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FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 24. MAI 2009, NR. 21 REISE V5 Hochfliegende Pläne, das Schloss für eine Hotelfachschule mit Öko- gut zu nutzen, zerbröseln. Stadt- väter und Adelsfamilie versichern sich gegenseitig des Respekts und versuchen, einen dritten Weg des Umgangs miteinander zu finden. Das war eigentlich immer so. Vor allem Joachim Ernst Herzog von Anhalt, der 1947 in russischer Haft in Buchenwald verhungerte, ge- nießt bei den Ballenstedtern im- mer noch hohes Ansehen. „Mein Vater kümmerte sich um alles. Man könnte sagen, er war wie der Leiter eines großen Betriebes. Er achtete auch darauf, dass es den Fa- milien gut ging. Es gab nach mei- ner Meinung kein Notleiden“, erin- nerte sich seine Tochter Anna-Lui- se, die 1996 in ihren Geburtsort zu- rückkehrte und vor sechs Jahren starb. Im Museum haben sie eine kleine Erinnerungsecke für die An- halt-Familie eingerichtet, die auch bizarre Erscheinungen des Adelsle- bens nicht unter den Teppich kehrt. Zum Beispiel befeuerte Prinz Eduard in den siebziger Jah- ren den Aufschwung von Tokaier, indem er für den ungarischen Wein mit Smoking und Fliege und Harald-Juhnke-Grinsen auf einer Anzeigenseite in der „Bunten“ warb: „Voltaire, Goethe und ande- re große Geister haben schon ver- sucht, einen Tokaier zu beschrei- ben. Für mich ist der vollreife Jahr- gangswein schlichtweg unbe- schreiblich.“ Und seine Schwester Alexandra besang eine Single mit dem Titel „High Society“. Mitten im Schloss hat heute Kul- turamtsleiterin Bettina Fügemann ihr Büro. Hinter ihrem Rücken windet sich der Arm einer Monste- ra-Zimmerpflanze zärtlich um den Hals einer Lenné-Skulptur. „Wir müssen nach vorn blicken und nicht dauernd zurück“, sagt Frau Fügemann und bricht dann zu ei- ner sehr schnellen Führung durch das Schloss auf. Nebenbei erzählt sie, dass sie in ihrer Freizeit gern Liebesromane schreibt, die sie ih- rem Mann dann vorliest: „Sie wer- den es nicht glauben, bei den eroti- schen Stellen schläft er immer ein.“ Dann fliegt das lange blonde Haar voran und die Amtsleiterin durch die Geschichte der früheren Hausherren. Man merkt, dass der Bau noch ein wenig groß ist für ganz heutige Ideen, aber es gibt eine Askanier-Ausstellung und eine Gaststätte im ehemaligen Refekto- rium. Die Schlosskirche sieht wie- der wie ein sakraler Ort aus, aller- dings fehlt der Altar. Die Ballen- stedter wollten einen multifunktio- nalen Raum für Konzerte und Kongresse, und wenn doch mal ein Gottesdienst oder eine kirchliche Trauung stattfinden, wird das Kreuz eben schnell hereingerollt. So praktisch liegen die Dinge in Ballenstedt. Und weil man in die- sem Ruf steht, griff man auch zu, als der Sammler Heinz Stammer aus Hameln einen Ort suchte, an dem er seine Sammlung von Film- projektoren, Kameras und Kinopla- katen ausstellen konnte. Nun hängt an der Barockfassade das Schild „Cinema-Museum“ und dürfte manchem Filmhistoriker Rätsel aufgeben. Draußen blinkt der Schlossteich in einem wirklich grandiosen Park von Peter Joseph Lenné, den die Ballenstedter 1858 in einer frühen Form der Arbeitsbeschaffungsmaß- nahme selbst schufen. Lenné mach- te aus einem Obst- und Küchengar- ten eine 29 Hektar große Anlage, die von einer Wasserachse mit fünf Bassins und Drachenfontäne be- stimmt wird. Wenn sonntags die Gartentouristen kommen, wird die Wassermaschine gern angeworfen. Dann geht es vorbei an der Grablege AlbrechtS des Bären, wo auf der Tafel immer noch „dem Wegbereiter ins deutsche Ostland“ gedacht wird. Napola-Schüler wur- den hier eingeschworen. Nach dem Krieg mauerte die DDR die Gruft zu und lagerte Munition für Betriebskampfgruppen ein. Jetzt hängt die Tafel wieder, davor liegt ein Kranz der Bruderschaft der As- kanier. Ballenstedter Geschichtsflö- ze. Das gilt auch für das fürstliche Theater, das 1788 erbaut wurde, Lortzing und Liszt sah und heute zum Beispiel für Kabarettprogram- me mit dem Titel „Eine Nacht im Russenpuff“ gemietet wird. Natür- lich kommt auch das Nordharzer Städtebund-Theater mit Opern- gastspielen, ergänzt Frau Füge- mann, als hätte sie die Frage schon erwartet. Ein frühklassizistischer Saal in Weiß und Gold, mit zwei Rängen und einer Fürstenloge. Auch hier sanierte die Klugheit mit, und man ahnt, wie die Spieldo- se wohl ausgesehen haben muss, als Lortzing 1846 seine „Undine“ diri- gierte und schrieb: „In Ballenstedt ging es mir gut, ich erhielt die Hälf- te der Einnahmen, siebzig Taler und einen Sack voll Lorbeeren.“ Dann stehen wir draußen, bli- cken die Allee hinab, schauen auf das wiederaufgebaute Schlosshotel und denken ein wenig an Wilhelm von Kügelgen, der hier Hofmaler und Kammerherr war und immer von seinem „frischen, freundli- chen, hellen Ballenstedt“ sprach. Auch wenn noch nicht alles wieder frisch ist, die Stimmung hat sich doch sehr aufgehellt, und so kom- men die Kügelgen-Fans und die Harz-Wanderer, die Askanier und die, die dauerhaft bleiben wollen. So wie ein Landwirt aus dem Nie- dersächsischen, der sich in das Ro- koko-Jagdschlösschen auf dem Röhrkopf verliebte und nun unter die schöne Kuppel zieht. Frau Fügemann zieht es zum Dichten, und wir schlendern die Kastanienallee wieder hinunter, um zum Bahnhof abzubiegen. Plötzlich ist die Gegenwart ganz aufdringlich. In den verspielten Klinkerbau mit seinen geschwunge- nen Dächern hat die Deutsche Bahn dicke Nägel geschlagen. Züge fahren hier schon lange kei- ne mehr, auf dem Vorplatz halten Busse. Und der Bahnhof sieht aus, als würde er darauf warten, dass die Harzreise als Seelenerfri- schung wieder in Mode kommt. Die Zeichen stehen nicht schlecht. Anreise Vom Quedlinburger Bahnhof fah- ren auch Busse nach Ballenstedt (mehr un- ter www.qbus-ballenstedt.de). Übernachten Das „Schlosshotel Ballen- stedt“ wurde schon im 18. Jahrhundert für die Gäste des Fürstenhofes eingerichtet. Es entstand nach dem Abriss 1996/97 völ- lig neu – mit barocken Zutaten (DZ ab 109 Euro). Das Hotel „Stadt Bernburg“ wurde 1779 im Fachwerkstil erbaut und beher- bergte die Dresdner Künstlerfreunde von Wilhelm von Kügelgen wie Ludwig Richter, Carl Gottlieb Peschel und Ernst Ferdinand Oehme (DZ 70 Euro). Literatur Wilhelm von Kügelgen wurde 1833 Hofmaler der kleinen Residenz Ballen- stedt. In seinen posthum erschienenen „Ju- genderinnerungen eines alten Mannes“ ist sein Blick auf das Harzstädtchen dokumen- tiert. Außerdem lohnt sich das Buch „Gar- tenträume Sachsen-Anhalt Zwischen Harz, Elbe und Saale“ (Verlag L&H, 14,80 Euro). Darin stellt Ludwig Schumann die vierzig schönsten Parkanlagen vor, die zum Netzwerk „Gartenträume“ gehören (www.gartentraeume-sachsen-anhalt.de). Für die Tasche „Man sieht nur, was man weiß“ – unter diesem Motto präsentierte Dumont Anfang des Jahres seine neuen Reisetaschenbü- cher. Man sieht es schon, bevor man weiß, dass die Bücher kom- plett neu überarbeitet worden sind: Die Bände sind nicht mehr orange, sondern blassblau im Grundton, wer also an die Dumont-Reisebuch- reihe gewöhnt ist, greift jetzt viel- leicht erst mal daneben im Buchre- gal. Hinter dem neuen Antlitz ver- bergen sich pro Band (es gibt prak- tisch zu jeder von den Deutschen regelmäßig bereisten Destination ei- nen Führer) etwa zwanzig Prozent mehr Umfang, also mehr Informati- on. Und die kommt jetzt ein biss- chen jünger, übersichtlicher und persönlicher daher wobei die Handschrift der Buchautoren im- mer schon ein besonderes Merk- mal der Dumont-Reisebücher war. Meist kann man in den Büchern auch von der großen Liebe (und manchmal auch von der Not) der Autoren zu ihrem Land lesen. Es gibt Weltgegenden, da ist das Dumont-Reisetaschenbuch seit Jahrzehnten das Standardwerk, wie beispielsweise die Seychellen. Neu sind jetzt die „Lieblingsorte“ der Rechercheure die besonderen Empfehlungen sind dann auch als „Mein Tipp“ gekennzeichnet und meistens inspirierter als der, in Lis- sabon ins Goethe-Institut zu ge- hen. Es gibt Satellitenkarten, mehr Karten, noch mehr Tabellen und mehr abgesetzte Infokästen – ein Blick in die Register lohnt sich manchmal, um sicherzugehen, auch alle Informationen gefunden zu haben. Die Essays und allgemeinen In- formationen zu den Ländern sind wie gewohnt sehr ausführlich und kenntnisreich. Und das große Extra kommt zum Schluss: Jeder Band hat in der hinteren Umschlagklap- pe eine große Karte zum Auffalten eingeklebt. Und so stellt sich auch bei Du- mont die Frage wie bei der roten Konkurrenz: Wie bekommen wir die Karte nach dem 50. Mal falten so flach, dass sie wieder ins Buch passt? kaka Dumont-Reisetaschenbuch, vierzig Titel er- scheinen komplett überarbeitet, circa 290 Seiten mit herausnehmbarer Karte, je 14,95 Euro Ein Engländer schreibt einen Reise- führer über Münchens Geheimnis- se. Das muss man sich mal vorstel- len: Duncan J.D. Smith lässt sich in der Stadt einen Obatzn erklären, verarbeitet das Gelernte in einem Buch und lässt sein Werk ins Deut- sche übersetzen. „Nur in Mün- chen“ soll dabei keine ethnolo- gisch-parodistische Stereotypen- sammlung sein, sondern ein gut- und ernstgemeinter Tippgeber. Das Ergebnis wäre gar nicht mal so verkehrt, hätte sich der Autor auf seine Funde konzentriert und sich seine eingestreuten Stammtisch- weisheiten wie „Obwohl das multi- kulturelle Miteinander in einigen Teilen Europas letztlich als geschei- tert angesehen werden muss . . .“ oder „Leider haben nur sehr weni- ge Deutsche ein gutes Verhältnis zu ihren türkischen Nachbarn“ ge- spart. So bleibt das Buch hinter sei- nen Möglichkeiten. Oder wie ein darin Porträtierter, nämlich Karl Valentin, sagen würde: „Kunst kommt von können, nicht von wol- len, sonst müsste es ja Wunst hei- ßen.“ mwit Duncan J.D. Smith: „Nur in München“. Ver- lag Christian Brandstätter, 232 Seiten, 19,95 Euro Für den Tisch Spannender und weitaus weniger anstrengend als Deutschland zu Fuß scheint Deutschland zu Fluss zu sein. Quer durch die Nation auf Gewässern, Kanälen, Bächen, Seen, um die Landschaft aus der Paddelperspekti- ve zu entdecken. Dazu dient das Buch „Deutschland zu Fluss“, das fünfzig Strecken vorschlägt. Die Fulda, der Spreewald, die Mosel, der Neckar, die Diemel und und und . . . eine schöne und kom- plette Auflistung von Wasserwan- dertouren mit Rahmenprogramm. Mit oder ohne Kultur, mit oder ohne Hotels, mit oder ohne Cam- ping, für Anfänger oder für Kajak- experten, für denjenigen, der nur ein paar Stunden Zeit hat, und für denjenigen, der mehrere Tage un- terwegs sein will. In diesem Buch finden sich alle notwendigen De- tails, um Wasserwandertouren zu planen, zu organisieren und durch- zuführen. Nur die Plastiktüte darf man nicht vergessen, um das Buch vor dem Wasser zu schützen! egg Michael Hennemann: „Deutschland zu Fluss. Die 50 schönsten Kanurouten von List bis Oberstdorf und Selfkant bis Gör- litz“. Bruckmann 2009, 144 Seiten, 29,95 Euro Für manche Abenteuer genügen Vorstellung und Einbildung. Die Vorstellung zum Beispiel, sich nachts in einem Schneesturm bei minus dreißig Grad auf einem Glet- scher zu befinden. Und die Einbil- dung, plötzlich Carbon-Goretx- Aluminium-Produkte besitzen zu müssen, die nur Extrembergsteiger benötigen: ein Zweipersonen-Expe- ditionszelt (3100 Gramm), einen Propangaskocher (68 Gramm), eine Stirnlampe (48 Gramm) und einen Daunenschlafsack, der bis mi- nus vierzig Grad warm hält (1620 Gramm). Solche Artikel versammelt das „Globetrotter Handbuch 2009“ (920 Gramm), das nun erstmals (zu- sätzlich zur Paperbackausgabe) in li- mitierter Auflage gebunden erschie- nen ist. Ein Katalog in Buchform also, mit 721 Seiten, die Sehnsüchte schüren und Wünsche nach – für die Mehrheit der Menschheit – völ- lig überflüssigen Produkten sugge- rieren. Und so kommt man nach ei- nem langen Bürotag nach Hause, durchblättert in Ermangelung ei- nes Naturabenteuers das „Globe- trotter Handbuch“, träumt ein biss- chen und bestellt dann – man kann ja nie wissen – vielleicht doch noch die wasserdichten Hochtourenstie- fel (1860 Gramm). asl „Globetrotter Handbuch 2009“, gebundene Ausgabe, 721 Seiten, 4 Euro Schutzgebühr An den beiden stillgelegten Bahnhöfen in Ballenstedt fahren heute keine Züge mehr ein. „Ballenstedt West“ wird noch von Bussen angefahren, in „Ballenstedt Ost“ wartet man heute nur noch auf den Sonnenuntergang. NEUE REISEBÜCHER Stadtansicht von Telgte Abb. aus Hennemann, „Deutschland zu Fluss“, Bruckmann-Verlag Halberstadt Halberstadt Braunschweig Braunschweig THÜRINGEN THÜRINGEN NIEDER- NIEDER- SACHSEN SACHSEN Magdeburg Magdeburg Querfurt Querfurt Quedlinburg Quedlinburg Nordhausen Nordhausen Wernigerode Wernigerode 25 km 25 km F.A.Z.-Karte lev. F.A.Z.-Karte lev. Halberstadt Braunschweig THÜRINGEN NIEDER- SACHSEN SACHSEN-ANHALT Magdeburg E lb e E lb e M ittell a n d k a n a l M ittell a n d k a n a l Querfurt Quedlinburg Nordhausen A38 B6 A2 A 14 Wernigerode 25 km F.A.Z.-Karte lev. H A R Z H A R Z Rappbode- Stausee E lb e Ballenstedt

Deutschland zu Fluss

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Ballenstedter 1858 in einer frühen Form der Arbeitsbeschaffungsmaß- nahme selbst schufen. Lenné mach- te aus einem Obst- und Küchengar- ten eine 29 Hektar große Anlage, Ein Engländer schreibt einen Reise- führer über Münchens Geheimnis- se. Das muss man sich mal vorstel- Magdeburg Stadtansicht von Telgte Dumont-Reisetaschenbuch, vierzig Titel er- scheinen komplett überarbeitet, circa 290 Seiten mit herausnehmbarer Karte, je 14,95 Euro Braunschweig M itte lla n d k a n a l Nordhausen

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Page 1: Deutschland zu Fluss

F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N T A G S Z E I T U N G , 2 4 . M A I 2 0 0 9 , N R . 2 1 R E I S E V 5

Hochfliegende Pläne, das Schlossfür eine Hotelfachschule mit Öko-gut zu nutzen, zerbröseln. Stadt-väter und Adelsfamilie versichernsich gegenseitig des Respekts undversuchen, einen dritten Weg desUmgangs miteinander zu finden.Das war eigentlich immer so. Vorallem Joachim Ernst Herzog vonAnhalt, der 1947 in russischer Haftin Buchenwald verhungerte, ge-nießt bei den Ballenstedtern im-mer noch hohes Ansehen. „MeinVater kümmerte sich um alles.Man könnte sagen, er war wie derLeiter eines großen Betriebes. Erachtete auch darauf, dass es den Fa-milien gut ging. Es gab nach mei-ner Meinung kein Notleiden“, erin-nerte sich seine Tochter Anna-Lui-se, die 1996 in ihren Geburtsort zu-rückkehrte und vor sechs Jahrenstarb. Im Museum haben sie einekleine Erinnerungsecke für die An-halt-Familie eingerichtet, die auchbizarre Erscheinungen des Adelsle-bens nicht unter den Teppichkehrt. Zum Beispiel befeuertePrinz Eduard in den siebziger Jah-ren den Aufschwung von Tokaier,

indem er für den ungarischenWein mit Smoking und Fliege undHarald-Juhnke-Grinsen auf einerAnzeigenseite in der „Bunten“warb: „Voltaire, Goethe und ande-re große Geister haben schon ver-sucht, einen Tokaier zu beschrei-ben. Für mich ist der vollreife Jahr-gangswein schlichtweg unbe-schreiblich.“ Und seine SchwesterAlexandra besang eine Single mitdem Titel „High Society“.

Mitten im Schloss hat heute Kul-turamtsleiterin Bettina Fügemannihr Büro. Hinter ihrem Rückenwindet sich der Arm einer Monste-ra-Zimmerpflanze zärtlich um denHals einer Lenné-Skulptur. „Wirmüssen nach vorn blicken undnicht dauernd zurück“, sagt FrauFügemann und bricht dann zu ei-ner sehr schnellen Führung durchdas Schloss auf. Nebenbei erzähltsie, dass sie in ihrer Freizeit gernLiebesromane schreibt, die sie ih-rem Mann dann vorliest: „Sie wer-den es nicht glauben, bei den eroti-schen Stellen schläft er immerein.“ Dann fliegt das lange blondeHaar voran und die Amtsleiterin

durch die Geschichte der früherenHausherren. Man merkt, dass derBau noch ein wenig groß ist fürganz heutige Ideen, aber es gibteine Askanier-Ausstellung und eineGaststätte im ehemaligen Refekto-rium. Die Schlosskirche sieht wie-der wie ein sakraler Ort aus, aller-dings fehlt der Altar. Die Ballen-stedter wollten einen multifunktio-nalen Raum für Konzerte undKongresse, und wenn doch mal einGottesdienst oder eine kirchlicheTrauung stattfinden, wird dasKreuz eben schnell hereingerollt.So praktisch liegen die Dinge inBallenstedt. Und weil man in die-sem Ruf steht, griff man auch zu,als der Sammler Heinz Stammeraus Hameln einen Ort suchte, andem er seine Sammlung von Film-projektoren, Kameras und Kinopla-katen ausstellen konnte. Nunhängt an der Barockfassade dasSchild „Cinema-Museum“ unddürfte manchem FilmhistorikerRätsel aufgeben.

Draußen blinkt der Schlossteichin einem wirklich grandiosen Parkvon Peter Joseph Lenné, den die

Ballenstedter 1858 in einer frühenForm der Arbeitsbeschaffungsmaß-nahme selbst schufen. Lenné mach-te aus einem Obst- und Küchengar-ten eine 29 Hektar große Anlage,

die von einer Wasserachse mit fünfBassins und Drachenfontäne be-stimmt wird. Wenn sonntags dieGartentouristen kommen, wird dieWassermaschine gern angeworfen.

Dann geht es vorbei an derGrablege AlbrechtS des Bären, woauf der Tafel immer noch „demWegbereiter ins deutsche Ostland“gedacht wird. Napola-Schüler wur-den hier eingeschworen. Nachdem Krieg mauerte die DDR dieGruft zu und lagerte Munition fürBetriebskampfgruppen ein. Jetzthängt die Tafel wieder, davor liegtein Kranz der Bruderschaft der As-kanier. Ballenstedter Geschichtsflö-ze. Das gilt auch für das fürstlicheTheater, das 1788 erbaut wurde,Lortzing und Liszt sah und heutezum Beispiel für Kabarettprogram-me mit dem Titel „Eine Nacht imRussenpuff“ gemietet wird. Natür-lich kommt auch das NordharzerStädtebund-Theater mit Opern-gastspielen, ergänzt Frau Füge-mann, als hätte sie die Frage schonerwartet. Ein frühklassizistischerSaal in Weiß und Gold, mit zweiRängen und einer Fürstenloge.Auch hier sanierte die Klugheitmit, und man ahnt, wie die Spieldo-se wohl ausgesehen haben muss, alsLortzing 1846 seine „Undine“ diri-gierte und schrieb: „In Ballenstedt

ging es mir gut, ich erhielt die Hälf-te der Einnahmen, siebzig Talerund einen Sack voll Lorbeeren.“

Dann stehen wir draußen, bli-cken die Allee hinab, schauen aufdas wiederaufgebaute Schlosshotelund denken ein wenig an Wilhelmvon Kügelgen, der hier Hofmalerund Kammerherr war und immervon seinem „frischen, freundli-chen, hellen Ballenstedt“ sprach.Auch wenn noch nicht alles wiederfrisch ist, die Stimmung hat sichdoch sehr aufgehellt, und so kom-men die Kügelgen-Fans und dieHarz-Wanderer, die Askanier unddie, die dauerhaft bleiben wollen.So wie ein Landwirt aus dem Nie-dersächsischen, der sich in das Ro-koko-Jagdschlösschen auf demRöhrkopf verliebte und nun unterdie schöne Kuppel zieht.

Frau Fügemann zieht es zumDichten, und wir schlendern dieKastanienallee wieder hinunter,um zum Bahnhof abzubiegen.Plötzlich ist die Gegenwart ganzaufdringlich. In den verspieltenKlinkerbau mit seinen geschwunge-nen Dächern hat die Deutsche

Bahn dicke Nägel geschlagen.Züge fahren hier schon lange kei-ne mehr, auf dem Vorplatz haltenBusse. Und der Bahnhof sieht aus,als würde er darauf warten, dassdie Harzreise als Seelenerfri-schung wieder in Mode kommt.Die Zeichen stehen nicht schlecht.

Anreise Vom Quedlinburger Bahnhof fah-ren auch Busse nach Ballenstedt (mehr un-ter www.qbus-ballenstedt.de).Übernachten Das „Schlosshotel Ballen-stedt“ wurde schon im 18. Jahrhundert fürdie Gäste des Fürstenhofes eingerichtet.Es entstand nach dem Abriss 1996/97 völ-lig neu – mit barocken Zutaten (DZ ab 109Euro). Das Hotel „Stadt Bernburg“ wurde1779 im Fachwerkstil erbaut und beher-bergte die Dresdner Künstlerfreunde vonWilhelm von Kügelgen wie Ludwig Richter,Carl Gottlieb Peschel und Ernst FerdinandOehme (DZ 70 Euro).Literatur Wilhelm von Kügelgen wurde1833 Hofmaler der kleinen Residenz Ballen-stedt. In seinen posthum erschienenen „Ju-genderinnerungen eines alten Mannes“ istsein Blick auf das Harzstädtchen dokumen-tiert. Außerdem lohnt sich das Buch „Gar-tenträume Sachsen-Anhalt – ZwischenHarz, Elbe und Saale“ (Verlag L&H, 14,80Euro). Darin stellt Ludwig Schumann dievierzig schönsten Parkanlagen vor, diezum Netzwerk „Gartenträume“ gehören(www.gartentraeume-sachsen-anhalt.de).

Für die Tasche „Man sieht nur, wasman weiß“ – unter diesem Mottopräsentierte Dumont Anfang desJahres seine neuen Reisetaschenbü-cher. Man sieht es schon, bevorman weiß, dass die Bücher kom-plett neu überarbeitet worden sind:Die Bände sind nicht mehr orange,sondern blassblau im Grundton,wer also an die Dumont-Reisebuch-reihe gewöhnt ist, greift jetzt viel-leicht erst mal daneben im Buchre-gal. Hinter dem neuen Antlitz ver-bergen sich pro Band (es gibt prak-tisch zu jeder von den Deutschenregelmäßig bereisten Destination ei-nen Führer) etwa zwanzig Prozentmehr Umfang, also mehr Informati-on. Und die kommt jetzt ein biss-chen jünger, übersichtlicher undpersönlicher daher – wobei dieHandschrift der Buchautoren im-mer schon ein besonderes Merk-mal der Dumont-Reisebücher war.Meist kann man in den Büchernauch von der großen Liebe (undmanchmal auch von der Not) derAutoren zu ihrem Land lesen.

Es gibt Weltgegenden, da ist dasDumont-Reisetaschenbuch seitJahrzehnten das Standardwerk, wiebeispielsweise die Seychellen. Neusind jetzt die „Lieblingsorte“ derRechercheure – die besonderenEmpfehlungen sind dann auch als„Mein Tipp“ gekennzeichnet undmeistens inspirierter als der, in Lis-sabon ins Goethe-Institut zu ge-hen. Es gibt Satellitenkarten, mehrKarten, noch mehr Tabellen undmehr abgesetzte Infokästen – einBlick in die Register lohnt sichmanchmal, um sicherzugehen,auch alle Informationen gefundenzu haben.

Die Essays und allgemeinen In-formationen zu den Ländern sindwie gewohnt sehr ausführlich undkenntnisreich. Und das große Extrakommt zum Schluss: Jeder Bandhat in der hinteren Umschlagklap-pe eine große Karte zum Auffalteneingeklebt.

Und so stellt sich auch bei Du-mont die Frage wie bei der rotenKonkurrenz: Wie bekommen wirdie Karte nach dem 50. Mal faltenso flach, dass sie wieder ins Buchpasst? kakaDumont-Reisetaschenbuch, vierzig Titel er-scheinen komplett überarbeitet, circa 290Seiten mit herausnehmbarer Karte, je14,95 Euro

Ein Engländer schreibt einen Reise-führer über Münchens Geheimnis-se. Das muss man sich mal vorstel-

len: Duncan J.D. Smith lässt sichin der Stadt einen Obatzn erklären,verarbeitet das Gelernte in einemBuch und lässt sein Werk ins Deut-sche übersetzen. „Nur in Mün-chen“ soll dabei keine ethnolo-gisch-parodistische Stereotypen-sammlung sein, sondern ein gut-und ernstgemeinter Tippgeber.Das Ergebnis wäre gar nicht mal soverkehrt, hätte sich der Autor aufseine Funde konzentriert und sichseine eingestreuten Stammtisch-weisheiten wie „Obwohl das multi-kulturelle Miteinander in einigenTeilen Europas letztlich als geschei-tert angesehen werden muss . . .“oder „Leider haben nur sehr weni-ge Deutsche ein gutes Verhältnis zuihren türkischen Nachbarn“ ge-spart. So bleibt das Buch hinter sei-nen Möglichkeiten. Oder wie eindarin Porträtierter, nämlich KarlValentin, sagen würde: „Kunstkommt von können, nicht von wol-len, sonst müsste es ja Wunst hei-ßen.“ mwitDuncan J.D. Smith: „Nur in München“. Ver-lag Christian Brandstätter, 232 Seiten,19,95 Euro

Für den Tisch Spannender undweitaus weniger anstrengend als

Deutschland zu Fuß scheintDeutschland zu Fluss zu sein. Querdurch die Nation auf Gewässern,Kanälen, Bächen, Seen, um dieLandschaft aus der Paddelperspekti-ve zu entdecken. Dazu dient dasBuch „Deutschland zu Fluss“, dasfünfzig Strecken vorschlägt.

Die Fulda, der Spreewald, dieMosel, der Neckar, die Diemel undund und . . . eine schöne und kom-plette Auflistung von Wasserwan-dertouren mit Rahmenprogramm.Mit oder ohne Kultur, mit oderohne Hotels, mit oder ohne Cam-ping, für Anfänger oder für Kajak-experten, für denjenigen, der nurein paar Stunden Zeit hat, und fürdenjenigen, der mehrere Tage un-terwegs sein will. In diesem Buchfinden sich alle notwendigen De-tails, um Wasserwandertouren zuplanen, zu organisieren und durch-zuführen. Nur die Plastiktüte darfman nicht vergessen, um das Buchvor dem Wasser zu schützen! eggMichael Hennemann: „Deutschland zuFluss. Die 50 schönsten Kanurouten vonList bis Oberstdorf und Selfkant bis Gör-litz“. Bruckmann 2009, 144 Seiten, 29,95Euro

Für manche Abenteuer genügenVorstellung und Einbildung. DieVorstellung zum Beispiel, sichnachts in einem Schneesturm beiminus dreißig Grad auf einem Glet-scher zu befinden. Und die Einbil-dung, plötzlich Carbon-Goretx-Aluminium-Produkte besitzen zumüssen, die nur Extrembergsteigerbenötigen: ein Zweipersonen-Expe-ditionszelt (3100 Gramm), einenPropangaskocher (68 Gramm),eine Stirnlampe (48 Gramm) undeinen Daunenschlafsack, der bis mi-nus vierzig Grad warm hält (1620Gramm).

Solche Artikel versammelt das„Globetrotter Handbuch 2009“(920 Gramm), das nun erstmals (zu-sätzlich zur Paperbackausgabe) in li-mitierter Auflage gebunden erschie-nen ist. Ein Katalog in Buchformalso, mit 721 Seiten, die Sehnsüchteschüren und Wünsche nach – fürdie Mehrheit der Menschheit – völ-lig überflüssigen Produkten sugge-rieren. Und so kommt man nach ei-nem langen Bürotag nach Hause,durchblättert in Ermangelung ei-nes Naturabenteuers das „Globe-trotter Handbuch“, träumt ein biss-chen und bestellt dann – man kannja nie wissen – vielleicht doch nochdie wasserdichten Hochtourenstie-fel (1860 Gramm). asl„Globetrotter Handbuch 2009“, gebundeneAusgabe, 721 Seiten, 4 Euro Schutzgebühr

An den beiden stillgelegten Bahnhöfen in Ballenstedt fahren heute keine Züge mehr ein. „Ballenstedt West“ wird noch von Bussen angefahren, in „Ballenstedt Ost“ wartet man heute nur noch auf den Sonnenuntergang.

NEUE REISEBÜCHER

Stadtansicht von Telgte Abb. aus

Hennemann, „Deutschland zu Fluss“, Bruckmann-Verlag

HalberstadtHalberstadt

BraunschweigBraunschweig

THÜRINGENTHÜRINGEN

NIEDER-NIEDER-SACHSENSACHSEN MagdeburgMagdeburg

QuerfurtQuerfurt

QuedlinburgQuedlinburg

NordhausenNordhausen

WernigerodeWernigerode

25 km25 km

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lev.

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Halberstadt

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SACHSEN-ANHALT

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Mittellandkanal

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H A R ZH A R Z Rappbode-

Stausee

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Ballenstedt