21
Inhalt Einleitung. S. 2 Historischer Abriss bis zum Ende des zweiten Weltkrieges. S. 3 Auferstehung Polens nach dem zweiten Weltkrieg. S.7 Die Warschauer Deklaration und der Görlitzer Vertrag. S. 9 Der Warschauer Vertrag zwischen Polen und der Bundesrepublik. S. 10 Auf dem Weg zur Versöhnung. S. 11 Am Vorabend der Wiedervereinigung. S. 16 Kohls 10 Punkte Plan als Schritt zur Wiedervereinigung und Versäumnis in der deutschen Polenpolitik. S. 18 Der Grenzvertrag von 1990 als abschließender Akt der Verträge über die polnische Westgrenze. S. 21 Fazit. S. 26 Literaturverzeichnis. S. 28 Abkürzungsverzeichnis. S. 31. 1. Einleitung. Die Grenze zwischen Deutschland und Polen erscheint uns aus heutiger Sicht als eine aus der europäischen Geschichte abgeleitete Selbstverständlichkeit. Mit Unverständnis müssen wir ansehen, wie gerade aus rechten Kreisen die Oder-Neiße Linie angezweifelt oder sogar bekämpft wird. Aber auch Organisationen, wie die Preußische Treuhand, sorgen mit ihrem Bemühen für eine negative Wahrnehmung in Polen. Beispielhaft ist auch die in Polen aufs schärfste kritisierte Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbacher, die mit ihren Forderungen an den polnischen Staat für eine extrem negative und verzerrte Wahrnehmung der deutschen Interessen in Polen sorgt. Jedwede Gebietsansprüche an unsere Nachbarn werden in Polen verständlicherweise mit Bestürzung aufgenommen und verschlechtern sowohl das politische als auch das soziale Klima zwischen den Völkern. In der folgenden Arbeit habe ich die historische Entwicklung des polnischen Staates und der Grenze zu seinen Nachbarstaaten grob umrissen und die aktuelle Grenzsituation zwischen Deutschland und Polen mit ihren Ursprüngen analysiert. Dabei gehe ich ausführlich auf

Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Uploaded from Google Docs

Citation preview

Page 1: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

Inhalt

Einleitung.    S. 2

Historischer Abriss bis zum Ende des zweiten Weltkrieges.    S. 3 Auferstehung Polens nach dem zweiten Weltkrieg.    S.7 Die Warschauer Deklaration und der Görlitzer Vertrag.    S. 9 Der Warschauer Vertrag zwischen Polen und der Bundesrepublik.    S. 10 Auf dem Weg zur Versöhnung.    S. 11Am Vorabend der Wiedervereinigung.    S. 16Kohls 10 Punkte Plan als Schritt zur Wiedervereinigung und Versäumnis in der deutschen Polenpolitik.    S. 18 Der Grenzvertrag von 1990 als abschließender Akt der Verträge über die polnische Westgrenze.    S. 21

Fazit. S. 26

Literaturverzeichnis. S. 28Abkürzungsverzeichnis. S. 31.

1. Einleitung.

Die Grenze zwischen Deutschland und Polen erscheint uns aus heutiger Sicht als eine aus der europäischen Geschichte abgeleitete Selbstverständlichkeit. Mit Unverständnis müssen wir ansehen, wie gerade aus rechten Kreisen die Oder-Neiße Linie angezweifelt oder sogar bekämpft wird. Aber auch Organisationen, wie die Preußische Treuhand, sorgen mit ihrem Bemühen für eine negative Wahrnehmung in Polen. Beispielhaft ist auch die in Polen aufs schärfste kritisierte Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbacher, die mit ihren Forderungen an den polnischen Staat für eine extrem negative und verzerrte Wahrnehmung der deutschen Interessen in Polen sorgt. Jedwede Gebietsansprüche an unsere Nachbarn werden in Polen verständlicherweise mit Bestürzung aufgenommen und verschlechtern sowohl das politische als auch das soziale Klima zwischen den Völkern. 

In der folgenden Arbeit habe ich die historische Entwicklung des polnischen Staates und der Grenze zu seinen Nachbarstaaten grob umrissen und die aktuelle Grenzsituation zwischen Deutschland und Polen mit ihren Ursprüngen analysiert. Dabei gehe ich ausführlich auf die Geschehnisse zur Wiedervereinigung der deutschen Staaten und die Verträge, die den heutigen Grenzverlauf an der Oder Neiße Linie bestimmt haben, ein.  Ich möchte die Frage beantworten, ob und wann die polnische Westgrenze als unveränderbarer Bestandteil der europäischen Friedensordnung festgeschrieben worden ist und welche Folgen das für die Beziehung Deutschlands zu unseren Nachbarn hatte. 

 

Page 2: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

Historischer Abriss bis zum Ende des zweiten Weltkrieges.

Tatsächlich war die Grenze zwischen den polnischen und den deutschen Gebieten historisch schon immer starken Veränderungen unterworfen. Die Grenze zum deutschen Reich zeichnete sich durch eine hohe Dynamik aus und war seit dem Mittelalter heftigst umstritten. Der deutsche Orden nutzte die offensichtliche Schwäche der Piastenmonarchie, um sich in den polnischen Gebieten zu behaupten und erst in der berühmten Schlacht bei Tannenberg am 15. Juli 1410 konnten sich die Polen ihre Autonomie erkämpfen und die Regierungshoheit der polnischen Krone zurückerobern1. Im Rahmen der drei polnischen Teilungen 1772, 1793 und 1795 wurde diese Grenze wieder stark verändert und am Ende blieb vom polnischen Königreich, das zum  Spielball der Großmächte, namentlich Preußen, Österreich und Russland, geworden war, nichts mehr übrig2. Um das fragile europäische Mächtegleichgewicht zu erhalten, wurde Polen geopfert und unter den Mächten aufgeteilt. 

Der Wunsch nach einem souveränen Staat konnte im polnischen Volk aber nicht gebrochen werden und so mussten sich Preußen und Russland solidarisieren, um das polnische Volk, welches sich mit heftigen Aufständen gegen die Hegemonie erhob, unter Kontrolle zu halten. Bis ins 19. Jahrhundert brodelte die Gegenwehr der polnischen Bevölkerung gegen eine Germanisierung von Westen oder die Russifizierung vom Osten aus. Es gelang dem polnischen Volk aber weder durch Gewalt, noch durch politische Interventionen, sich von der Fremdherrschaft zu befreien. Erst der Versailler Vertrag und die tiefgreifenden Veränderungen des europäischen Staatsgefüges im Laufe der ersten Weltkrieges ermöglichten es den Polen, sich als Nationalstaat aus den ehemaligen Teilungsmächten herauszulösen. Von der Entente gefördert, stand der polnische Staat ab 1921 wieder auf eigenen Füßen und hatte sich konsolidiert. Das Ende der Hohenzollern, die sich in ihrem Expansionsstreben immer auch nach Osten orientierten, hatte die neue Entstehung eines polnischen Nationalstaates ermöglicht. Trotzdem umfasste er in seinen Grenzen nicht nur polnische Bevölkerungsteile, sondern war ein Vielvölkerstaat, der sich aus deutschen, polnischen, tschechischen und ungarischen Bevölkerungsschichten zusammensetzte, die jetzt aber aus völkerrechtlicher Sicht als Polen betrachtet wurden3. Die ehemals preußischen Eliten waren aber in der Weimarer Republik verblieben und so feindeten sie die neu entstandene Grenze zu ihren Nachbarn und den nicht mehr monarchischen polnischen Nationalstaat aufs heftigste an. Nach dem ersten Weltkrieg marodierten Freikorps durch polnische Grenzgebiete und versuchten, den jungen Staat mit historisch tief gewachsenen Wurzeln, zu bekämpfen. Gleichzeitig hielten antipolnische Stereotype und Ressentiments Einzug in den deutschen Sprachgebrauch.  Die Deutschen wollten ihre Ostmark nicht aufgeben und erst die angedrohten Repressionen im Zuge des Versailler Vertrags konnten die Grenzregion befrieden. Das schlug sich auch in der Außenpolitik der Weimarer Republik nieder und verschlechterte die Beziehungen Deutschlands zu Polen denkbar. Mit der sich stetig verschlechternden Wirtschaftslage im Zuge der Weltwirtschaftskrise ab 1929, der damit verbundenen Schwächung der europäischen Großmächte und des Rückzugs Amerikas aus der Europäischen Politik war der Versailler Vertrag angreifbar geworden, da es an Instanzen mangelte, die gewillt waren, seine Beschlüsse weiter konsequent durchzusetzen. Zeitgleich mehrten sich die

Page 3: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

Anstrengungen in Deutschland, die diktierten Grenzen aufzuweichen und gerade die polnische Westgrenze wieder nach Osten zu korrigieren. Diese Auffassung bestand auch noch kurz nach der Machtergreifung Hitlers4. Das Besetzen des Munitionslagers Westerplatte in der freien Stadt Danzig durch einen starken polnischen Verband vom 5. bis zum 16. März  sollte einen Viererbund zwischen Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien verhindern und demonstrierte gleichzeitig die militärische Schlagkraft des jungen Nationalstaats. Das Resultat dieser Intervention und weiterer außenpolitischer Erfolge war die vorübergehende Sicherung der polnischen Westgrenze gegen den Revisionismus und der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Polen am 26. Januar 19345. Erstaunlicherweise wurden mit der Machtergreifung Hitlers von polnischer Seite her Hoffnungen verbunden, der preußische Grenzrevisionismus würde endlich ein Ende finden. In Polen begrüßte man die Wahl eines Österreichers zum Reichskanzler des deutschen Reiches und sah die Herkunft als ein positives Indiz und Gegengewicht zu preußischen Junkertum, das sich stark für die fruchtbaren polnischen Gebiete interessierte6. Der Nichtangriffspakt war ein großer außenpolitischer Erfolg Hitlers, der ihm sogar den Anschein eines friedliebenden Nachbarn der Polen verlieh7. Das dies eine fatale Fehleinschätzung der Ziele Hitlers war wissen wir heute nur zu gut. 1939 zeigten sich die waren Absichten der Nationalsozialisten im Bezug auf Polen. Mit dem geheimen Zusatzprotokoll im Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion beschlossen Hitler und Stalin mit einem Federstrich die erneute Aufteilung des Landes zwischen Deutschland und der Sowjetunion  und damit die erneute Vernichtung des polnischen Nationalstaats8. Am 1. September 1939 wurde der zuvor beschlossene Plan in die Tat umgesetzt. Als Reaktion auf den fingierten Angriff auf den grenznahen deutschen Sender Gleiwitz marschierte die Wehrmacht ohne die völkerrechtlich notwendige Kriegserklärung in Polen ein und der zweite Weltkrieg war entfesselt. Am 17. September, nachdem die polnische Regierung ins Exil geflohen war, marschierte auch die Rote Armee in Polen ein und rückte in der folgenden Zeit bis zur Vereinbarten Demarkationslinie vor. Am 22. September trafen die Rote Armee und die Wehrmacht in Lublin das erste Mal aufeinander und das Ende Polens war vorerst besiegelt9.  

Auferstehung Polens nach dem zweiten Weltkrieg.

Bereits 1942 hatten die Polnischen Exilpolitiker ihre Forderungen bezüglich der Westgrenze des zu erwartenden neuen polnischen Staates formuliert. Die Grenze sollte sich an den natürlichen Gegebenheiten orientieren und so wurde eine Grenzziehung an der Oder und westlich der Neiße gefordert. In der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 wurden diese Forderungen aufgegriffen und weiter konkretisiert. Strittig war noch, wie die Grenze südlich der Oder weiter verlaufen sollte. Man konnte sich aber auch hier auf den Lauf der Lausitzer Neiße verständigen, was den polnischen Interessen weitestgehend entsprach. Was mit dem Gebiet um Stettin geschehen sollte musste aber in der Potsdamer Konferenz noch bearbeitet werden. Die britische Position sah einen Übergang Stettins unter polnische Oberhoheit vor und die Ermöglichung eines Seezugangs von der Stadt aus. Das hatte zwangsläufig zur Folge, dass die Grenzlinie zu Ungunsten Deutschlands von der Oder nach Westen aus abknicken musste. Die sowjetische Regierung hatte bereits zuvor der polnischen Regierung eine Entschädigung für die verlorenen Gebiete

Page 4: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

Ostpolens in dem Sinne zugesichert. In der Konferenz von Jalta war der Grenzverlauf über die Insel Usedom und westlich von Swinemünde aber noch nicht anberaumt. Diese Konkretisierung des Grenzverlaufes erfolgte demnach erst in Potsdam. Die weiteren Monate nach Kriegsende waren durch ein Ringen der polnischen Regierung mit der sowjetischen Besatzungsmacht gekennzeichnet, in deren Verlauf sich die an manchen Punkten noch unklare Grenzziehung weiter konkretisierte und verfestigte. In diesem Ringen versuchten die Polen auch die Kontrolle über Frankfurt / Oder und den westlichen Teil von Görlitz zu erlangen, was aber nicht gelang. Ein weiteres Indiz für das polnische Bestreben, den Machtradius zu erweitern, war die Besetzung des heutigen Nationalparks "Unteres Odertal" durch polnisches Militär10.

Die Warschauer Deklaration und der Görlitzer Vertrag.

Die DDR musste sich vom Anfang ihrer Geschichte an den ideologischen und machtpolitischen Interessen des sowjetischen Blocks unterwerfen. Deswegen liegt es auf der Hand, dass die Zustimmung zur Oder-Neiße Linie relativ rasch erfolgte, auch wenn die Bevölkerung in den Gebieten westlich der Grenze zu Polen dies mit Missbilligung aufgenommen haben muss. Während die Bundesregierung noch mit der polnischen Seite um eine Revision der Grenzziehung stritt, intervenierte die DDR-Führung unter Otto Grotewohl und erkannte die polnische Westgrenze an der Oder-Neiße Linie an11. Eingeleitet wurde dieser Schritt durch die Warschauer Deklaration vom 6.6 1950, die die Absicht feststellte, die Grenzfrage innerhalb einer Monatsfrist zu klären sowie die "festgelegte, zwischen beiden Staaten bestehende unantastbare Friedens- und Freundschaftsgrenze"12 zu markieren. In diesem Sinne wurde der Görlitzer Vertrag am 6.7.1950 zwischen Polen und der DDR geschlossen. Der Vertrag zeigt das geringe Selbstbewusstsein der DDR gegenüber der Volksrepublik Polen, da das dort Abgetretene Swinemünde nur mit seinem Polnischen Namen in der Deklaration erwähnt wird. Aber es war für die DDR-Führung unumgänglich, den Polen die Bestätigung der bereits bestehenden praktischen Verwaltungsgrenzen zu zugestehen. Der Vertrag folgte demnach auch genau den Beschlüssen des Potdsamer Abkommens, über das sich die DDR als das "Neue und Bessere Deutschland" nicht hinwegsetzten konnte oder wollte. Die DDR war auf eine völkerrechtliche Anerkennung durch den neuen polnischen Staat dringen angewiesen um sich auch innerhalb des Ostblocks und gegebenenfalls darüber hinaus, außenpolitisches Gehör zu verschaffen.

Der Warschauer Vertrag zwischen Polen und der Bundesrepublik.

Die Warschauer Deklaration von 1950 wurde von der Regierung der BRD heftig kritisiert. In einer Zeit, in der die Teilung Deutschlands noch keinesfalls als eine so gesicherte Tatsache feststand und die Hoffnung auf eine rasche Vereinigung der Besatzungszonen weiterhin existierte, war der Alleingang der DDR-Führung ein Schlag ins Gesicht der westlichen Politiker. Lange hielt sich die Bundesregierung mit einer ähnlichen Vereinbarung gegenüber Polen zurück, was von der DDR-Führung natürlich als Revanchismus gebrandmarkt und ideologisch ausgeschlachtet wurde. Den Deutschen Politikern war aber

Page 5: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

klar, dass ein Abkommen zwischen der BRD und der VRP dem Görlitzer Abkommen in seinem Inhalt weitestgehend entsprechen müsste, da eine etwaige Abweichung von desem Vertrag oder gar eine Revision der Grenzfrage von polnischer Seite nicht akzeptiert werden würde. Im Zuge der Ostverträge der Regierung Brandt in den 70er Jahren musste die Grenzfrage doch notwendigerweise diskutiert werden. Ganz wie erwartet konnte der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen im Sinne der Potsdamer Verträge abgeschlossen werden. Trotzdem wurde der Friedensvertragsvorbehalt zwischen der BRD und Polen bis zur etwaigen neuen Entscheidung durch eine gesamtdeutsche Regierung nicht aufgehoben. Das zog in Konsequenz nach sich, dass die ehemals deutschen Gebiete verfassungsrechtlich noch zu Deutschland gehörten aber trotzdem polnischer Oberhoheit unterstanden13. Begleitet wurde die Vertragsunterzeichnung durch den symbolisch bedeutenden Akt des Kniefalls von Willy Brandt im ehemaligen Ghetto von Warschau. Dieser Akt der Demut hat den Beziehungen der BRD zu Polen im sonstigen strengen und ablehnenden Klima des kalten Krieges auf eine neue Position gehoben.  

Auf dem Weg zur Versöhnung.

Bis zum Ende der achtziger Jahre waren die Beziehungen der BRD zu DDR und das politische Klima zwischen den Eliten der Länder trotzdem denkbar schlecht. Die hohe Militärpräsenz an den Blockgrenzen verhinderte die Annäherung der Regierungen und das Kriegsrecht ermöglichte es der Bundesregierung nicht, über eine Umschuldung polnischer Kredite zu verhandeln oder dem Land wirtschaftliche Hilfe zu leisten. Auch neue Kredite konnten angesichts der politischen Lage nicht gewährt werden. Die Situation zwischen der Regierung Jaruzelski und der Regierung Kohl war festgefahren. Daran konnten auch die Kontakte der westdeutschen Bevölkerung zur Solidarnozc-Bewegung oder auch die Päckcheninitiative der Bundesdeutschen nicht viel ändern. Selbst als sich 1985 die politische Großwetterlage durch den Amtsantritt von Michael Gorbatschow änderte und der Reiseverkehr zwischen Polen und der Bundesrepublik zunahm, wendete sich die Beziehung der Eliten beider Länder nur geringfügig zum Positiven14. Allerdings kann man festhalten, dass es wenigstens den Wunsch gab, die Beziehungen zu verbessern. Jedwede Zugeständnisse an Polen vor diesem Datum mussten als Zugeständnisse an den sozialistischen Block gewertet werden und somit waren sie weder aus wirtschaftlicher noch politischer Sicht tragbar für die Bundesrepublik. 

Erst die Änderung der polnischen Innenpolitik im Bezug auf die Minderheitenfrage brachte etwas Bewegung in die Situation und verbesserte das Verhältnis. Bis 1988 hatte die Volksrepublik Polen nicht einmal die bloße Existenz einer deutschen Minderheit auf ihrem Staatsgebiet anerkannt. Obwohl es auf der Hand gelegen haben muss, dass eine Westverschiebung im Zuge der Potsdamer Vertäge der polnischen Grenze zwangsläufig den Einschluss deutscher Bevölkerungsschichten nach sich zog. Das Land definierte sich als national einheitlich und somit waren die Rechte der Minderheiten nicht geschützt oder gar einklagbar. Erst nach dem Regierungsantritt von Tadeusz Mazowiecki im Jahre 1989 wurde die Existenz

Page 6: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

der Minderheiten auf polnischen Boden anerkannt und damit auch deren Rechtsanspruch.15 

Mazowiecki sah die Rechte der Minderheiten, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, als eine Selbstverständlichkeit an. "Mazowiecki erläuterte auf einer Pressekonferenz für die in Warschau akkreditierten westdeutschen Korrespondenten seine Haltung in der Diskussion um die deutsche Minderheit in Polen. Er wiederholte die Zusicherung, daß alle Minderheiten in Polen "im Einklang mit internationalen Verpflichtungen" ihre Rechte bekämen. "Diese Minderheiten wurden bisher nicht genügend wahrgenommen", sagte er. Im Rahmen der Minderheiten-Politik der neuen Regierung sind nach Mazowiecki Sonderrechte für die Angehörigen der deutschen Volksgruppe nicht erforderlich. Mazowiecki unterstrich, daß dabei genau überprüft werden müsse, wer sich zum Deutschtum bekenne. "Es gab aus Ihrem Land Stimmen mit der Tendenz, dieses Problem überzubewerten", sagte er. "Der Unterschied im Lebensstandard zwischen beiden Ländern ist so groß, daß sich viele plötzlich zum Deutschtum bekennen." Man dürfe das Problem der deutschen Minderheit "nicht übertreiben und nicht mißbrauchen"." Der polnische Ministerpräsident thematisierte damit die Minderheitenfrage im deutschen Interesse und sicherte sich gleichzeitig gegen das übermäßige politische Ausschlachten dieser Thematik ab. Diese neue Position in der Debatte ermöglichte der Bundesregierung den Polen im Bezug auf Kredite und Wirtschaftshilfen entgegenzukommen. 

Erstmals war die Politik der beiden Regierungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Durch gegenseitige Zugeständnisse konnten beide Länder profitieren und die Zustimmung der Polen zur deutschen Wiedervereinigung wuchs. 

Naturgemäß mussten die Polen die Vereinigung der beiden deutschen Staaten argwöhnisch beobachten. Es wurde natürlich befürchtet, dass eine Bedrohung von der neuen Bundesrepublik ausgehen könnte. Der vom damaligen Bundeskanzler Kohl angesprochene Friedensvertragsvorbehalt und sein Wunsch, einen erneuten Friedensvertrag ratifizieren zu wollen, war natürlich nicht dazu geeignet weitere Vorbehalte auszuräumen. Der polnische Außenminister Skubiszewski war der Überzeugung, ein erneuter Friedensvertrag wäre nicht nötig, da in den bereits beschlossenen Verträgen alle wichtigen Punkte, wie eben die Grenzziehung an der Oder-Neiße Linie, abgehandelt wurden.16 Die Aussicht auf eine erneute Verhandlung dieser eigentlich bereits unstrittigen Punkte musste bei der polnischen Seite einiges an Verunsicherung hervorrufen. 

Unter diesen Rahmenbedingungen scheint es nicht verwunderlich, dass sich die Maxime der polnischen Eliten durch die Schlagworte "Sicherheit und Stabilität" definierte. Die Rezeption der polnischen Regierung durch ihre Bevölkerung hing auch stark von diesen zwei Punkten ab. Skubiszewski, Mazowiecki und Jaruszelski mussten die Befürchtung hegen, entweder in eine verstärkte Abhängigkeit zu Russland zu geraten oder einem erstarkten Deutschland gegenüber zu stehen. Das Bestreben, die Westintegration Polens voranzutreiben, war angesichts der wirtschaftlichen Interessen des Landes von essentieller Bedeutung. Jaruszelski formulierte die Position seiner Regierung, auf die Frage, ob Polen besser die Nähe zu Deutschland oder

Page 7: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

Russland suchen solle, wie folgt: "Ich mache mir keine der beiden Konzeptionen zu eigen und lehne auch die "Äquidistanz" zu unseren beiden, im Hinblick auf ihr Potential, großen Nachbarn ab. "Gleicher Abstand" zu Berlin und Moskau - das war vor dem Krieg. Ich möchte dies umkehren, denn ich bin ein Anhänger einer sehr engen, wenngleich einer unterschiedlich gestalteten Zusammenarbeit mit Deutschland und mit Moskau. Aber hier wird die Sache schon komplizierter, weil es sich nicht nur um Moskau handelt, sondern auch um unsere östlichen Nachbarn, die Ukraine, Litauen und Weißrußland. Ich mache keinen Unterschied zwischen dem einen und dem andern. Unzweifelhaft dominiert in unserer Politik die europäische Richtung. Sie muß dominieren - unabhängig davon, wer in Polen regiert." Trotzdem blieb die Angst vor dem deutschen Revanchismus in der polnischen Bevölkerung immer präsent.  Die Anerkennung der Westgrenze durch die vereinigte Bundesrepublik war also das bestimmende außenpolitische Ziel der polnischen Regierung. Mit einem günstigen Ausgang ihrer Bemühungen konnte sich die polnische Regierung im Kanon der europäischen Mächte profilieren und gleichzeitig die innere Stabilität und ihre Legitimation festigen.

Am Vorabend der Wiedervereinigung.

Im Vorfeld einer gemeinsamen Erklärung von Polen und der Bundesrepublik kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den politischen Führungen. Die Süddeutsche Zeitung titelte am 7. November 1989: "Polen will "eindeutige" Auslegung des Warschauer Vertrags"17 und wies damit darauf hin, dass es in dieser Auslegung verschiedene Ansichten zwischen den Regierungen geben könnte. Eine gemeinsame Erklärung sollte zu diesem Thema verfasst werden, aber die polnische Seite bestand auf endgültigen Formulierungen, die der Bundeskanzler in diesem Sinne nicht bereit war abzugeben. Polen wollte die Wendung der "Unantastbarkeit der jetzigen Grenzen"18 in einer gemeinsamen Erklärung verwirklicht sehen und somit den Warschauer Vertrag von 1970 als verbindliches Werk über die Grenzziehung zwischen den beiden Staaten interpretiert wissen. Die deutsche Regierung, vertreten durch den Regierungssprecher Vogel, entgegnete, man bräuchte den Warschauer Vertrag nicht erneut zu interpretieren und man wolle keine Formulierungen, die die Bedeutung des Warschauer Vertrags schmälern, aber auch keine Erweiterung des Werks durch zusätzlich abgegebene Formulierungen eingehen. Ähnlich hatte es wohl auch Skubiszewski gesehen, der noch wenige Tage zuvor die Erklärung durcharbeitete und keine Änderungswünsche vorzutragen hatte. Der polnische Ministerpräsident legte aber einen großen Wert auf eine zusätzliche und weiterreichende Formulierung, wie sie die Erklärung enthielt. Die "Vertragsformel: "(Die Bundesrepublik und Polen) erklären, daß(sic!) sie gegeneinander keinerlei Gebietsansprüche haben und solche auch in Zukunft nicht erheben werden,"19 sollte nach Meinung der Bundesregierung ausreichen. 

Noch bevor Bundeskanzler Kohl zu einem Treffen mit den polnischen Eliten kommen konnte, war bereits Egon Krenz in seiner Funktion als Generalsekretär des Zentralkomitees der SED zu Sondierungsgesprächen nach Polen gereist. Präsident Jaruzelski hatte Krenz über den anberaumten Besuch Kohls am 9. November 1989 informiert und so bemühte sich Krenz

Page 8: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

noch vor diesem Termin, die polnischen Positionen mit denen der DDR abzugleichen. Krenz sah die Beziehungen der DDR zu Polen als wichtigen Garant für das Weiterbestehen der DDR, des sozialistischen Blocks und damit auch seiner politischen Karriere. Außerdem war es den beiden Politikern wichtig, eine gemeinsame Position gegen die westlichen Eliten und auch gegen die polnische Opposition, vertreten durch Mazowiecki, zu bilden. Der demokratische Umgang mit dem politischen Gegner war sowohl für Krenz als auch für Jaruzelski unbekanntes Neuland. Obwohl Krenz als gebürtiger Kolberger selbst das Leid der Vertreibung aus der Heimat ertragen musste, war seine Position zur Oder-Neiße-Linie klar umrissen. Er lehnte jedwede Ansprüche der Bundesrepublik an Polen strikt ab und wollte in seinen Verhandlungen und Gesprächen mit den Polen abstecken, welche Garantien es für das Bestehen der Grenze geben könnte. Jaruzelski und Krenz standen der Wiedervereinigung ablehnend gegenüber und teilten somit die Bedenken bedeutender politischer Kräfte in Europa20. 

Die Grenzfrage zugunsten der bestehenden Oder-Neiße Linie zu klären und die Sorgen der Polen mit seiner Person auszuräumen, lag also im Fokus der Bemühungen von Krenz, um die DDR als souveränen Staat zu erhalten und dem Sozialismus ein Weiterbestehen zu ermöglichen. Nach seinem Besuch in Warschau reiste Krenz weiter nach Moskau, wo er eine ähnliche Position vertrat, die Möglichkeit einer Wiedervereinigung ausschloss und die Sicherheit Europas der Einheit Deutschlands gegenüberstellte.21 

Kohls 10 Punkte Plan als Schritt zur Wiedervereinigung und Versäumnis in der deutschen Polenpolitik.

 

Trotzdem sparte Bundeskanzler Kohl die Grenzfrage in seinem 10 Punkte Plan weitgehend aus. Das wurde von der polnischen Seite so wahrgenommen und obwohl die Grenze sowohl politisch als auch militärisch unveränderbar war, was auch durch die vier Siegermächte garantiert wurde, mussten noch praktische und juristische Fragen geklärt werden. Denn nur ein endgültiger Abschluss dieses Verfahrens konnte die Beziehung zwischen Deutschland und Polen auf eine dauerhafte Basis stellen. Außerdem zog das Fehlen eines Friedensvertrages ebenso "praktische Konsequenzen im Bereich der Versicherungen, der Renten und Pensionen und auf humanitärem Gebiet"22 nach sich. Diese Punkte wollte Skubiszewski noch abschließend geklärt wissen. Der zurückhaltende Plan war ein Versuch, dem völkerrechtlichen Novum der Wiedervereinigung eine strategische Grundlage zu verschaffen und die Marschrichtung des Einigungsprozesses festzulegen. Dabei versuchte Kohl den schweren Spagat zwischen den innenpolitischen Anforderungen, die zu diesem Zeitpunkt nur wage abzuschätzen waren, und den Erwartungen der internationalen Bühne zu schaffen. Der 10 Punkte Plan sollte eine Orientierung im Einigungsprozess sein, der nach dem sicheren Beginn der friedlichen Revolution in der DDR im November 1989 der nächste zwingende Schritt sein musste. Die Bundesregierung war im Vorfeld schon in  die Kritik geraten, da es eben an einem schlüssigen Wegplan fehlte und eine Erstellung eines Planes pressierte. Ein genaues Konzept sollte auch den Zweiflern der Einheit, die es in der DDR Elite, in Russland aber auch in der Bundesrepublik

Page 9: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

zur genüge gab, den Wind aus den Segeln nehmen und somit einen Kontrast zu Modrows vorgeschlagener "Vertragsgemeinschaft" darstellen. Außerdem wollte Kohl eventuellen Vorgehensweisen der internationalen Partner vorgreifen, um die Einigung als deutschen Erfolg feiern zu können. Ein Zögern in diesen Entscheidungsfragen hätte die Vereinigung der beiden Länder gefährdet. Innenpolitisch sah Kohl die Möglichkeit, sich gegenüber dem deutschlandpolitisch engagierten Außenminister Genscher zu profilieren und trotzdem die Einheit der Koalition nicht zu gefährden. Sowohl FDP als auch die CDU/CSU standen der Deutschen Wiedervereinigung positiv gegenüber, es mangelte nur noch am Konzept. Sein Engagement in der "Deutschen Frage" sollte seine Position in der Bundesregierung festigen und seine Durchsetzungskraft gegenüber dem Koalitionspartner stärken. Also rief der Bundeskanzler zahlreiche Berater zusammen, um im November 1989 das erforderliche Memorandum zu diskutieren und auszuarbeiten. In relativ kurzer Zeit hatten die Experten des Bundeskanzlers dieses Paper erarbeitet und dem Kanzler zukommen lassen. Dabei hielten sich die Mitarbeiter an bereits bestehende Vorstellungen und Ideen aus EU- oder Nato-Kommunikees und entwickelten keine bahnbrechend neuen Ideen zum Einigungskonzept oder der europäischen Friedensordnung. Nach einer der Arbeitsweise des Bundeskanzlers entsprechenden Nachbearbeitung durch ihn und engste Vertraute wurde die endgültige Fassung übers Wochenende erstellt. Der Sinn seines nicht gänzlich offen gelegten Vorgehens war es, den Überraschungseffekt für die politischen Gegner und auch für die Vertretungen der vier Mächte zu erhalten.   Im Ergebnis wurde ein fertiges Redemanuskript, das später als das 10 Punkte Programm bekannt werden sollte, geschaffen.23

Der Grenzvertrag von 1990 als abschließender Akt der Verträge über die polnische Westgrenze.

Der Grenzvertrag vom 14 November 1990 war ein bedeutender Schritt auf dem Weg der deutsch-polnischen Versöhnung und auch eine wichtige Prämisse zum erreichen der deutschen Einheit. Er enthielt entscheidende Neuerungen für die politische Kultur beider Länder und war in der Lage, diese zum postitiven zu beeinflussen. Weiterhin sollte er die europäische Friedensordnung festigen und einen Beitrag zur Erhaltung des Friedens in Europa leisten. In einem festlichen Akt sollte die Ratifikation des Textes begangen werden, was aber nicht im Interesse des deutschen Außenministers Genschers stand, da dieser Vertrag für viele ehemals vertriebene Deutsche den sicheren Verlust ihrer früheren Besitztümer und der Heimat ihrer Vorfahren bedeutete. Genscher konnte diesen Umstand sehr gut nachvollziehen als er sich am Morgen des 14. Novembers von seiner Frau verabschiedete um einen Vertrag zu ratifizieren, "der endgültig anerkannte, daß ihre Heimat Schlesien fortan nicht mehr zu Deutschland gehörte."24 Trotzdem war die Haltung Genschers zur Grenzfrage klar. Ein erneutes Ringen um die Oder-Neiße Linie hätte den Frieden in Europa geschadet und den Einigungsprozess der beiden deutschen Staaten aufs heftigste behindert. Aber der Verlust der ehemals deutschen Gebiete schmerzte auch dem Außenminister. Aus diesem Grund bat er die polnische Seite von einer gesellschaftlichen Umrahmung der Unterzeichnung abzusehen. Selbst der anschließende Champagnerumtrunk wurde vom

Page 10: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

Außenminister als unpassend abgelehnt. Dass die Unterzeichnung des Vertrages eher ein unangenehmer Gang für den Minister  war und er dem deutschen Volk damit einen ebenso unangenehmen Dienst erwies, brachte der Minister wie folgt auf den Punkt: "Bei der Unterzeichnung des Vertrages verbanden sich, so erläuterte ich, die Last unserer Geschichte mit der moralischen Einsicht und der daraus geborenen Friedensverantwortung unseres Volkes."25 Auch das Hinzuziehen der vier Siegermächte wurde von Genscher abgelehnt, da er  die Vertragsunterzeichnung als polnisch-deutsche Angelegenheit verstand. Der polnische Außenminister, den Gescher sehr schätzte, war auch bereit, auf die Einwände des deutschen Außenministers einzugehen und so verlief die Unterzeichnungszeremonie in einem angemessenen und von Genscher angestrebten Rahmen.

Schon die Präambel stellt sich in den Dienst dieser Friedensordnung und erwähnt sie explizit. Auch die Zusammenarbeit in den verschiedenen Bereichen wird angesprochen, um der Forderung nach einem europäischen Zusammenleben Rechnung zu tragen. Der Grenzvertrag stellt heraus, dass beide Länder danach streben, ihre Beziehungen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und damit der UN-Charta sowie der Schlussakte von Helsinki zu gestalten. Damit ist erneut festgesetzt, dass es keine politische oder militärische Intervention gegen die Grenzziehung geben wird, denn beide Akten sehen eine Grenzänderung als völkerrechtswidrig an.

Die Vereinigung der zwei deutschen Staaten wird in dem Kontext nicht als friedensgefährdend sondern als wichtiger Beitrag zur europäischen Friedensordnung gesehen. Weiter geht der Vertag erstmals auf die Vertriebenenproblematik beider Völker ein und  stellt das erlittene Leid der Menschen in beiden Staaten nach 45 Jahren deutlich heraus. Die Präambel schließt mit dem Wunsch, die Beziehungen beider Länder auf eine freundschaftliche Basis zu stellen, und "die Politik einer dauerhaften Verständigung und Versöhnung fortzusetzen."26

Der folgende Artikel 1 des Vertrages bestätigte nocheinmal die bestehende Staatsgrenze zwischen den beiden Ländern in Anlehnung an den Vertrag vom 22. Mai 1989 zwischen der DDR und Polen, in welchem die Seegebiete und die Abgrenzung der Oderbucht festgeschrieben wurden und auch in Anlehnung an den Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970, in dem die BRD die Westgrenze Polens bereits anerkannt hatte und der uns durch den bewegenden symbolischen Akt des Kniefalls vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt in bleibender Erinnerung geblieben ist. Artikel 2 des Werkes stellt noch einmal explizit heraus, dass die Grenze unverletzlich ist, was in völkerrechtlicher Übereinstimmung mit den bereits angesprochenen Vertragswerken steht. Gleichzeitig verpflichten sich die Länder zur Achtung der territorialen Integrität und ihrer Souveränität. 

Im Artikel 4 werden die technischen Details bezüglich der Ratifikation und des Inkrafttretens konkretisiert. Der Vertrag trat demzufolge am 14. November 1990 mit der Unterzeichnung durch Hans-Dietrich Genscher für die Bundesrepublik und Krzystof Skubiszewski für Polen in Kraft. 

Der polnische Außenminister Krzystof Skubiszewski würdigte den Grenzvertrag in seiner Rede am 14. November und wies darauf hin, dass

Page 11: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

"diese Grenze seit langem einen Bestandteil für die Friedensregelung in Europa" 27ist. Weiterhin stellte er fest, dass die Grenzregelung nicht in einem Friedensvertrag oder einem einzigen Papier festgehalten ist, sondern sich aus der Akkumulation verschiedener Verträge und Akten ergibt. Dieser Hinweis deckt sich mit der Aussage, dass ein erneuter Friedensvertrag mit der BRD nach Ansicht des polnischen Außenministers unnötig sei. Tatsächlich stützt sich die Grenzregelung ja auf eine große Anzahl von beschlossenen Verträgen und er wird gleichzeitig noch durch die bedeutenden Vertragswerke der UN gestützt. Mit Blick auf die Zukunft prognostizierte Skubiszewski einen Ausbau der Kooperationen in verschiedenen Feldern wie zum Beispiel im Verkehrs- und Fernmeldewesen, der Wirtschaft aber auch in sozialen oder kulturellen Bereichen und des Jugendaustausches. Als Ziel stellte er die deutsch-polnische Aussöhnung und die Nivellierung der Unterschiede in den Lebensstandards der Bevölkerungen beider Länder heraus. Mit dem Weg zur Erreichung dieses Zieles wurde nach seiner Auffassung ein bedeutender Schritt zur Einheit Europas und der Friedenssicherung auf dem Kontinent geschaffen.28 

Die Rede Genschers wies nocheinmal darauf hin, dass die Entscheidung, die Gebiete an Polen abzutreten, nicht diktiert wurde, sondern sich aus der Verantwortung für die Verbrechen des zweiten Weltkriegs ableitet und freiwillig von den Deutschen getroffen wurde. Er sprach noch einmal das Leid der Vertriebenen an, für die dieser Tag besonders schmerzlich gewesen sein muss und richtete sich auch an die deutsche Minderheit in Polen, die einen wichtigen Beitrag zum guten deutsch-polnischen Verhältnis lieferte und auch heute noch dazu beiträgt. Obwohl die Entscheidung, die ehemals deutschen Gebiete an Polen abzutreten, eine sehr schmerzliche war und der Außenminister dies auch thematisierte, ist die Bedeutung dieses Schrittes für die Friedensordnung in Europa und aus moralischer Sicht nicht weniger wichtig. Wenn man die Frage beantworten möchte, warum dieser moralische Schritt nicht schon viel früher getätigt wurde, so muss man beachten, dass die Grenzverhandlungen immer ein wichtiges Faustpfand in den Händen der bundesdeutschen Regierung war und dieses konnte während der 2 plus 4 Verhandlungen ausgespielt werden. Neben dem wirtschaftlichen Zugeständnis an die DDR war die Anerkennung der polnischen Westgebiete der Preis für die Wiedervereinigung der beidern deutschen Staaten.29

Hinzu kommen noch die innenpolitischen Konsequenzen, die diese Entscheidung für die deutsche Regierung nach sich zog. Ungeachtet der politischen Reputation wagte die Regierung Kohl diesen bedeutenden Schritt zur Verständigung der Völker und das obwohl der Wahlkampf für die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen in vollem Gange war. Sowohl CDU als auch FDP riskierten die Stimmen der ehemals in den polnischen Gebieten beheimateten Wähler zu verlieren. Bereits zwei Wochen nach der Vertragsunterzeichnung, nämlich am 2. Dezember 1990, fanden diese bedeutenden Bundestagswahlen statt, in der sich die Bevölkerung der neuen Bundesländer zum ersten mal an der demokratischen Willensbildung beteiligen konnte.30 Trotz möglicher Stimmverluste durch die Aufgabe der östlichen Gebiete an Polen waren sich die Spitzenpolitiker der CDU/CSU und FDP allerdings ihrer Verdienste bei der Wiedervereinigung bewusst und da selbst die Opposition die Vertragsunterzeichnung befürwortete, wird das Risiko überschaubar gewesen sein. Angesichts der tiefgreifenden

Page 12: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

Veränderungen in der Struktur der Bundesrepublik und den mit der Wiedervereinigung getroffenen politischen Entscheidungen von höchster Tragweite wäre ein Vergleich der Wahlergebnisse an dieser Stelle von unzureichendem Erkenntnisgewinn.  

Fazit.

 

Die bestehende Grenze zwischen Deutschland und Polen an der Oder-Neiße Linie ist eine historisch gewachsene Selbstverständlichkeit, die sich aus der moralischen Verpflichtung Deutschlands, den Frieden in Europa und die Verständigung zwischen den Völkern zu fördern und zu sichern, ergibt. Dabei orientiert sich der Verlauf der Staatengrenze an den natürlichen Gegebenheiten und Folgt weitestgehend dem Lauf der Flüsse Oder und Neiße. Obwohl es seit den Potsdamer Verträgen juristische Vorbehalte gegenüber der Grenzline gibt, ist sie durch mehrere Vertragswerke, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen sowie zwischen der ehemaligen DDR und der Volksrepublik Polen geschlossen wurden, gesichert. Bestätigt wurden diese Verträge abschließend durch den Grenzvertrag von 1990. Dass der Verzicht auf die ehemaligen Ostgebiete Deutschlands der Preis für die Wiedervereinigung war, ist nur zum Teil richtig. Tatsache ist, dass der Verzicht auf die Gebiete östlich der Oder ein freiwilliges Zugeständnis der Bundesregierung war. Bemerkenswert ist, dass diese schwerwiegende Diese Entscheidung wurde von der Mehrheit der politischen Vertreter getroffen und abschließend ratifiziert. Damit ist klar, dass die Grenze zu unseren Nachbarn weder politisch noch durch juristische oder gar militärische Interventionen abänderbar ist. Gestützt durch die UN-Charta und die tiefe Überzeugung, dass die Oder Neiße Linie die Friedensordnung in Europa sichert, entbehren Ansprüche oder Versuche, daran etwas abzuändern, jedweder Grundlage. In der Folge dieser Bestimmungen wurde die Westintegration Polens vorangetrieben und auch die Kooperation der Länder in den verschiedensten Bereichen war erst nach dem Abschließen der Verhandlungen in dem Maße möglich, wie wir es heute begrüßen.     

    

Literaturverzeichnis

Bay, Wolfgang (2007): Der Deutsch-polnische Nichtangriffspakt vom 26. Januar 1934. Freiburg.

Blumenwitz, Dieter (1999): Oder-Neiße-Linie. In: Weidenfeld, Werner (Hg.): Handbuch zur deutschen Einheit. 1949 - 1989 - 1999. Aktualisierte Neuausg. Frankfurt/Main, S. 586–595.

Born, Karl Erich; Neugebauer, Wolfgang (Hg.) (2001): Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens. Berlin (Handbuch der preussischen Geschichte / Historische Kommission zu Berlin. Hrsg. von Wolfgang Neugebauer, Bd. 3).

Page 13: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

Droysen, Johann Gustav (1868): Geschichte der preußischen Politik. 2. Aufl. Leipzig.

Genscher, Hans D. (1995): Erinnerungen. ohne Ort.

Hofer, Walther (2007): Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges. [Darstellung und Dokumente]. Wien (Geschichte in Quellen, 1).

Kempen, Bernhard (1997): Die deutsch-polnische Grenze nach der Friedensregelung des Zwei-plus-Vier-Vertrages. Frankfurt am Main (Kölner Schriften zu Recht und Staat, 1).

Khan, Daniel-Erasmus (2004): Die deutschen Staatsgrenzen. Rechtshistorische Grundlagen und offene Rechtsfragen. Tübingen (Jus Publicum, 114).

Krenz, Egon (1999): Herbst '89. 2. Aufl. Berlin.

Küsters, Hanns Jürgen; Hofmann, Daniel (1998): Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90. München.

Ludwig, Michael (1990): Polen und die deutsche Frage. Mit einer Dokumentation. Bonn (Arbeitspapiere zur internationalen Politik, 60).

Polen will "eindeutige" Auslegung des Warschauer Vertrags (07. November). In: Süddeutsche Zeitung, Jg. 1989, 07. November.

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA): Ostinformationen. Pressemitteilung vom 03.11.1989.

Recker, Marie-Luise (1990): Die Aussenpolitik des Dritten Reiches. München (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 8).

Rehbein, Klaus (2006): Die westdeutsche Oder-Neiße-Debatte. Hintergründe, Prozess und Ende des Bonner Tabus. Berlin, Münster (Politik und Geschichte, Bd. 6).

Schreiber, Gerhard (2005): Kurze Geschichte des Zweiten Weltkriegs. München.

Schulze Wessel, Martin (2001): Epochen der russisch-preußischen Beziehungen. In: Born, Karl Erich; Neugebauer, Wolfgang (Hg.): Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens. Berlin (Handbuch der preussischen Geschichte / Historische Kommission zu Berlin. Hrsg. von Wolfgang Neugebauer, Bd. 3), S. 713–787.

Weidenfeld, Werner (Hg.) (1999): Handbuch zur deutschen Einheit. 1949 - 1989 - 1999. Aktualisierte Neuausg. Frankfurt/Main.

Zernack, Klaus (2001): Große Themen der preußischen Geschichte. Polen in der Geschichte 

Page 14: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

Preußens. In: Born, Karl Erich; Neugebauer, Wolfgang (Hg.): Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens. Berlin (Handbuch der preussischen Geschichte / Historische Kommission zu Berlin. Hrsg. von Wolfgang Neugebauer, Bd. 3), S. 377–448.

Abkürzungsverzeichnis

BRD Bundesrepublik Deutschland

CDU Christlich Demokratische Union

CSU Christlich-Soziale Union

DDR Deutsche Demokratische Republik

EU Europäische Union

FDP Freie Demokratische Partei

NATO North Atlantic Treaty Organization

SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

UN United Nations

VRP Volksrepublik Polen

Page 15: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

notes

1 Droysen, Johann Gustav (1868): Geschichte der preußischen Politik. 2. Aufl. Leipzig. S.82.

2 Schulze Wessel, Martin (2001): Epochen der russisch-preußischen Beziehungen. In: Born, Karl Erich; Neugebauer, Wolfgang (Hg.): Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens. Berlin (Handbuch der preussischen Geschichte / Historische Kommission zu Berlin. Hrsg. von Wolfgang Neugebauer, Bd. 3), S. 713–787. S. 723.

3 Zernack, Klaus (2001): Große Themen der preußischen Geschichte. Polen in der Geschichte Preußens. In: Born, Karl Erich; Neugebauer, Wolfgang (Hg.): Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens. Berlin (Handbuch der preussischen Geschichte / Historische Kommission zu Berlin. Hrsg. von Wolfgang Neugebauer, Bd. 3), S. 377–448. S. 440-442.

4 Vgl. Bay, Wolfgang (2007): Der Deutsch-polnische Nichtangriffspakt vom 26. Januar 1934. Freiburg.

5 Vgl. Ebenda S. 5-7.

6 Vgl. Zernack (2001) S. 444-446.

7 Vgl. Recker, Marie-Luise (1990): Die Aussenpolitik des Dritten Reiches. München (Enzyklopädie deutscher Geschichte, 8). S. 8

8 Vgl. Hofer, Walther (2007): Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges. [Darstellung und Dokumente]. Wien (Geschichte in Quellen, 1). S.120-125.

9 Vgl. Schreiber, Gerhard (2005): Kurze Geschichte des Zweiten Weltkriegs. München. S. 28-34.

10 Vgl. Khan, Daniel-Erasmus (2004): Die deutschen Staatsgrenzen. Rechtshistorische Grundlagen und offene Rechtsfragen. Tübingen (Jus Publicum, 114). S. 315-332.

11 Vgl. Rehbein, Klaus (2006): Die westdeutsche Oder-Neiße-Debatte. Hintergründe, Prozess und Ende des Bonner Tabus. Berlin, Münster (Politik und Geschichte, Bd. 6). S. 41-42.

12 Kahn (2004) S. 331.

13 Vgl. Blumenwitz, Dieter (1999): Oder-Neiße-Linie. In: Weidenfeld, Werner (Hg.): Handbuch zur deutschen Einheit. 1949 - 1989 - 1999. Aktualisierte Neuausg. Frankfurt/Main: Campus Verl., S. 586–595.

14 Vgl. Morhard, Bettina (2001): Das deutsch-polnische Grenzgebiet als

Page 16: Die endgültige Grenzziehung an Oder und Neiße

Sonderfall europäischer Regionalpolitik. Die institutionelle Ausgestaltung zur Förderung grenzüberschreitender Kooperation im Kontext der EU-Erweiterungsstrategien im Zeitraum von 1989 bis 1998. Berlin: (Schriftenreihe der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)). S.81-83.

15 Vgl. Tutaj, Anna; Tutaj, Jerzy (2008): Die Deutsche Minderheit in Polen. In: Schmeitzner, Mike (Hg.): Partner oder Kontrahenten? Deutsch-polnische Nachbarschaft im Jahrhundert der Diktaturen. Berlin: LIT (Mittel- und Ostmitteleuropastudien, 8), S. 223–230. S. 223.

16 Vgl. Morhard (2001) S. 83.

17 Polen will "eindeutige" Auslegung des Warschauer Vertrags. In: Süddeutsche Zeitung, Jg. 1989, 07. November.

18 Ebenda.

19 Ebenda.

20 Krenz, Egon (1999): Herbst '89. 2. Aufl. Berlin. S.203-208.

21 Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA): Ostinformationen. Pressemitteilung vom 03.11.1989.

22 Ludwig, Michael (1990): Polen und die deutsche Frage. Mit einer Dokumentation. Bonn: Europa-Union-Verl. (Arbeitspapiere zur internationalen Politik, 60). S. 277

23 Vgl. Weidenfeld, Werner (1998): Außenpolitik für die deutsche Einheit. Die Entscheidungsjahre 1989/90. 1.Aufl. Stuttgart: (Geschichte der deutschen Einheit, Bd. 4 (004)). S. 97-103.

24 Genscher, Hans D. (1995): Erinnerungen. ohne Ort. S. 891.

25 Ebenda.

26 Ludwig (1990) S. 274.

27 Ludwig (1990) S. 272.

28 Vgl. Ebenda. S. 274.

29 Vgl. Ebenda.

30 Vgl. Genscher (1995) S. 892.