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Öffentliche Bibliotheken müssen ihre Rolle neu überden-
ken. Als Orte des Lernens, der Inspiration und der Unter-
haltung wird es ihnen wohl am besten gelingen, sich den
unterschiedlichen Herausforderungen des 21. Jahrhun-
derts zu stellen.
Bei den Bibliothekaren gibt es viele Mythen über Architekten
und auch viele traumatische Erlebnisse. Ich bezweifle, ob es
umgekehrt derartige Mythen gibt. In jedem Fall sind Bibliothe-
kare weitaus mehr von Architekten abhängig, als es die Architek-
ten von den Bibliothekaren sind. Lassen Sie mich mit einigen
Aussagen beginnen, die zwar provokativ klingen mögen, aber
keineswegs so gemeint sind: Gute Architektur ist für Bibliothe-
ken klarerweise unabdingbar. Aber sie ist nicht das Wichtigste.
Man kann sehr gute Bibliotheken in schlechten Gebäuden fin-
den, aber auch schlechte Bibliotheken in sehr guten Gebäuden.
Der Grund dafür – und davon bin ich überzeugt – ist, dass das
Herzstück einer Bibliothek weder die Architektur noch die
Innengestaltung, ja noch nicht einmal das Buch selbst ist. Im
Herzen der Bibliothek steht der Bibliothekar in seiner Rolle als
Berater des Benutzers.
Drei bedeutende Herausforderungen an die Bibliothek des 21. Jahrhunderts
Gute Architektur berücksichtigt die Bedürfnisse der Benutzer.
Das in den letzten Jahren enorm gestiegene Interesse an Biblio-
theksarchitektur rührt daher, dass sich die Bedürfnisse der
Benutzer in der Informationsgesellschaft laufend verändern. Im
Bibliothekswesen machen wir gerade eine Art Paradigmenwech-
sel durch, indem wir uns von einer Industrie- in eine Informati-
onsgesellschaft umwandeln – mit Informationstechnologien, die
es uns ermöglichen, den Zugang zur Information in einer Art und
Weise in unseren Alltag zu integrieren, wie es uns nie zuvor mög-
lich gewesen ist.
Und das ist die erste große Herausforderung an das Bibliotheks-
wesen des 21. Jahrhunderts: den elektronischen Zugang zu
relevanter Information zu gewähren und ihn in den Alltag zu
integrieren. Wir haben heute eine Situation erreicht, in der wir
fast immer nur ein paar Schritte und ein paar Klicks vom Inter-
net entfernt sind, vom Zugang zu Artikeln, Enzyklopädien,
Fotos, Musik etc.
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Die Bibliothek der Zukunft
Hybrid, virtuell oder real?
Autor: Jens Thorhauge
Die königliche Bibliothek in Kopenhagen, von den Kopenhagenern liebevoll „Black Diamond“ genannt
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Die zweite Herausforderung ist, dass wir den Auswirkungen des
verstärkten Zugangs zu digitalen Medien Rechnung tragen müs-
sen. Wir müssen einen neuen, realen Bibliotheksraum schaffen
und das Konzept einer Bibliothek als reinem Lagerraum verwer-
fen. Wir müssen dem Trend Rechnung tragen, dass digitale Quel-
len immer mehr zu einer Sache globaler Kooperation werden,
während gleichzeitig die realen Bibliotheken immer lokalspezi-
fischer werden, um die speziellen Bedürfnisse der Bürger zufrie-
den zu stellen. Natürlich besuchen wir eine Öffentliche Biblio-
thek, um neue Bücher und andere Medien zu sehen. Aber wir tun
dies auch, um zu lernen, um an kulturellen Veranstaltungen teil-
zunehmen oder um einfach Zeitung zu lesen. Nur selten gehen
wir dorthin, um in den riesigen alten Sammlungen zu stöbern.
Hie und da fragen wir nach einem speziellen alten Titel – und wir
erhalten ihn. Aber wir brauchen nicht mehr in jeder Bibliothek
große Sammlungsbestände.
Die dritte große Herausforderung an das Bibliothekswesen ist
die Entwicklung neuer Standards für den Beruf des Bibliothe-
kars. Diese Herausforderung zielt primär darauf ab, den unter-
schiedlichen Bedürfnissen der Nutzer in einer aktiveren Art und
Weise zu entsprechen.
Klarerweise geht es hier vor allem um die zweite Herausforde-
rung: d.h. darum, eine Bibliothek zu schaffen, die auf die
Bedürfnisse der Bürger der Informationsgesellschaft eingeht.
Wollte ich provozieren, so würde ich sagen, dass – angenommen,
es gäbe in der Zukunft nur einen einzigen Bibliothekstypus – es
meiner Meinung nach der virtuelle wäre. Das rührt daher, dass
die Funktion der Bibliothek in der Geschichte dieselbe geblie-
ben ist; nämlich die, einen Zugang zur Information zu gewähren
– natürlich unter den unterschiedlichsten Bedingungen und für
verschiedenste Zielgruppen.
Von der mittelalterlichen Bibliothek bis heute beobachten wir
eine klare Tendenz, wie Zug um Zug der Zugang zu Information
ausgeweitet wurde: von einer Elite (Kirche und Hof) zu den
Gelehrten, dem Bürgertum, der Arbeiterschaft bis hin zu den
Kindern. Schritt für Schritt wurde der Zugang zur Information
demokratischer und leichter zugänglich. Offensichtlich bewegen
wir uns auf die Personalisierung der Bibliotheksdienste zu, mit
individuellen Benutzerprofilen und Benachrichtigungssystemen.
Diese Funktion eines „Zugangs zur Information“ wird in Zukunft
möglicherweise immer stärker auf digitaler/virtueller Ebene
erfüllt werden; bis hin zu einer Situation, in der man „die Infor-
mation erhält, wenn man sie sich vorstellen kann“. Das heißt
also, wenn man sein Informationsbedürfnis artikulieren kann,
wird es auch erfüllt.
Trotzdem glaube ich nicht, dass wir in näherer Zukunft allein auf
digitale Bibliotheken angewiesen sein werden. Noch immer gibt
es viele Informationsquellen in den traditionellen Bibliotheken,
die nicht digitalisiert werden. Und es wird auch weiterhin einen
Bedarf an neuen Büchern geben, die Romane und andere lineare
Texte enthalten. Worauf ich eigentlich hinaus will ist, dass wir,
solange wir auf die gegenwärtig bekannten Technologien ange-
wiesen sind, auch reale Bibliotheken haben werden. Und zwar in
einer Form, die wir üblicherweise als Hybrid bezeichnen, wo also
virtuelle und herkömmliche Quellen einander ergänzen. Deshalb
sollten die Planer von Bibliotheken die Tatsache nicht negieren,
dass Nutzer digitaler Bibliotheken unter Umständen regelmäßig
individuell betreut werden sollten. In der ganzen westlichen Welt
heißen die neuen Felder im wissenschaftlichen Bibliothekssek-
tor E-Learning und E-Publishing. Elektronische Nachschlage-
werke und andere Hilfsdienste mit verschiedensten Expertisen
und Profilen werden in den nächsten Jahren unabdingbar sein.
Wie nahe sind wir einer digitalen Zukunft?
Wie sich jeder hier wohl bewusst ist, verläuft die Entwicklung der
Bibliotheken in Europa sehr uneinheitlich. So kann auch die
Frage „Wie nahe sind wir einer digitalen Zukunft?“ nur differen-
ziert beantwortet werden. Doch ist diese Frage von äußerst gro-
ßer Relevanz. Lassen Sie mich Ihnen deshalb einen ganz kurzen
Überblick über die Situation in Dänemark geben. Wir verfügen
heute bereits über eine gut funktionierende digitale Forschungs-
datenbank. Diese basiert auf einer Vernetzung der Bibliotheken
und steht Studierenden und Forschern zur Verfügung, vor allem
mittels eines Proxy-Servers, der den Zugang zu Journalen und
anderen Quellen ermöglicht (Dänische Elektronische For-
schungsbibliothek). Bei einem Drittel aller Entlehnungen im wis-
senschaftlichen Bibliothekssektor handelt es sich heute bereits
um heruntergeladene Daten.
Es gibt ein landesweites Bibliothekssystem (http://www.biblio-
tek.dk), mit dessen Hilfe jede Art von Medium, das von einer
öffentlichen oder einer Forschungsbibliothek angekauft wird,
gesucht, reserviert und angefordert werden kann. Abholen kann
man es dann bei jeder beliebigen Bibliothek. Wir sind jetzt kurz
vor dem Abschluss eines Vertrages mit der Urheberrechtsorga-
nisation, um Bibliotheken die Möglichkeit einzuräumen, Artikel
und Teile von Büchern zu digitalisieren und sie per E-Mail direkt
an den Endverbraucher zu senden. Öffentliche Bibliotheken
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Bibliotheksbauten als kultur- und bildungspolitische Signale THEMA
experimentieren mit Digitalentlehnungen von Musik und elektro-
nischen Büchern. Wir haben ein nationales elektronisches Nach-
schlageservice, eine große Anzahl themenbezogener Portale
sowie spezielle Informationsangebote. Tag für Tag nehmen die
digitalen Bibliotheksdienste zu.
Was aber bleibt dann den traditionellen Bibliotheken? Ermögli-
chen die Bibliotheken den elektronischen Zugang zu Musik,
Videos, Nachschlagediensten, Enzyklopädien, Wörterbüchern
und Fachschriften, dann bleiben nur noch kulturgeschichtliche
und längere lineare Texte. Dies wäre ausreichend für ein
Museum, nicht aber für eine Bibliothek, da deren Hauptaktivi-
tät ja, wie zuvor bereits erwähnt, in der Gewährung des Informa-
tionszugangs liegt. Aber Bibliotheken scheinen sich zu weit mehr
zu entwickeln. Denn selbst wenn die elektronischen Zugangs-
möglichkeiten immer ausgereifter werden, so liegt das große
Plus doch darin, dass man in einer Bibliothek den Bibliothekar
persönlich antreffen kann – genauso wie man auf kulturhistori-
sche Vorträge, auf neue Bücher und andere reale und virtuelle
Medien treffen kann. Die Bibliothek wird vielleicht mehr zu
einem Schauraum, andererseits könnte sie ja auch ein Ort zum
Lernen oder für kulturelle Veranstaltungen sein, so wie dies
bereits seit einigen Jahren in vielen Bibliotheken der Fall ist. Es
gib eine Fülle an Möglichkeiten. Dennoch meint der britische
Forscher Peter Brophy in „The library in the 21st century“
(2001): „Die Fähigkeit Möglichkeiten wahrzunehmen und auf
Beispiele hinzuweisen, bedeutet nicht automatisch, dass Biblio-
theken notwendigerweise einen zentralen Platz in der zukünfti-
gen Gesellschaft einnehmen werden. Denn dieser Platz muss
erst verdient werden. Und es sind die Bibliothekare, die ihn
erobern werden müssen.“
Ich bin überzeugt, dass dieser Punkt – nämlich, dass man sich in
Zukunft den Platz erst wird verdienen müssen – für viele Insti-
tutionen und Organisationen von Relevanz ist. Bibliotheken
können natürlich auch darunter sein.
Deshalb lautet die nächste Frage: Wie verdienen wir uns diesen
Platz? Auf einer allgemeinen Ebene ist die Antwort darauf mit
jener des vergangenen Jahrzehnts ident: Indem wir unseren
Nutzern einen Mehrwert bieten. Allerdings sind die Bedingun-
gen, unter denen wir dies tun müssen, härter als zuvor. Der Wett-
bewerb ist beängstigend und die Zugangsmöglichkeiten zu
Informationen zahllos. Deshalb müssen wir neue Funktionen ent-
wickeln und neue Bedürf-
nisse befriedigen. Ein guter
Beweggrund, neue Modelle
anzuwenden, könnte jener
sein, dass der virtuelle Zugang technisch zwar sehr gut sein mag,
dadurch aber nicht unbedingt alle menschlichen Wünsche erfüllt
werden können. Wir brauchen Orte der Begegnung, der Inspira-
tion, Orte, wo wir lernen oder uns unterhalten lassen können.
Ray Oldenburg beschreibt in „The Great Good Place“ (1989)
Orte, die er als „dritte Orte“ bezeichnet (wobei der „erste Ort”
das Zuhause und der „zweite“ der Arbeitsplatz ist). Oldenburg
zufolge sind diese „dritten Orte“ aus einer Vielzahl von Gründen
extrem wichtig für eine Gemeinschaft. Sie sind unverwechsel-
bare, informelle Treffpunkte. Die Bürger fühlen sich dort wohl.
Sie begünstigen zwischenmenschliche Beziehungen und vielfäl-
tigen Kontakt mit anderen. Sie schaffen ein Zusammengehörig-
keitsgefühl. Sie erzeugen (staats-)bürgerlichen Stolz. Sie eröff-
nen die Möglichkeit, plötzlich auf einen „Schatz“ zu stoßen.
Bibliotheken haben ein außergewöhnliches Potential als „dritte
Orte“, denn sie eignen sich zum Lernen, als Ort der Inspiration
und Unterhaltung. Eine der jüngsten europäischen Antworten
auf die Frage nach der Funktion Öffentlicher Bibliotheken gibt
das so genannte Pulman-Projekt. In diesem Projekt werden vier
Gebiete bzw. Nebenfunktionen der Öffentlichen Bibliothek
unterschieden: Demokratie und Bürgerrechte, lebenslanges Ler-
nen, wirtschaftliche und soziale Entwicklung sowie Unterstüt-
zung und Förderung der kulturellen Vielfalt. Man könnte es auch
so ausdrücken, dass die Öffentliche Bibliothek ein Ort sein sollte,
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THEMA Bibliotheksbauten als kultur- und bildungspolitische Signale
Die Öffentliche Bibliothekvon Sundby bei KopenhagenF
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der dem Leben des Einzelnen einen Mehrwert verleiht – sei er
nun ein informierter Bürger, ein lebenslang Lernender, jemand,
der nach neuen Kompetenzen und Erkenntnissen sucht oder
jemand, der sich immer gern von einem neuen Buch, von Musik
oder von Kulturerbe inspirieren lässt. Die Öffentliche Bibliothek
ist der am besten geeignete „dritte Ort“ der Zukunft. Sie ist der
ideale Ort, um andere zu treffen, um zu lernen, nachzudenken,
sich zu entspannen oder um sich inspirieren zu lassen. Die Werte,
auf denen die Bibliothek basiert, sind relativ stabil: Demokratie,
Aufklärung, Humanismus, das Hochhalten des Rechts auf Infor-
mation, persönliche Entwicklung, Erkenntnis und Überblick. Der
in der Praxis wahrscheinlich wichtigste Wert der Öffentlichen
Bibliothek ist die neutrale und ausgeglichene Basis, von der aus
sie jedem den Zugang ermöglicht: Jeder kann der Bibliothek ver-
trauen und sie konsultieren.
Künftige Anforderungen an die Öffentliche Bibliothek
Eine Bibliothek so zu planen, dass sie künftigen Anforderungen
gerecht wird, zählt natürlich zu einer der kompliziertesten und
anspruchsvollsten Aufgaben. Ich werde in diesem Zusammen-
hang nur einige Themen aufgreifen und erläutern. Zunächst
einige Anmerkungen zur Beziehung zwischen Form und Inhalt –
Architektur und Bibliothek. Betrachten wir einige außergewöhn-
lich gut gelungene Gebäude der letzten zehn Jahre, so sehen wir,
dass einige deshalb so herausragend sind, weil sie den Gebäu-
dezweck reflektieren und präsentieren.
Norman Forsters Umgestaltung des Berliner Reichstags drückt
das Ideal der Offenheit von Demokratie aus – nicht bloß durch
die transparente Kuppel, sondern insbesondere dadurch, dass
man von außen in das Parlament einsieht und so die Abstimmun-
gen mitverfolgen kann.
Frank Gehrys Guggenheim Art Museum in Bilbao lässt das tra-
ditionelle Gebäudekonzept ganz hinter sich und führt etwas ein,
das an organische Strukturen erinnert, das Kreativität und
künstlerischen Mut ausdrückt. Ein etwas weniger extremes Bei-
spiel ist die Königliche Bibliothek in Kopenhagen – „The Black
Diamond“. Auch sie lässt von außen vermuten, was sie ist: eine
riesengroße Schatzkiste, sicher und verschlossen. Vom Wasser
aus aber kann man sie einsehen und erahnen, welche Schätze
sich in ihr befinden. Sollten Bibliotheksbetreiber künftig Ambi-
tionen haben, Gebäude zu errichten, die wirklich auch vom
architektonischen Standpunkt herausragend sind (bzw. sollten
die Politiker im Namen der Bibliotheken diese Ambitionen
haben), dann sollte man versuchen, jenen Architekten nachzu-
eifern, die diesbezüglich bereits Geschichte geschrieben haben
(Foto Seite 6).
Da es aber in Europa schätzungsweise mehr als 100 000 Biblio-
theken gibt, können nicht alle einen Foster oder einem Libeskind
engagieren. Und da derzeit gerade viele neue Bibliotheken ent-
stehen, verfügen wir über einige grundlegende Erfahrungen, die
relativ offensichtlich sind. Ein zentraler Standort in der Stadt ist
wesentlich, ebenso die Nähe guter öffentlicher Verkehrsverbin-
dungen und Parkmöglichkeiten – er muss leicht erreichbar sein.
Und man sollte sich dort wohlfühlen können: Die Architektur
sollte ansprechend, wenn möglich einzigartig sein; sie sollte die
Werte der Bibliothek repräsentieren, d.h. Zugangsmöglichkei-
ten, Bürgerrechte, Gemeinde und Gemein-
schaft, Dialog, kritische Reflektion, Inspira-
tion. Eine gute Idee wäre vielleicht, die
Bibliothek mit anderen adäquaten Aktivi-
tätszentren zu verbinden, z. B. mit Buchlä-
den, Musikgeschäften, Galerien, Kinos und
Cafés.
Allgemeine Empfehlungen hinsichtlich der
Innengestaltung sind am schwierigsten zu
geben. Hier aber zumindest ein paar: Man
sollte sich leicht zurechtfinden und einen
Überblick erhalten können. Eine klare Prä-
sentation der Vielzahl an Möglichkeiten ist
immer schon eine Herausforderung für
Bibliotheken gewesen. Denken Sie an die
Flexibilität: Regale auf Rollen, verschieb-
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Bibliotheksbauten als kultur- und bildungspolitische Signale THEMA
Eine Öffentliche Bibliothek im Schwimmbad: Haraldslund in Aalborg
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bare Wände. Und am wichtigsten: Planen Sie unterschiedliche
Räume ein. Mein Vorschlag wären Räume zur Präsentation inspi-
rierender Medien und für Ausstellungen, Orte zum Lernen und
für Workshops, attraktive Treffpunkte wie z. B. gute Cafés, und
schließlich Plätze zum Nachdenken und Reflektieren. Man
könnte aber genauso gut an Arbeits-, Kommunikations- und
Spielplätze denken. Meine primäre Sorge hinsichtlich der Innen-
gestaltung ist, dass die Hauptaufgabe künftiger Bibliotheken
nicht darin bestehen kann, ihre Räume allein der Aufbewahrung
der Sammlungen zu widmen. Vielmehr sollte man andere Lösun-
gen suchen, die eher den Bedürfnissen der Benutzer entspre-
chen.
Hinsichtlich der Organisation beinhalten die allgemeinen Emp-
fehlungen Schlagworte wie das Netzwerkbilden und Kooperie-
ren mit relevanten Institutionen (Bildung, Kulturerbe), Klubs,
Benutzern, Wirtschaftstreibenden. Vielleicht organisieren Sie
eine beratende VIP-Gruppe, um die Unterstützung wichtiger
Ressourcen Ihrer Gemeinde zu bekommen? Um Innovationen zu
fördern, können Sie permanent mit Mitarbeitern arbeiten, die
nur für die Projektdauer engagiert sind – zumindest ließe dies
eine laufende Entwicklung zu. Kindern und Jugendlichen
höchste Priorität einzuräumen, wäre für die meisten Bibliothe-
ken klug.
Drei dänische Beispiele für lokale Bibliotheksprofile
Die primäre Herausforderung besteht darin, Modelle für lokale
Bibliotheken zu finden. Diese sollten berücksichtigen, dass
einige herkömmliche Bibliotheksdienste bereits über das Inter-
net verfügbar sind oder es bald sein werden. Daraus folgt, dass
es nicht notwendig ist, diese Bibliotheken als lokale Version
einer Hauptbibliothek zu konzipieren. Anstatt darüber nachzu-
denken, wie Bibliotheken früher einmal waren, sollte man darü-
ber nachdenken, wie Bibliotheken einen Mehrwert in das Leben
der Bürger bringen können. Lassen Sie mich Ihnen drei verschie-
dene Beispiele geben, die Sie näher betrachten können, wenn
Sie nach Dänemark kommen.
Skanderborg – die Kleinstadt
Skanderborg ist eine Kleinstadt mit 12 500 Einwohnern, in einem
Bezirk mit insgesamt etwa 21 000 Einwohnern, wobei der Rest
in kleinen Dörfern lebt. Die eher traditionelle Öffentliche Biblio-
thek der Stadt wurde umgestaltet. Zusätzlich wurde ein neues
Gebäude errichtet, das eine Multifunktionshalle beheimatet, die
für Kino, Konzerte, Theater und Konferenzen genutzt werden
kann. Es gibt auch ein sehr gutes Café, in dem man sogar spei-
sen kann, und es gibt Sitzungsräumlichkeiten (die auch vom Bür-
germeister und dem Rathaus genutzt werden). Das Konzept der
Bibliothek ist in gewisser Hinsicht ein traditionelles. Die gesamte
Institution wird von der Bibliothek betrieben – ausgenommen
das Café. Nur die Kulturprogramme, die Veranstaltungen, Kon-
zerte usw. werden von ehrenamtlichen Mitarbeitern in Koopera-
tion mit der Bibliothek als Managementstütze organisiert und
durchgeführt. Bei dem Konzept handelt es sich also um ein mul-
tifunktionales Zentrum, das gemeinsam von geschultem Perso-
nal und Freiwilligen betrieben wird, wobei die Veranstaltungs-
dichte bemerkenswert ist. Die Bibliothek befindet sich am bes-
ten Platz der Stadt und überragt einen wunderschönen See. Die
Bibliothek ist so zum Gemeindezentrum geworden, das jeder
besucht und in dem die verschiedensten Aktivitäten für Kinder,
Eltern, ältere Menschen etc. stattfinden.
Bibliothekszweigstelle und Schwimmbäder in der Pro-
vinzhauptstadt Aalborg
Mein zweites Beispiel (Foto Seite 9) befindet sich in Aalborg,
einer Provinzhauptstadt mit etwa 120 000 Einwohnern, in einem
ehemaligen Arbeiterbezirk. Hier wurden zwei Institutionen zum
Vorteil beider zusammengelegt und integriert. Eine alte Biblio-
thekszweigstelle, ausgelegt nach dem Konzept einer Miniatur-
hauptbibliothek – mit zuwenig Platz, zu vielen alten Büchern
und einem schlechten Standort –, wurde geschlossen. Zur glei-
chen Zeit wurde die Renovierung der örtlichen Schwimmbäder
notwendig. Daher entschied man sich zur Errichtung eines
neuen Komplexes mit einer Bibliothek, einem Fitnesszentrum
und Schwimmbädern mit Glaswänden zwischen Pool und Biblio-
thek. Ein neues Bibliotheksprofil wurde erstellt mit Schwerpunkt
auf Sportliteratur, Informations- und Kommunikationstechnolo-
gien, guten Internetverbindungen, Tageszeitungen, Zeitschrif-
ten, den neuesten Romanen und Sachbüchern. Heute gibt es im
Eingangsbereich des Schwimmbades Internet-Terminals, Tages-
zeitungen, Zeitschriften sowie eine angenehme Atmosphäre und
Platz zum Entspannen und Plaudern. Die echte Sensation aber
ist, dass durch die Zusammenlegung der beiden Institutionen
(mit demselben Budget wie vorher) die Öffnungszeiten wesent-
lich ausgeweitet werden konnten: werktags von 6.00 bis 22.00
Uhr. Das Service wurde deutlich verbessert und die Zahl der
Benutzer ist innerhalb eines Jahres um 30 % gestiegen. Der
Punkt war, dass eine allgemeine Zweigstellenbibliothek nicht die
Bedürfnisse der Besucher erfüllte – die Bewohner dieses Stadt-
teils waren nicht mehr Arbeiter, sondern Studenten und junge
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THEMA Bibliotheksbauten als kultur- und bildungspolitische Signale
Leute. Und da die Hauptbibliothek der Stadt weniger als drei
Kilometer von diesem Standort entfernt lag, war es offensicht-
lich, dass man das traditionelle Profil ändern musste, wobei die-
ses in einer neuen Art aus dem „drittem“ Ort resultierte.
Nachbarschaftszentrum in Kopenhagen
Mein drittes Beispiel ist ein Nachbarschaftszentrum in Jemte-
landsgade, einem multikulturellen Stadtteil von Kopenhagen.
Der Stadtteil zählt zu einem der schäbigsten Kopenhagens, voll
verlassener Industrieanlagen und kleiner Wohnhäuser, errichtet
gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Hier leben 16 000 Menschen,
viele mit einer anderen ethnischen Herkunft als der dänischen.
Das Gebiet wurde Ziel systematischer Anstrengungen, das
Stadtbild zu verschönern. Und zwar durch die Renovierung von
Gebäuden, die Umgestaltung hässlicher Parkplätze in schöne
Plätze und durch das Austauschen langweiliger Fastfood-Shops
zugunsten einladender Cafés. Das Nachbarschaftszentrum
befindet sich in einem alten Industriebau. Personal und Haupt-
aktivitäten hängen mit der Bibliothekszweigstelle im Haus
zusammen. Aber das Entlehnen von Büchern scheint in Relation
zu den anderen Gemeinschaftsaktivitäten eine eher nebensäch-
liche Rolle zu spielen: einander treffen, lernen, sich informieren,
Hilfe finden beim Lösen diverser Alltagsprobleme, bei den Haus-
aufgaben, beim Dänisch lernen, beim Versuch, den dänischen
Arbeitsmarkt und andere schwierige Themen durchblicken. Die
Bibliothek arbeitet eng und partnerschaftlich mit lokalen Projek-
ten und Organisationen zusammen, um viele verschiedene Akti-
vitäten anbieten zu können.
Vom architektonischen Standpunkt aus ist ein Detail besonders
interessant: Es wurde vor allem das Gebäudeinnere umgestaltet.
Allerdings wurde ein riesiger Glaskasten angebaut, der nun als
Besprechungsraum dient. Entscheidend ist natürlich seine Trans-
parenz. So wie im Fall des Berliner Reichstags handelt es sich um
einen Ort, der offen ist und auch jedem offen steht: „Komm zu
uns!“ ist das Signal (Foto Seite 8).
Meine drei Beispiele sollten optimistisch stimmen. Es gibt eine
Zukunft für die Bibliothek. Sie kann sich einen Platz erobern.
Aber nur dann, wenn es gelingt, ihre Rolle für den jeweiligen Ort
zu identifizieren, sie den Bedürfnissen der Bevölkerung anzu-
passen und sie in einen ansprechenden „dritten Ort“ zu verwan-
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Jens Thorhauge: Generaldirektor der
Dänischen Nationalbehörde für Bibliotheken.
1971–1977 Dozent an der Universität Aarhus, Institut
für vergleichende Literaturwissenschaften; 1975–1989
außerordentlicher Professor für Literaturgeschichte
an der Königlichen Schule für Bibliothekswesen,
Zweigstelle Aalborg; 1989–1995 Leiter des Institutes für
Betriebsberatung und berufliche Weiterbildung an der
Königlichen Schule für Bibliothekswesen, Kopenhagen;
1995–1997 Geschäftsführer des Dänischen
Bibliotheksverbandes. Internationale Tätigkeiten:
Seit 1990 Mitglied des ständigen Komitees für
Bibliothekstheorie und -forschung der IFLA,
Projektmanager der EU-Studie über Europäische Bib-
liotheken in der Informationsgesellschaft.
Projektgutachter für die Europäische Kommission.
Die Öffentliche Bibliothek Skanderborg liegt als multifunktionales Kulturzentrum am besten Platz der Stadt
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