

Stärkung der notwendigen Unterstützungen und Hilfeleistungen im ambulanten

(Pfleg)Setting bleibt unberücksichtigt. Zur differenzierten Bewertung der geplanten

Ausbildung sind folgende Regelungen unerlässlich, die im Gesetzentwurf fehlen:

o die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, hier insbesondere die konkreten

Lehr- und Lernziele und Inhalte der Ausbildung

o Dauer, Zuschnitt und Zielsetzungen der berufspraktischen

Ausbildungsabschnitte

Auch nach Vorlage der Eckpunkte der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung zum

Pflegeberufsgesetz bleiben die konkreten Ausbildungsinhalte im Unklaren.

10

Vgl. http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1024&langId=de&newsId=1889&furtherNews=yes

7

Verlust von Ausbildungsplätzen und Fachkräften

Das geplante Gesetz zur Pflegeausbildung gefährdet ohne Not ein bewährtes

System mit einer sehr beliebten und hoch nachgefragten Altenpflegeausbildung,

Gesundheits- und Kinderkrankenpflegeausbildung und Gesundheits- und

Krankenpflegeausbildung 11 ohne Garantie für den benötigten Zuwachs an

Pflegefachkräften durch die Ausbildungsreform.

Eine dringend notwendige Chancen-Risiko-Abwägung wurde nicht vorgenommen.

Insbesondere fehlt eine Risikofolgenabschätzung, die Auswirkungen der geplanten

Reform auf die Qualität der pflegerischen Versorgung sowie auf die Quantität der

Ausbildungs-und Absolventenzahlen der Pflegeausbildung untersucht.

Ein Blick ins skandinavische und angelsächsische Ausland (welches die hier

angestrebten Pflegeausbildungsreformen umgesetzt hat) zeigt, dass diese Länder

ihren Pflegefachkräftemangel hierdurch nicht eindämmen konnten. Die Gesundheits-

und Sozialsysteme können dort zum Teil nur über Migration aufrechterhalten werden.

Eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegebene

Bestandsaufnahme zur Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen im europäischen

Vergleich (GesinE) macht deutlich, dass in fast allen europäischen Ländern mit

generalistischer Ausbildung ein eindeutiger Fachkräftemangel in der

Langzeitpflege/Altenpflege herrscht.

Diese Entwicklung würde auch Deutschland drohen und damit die Personalsituation

vor allem in der Altenpflege erheblich verschlechtern. Denn in den letzten Jahren

konnten die Ausbildungsplatzzahlen hierzulande stetig gesteigert werden.

So sind die Schüler/-innenzahlen im Schuljahr 2013/14 im Vergleich zum Schuljahr

2007/08 in den Ausbildungsgängen Gesundheits- und Kinderkrankenpflege

(+10,2Prozent), Gesundheits- und Krankenpflege(+16,9 Prozent) gestiegen. Der

größte Anstieg ist mit +51,7 Prozent in der Altenpflegeausbildung zu finden. Laut

Berufsbildungsbericht 2016 wurden die Ausbildungsplatzzahlen in 2015 nochmals

um 6,3 Prozent gesteigert. Damit liegt die Zahl der Schülerinnen und Schüler in der

Altenpflegeausbildung (66.285 Auszubildende) deutlich vor den Auszubildenden in

der Krankenpflegeausbildung (64.022Auszubildende).

Diese enormen Steigerungszahlen konnte kein anderer Berufszweig in Deutschland

erreichen.

Zwei Faktoren

o Reduktion der Ausbildungsbereitschaft

o Bewerberrückgang und vermehrte Ausbildungsabbrüche

11

Vgl. Maria Zöller, WISSENSCHAFTLICHE DISKUSSIONSPAPIERE, (Vollzeit-)Schulische Ausbildungsgänge mit einem beruflichen Abschluss gemäß und außerhalb BBiG/HwO , Vertiefende Analysen der Entwicklungen in Deutschland , Herausgeber: Bundesinstitut für Berufs-bildung, Bonn, 2015 sowie https://www.bmbf.de/pub/Berufsbildungsbericht_2016.pdf

8

lassen befürchten, dass die Ausbildungs-und Absolventenzahlen bei einer

generalistischen Ausbildung deutlich abnehmen werden.

Reduktion der Ausbildungsbereitschaft

Zukünftig wird eine Anrechnung der Auszubildenden auf die Stellenpläne erfolgen

und der Träger der praktischen Ausbildung muss einen Wertschöpfungsanteil selber

tragen, der nicht über eine Umlage finanziert wird. Dies wird den Personalbestand in

den Einrichtungen der Altenhilfe reduzieren, da die Schüler (z.B. in NRW) bisher

nicht auf den Stellenplan angerecht wurden. Für ambulante Pflegedienste liegt der

Wertschöpfungsanteil bei 23 Prozent der Ausbildungskosten, obwohl der

Auszubildende in der dreijährigen Ausbildungszeit nur 6 Monate im eigenen

Unternehmen ausgebildet wird.

Für die stationären und ambulanten Pflegeinrichtungen wird es immer unattraktiver12,

Ausbildungsplätze vorzuhalten.13 Die Einrichtung soll laut Gesetzentwurf die gesamte

Verantwortung für die Organisation und Koordination der praktischen Ausbildung

tragen. Über Vereinbarungen mit den weiteren an der praktischen Ausbildung

beteiligten Einrichtungen hätte die Pflegeeinrichtung dann zu gewährleisten, dass

alle vorgeschriebenen Einsätze durchgeführt werden können. Der

Organisationsaufwand stiege, während die reelle Zeit, die der Auszubildende in der

Pflegeeinrichtung verbringt, sänke. Dies würde dazu führen, dass die Zahl der

Auszubildenden in Einrichtungen der Altenpflege deutlich zurückgehen würde. Eine

valide Einschätzung, ob die Kliniken und Kinderklinken die Pflichteinsätze überhaupt

stemmen können, liegt nicht vor.

Die Verkürzung der Praxiszeiten pro Praxisort wird sich vor allem auf die

Langzeitpflege negativ auswirken. Langzeitpflege kann nur über längere Zeiträume

erfahren werden – und sie erfordert allgemein personelle Kontinuität. Eine

Verkürzung der Praxiseinsatzzeiten konterkariert diese Notwendigkeiten und

destabilisiert die Lebenssituation alter Menschen. Langzeitpflege ist pflegefachliche

Alltagsbegleitung vorwiegend alter Menschen und damit Beziehungsarbeit. Sie ist

immer unter Berücksichtigung der individuellen sozialen, seelischen, materiellen,

kulturellen und körperlichen Situation und der Selbstbestimmung des Einzelnen zu

gestalten.

12

Kleine Einrichtungen oder ambulante Dienste werden künftig nicht mehr ausbilden können, falls sie die volle Ausbildungsvergütung zahlen müssen, da die Auszubildenden wegen der wechselnden Praktikaorte, Krankenhaus und Pädiatrie, nur noch wenige Monate ihrer Ausbildung in den eigentlichen Ausbildungs- unternehmen zubringen. 13

Die Praxisausbildung soll auf sieben Praxiseinsätze verteilt werden. Das bedeutet: im eigentlichen Ausbildungsbetrieb, der den Auszubildende eingestellt hat, bliebe der Auszubildende nur rund 1250 Stunden = 6 Monate (bei einer 40 Stundenwoche abzüglich Urlaub, in drei Jahren). Im Vergleich zur derzeitigen Situation verringert dies die Betriebsbindung und die schrittweise steigenden Einsatzmöglichkeiten der Auszubildenden im eigenen Betrieb erheblich. Weiterhin wird den Ausbildungsbetrieben ein hoher Organisationsaufwand zugemutet: Der Ausbildungsbetrieb, der die Auszubildenden einstellt, muss organisieren, dass die Auszubildenden sieben externe Ausbildungsbereiche durchlaufen kann. Der praktische Ausbildungsträger muss dies seine Auszubildenden organisieren und koordinieren und trägt dafür die gesamte Verantwortung – also auch das Risiko, Der praktische Ausbildungsträger muss auch mit allen anderen Beteiligten die Finanzierung der Ausbildung aushandeln: Mit den bis zu sechs weiteren Ausbildungsbetrieben die Kostenverteilung und mit der Schule die Refinanzierung der Schulkosten. Funktioniert etwas nicht, trägt der praktische Ausbildungsträger auch das finanzielle Risiko, denn nur er hat den Ausbildungsvertrag mit dem Abzubildenden.

9

In den kurzen Einsätzen kann hier kaum beruflich evidentes Wissen geschaffen

werden.

Eine besondere Problemlage stellen die „Nadelöhre“ der Einsätze in der

Kinderkrankenpflege und psychiatrischen Pflege dar.

Offen ist auch, was die Rotation der Praxiseinsätze für die Altenhilfe und vor allem für

ihre Klienten bedeutet.

Diese Situation wird dazu führen, dass ambulante Pflegedienste aber auch kleinere

stationäre Altenhilfeeinrichtungen nicht mehr ausbilden werden. Hierüber würden

rund 10.000 Ausbildungsplätze jährlich wegbrechen.

Bewerberrückgang und vermehrte Ausbildungsabbrüche

Die Argumente für die Generalistik fußen auf Modellversuchen an ausgewählten

Schulen, die i.d.R. aber in 3,5 Jahren zu beiden Abschlüssen (Kranken- und

Altenpflege) führten.

Die in den Eckpunkten für die Ausbildungs- und Prüfungsordnung zitierte „Synopse

evaluierter Modellprojekte“ von Prof. Görres hat zwar 26 abgeschlossene

Modellprojekte ausgewertet, von diesen waren aber nur zwei generalistisch, die

übrigen integrativ oder integriert. Eine Überlegenheit des generalistischen Modells

konnte nicht festgestellt werden.

Eine Befragung von Auszubildenden, die im Zuständigkeitsbereich der

Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände durchgeführt wurde, ergab,

dass ein großer Teil der Krankenpflegeschüler/-innen und alle

Kinderkrankenpflegeschüler/- innen angaben, dass sie unter solchen Umständen

eine komplett andere Berufsausbildung gewählt hätten. Dort wird mit einem enormen

Bewerberrückgang gerechnet.

Die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie- und psychotherapie e.V.

(DGGPP) hat mit Unterstützung der Schulen im Sommer 2015 die bislang größte

Befragung von rund 8.000 AltenpflegeschülerInnen durchgeführt. Die wichtigsten

Ergebnisse:

o Wer sich für Altenpflege und die Altenpflegeausbildung entscheidet, macht

das sehr überlegt. 93 % der Befragten geben an, dass sie sich ganz bewusst

für die Arbeit mit den alten Menschen entschieden haben.

o 37% der Schüler würden unter den Bedingungen der generalistischen

Ausbildung (mit Theorie und Praxis-Einheiten in der Kranken- und

Kinderkrankenpflege) die Ausbildung nicht mehr machen wollen.

o 18 % würden nach einer generalistischen Ausbildung, (die dann eine

Wahlmöglichkeit bietet) direkt in die Krankenpflege gehen, 44% wollen

weiterhin in der Altenpflege arbeiten, der Rest (38%) ist noch unentschieden.

10

Die optimistische und durch keinerlei Daten gestützte Annahme, dass die

Zusammenlegung der Pflegeberufe zu mehr Interesse an und mehr Auszubildenden

in der Altenpflege führt, wird durch die Untersuchung nicht gestützt – vielmehr

scheint das Gegenteil der Fall zu sein.

Der pflegepolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundesfraktion Erwin Rüddel weist

zusätzlich zu Recht daraufhin, dass „die bisherigen Modellvorhaben für die

generalistische Ausbildung vor allem Abiturienten durchlaufen haben. Er habe das

Bundesgesundheitsministerium (BMG) deshalb um eine entsprechende Evaluation

der bisherigen Modellprojekte gebeten. Aus seiner Sicht müsse sichergestellt sein,

dass auch künftig Hauptschüler Zugang zu einer Pflegeausbildung hätten und die

Anforderungen in der Ausbildung so seien, dass Hauptschüler diese auch bestehen

könnten.“14

Sollte dies nicht erfolgen, ist mit hohen Abbruchzahlen zu rechnen.

Problematische Finanzierung über Ausgleichsfonds und Umlageverfahren15

Dem Referentenentwurf liegt eine veraltete Berechnung – nämlich das

Forschungsgutachten des wissenschaftlichen Instituts der Ärzte Deutschlands in

Zusammenarbeit mit der Prognos AG aus dem Jahr 2013 – zugrunde.16

Das vorgelegte Finanzierungskonzept ist lückenhaft und nicht seriös kalkuliert. Im

Vergleich der heute tatsächlich bestehenden Kosten für die Ausbildung mit den

kalkulierten Kosten für die Generalistik auf der Grundlage des

Finanzierungsgutachtens nach WIAD und Prognos besteht eine Deckungslücke von

160 Millionen Euro (Berechnung von Mona Frommelt, Direktorin der Hans-

Weinberger-Akademie der AWO). Um diesen Fehlbetrag auszugleichen, müssen

entweder 25.000 Ausbildungsplätze pro Jahr wegfallen oder aber die Kosten werden

für alle anderen Kostenträger der Ausbildung – Länder, Pflegekassen,

Krankenkassen, Krankenhäuser, Pflegeheime, Pflegedienste – höher ausfallen.

Finanziert werden soll die Ausbildung aus einem Ausgleichsfond, den jedes

Bundesland bilden soll. 17

Die Finanzierung der Ausgleichsfonds durch Krankenhäuser und stationäre

Pflegeeinrichtungen soll über landesweite Umlageverfahren erfolgen. Die

Pflegeeinrichtungen können die auf sie entfallenden Umlagebeträge in der Vergütung

der Pflegeleistungen berücksichtigen. Da aber die gesamte Ausbildung inklusive der

Kosten für die theoretische Ausbildung darüber finanziert werden soll, verteuert dies

die Pflege deutlich. Die Pflegesätze werden unweigerlich steigen und somit

Pflegebedürftige, Erkrankte, Angehörige und Sozialhilfeträger erheblich belasten.

Grundsätzlich ist nicht nachvollziehbar, warum die “Berufsschulen“ mit Mitteln der

14

https://www.station24.de/news/-/content/detail/17311368 15

Vgl. § 30 PflBG ff 16

Vgl. http://www.dvlab.de/buendnis-altenpflege/pdf/16-01-19_Anschreiben_Moratorium_Pflegeberufegesetz.pdf 17

Vgl. http://www.bpa.de/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/user_upload/kleinedokumente/BU323.pdf&t=1454326650&hash=5b160a93510791580857d411f2602a5755a10a31

11

Pflegeversicherung, der Pflegebedürftigen und Sozialhilfeträger finanziert werden

sollen.18

Wie hoch die Belastungen für die Pflegebedürftigen und Sozialhilfeträger sein

werden, ist noch zu beziffern.

Ein Zeitplan, wie lange die Einführung einer Umlagefinanzierung brauchen wird, liegt

nicht vor. Allein aus diesem Grund ist es unbedingt erforderlich, die Gesetzgebung

gemäß der Forderung des Bundesrats von 2018 auf 2019 zu verschieben.

Besonders in der Altenpflege besteht die Gefahr, dass die Kosten für die

Sozialhilfeträger deutlich steigen werden. Die Umlage der Kosten der

Ausbildungsstätten auf die Pflegeversicherung ist kritisch zu betrachten. 19

Das von NRW in Auftrag gegebene Rechtsgutachten von Kapellmann Rechtsanwälte

kommt zum Schluss, dass Teile des Gesetzesvorhabens verfassungswidrig sind.20

Details zur inhaltlichen Ausgestaltung

Da die wichtigen Aspekte zur inhaltlichen Ausgestaltung durch das Gesundheits- und

Familienministerium in sogenannten Rechtsverordnungen gesondert geregelt werden

soll, und diese noch nicht vorliegen, wird über ein Gesetz entschieden werden, bei

dem zentrale inhaltliche Fragen nicht beantwortet werden.

Der Arbeitsentwurf zum Gesetz gibt nur den Rahmen vor. Wie dieser faktisch gefüllt

werden soll, bleibt offen. Um zu wissen, was man mit diesem Gesetz beschließen

würde, müsste man auch die Ausbildungs- und Prüfungsordnung kennen. Es bleiben

Fragen offen, die dieser Gesetzentwurf und auch die zuständigen Ministerien nicht

beantworten – die aber für die Zukunft der Altenpflege von immenser Bedeutung

sind.

Zusammenfassung

Die Umsetzung des Gesetzes wird zu einem Verlust an Fachkräften führen,

da die Ausbildungsbereitschaft (durch Verkürzung der Praxiszeiten in den

spezifischen Bereichen) rückläufig sein wird und/oder sie durch die neue

Struktur der Ausbildung überfordert wären. Die theoretischen

Ausbildungskosten werden steigen.

Die Gruppe der Altenpflegekräfte und Kinderkrankenpflegekräfte entscheiden

sich oft bewusst für diese Berufszweige. Ob sich diese Bewerber auch für eine

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Könnte sich jemand in Analogie vorstellen, dass ein neues Gesetz vorsehen würde, dass Berufsschulen, die für Kfz-Betriebe ausbilden, über einen Fonds finanziert werden, in den Kfz-Betrieben, Kunden und Kfz- Versicherungen einzahlen? Moderne Berufsbildungspolitik, ist das nicht. Vgl. Birgit Hoppe, Vorstandvorsitzende des Arbeitskreises Ausbildungsstätten Altenpflege (AAA) 19

Stellungnahme der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zum Pflegeberufegesetz, S. 9 20

Vgl. www.mgepa.nrw.de/mediapool/pdf/pflege/Rechtsgutachten-Pflegeberufe.pdf

12

generalistische Pflegeausbildung entscheiden werden, ist ungewiss. Experten

befürchteten einen massiven Wegfall von tausenden Ausbildungsplätzen im

Bereich der Altenpflege.21

Das Finanzierungsmodell ist veraltet, lückenhaft und mit einem erheblichen

Verwaltungsaufwand verbunden und mit millionenschweren Mehrkosten. Die

theoretischen und praktischen Ausbildungskosten werden die Pflegesätze in

den Einrichtungen erhöhen und somit Pflegebedürftige, Erkrankte und

Sozialhilfeträger deutlich mehr belasten.

Die Umsetzung des Gesetzes wird zu einem Verlust der spezifischen und

notwendigen Kompetenzen in der Altenpflege, aber auch der

Kinderkrankenpflege führen.

Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung und freuen uns über jeden Dialog.

Wiehl, den 23.05.2016

gez. Bodo Keissner-Hesse, Mitglied des Vorstands

Deutscher Berufsverband für Altenpflege e.V. (DBVA) Geschäftsstelle Postfach 1366 51657 Wiehl Tel.: 02262-999 99 14 Fax.: 02262-999 99 16 Mail: [email protected] www.dbva.de

Hintergrund zum DBVA:

Im Unterschied zur Krankenpflege - die kranken Menschen jeden Alters, meist somatisch orientiert,

kurzzeitig bei der Gesundung hilft - unterstützt die Altenpflege längerfristig und mit ganzheitlichen

Ansätzen alte Menschen, in Würde und Selbstbestimmung ihr Alter zu leben.

Ende der fünfziger Jahre wurden die ersten AltenpflegerInnen in Deutschland ausgebildet. Seither

dient diese Ausbildung vielen anderen Ländern als Vorbild. Am 01.12.1974 gründeten staatlich

anerkannte AltenpflegerInnen den Deutschen Berufsverband für Altenpflege (DBVA) e. V.

Der DBVA e.V. setzt sich als einziger Verband ausschließlich für die Belange der in der

Altenpflege Tätigen ein.

21

Vgl. Aktuelle Untersuchung der DGGPP zur Berufswahlentscheidung von Altenpflegeschüler/innen bei einer ge neralistischen Pflegeausbildung (2015), www.dggpp.de

Matthes, Stephanie (2015): Attraktivitätssteigerung durch Reform der Pflegeberufe? Wie Schüler/-innen die geplante generalistische Pflegeausbildung sehen. www.bibb.de