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Die Eigenarten der Budgets der sozialistischen Staaten

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Page 1: Die Eigenarten der Budgets der sozialistischen Staaten

Die Eigenarten der Budgets der sozialistischen StaatenAuthor(s): Stefan VargaSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 22, H. 2 (1962/63), pp. 185-203Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40909695 .

Accessed: 18/06/2014 07:07

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Die Eigenarten der Budgets der sozialistischen Staaten

von

Stefan Varga

Die Entwicklung des Wirtschaftslebens, besonders aber der Umstand, daß verschiedene Länder vom kapitalistischen System abgegangen sind und den Weg des Aufbaues eines sozialistischen Systems beschritten haben, hat dazu geführt, daß manche wirtschaftlichen Erscheinungen und Zusammen- hänge allmählich oder plötzlich zu existieren aufgehört, andere wiederum sich verändert haben, während noch andere neu entstanden sind. Die Zeitge- nossen werden sich aber der langsameren Veränderung oft nicht bewußt. Sie erkennen deren Bedeutung - häufig zu ihrer aufrichtigen Überraschung - nur im Gefolge der durch die Geschichtswissenschaft vorgenommenen Gegen- überstellung der Verhältnisse voneinander entfernter liegender Zeiten.

Auch die zur Charakterisierung der Erscheinungen und ihrer Zusammen- hänge dienenden Begriffe, Gesichtspunkte, Anschauungsweisen und Theorien verändern sich oft nur verspätet. Dies dürfte die Erklärung dafür abgeben, daß es zu einer Verbreitung und allgemeinen Annahme von neuartigen Gedan- ken meist nur langsam und stockend kommt. Keynes hat aber treffend be- merkt, daß die Schwierigkeiten in diesen Fällen im allgemeinen nicht durch die Kompliziertheit oder die an und für sich ungenügende Überzeugungs- kraft der neuen Ideen, bzw. durch den Umstand verursacht werden, daß die Erkenntnis ihrer Stichhaltigkeit eine besondere Vertiefung zur Vorbedingung hat, sondern dadurch, daß es den Menschen - und auch den Wirtschaftswis- senschaftlern ! - meist schwer fällt, sich von jenen herkömmlichen alten Be- griffen, Feststellungen und Anschauungsweisen loszureißen, die als Ergebnis unserer Erziehung und Entwicklung in alle Poren unserer Gedanken einge- drungen sind und diese ganz ausfüllen 1.

Ähnlich verhält es sich auch in bezug auf den Staatshaushalt und das staatliche Budget. Ihre sich auf die analogen Erscheinungen der sozialisti- schen Staaten beziehenden Begriffsbestimmungen lauten genauso wie die, die für die Staatshaushalte und Voranschläge der den sozialistischen vorange- gangenen - kapitalistischen oder auch feudalen - gesellschaftswirtschaftlichen

1 John Maynard Keynes: The General Theory of Employment, Interest, and Money. London 1936, S. VIII.

13 Finanzarchiv N. F. 22. Heft 2

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Einrichtungen besitzenden Staaten Geltung haben. Demnach ist unter dem staatlichen Budget - dem Staatshaushaltsvoranschlag - die Veranschlagung der sich auf eine Rechnungsperiode beziehenden Einnahmen und Ausgaben des Staatshaushaltes, bzw. die zulässige Höchstgrenze der letzteren, unter dem Staats- haushalt aber die Sicherung dieser Einnahmen und die Ausführung dieser Aus- gaben, ferner die Gesamtheit der mit der Abwicklung dieser Aufgaben verbunde- nen wirtschaftlichen Tätigkeiten zu verstehen ' In dieser Hinsicht macht es kei- nen Unterschied aus, daß in Staaten, deren gesellschaftswirtschaftliche Ein- richtungen von denen der sozialistischen Staaten abweichen, sich der Staats- haushalt und dessen Voranschlag von denen der verschiedenen Typen ange- hörenden autonomen Selbstverwaltungskörper - der Bundesstaaten, Bezirke, Städte, Gemeinden usw. - auch in den Fällen scharf absondern, in denen dem Staat ein weitgehendes Kontroll-, ja sogar Eingriffsrecht zusteht, während in sozialistischen Ländern die Haushalte und Haushaltsvoranschläge der auto- nomen Verwaltungen Teile des Staatshaushaltes und des staatlichen Budgets bilden 2.

Auch das kann nicht als prinzipieller Unterschied gelten, daß die neueste sozialistische wirtschafts- und finanz wissenschaftliche Literatur dem Aus- druck „Staatsbudget" - unbegründet und auf nicht sehr glückliche Weise - einen Doppelsinn beimißt. Sie bezeichnet nämlich als staatliches Budget so- wohl das eigentliche Budget, also den Staatshaushaltsplan, als auch den Staatshaushalt selbst.

Der Staatshaushaltsvoranschlag der sozialistischen und der kapitali- stischen Staaten unterscheidet sich in einer nicht unwichtigen rechtlichen Be- ziehung.

Die Voranschläge der Einnahmen beziehen sich bei beiden auf Erwar- tungen und Hoffnungen, mit deren Verwirklichung man aber im Sozialismus mit Rücksicht auf den Aufbau seines Wirtschaftssystems wohl mit größerer Wahrscheinlichkeit als im Kapitalismus rechnen darf. Dies ist der Fall schon mit Rücksicht darauf, daß der Voranschlag der Einnahmen des Staatshaus- haltes - ähnlich dem seiner Ausgaben - den Volkswirtschaftsplan widerspie- gelt, da doch das Budget ebenfalls einen Finanzplan, einen Teil des Volkswirt- schaftsplans bildet, wobei es aber zugleich auch eine Projektion der anderen Teile desselben ist.

Der größte Teil der Einnahmen der Staatshaushalte in den kapitalistischen Ländern ent stammt von ihnen meist unabhängigen Wirtschaf tssubj ekten, wäh- rend die Einnahmen der im engeren Sinne verstandenen Staatshaushalte der sozialistischen Staaten zum überwiegenden Teil Überschüsse ihrer im Rahmen ihrer Unternehmungen ausgeführten Wirtschaftstätigkeiten - ihrer Staats- haushalte im weiteren Sinne des Wortes 3 - darstellen, wenn es auch richtig ist, daß die Realisierung der Ergebnisse dieser staatlichen Wirtschaftstätig-

1 Über die Bifurkation des Begriffs des Staatshaushaltes s. weiter unten. 2 Dies ist keine staatsrechtliche Notwendigkeit, sondern durch den zu ver-

wirklichenden, die ganze Volkswirtschaft umfassenden Charakter der sozialistischen Planwirtschaft bedingt. 8 Über den Unterschied zwischen dem Staatshaushalt im engeren una im weite- ren Sinne des Wortes s. weiter unten.

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keiten eine Vorbedingung hierzu ist. Diese Realisierung wird aber dadurch er- leichtert, daß der Staat und seine wirtschaftenden Einheiten die zu dieser Realisierung erforderliche Kaufkraft der Bevölkerung selber zur Verfügung stellen, wenn zu ihrem Erfolg auch die entsprechende Zusammensetzung des Warenangebots und eine entsprechende Festsetzung der Preisrelationen er- forderlich ist.

Bedeutsamer ist der Unterschied hinsichtlich der Ausgabenvoranschläge. Das Budget des sozialistischen Staates bildet einen Teil seines Volkswirt- schaft splanes. Hieraus folgt, daß die Ausführung der bewilligten Ausgaben, die zweckmäßige Verwendung der für verschiedene Ausgabenzwecke zur Ver- fügung stehenden Beträge als verbindliche Anweisung zu gelten hat. Ein Ab- weichen vom Ausgabenplan ist eine Verletzung einer Detailbestimmung des den Volkswirtschaftsplan in Kraft setzenden Gesetzes. Hierzu kann es aus Zweckmäßigkeitserwägungen operativ wohl kommen, doch müssen in diesem Fall die sich fortpflanzenden planwirtschaftlichen Konsequenzen immer ab- gewogen und vermittelst entsprechender anderer operativer Planabänderun- gen neutralisiert werden, wenn dies vorerst - bedauerlicherweise - auch nicht immer erfolgt.

Im Gegensatz hierzu gilt der Ausgabenvoranschlag der Budgets der nicht-sozialistischen Staaten nicht als verbindliche Anweisung zur Ausfüh- rung von eine festgesetzte Zusammensetzung und eine bestimmte Höhe be- sitzenden Geldaufwendungen. Er wird nur als Ermächtigung zur Ausführung dieser Ausgaben aufgefaßt. Die Regierung darf - in der Theorie - die im Vor- anschlag figurierenden einzelnen Posten nicht überschreiten, sie ist aber be- rechtigt, die festgesetzten Rahmen nicht ganz auszufüllen. Während der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre haben manche Regierungen nach Verabschiedung des Budgetgesetzes Ersparnismaßnahmen in Kraft treten lassen, deren Proportionen die verschiedenen Ausgabenposten auf unter- schiedliche Weise, ja einzelne überhaupt nicht berührten. Dadurch wurden die Ausgaben des Staatshaushaltes nicht nur kleiner als die gemäß den Haushalts- voranschlägen bewilligten, sondern sie kamen auch in anderen Proportionen zur Verwirklichung, als diese von den Parlamenten als richtig, bzw. als er- wünscht befunden worden waren.

Die Staatshaushaltsvoranschläge der sozialistischen Staaten können auch in anderer Beziehung als aufrichtiger als die der nicht-sozialistischen gelten. Die ersteren unterscheiden nämlich meist nicht zwischen ordentlicher und außerordentlicher Gebarung (Einnahmen und Ausgaben), während die letz- teren dies tun. Theoretisch mag es ganz gut klingen, wenn behauptet wird, es sei begründet, gewisse einmalige größere Investitionsausgaben von den sich alljährlich wiederholenden Ausgaben gesondert zu behandeln und auch für ihre Deckung selbständig, auf „außerordentliche" Art zu sorgen. Zuweilen wird noch hinzugefügt, die Investitionen dienten der „Nachwelt", und deshalb sei es nur „gerecht", wenn deren Kosten, richtiger: ihre Zins- und Amorti- sationslasten, den späteren Generationen aufgebürdet würden, indem diese für die zur Deckung erforderlichen Steuern aufzukommen haben. Das klingt der unter den Verhältnissen von bürgerlichen Gesellschaften ausgebildeten finanzwissenschaftlichen Auffassung nach sehr überzeugend, doch ist diese

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Behauptung - sofern es sich nicht um im Ausland, sondern um im Inland auf- genommene Anleihen handelt - grundfalsch. Jeder moderne Staatshaushalt hat alljährlich große Investitionen auszuführen. Wenn wir bedenken, daß eine jede mit inländischen Mitteln finanzierte Investition zu Lasten der laufenden Erzeugung erfolgt, deren entsprechender Teil daher einer andersgearteten Verwendung entzogen wird, daß ferner große Investitionen von Jahr zu Jahr notwendig sind, wird es offenbar, daß man sich dafür einzusetzen hat, daß die Kosten der staatlichen Investitionen aus den laufenden ordentlichen Einnahmen des Staatshaushaltes gedeckt werden *. Dies kennzeichnet aber gerade die Bud- get- und Haushaltspolitik der sozialistischen Staaten.

Zwischen den Budgets bzw. Haushalten einerseits der sozialistischen, andererseits der kapitalistischen Staaten gibt es noch einen weiteren Unter- schied. Die gesamte Wirtschaftstätigkeit in den nichtsozialistischen Ländern wickelt sich im Rahmen von Wirtschaftseinheiten ab, die sich voneinander, wenn auch nicht ganz, so doch in manchen wesentlichen Belangen unter- scheiden. Eine jede dieser Einheiten hat eigenartige Interessen und ein von den anderen abgesondertes, wenn auch mit ihnen zusammenhängendes Da- sein. Die Privathaushalte, die verschiedenen Unternehmungen, die Haushalte der vielen Typen angehörenden administrativen und andersgearteten, Ge- biets- oder anderen Prinzipien entsprechend organisierten Selbstverwaltungs- körper und schließlich auch der Haushalt des Staates sind weitgehend unab- hängig voneinander2.

Alle diese Haushalte überblicken zeitweise mit größerer oder geringerer Systematik die voraussichtlichen oder abgeschlossenen Ergebnisse ihrer Wirt- schaftsführung. Viele von ihnen verfertigen Budgetvoranschläge, noch meh- rere Haushaltsrechnungen in irgendeiner Form. Der Staat und die Selbst- verwaltungskörper regeln ihre Wirtschaftsführung mittels Voranschlägen und kontrollieren diese mit Hilfe von Haushaltsrechnungen.

Der Staatshaushalt des sozialistischen Staates besitzt aber einen bei weitem umfassenderen Charakter als der des nicht-sozialistischen Staates. Seine Teile

1 In den nicht-sozialistischen Ländern werden die staatlichen Investitionen allerdings auch als Mittel einer „anti-zyklischen Konjunkturpolitik4' verwendet. Dies bildet einen besonderen Gesichtspunkt, dem für die sozialistischen Staaten keine Be- deutung zukommt.

2 Im Verlauf der Entwicklung der kapitalistischen Staaten sind vielerorts zen- tralistische Bestrebungen zur Geltung gekommen. Vor 1945 besaß z. B. in Ungarn die Regierung das Recht, die Budgets der Selbstverwaltungskörper durch den Finanz- minister und den Minister für Inneres zu überwachen, gutzuheißen, ja abzuändern. Auch versteht sich von selbst, daß die Unterscheidung der eigentlichen staatlichen Aufgaben und jener der Selbstverwaltungskörperschaften (z.B. hinsichtlich von Unterrichts-, Gesundheits- und vielen anderen Angelegenheiten) die Budgets und Haushalte des Staates und der Selbstverwaltungskörperschaften zu einander er- gänzenden macht. Trotzdem sind aber die Feststellungen des Textes stichhaltig, da der nicht-sozialistische Staat, selbst wenn er über das Recht der Gutheißung der Finanzgebarung der Selbstverwaltungskörper verfügt (was aber nicht immer der Fall ist), dieses Recht nicht unter Berücksichtigung eines sich auf das gesamt-volks- wirtschaftliche Gleichgewicht beziehenden Gesichtspunktes ausübt. Natürlich muß zugegeben werden, daß es hierzu im Zusammenhang mit der Entwicklung des ge- samtwirtschaftlichen Rechnungswesens möglicherweise in der Zukunft auch in den kapitalistischen Ländern kommen kann.

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(und unter diesen auch die ihm gehörenden Unternehmungseinheiten) gehen in die Gesamtheit der einheitlichen Volkswirtschaft ein, sie verschmelzen sich mit dieser.

Bei einem Teil der Wirtschaftseinheiten bildet es eine unabdingbare Not- wendigkeit, daß ihre Ausgaben ihre Einnahmen nicht überschreiten, da sie sonst die ersteren nicht zu decken vermögen. Sie sind allerdings hierzu doch imstande, wenn sie über Reserven verfügen oder Kredite aufnehmen können. Falls jedoch ihre Wirtschaftsgebarung längere Zeit hindurch ein Defizit auf- weisen sollte, so dürften sie früher oder später trotzdem in Deckungsschwierig- keiten geraten. Früher bedrohte diese Gefahr auch die Staatshaushalte, ja sie zwang diese zuweilen zur Erklärung eines Staatsbankrotts. Diese Gefahr ist gebannt, seitdem die Staaten über das Recht und die Möglichkeit einer selb- ständigen Ausgabe von Papiergeld verfügen, bzw. seitdem es ihnen möglich ist, im Notfall entsprechend den gesetzlichen Vorschriften oder unter deren Umgehung, Verletzung oder Abänderung von den Notenbanken praktisch un- begrenzte Kredite aufzunehmen, also sich neu in Umlauf gesetztes Papiergeld anzueignen, mit einem Wort, einen inflatorischen Prozeß in Bewegung zu set- zen. Aber selbst in diesem Fall kann es dazu kommen, daß ein Staat sich ge- zwungen sieht, die Erfüllung seiner valutarischen Verpflichtungen in Bezie- hung auf deren Betrag, Zinsen oder Fälligkeitstermine ganz oder - häufiger - zum Teil zu verweigern.

In diesem System kommt den einen Überschuß oder ein Defizit auswei- senden Salden der Voranschläge und der Rechnungen der verschiedenen Ty- pen angehörenden Haushalte eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Und wenn die ältere finanzwissenschaftliche Literatur auch als wesentlichen Unterschied zwischen dem Charakter der Staats- und Privathaushalte der nicht-sozialistischen Länder hervorhebt, daß man in den letzteren die Ausgaben mehr oder weniger den Einnahmen, in den ersteren hingegen die Einnahmen den Ausgabenbedürfnissen anpassen müßte, welches Ziel sich vermittels der Abänderung der Steuersätze, der Einführung oder Abschaffung von Steuerarten, der Aufnahme oder Tilgung von Anleihen usw. erzielen ließe, so bleibt es nichtsdestoweniger richtig, daß dem Vorzeichen des Bud- get- und besonders des Haushaltsrechnungs- Saldos eine große Bedeutung beizumessen ist1.

Die Begründung dafür läßt sich geschichtlich gut ableiten. Obwohl es Steuern bereits im Altertum und seither auch stets gegeben hat, war - schon mit Rücksicht auf den verhältnismäßig engen Umfang der Geldwirt- schaft - lange Zeit die Auffassung verbreitet, daß die Staaten ihre Ausgaben zum überwiegenden Teil möglichst aus dem Ertrag ihres eigenen land- und forstwirtschaftlichen Besitzes (Kameralisten), bzw. aus dem ihrer Industrie- und Bergwerksunternehmungen (Merkantilisten) decken sollten. Die Natural- steuern eignen sich nämlich für die Zwecke von größeren Staatshaushalten

1 Zu betonen ist allerdings, daß es im Gegensatz zu der Theorie auch in der Staatshaushaltsgebarung der nicht-sozialistisohen Länder recht oft vorkommt, daß die Ausgaben den Einnahmen angepaßt werden, so daß die im Text zitierte theore- tische Auffassung der Wirklichkeit gegenüber als etwas übertrieben erscheint.

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schon wegen der Schwierigkeiten ihrer Eintreibung, Verwaltung und Verwen- dung nicht. In der Ausbildung der feudalen Hierarchie spielte wahrschein- lich auch der Umstand eine Rolle, daß der Wille der zentralen Staatsmacht vermittelst einer von der Zentrale besoldeten Beamtenschaft schon mit Rück- sicht auf die Schwierigkeiten der Sicherung dieser Besoldung und auf die der Weitergabe von Nachrichten und Anweisungen kaum zur Geltung gebracht werden konnte. Die Feudalherren verfügten im Gegensatz hierzu über weit- gehende lokale Macht und die Möglichkeiten der Nutzbarmachung des Ertra- ges von Naturalsteuern.

Die Bedeutung der Geldwirtschaft der staatlichen Zentralmacht wuchs mit der Errichtung und Bewaffnung stehender Heere, ferner mit der In- Dienst-Stellung von Luxusindustrien für die Hofhaltungen der Staatsober- häupter. Hierbei spielte natürlich auch die mit dem Fortschreiten der gesell- schaftlichen Arbeitsteilung zusammenhängende Entwicklung der Geldwirt- schaft im allgemeinen eine wichtige Rolle. Zugleich stieg auch die Bedeutung der Geldsteuer. Zu dieser Zeit war die Verschuldung des Staatshaushaltes im allgemeinen recht nachteilig, obwohl sie keine Seltenheit bildete. Für die An- leihen mußten aber die Staaten meist Wucherzinsen zahlen, obgleich ihre Erlöse nur in den seltensten Fällen produktiv verwendet wurden. Überdies mußten zur Sicherung der Anleihen die Ausnutzung von oft einen hohen Er- trag abwerfenden Bergwerken oder anderen Vermögensobjekten überlassen, bzw. große Gewinne sichernde Konzessionen gewährt werden. Und als später, im wesentlichen seit dem 19. Jahrhundert, die Anleihen meist nur mittels Unterpari-Emissionen aufgenommen werden konnten, was sowohl ihre Ver- zinsung erhöhte als auch ihre Konversion erschwerte, war die Begebung von Staatsanleihen im allgemeinen auch mit der Übernahme von ausgesprochenen oder stillschweigenden politischen oder wirtschaftlichen Verpflichtungen der Regierungen verbunden, deren Vermeidung selbstverständlich in der Regel als erwünscht galt.

Mit Rücksicht auf all dies wurde das Defizit des Staatshaushaltes lange Zeit als ein Zeichen des Mangels an wirtschaftlicher Kraft erachtet, während ein Überschuß als günstiges Zeichen, als Beweis seiner guten Fundierung galt. Dies war die allgemeine Auffassung, bis man im Gefolge der „Keynes- schen Revolution" die Möglichkeiten der Beeinflussung der Wirtschaftskon- junktur mittels des Staatshaushaltes erkannte.

Zu vermerken ist allerdings, daß man schon lange Zeit vor Keynes in der finanz- wissenschaftlichen Literatur Auffassungen begegnete, wonach es erwünscht sei, daß der Staatshaushalt in den Jahren einer günstigen Konjunktur Reserven ansammele und diese in der Zeit der Krise zur Finanzierung von neuen Investitionen verwende. Diese Anschauung ist der von Keynes verwandt, nur wollte sie sich primär nicht auf eine „Defizit-Verausgabung", also die Inflation, sondern auf die Geldansammlung, also die Deflation gründen, wobei natürlich die praktische Verwirklichung dieser letzteren Politik notwendigerweise auf größere Widerstände stieß, als die Keynes- sche.

Die in den nicht-sozialistischen Ländern derzeit verbreitete Auffassung beurteilt also ein etwaiges Defizit des Staatshaushaltes grundlegend anders als früher. Die Frage des Überschusses oder Defizits im Staasthaushalt wird eingebettet in die gesamte volkswirtschaftliche Situation untersucht. Die An-

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Wendung dieser, einen makroökonomischen Charakter besitzenden Anschau- ungsweise wird in einigen dieser Länder auch dadurch erleichtert, daß ihre Regierungen verpflichtet sind, den Staatshaushaltsvoranschlag durch Über- sichten über die Gestaltung der gesamten Wirtschaftslage des Landes zu er- gänzen, bzw. - wenn es solche gibt - auch die Ergebnisse der zuletzt abge- schlossenen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sowie deren sich auf das nächste Jahr beziehende Voranschläge den Parlamenten vorzulegen x.

Auch die Wirtschaftstheorie der sozialistischen Länder betont mit großem Nachdruck, daß der Staatshaushalt einen organischen Teil der Gesamtwirt- schaft bildet, ferner daß der Staatshaushaltsvoranschlag ein wichtiger Be- standteil des volkswirtschaftlichen Bilanzsystems, zugleich aber auch ein wichtiges Mittel der Umverteilung des Volkseinkommens sei. Der formale Auf- bau des Staatshaushaltsvoranschlages und die Art seiner Verabschiedung durch eine parlamentarische Debatte und Beschlußfassung nehmen aber hiervon vorerst keine Kenntnis. Die von den Finanzministern bei der Vorlegung der Budgets und der Haushaltsrechnungen gehaltenen Reden, die Redner der sich auf diese beziehenden Debatten, die Artikel der sie kommentierenden Presse usw. messen den in den Budgets vorgesehenen, ferner den in den Staats- haushalten gemäß den Haushaltsrechnungen verwirklichten Überschüssen auch in den sozialistischen Ländern eine überaus große Bedeutung bei, sie er- achten diese als Beweise ihrer Solidität. Überdies meinen sie, diese Überschüsse stellten zur Verfügung stehende und nach Gutdünken verwendbare Reserven dar, worauf die Gesetze über die Staatshaushaltsvoranschläge meist auch ausdrücklich zu verweisen pflegen, die Regierungen ermächtigend, diese nach Gutdünken zu verwenden.

Das ist aber eine unberechtigte, heuzutage bereits als atavistisch an- mutende Betrachtungsweise des Problems, von welcher man selbst in den nicht-sozialistischen Ländern bereits abgegangen ist, obwohl in diesen der Staatshaushalt doch über eine größere Selbständigkeit sowohl in juristischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht als in den sozialistischen Ländern ver- fügt. In letzteren darf der Staatshaushalt nur als Teil der gesamten Volkswirt- schaft angesehen und beurteilt werden. Falls er über einen Überschuß verfügt,

1 Es gibt Kritiker dieses Systems, die aber nichts an dessen Prinzipien auszu- setzen haben, sondern im Gegenteil z.B. die Präsentierungsmethode des Staats- haushaltsvoranschlages der Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Grunde be- mängeln, weil sie losgelöst vom wirtschaftlichen Rechenschaftsbericht des Präsi- denten in Erscheinung tritt, diese beiden Dokumente daher nicht ausreichend inte- griert sind. Vgl. Gerhard Colm with the assistance of Marilyn Young: „The Federal Budget and the National Economy". Planning Pamphlets No. 90, National Plan- ning Association, Washington 1955, S. 24. - Das derzeit übliche Vorgehen der sozia- listischen Staaten, deren Parlamente den Staatshaushaltsvoranschlag und den Volkswirtschaftsplan ebenfalls voneinander getrennt beraten, behandeln wir weiter unten.

Als Beispiel eines richtigen Verfahrens wollen wir auf Schweden verweisen. Dort ist es gesetzlich vorgeschrieben, daß das von der Regierung eingereichte Finanz- gesetz („statsverkspropositionen") aus zwei Teilen besteht, nämlich aus dem eigentlichen Staatshaushaltsvoranschlag („riksstatsförslaget") und aus der Übersicht über die zu erwartende Wirtschaftslage des Landes („nationaJbudgeten"), die eine ausführliche Volkswirtschaftsbilanz beinhaltet. Vgl. „The Swedish Budget for the Fiscal Year 1962/63", published by The Ministry of Finance, Stockholm 1962, S. 7.

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so kann das Gleichgewicht der Volkswirtschaft nur gesichert werden, wenn andere Teileinheiten der Volkswirtschaft (vor allem die Unternehmungen) Kredite in gleicher Höhe aufnehmen 1. Falls es hingegen einen Fehlbetrag im Staatshaushalt geben sollte, so kann sein Kreditbedarf glatt gedeckt werden, falls die anderen Teileinheiten der Volkswirtschaft Überschüsse in gleicher Höhe akkumulieren. Das Gleichgewicht der Volkswirtschaft läßt sich also nur auf Grund einer aggregierten Betrachtung sämtlicher Teileinheiten der Volkswirtschaft beurteilen. Es ist überaus gefährlich und irreführend, wenn dies aus den Augen gelassen wird und wenn die Lage einer solchen Teilein- heit selbständig, d.h. also unter Außerachtlassung ihrer Einordnung in die gesamte Volkswirtschaft beurteilt werden sollte. Diese Gefahr ist selbstver- ständlich um so größer, je größer die Teileinheit der Volkswirtschaft, um die es sich handelt, und je größer der Saldo ihrer Wirtschaftsführung ist.

Vom Standpunkt der sozialistischen Wirtschaft betrachtet ist es vollkom- men gleichgültig, ob der Staatshaushalt mit einem Überschuß oder mit einem Defizit abschließt. Dies ist in gewisser Hinsicht einfach eine Frage des ange- wendeten volkswirtschaftlichen Buchführungssystems. Sicher ist nur, daß die Summe der aggregierten Salden der anderen Einheiten der Volkswirtschaft ge- nau so groß zu sein hat, jedoch ein entgegengesetztes Vorzeichen besitzen muß, wie der Saldo des Staatshaushaltes. Unter den Bedingungen des So- zialismus kann man weder auf die Qualität der Staatshaushaltsführung, noch auf die der Wirtschaft von anderen Volkswirtschaftseinheiten aus den durch sie ausgewiesenen Ergebnissen ihrer Wirtschaftsführung unmittelbare Schlüsse ziehen 2. Hieraus folgt auch, daß es im Grunde genommen ein Feh- ler ist, wenn man in den Voranschlägen, bzw. Haushaltsrechnungen der sozialistischen Staatshaushalte keinen Gegenposten besitzende Salden ausweist und auf diese Art fälschlicherweise den Eindruck erweckt, als ob nach Gut- dünken verwendbare Keserven vorhanden wären oder ein Defizit, d.h. eine Gleichgewichtsstörung drohe. Das richtige Verfahren bestünde darin, den gemäß dem derzeitigen System im Budget, bzw. in der Staatshaushaltsrech- nung ausgewiesenen Überschuß mit folgendem Text zu umschreiben: „Ein- nahmeüberschuß des Staatshaushaltes, der vermittelst des Bankenapparates zur Befriedigung des Kreditbedarfs von anderen Sektoren der Volkswirt- schaft zur Verfügung zu stellen ist (bzw. gestellt wurde)". Im Falle eines Fehl- betrags des Staatshaushaltes sollte ein den entgegengesetzten Sinn besitzen- der entsprechender Posten eingestellt werden.

1 Dies kann bedeuten, daß sie ihre Lagervorräte erhöhen, da die sozialistischen Unternehmungen - zumindest derzeit in Ungarn -neue Kredite nur zur Finanzierung solcher aufnehmen können. Die Investitionen werden nämlich aus unmittelbar flüssig gemachten staatlichen Mitteln finanziert.

2 Dies schließt natürlich nicht aus, daß die Zweckmäßigkeit und Wirtschaft- lichkeit der einzelnen Budgetposten kritisiert wird. Wenn sich z. B. feststellen läßt, daß sich irgendein konkretes Ziel mit einem geringeren Aufwand an Personal und sachlichen Mitteln verwirklichen ließe, oder wenn man der Auffassung sein sollte, irgendein Ziel sei einem anderen gegenüber größere Bedeutung beizumessen und das Budget entsprechend abzuändern, so kann der Staatshaushaltsvoranschlag oder die Haushaltrechnung mit guter Begründung kritisiert werden. Die Gesamtheit des Bud- gets und des Staatshaushalts läßt sich jedoch nur unter Berücksichtigung ihrer Ein- bettung in das gesamte Gleichgewichtssystem der Volkswirtschaft analysieren.

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Die Wirtschaftspolitik strebt im Sozialismus bewußt stets ein gesamt- wirtschaftliches Gleichgewicht an, und zwar sowohl in geld- als auch in güter- wirtschaftlicher Hinsicht. Es wäre also z. B. ganz abwegig, einen Überschuß des Staatshaushaltes als Reserve für unvorhergesehene Ausgaben aufzufas- sen. Eine solche geldliche Reserve ließe sich ja nur in dem Falle verwenden, wenn auch eine entsprechende güterwirtschaftliche Produktionsmöglichkeits- oder Rohstofflagerreserve vorhanden wäre, ja die Verwendungsmöglichkeit der geldlichen Reserve wäre durch den Charakter dieser letzteren Reserven grundsätzlich bestimmt. Da also die finanzielle Reserve nur auf eine Art verwendet werden könnte, wäre ihre Anlage eigentlich unvernünftig. Wenn nämlich die güterwirtschaftliche Reserve nicht erforderlich ist, so ist es über- flüssig, sie vorzusehen, wenn sie hingegen ein Gebot der wirtschaftlichen Ver- nunft darstellt, darf sie trotz dem Vorhandensein von flüssigen Mitteln nicht verwendet werden1. Der Überschuß des Staatshaushaltes muß also in der Volkswirtschaft irgendwo mit einem geplanten oder spontan zur Ausbildung gelangenden Defizit kompensiert sein oder umgekehrt. Dies bildet eine Vor- bedingung der Sicherung des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts.

Die Behauptung, der Staatshaushalt im engeren oder weiteren Sinn, fer- ner der genossenschaftliche und der private Sektor der Volkswirtschaft hätten gemeinsam, nicht aber ein jeder gesondert im Gleichgewicht zu sein und daß den Salden der einzelnen Sektoren -also auch dem Saldo des Staatshaushaltes - keine selbständige Bedeutung beizumessen sei, ist selbstverständlich nur in Hinsicht auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht richtig. Vom Gesichts- punkt der weiteren Entwicklung, der Dynamik, ferner der Lenkung der Volks- wirtschaft aus sind diese Unterschiede wichtig genug. Deshalb ist neben der beschriebenen, sich grundsätzlich auf die Gesamtheit der Volkswirtschaft beziehenden aggregativen Betrachtungsweise auch der besonderen Lage der verschiedenen großen volkswirtschaftlichen Sektoren Beachtung zu schenken. Wenn z. B. der staatliche (die budgetäre Gebarung und die der Unternehmun- gen umfassende) Sektor ein Defizit aufweist, dieses Defizit aber mittels der Ersparnisse der Bevölkerung gedeckt wird, so ist die Volkswirtschaft ver- wundbarer als im entgegengesetzten Fall. Es ist eben möglich, daß die Be- völkerung einen bedeutenden Teil ihrer dem staatlichen Sektor gegenüber be- stehenden Forderungen auf einmal abrufen und ihren unmittelbaren Zielen zuwenden will. In diesem Fall muß man zur Sicherung des volkswirtschaft- lichen Gleichgewichts entweder die im Besitz des Staates, bzw. seiner Unter- nehmungen befindlichen Warenvorräte verwenden2 oder aber den Plan des staatlichen Sektors auf entsprechende Weise abändern. Auch den aus Unter- nehmungen bestehenden Teil des im weiteren Sinne des Wortes genommenen Staatshaushaltes muß man von dem anderen (budgetären) Teil des Staats- haushaltes unterscheiden, da die Voranschläge des ersteren sich mit geringe- rer Genauigkeit verwirklichen als die des letzteren.

1 Dies ist natürlich abstrakte Theorie. In der Praxis gibt es unvorgesehene Situationen, da sich ja die Pläne nur auf eine in größerem oder geringerem Maße be- stehende unvollkommene Voraussicht der Zukunft gründen können. 2 Diese Möglichkeit bildet eine gute Sicherung der Kaufkraft des sozialistischen Geldes. Vgl. Stefan Varga: Die ungarische Währungsreform des Jahres 1946, „Jahr- bücher für Nationalökonomie und Statistik'4, 1959, S. 89 ff.

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Die Unterscheidung dieser verschiedenen Teile der Volkswirtschaft dient nicht ihrer Absonderung, sondern im Gegenteil der besseren Hervor- hebung ihrer Zusammenhänge und Verbindungen, wenn auch der Gestaltung der Ausgaben und der Ersparnisse der Bevölkerung und der Verwendung der letzteren für Spareinlagen, Geldthesaurierung oder den Ankauf von langlebi- gen Verbrauchsgütern eine Ungewißheit anhaftet, was bei den die Aufrecht- erhaltung des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts anstrebenden wirt- schaftspolitischen Planungs- und operativen Maßnahmen berücksichtigt zu werden hat.

Die Frage, ob das Wirtschaftsleben des Sozialismus sich in monetärer Beziehung im Gleichgewicht befindet oder nicht, läßt sich auf Grund der Da- ten über den Geldumlauf und die Warenvorräte, ferner auf Grund der Anga- ben über ihre Erhöhung oder Verminderung beantworten. Infolge der engen Zusammenhänge des Wirtschaftslebens kommt die finanzielle Bilanz aller- dings stets automatisch ins Gleichgewicht. Dabei ist es aber offenbar nicht gleichgültig, ob sich dieses Gleichgewicht bei einem unveränderten, bei einem wachsenden oder schrumpfenden Geldumlauf, ferner bei geplanten oder ungeplanten Veränderungen der Warenvorräte herausbildet1. Daher sollte man nicht nur über die Salden der verschiedenen volkswirtschaftlichen Ein- heiten, sondern auch über die sich auf den Geldumlauf beziehenden Anga- ben nur auf Grund einer eingehenden wirtschaftswissenschaftlichen Analyse ein Urteil fällen.

In dieser Hinsicht bilden vielleicht nur die Haushaltsdaten der unter- geordneteren (Bezirks-, städtischen usw.) Selbstverwaltungseinheiten des Staatshaushaltes eine Ausnahme. Zwar sind auch diese Teil der gesamten Volkswirtschaft und daher in diesem Sinne die Salden ihrer Haushalte eben- falls gleichgültig. Die Leiter dieser Wirtschaftseinheiten besitzen jedoch im Gegensatz zu dem für die Gesamtheit des Staatshaushaltes verantwortlichen Finanzminister keinen sich auf die ganze Volkswirtschaft erstreckenden Überblick, und sie sind für die Gestaltung der Volkswirtschaft auch nicht ver- antwortlich. Sie können nur in dem ihnen zur Verfügung stehenden Finanz- rahmen wirtschaften, wobei es vollkommen gleichgültig ist, ob ihre Einnah- men einen autonomen Charakter besitzen oder ihnen aus den zentralstaat- lichen Einnahmen im Kahmen des „Finanzausgleichs" auf Grund irgend- eines Systems in fest bestimmten Beträgen oder vermittelst von prozentualen Anteilen überlassen werden. Diese untergeordneten staatlichen Stellen wirt- schaften nämlich nur dann vernünftig, wenn sie ihre Haushalte im Gleichge- wicht halten, ja zur Sicherung von unerwarteten Anforderungen auch ge- wisse Reserven vorsehen. Dies sind jedoch praktische, nicht aber prinzipielle Normen ihrer Wirtschaftsführung. Demgegenüber kann der Finanzminister einen etwaigen Überschuß des Staatshaushaltes ganz oder zum Teil nur dann verwenden, wenn er gleichzeitig auch dafür Sorge trägt, daß die Summe der

1 Natürlich können die fortlaufende Zunahme der Erzeugung und die ständige Erhöhung der Realeinkommen und des Wohlstandes der Bevölkerung eine allmäh- liche Zunahme des Geldumlaufs als begründet erscheinen lassen, wobei jedoch die Zunahme der der Bevölkerung gegenwertlos gesicherten naturalen Zuwendungen eine Schrumpfung des Geldumlaufs verursachen könnte.

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durch das Bankensystem den Unternehmungen oder der Bevölkerung zu ge- währenden Kredite dem ursprünglichen Plan gegenüber um den gleichen Be- trag vermindert wird.

Erwähnt muß auch werden, daß der sozialistische Staatshaushalt eigentlich nur einen Teil des gesamten Staatshaushaltes umfaßt. Dies läßt sich nur deshalb nicht als ein von dem System der nicht-sozialistischen Staatshaushalte in prinzipieller Beziehung abweichendes System bezeichnen, weil heutzutage auch schon die nicht-sozialistischen Staatshaushalte - wenn auch in geringerem Maße - das gleiche Kennzeichen besitzen. Dies steht im Gegensatz zu dem eine große Ver- gangenheit besitzenden und in den nicht-sozialistischen Ländern auch heute noch immer wieder hervorgehobenen finanzwissenschaftlichen Prinzip, wonach die sich •auf die Staatshaushalte beziehenden Ausweise stets die Gebarungen der gesamten Staatshaushalte zu umfassen hätten. Von diesen abgespaltene Fonds, Zweckvermö- gen, -einnahmen und -ausgaben sollten daher nicht zugelassen werden, auch sollten sich der besseren Übersicht halber sämtliche auf den Staatshaushalt beziehenden Ausweise und Angaben nicht auf das Netto-, sondern auf das Brutto-Prinzip grün- den.

Im Grunde genommen sollte man nicht nur zwischen Staatshaushalt, Budgetvoranschlag und Haushaltsrechnung unterscheiden, sondern auch zwi- schen dem Staatshaushalt im engeren und im weiteren Sinne des Wortes. Im weiteren Sinne fallen unter den Begriff des Staatshaushaltes sämtliche Ein- nahmen und Ausgaben des Staates, d. h. also auch die mittels irgendwelcher juristischer Konstruktionen, z.B. in der Form von Unternehmungen oder Fonds, abgespaltenen (im Sozialismus daher auch die gesamte Wirtschafts- führung sämtlicher staatlicher Unternehmungen). Im engeren Sinne sind dage- gen unter dem Staatshaushalt nur jene Einnahmen und Ausgaben des Staa- tes zu verstehen, die in dem staatlichen Budget und in der staatlichen Haus- haltsrechnung figurieren, also nur jener Teil der gesamten Staatshaushalts- gebarung, dessen Verwaltung den zentralen Geldfonds des Staates unmittelbar berührt. Die Theorien der Finanz Wissenschaft und des einen Teil des Staats- und Verwaltungsrechts bildenden Finanzrechts wenden sich aber gegen diese Unterscheidung und setzen sich dafür ein, daß Staatshaushaltsvoranschläge und -rechnungen den gesamten Staatshaushalt, also den im weiteren Sinne des Wortes umfassen sollten, und zwar im Interesse der finanziellen Klarheit auf einer Bruttogrundlage. Die Verwirklichung dieser Maxime würde bedeuten, daß der engere Sinn des Wortes „Staatshaushalt" aufgegeben und der Inhalt dieses Begriffes künftig seinem derzeitigen weiteren Sinn entsprechen würde. In der Ära der liberalen Wirtschaftspolitik der westlichen Länder zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das fragliche Prinzip in manchen Ländern an- nähernd verwirklicht. Man ging vom früheren Netto- System der Budgets zum Brutto- System über, liquidierte die fondsmäßigen Gebarungen fast voll- kommen, verwaltete die im Besitz der Staaten befindlichen wenigen indu- striellen, landwirtschaftlichen, kommerziellen usw. Unternehmungen als „ Staatsbetriebe", d. h. baute ihre Einnahmen und Ausgaben in den Staatshaus- halt und dessen Voranschläge ein. Zu hundert Prozent in staatlichem Besitz be- findliche Aktiengesellschaften gab es zu dieser Zeit kaum, während die nur einen verhältnismäßig geringen Anteil am Aktienkapital verschiedener Un- ternehmungen ausmachenden, im Staatsbesitz befindlichen Aktienpakete,

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deren Zahl meist recht unbedeutend war, nur in der Aufzählung des Staats- eigentums registriert wurden.

Die wirtschaftliche Entwicklung hat aber dazu geführt, daß sich auch die nicht-sozialistischen Staaten immer stärker in das Wirtschaftsleben ein- mischen, und zwar nicht nur vermittels rechtlicher Regelungen, sondern auch dadurch, daß sie Unternehmungen verstaatlichten, bzw. neue staatliche Un- ternehmungen gründeten, überdies aber mit Zweckvermögen und -einnahmen ausgestattete Organisationen (Fonds) schufen. Auch die nicht-sozialistischen Staaten haben nur einen geringen Teil der Wirtschaftsgebarung dieser Wirt- schaftseinheiten in die sogenannte „budgetmäßige Gebarung" der Staatshaus- halte einbezogen. Auf einer Brutto- Grundlage taten sie dies nur hinsichtlich der Fonds und der Zweckvermögen und -einnahmen, während sie von dem Vorhandensein von im Staatsbesitz befindlichen Unternehmungen in der den verschiedenen Posten der Staatshaushaltsausweise (Voranschläge und Haus- haltsrechnungen) entsprechenden Staatshaushaltsgebarung nur vermittelst der im Verhältnis zu ihrer gesamten Wirtschaftstätigkeit geringfügigen Netto- Einzahlungen und Unterstützungen (Subventionen) Kenntnis nehmen. Dieser Vorgang ist in den nicht-sozialistischen Ländern unvermeidlich, schon weil die Unternehmungen dort im allgemeinen keine sich auf ihre zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben erstreckenden detaillierten finanziellen Voran- schläge anfertigen, wozu sie ja auch schon mit Rücksicht auf die Wirkungen der mit ausreichender Genauigkeit nicht voraussehbaren Konjunktur- schwankungen nicht imstande wären.

Im Sozialismus hat man das System der hinsichtlich ihrer Gebarung einen Bestandteil des staatlichen Budgets bildenden „Staatsbetriebe" abge- schafft, auch gibt es keine sog. Monopolverwaltungen mehr. Die Zahl der im Staatsbesitz befindlichen Unternehmungen hat sich - den Erfordernissen des Sozialismus entsprechend - selbstverständlich ansehnlich erhöht, doch figurie- ren ihre Einnahmen und Ausgaben auch mit ihren Hauptsummen nicht in den Staatshaushaltsausweisen. In diesen werden nur ihre Netto-Ergebnisse auf- geführt, entweder weil sie (unter dem Titel von Steuern, Gewinnen usw.) Zahlungen leisten oder weil sie Subventionen (eine „negative" Umsatzsteuer- zuweisung) erhalten, bzw. weil für ihre Versorgung mit Anlage- oder Umlaufs- mitteln zu Lasten des Staatshaushaltes im engeren Sinne gesorgt wird. Dieses Verfahren ist aus praktischen Überlegungen zweckmäßig, doch läßt es sich vom Gesichtspunkt des Budgetrechts - oberflächlich betrachtet - mit guten Argumenten kritisieren, besonders da doch die sozialistischen Unterneh- mungen - im Gegensatz zu kapitalistischen oder in kapitalistischer Umgebung wirkenden staatlichen Unternehmungen - mit Rücksicht auf die Erfordernisse des Volkswirtschaftsplanes über sich verhältnismäßig genau verwirklichende Einnahmen- und Ausgabenvoranschläge verfügen, was nicht nur ihre Netto-, sondern auch ihre Brutto-Berücksichtigung durch die Staatshaushaltsaus- weise ermöglichen würde1.

1 Es ließen sich auch andere Verfahren denken, obzwar sich diese mit Rück- sicht auf die mit ihnen verbundenen weitgehenden Bindungen wohl nicht als zweck- mäßig erweisen würden. Ádám Schmidt: „A vállalati jövedelemelvonas kérdései" („Die Fragen des Entzugs von Unternehmungseinkommen", ungarisch), Budapest

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Die Staatshaushaltsausweise würden nur in diesem Fall den Volkswirt- schaftsplan und dessen Erfüllung nachweisen, sie würden nur in diesem Fall einen zumindest andeutungsweisen Überblick über den gesamten Staatshaus- halt bieten. Es würde natürlich genügen, wenn die Einnahmen und Ausgaben der staatlichen Unternehmungen in den Staatshaushaltsausweisen nur mit ihren (gemäß den mit ihrer Oberaufsicht betrauten Ministerien gruppierten) Hauptbeträgen figurieren würden. Auch könnte im Gesetz über den Staats- haushalt vermerkt werden, daß die sich auf die Einnahmen und Ausgaben der Unternehmungen beziehenden und mit dem Volkswirtschaftsplan über- einstimmenden Voranschläge lockerere Vorschriften sind als die herkömmlichen Budgetposten. Der Unterschied wäre aber unwesentlich, da doch der größere Teil der Salden der Einnahmen und Ausgaben der Unternehmungen auch bei dem bisherigen System in den Staatshaushaltsausweisen figuriert, diese Sal- den aber Funktionen der Gestaltung der Brutto-Einnahmen und -Ausgaben sind, während die den Salden vorangehenden Teile der alten staatsfinanziellen Terminologie nach als ,, durch Einnahmen gedeckte Ausgaben" zu gelten hätten, hinsichtlich derer also nicht so sehr ihr Betrag als die Tatsache ihrer Gedecktheit durch Zweckeinnahmen von ausschlaggebender Bedeutung ist.

Diesem System stehen jedoch Bedenken entgegen. Es läßt sich in Wirk- lichkeit kaum verwirklichen, soll bei den sozialistischen Unternehmungen eine kommerzielle Betrachtungsweise zur Geltung gebracht werden. Die sich auf den zentralen Geldfonds des Staates (den Staatshaushalt im engeren Sinne) beziehenden Voranschläge - das Budget - und Haushaltsrechnungen weisen den Kassenumsatz, also die eingegangenen Einnahmen und die getä- tigten Ausgaben aus. Die Wirtschaftsführung der Unternehmungen - auch der sozialistischen - erfordert hingegen die Aufstellung einer Erfolgsrechnung und einer mit dieser in Verbindung stehenden Bilanz. Dies besagt aber, daß sie ihren Einnahmen ihre neu entstehenden Außenstände, ihren tatsächlich ge- tätigten Ausgaben die Wertverminderung ihrer Anlagen usw. gleichzusetzen

1961, S. 11-12, führt aus, daß „wenn es in der Wirklichkeit der sozialistischen Wirt- schaft auch nicht hierzu gekommen ist, ließe es sich trotzdem in der Theorie vor- stellen, daß die Produktionseinheiten ihre Tätigkeiten nicht in der Form von selb- ständigen Unternehmungen, sondern als Organe des staatlichen Budgets (des Staats- haushaltes im engeren Sinne) betreiben. In diesem Fall würde eine jede Produktions- einheit genau so wie eine Schule, ein Krankenhaus, ein Amt die Deckung für alle ihre Ausgaben, für ihre Arbeitslöhne, für ihren Materialaufwand usw. aus dem Staats- haushalt zugewiesen erhalten, dagegen über ihre Einnahmen nicht verfügen können, da diese unmittelbar in den Staatshaushalt im engeren Sinn fließen würden. Um die gesamtgesellschaftlichen Bedürfnisse und auch die Bedürfnisse zur Entwicklung der Volkswirtschaft befriedigen zu können, wäre es erforderlich, daß die Einnahmen der Produktionseinheiten ihre Ausgaben überschreiten. Diese Einnahmen würden mit ihren vollen Beträgen auf der Einnahmenseite der Staatshaushaltsausweise erschei- nen und würden über die Ausgaben der Produktionseinheiten hinaus die Deckung der Ausgaben für die nicht produktiven staatlichen Tätigkeiten, der sozialen, kul- turellen, Verwaltungs-, Landesverteidigungs- usw. Aufgaben und die Erfordernisse der Entwicklung der Volkswirtschaft sichern. In der Volkswirtschaft, in der Ge- samtheit der Produktionssphäre, käme offenbar ein gesellschaftliches Reineinkommen zum Entstehen, doch würden die einzelnen Produktionseinheiten ihr Einkommen nicht realisieren, so daß es auch nicht zu einem Entzug ihres Einkommens kommen könnte".

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haben. Die Übergangsposten zwischen zwei Bilanzperioden sind ebenfalls zu verbuchen, während solche Posten in den sich auf den Staatshaushalt im enge- ren Sinn beziehenden Ausweisen nicht figurieren. In der Praxis würde also die Übersichtlichkeit der sich auf die sozialistischen Unternehmungen be- ziehenden Ausweise leiden, wollte man diese in die sich auf das staatliche Budget beziehenden einzwängen. Der zur Einzahlung in den Staatshaushalt im engeren Sinn gelangende Gewinn der sozialistischen Unternehmungen er- gibt sich nicht einfach als ein Unterschied zwischen ihren Einnahmen und Aus- gaben, sondern ist Resultat einer Kalkulation. Diese läßt sich mit dem nur Einnahmen und Ausgaben unterscheidenden Ausweis des Staatshaushaltes im engeren Sinn nicht unmittelbar verschmelzen. Die Betriebswirtschaftslehre kennt zwar das System der sog. „Budgetierung" ; diese Bezeichnung ist je- doch irreführend, da es sich hierbei nicht um ein dem staatlichen Budget ähnliches System handelt, sondern eigentlich nur um einen sich auf die ver- schiedensten Sparten der Unternehmungswirtschaft beziehenden Wirt- schaftsplan.

Wenn es also auch begründet ist, zwischen einem Staatshaushalt im engeren und weiteren Sinne und überdies einem „äußeren" Staatshaushalt zu unterscheiden, so muß man sich doch vor Augen halten, daß es unzweck- mäßig ist, gleichartige und daher miteinander verschmelzbare Aufstellungen für den „inneren" (engeren) und den „äußeren" Staatshaushalt (also die im Staatsbesitz befindlichen Unternehmungen) zu fordern. Das Prinzip der Bruttogebarung des gesamten Staatshaushaltes ist auch dann verwirklicht, wenn beide Aufstellungen, wenn auch auf Grund von verschiedenen Prinzipien, in voller Ausführlichkeit zur Zusammenstellung und Veröffentlichung ge- langen. Ihre Zusammenstellung erfolgt natürlich im Sozialismus, ist sie doch Teil des Volkswirtschaftsplans. Und wenn auch dem Herkommen nach die all- jährlichen Volkswirtschaftspläne den Parlamenten in den sozialistischen Län- dern vorerst noch nicht vorgelegt werden, da diese nur über die Fünf jahres- pläne zu beschließen pflegen, bilden die Zusammenstellungen über die Ge- barung der sozialistischen Unternehmungen, den „äußeren" Staatshaushalt, doch Anlagen zu den Voranschlägen und Rechnungen für den „inneren" Staatshaushalt. Das Prinzip des Brutto-Ausweises des Staatshaushaltes ist also auch hierdurch verwirklicht, und zwar wohl vollkommener als im Kapita- lismus, wo über die im Budget figurierenden „Betriebe" keine den kommer- ziellen Anforderungen Genüge leistenden und zur Beurteilung ihrer Lage geeigneten Daten zur Veröffentlichung gelangen, die dem Staate gehörenden Unternehmungen (Aktiengesellschaften) aber meist in einer der parlamenta- rischen Kontrolle letzten Endes entgehenden Weise verwaltet werden. Diese sind nämlich - bekanntlich - nur formell „zur öffentlichen Rechnungslegung" verpflichtet, ihre Bilanzen verschleiern manches.

Auf all dies soll zur besseren Beurteilung der im Sozialismus zur Ausbil- dung gelangten Systeme des Staatshaushalts, des Budgetvoranschlags und der staatlichen Haushaltsrechnungen hingewiesen werden, ebenso wie auf die Tatsache, daß die Bedeutung der sozialistischen Haushalte bzw. Budgets für die Umverteilung des Volkseinkommens weit größer als die ist, die ihnen in den nicht-sozialistischen Ländern zukommt. Dieser quantitative Unterschied ist

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so erheblich, daß man ihn füglich auch schon als einen qualitativen bezeich- nen kann.

Die nicht-marxistische Auffassung erachtet im Zusammenhang damit, daß sie die Dienstleistungen der verschiedenen Zweige der staatlichen Admini- stration als „produktiv'

' bezeichnet, die Löhne und Gehälter der staatlichen Verwaltungs- und anderen Angestellten als „ursprüngliche" Arbeitseinkom- men. Daher kommt bei ihren Vertretern der Gedanke einer Umverteilung des Volkseinkommens hinsichtlich dieses bedeutenden Postens des Staats- haushaltes gar nicht auf. Für die überwiegende Mehrzahl der nichtmarxi- stischen Volkswirte gehören daher in den Begriff skreis der „Umvertei- lung*

' nur die „abgeleiteten" Einkünfte, die, soweit durch Vermittlung des Staatshaushaltes weitergegeben, als sogenannte „Transferposten" bezeich- net werden. Die Marxisten benutzen zwar diese beiden Bezeichnungen nicht, doch ist ihr begrifflicher Inhalt mit dem der „Umverteilung" ein völlig übereinstimmender, während der Unterschied ihres konkreten Inhalts eine Funktion der Verschiedenheit der Ansichten betreffs des „Wertes" und der „Hervorbringung der Werte" bildet, was z.B. zur Folge hat, daß die Nicht- Marxisten im Gegensatz zu den Marxisten die Löhne und Gehälter der Staats- angestellten als nicht in die Kategorie der „Umverteilung", des „Transfers" fallend ansehen1.

Die Nicht-Marxisten erachten - gemäß der zitierten Auffassung - die der Bevölkerung seitens des Staates zugewendeten verschiedenen Unterstüt- zungen und Naturalzuwendungen, ferner die an Inländer zur Auszahlung ge- langenden Staatsanleihezinsen als Transfer-Charakter besitzende Posten und betonen, die zu ihrer Deckung erforderlichen Steuereinzahlungen belasteten die Bevölkerung nicht, da sie an sie zurückflössen. Dies mag zwar in aggregierter Hinsicht zutreffend sein, ist aber als Folge einer einengenden Betrachtungs- weise des Umverteilungsprozesses trotzdem irreführend. Die die Deckung der Transferposten bildenden Zahlungen belasten nämlich als Funktion des Steuersystems offenbar nicht jene Gesellschaftsklassen und Individuen, die in den Genuß der Transferposten kommen. Wenn diese übereinstimmten, so er- wiese sich ja der gesamte Prozeß der Umverteilung als ergebnis- und daher auch sinnlos. Das Augenmerk, das der Marxismus der vermittelst des Staats- haushalts bewirkten Umverteilung des Volkseinkommens zuwendet und bei der Untersuchung der letztlich sich realisierenden Einkommensverteilung berücksichtigt, gehört unzweifelhaft zu den Verdiensten der im Kreise der Marxisten zur Ausgestaltung gelangten, sich auf den Staatshaushalt be- ziehenden Anschauungsweisen.

1 Es gibt jedoch Nicht-Marxisten (z. B. Simon Kuznets und den Verfasser dieser Abhandlung in seinem zuerst im Jahre 1936 in ungarischer Sprache erschienenen, ge- meinsam mit M. Matolcsy verfaßten Buch ,,The National Income of Hungary 1924/ 25-1936/37", London 1938), die die Ansicht vertreten, der Wert der Dienste der Staatsangestellten stelle größtenteils keine Addition zu dem Werte der ansonsten er- zeugten Güter und Dienstleistungen dar, sondern sei in diesem bereits mitenthalten. Dies besagt, daß sich ihre Berechnungsergebnisse denen der Marxisten in dieser Beziehung annähern, obwohl sie die Dienstleistungen der Staatsangestellten als nützlich und zur Wertbildung beitragend bezeichnen. Die Besoldungen der Staats- angestellten sind eben Kosten der Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen.

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Die vielgestaltigen, miteinander zusammenhängenden Probleme der „ Steuergerechtigkeit*

* und der Steuerüberwälzung bilden keine unmittel- baren Fragen des Staatshaushaltes. Sie wurden von der Wirtschaftslehre des Sozialismus vorerst nicht eingehend behandelt. Trotzdem ist darauf zu ver- weisen, daß sich ihr Charakter und ihre Erscheinungsform im Kapitalismus und im Sozialismus scharf voneinander abheben x. Überdies ist aber auch dar- auf zu verweisen, daß die von Marxisten so häufig wiederholte Behauptung, wonach die Bevölkerung im Sozialismus keinerlei Steuern zu tragen habe, selbst- verständlich nicht stichhaltig ist, wenn man nämlich diesen Satz so deuten wollte, die Höhe der Bedürfnisse, ferner der Ausgaben und Einnahmen des Staatshaushaltes sei hinsichtlich der Einkommensgestaltung der Bevölke- rung gleichgültig. Dies behauptet zwar niemand, doch sollte man durch keinerlei Formulierungen den Eindruck erwecken, die Erhaltung des Staates sei mit keinen die Einkommensgestaltung der Bevölkerung beeinflussenden Kosten verbunden.

Der das Volkseinkommen repräsentierende Neuwert wird von dem sich produktiv betätigenden Teil der Bevölkerung hervorgebracht. Ein Teil dieses Neuwertes wird vom Staatshaushalt in Anspruch genommen. Daß dies ein notwendiger Prozeß ist und daß das von Anton Menger und anderen verfoch- tene „Recht auf den vollen Arbeitsertrag" nie verwirklicht werden kann, hat Marx in seiner Kritik des Gothaer Programms bekanntlich schlagend erwiesen. Einen bedeutenden Teil der Einnahmen des sozialistischen Staatshaushaltes bilden die „Steuereinnahmen". Diese belasten offensichtlich die Bevölkerung als Subjekt der gesamten Volkwirtschaft. Dieser Belastung haftet jedoch ein ganä besonderer Charakter an, und zwar deshalb, weil in der sozialistischen Ordnung die seitens der Unternehmungen in den Staatshaushalt im engeren Sinne eingezahlten Steuern und Gewinnanteile Posten eines von Maurice Block und anderen2 als primär erkannten und zuweilen als „öffentlich- rechtliche Rente" bezeichneten Einkommensverteilungszweiges bilden, so daß hinsichtlich dieser Steuern nicht behauptet werden kann, sie entstünden im Verlauf der „Umverteilung" des Volkseinkommens. Daher wäre es ein Mißverständnis, wollte man z.B. die im Sozialismus seitens der Unterneh- mungen in den Staatshaushalt eingezahlten Steuern entsprechend der in der nicht-marxistischen finanzwissenschaftlichen Literatur geläufigen Unterschei- dung entweder in die Kategorie der „direkten" oder in die der „indirekten" Steuern einreihen. Dies ist wichtig, weil im Zusammenhang damit auch die Frage der „Steuergerechtigkeit" einen neuen Aspekt erhält, bezeichnet doch die marxistische Kritik die Mehrzahl der Verbrauch- und Umsatzsteuern des

1 Vgl. hierzu Âdám Schmidt: „Az adóztatás igazságossága : az alapvetó pro- blémát eltakaró részletkérdés" (Die Gerechtigkeit der Besteuerung : eine das Grund- problem verhüllende Detailfrage", ungarisch) 1962. 2 Vgl Maurice Block: „Les Progrès de la Science économique depuis Aaam Smith", 2. Auflage, Paris 1897, 2. Band, XXXIII. Kapitel, S. 407-485; Charles Gide: „Cours d'Économie Politique", Paris 1909, III. Buch, S. 698-710; besonders Karl von Balas: „A jovedelemeloszlás foágai a kapitalizmus korában" (Die Haupt- zweige der Einkommensverteilung im Zeitalter des Kapitalismus", ungarisch), Bu- dapest 1913, IX. Kapitel, S. 435^76.

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Kapitalismus als ,, ungerecht", welche Feststellung sich aber auf die Umsatz- steuer des Sozialismus nicht anwenden läßt '

Die im Kapitalismus und im Sozialismus voneinander ihrem Charakter nach abweichenden, aber untereinander zusammenhängenden Probleme der „Steuergerechtigkeit" und der „Steuerüberwälzung" kommen selbstver- ständlich nicht in den Staatshaushalten und den sich auf diese beziehenden Voranschlägen und Berichten zur Geltung, sondern verbergen sich in deren Hintergrund, und zwar in der Form, daß sie bei der Zusammenstellung des Budgets, bzw. richtiger bei der Ausgestaltung der zur Deckung der Staats- ausgaben vorgesehenen Einnahmearten berücksichtigt werden. Hierbei wer- den neben den sich auf die Steuern beziehenden Gerechtigkeitspunkten auch andere von den Steuern zu gewärtigende wirtschaftspolitische Beeinflus- sungswirkungen zumindest in der Theorie in Betracht gezogen.

Die sich auf den Sozialismus beziehende Vorstellung ist nun die, daß die Volkswirtschaftsplanung die sich im Gefolge der Umverteilung des Volksein- kommens herausbildende Lage richtig, zweckmäßig und auf gerechte Weise bestimmt und verwirklicht. Die Erscheinungen der Steuerüberwälzung tre- ten auch hierbei auf, doch kommen sie nur in verhältnismäßig engem Rahmen zur Geltung, als ein die Produktpreise und deren relative Größen beein- flussender Faktor. Dabei handelt es sich in Bezug auf die staatlichen Unter- nehmungen gar nicht um eine eigentliche Steuerüberwälzung, da die Steuern bei der Bestimmung der Produktpreise nicht als seitens der Produzenten zu beachtende ,, Selbstkostenelemente", sondern umgekehrt als „residuale Ele- mente" der Preise zur Geltung kommen. ,,Bei der Bildung der Festpreise ist selbstverständlich auch die bei den Betrieben zu realisierende durchschnitt- liche Geldakkumulation (Bruttogewinn) planmäßig festzulegen... Das Pri- mat liegt aber nicht bei der Steuerfestsetzung, sondern bei der Preisbildung . . . Die Umsatzsteuer kann nicht das Primat haben, denn der Preis ist keine schematische Addition verschiedener Elemente. Der Preis ist vielmehr... eine gesellschaftliche Größe, d.h. in ihm verbergen sich gesellschaftliche Ver- hältnisse, die er widerspiegelt, und gesellschaftliche Aufgaben, zu deren Lö- sung er beiträgt"2.

Besonders davon kann also keine Eede sein, daß es als Ergebnis irgend- eines Steuerüberwälzungsvorganges zu einer unerwünschten Gestaltung der

1 Die von den im Besitz des sozialistischen Staates befindlichen Produktions- und anderen Unternehmungen in den Staatshaushalt im engeren Sinne eingezahlten Gewinnanteile unterscheiden sich nur in rechtlicher und betriebswirtschaftlicher Hinsicht von den sie belastenden Steuern, während dieser Unterschied in volkswirt- schaftlicher Hinsicht recht gering ist. Die verwandten Züge kommen dadurch zur Geltung, daß die Gewinne als Derivate der durch den Staat festgesetzten, sich auf die Regelung der Preise, der Arbeitslöhne und der anderen Unkosten beziehenden, fer- ner anderer rechtlicher Vorschriften, die sich z. B. auch auf die zu erzeugenden Men- gen und deren Zusammensetzung erstrecken, entstehen. Dies bedeutet also, daß die Realeinkommen der Werktätigen mittels rechtlicher Vorschriften eingeschränkt werden und daß dies Einnahmen für die Zwecke des Staatshaushaltes im engeren Sinne des Wortes sichert.

2 Johannes Schmidt: Wirtschaftliche Rechnungsführung und Besteuerung. Ein Beitrag zur Frage der Besteuerung der volkseigenen Betriebe. Diskussionsbei- träge zu Wirtschaftsfragen, Heft 6, Berlin 1953, S. 136-137.

14 Finanzarchiv N. F. 22. Heft 2

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Realeinkommensverhältnisse kommen, sich also eine Folge einstellen kann, deren Möglichkeit in bezug auf die im Kapitalismus vorherrschenden Verhält- nisse die Problematik einerseits der Steuergerechtigkeit, andererseits aber der Steuerüberwälzung zum Entstehen gebracht hat. Diese Feststellung ist stichhaltig, obwohl die Preisrelationen, die sich in einer von den Steuern be- einflussten, bzw. in einer die Größenverhältnisse des mittels der Steuern zen- tralisierten volkswirtschaftlichen Reineinkommens berücksichtigenden Weise bilden, auch auf die Erzeugung, ja selbst auf den Materialverbrauch und auf den Grad der Mechanisierung der im Rahmen der selbständigen wirtschaft- lichen Verrechnung (des „Chosrastschot") wirkenden sozialistischen Unter- nehmungen eine Wirkung ausüben.

Unter den Verhältnissen des Kapitalismus ist die Lage eine andere. Hier werden die Wirkungen der neuen Steuern nicht im vorhinein genau erkannt. Sie bringen unterschiedliche Prozesse der Steuerüberwälzung in Gang, die bis zu dem Entstehen einer neuen stabilisierten Ausgliederungsordnung viele unerwünschte Friktionen hervorrufen können. Die sich auf die Verhältnisse des Kapitalismus beziehenden finanzwissenschaftlichen und Steuertheorien behandeln jedoch das Problem der Steuerüberwälzung sozusagen ausschließ- lich vom Standpunkt der wirtschaftlichen Dynamik, beziehen sich also nur auf die Übergangslagen zwischen zwei statischen Zuständen (Davenport). Sie beachten nicht, welche Einflüsse die Steuern auf die Wirtschaftsstatik ha- ben, dann also, wenn der Vorstellung nach sämtliche Elemente und Faktoren des Wirtschaftslebens und daher auch die Steuern und ihre Sätze eine unend- lich lange Zeit hindurch vollkommen unverändert bleiben. In diesem Fall muß nämlich offenbar eine neue Gleichgewichtslage zum Entstehen gelangen. Hierauf hat bekanntlich Canard mit seiner berühmt gewordenen These schon vor 160 Jahren verwiesen: „Alle alten Steuern sind gut, alle neuen schlecht".

Das Problem ist darin zu erblicken, daß man zu ergründen hat, auf welche Art und Weise die Steuern die Ausgliederungsordnung der Volkswirtschaft und das Gleichgewichtssystem im Endergebnis (d. h. also in der Statik) beein- flussen. Offenkundig üben sie eine Wirkung auf die Produktionskosten der kapitalistischen Unternehmungen und daher auf die Preisrelationen der Pro- dukte aus. Dies kann die Proportionen der produktiven und der Verbraucher- nachfrage nach den verschiedenen Erzeugnissen beeinflussen. Die Beeinflus- sung der produktiven Nachfrage kann - genau so wie im Sozialismus - auch auf die Gestaltung der Arbeitsproduktivität, auf die Mechanisierung und die Zusammensetzung der Erzeugung eine Wirkung ausüben.

Demgegenüber erscheint es ungewiß, ob die Steuern in der Statik die Gestaltung der Einkommensverteilungsproportionen über die Tatsache hinaus beeinflussen, daß der Umstand, daß sich die Preise unter dem Einfluß der Steuern auf unterschiedliche Weise verändern und daß die Zusammensetzung des Verbrauchs der verschiedenen Bevölkerungsschichten keine überein- stimmende ist, auch auf die Umwandlung der nominalen Einkommen in Real- einkommen wirkt. Falls man nämlich eine Theorie vertritt, derzufolge die Einkommensproportionen der Bezieher verschiedener Einkommensarten durch den Naturgesetzen ähnlich wirkende Kräfte eindeutig bestimmt wer- den (wobei als eine solche Kraft z. B. die Kostengestaltung der Reproduktion

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der Arbeitskraft im Hinblick auf die Gestaltung der Arbeitslöhne betrachtet werden kann), so muß man annehmen, daß nach dem Aufhören des Waltens der Friktionen, d.h. also in der Statik, die Wirkungen der Steuern sich auf- heben.

Hinsichtlich der seitens der Volkswirtschaftstheorie angenommenen Aus- gleichsprozesse wäre ferner zu klären, ob die unterstellten Proportionierungs- vorgänge sich stets miteinander vereinigen lassen, ob diese z. B. betreffs der Preise, ferner der vor, bzw. nach der Bezahlung der Steuern vom Einkommen sich herausbildenden Einkommensproportionen miteinander in Einklang zu bringen sind oder nicht. In letzterem Fall stellt sich die Frage, bei welchen die- ser Faktoren sich der Ausgleichsprozeß abspielt und bei welchem er nicht zur Geltung kommen kann - ein Problem, dessen Implikationen bisher seitens der Volkswirtschaftstheorie größtenteils unberücksichtigt geblieben sind1.

Die Steuersysteme der sozialistischen und der nicht-sozialistischen Staa- ten lassen sich nur unter Berücksichtigung ihrer gesamten Einkommensver- teilungssysteme beurteilen und miteinander vergleichen. Zugleich ist aber auch den Verwendungsarten der staatlichen Einnahmen Rechnung zu tragen. Es ist nicht richtig, wenn versucht wird, eine vermeintliche Überlegenheit des sozialistischen gesellschaftswirtschaftlichen Systems mit einem nicht stich- haltigen Hinweis auf das Fehlen der Besteuerung der Bevölkerung zu be- gründen. Die Verfechter des sozialistischen Wirtschaftssystems müssen viel- mehr den Nachweis erbringen, daß dieses über eine Einkommensverteilungs- ordnung verfügt, die gerechter ist und zugleich auch dem wirtschaftlichen Wachstum besser dient, als das kapitalistische, wobei die zweckmäßige Ver- wendung der Einnahmen des Staatshaushaltes eine Rolle spielen mag. Auf keinen Fall sollte man aber versuchen, den Nachweis der Überlegenheit des sozialistischen Systems anderen Systemen gegenüber mittels euphemistischer, zugleich aber auch falscher, keine Beweiskraft besitzender Thesen zu erbrin- gen.

1 Vgl. aber Stefan Varga: Der Unternehmergewinn. Ein Beitrag zur Theorie der Vermögensverteilung, Berlin 1957.

14*

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