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Kopf an: Motor aus. Für null CO2 auf Kurzstrecken. Die Blaupause

Die Blaupause

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Leitfaden zur Kampagne "kopf an: Motor aus. Für null CO2 auf Kurzstrecken".

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Kopf an: Motor aus. Für null CO2 auf Kurzstrecken.

Die Blaupause

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„Wer aufhört zu werben, um Geld zu sparen, kannebenso seine Uhr anhalten, um Zeit zu sparen.“HENRY FORD, US-AMERIKANISCHER UNTERNEHMER (1863-1947)

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INHALT

Editorial: Warum noch ein Leitfaden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Die Situation in den Kommunen: Kommunikation ist entscheidend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Klimaschutz rechnet sich: CO2 und Geld sparen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Die Hebel für mehr Klimaschutz: Stellschrauben für den Kampagnenerfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Kommunalpolitik und Verwaltung: Ohne Grundsatzbeschluss läuft nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14Bürgerbeteiligung: Bürger und Multiplikatoren frühzeitig und wirksam einbinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .18Medien und Öffentlichkeitsarbeit: Köpfe und Herzen erreichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .22

Was konkret zu tun ist: Eine erste Mittel- und Ressourcenplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26Checkliste: Detaillierte Schritte und Zeitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Literatur: Verwendete und weiterführende Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

Kontakt/Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

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Das Projekt „Kopf an: Motor aus. Für null CO2auf Kurzstrecken“ geht von der These aus,dass es mindestens zwei Wege zur Verände-rung der autozentrierten Nahmobilität gibt.Der gängige Weg: Man baut Rad- und Fuß-wege und hofft, dass die Bürger sie automa-tisch nutzen. „Kopf an“ will die Nachfragenach emissionsloser Mobilität durch Kommu-nikation steigern und sie zu einem kommunal-politisch wirksamen Faktor machen.

Fast drei Jahre haben wir als Team des „Kopfan“-Projektes Erfahrungen gesammelt, wieprofessionelle Werbekampagnen mit dem Sys-tem Kommune verknüpft werden können.Hier treffen zweifelsohne zwei Welten auf-einander. Verkehrsplaner oder Bauingenieureim Tiefbauamt bearbeiten vor allem das Ver-kehrsangebot in Form von Fahrradwegen,Abstellanlagen, Lichtzeichenanlagen. Kom-munikationsfachleute wollen über Ansprachevon Emotionen wie Status, Freude oder Stolzdie Menschen zu einem anderen Verhaltenbewegen – und dazu, die Infrastruktur fürumweltfreundliche Mobilität auch zu nutzen.

Der vorliegende Leitfaden ist die Dokumenta-tion, dass sich die Sprache der Planer in die derWerber übersetzen lässt und andersherum. Inder Kampagne „Kopf an: Motor aus“ habenwir in neun Städten auf Großflächenplakaten,in Radiospots und auf Veranstaltungen dieIdeen und Anforderungen von Tiefbauamt,Ordnungsamt und Presse- und Öffentlich-

keitsamt erfolgreich vernetzt und in einedirekte emotionale Ansprache der Bürger ver-wandelt. Die Kampagne ist damit beispielge-bend.

Der Leitfaden beschreibt durch die Brille vonan „Kopf an“ beteiligten Expertinnen undExperten aus der Kommunalverwaltung, vonkommunalen Dachverbänden, aus der Ver-kehrsplanung sowie aus der Kommunikati-onsbranche und den Medien, wie eine Kom-munikationskampagne im kommunalen Kon-text funktioniert. Er destilliert am Beispiel„Kopf an“ die Essenz eines Kampagnenablaufsin einer Kommune.

Die wesentlichen Punkte sind jeweils am Endeder Artikel herausgehoben, so dass der Leitfa-den als Blaupause für kommunales Kampa-gnenmanagement in seinen Grundthesenschnell zu erfassen ist. Wer es genauer wissenwill, liest die Artikel. Wenn Sie danach über-zeugt sind, dass Sie in Ihrer Kommune aucheine solche Kampagne brauchen, dann setzenSie sich mit uns an einen Tisch und wir findeneine maßgeschneiderte Lösung.

Michael Adler, Geschäftsführer derfairkehr-Agentur

Warum noch ein Leitfaden?Kampagnen und Kommunen sind kein naturgegebenes Traumpaar.

Oft fremdeln Verwaltungsfachleute mit Werbesprüchen. Dieser

Leitfaden dokumentiert die Erkenntnisse eines Pionierprojektes.

Michael Adler ist Geschäfts-

führer der Bonner Kommunika-

tionsagentur fairkehr, die die

Kampagne gemeinsam mit der

Berliner Agentur velokonzept

ins Leben rief.

EDITORIAL

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Verkehr bildet weltweit zusammen mit Kohle-kraftwerken den Hauptreiber des ungebrems-ten Anstiegs der CO2-Emissionen. Handlungs-maxime aller Klimaschutzmaßnahmen imBereich Verkehr muss daher die Trias aus Ver-meidung, Verringerung und Verlagerung sein.Die Mobilitätsbedürfnisse von Wirtschaft undGesellschaft müssen nach Möglichkeit mitweniger Verkehr oder durch effizienteren Res-sourceneinsatz befriedigt und der notwendige„Rest“-Verkehr sollte so umweltfreundlich wiemöglich gestaltet werden.

Stadt der kurzen Wege als neuesPlanungsziel

Die Verkehrsinfrastruktur stammt überwie-gend aus einer Zeit, als die autogerechte Stadtdas Maß aller Dinge war. Das macht es heuteoft schwer, Alternativen zur Automobilität zuentwickeln. Denn dafür muss häufig derStraßenraum komplett umgestaltet werden –bishin zur Veränderung vom Stadtgrundriss.Mit der Leipzig-Charta von 2007 beschlos-sen die europäischen Minister für Stadt- undRaumentwicklung das Leitbild der nach-haltigen europäischen Stadt. Das Ziel: eineintegrierte Stadtentwicklung, bei der dieräumliche Trennung von Auto-, Rad- undFußverkehr zugunsten einer Mischnutzungaufgegeben wird. So entsteht bei gleichblei-benden Mobilitätsbedürfnissen weniger Ver-kehr. Und der lässt sich zudem umweltfreund-licher abwickeln, weil Rad- und Fußverkehrbekanntermaßen dem Auto im Nahbereich

überlegen sind, und das nicht nur unter ökolo-gischen Gesichtspunkten. Dies gilt im größe-ren räumlichen Kontext natürlich auch fürden ÖPNV.

Verbindliche rechtliche Regel-werke sind wichtig

Aber nicht nur die Hardware, das heißt diebauliche Infrastruktur der Straßen und Wege,muss verändert werden, sondern auch dieSoftware: rechtliche Regelwerke, die auf dasVerkehrsgeschehen direkt oder indirekt ein-wirken. Hierfür tragen in erster Linie Bundund Länder die Verantwortung – zum Beispiel,wenn es darum geht, die steuerrechtlichenund technischen Rahmenbedingungen zuändern, um damit eine stadt- und umweltver-trägliche Verkehrspolitik zu unterstützen.Auch das Straßenverkehrsrecht lässt in dieserBeziehung noch viel zu wünschen übrig:Oberstes Ziel der Straßenverkehrsordnung istweiterhin die Sicherheit und Leichtigkeit desVerkehrs, von Nachhaltigkeit ist nicht dieRede. Die EU muss kohärente rechtliche Vor-gaben beispielsweise zum Emissions- undImmissionsschutz schaffen, damit es in derPraxis nicht zu widersprüchlichen Umwelt-standards kommt, für deren Umsetzung vorOrt die Kommunen zuständig sind. Nichtzuletzt sind die Autoindustrie und die Mine-ralölwirtschaft gefordert, durch die Entwick-lung umweltfreundlicher Fahrzeuge undAntriebe für eine bessere Umweltbilanz desAutoverkehrs zu sorgen.

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HINTERGRUND

Die Situation in den KommunenViele Kommunen haben eigene Klimaschutzziele entwickelt.Mobilität sollte darin ein wichtiger Faktor sein – und die Kom-munikation der Ziele ist entscheidend.

Im Rahmen der deut-

schen EU-Ratspräsi-

dentschaft fand im Mai 2007

das Informelle Treffen der für

Stadt- und Raumentwicklung

zuständigen Minister statt. Das

politische Leitthema lautete:

„Die europäische Stadt und ihre

Region stärken – Wettbewerbs-

fähigkeit, sozialen und territo-

rialen Zusammenhalt in den

Städten und Regionen Europas

entwickeln“. Ein Ergebnis war

die Leipzig-Charta.

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Information und Kommunikationsind unverzichtbar

Alle infrastrukturellen und ordnungspoliti-schen Ansätze bewirken jedoch wenig, wenndie Verkehrsteilnehmer ihr Verhalten nichtändern. Daher ist es unverzichtbar, durchInformation und Kommunikation darauf hin-zuwirken, dass die Menschen sich bei der Ver-kehrsmittelwahl für Bus, Bahn, Fahrrad oderFüße – und gegen das Auto – entscheiden. Diebeste Gelegenheit ergibt sich bei biografischenoder ortsbezogenen Veränderungen. Wer dieStelle oder den Wohnort wechselt, zusammen-zieht oder in den Ruhestand geht und sichdaher ohnehin neu orientieren muss, ist eherbereit, bisherige Mobilitätsgewohnheiten zuverändern. Hier setzen Informations- undKommunikationskampagnen zur Änderungdes Verkehrsverhaltens an, wie beispielsweisedas „Neubürgerpaket“ der bayerischen Lan-deshauptstadt und der Münchener Verkehrs-gesellschaft.

Stadtverkehr und Klimaschutzbedingen sich gegenseitig

Die Städte sind sich ihrer Verantwortung fürmehr Klimaschutz auch und besonders imVerkehr bewusst. Im zunehmend globalenWettbewerb um Unternehmensansiedlungenund Kaufkraftzuwachs ist die Infrastruktureiner Stadt als harter Standortfaktor zwarunverzichtbar. Immer wichtiger werden aberauch die sogenannten weichen Standortfakto-

ren wie kulturelles und soziales Angebot undeine möglichst intakte Umwelt. Stadtverkehrund Klimaschutz sind daher keine Gegen-sätze, sondern bedingen sich gegenseitig. Nurein umweltfreundlicher Verkehr trägt zurAttraktivität von Städten im Sinne von mehrLebens- und Aufenthaltsqualität bei. Nur miteinem attraktiven ÖPNV sowie guten undsicheren Bedingungen für Radfahrer und Fuß-gänger lassen sich die Mobilitätsbedürfnisseder Menschen in den Städten nachhaltigbefriedigen. Und nur mit Information undKommunikation können die Kommunen Bür-gerinnen und Bürger für die alternativenMobilitätsangebote gewinnen und sie über-zeugen, das Auto auch mal stehen zu lassen.

Oliver Mietzsch, Hauptreferent für Verkehrund Tiefbau des Deutschen Städtetages

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HINTERGRUND

Das Ringbuch, aufge-

baut im Stile eines

„Mobilitäts-Organizers“, enthält

neben Informationen zum

Thema Mobilität und Verkehr in

München einen speziell konzi-

pierten Stadtplan. Darauf kön-

nen sich die Neubürger mit

einem Blick über die Linien von

S-Bahn, U-Bahn, Bus oder Tram

und über die Carsharing- und

Taxi-Standorte in ihrer Nähe

informieren. Servicenummern,

Adressen und Internetseiten

stehen auf dem Klappdeckel des

Neubürger-Ordners.

i

Das Wichtigste:

� Nur mit Information und Kommunika-

tion können die Kommunen Bürgerin-

nen und Bürger für die alternativen

Mobilitätsangebote gewinnen und sie

überzeugen, das Auto auch mal ste-

hen zu lassen.

� Wer Bürger zu einer anderen Ver-

kehrsmittelwahl bewegen will,

erreicht sie am besten nach einem

Umzug oder Lebensumbrüchen.

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BEDEUTUNG

Klimaschutz rechnet sichKampagnen wie „Kopf an“ sparen Tausende Tonnen CO2 ein,machen Menschen gesünder und bescheren Kommunen undBürgern mehr Geld.

Verkehr ist eine Thema, bei dem Bund, Länderund Kommunen Milliarden investieren. Auto-bahnabschnitte, Umgehungsstraßen, Bahn-höfe oder U-Bahnlinien schlagen schnell malmit dreistelligen Millionenbeträgen oder garMilliarden zu Buche. Weil das so ist, habenStraßenbauverwaltungen oder ÖV-Betriebeausgeklügelte Messverfahren, mit denen sieden volkswirtschaftlichen Nutzen solcherGroßprojekte scheinbar genau messen undbeweisen können. Beim Rad- oder Fußverkehrfehlen solche Messmethoden leider noch weit-gehend. Da Verkehrspolitiker gemeinhin dieseemissionsfreien Mobilitätsformen eher geringschätzen, wird auch ihr volkswirtschaftlicherNutzen unterbewertet.

Investitionen gar in Kommunikation für dieseVerkehrsformen stecken in Deutschland nochgänzlich in den Kinderschuhen. Ihre Wirkungist entsprechend mit einigen Vorurteilenbelastet. Nicht zuletzt um diese Vorurteile zuwiderlegen, ist das „Kopf an“-Team angetreten.Das Monitoring des Projekts vom WuppertalInstitut für Klima, Umwelt, Energie (WI) hatErgebnisse errechnet, die Kommunikation alslohnendes Investment zeigen.

Rund 200000 Menschen in den vier Kampa-gnenstädten des Jahres 2009 gaben an, ihrVerhalten verändert zu haben, und zwar aufvier bis fünf Wegen pro Woche. Die Multiplika-tion mit den Wegezwecken ergab eine Verlage-rung von rund 180 Kilometern pro Jahr vomAuto auf die Füße und von rund 400 Kilome-

tern auf das Fahrrad pro Veränderer. Zusam-men waren dies knapp 60 Millionen Pkw-Kilo-meter, die durch emissionsfreie Mobilitätersetzt wurden.

Kommunen profitieren doppelt

Was nutzt das dem einzelnen Menschen undder ganzen Volkswirtschaft?

Betrachten wir zunächst den individuellenNutzen. Legt man die Kostenberechnungdes ADAC für einen VW Golf 1.2 TSI, demdeutschen Durchschnittsauto, zugrunde, erge-ben sich durchschnittliche Betriebskosten von11,3 Cent pro Kilometer. Wohlgemerkt: Werk-statt, Steuer, Versicherung und vor allemWertverlust nicht mitgerechnet. Da mit der„Kopf an“-Kamapgne vor allem Kurzstreckenmit dem Auto vermieden wurden, schlagen wirmoderate 20 Prozent auf, da Autos mit kaltemMotor mehr Treibstoff verbrauchen. So erge-ben sich Einspareffekte von 13,5 Cent pronicht gefahrenem Kilometer. Hochgerechnetauf 60 Millionen Pkw-Kilometer ergeben sichalso gut acht Millionen Euro mehr in denPortemonnaies der Bamberger, Hallenser,Dortmunder und Karlsruher. Acht Millionen,die vor Ort in der Gastronomie, im Theater,für Bildung oder den Sportverein ausgegebenwerden können. Die Gesamtkosten der Kam-pagne belaufen sich inklusive der Entwicklungauf vier Millionen Euro. Allein die eingespar-ten individuellen Betriebskosten betragen alsodas Doppelte der investierten Summe.

www.adac-autokosten.de

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BEDEUTUNG

Autofahren verursacht Lärm und Luftschad-stoffe wie Feinstaub, außerdem werden Bödenund Gewässer verschmutzt, das Klima wirdaufgeheizt und es fallen Kosten für Unfälle an.All diese Folgekosten des Autoverkehrs nenntman zusammengefasst externe Kosten. DasSchweizer Forschungsinstitut Infras hatdiese Kosten erhoben und kommt auf 80,4 Milliarden Euro für Deutschland. 66 Pro-zent davon, also 53 Milliarden, gehen auf dasKonto des Pkw-Verkehrs. Umgerechnet auf diegesamte Kilometerleistung der in Deutschlandzugelassenen Pkw ergeben sich Kosten vonrund zehn Cent pro Kilometer. Wendet mandiesen Faktor auf die mit „Kopf an“ 2009 ein-gesparten Kilometer an, ergeben sich weiteresechs Millionen an eingesparten Kosten. Geld,das die Kommune zumindest teilweise nichtaufwenden müsste, um die Schäden des Auto-verkehrs zu beseitigen, sondern in Schulen,gepflegte Parks oder Fahrradparkplätze inves-tieren könnte.

Nicht-Autofahrer leben länger

In allen neun „Kopf an“-Städten fragten wirdie Menschen nach ihren Lieblingssprüchenaus der Kampagne. In allen Städten lagen diebeiden Werbesprüche vorn, die mit derGesundheit zu tun hatten: „Besser Sie nehmenab als die Eisberge. Fahren Sie Rad.“ und: „Ver-brennen Sie doch mal Kalorien statt Benzin“. Niemand wird bestreiten, dass ein bisschenBewegung am Tag gesund ist. Doch kann manden gesundheitlichen Nutzen messen?

Das österreichische Lebensministeriumhat mit Hilfe eines von der Weltgesundheitsor-ganisation (WHO) und der United NationsEconomic Commission for Europe (UNECE)entwickelten Kalkulators diese Effekte fürunser Nachbarland berechnet. Von besondererRelevanz für die Berechnungsmethode sinddie Ergebnisse des Kopenhagener Zentrumsfür Prospektive Bevölkerungsstudien. Esstellte fest, dass im Vergleich zu Personen, dienicht mit dem Rad zur Arbeit fuhren, das Ster-berisiko von Arbeitnehmern, die drei Stundenpro Woche zu ihrem Job radelten, erheblichreduziert war. Diese Ergebnisse werden durcheine neuere chinesische Studie an Frauenunterstützt, die zu vergleichbaren Ergebnissenkam.

Man muss also nicht gleich bei der Tour deFrance einsteigen. Wer moderat Rad fährt, imMittel geht es um rund 150 Minuten proWoche, erhöht seine physische Fitness gravie-rend. Das statistische Sterberisiko sinkt um 28 Prozent im Vergleich zu Menschen, die sichnicht bewegen.

Gesunde Bürger sparen Kosten

Über die wissenschaftlich fundierte Rechen-methode kommen die Österreicher auf einenvolkswirtschaftlichen Nutzen von 86 Cent proKilometer und Jahr, bedingt durch die redu-zierte Sterblichkeit. Verknüpft man dieseWerte mit den rund 35 Millionen Kilometern,die in den „Kopf an“-Städten mehr Rad gefah-

WHO: „Increasing

physical activity

reduces risk of heart disease

and diabetes“

„Externe Kosten

des Verkehrs in

Deutschland“

„Wirtschaftliche Evalu-

ierung von Verkehrs-

infrastruktur und Strategien –

Methodische Leitlinie zur wirt-

schaftlichen Beurteilung der

gesundheitlichen Auswirkungen

von Gehen und Radfahren“

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99

99

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BEDEUTUNG

ren wurde, so ergibt sich ein beachtlichervolkswirtschaftlicher Nutzen von 30 Millio-nen Euro. Addiert man die 23 Millionen Kilo-meter, die in den Kampagnenstädten mehr zuFuß zurückgelegt wurden, resultieren darausweitere 20 Millionen Euro Einsparung.

Bleibt die Frage: Ist Radfahren nicht viel zugefährlich? Muss nicht erst die Sicherheits-frage geklärt werden? Wenn man so man-chem Medienbericht oder manchen Politiker-aussagen Glauben schenkt, dann ist Rad-fahren die gefährlichste Alltagstätigkeitschlechthin. Wer sicher ist, dass Radfahrengesund ist, aber gleichzeitig glaubt, dass dieGefahr beim Radfahren durch Unfälle weitausgrößer ist, der irrt.

Radfahren ist achtmal gesünder als Autofahren

Das US-amerikanische „National Insituteof Environmental Health Sciences“ hat imJahr 2010 zusammen mit der UniversitätUtrecht die Gesundheitsrisiken und -vorteilefür die Niederlande gegeneinander abgewo-gen. Kurz gesagt ist es achtmal gesünder, Radzu fahren, als seine Wege im Auto zurückzule-gen. Die internationale Forschergruppe unter-suchte und bewertete die Risiken, die zumeinen aus Luftverschmutzung und zum ande-ren aus Unfällen resultieren. Dagegen stehendie positiven gesundheitlichen Wirkungen, diedie körperliche Bewegung auslöst. Verbessertwird die Bilanz bei vielen sogenannten Zivili-

sationskrankheiten, in erster Linie Herz-Kreis-lauf-Erkrankungen bis hin zum Herzinfarkt,Diabetes und zu anderen Stoffwechseler-krankungen. Außerdem hilft Radfahren nach-weislich bei Problemen mit dem Bewegungs-apparat.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass beieiner täglichen Fahrraddistanz von 7,5 Kilo-metern die Lebenserwartung durch Luftver-schmutzung wie Feinstaub oder Stickoxideum durchschnittlich 21 Tage verkürzt wird.Durch Unfälle, die in der Öffentlichkeit alsextremes Sicherheitsrisiko dargestellt werden,verlieren Radfahrer im Schnitt sieben Tageihres Lebens. Die moderate sportliche Bewe-gung verlängert ihr Leben dagegen um durch-schnittlich acht Monate.

Und dies sind lediglich die Effekte, die auf dieradfahrende Bevölkerung wirken. Durch dieVermeidung von Abgasen und durch wenigerAutos auf den Straßen sind weitere positiveAuswirkungen für die Gesellschaft als Ganzeszu erwarten. In einem solchen Mobilitätssze-nario passieren weniger Unfälle, und es gibtweniger Krankheiten, weil weniger Schadstoffedie Luft verschmutzen.

Die Empfehlungen der Forscher für die Politikliegen auf der Hand: Maßnahmen zur Förde-rung des Radverkehrs dienen gleichzeitig deröffentlichen Gesundheit. Programme, die eineentprechende Verhaltensänderung zum Zielhaben, schaffen bis zu fünf Prozent Verlage-

„Do the health

benefits of cycling

outweigh the risks?“99

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BEDEUTUNG

rung der täglichen Wege. Erreichbar sind darü-ber allerdings nur bereits motivierte Zielgrup-pen. Nehmen Bürgerinnen und Bürger Gehenund Radfahren jedoch als gefährlich wahr,errichtet das hohe Barrieren, mahnen die For-scher zur richtigen Tonlage.

Mit anderen Worten: Reine Sicherheitskampa-gnen führen nicht zum Ziel. Kampagnen wie„Kopf an: Motor aus“, die auf positive Weiseein neues Lebensgefühl ansprechen, könnenviel bewegen. Sie verringern den CO2-Ausstoßim lokalen Verkehr, sie machen die Stadt leiserund lebenswerter, die Bürgerinnen und Bürgergesünder und rechnen sich für die Kämmerer,das Land und die Bürger in vielfacher Weise.

Michael Adler, Geschäftsführer der fairkehr-Agentur

Das Wichtigste:

� Die Bürger in den vier „Kopf an“-

Städten 2009 sparten insgesamt acht

Millionen Euro dadurch ein, dass sie

Wege vom Auto aufs Fahrrad bezie-

hungsweise auf die Füße verlagerten.

� Sechs Millionen Euro an externen

Umweltkosten sparte die Kampagne

2009 außerdem ein.

� Bis zu 50 Millionen Euro Gesund-

heitskosten hat der Umstieg der

Kurzstrecken-Autofahrer aufs Rad-

fahren und Zufußgehen im ersten

Kampagnenjahr vermieden.

� Moderate sportliche Bewegung ver-

längert das Leben jedes Einzelnen

um durchschnittlich acht Monate –

dagegen wird es durch das Unfall-

risiko und durch eingeatmete Abgase

beim Radfahren lediglich um 28 Tage

im Schnitt kürzer.

� Die Gesellschaft profitiert gesundheit-

lich von weniger Luftverschmutzung

und weniger Unfällen, wenn mehr

Menschen umsteigen.

� Die Politik hat nach Ansicht von For-

schern die Aufgabe, den nichtmotorisier-

ten, emissionsfreien Verkehr nicht nur im

Sinne des Klimaschutzes, sondern auch

der Volksgesundheit zu fördern.

� „Kopf an: Motor aus“ rechnet sich.

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DIE HEBEL

Die Hebel für mehr KlimaschutzDie Förderung von Rad- und Fußverkehr erfordert eine neue Mobilitätskultur – und eine Gesamtstrategie.

Konzepte für mehr Rad- und Fußverkehr müs-sen allen Beteiligten aus Politik, Verwaltung,Wirtschaft und der Bevölkerung einen Nutzenversprechen. Die Gesamtstrategie umfasst alsoden Bau von Infrastruktur, die Integration vonBelangen der Radfahrer und Fußgänger insVerwaltungshandeln, die Beteiligung von Bür-gern, politischen Gremien, Interessensgrup-pen, Wirtschaft, Fachverbänden und Behördensowie Kommunikation und Öffentlichkeitsar-beit. Bei der Umsetzung einer Kampagne müs-sen alle betroffenen Ämter und Fachbereichein der Verwaltung zusammenarbeiten, lokaleAkteure und Bürger müssen angemessenbeteiligt werden.

Beteiligungsverfahren fördern das Ver-ständnis zwischen Bürgerschaft und Verwal-tung. Bürgerinnen und Bürger – und auch diePolitik – bekommen einen tieferen Einblick inPlanungsprozesse. Die Verwaltung wiederumkann Alltagswissen vor Ort abrufen. Das führtoft dazu, dass Bürger und Lokalpolitiker Pla-nung eher akzeptieren.

Das heißt:

� effektive Organisations- und Beteiligungs-strukturen: zum Beispiel eine Kernarbeits-gruppe in der Verwaltung („Kümmerer“)und eine ämterübergreifende Zusammenar-beit. Das schafft Transparenz im Verwal-tungshandeln, ermöglicht Synergieeffekteund stärkt das „Wir-Gefühl“ der Verwaltungals kommunale Dienstleisterin,

� Integration der Kampagnenelemente inlaufende oder beabsichtigte Fachplanun-gen, unter anderem in den Verkehrsent-wicklungsplan, ins Innenstadtkonzept, ins Konzept zur Nahmobilität, aber auch in dieBauleitplanung, Schulentwicklungsplanungoder Altenplanung,

� direkte Mitwirkung lokaler Akteure, bei-spielsweise an Runden Tischen, in beglei-tenden Arbeitsgruppen oder Foren,

� eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit(„Tue Gutes und rede drüber!“) und

� ein begleitendes Qualitätsmanagement(„Was haben wir erreicht, was ist gut gelau-fen, was ist schlecht gelaufen?“), um dieKampagne, aber auch die Fachplanungnachzusteuern.

Juliane Krause, Stadt- und Verkehrsplanerin

Das Wichtigste:

� Bei der Umsetzung einer Kampagne

müssen alle betroffenen Ämter und

Fachbereiche in der Verwaltung

zusammenarbeiten, lokale Akteure

und Bürger müssen angemessen

beteiligt werden.

� Bürgerschaftliche Beteiligungsverfah-

ren führen oft dazu, dass Bürger und

Lokalpolitiker Planungen der Verwal-

tung eher akzeptieren.

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DIE HEBEL

Die vier Hebel für den Kampagnenerfolg: Nur wenn alle Bereiche ineinandergreifen, sich unterstützen und

verstärken, kann eine Kommunikationskampagne für Verhaltensänderung richtig wirken.

Kommunalpolitik

Verwaltung und Planung

Medien

Kommunikationund Bürgerbeteiligung

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DIE HEBEL

Kommunalpolitik und Verwaltung

Ohne Grundsatzbeschluss läuft nichts. Erkenntnisse aus der„Kopf an“-Kampagnenstadt Karlsruhe.

Eine Imagekampagne zum Fuß- und Radver-kehr wirkt insbesondere dann glaubwürdig,wenn die Kommune bereits den Boden berei-tet und ein klares Bekenntnis zur Fahrradför-derung gefasst hat. Ein Grundsatzbeschlussdes Gemeinderates zur Verbesserung derSituation für Radfahrer und Fußgänger istunumgänglich. Auf ihn können sich alle Betei-ligten und Betroffenen – Politiker, Verwaltung,Polizei, Bürger – immer wieder berufen.

Optimal ist ein einstimmiger Grundsatzbe-schluss im Gemeinderat, dann können dieMaßnahmen unproblematisch umgesetzt wer-den. Dafür ist es wichtig, zuvor alle Akteureeinzubinden – von der Stadtverwaltung überPolizei und Verbände bis hin zu Studenten undRadkurieren, ihre Meinungen anzuhören undernst zu nehmen. So lassen sich Informatio-nen aus den unterschiedlichsten Blickwinkelnsammeln und es werden keine gegnerischenGruppen geschaffen.

Entscheidend ist außerdem eine schonungs-lose Bestandsaufnahme und Schwachstellen-analyse im Vorfeld. Es bringt nichts, die Situa-tion für den Rad- und Fußverkehr in der Kom-mune zu beschönigen. Anschließend müssenZiele definiert werden, die in einem abgesteck-ten Zeitrahmen erreicht werden sollen. Auchdie Finanzierung muss natürlich festgelegtwerden, denn ohne ausreichende Mittel lassensich die Ziele nicht erreichen.

Der Weg zum Grundsatzbeschluss:das Bypad-Verfahren

In Karlsruhe führte ein Mobilitätstest desADAC dazu, die Fahrradpolitik zu verbessern.Der Automobilclub untersuchte im Jahr 2004deutsche Großstädte und die Stadt Karlsruhe,die von sich dachte, sie sei eine Fahrradstadt.Allerdings erhielt sie eine schlechte Bewertung– was im gewissen Sinne ein „heilsamerSchock“ war.

Die Karlsruher Verwaltung spürte mithilfe dessogenannten Bypad-Verfahren (Bicycle PolicyAudit – übersetzt etwa Fahrrad-Überprüfungs-Politik) – Schwachstellen auf und analysiertesie. Ein externer Moderator aus Hannover mitErfahrung im Bereich Radverkehr leitete diezweitägige Sitzung. Externe Experten mitBlick von außen sind von Vorteil, da sie nichtin Beziehungsgeflechte involviert sind. Außer-dem können sie Überzeugungsarbeit leisten,wenn in der Verwaltung zu wenig Radver-kehrskompetenz vorhanden ist. Experten kön-nen beispielsweise auch für Vorträge eingela-den werden, um Verbesserungsmöglichkeitenaufzuzeigen.

Im Rahmen des Bypad-Verfahrens sollten allean einen Runden Tisch geholt werden, die fürdas Thema Radverkehr wichtig sind. Die Fra-gestellung: Wo liegen Probleme, wo bestehenVerbesserungswünsche? Dafür müssen allerelevanten Ämter mit an den Tisch geholt wer-den, um sie frühzeitig in die Problemanalyse

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DIE HEBEL

und die Entstehung des Grundsatzbeschlusseseinzubinden, ihre Erfahrungen und ihre Sicht-weisen einzuholen: Umweltamt, Tiefbauamt,Stadt- und Verkehrsplanung, Verkehrsbe-hörde, Stadtmarketing, Polizei. So könnenUnstimmigkeiten im Vorfeld ausgeräumt wer-den. In weiteren Schritten lassen sich je nachThema weitere Beteiligte und Betroffene ein-binden, um sie zu mobilisieren und zu moti-vieren: Verkehrsverbände (ADAC, Verkehrs-club Deutschland VCD, ADFC), Seniorenbei-räte, Studentenvertreterinnen und -vertreter,Tourismusbeauftragte, Fahrradkuriere, Orts-verbände. All diese Interessenvertreter mussdie Verwaltung für sich gewinnen. Und esmuss jemanden geben, der voranmarschiert –wie in Karlsruhe beispielsweise das Stadtpla-nungsamt.

Wichtig ist die schonungslose Schwachstellen-analyse während des Bypad-Verfahrens. InKarlsruhe wurden die verschiedenen Akteurebefragt, wie sie die Situation des Radverkehrseinschätzen und wie die Situation künftig aus-sehen sollte. Das heißt, die Wirklichkeit desRadverkehrskonzeptes wurde gnadenlos erör-tert und mit allen Schwächen dargestellt.Davon ausgehend entwickelten die Beteiligtendas 20-Punkte-Programm: ein Leitbild und einHandlungskonzept mit messbaren Zielsetzun-gen und konkreten Maßnahmen.

Der Grundsatzbeschluss: das 20-Punkte-Programm

Der Karlsruher Gemeinderat beschloss dasLeitbild im Oktober 2005 einstimmig – damitwurde Unstimmigkeiten in der Verwaltungund der Kommunalpolitik vorgebeugt. Bis zuihrem 300. Geburtstag im Jahr 2015 willKarlsruhe die bedeutendste Fahrradstadtin Süddeutschland werden. Dieser Fahrrad -eifer hat die gesamte Verwaltung angesteckt. Das 20-Punkte-Programm enthält unter ande-rem folgende Maßnahmen und Ziele:

� Gleichberechtigung der Verkehrsteilneh-mer, Toleranz und gegenseitige Rücksicht-nahme

� Steigerung der Radverkehrsanteils auf 23 Prozent bis zum Jahr 2015

� Senkung der Unfallzahlen� Planung und Bau neuer Radinfrastruktur:

zwei Radrouten pro Jahr

Karlsruhe richtet hierzu Fahrradstraßen ein,markiert Radstreifen auf Fahrbahnen und stelltfreie Kapazitäten von überdimensioniertenAutostraßen dem Radverkehr zur Verfügung.

Es müssen nicht immer aufwändige Tiefbau-projekte umgesetzt werden, intelligente Maß-nahmen wie die Markierung von Radstreifensind kostengünstiger. Es ist außerdem sinn-voll, Maßnahmen dort umzusetzen, wo Stra-ßen ohnehin umgebaut werden. Die Verwal-tung sollte im Vorfeld prüfen, ob sich mit dem

www.karlsruhe.de/radverkehr

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DIE HEBEL

Umbau die Situation auch für den Radverkehrverbessern lässt. Das spart Kosten: Karlsruhehat pro Jahr und Einwohner etwa fünf Eurofür Radverkehrsförderung eingestellt. Miteinem Budget von 1,3 Millionen Euro kommtdie Stadt gut über die Runden.

Wichtig: Öffentlichkeit, Öffentlich-keit, Öffentlichkeit

Alle Aktionen der Stadt zum Thema Radver-kehr müssen öffentlichkeitswirksam verbrei-tet werden, um Aufmerksamkeit zu erregen.Sehr hilfreich ist eine Pressestelle, die hinterdem Thema steht und die sich dann auch füreine Kampagne wie „Kopf an: Motor aus“ ein-setzt – beispielsweise Informationen an Amts-blätter und an den Pressedienst gibt.

Darüber hinaus ist auch für die Öffentlich-keitsarbeit die Einbindung verschiedensterAkteure sehr wichtig. So beauftragte Karlruhebeispielsweise Designstudenten damit, diePlakette für den fahrradfreundlichsten Arbeit-geber zu gestalten: Studierende nahmen nichtnur an der Diskussion am Runden Tisch teil,sondern wurden auch mit anderen Aktivitäteneinbezogen. Dies verstärkt die Außenwirkungder kommunalen Radverkehrspolitik.

Karlsruhe ließ Flyer und Gratispostkartenerstellen und suchte in einem Wettbewerb denfahrradfreundlichsten Arbeitgeber – und alsdie Stadt die ersten Schritte ihres 20-Punkte-Programms umsetzte, gewann sie die Kampa-

gne „Kopf an: Motor aus“. Genau zum richti-gen Zeitpunkt. Die Kampagne führte unteranderem dazu, dass der Widerstand gegenmehr Radverkehr in der Stadt bröckelte.

„Kopf an“: Was eine Kampagnezum Fuß- und Radverkehr bewirkt

Eine breit angelegte Imagekampagne wie„Kopf an: Motor aus“ leistet nach den Erfah-rungen aus Karlsruhe einen erheblichen Bei-trag hin zu einer nachhaltigen Mobilitätskul-tur. Politik, Verwaltung und Bürger kommuni-zieren miteinander. Anknüpfungspunkte von„Kopf an: Motor aus“ an andere Mobilitäts-,Klimaschutz- oder Sicherheitsaktionen sindgegeben. Die Kampagne beeinflusst das Enga-gement „pro Rad“ in der Verwaltung und beiden dortigen Entscheidungsträgern.

Im Rahmen von Aktionen, Veranstaltungenund Presseterminen kann die Kommune Leit-vorstellungen, Konzepte, Maßnahmen undBeschlüsse darlegen und dabei auch eine poli-tische Vorbildfunktion dokumentieren. InKarlsruhe ist es beispielsweise gelungen, alleBürgermeister in die Kampagne einzubezie-hen. Das hat zu einer hohen Pressewirksam-keit und Effizienz beigetragen – und es war garnicht schwierig. Wichtig ist es, die Bürgermeis-ter in ihrer jeweiligen Funktion für eine pas-sende Kampagnenaktion anzusprechen. Gehtes beispielsweise um die Verteilung vonCoaching Packs an Autofahrer im Stau vorAmpeln, kann man an den Bürgermeister

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DIE HEBEL

beziehungsweise die Bürgermeisterin heran-treten, der oder die für Umweltschutz zustän-dig ist. Der Sozialbürgermeister wiederumlässt sich vermutlich leicht davon überzeugen,an Aktionen für einen sicheren Schulweg zuFuß und per Fahrrad teilzunehmen.

Bei den Bürgerinnen und Bürgern bewirkt dieKampagne zunächst einen hohen Aufmerksam-keits- und Wahrnehmungseffekt. In der Folgeüberdenken sie ihr eigenes Mobilitätsverhalten.Der erste Schritt zum Umsteigen ist damitgetan – was in Karlsruhe nachweislich in hohemMaße gelungen ist. Die Kampagne schafft einneues Selbstbewusstsein: „Radfahrer sind Kli-mahelden!“

Dranbleiben: Der Zeitraum ist ent-scheidend – die Zeiten sind gut

„Kopf an: Motor aus“ hat zudem bei allen Ver-kehrsteilnehmern die Akzeptanz und das Ver-ständnis für notwendige Baumaßnahmen inKarlsruhe erhöht. Der Erfolg ist wiegewünscht: Der Radverkehrsanteil hat sicherheblich gesteigert. Die Kampagne solltedaher keine „Eintagsfliege“ sein, sondern mög-lichst über einen Zeitraum von mehreren Jah-ren angesetzt werden. In Karlsruhe läuft „Kopfan: Motor aus“ nun bereits im dritten Jahr.

Die Voraussetzungen für eine kommunaleImagekampagne für mehr Rad- und Fußver-kehr sind gut, denn das Thema befindet sichzurzeit im Aufwind.

Alfons Brisbois, bis Mitte 2011 Bereichsleiter Verkehr im Stadtplanungsamt Karlsruhe

Das Wichtigste:

� Für den unverzichtbaren Grundsatz-

beschluss des Gemeinderats müssen

alle Akteure eingebunden werden.

� Die Schritte sind Bestandsaufnahme,

Schwachstellenanalyse, Definition

von Zielen und Zeitrahmen, Siche-

rung der Finanzierung.

� Eine breit angelegte Imagekampagne

leistet einen erheblichen Beitrag hin

zu einer nachhaltigen Mobilitätskultur.

Die Kampagne beeinflusst das Enga-

gement „pro Rad“ in der Verwaltung

und bei den dortigen Entscheidungs-

trägern. Sie erhöht bei den Verkehrs-

teilnehmern zudem die Akzeptanz für

notwendige Baumaßnahmen.

� Hilfreich ist eine Pressestelle, die hin-

ter dem Fahrrad-Thema steht und die

sich auch für die Kampagne einsetzt.

� Eine Kampagne sollte keine Eintags-

fliege sein, sondern möglichst über

einen Zeitraum von mehreren Jahren

angesetzt werden.

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DIE HEBEL

Bürgerbeteiligung

Bürgerinnen und Bürger müssen frühzeitig und wirksam einge-bunden werden für mehr Klimaschutz in der Kommune.

Vor Beginn des Prozesses sollte die Verwaltungein Beteiligungskonzept erstellen, das der spe-zifischen lokalen Situation sowie den unter-schiedlichen Anforderungen und Nutzungsin-teressenten Rechnung trägt. Das Beteiligungs-konzept hängt vom Planungsraum, derAusgangssituation und der vorherrschendenBeteiligungskultur (beispielsweise Erfahrun-gen mit Beteiligungsverfahren) ab. Das heißt:Ein generell anwendbares Konzept für dieOrganisation der Öffentlichkeitsbeteiligunggibt es nicht.

Wichtig ist, die maßgeblichen Akteure undMultiplikatoren gezielt einzubinden. Dieserwesentliche Arbeitsschritt der Prozessorgani-sation umfasst die Fragestellungen: Wer sinddie Akteure, wer sind die Multiplikatoren, ver-waltungsintern und in der Bürgerschaft? Werübernimmt die Federführung, welche Koope-rationen mit anderen Behörden und Einrich-tungen sind erforderlich? Empfohlen wird,dazu ein Startergespräch mit den maßgeblichVerantwortlichen zu führen.

Die Beteiligung muss frühzeitig und kontinu-ierlich über den gesamten Planungszeitraumerfolgen, sie muss betroffenen- beziehungs-weise lebenslagenspezifisch sein. So sindStadtspaziergänge, Zukunftswerkstätten undWorkshops für die Bevölkerung eher geeignetals reine Bürgerversammlungen. Runde Tischeeignen sich eher für Multiplikatoren oder Ver-treter von Interessengruppen. Eine kontinu-ierliche Öffentlichkeitsarbeit und die Anspra-

che mit adäquaten Medien (Presseartikel, Falt-blätter, Internet) sind zu gewährleisten.

Bei der Organisation und der Ausgestaltungdes Beteiligungskonzeptes sind folgende Leit-fragen zu stellen:

� Welches Beteiligungsverfahren ist geeignet?Stehen ausreichend Finanzmittel zur Verfü-gung? Sind die Verfahren mit Entschei-dungskompetenz ausgestattet?

� Können alle betroffenen Bevölkerungsgrup-pen – differenziert nach Alter, Geschlecht,sozialer Stellung, Nationalität – erreichtwerden, um Bedürfnisse, Bedarfe und Inte-ressenlagen vor Ort abzurufen?

� Können sich die Gruppen artikulieren? Wel-che Unterstützung benötigen sie, beispiels-weise persönliche Gespräche mit einer Inte-ressenvertretung und mit Multiplikatoren?

� Wird gegebenenfalls nachgesteuert, wennnicht alle als notwendig erachteten Grup-pen erreicht werden konnten?

� Welche zielgruppenspezifische Öffentlich-keitsarbeit zur Ansprache der Akteure mitwelchen Medien ist notwendig?

Kommunikation ist genauso wichtig wie dasfachplanerische Instrumentarium. Kampa-gnen können die Wirksamkeit von infrastruk-turellen Maßnahmen unterstützen. Nur durchBeteiligung der Bürgerinnen und Bürger undder lokalen Akteure kann die Kampagne dau-erhaft in einer Kommune verankert werden.

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DIE HEBEL

Wie gehts? Die Verfahren im Detail

ZukunftswerkstattMethode: Die Zukunftswerkstatt ist ein grup-penorientiertes Problemlösungsverfahren. ImMittelpunkt stehen die Teilnehmer. Ebensowichtig wie das Ergebnis ist der Weg dorthin,die Lösung wird als Prozess organisiert.Methodisch beruht das Verfahren auf demDrei-Phasen-Modell:

� Kritikphase: Themenbezogene Bestandsaufnahme des„Unmuts“, der negativen, aber auch positi-ven Erfahrungen

� Ideen- und Phantasiephase:Positive Wendung der Kritikpunkte, Uto-pienentwicklung ohne Einschränkungdurch Rahmenbedingungen

� Verwirklichungsphase: Überprüfung der Utopien auf realisierbareLösungen, Erarbeitung von Umsetzungs-möglichkeiten

Wichtig für alle Schritte ist die Visualisierung.Der ideale Zeitrahmen sind drei Tage, die dendrei Phasen entsprechen.

Einsatzmöglichkeiten: Geeignet ist die Zukunfts-werkstatt für Problemanalysen oder zur Ent-wicklung von Leitlinien. Aufgrund der Visuali-sierung in den Phasen – beispielsweise durchCollagen, Präsentationen in Form einer Redeoder eines Theaterstücks – lässt sie sich gut beiKindern oder Jugendlichen einsetzen.

Arbeitskreise und WorkshopsMethode: Die Teilnehmer bekommen eine Auf-gabe übertragen, an deren Lösung sie frei oderdurch eine Moderation begleitet arbeiten. DieGruppe vereinbart Ziel, Methoden, Spielre-geln, die Präsentationsform der Ergebnisseund einen zeitlichen Rahmen. Für bestimmteFragestellungen können Fachleute aus der Ver-waltung oder Externe für einen Vortrag hinzu-gezogen werden.

Einsatzmöglichkeiten: Arbeitskreise oder Work-shops sind für fast alle Bereiche der kommuna-len Planung geeignet. ProjektbegleitendeBeiräte können zu bestimmten Fragestellun-gen Arbeitskreise oder Workshops einrichten,Beispiele: Arbeitskreis „Radverkehr“, Arbeits-kreis „Barrierefrei“.

Runder TischMethode: Ein Runder Tisch funktioniert nachdem Konsensprinzip (Mediationsverfahren).Die Moderation (Mediator) hat eine entschei-dende Bedeutung. Ziel ist es, einen Dialog überSachprobleme zu führen und nach einer ein-vernehmlichen Lösung zu suchen. Die Mitglie-der verständigen sich auf Selbstverständnisund Arbeitsweise. Es nehmen in der Regel alleVertreterinnen und Vertreter von Gruppenin-teressen teil, die von einer Planung, einemKonflikt oder einem Problem betroffen sind.

Einsatzmöglichkeiten: Unabhängig von der Pla-nungsphase zur Lösung eines Konfliktes

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DIE HEBEL

Essen muss wie 100 weitere Ballungsräume in Deutschland seine Bürger besser gegen

Lärm schützen und einen Aktionsplan ausarbeiten. Das sieht die EU-Umgebungslärmricht-

linie vor. Dabei ist eine Beteiligung der Bürger vorgeschrieben. Essen hat diese als Online-

Verfahren konzipiert und in zwei Phasen umgesetzt. Zuständig ist das Umweltamt.

In der ersten Phase konnten die Bürger auf geografischen Lärmkarten Orte bezeichnen, an

denen es zu laut ist, und Anregungen geben, wie sich der Lärm bekämpfen ließe. Im

Anschluss leiteten die beiden zuständigen Mitarbeiter im Umweltamt viele Anregungen an

die zuständigen Behörden und ausführenden Stellen weiter, so dass schnell konkrete

Maßnahmen umgesetzt werden konnten. Zahlreiche weitere Vorschläge gingen in den

Lärmaktionsplan ein, teilweise deckten sie sich mit den Vorschlägen der Verwaltung.

Geeignete Bürgervorschläge stellte das Umweltamt zusammen mit geplanten Maßnahmen

der Stadt im Winter 2009 online.

In der zweiten Phase konnten die Bürger die Maßnahmen auf der Internetplattformbewerten und kommentieren. Diese weiteren Meinungsäußerungen berücksichtigte das

Amt bei der Priorisierung der geplanten Projekte. Parallel zu den zwei Onlineverfahren

fand je eine Bürgerversammlung statt. Auch viele E-Mails, einige Briefe und Anrufe

erreichten die zuständigen Mitarbeiter und wurden in das Onlineverfahren integriert. Mehr

als 1000 Essener nutzten ihr Mitspracherecht. Bürger, Umweltverbände und politische

Vertreter im Lärmbeirat beurteilten das Verfahren sehr positiv.

Auf die Einführung des elektronischen Beteiligungsverfahrens reagierte die Verwaltung,

indem sie Kommunikations- und Auswertungsprozesse neu organisierte. Bei vielen Vor-

schlägen war und ist eine fachübergreifende Kommunikation und Umsetzung mit anderen

Fachverwaltungen notwendig. So gesehen stellt die Online-Konsultation nicht nur eine auf

die Bevölkerung gerichtete Innovation dar, sondern auch eine, die neue Impulse auf die

Verwaltungsabläufe in Essen ausübt.

Es wird darüber diskutiert, Online-Konsultationen auch in anderen Politik- und Fachver-

waltungsbereichen zu nutzen, etwa im Klimaschutz oder in der Bauleitplanung. In der

kommunalen Haushaltsplanung hat die Stadt bereits erfolgreich ein weiteres Online-Ver-

fahren durchgeführt (Bürgerhaushalt). Verwaltung und Politik können durch die Online-

Beteiligung an Glaubwürdigkeit gewinnen. Sie ist ein wertvoller Beitrag zur Verbesserung

des Verhältnisses zwischen Politik, Verwaltung und Bürgern. Allerdings nur, wenn Verwal-

tung und Politik mit dem Bürger-Input transparent umgehen.

Nicole Cremer, beim Umweltamt Essen zuständig für die Öffentlichkeitsbeteiligung

Gutes Beispiel Essen:

Online-Bürgerbeteiligung beim Lärmaktionsplan

www.essen-soll-leiser-

werden.de

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DIE HEBEL

Projektbegleitende BeiräteMethode: Beiräte sind „Vorparlamente“ inunterschiedlicher Zusammensetzung, die Pla-nungsvorhaben begleiten. Sie haben gegen-über politischen Gremien und der Verwaltungeine beratende Funktion und sind besondersin der konzeptionellen Phase wichtig – bei derProblemanalyse und der Maßnahmenuntersu-chung. Sie sollten jedoch über den gesamtenPlanungsprozess aktiv bleiben. Als positiv hatsich eine externe Moderation erwiesen.

Einsatzmöglichkeiten: Beiräte kommen vorallem bei langfristigen kommunalen Planun-gen zur Anwendung, beispielsweise bei Stadt-teilentwicklungskonzepten, Verkehrsentwick-lungsplänen oder Kindertagesstättenentwick-lungsplänen. Zu achten ist auf die Vertretungder Interessengruppen mit Bezug zur Aufga-benstellung beziehungsweise zum Plangebiet:Kinder und Jugendliche, Frauen, Seniorenoder Menschen mit Behinderungen.

Stadt(teil)konferenzMethode: Stadt(teil)konferenzen werden in derRegel nach der Methode Zukunftskonferenzdurchgeführt: Bis zu 72 Personen planen ineinem Raum ihre gemeinsame Zukunft undkönnen unerwartete Durchbrüche erzielen.Die Zukunft kann die einer Organisation oderdie eines Themas sein. Ein Projektteam stelltdie Teilnehmer zusammen. Neben Vertreterin-nen und Vertretern wichtiger Institutionen inder Stadt, aus Politik und Verwaltung sind dieBürgerinnen und Bürger eingeladen, sich aktiv

am Zukunftsdialog zu beteiligen. Eine Konfe-renz dauert etwa 18 Stunden, idealerweise aufdrei Tage verteilt. In Anlehnung an dieMethode Zukunftswerkstatt gibt es fünfPhasen:

� Rückblick in die Vergangenheit� Analyse der Gegenwart� Vision („Zukunft inszenieren“)� gemeinsame Ziele erarbeiten� Maßnahmen erarbeiten

Die Teilnehmer sitzen in Siebener- oder Ach-tergruppen („Tischen“) beisammen. Nach-einander arbeiten die Gruppen an vorher fest-gelegten Aufgaben und werden immer wiederneu zusammengesetzt. Dadurch vernetzensich die Themen und es kommen neue Per-spektiven ins Spiel. Anschließend präsentierenund diskutieren die Teilnehmer ihre Ergeb-nisse im Plenum. Eine externe Moderationsollte die Konferenz begleiten.

Einsatzmöglichkeiten: Zukunftskonferenzendienen in der Unternehmensentwicklung alsMethode der Großgruppenmoderation. InKommunen kommen sie bei grundsätzlichenFragestellungen erfolgreich zum Einsatz, bei-spielsweise bei Stadtentwicklungskonzepten,Stadtteilrahmenplänen oder Beteiligungs-haushalten.

Juliane Krause, Stadt- und Verkehrsplanerin

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DIE HEBEL

Gute Frage, leichte Antwort: Wie ein Liebes-brief. Denn wenn ein Produkt – oder eine Ideeoder eine Dienstleistung oder, oder, oder – vonseiner Zielgruppe geliebt werden will, dannmuss es all das bewirken, was auch ein Liebes-brief bewirken soll: dass mein Umworbenermich bemerkt, akzeptiert und im besten Falleauch liebt, wenn er mich kennengelernt hat.

Als Allererstes muss man den Adressaten desBriefes ganz genau kennen. Vor allem Träume,Wünsche, Probleme. Also alles.

Das heißt, wer gute Werbung machen will,muss die Zielgruppe präzise analysieren. Nurdann kann er die richtige Botschaft über dasrichtige Medium zur richtigen Zeit senden.Das Problem ist, dass die angesprochene Per-son nicht auf eine Botschaft wartet. Also müs-sen Sie ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken.Das geht am besten mit einer „merk-würdigen“Idee. Etwas, das Ihr Adressat noch nie gesehenhat, das ihn aufmerken lässt. Etwas Unge-wöhnliches, das ihn zwingt, einen Gedankendaran zu verschwenden: ein gutes Bild, einegute Geschichte, eine gute Schlagzeile odereine verblüffende Kombination von allem.

Jeder Mensch wird täglich mit Tausenden vonWerbereizen überflutet – und nur ganz wenigeerregen seine Aufmerksamkeit. Gehen Sie vonsich selbst aus: In einer Zeitschrift sind 50 Pro-

zent des bedruckten Papiers Werbung. Siehaben die Zeitschrift aber nicht wegen derWerbung gekauft. Also drängen sich Werbendemit ihrem Anliegen, das Sie ja erst einmalerkennen und akzeptieren sollen, in Ihre pri-vate Zeit. Das hinzubekommen ist eine Kunst,die nicht jeder beherrscht. Deshalb sind soviele Menschen von Werbung frustriert.

Sie haben als Werbender nur eine SekundeZeit, Aufmerksamkeit zu bekommen. So langedauert es nämlich, eine Seite umzublättern.Sie bekommen die Aufmerksamkeit am ein-fachsten dadurch, dass Sie Ihrem Umworbe-nen etwas schenken. Am besten ein Lächeln.

Denn wenn Sie jemanden zum Lächeln brin-gen, hat er Sie bemerkt, verstanden und rea-giert positiv darauf. Also müssen Sie eine Ideehaben, die ihn zum Lächeln bringt – und diegleichzeitig Ihr Anliegen so charmant ver-packt, dass er Ihre Absicht, ihn zu etwas zuüberreden, nicht bemerkt oder zumindestakzeptiert. Eine „merk-würdige“ Idee, die IhreBotschaft humorvoll transportiert. Die Bot-schaft muss außerdem verankert werden.Bringt sie den Umworbenen lediglich zumLächeln, vergisst er ganz schnell, worum esgeht – wenn er es überhaupt bemerkt hat.

Medien und Öffentlichkeitsarbeit

Eine Kampagne zur Verhaltensänderung muss Augen, Ohren

und Herzen der Bürgerinnen und Bürger erreichen.

Wie funktioniert Werbung?

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Kopf an: Motor aus. Für null CO2 auf Kurzstrecken. 23

DIE HEBEL

Also – Werbung ist ganz einfach:

�Denken Sie immer mit dem Kopf desUmworbenen.

� Schreiben Sie in seiner Sprache. �Unterhalten Sie ihn, denn Sie drängen sich

in seine Zeit.� Seien Sie nicht zu aufdringlich und prüfen

Sie, ob Ihr Anliegen für ihn relevant ist.� Es darf nicht länger als eine Sekunde dau-

ern, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Schenken Sie ihm etwas – am besten ein

Lächeln.Geben Sie ihm immer einen Grund, sich

nach dem Lächeln weiterhin mit IhremAnliegen zu beschäftigen.

� Die meisten Menschen bemerken erst nacheinigen Anläufen, dass Sie etwas von ihnenwollen. Erfahrungsgemäß braucht einAngesprochener mindestens sechsAnstöße, um aufmerksam zu werden. Und er kann nicht reflektieren, woher dieAnstöße kommen. Also muss man ihnumzingeln und die Botschaft auf allenKanälen senden.

Es gibt nicht nur einen Weg, ein Anliegen los-zuwerden. Jeder nutzt Medien anders, underst in der Summe aller Medien kommt eineWirkung zustande. Also nur Plakate, nur Mai-lings, nur Anzeigen, nur Online, nur Guerilla,nur Rundfunk, nur Promotions helfen nicht.Werbetreibende sollten immer alle relevantenMedien nutzen, alles andere könnte vergebene

Liebesmüh sein. Glauben Sie mir, man schreibtviele Liebesbriefe, bevor man etwas erreicht.

Die Kampagne „Kopf an: Motor aus“ erfülltvorbildlich alle diese Regeln. Sie schafft durchsympathisch-agressive Schlagzeilen hohe Auf-merksamkeit. Sie lenkt immer direkt zumThema. Sie ist plakativ, intelligent und durch-dekliniert. Bei ihr passen alle Bausteine querdurch die Medien perfekt zusammen.

„Kopf an: Motor aus“ kann durch ihre hoheKreativität Geld sparen – aber nur, wenn mansich die Mühe macht, sie zum Kumulieren zubringen. Das heißt, wenn man möglichst allePuzzelsteine einsetzt, so dass sie sich gegen-seitig zur Wirkung bringen.

Diese 360-Grad-Kampagne kostet vielleichtetwas mehr Arbeit als langweilige 90-Grad-Kampagnen, die beispielsweise nur auf Anzei-gen und Plakate setzen. Dafür belohnt sie mithoher Effizienz, was die Ergebnisse der Eva-luation zeigen. Doch mit Liebe zur Sachenimmt wohl jeder gern die Mühe auf sich,etwas fleißiger zu sein als andere.

Prof. Jochen Pläcking, Präsidiumsmitglied des Zentralverbands

der deutschen Werbewirtschaft

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DIE HEBEL

Wie finden Medien ihre Themen?Hauptsächlich über Nachrichtenagenturen, Leit-medien, das Privatleben und die individuellenInformationsquellen der Redakteure. Die The-mensetzung hängt von der allgemeinen Nach-richtenlage, dem Profil des Mediums und demSelbstverständnis einer Redaktion ab. WährendLokalzeitungen über eine Kampagne wie „Kopfan: Motor aus“ in der Regel wohl eins zu einsberichten, brauchen überregionale Zeitungen ein„Problem“ und Magazine einen „Dreh“.

Wie reagieren Medien auf Nicht- oderunprofessionelle Kommunikation?Mit Nichtberichterstattung. Je professionellerjemand kommuniziert und je besser er dieBedürfnisse und Strukturen eines Mediumskennt, desto größer ist seine Chance, dort mitseinen Themen durchzudringen. Das fängt beisimplen Dingen an: Wenn man den Redakteurkurz vor Redaktionsschluss anruft, hat er keinoffenes Ohr und wird einen abwimmeln. EinePressekonferenz muss früh genug stattfinden,so dass genügend Zeit bis zum Redaktions-schluss ist. Aber auch nicht so früh, dass es diesensibleren Journalisten nicht aus dem Bettschaffen. Einer der klügsten deutschen Politi-ker pflegte seine Themen und Positionen mitbis zu achtseitigen Faxen in die Redaktionenzu schicken. Er wollte nicht populistisch oderunterkomplex sein. Was ihn ehrte. Aber seineAbdruckchancen nicht gerade erhöhte.

Die Frage, die gute Redakteure sich undanderen stellen, lautet: Was ist die Ge-schichte? Das muss man sich selbst in einem Satz beant-worten können, bevor man in der Redaktionanruft. Und dann muss man im zweiten Satzbeschreiben, wo das Problem liegt. Auf keinenFall sagen: „Wir machen eine Imagekampagnefür eine gute Sache.“ Da würde zumindest ichsofort auflegen. Gute Journalisten wollenkeine gute Moral angeboten bekommen, son-dern eine gute Geschichte. Am besten eine, diesich über spannende Menschen erzählen lässt.Doch man muss auch wissen, dass Journalis-ten – selbst wenn sie gut sind und bei einemordentlichen Medium arbeiten – in der Regelweniger an einer Pressekonferenz mit HansJosef Fell interessiert sind, dem energiepoliti-schen Sprecher der Grünen, sondern mehr aneiner mit Heidi Klum … obwohl sie die angeb-lich blöd finden.

Warum hat Radfahren in Redaktionen ein Negativ-Image?Das Problem ist nicht das Negativ-Image.Sicher sieht in bestimmten Redaktionen derTypus Autofahrer die Sache komplett ausAutofahrersicht. Wenn der das Wort „Mobili-tätskonzepte“ hört, kriegt er einen Anfall.Schwerwiegender ist aber, dass für viele Fahr-radfahren ein harmloses Freizeitthema ist.Oder schlicht gar kein Thema: Man fährt – in

Wie ticken Medien?

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Kopf an: Motor aus. Für null CO2 auf Kurzstrecken. 25

DIE HEBEL

der Freizeit – Fahrrad, aber man schreibt nichtdrüber. Andere Kollegen haben Probleme, dasThema professionell kühl anzugehen, weil sieselbst mit dem Wechsel der Rollen zwischenAutofahrer, Fahrradfahrer und Fußgängernicht zurechtkommen. Genau hier liegt aller-dings eine spannende Geschichte, zumindestim autofixierten Berlin. Eine Kollegin schreibt:„Mein Lieblingshassobjekt ist um die dreißig,hat einen Helm auf dem Kopf und mäht allesnieder, in dem Bewusstsein, ich fahre Rad unddamit gehöre ich zu den Guten. Die fahren inKindergruppen, in alte Leute rein, die habenvon Bremsen noch nie was gehört. Die klingelnsich durch den Verkehr und ich hassssssse sie.“ Das ist eine (Fortsetzungs-)Geschichte, die alle betrifft und interessiert: die Autofahrer,die Fahrradfahrer, die Fußgänger. Aus derBeschreibung des Konflikts ergeben sichzwangsläufig die verkehrspolitischen Konse-quenzen. Der nächste Schritt für die Entwick-lung und den Ausbau der Medienresonanzeiner Kampagne wie „Kopf an: Motor aus“könnte also darin bestehen, sie nicht nurpositiv, sondern auch kontrovers anzulegen.

Peter Unfried, Chefreporter der Tageszeitung taz

Das Wichtigste:

� Werbung funktioniert wie ein Liebesbrief:

Man muss bemerkt, akzeptiert und im

besten Fall geliebt werden.

� Wer gute Werbung machen will, muss die

Zielgruppe präzise kennen und eine

„merk-würdige“, ungewöhnliche Idee

haben. Am besten bringt man die

Umworbenen zum Lächeln.

� Eine Sekunde Zeit hat man, Aufmerk-

samkeit zu bekommen.

� Seine Botschaft muss man auf mehreren

Kanälen senden: Die Werbewirkung

kommt erst in der Summe aller Medien

zustande.

� Wer will, dass die Medien berichten,

braucht vor allem eine gute Geschichte –

am besten eine über spannende Menschen.

� Auf unprofessionelle Öffentlichkeitsarbeit

reagieren Medien mit Nichtberichterstat-

tung.

� Vor allem die Themen Radfahren und

Zufußgehen brauchen einen professio-

nellen und spannenden Dreh, da sie für

viele Journalisten harmlose Freizeitthe-

men sind.

� Eine Möglichkeit wäre, das Mit- und lei-

der oft Gegeneinander von Autofahrern,

Fahrradfahrern und Fußgängern zu the-

matisieren beziehungsweise Lösungen

anzubieten.

��

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DIE KAMPAGNE

Was konkret zu tun istEine erste Mittel- und Ressourcenplanung – damit eine Kampagne zur Verhaltens-

änderung wirklich Erfolg hat.

Eine Kampagne, was heißt das?Städte und Kommunen verwenden den Begriffhäufig für Aktionen, die Bürger durch Flyer,Veranstaltungsreihen oder einzelne Aktionenauf Anliegen der Stadtverwaltung aufmerksammachen. Großkonzerne stellen für Begleit-kampagnen zur Einführung neuer ProdukteMillionenbeträge ein und bewerben sie mitTV-Spots, Großplakaten oder PR-Artikeln.

Welche Mittel und Ressourcen müssen tat-sächlich aufgewendet werden, um eine wirk-same Kampagne zur Verhaltensänderungdurchzuführen? Wie werden verkehrspoliti-sche Inhalte zum Stadtgespräch?

Für den Erfolg einer Werbekampagne sindBudget, Werbeträger und die Präsenz imStadtbild entscheidend. So halten es Werbeex-perten für eine fatale Kombination, eine Kam-pagne mit einem schwachen Werbebudget zuversehen, da Aufmerksamkeit und damit auchWirkung der Werbung extrem schnell wiederverpuffen. Zu wenig Geld auszugeben bedeu-tet in diesem Fall, Geld zu verschwenden.Optimal ist eine „Multi-Channel“-Kampagne,die unterschiedliche Medien, PR-Aktionen undinformative Veranstaltungen gezielt vereint,um mit einem kalkulierbaren Budget einemaximale Wirkung zu erzielen.

Was macht eine Kampagne zueiner Kampagne?Statt nur einmal groß aufzutreten, sollte eineKampagne mit Wiederholungen arbeiten, diedie Botschaft immer wieder vor Augen führen.Die Kampagne darf dabei der Zielgruppejedoch nicht das Gefühl vermitteln, die Bot-schaft seit bereits bekannt. Sie muss alsoimmer wieder neu verpackt werden – abernicht bis zur Unkenntlichkeit, sondern stetsim Kampagnendesign.

Die klassische Werbung plant oftmals in meh-reren sogenannten „Flights“ oder Werbeperi-oden, in denen die Botschaften im Straßenbildpräsent sind. Eine Kampagne, die Menschendazu bewegen will, ihr Verhalten zu überden-ken und im Sinne des Umwelt- und Klima-schutzes zu ändern, unterliegt darüber hinausweiteren Gesetzmäßigkeiten als herkömmli-che Werbekampagnen. Denn in diesem Fallgeht es um den Bruch mit Routine, vergleich-bar mit der Suchtbekämpung. „Kopf an: Motoraus“ arbeitet deshalb mit Phasen, die ange-lehnt an das Transtheoretische Modell (TTM)der Verhaltensänderung konzipiert wurden.Nach diesem Modell erfolgen Verhaltensände-rungen in mehreren Einstellungsstufen: Sorg-losigkeit, Bewusstwerden, Vorbereitung,Handlung, Aufrechterhaltung und Stabilisie-rung. Aus diesen Stufen leiteten die Kampa-gnenmacher drei Phasen ab und hinterlegtensie mit jeweils einer anderen Farbe: Rot, Grünund Blau. Der Farbwechsel erregt immer wie-der aufs Neue Aufmerksamkeit in den Städten

„Gesamtheit aller

gestalteten Werbemit-

tel und deren Einsatz in ausge-

wählten Werbeträgern (Media),

Werbegebieten und in einem

bestimmten Werbezeitraum. Die

inhaltlichen Ziele einer Werbe-

kampagne sollen mit einer ziel-

gruppengerechten Ansprache

vereinbar sein. Nach Erreichen

der Werbeziele oder nach Ablauf

des geplanten Werbezeitraums

ist die Werbekampagne been-

det. Mögliche Erscheinungsfor-

men: Plakate, Druckschriften,

Anzeigen, Fernsehspots und

Funkspots, Werbegeschenke

etc.“ (Prof. Dr. Franz-Rudolf

Esch von der EBS Business

School)

i

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Kopf an: Motor aus. Für null CO2 auf Kurzstrecken. 27

DIE KAMPAGNE

– und dennoch bleiben die Kampagnenmate-rialien sehr gut erkennbar.

Die rote Vorbereitungsphase macht deutlichauf die Kampagne aufmerksam und regt zumNachdenken an. Mal an die Vernunft, mal ansGefühl appellierend, teils provokant, aber stetsmit einem Augenzwinkern liefert sie Argu-mente für einen CO2-freien Stadtverkehr perRad und per Pedes. Die Handlungsphase(grün) schafft konkrete Anlässe, bei denenAutofahrer das Radfahren oder Zufußgehenselbst ausprobieren können. Die Bestätigungs-phase in Blau motiviert und bestärkt all jene,die ihr Verhalten bereits geändert haben, dran-zubleiben.

Was sind geeignete Kampagnen-medien?Die strategische Planung von Anzahl und Artder eingesetzten Medien sowie die zeitlicheEinteilung der Werbephasen (Flights) wirdMediaplanung genannt. Ein Mix unterschied-licher Medien und Aktionen sowie eine nen-nenswerte Präsenz über einen längeren Zeit-raum hinweg sind unverzichtbar, um eineStadt für das Thema Verhaltensänderung imVerkehrsbereich zu öffnen.

Die Kampagne „Kopf an: Motor aus“ arbeitetmit einer großen Zahl unterschiedlicherMedien, PR-Aktionen, Veranstaltungen undStreetpromotion. Dieser Medienmix wird aufjede Kampagnenstadt individuell zugeschnit-ten und inhaltlich angepasst.

Großflächenplakate sind klassische Werbe-träger. Sie eignen sich besonders für Verkehrs-themen, da sie der Zielgruppe direkt vor Ortund „bei frischer Tat“ die Botschaften vorAugen führen. Sie können in unterschiedli-chen Größen und an unterschiedlichen Ortenin der Stadt gebucht werden. Idealerweise wer-den sie mit Bannern kombiniert, die eine Stadtbeispielsweise kostenneutral an kommunalenBrücken aufhängen kann. Werden sie für dieZielgruppe, zum Beispiel Pendler oder andereKurzstreckautofahrer, günstig positioniert,erreichen sie sehr viele Menschen. Die „Kopfan“-Kampagne setzt in den Städten stark aufdiese Outdoor-Medien – mit Erfolg. Knapp 62 Prozent der in der Evaluation abschließendBefragten erinnerten sich auf Anhieb an dieseMedien, ebenso viele auf Nachfrage. Die Reich-weite der Plakate lag bei bis zu 94 Prozent.

Kinospots gehören ebenfalls zu den klassi-schen Werbemedien. Sie können mehr Infor-mationen transportieren als Großflächenpla-kate und runden eine Kampagne durch denEinsatz von bewegten Bildern ab. Radiospotseignen sich deshalb für die Kampagne, weil siedie Autopendler in der Rushhour morgens undabends erreichen. Auch nach dem Aufstehenund vor dem Weg zur Arbeit schalten die Men-schen ihr Radio ein.

Printmedien wie Flyer und Broschürenergänzen die Werbebotschaften mit Hinter-grundinformationen. Sie allein führen aber inder Regel zu keiner Verhaltensänderung, son-

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DIE KAMPAGNE

dern können lediglich den aufmerksam gewor-denen Bürgern weitere Hilfestellungen undAnreize liefern. Die Printmaterialien sind stetsim Design der Kampagnenphase gestaltet underzielen so einen großen Wiedererkennungs-effekt.

Internetauftritte transportieren ähnlich wiePrintmedien vertiefte Informationen über dieKampagne. Sie sind deshalb ein unverzichtba-rer Bestandteil. Neben der Bereitstellung vonausführlichem Hintergrundwissen lassen sichlaufend Neuigkeiten einpflegen. Außerdemkönnen Kampagnenmacher sowie Vertreterder Städte mit den Bürgern direkt interagierenund kommunizieren.

Ambient Media bezeichnet Werbemittel imdirekten Lebensumfeld der Zielgruppe. Siekönnen vergleichsweise günstig produziertund sehr gezielt eingesetzt werden. Die Band-breite reicht von Aufklebern auf Parkautoma-ten, mit frechen Botschaften versehene Park-zettel über bedruckte Briefumschläge undBrötchentüten, Beachflags an Fahrradstän-dern bis hin zu Hinweisschildern in Einkaufs-wagen von örtlichen Supermärkten undbeklebte Treppenstufen an öffentlichen Plät-zen.

Motive und Texte sollten genau auf ihre Ziel-gruppe abgestimmt sein, überraschen und sokurz wie möglich gehalten werden. Die Kern-aussage sollte herausstechen und mit einfa-chen Worten überzeugen.

„Kopf an“ setzt ganz bewusst nur auf Text. Derlässt sich witzig und zeitlos gestalten undaußerdem flexibel anpassen an die Besonder-heiten der Kampagnenstädte, beispielsweisean regionale Sprüche oder Dialekte. Angeneh-mer Nebeneffekt: Es sind keine teuren Foto-shootings nötig.

Die Motive von „Kopf an: Motor aus“ sindfrech, teilweise aufrüttelnd, aber nie polarisie-rend. Beliebtestes Motiv in den bisherigenKampagnenstädten ist übrigens „VerbrennenSie doch mal Kalorien statt Benzin“. Es zeigt,wie die Kernaussage einer Kampagne in kur-zen Worten auf den Punkt gebracht werdenkann. Und es demonstriert, wie wichtig es ist,die Menschen beim Gefühl, in diesem Fall Kör-pergefühl, zu packen.

PR-Aktionen und Veranstaltungen solltenstets in drei Richtungen gedacht und konzi-piert werden: Erstens sorgen sie für unge-wöhnliche Bilder und Erlebnisse auf derStraße, zweitens vermitteln sie Informationenim direkten Kontakt mit der Bevölkerung unddrittes schaffen sie gezielt Nachrichtenwertfür lokale Berichterstattung. Außerdem lassensich Politiker, andere Prominente und der Ein-zelhandel vor Ort einbinden. Nur wenn Aktio-nen und Veranstaltungen diese Aspekte erfül-len, macht ihr häufig verhältnismäßig hoherKontaktpreis wirklich Sinn.

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DIE KAMPAGNE

Veranstaltungen, die Verhaltensänderungennach dem Ansatz „do–feel–learn“ herbeifüh-ren wollen, machen das Kampagnenthemaerfahrbar, die Bürger können sich mit demAnliegen leichter identifizieren. Die Unterstüt-zung der entsprechenden Branchen, bei „Kopfan“ beispielsweise der Fahrradbranche, dieGewinne oder Proberäder zur Verfügung stellt,ermöglicht es, die Bürger zu beteiligen undihnen den Umstieg schmackhaft zu machen.

Anzeigen und PR-Berichte, das heißt be -zahlte längere Textbeiträge in aktuellen Tages-zeitungen, gehören idealerweise zu einemoptimalen Mediamix. Mit Printanzeigen las-sen sich Bürger unter anderem für Events vorOrt begeistern. Es bietet sich an, dabei mitGewinncoupons zu arbeiten. Für Aufmerk-samkeit sorgen im Rahmen von „Kopf an:Motor aus“ auch die „Wetteranzeigen“ im Hör-funk. Je nach Vorhersage wird die passendeAnzeige geschaltet – bei strahlendem Sonnen-schein beispielsweise: „Kaiserwetter. Ideal, umdas Auto stehen zu lassen. Ab aufs Rad oder indie Laufschuhe!“

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit darf alszentraler Baustein im Kommunikationsmixnicht fehlen. Ein redaktioneller Beitrag ineiner größeren Tageszeitung erreicht Zehntau-sende Leser, denen andere Medien unterUmständen nicht ins Auge fallen. Eine guteBerichterstattung lebt von einem professionel-len, offenen und kontinuierlichen Kontakt zurlokalen Presse. Diese Kontakte wollen gepflegt

sein, das heißt regelmäßig mit Informationenversorgt werden, und nicht erst dann, wennman selbst eine Berichterstattung will. Kon-taktarbeit in Abstimmung mit dem eigenenPresseamt, in Form von Redaktionsbesuchen,Hintergrundgesprächen, Exklusivgeschichtenoder -interviews braucht viel Zeit und einGespür für journalistische Geschichten. Esmüssen außerdem Informationen mit Nach-richtenwert geschaffen werden, die Journalis-ten und andere Multiplikatoren publizierens-wert finden. Das stellt gerade bei einem alltäg-lichen Thema wie Radfahren und Zufußgeheneine besondere Herausforderung dar.Seriöse Pressearbeit ist ein zentraler Faktorfür den nachhaltigen Erfolg einer Kampagne.

Ziel erreicht? Medienresonanzana-lyse und EvaluationUm den Erfolg der Presseaktivitäten einerKampagne zu beurteilen, ist eine Auswertungder Berichterstattung notwendig (Medien-resonanzanalyse). Für „Kopf an: Motor aus“ergab sie Folgendes: Die Kosten, die bei derSchaltung von entsprechend platzierten, gleichgroßen Anzeigen entstanden wären (Anzeige-näquivalenzwert), lag 2009 bei 365000 Euround 2010 sogar bei knapp 633000 Euro. DiePressearbeit schuf also einen hohen zusätzli-chen Werbewert.

Die Evaluation überprüft, wie die eingesetztenKampagnenmittel gewirkt haben und ob sie inden Folgejahren gegebenenfalls angepasstwerden müssen. Darüber hinaus kann ein

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Menschen folgen in

ihrem Lernverhalten

nicht immer dem klassischen

Ablauf der Informationsverar-

beitung „learn–feel–do“ (ler-nen, erleben, handeln). Zur

gefühlsmäßigen Verarbeitung

des Erlebten und dem damit

verbundenen Lerneffekt kann es

durch ein spontanes Erlebnis

wie eine Fahrradprobefahrt

kommen, nach dem Motto „do–feel–learn“: erst handeln, dabeierleben und daraus lernen.

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DIE KAMPAGNE

positives Evaluationsergebnis als Argumenta-tionshilfe gegenüber Kritikern dienen.

Eine herkömmliche Methode ist die Werbe-wirksamkeitsanalyse. In einer quantitativenBefragung der Zielgruppen werden Kennzah-len zur Werbeerinnerung ermittelt. Damit dieBefragung repräsentativ ist, müssen mindes-tens 1000 Antworten ausgewertet werden.

Was kostet eine wirkungsvolleKampagne? Angesichts der großen Konkurrenz um öffent-liche Aufmerksamkeit muss eine massenme-diale Informationskampagne, die wirklichwahrgenommen werden soll, mit einem ange-messenen Budget hinterlegt werden. Die „GibAids keine Chance“-Kampagne der Bundeszen-trale für gesundheitliche Aufklärung kostet2011 etwa elf Millionen Euro aus Bundesmit-teln und Geldern des Bundesverbandes derPrivaten Krankenversicherung. Auch DAX-Konzerne geben für Marketingkampagnenmehrere Millionen Euro aus.

„Kopf an: Motor aus. Für null CO2 auf Kurz-strecken.“ kommt mit einem bescheidenerenBudget aus. In einer mittleren Stadt muss proKampagnenjahr etwa 1,20 Euro je Einwohnerinvestiert werden. In Kleinstädten liegt dieserWert etwas höher, in größeren Städten niedri-ger. Die Anmietung von Werbeflächen machteinen großen Teil der Kosten aus. Städte, dieeigene Werbeflächen wie Brücken oder Häu-serwände nutzen oder in Kooperation mit

Schulen dort Banner aufhängen, können dieKosten für eine flächendeckende Kommunika-tionskampagne deutlich senken.

Wie viele Mitarbeiter braucht mandafür? Die Umsetzung einer professionellen Kampa-gne bindet auch personelle Ressourcen. Diekönnen deutlich eingegrenzt werden, wennStädte eine Kommunikationsagentur beauf-tragen. Pro Stadt sollte dann noch mit etwaeiner halben Stelle über acht Monate gerech-net werden, das entspricht etwa 15 bis 20 Wochenstunden. Die Hauptaufgabe bestehtdarin, interne Abstimmungsprozesse zubegleiten und zu koordinieren.

Rosa Rausch, Kathrin Voskuhl, „Kopf an“-Projektmitarbeiterinnen

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DIE KAMPAGNE

Checkliste: Detaillierte Schritte und Zeitplanung

Zeitpunkt Was? Verantwortlich8 Monate vorher • Ratsbeschluss

• Bestimmung eines stadteigenen Projektleiters und eines abteilungs-übergreifenden Projektteams

• Beauftragung einer Agentur6 Monate vorher • Auftakttreffen Projektteam und Agentur

• Festlegung der inhaltlichen Ausrichtung der Kampagne• Reservierung stadteigener Werbeflächen• Ansprache potentieller Sponsoren,

Ausarbeitung eines Sponsorenkonzepts• Ggf. Vorbereitung einer Vorabbefragung für die spätere Evaluation

6 Monate vorher • Gemeinsames Treffen mit örtlichen Interessenverbänden und Multiplikatoren

• Ausarbeitung eines Aktionsplanes zur Einbindung der Akteure vor Ort

4 Monate vorher • Definition eines detaillierten Zeitplans, Termine des OBs abstimmen/blocken lassen

• Abstimmung des Konzepts fürs Startevent mit allen Beteiligten3 Monate vorher • Auswahl und Buchung der Plakatflächen2 Monate vorher • Absprache der Medienkooperationen mit örtlicher Tageszeitung

und Hörfunksendern• Einladung zum Startevent

1 Monat vorher • Endfreigabe der Motive der ersten Kampagnenphase• Ausarbeitung der Inhalte für den Presseauftakt• Endplanung des Startevents

1 Woche vorher • Presseeinladung+++ • Startevent+++ • Start der ersten Kampagnenphase

• Beginn der Vorbereitung des Events in der grünen PhaseNach 1 Monat • Endfreigabe der Motive der zweiten Kampagnenphase

• Vorbereitung der EvaluationNach 2 Monaten • Start der zweiten Kampagnenphase

• Zentrales Event in der grünen PhaseNach 3 Monaten • Vorbereitung der Danke-Aktion

• Endfreigabe der Motive der dritten KampagnenphaseNach 4 Monaten • Start der dritten KampagnenphaseNach 5 Monaten • Start der Befragungen für die EvaluationNach 6 Monaten • Beginn der AuswertungNach 8 Monaten • Vorlage des Abschlussberichts ggf. mit Pressegespräch

• Vorbereitung der neuen Kampagnenphase • Inhaltliche Anpassung der Kampagne entsprechend der

Evaluationsergebnisse

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Für den Klimasc hutz müssen Siekeine Kampagn e neu erfinden. Sondern die vor handene nutzen.

Rufen Sie an: 0228/98585-45

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Für den Klimasc hutz müssen Siekeine Kampagn e neu erfinden. Sondern die vor handene nutzen.

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LITERATUR

ADAC-Autokostenrechnung zitiert nachwww.besser-autokaufen.de

Olaf-Axel Burow, Marina Neumann-Schön-wetter, Hamburg 1997, Zukunftswerkstatt inSchule und Unterricht

Infras, 2007, Externe Kosten des Verkehrs inDeutschland

Beate Kuhnt, Norbert R. Müllert, 2004, Moderationsfibel – Zukunftswerkstättenverstehen, anleiten, einsetzen

Lebensministerium Österreich, 2007, Wirt-schaftliche Evaluierung von Verkehrsinfrastruk-tur und Strategien – Methodische Leitlinie zurwirtschaftlichen Beurteilung der gesundheitli-chen Auswirkungen von Gehen und Radfahren

NIEHS – National Institute of EnvironmentalHealth Sciences, 2010, Do the health benefits ofcycling outweigh the risks?

J. O. Prochaska, W. F. Velicer, 1997, AmericanJournal of Health Promotion: The transtheore-tical model of health behavior change. AmericanJournal of Health Promotion, S. 12, 38–48

Stiftung Mitarbeit, Bonn 2004, Praxis Bürger-beteiligung, Ein Methodenhandbuch

Prof. Dr. Peter C. Dienel, 2002, Die Planungs-zelle. Der Bürger als Chance

WHO, Genf 2007, Increasing physical acitivityreduces risk of heart disease and diabetes

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IMPRESSUM

HERAUSGEBER

ARGE ZEM:

fairkehr GmbHNiebuhrstr. 16b 53113 BonnTelefon: (02 28) 9 85 85 45 Telefax: (02 28) 9 85 85 50E-Mail: [email protected]: www.fairkehr.de

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REDAKTION

fairkehr GmbH, Kirsten Lange, Rosa Rausch, Anna Rühmann, Kathrin Voskuhl, Valeska Zepp

PRODUKTION

fairkehr GmbH, Kirsten Lange

GESTALTUNG

Mike Communications, Köln

DRUCK

Evers-Druck GmbH

Das Projekt wurde gefördert durch das Bundesministeriumfür Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) imRahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative.

Nachdruck nur mit Genehmigung des HerausgebersARGE ZEM, Bonn 2011

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