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Die Gesamtstaatsgeschichte Österreichs
im Spiegel der Mittelschul- und Gymnasiallehrbücher
(1849-1914)
Geschichte und Vaterlandskunde als Instrumente zur Schaffung eines gesamt-
österreichischen Staats- und Geschichtsbewusstseins
Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
eines Magisters der Philosophie
an der Karl-Franzens-Universität Graz
vorgelegt von
Johannes Kurz
am Institut für Geschichte
Begutachter: Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.phil. Prof. Alois Kernbauer
Graz 2017
1
Eidesstattliche Erklärung
Ich versichere, dass ich die Diplomarbeit selbstständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen
und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfe bedient habe.
Graz 2017
Johannes Kurz
2
Danksagung
Für die Hilfe bei der Themensuche und die intensive Betreuung bin ich Herrn Professor Kernbauer
zu tiefem Dank verpflichtet, der mich mit vielen Ratschlägen und unter hohem Zeitaufwand in die
richtige Richtung gewiesen hat. Vor allem aber möchte ich mich ganz herzlich bei meiner Familie
bedanken, bei meinen Eltern Klaus und Josefa sowie bei meiner Tante Hilde für die
uneingeschränkte Unterstützung, durch die sie mir das Studium ermöglicht haben. Sie sind mir in
jeder Situation zur Seite gestanden, haben mich gefördert und mir stets eine freie Wahl meines
Lebensweges zugestanden. Das geweckte Interesse an der Geschichte und Geisteswissenschaft ist
zu einem großen Teil ihr Verschulden. Ein ganz besonderes Dankeschön geht an meinen Bruder
Franz, ohne dessen fachkundigen Rat ich die Arbeit nicht bewältigt hätte. Auf diese Weise hat er
verhindert, dass ich mir eine akademische Laufbahn vollends verbaue.
3
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung.......................................................................................................................................6
1.1 Forschungsstand....................................................................................................................9
1.2 Fragestellung........................................................................................................................10
1.3 Methode................................................................................................................................12
1.4 Aufbau...................................................................................................................................14
2 Die historische Manifestation des österreichischen Gesamtstaats..........................................15
3 Die Voraussetzungen für die Gesamtstaatsgeschichte.............................................................22
3.1 Der zeitgenössische Diskurs................................................................................................24
3.2 Die geschichtswissenschaftlichen Vorarbeiten..................................................................27
3.2.1 Joseph Chmel................................................................................................................28
3.2.2 Max Büdinger...............................................................................................................29
3.2.3 Franz Martin Mayer....................................................................................................30
4 Franz Krones...............................................................................................................................31
4.1 Das „Handbuch der Geschichte Oesterreichs“.................................................................35
4.1.1 Aufbau ..........................................................................................................................38
4.1.2 Die Dynastie im Staatsgedanken.................................................................................41
4.1.3 Das Verhältnis zu Deutschland...................................................................................43
4.1.4 Das Verhältnis zu Ungarn............................................................................................46
5 Die Bildungsreformen des Unterrichtsministers Leo Thun....................................................51
6 Das Mittelschulwesen der Habsburgermonarchie...................................................................60
7 Die Lehrbücher seit 1849............................................................................................................62
7.1 Wilhelm Pütz‘ „Lehrbuch der oesterreichischen Vaterlandskunde“ (1851).................68
7.2 Jakob Spitzers „Oesterreichische Vaterlandsgeschichte“ (1853)....................................72
7.3 Die „Oesterreichische Vaterlandskunde“ von Emanuel Hannak (1869)........................77
4
7.4 Das „Lehrbuch der Geschichte“ von Emanuel Hannak (1871-1873).............................82
7.5 „Gindelys Lehrbuch der allgemeinen Geschichte“ von Gindely-Tupetz (1910)............88
7.6 Das „Lehrbuch der Vaterlandskunde“ von Franz Joseph von Silva-Tarouca (1914). .97
8 Schlussfolgerungen....................................................................................................................106
9 Literaturverzeichnis..................................................................................................................111
9.1 Primärliteratur...................................................................................................................111
9.2 Sekundärliteratur..............................................................................................................115
5
1 Einleitung
Die österreichische Historiographie des 19. Jahrhunderts, die sich mit der Entstehung und
Beschaffenheit des österreichischen Staatswesens in einer Gesamtdarstellung auseinandersetzte, war
gekennzeichnet durch ihr vergleichsweise verspätetes Auftreten in ihrer wissenschaftlichen
Bearbeitung. Diese Verspätung lag einerseits im enormen Nachholbedarf in Quellenforschung und
andererseits in der Schwierigkeit, ein integratives und zukunftsweisendes Signal auszusenden,
begründet, was durch die brisanten innen- und außenpolitischen Ereignisse dieser Zeit noch
erschwert wurde.1 Die Problematik für den österreichischen und später österreichisch-ungarischen
Staat bestand darin, mittels einer historischen Gesamtdarstellung einen Sinn und eine Aufgabe
dieses Staatswesens zu deuten und das Zugehörigkeitsbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger zur
Habsburgermonarchie zu stärken.2 Spätestens seit dem Revolutionsjahr 1848 war die dynastische
Klammer der Habsburger als alleiniges Erklärungsmuster für das Zusammenwachsen und
Zusammenbleiben der Völkerschaften im österreichischen Gesamtstaatsverband zu wenig
geworden.3 Neben der Dynastie war auch die Beamtenschaft seit 1848 in ihrer integrativen
Funktion unzulänglich geworden und sah sich trotz ihrer multiethnischen Zusammensetzung
zunehmend dem Vorwurf der Germanisierung ausgesetzt.4 Zudem war es im Zuge der Revolution
1848/1849 in der Habsburgermonarchie und speziell in Ungarn zu beunruhigenden Entwicklungen
gekommen. In Folge der nationalen Emanzipation wurde nicht nur nach mehr Autonomie innerhalb
der Habsburgermonarchie gestrebt, sondern mit der proklamierten Absetzung der Habsburger als
ungarischer Königsdynastie die Existenz des österreichischen Gesamtstaats an sich zur Diskussion
gestellt.5 Es war daher im Interesse der österreichischen Politik, neben entsprechenden
Zentralisierungsmaßnahmen auch auf wissenschaftlicher Ebene Maßnahmen zu setzen, um den
Habsburgerstaat ideologisch zu untermauern. Die Geschichtswissenschaft hatte im 19. und 20.
Jahrhundert großes Gewicht beim Transportieren und Konstruieren von Nationalismen und
nationalen Argumentationen, wenngleich ihr in diesem Bezug keine genuin schöpferische sondern
vielmehr eine unterstützende Rolle zukam.6 Um diesen Nationalismen des 19. Jahrhunderts
1 Vgl. Alphons Lhotsky, Österreichische Historiographie. Wien 1962: S. 197ff.2 Vgl. ebenda: S. 199.3 Vgl. Alois Kernbauer, „Forschung nach Wahrheit“. Der Auftrag an Wissenschaft, Universität und historische
Forschung vor 150 Jahren. In: Elisabeth Trinkl (Hg.), 150 Jahre Archäologie und Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz. Gedanken zur steirischen Geschichte und deren Erforschung. Veröffentlichungen des Instituts für Archäologie der Karl-Franzens-Universität Graz. Bd. 14. Wien 2016. S. 153-162: S. 159.
4 Vgl. Judson, Habsburg: S. 288ff.5 Vgl. Georg Christoph Berger Waldenegg, Vaterländisches Gemeingefühl und nationale Charaktere. Die kaiserliche
Regierung im Neoabsolutismus und die Erfindung einer österreichischen Nationalgeschichte. In: Hans Peter Hye/Brigitte Mazohl/Jan Paul Niederkorn (Hgg.), Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs. Wien 2009. S. 135-178: S. 135.
6 Vgl. Helmut Rumpler, Die Deformierung der Nationalidee zur Nationalstaatsgeschichte. Geschichtsschreibung und Nationalismus im 19. Jahrhundert. In: Hans Peter Hye/Brigitte Mazohl/Jan Paul Niederkorn (Hgg.),
6
argumentativ gegenzusteuern, reagierten die österreichischen Regierungskreise mit defensiven
Gegenkonzepten der Geschichtswissenschaft, die dem multiethnischen Staatswesen des
Österreichischen Kaisertums Rechnung tragen sollten. Joseph Alexander Freiherr von Helfert, der
sich als Unterstaatssekretär im Unterrichtministerium Leo Thun-Hohensteins maßgeblich für dieses
Vorhaben einsetzte,7 definierte die Anforderungen eines solchen Unterfangens folgendermaßen:
„Österreichische Nationalgeschichte ist uns die Geschichte des österreichischen
Gesammstaates und Gesammtvolkes, als dessen organisch ineinander verschlungene Glieder
all die nach Abstammung, Bildung und Gesittung verschiedenen Stämme erscheinen, die auf
dem weiten Gebiete des Reiches, hier unvermischt in größeren Massen, dort vielfach unter
einander vermengt, sich bewegen.“8
Für Helfert wie für viele Intellektuelle und Politiker war es ein zentrales Anliegen, die
Habsburgermonarchie als organisch und natürlich gewachsenes, einheitliches Staatsgebilde
verstanden zu wissen, das eben kein künstlich und zufällig zusammengefügtes Konglomerat
darstelle. Die Verfechter dieser Auffassung des Habsburgerreiches sprachen daher von der
sogenannten „Gesamtstaatsidee“, die im Wesentlichen die Entwicklung der habsburgischen Länder
zu einem eigenen und einheitlichen Staatsgebilde mit historisch gewachsenen Institutionen zum
Inhalt hatte. In die gleiche Kerbe schlug die Forderung nach einer Gesamtdarstellung des
österreichischen Volkes (im Singular) vor dem Hintergrund eines Staatsgebildes, unter dessen
Schirmherrschaft den unterschiedlichen Ländergruppen eine gleichmäßige und gleichwertige
Darstellung zukommen solle. Nach Helferts Auffassung eines Großösterreich, von einem Staat mit
einem Volk, sollte der Habsburgermonarchie der Anstrich eines modernen Nationalstaats gegeben
werden.9 Neben dem populärwissenschaftlichen „geglückten Kompromiss“,10 der sich in der 17-
bändige Reihe „Oesterreichische Geschichte für das Volk“11, von Helfert selbst mit herausgegeben,
bis dahin fand, erfüllte erst Franz Krones‘ „Handbuch der Geschichte Oesterreichs“12 in fünf
Bänden die Anforderungen in wissenschaftlicher und qualitativer Hinsicht. Für seine Leistung
wurde Franz Krones 1879 von staatlicher Seite mit dem Orden der Eisernen Krone III. Klasse und
Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs. Wien 2009. S. 23-42: 40f.
7 Vgl. Guido Alexis, Helfert, Joseph Alexander Frh. von. In: ÖBL. Bd. 2. Lfg. 8. 1958. S. 256f.: S. 256.8 Josef Alexander Frh. von Helfert, Über Nationalgeschichte und den gegenwärtigen Stand ihrer Pflege in Oesterreich.
Prag 1853: S. 2.9 Vgl. Helfert, Nationalgeschichte: S. 50.10 Vgl. Alois Kernbauer, Konzeption der Österreich-Geschichtsschreibung 1848-1938. In: Herwig Ebner/Paul W.
Roth/Ingeborg Wiesflecker-Friedhuber (Hgg.), Forschungen zur Geschichte des Alpen-Adria-Raumes. Festgabe für em.o.Univ.-Prof. Dr. Othmar Pickl zum 70. Geburtstag. Graz 1997. S. 255-273: S. 262.
11 Vgl. Oesterreichische Geschichte für das Volk. 17 Bde. Wien 1864-1882.12 Vgl. Franz Krones, Handbuch der Geschichte Oesterreichs von der ältesten bis zur neuesten Zeit, mit besonderer
Rücksicht auf Länder-, Völkerkunde und Culturgeschichte. 5 Bde. Berlin 1876-1879.
7
der damit einhergehenden Erhebung in den Adelsstand gewürdigt.13 Seine große Errungenschaft im
„Handbuch“ war es dabei, als Erster die in zeitlicher, geographischer und ethnischer Hinsicht
überaus weitläufige Geschichte Österreichs und seines Staatswesens in einer wissenschaftlich
fundierten Gesamtdarstellung von der Urzeit bis zu seiner eigenen Zeit herauf zu erfassen und die
zahlreichen Ländergruppen in einer gleichwertigen Darstellung nebeneinander unter dem totum
eines funktionierenden Organismus des österreichischen Gesamtstaats zu vereinen. Neben der
Geschichtswissenschaft soll aber in erster Linie das zweite große Betätigungsfeld der Regierung im
Zentrum dieser Arbeit stehen: die Schule. Das tiefgreifende Thun-Hohenstein'sche Reformwerk
verdeutlicht das kostenintensive Bemühen der neoabsolutistischen Ära der 1850er Jahre um den
Aufbau eines effizienten Schul- und Universitätssystems als Grundlage für den wissenschaftlichen,
technologischen und wirtschaftlichen Aufstieg. Gerade die Schul- und Lehrbücher des
Österreichischen Kaiserstaats, die für ihre Mängel und Unzulänglichkeiten bekannt waren und
insbesondere im deutschen Raum für Spott und Hohn gesorgt hatten,14 erfuhren in dieser Zeit eine
besondere Aufmerksamkeit. Nicht untypisch für das 19. Jahrhundert war dabei die Tatsache, dass
Schul- und Lehrbücher für die Mittel- und Volksschulen von renommierten Historikern verfasst
wurden, die neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit auch die pädagogischen und didaktischen
Aufgaben der Geschichtswissenschaft wahrnahmen,15 was wiederum das anspruchsvolle Niveau
dieser Bücher unterstreicht. Das Bemühen der österreichischen Regierung um eine
wissenschaftliche Gesamtdarstellung geht in dieser Hinsicht also Hand in Hand mit den
pädagogisch motivierten Maßnahmen im Schulbereich, beides zum Zweck, die künftigen
Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern der Habsburgermonarchie in einem gesamt-österreichischen
Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl zu erziehen. Hierfür wurde die Behandlung der
österreichischen Geschichte und die Genese des österreichischen Staatswesens immer stärker im
Unterricht berücksichtigt, da in diesem Gebiet Potential erkannt worden war.
13 Vgl. Hermann Wiesflecker, Franz Krones (1835-1902). In: Carinthia I 152. Klagenfurt 1962. S. 112-128: S. 115.14 Vgl. Alphons Lhotsky, Geschichte des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1854-1954. Festgabe zur
Hundert-Jahr-Feier des Instituts. (= MIÖstGF 17 [Ergbd.]). Graz/Köln/Wien 1954: S. 19.15 Vgl. Helmut Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem
Boden Österreichs. Bd. 4. Von 1848 bis zum Ende der Monarchie. Wien 1986: S. 59.
8
1.1 Forschungsstand
Zu Formen und Wandlungen des Österreichbegriffs- und -bewusstseins haben Erich Zöllner16 und
Ernst Bruckmüller17 zahlreiche Beiträge geleistet. Dem gegenseitigen Verhältnis zwischen
Gesamtstaat und Ländern auf Verwaltungsebene hat sich Gerald Stourzh in einer eigenen Studie
angenommen, in der er auf die Veränderungen im Zeitraum von 1848-1918 eingeht.18 In jüngeren
Publikationen wird der Gesamtstaat und die Gesamtstaatsidee im Sammelband Martin Schennachs
mit neuen Ansätzen behandelt, vor allem die Beiträge des Herausgebers19 sowie von Karin
Schneider20, die die historische Entwicklung des österreichischen Gesamtstaats seit der
Pragmatischen Sanktion bearbeitet, sind dabei zu nennen. Den Fokus auf die stetigen
Zentralisierungsmaßnahmen und den Aufbau einheitlicher Institutionen behandelt in seiner neuesten
Monographie Pieter Judson, der ein differenziertes Bild der Habsburgermonarchie basierend auf
neuesten Forschungserkenntnissen zeichnet, vor allem in Bezug auf die Nationalitätenkonflikte und
die Modernisierungsprozesse.21 Für die Österreichische Historiographie des 19. Jahrhunderts sind
nach wie vor die beiden Werke über die „Historiographie“ und die „Geschichte des Instituts“
Alphons Lhotskys maßgeblich. Auf die Geschichtswissenschaft als politisches Instrument in der
Habsburgermonarchie weist besonders eindrücklich Fritz Fellner in seinem Aufsatz „Geschichte als
Wissenschaft“22 hin. Zur Universitätsreform unter Unterrichtsminister Leo Thun liefert das
Standardwerk Hans Lentzes nach wie vor brauchbare Erkenntnisse.23 Besonders aktuell ist zu
diesem Thema der Sammelband Christof Aichners und Brigitte Mazohls, in dem viele bislang
unbehandelte Aspekte bearbeitet und neue Erkenntnisse zutage gefördert werden.24 Für die
Geschichte des österreichischen Bildungsbereichs im weitesten Sinn sei auf Helmut Engelbrechts
sechsbändiges Handbuch verwiesen. Auf das Gebiet der Lehrerausbildung in den Mittelschultypen
16 Vgl. Erich Zöllner, Der Österreichbegriff. Formen und Wandlungen in der Geschichte. Wien 1988.17 Vgl. Ernst Bruckmüller, Österreichbegriff und Österreich-Bewusstsein in der Franzisko-Josephinischen Epoche. In:
Richard Plaschka/ Gerald Stourzh/ Jan Paul Niederkorn (Hgg.), Was heißt Österreich. Inhalt und Umfang des Österreichbegriffs vom 10. Jahrhundert bis heute. Wien 1996. S. 255-288.
18 Vgl. Gerald Stourzh, Länderautonomie und Gesamtstaat in Österreich 1848-1918 (1993). In: Christian Brünner/Wolfgang Mantl/Manfried Welan (Hgg.), Gerald Stourzh. Der Umfang der österreichischen Geschichte. Ausgewählte Studien 1990-2010. Wien/Köln/Weimar 2011. S. 37-67.
19 Vgl. Martin Schennach, Die „österreichische Gesamtstaatsidee“. Das Verhältnis zwischen „Gesamtstaat“ und Ländern als Gegenstand rechtshistorischer Forschung. In: Martin Schennach (Hg.), Beiträge zur Tagung an der Universität Innsbruck am 28. und 29. November 2013. Sammelband. Wien 2015. S. 1-29.
20 Vgl. Karin Schneider, Zwischen „Monarchischer Union von Ständestaaten“ und Gesamtstaat. Die Habsburgermonarchie im 18. und 19. Jahrhundert. In: Martin Schennach (Hg.), Beiträge zur Tagung an der Universität Innsbruck am 28. und 29. November 2013. Sammelband. Wien 2015. S. 31-49.
21 Vgl. Pieter Judson, Habsburg. Geschichte eines Imperiums 1740-1918. München 2017.22 Vgl. Fritz Fellner, Geschichte als Wissenschaft. Der Beitrag Österreichs zu Theorie, Methodik und Themen der
Geschichte der Neuzeit. In: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 4. Geschichte und fremde Kulturen. Wien 2002. S. 161-213.
23 Vgl. Hans Lentze, Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein. Wien 196224 Vgl. Christof Aichner/Brigitte Mazohl (Hgg.), Die Thun-Hohenstein'schen Universitätsreformen 1849-1860.
Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen. Wien/Köln/Weimar 2017.
9
hat sich Franz-Anton Wallisch in seiner Dissertation spezialisiert.25 Fundierte Analysen und
detaillierte Statistiken zum Bildungssystem der „österreichischen“ Reichshälfte bietet Gary B.
Cohen mit seiner Monographie „Education and Middle-Class Society“26, in dem er auch die
sozialen Komponenten berücksichtigt. Weitaus weniger Zuwendung erfuhren die Lehrbücher der
Habsburgermonarchie. Ernst Bruckmüller hat tschechisch- und slowenischsprachige Lesebücher der
Volksschulen erforscht und in seinen Ergebnissen auf eine nur geringe Berücksichtigung eines
österreichischen Bewusstseins in ihnen hingewiesen.27 Ähnliches leistete Helmwart Hierdeis im
Bereich der historischen Lesebücher des 19. Jahrhunderts, die er hinsichtlich ihrer politischen
Beeinflussung analysierte.28 Einen allgemeinen Überblick über die Entwicklung der
österreichischen Schulbücher sämtlicher Fächer und Schultypen bietet Viktor Fadrus, der aufgrund
des betrachteten Zeitraums von 200 Jahren eine nur sehr knappe Darstellung liefert.29 Für den
Mittelschulbereich im Speziellen fehlt bis heute eine entsprechende historische
Schulbuchforschung, die sich mit der politischen Einflussnahme auseinandersetzt. Ebenso wenig
wurden die historischen Lehrbücher der Habsburgermonarchie bisher vor dem Hintergrund der
Gesamtstaatsidee erforscht.
1.2 Fragestellung
Die Analyse der Schulbücher soll daher zeigen, inwieweit gesamtstaatliche Konzepte transportiert
wurden, die die Förderung eines gesamt-österreichischen Geschichtsbewusstsein und eines
(supra-)nationalen Zugehörigkeitsgefühls zur Habsburgermonarchie zum Zweck hatten. Ich werde
nach bestimmten Kriterien ausgewählte Lehrbücher auf die Merkmale, Motive und Charakteristika
der Gesamtstaatsidee, die in den geschichtswissenschaftlichen Werken vorherrschend waren,
untersuchen, um auf diese Weise zu prüfen, in welchem Ausmaß Elemente der
Gesamtstaatsgeschichte gezielt verwendet wurden, um staatsdienlichen Ideologien Rechnung zu
tragen. Dadurch soll aufgezeigt werden, welche inhaltlichen Instrumente in den Geschichts-
25 Vgl. Franz-Anton Wallisch, Das höhere Lehramt von 1849-1914. Staatliche Zielvorstellungen in der Ausbildung von Lehrern für Gymnasien, Realschulen und Mädchenlyzeen. Diss. Graz 1981
26 Vgl. Gary Cohen, Education and Middle-Class Society in Imperial Austria 1848-1918. West Lafayette 1996.27 Vgl. Ernst Bruckmüller, Zur Entstehung der kulturellen Differenz. Fragmentarische Überlegungen zum Verhältnis
von Nationalbewusstsein und Grundschulbildung im alten Österreich. In:Siegfried Beer/Edith Marko-Stöckl/Marlies Raffler/Felix Schneider (Hgg.), Focus Austria. Vom Vielvölkerreich zum EU-Staat. Festschrift für Alfred Ableitinger zum 65. Geburtstag. Graz 2003. S. S. 164-179.
28 Vgl. Helmwart Hierdeis, Zur Widerspiegelung der Politik in österreichischen Schulbüchern des 19. Jahrhunderts. In: Elmar Lechner/Helmut Rumpler/Herbert Zdarzil, Zur Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Probleme und Perspektiven der Forschung (= Veröffentlichungen der Kommission für Philosophie und Pädagogik Bd. 25). Wien 1992. 471-489.
29 Vgl. Viktor Fadrus, Österreichs Schulbücher im Wandel zweier Jahrhunderte. In: Egon Loebenstein (Hg.), 100 Jahre Unterrichtsministerium 1848-1948. Festschrift des Bundesministeriums für Unterricht in Wien. Wien 1948. S. 194-222.
10
Lehrbüchern benutzt wurden, um den Schülerinnen und Schülern das Bild eines historisch
gewachsenen, organisch funktionierenden Einheitsstaates der Habsburgermonarchie zu suggerieren.
Durch die Auswahl von historischen Mittelschul- und Gymnasialbüchern aus einer langen
Zeitspanne von 1849-1914 soll ein möglichst runder und in sich abgeschlossener Überblick über die
Gesamtstaatsidee im Schulbereich der Habsburgermonarchie geboten werden, um auch etwaige
Trends und Veränderungen in den unterschiedlichen Zeitabschnitten anzeigen zu können. Im
Zentrum meiner Betrachtungen werde ich der Frage nachgehen, welche Veränderungen in der
Argumentation der Lehrbücher feststellbar sind, in welcher Weise auf innen- und außenpolitische
Zäsuren reagiert wurde und welchen Einfluss dies auf das Gesamtstaats-Denken hatte. Als Zäsuren
dienen hierfür die Krisen von 1859/60 und 1866/67, die nicht nur Wendepunkte in der Geschichte
der Habsburgermonarchie darstellten, sondern insbesondere auch Auswirkungen auf die
Gesamtstaatsidee zur Folge hatten. Vor allem der Beginn des Österreich-Ungarischen Dualismus
und die De-facto-Zweistaatlichkeit muss in dieser Hinsicht berücksichtigt werden. Es soll dadurch
ermittelt werden, ob diese Zäsuren mit den Darstellungen in den Lehrbüchern korrelieren und
dementsprechend auch als Zäsuren behandelt wurden oder nicht. Besonderes Augenmerk lege ich
dabei auf die Verwendung des Österreichbegriffs, welche Bedeutung er im jeweiligen Kontext hat,
welchem Bedeutungswandel er unterworfen ist, ob und wie konsequent die offiziellen Termini
eingehalten wurden. Auch abseits staatlicher Termini soll auf die Verwendung von
gesamtstaatlichen Topoi und Schlüsselbegriffen, der Auswahl und Bewertung bestimmter
historischer Ereignisse, sowie auf das Verhältnis zwischen Gesamtstaat und den einzelnen Ländern
geachtet werden. Auf folgende Topoi der Gesamtstaatsgeschichte, wie sie in der Historiographie
benutzt wurden, werde ich die ausgewählten Lehrbücher untersuchen:
Die gleichwertige Berücksichtigung der drei Länderkomplexe, die Relevanz der Verbindungen vor
1526, der Gedanke der Notwendigkeit als Ursache für die Vereinigung und ein gemeinsames
Staatsgefühl, das über die Dynastie hinausgeht. Diesbezüglich werde ich prüfen, ob sich aus häufig
auftretenden Ereignissen, die in den Lehrbüchern als bedeutend eingestuft wurden, ein allgemeiner
Kanon für den Gesamtstaat ableiten lässt. Einen Kanon von historischen Ereignissen hatte
beispielsweise Ernst Bruckmüller im Bereich der historischen Lesebücher für Volksschulen
festgestellt.30 Diesen Fragestellungen liegt die Annahme zugrunde, dass der Gesamtstaat in den
Lehrbüchern nicht direkt mit den innen- und außenpolitischen Zäsuren korrelieren muss, sondern
darüber hinaus weiterhin thematisiert werden kann. Es liegt die Vermutung nahe, dass, trotz der
geschaffenen politischen Tatsachen, Konzepte des Gesamtstaats und möglicherweise sogar
inoffizielle Staats-Bezeichnungen ungebrochen in Verwendung waren. Dass nämlich die Idee des
30 Vgl. Bruckmüller, Entstehung der kulturellen Differenz: S. 178.
11
Gesamtstaats nicht mit der Abkehr vom Neoabsolutismus und nicht einmal mit dem Ausgleich mit
Ungarn ein Ende gefunden hat, verdeutlicht nicht zuletzt Franz Krones‘ „Handbuch der Geschichte
Oesterreichs“. Eine Beschäftigung mit Lehr- und Schulbüchern späterer Jahrzehnte erscheint aus
diesen Gründen lohnenswert.
1.3 Methode
Als Voraussetzung für die Schulbuchanalyse werde ich die wichtigsten historischen und
geschichtswissenschaftlichen Gegebenheiten des Gesamtstaats zusammenfassen, um die Bedeutung
und Definition des „Gesamtstaats“ verständlich zu machen. Eine Diskursanalyse der bedeutendsten
Vertreter der Gesamtstaatsgeschichte soll die wichtigsten Topoi in diesem Bereich kenntlich
machen, auf deren Grundlage ich die Lehrbücher anschließend untersuchen werde. Als
Hauptquellen dienen mir hierfür die „Nationalgeschichte“ Helferts und das „Handbuch“ Krones‘,
daneben stütze ich meine Betrachtungen allerdings unter anderem auch auf Werke Joseph Chmels,
Alfons Hubers oder Hermann Bidermanns.
Für die Bearbeitung der Schulbücher spielt weniger die korrekte Darstellung historischer
Zusammenhänge und Ereignisse eine Rolle, sondern ihre Brauchbarkeit hinsichtlich der
Gesamtstaatsidee, was nicht zwingend mit der sonstigen Qualität des jeweiligen Schulbuches in
Verbindung muss. Aufgrund des breiten Spektrums der Fragestellungen und des Topoi-Katalogs
wurde eine qualitative Methodik angewandt, um wenige Beispiele an Lehrbüchern möglichst
umfassend und genau analysieren zu können. Der Zeitrahmen meiner Betrachtungen erstreckt sich
von Publikationen während des österreichischen Neoabsolutismus, der konstitutionellen Phase vor
und nach dem Ungarischen Ausgleich, bis hin zum Jahr 1914 in die Spätphase der
Habsburgermonarchie. In Betracht kamen dabei lediglich Lehrbücher für die Mittelschulen und
Gymnasien, da diese im Gegensatz zur Volksschule weit weniger erforscht sind. Außerdem besteht
bei den Mittelschulbüchern eine größere Nähe zur Universität, was wiederum für den Aspekt der
Wechselwirkung von Sekundarschule und Universität in dieser Arbeit sinnvoll ist. Bei der Auswahl
der Lehrbücher habe ich auf eine ausgewogene Mischung aus Vaterlandskunde und allgemeiner
Geschichte geachtet. Die historische Komponente bei ersteren ist für meine Analyse von vornherein
interessant, da der Gegenstand in Abgrenzung zur Heimatkunde als „Staatskunde“ der gesamten
Habsburgermonarchie verstanden wurde. Bei der zweiten Kategorie spielt die Gewichtung von
Ereignissen der österreichischen Geschichte eine besondere Rolle, da deren Erwähnung eine
weltgeschichtliche Bedeutung suggeriert. Primär wurden die auflagenstarken Lehrbücher berühmter
Verfasser wie Anton Gindely oder Emanuel Hannak ausgewählt. Dies halte ich aufgrund der
12
Breitenwirkung auf Generationen von Schülerinnen und Schülern für sehr ratsam, da es umso
entscheidender ist, ob gesamtstaatliche Elemente auch in den gängigen Geschichtsbüchern
vermittelt wurden oder nicht. Daneben werden aber auch weniger auflagenstarke Lehrbücher
berücksichtigt, die die frühe Phase des Zeitraums widerspiegeln und meist von später erschienen
Werken verdrängt wurden. Ähnliches gilt für Neupublikationen der Spätphase der
Habsburgermonarchie, die wenig Auflagen und einen kleinen Bekanntheitsgrad aufweisen, aber
nichtsdestoweniger die Entwicklungen in gerade diesem Zeitraum abbilden sollen. Folgende
Schulbücher habe ich daher für diese Arbeit zur Analyse ausgewählt:
Die Frühphase der Thun'schen Bildungsreform und die Situation der Lehrbücher beleuchtet das
„Lehrbuch der oesterreichischen Vaterlandskunde“31 des Kölner Professors und Lehrers Wilhelm
Pütz, das in einer Zeit des akuten Mangels an qualitativ hochwertigen Schulbüchern in Österreich
publiziert wurde. Damit gehört es zu jenen Werken, die dazu beigetragen haben, den Umbruch und
die Verbesserungen im österreichischen Bildungssystem einzuleiten. Besonders interessant macht
dieses Lehrbuch der Umstand, dass das österreichische Unterrichtsministerium auf den Import von
„ausländischem“ Wissen eines „ausländischen“ Professors zurückgreifen musste, um in dieser
Übergangsphase eine adäquate Publikation der heimischen Vaterlandsgeschichte vorlegen zu
können. Die „Oesterreichische Vaterlandsgeschichte“32 des Volksschullehrers Jakob Spitzer, die mit
ihrer Ersterscheinung 1853 ebenfalls in die Anlaufphase der Thun-Hohenstein'schen Reformen fiel,
wurde weder für eine bestimmte Schulstufe noch einen bestimmten Schultyp gezielt konzipiert.
Obwohl Spitzers „Vaterlandsgeschichte“ weder die schulischen Vorgaben und Erwartungen erfüllte,
noch gesamtstaatliche Konzepte transportierte, habe ich sie dennoch bearbeitet, da sie gerade in
Verbindung mit der Kritik Albert Jägers, des ersten Inhabers des Lehrstuhls für Österreichische
Geschichte, die Problematik der historischen Lehrbücher dieser Zeit sehr gut widerspiegelt. Durch
diese Kombination nämlich wird die Diskrepanz zwischen eingeforderten Konzepten und
Entwicklungsgeschichten, die der Genese des österreichischen Staatswesens einen Sinn geben
sollen, und Publikationen wie der Spitzers, die den modernen Forderungen in keiner Weise gerecht
werden konnten, ersichtlich. Dass das Werk Spitzers mehrere Auflagen erlebte, ist zudem
Anzeichen dafür, dass auch dieses Lehrbuch Anklang bei der Leserschaft gefunden hatte. Eines der
auflagenstärksten Lehrbücher ist die „Oesterreichische Vaterlandskunde“33 Emanuel Hannaks, das
auf diese Weise über einen langen Zeitraum weite Verbreitung fand. Auch Hannaks zweites großes
31 Wilhelm Pütz, Lehrbuch der oesterreichischen Vaterlandskunde zur genaueren Kenntnis der wesentlichen historischen, geographischen und statistischen Verhaeltnisse des oesterreichischen Staates. Coblenz 1851.
32 Jakob Spitzer, Oesterreichische Vaterlandsgeschichte für Schule und Haus. Wien 31871.33 Emanuel Hannak, Oesterreichische Vaterlandskunde für die mittleren und höheren Classen der Mittelschulen. Wien
31873.
13
Werk im Bereich der Schule, das „Lehrbuch der Geschichte“34 in drei Bänden, werde ich aufgrund
der Berühmtheit des Autors und seiner ebenfalls sehr hohen Auflagenzahl meinen Betrachtungen
unterziehen. Quasi für sich steht das „Lehrbuch der allgemeinen Geschichte“ des auch in
Fachkreisen höchst angesehenen Historikers Anton Gindely, das seit seiner Publikation 1861 in
zahlreichen Auflagen erschienen ist und dadurch bereits einen großen Teil der von mir untersuchten
Epoche abdeckt. Unter dem Titel „Gindelys Lehrbuch der allgemeinen Geschichte“, das nach dem
Tod Gindelys in überarbeiteter Form von dessen Schüler Theodor Tupetz herausgegeben wurde, war
es bis zum Ende der Monarchie in allen dort gebrauchten Unterrichtssprachen in Verwendung.
Diese als „Gindely-Tupetz“35 bekannte Neuauflage liegt meinen Analysen zugrunde, da es sich
dabei um die zeitlich gesehen jüngste Auflage handelt und somit noch brisante innen- und
außenpolitische Veränderungen abdeckt. Die Berühmtheit und Relevanz der Lehrbücher Gindelys
und Hannaks wird auch in den Schulbuch-Analysen von Viktor Fadrus deutlich, der diese beiden
namhaften Autoren als einzige Beispiele im Bereich der Geschichtslehrbücher für Mittelschulen in
diesem Zeitraum von 1848-1918 anführt.36 Die Spätphase der Habsburgermonarchie wird durch das
„Lehrbuch der Vaterlandskunde“37 von Franz Joseph Silva-Tarouca abgedeckt, das beweist, dass
gesamtstaatliche Konzepte und Denkweisen auch 1914 noch weiterentwickelt und in modifizierter
Form weiterhin transportiert wurden.
1.4 Aufbau
Zu Beginn meiner Arbeit werde ich kurz auf die historischen Gegebenheiten eines österreichischen
Gesamtstaats eingehen und die wichtigsten Entwicklungen und Beurteilungen anhand der neuesten
Forschungsliteratur zusammenfassen. Im Anschluss daran werde ich auf den Diskurs der
zeitgenössischen Fachwelt über den Gesamtstaat Bezug nehmen und einige der wichtigsten
Vorarbeiten in diesem Bereich behandeln. Danach folgt ein kurzer biographischer Abriss zu Person
und Werk Franz Krones‘, dem wichtigsten Vertreter der österreichischen Gesamtstaatsgeschichte,
um zur Analyse des „Handbuchs der Geschichte Oesterreichs“ überzuleiten. Bevor ich zur
Schulbuchanalyse übergehe, soll ein kurzer Überblick über die Thun-Hohenstein'schen
Bildungsreformen und vor allem die Entwicklung der Mittelschule gegeben werden. Anschließend
daran werde ich die zeitgenössische Debatte über die Lehrbücher zusammenfassen und dabei vor
34 Ders., Lehrbuch der Geschichte. 3 Bde. Wien 1871-1873.35 Anton Gindely/Theodor Tupetz, Gindelys Lehrbuch der allgemeinen Geschichte für die oberen Klassen der
Gymnasien und Realgymnasien. 3 Bde. Bearbeitet von Theodor Tupetz. Wien 131910.36 Vgl. Fadrus, Österreichs Schulbücher : S. 20137 Franz Joseph Graf von Silva-Tarouca, Lehrbuch der Vaterlandskunde für die oberste Klasse der Mittelschulen in
Österreich. Wien/Leipzig 1914.
14
allem die Geschichte und Vaterlandskunde berücksichtigen. Im Zentrum meiner Arbeit soll die
Analyse historischer Mittelschulbücher stehen, die ich in chronologischer Reihenfolge beginnend
mit Pütz‘ „Vaterlandskunde“ und Spitzers „Vaterlandsgeschichte“, gefolgt von der
„Vaterlandskunde“ und dem „Lehrbuch der Geschichte“ Hannaks, behandeln werde. Abgeschlossen
wird diese Liste mit „Gindelys Lehrbuch der allgemeinen Geschichte“ und Silva-Taroucas
„Lehrbuch der Vaterlandskunde“.
2 Die historische Manifestation des österreichischen Gesamtstaats
Ein Gesamtstaat bezeichnet ein aus mehreren Landesteilen zusammengesetztes Staatswesen, das in
seiner Verwaltung und seinen politischen Institutionen und Kompetenzen durch das unterschiedlich
austarierte Wechselverhältnis zwischen landesständischen Partikulargewalten und einer
Zentralgewalt bestimmt ist. Dass das Kaisertum Österreich seit seiner Gründung 1804 ein solcher
aus verschiedenen Teilen zusammengesetzter Staatsverband war, zeigt nicht zuletzt seine
Bezeichnung im kaiserlichen Patent von 1804 als „vereinigter österreichischen Staatenkörper“.38
Für die Habsburgermonarchie war es buchstäblich das zentrale Problem, die unterschiedlichen
Territorien mit unterschiedlichen historischen Landes- und Rechtsverfassungen, allen voran die drei
großen Hauptländerkomplexe der österreichischen Erblande sowie die Länder der böhmischen und
ungarischen Krone, zu einer staatlichen und rechtlichen Einheit zu verbinden, um auf diese Weise
einen effizienten Gesamtstaat moderner Prägung zu schaffen.39 Aufgrund der zahlreichen Kritiker
des habsburgischen Vielvölkerreiches im 19. Jahrhundert hielt sich auch in der modernen Forschung
lange Zeit das Negativbild der Donaumonarchie als wirtschaftlich, gesellschaftlich und ideologisch
rückständigem Anachronismus, der es nicht geschafft hatte, die einzelnen Länderkomplexe in einen
modernen Nationalstaat zu transformieren. In der jüngeren Forschung wurde dieses etwas
eindimensionale Bild der Habsburgermonarchie größtenteils revidiert und die Situation
differenzierter betrachtet. Insbesondere Pieter Judson verweist dabei auf die größeren
Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen der Habsburgermonarchie und Europa.40 In seinem
jüngsten Werk rückt Judson konzeptionell die Zentralisierungsmaßnahmen des Habsburgerstaates
und den Prozess der Staatswerdung seit Maria Theresia und Joseph II. bis zum Ersten Weltkrieg
sowie die gesellschaftlichen, administrativen und institutionellen Aspekte und deren
38 Vgl. Stourzh, Länderautonomie: S. 37.39 Vgl. Werner Ogris, Rechtseinheit und Staatsidee in der Donaumonarchie. In: Thomas Olechowski (Hg.), Werner
Ogris. Elemente europäischer Rechtskultur. Rechtshistorische Aufsätze aus den Jahren 1961-2003. Wien/Köln/Weimar 2003. S. 47-58: S. 48.
40 Vgl. Judson, Habsburg: S. 17.
15
Integrationskraft für die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in den Fokus seiner Betrachtungen.41
Das häufig gemeinsam mit dem Nationalitätenkonflikt ins Zentrum gestellte Charakteristikum der
Habsburgermonarchie als einem multiethnischen Staatsgebilde war nämlich alles andere als ein
Unikum in Europa. Zwar wird das 19. Jahrhundert nicht zu Unrecht als Zeitalter des Nationalismus
bezeichnet, doch war es aufgrund der ungebrochenen Dominanz multiethnischer Imperien kein
Zeitalter der Nationalstaaten, die erst im 20. Jahrhundert die Mehrheit ausmachten.42 Neben dem in
vielerlei Hinsicht überaus heterogenen Königreich Italien, von dessen Bevölkerung in den 1860er
Jahren weniger als zehn Prozent dem toskanischen Italienisch ohne Mühe folgen konnten, war das
allen voran Frankreich, das, von seinen kolonialen Besitzungen in Übersee gar nicht zu sprechen,
alles andere als eine sprachlich und ethnisch homogene Bevölkerung besaß.43 1863 soll mindestens
ein Viertel der Bevölkerung Frankreichs kein Französisch gesprochen haben, ein noch größerer Teil
nur sehr geringe Kenntnisse des Französischen besessen haben.44 Gerade Frankreich, das aufgrund
seines vermeintlich tiefgreifend verwirklichten Absolutismus und seiner frühen nationalen und
liberalen Bewegungen seit der Französischen Revolution sowie der starken Verbreitung und
Integrationskraft der Französischen Sprache als Paradebeispiel eines modernen Nationalstaats
angesehen wurde, unterschied sich gerade in seiner heterogenen Bevölkerungszusammensetzung
nur sehr wenig von der Habsburgermonarchie. Wenn man trotz der Tatsache, dass die
Habsburgermonarchie de facto keine Kolonien besaß und sich darüber streiten lässt, ob sie
überhaupt als Imperium zu klassifizieren sei oder nicht, die Kolonien und Überseegebiete dennoch
mit in Betracht zieht, so erscheint der Habsburgerstaat sogar in vielerlei Hinsicht gleichförmiger als
die westeuropäischen Mächte, das Zarenreich und das Osmanische Reich, wie Jürgen Osterhammel
überzeugend argumentiert.45 Denn die Habsburgermonarchie, die einige Charakteristika eines
Imperiums aufweist, war in der religiösen, kulturellen und ethnischen Zusammensetzung ihrer
Staatsbürger weitaus homogener als die Genannten.46 Gerade in den Kategorien Religion, Sprache
und Ethnie wurde die Habsburgermonarchie in der Forschung lange Zeit als Sonderfall eingestuft,
in Abgrenzung zu den vermeintlich homogeneren Großmächten Europas.47 Auch wenn die
Habsburgermonarchie aufgrund ihres spezifischen Staatswerdungsprozesses und der Vielzahl an
nebeneinander in der Verwaltung gebräuchlichen Sprachen zweifellos einen Sonderfall des 19.
Jahrhunderts darstellte, so haben nicht zuletzt globalgeschichtliche Vergleiche und
41 Vgl. Ebenda: S. 27-30.42 Vgl. Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2011: S. 584.43 Vgl. Ebenda: S. 1116.44 Vgl. Judson, Habsburg: S. 309.45 Vgl. Osterhammel, Verwandlung der Welt: S. 625.46 Vgl. Ebenda: S. 625f.47 Vgl. Paul Kennedy, The Rise and Fall of the Great Powers. Economic Change and Military Conflict from 1500 to
2000. New York 1987: S. 164ff.
16
Gegenüberstellungen der jüngeren Forschung, wie sie Jürgen Osterhammel in konsistenter Weise
betreibt, diese Aspekte in ein differenzierteres Licht gerückt. Die Konflikte, die sich aus den
nationalen und liberalen Strömungen des 19. Jahrhunderts für die Habsburgermonarchie ergaben,
waren trotz ihrer politischen Relevanz für die Bürgerinnen und Bürger im gesellschaftlichen Leben
nur von untergeordneter Bedeutung.48 Nicht selten identifizierten sich die Bürgerinnen und Bürger
der Habsburgermonarchie speziell noch in den 1860ern stärker mit dem eigenen Kronland und den
daran angelehnten Nationalbewegungen als mit ethnisch-sprachlichen Nationalbewegungen, die
über dieses Kronland hinausgingen.49 Selbst innerhalb der einzelnen Kronländer war das politische
Klima alles andere als von rein nationalen Interessen und Konflikten geprägt, wie die
Verständigungen und temporären Koalitionen von Parteien und politischen Akteuren oder auch das
Wahlverhalten der Bürger unterschiedlicher Sprachgruppen zur Durchsetzung gemeinsamer
Interessen bezeugen. So beispielsweise bei den Parlamentswahlen für den Reichsrat in Wien 1911
in Galizien, als sich Zionisten und ruthenische Bauern bei ihrer Stimmabgabe zusammenschlossen
und eine Allianz eingingen, um einen gemeinsamen Kandidaten ins Parlament zu wählen.50 Oder
auch die Abneigung und offene Gewalt der polnischen Bauernschaft gegen den Revolutionsversuch
des polnischen Adels (der selbstdeklarierten „Polnischen Nation“), der 1846 die Unabhängigkeit
vom Habsburgerreich durchzusetzen begehrte.51 Erst nach dem Ausgleich mit Ungarn und vor allem
im 20. Jahrhundert trat in der „cisleithanischen“ Hälfte immer mehr die Identifikation mit dem
Kronland hinter das ethnisch-nationale Bewusstsein zurück, wodurch sich Interessensgruppen
vermehrt nach nationalen Gesichtspunkten zusammensetzten und dementsprechend agierten.52 Der
ungarische Historiker Istvan Deak verortet die Gründe für die innenpolitischen Konflikte des 19.
Jahrhunderts weniger in nationalen als vielmehr in sozialen Belangen:
„I would argue that there were no dominant nationalities in the Austro-Hungarian
monarchy. There were only dominant classes, estates, institutions, interest groups and
professions. True, German and Magyar nationals formed the majority of these dominant
strata of society, but the benefits they derived from their priviledged position were not
shared by the lower classes of their own nationality.“53
Im Zuge des Inkrafttretens des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches von 1812 und der
Beseitigung der letzten feudalen Strukturen mit der Bauernbefreiung 1848/49 waren alle
48 Vgl. Robin Okey, The Habsburg Monarchy 1765-1918. From Enlightment to Eclipse. Basingstoke u.a. 2001: S. 297.49 Vgl. Judson, Habsburg: S. 331f.50 Vgl. Ebenda: S. 15f.51 Vgl. Ebenda: S. 205f.52 Vgl. Gerald Stourzh, Die dualistische Reichsstruktur, Österreichbegriff und Österreichbewusstsein 1867-1918
(1991). In: Christian Brünner/Wolfgang Mantl/Manfried Welan (Hgg.), Gerald Stourzh. Der Umfang der österreichischen Geschichte. Ausgewählte Studien 1990-2010. Wien/Köln/Weimar 2011. S. 105-124: S. 121.
53 Istvan Deak, Comments. In: Austrian History Yearbook Bd 3. Nr. 1. 1967. S. 303-308: S. 303.
17
Bürgerinnen und Bürger rechtlich gleichgestellt, was allerdings wenig an der sozialen
Ungerechtigkeit und der fehlenden Partizipationsmöglichkeit für die breite Gesellschaft an
politischen Prozessen änderte. Robert Musil meinte in seinem „Mann ohne Eigenschaften“ dazu in
treffender Weise: „Vor dem Gesetz waren alle Bürger gleich, aber nicht alle waren eben Bürger.“54
Auch wenn sich Vertreter der privilegierten Klassen an nationalen Bewegungen beteiligten und
mehrheitlich der deutschen oder ungarischen Sprachgruppe angehörten, so spielte doch auch das
Interesse, den Einfluss der eigenen sozialen Stellung zu zementieren, eine erhebliche Rolle. Der
Nationalismus innerhalb der Habsburgermonarchie war vielmehr politischer als ethnischer Natur.55
Der Ausgleich mit Ungarn bestand dabei ebenso primär in einem Arrangement mit den ungarischen
Eliten, denen die politische und gesellschaftliche Führung und innenpolitische Gestaltungsfreiheit
im mehrheitlich nicht-magyarisch bewohnten „Transleithanien“ überantwortet worden war, um im
Gegenzug die Unterstützung dieser ungarischen Eliten in der gemeinsamen Außenpolitik und der
Armee sicherzustellen.56 Erst nach dem Ausgleich wurde der Nationalismus vor allem in der
ungarischen Reichshälfte stärker ethnisch aufgeladen, was sich beispielsweise in den rigorosen
Sprachgesetzen oder der Vermeidung von Wahlrechtsreformen äußerte, um die überproportional
hohe Vertretung magyarischer Parlamentsabgeordneter zu konservieren.57 Allerdings muss auch in
dieser Hinsicht wieder der soziale Aspekt mitbedacht werden, da in den 1860ern die überwiegende
Mehrheit und 1914 noch die relative Mehrheit dieser Delegierten Angehörige des besitzenden Adels
waren, die Hälfte aller ungarischen Staatsminister von 1867 bis 1918 von Adeligen gestellt wurde
und es in diesem gesamten Zeitraum mit Sandor Wekerle nur einen einzigen nicht-adeligen
Ministerpräsidenten gab.58 Diese Überrepräsentation des ungarischen Adels stellte für europäische
Verhältnisse einen Sonderfall dar und stand damit auch im Unterschied zur „österreichischen“
Reichshälfte.59 Es handelte sich beim Nationalismus also immer zumindest auch ein Stück weit um
das Zementieren des Einflusses der gesellschaftlichen Oberschicht. Aufgrund der rechtlichen
Gleichstellung seiner Bürger und dem allumfassenden Geltungsbereich der Gesetze avancierte das
Habsburgerreich allerdings in einigen Bereichen zum „'modernsten' und 'zivilsten' unter den
Imperien“60. Ebensowenig wie auf das gesellschaftliche Leben, hatten die Nationalitätenkonflikte
Einfluss auf die Großmachtstellung der Donaumonarchie, die sie bis zum Ende des Ersten
Weltkriegs in ihrer für die europäische Staatenwelt bedeutenden Position erfolgreich behaupten,
54 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften. Hamburg 22015: S. 33.55 Vgl. Judson, Habsburg: S. 24.56 Vgl. Dominic Lieven, Empire. The Russian Empire and its rivals from the sixteenth century to the present. London
2003: S. 160f.57 Vgl. Ebenda: S. 342f.58 Vgl. Okey, Habsburg Monarchy: S. 315.59 Vgl. Judson, Habsburg: S. 343.60 Osterhammel, Verwandlung der Welt: S. 626.
18
wenn auch als zweitschwächste Großmacht nicht weiter ausbauen konnte.61 In diesem
Zusammenhang sei einmal mehr Robert Musil zitiert, der konstatiert: „man gab Unsummen für das
Heer aus, aber doch gerade so viel, daß man sicher die zweitschwächste der Großmächte blieb.“62
Das Habsburgerreich des 19. Jahrhunderts war in seiner wirtschaftlichen, technologischen,
demographischen und gesellschaftlichen Entwicklung sowie in seinem Status als europäische
Großmacht also alles andere als ein morsches Gebilde, das kurz vor dem Zusammenbruch stand.
Schließlich war nicht ein vermeintlicher Niedergang Österreich-Ungarns die Ursache des Ersten
Weltkriegs, sondern umgekehrt, der Zusammenbruch die Folge des Ersten Weltkriegs.63 Diese
Tatsachen täuschen allerdings nicht darüber hinweg, dass das Habsburgerreich auch im 19.
Jahrhundert trotz seiner Zentralisierungs- und Vereinheitlichungstendenzen ein sehr heterogenes,
uneinheitliches Staatsgebilde darstellte, mit auf historischen Landesrechten fußenden
Verwaltungspraktiken in den unterschiedlichen Kronländern. Trotz der Zurückdrängung der
ständischen Partikulargewalten durch absolutistische und zentralistische
Vereinheitlichungsmaßnahmen blieben die Konturen der ständischen Landes-Kompetenzen auch im
19. Jahrhundert großteils unverändert.64 Gerald Stourzh weist in seinen Studien zum Verhältnis der
Länder und des österreichischen Gesamtstaates darauf hin, dass auch nach dem Februarpatent, das
er als „weniger 'zentralistisch', als es jahrzehntelange Lehrbuchclichés vermuten lassen“,65
bezeichnet, die Landesordnungen dem gesamtstaatlichen Reichsrat keineswegs untergeordnet,
sondern lediglich gleichgeordnet waren.66 Ein Eingriff in die Landesordnung war schließlich nur
durch eine Zweidrittelmehrheit des jeweiligen Landtags selbst möglich, also nicht durch den
zentralen Reichsrat.67 Außerdem war die Donaumonarchie im Hinblick auf die Nationsbildung ihrer
Titularnation „das altertümlichste aller Reiche und daher nicht zufällig unter den ersten, die von der
Landkarte verschwanden“68. Umgekehrt führte das „Erwachen“ des Nationalbewusstseins vor allem
der Polen, Tschechen und insbesondere der Ungarn zu vermehrten Spannungen und Druck auf die
Regierung. Ungarn spielte hierbei eine Sonderrolle, da es zwischen 1815 und 1848 eine gänzlich
andere Entwicklung durchmachte als der Rest des Habsburgerstaates und das einzige Territorium
war, das eine breit aufgestellte Opposition vorweisen konnte.69 In die Wege geleitet wurde diese
Sonderentwicklung Ungarns mit dem Verzicht Maria Theresias, ihre durchgreifenden Reformen
61 Vgl. ebenda: S. 677.62 Musil, Mann ohne Eigenschaften: S. 33.63 Vgl. Osterhammel, Verwandlung der Welt: S. 677.64 Vgl. Robert Kann, Geschichte des Habsburgerreiches 1526-1918. Wien/Köln 1990: S. 166.65 Stourzh, Länderautonomie und Gesamtstaat: 50.66 Vgl. Ebenda: S. 51.67 Vgl. Ebenda.68 Vgl. Osterhammel, Verwandlung der Welt: S. 626.69 Vgl. Judson, Habsburg: S. 198.
19
auch auf Ungarn in vollem Maße anzuwenden.70 Mit den kurzlebigen Aprilgesetzen und schließlich
mit dem sogenannten Ausgleich mit Ungarn 1867 war die innenpolitische Autonomie und die De-
facto-Existenz zweier Staaten der Schlusspunkt dieser Zentrifugal-Bewegung und das Ende des
Gesamtstaats, der zudem die slawische Bevölkerung sowie die nicht-magyarischen Minderheiten
„Transleithaniens“ teilweise entfremdete und aufgrund der offiziellen Bezeichnungen der
Habsburgermonarchie die Identifikation mit dem Staat nicht gerade förderte.
Auffassungsunterschiede zwischen „westlicher“ und „östlicher“ Reichshälfte bezüglich der
Zugehörigkeit Ungarns zum „österreichischen“ Gesamtstaat führten zu sperrigen und
ausweichenden Termini wie „die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ als offizielle
Bezeichnung „Cisleithaniens“, in der Hoffnung den Terminus „Österreich“ als Bezeichnung für den
Gesamtstaat der Habsburgermonarchie doch noch retten zu können.71 Das Festhalten an
„Österreich“, synonymisch für den Gesamtstaat, mündete in Wortneuschöpfungen wie den
„Westösterreichischen Ländern“ als Pendant zur „ungarischen Reichshälfte“.72 Obwohl sich der
Terminus „Westösterreich“ aufgrund seiner Mängel nie hatte durchsetzen können, war er 1867
sogar in der Presse mehrfach verwendet worden.73 Dieser Zweiteilung, die hauptsächlich
innenpolitischer Natur und mit weitreichender Autonomie verbunden war, muss andererseits
entgegengehalten werden, dass mit dem Militär eines der wesentlichsten Kriterien eines
eigenständigen Staates im Gewaltmonopol des Gesamtstaates verblieb, wie Ernst Bruckmüller
bemerkt.74 Gerade für einen Staat von imperialem Charakter wie der Donaumonarchie war die
(gemeinsame) Armee ein bedeutendes supranationales Identifikationsmerkmal. Dessen ungeachtet
übten auch die Institutionen, gesellschaftspolitische Ereignisse wie Wahlen und die Dynastie eine
nicht zu unterschätzende Integrationskraft auf die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und die
einzelnen Nationalitäten aus.75 Karin Schneider verweist in ihrer Untersuchung zum
österreichischen Gesamtstaat darauf, dass die Zentralisierung zur Schaffung eines Gesamtstaats
gerade in der als österreichischer Neoabsolutismus bekanntgewordenen Epoche von 1849 bis 1867
forciert wurde und nach ihrer Einschätzung wenn, dann in diesem Zeitraum von einem
österreichischen Gesamtstaat gesprochen und dieser auch solcher bezeichnet werden könne.76
Dieser kurzlebige Gesamtstaat fand in den militärischen Niederlagen 1859 und 1866, die Franz
Joseph zu konstitutionellen und föderalistischen Kompromissen und schließlich dem Ausgleich mit
70 Vgl. Ebenda: S. 69.71 Vgl. Zöllner, Österreichbegriff: S. 64ff.72 Vgl. Stourzh, Dualistische Reichsstruktur: S. 109.73 Vgl. Ebenda.74 Vgl. Bruckmüller, Österreichbegriff : S. 259.75 Vgl. Judson, Habsburg: S. 21f.76 Vgl. Schneider, Monarchische Union: S. 49.
20
Ungarn zwangen, und der daraus resultierenden instabilen Finanzsituation sein Ende.77 Berger
Waldenegg weist in diesem Zusammenhang auf die wenig erforschten Gründe für das Ende dieser
Ära hin und wirft die Frage auf, ob die Abkehr vom Neoabsolutismus primär auf endogene oder
exogene Ursachen zurückzuführen sei.78 Der einheitliche Gesamtstaat war also insofern etwas
durchaus Reales oder real Durchführbares, als die Habsburger seit der Regierung Maria Theresias
und Josephs II. bis hin zu Franz Joseph ihre Länder mit zahlreichen Reformen zu zentralisieren und
zu vereinheitlichen versuchten, um auf diese Weise einen modernen österreichischen Staat zu
schaffen. Auch wenn die Maßnahmen des österreichischen Neoabsolutismus, einen zentralen
Gesamtstaat durchzusetzen, letztendlich nicht von Erfolg gekrönt waren und auch die Verbreitung
eines großösterreichischen Nationalgefühls scheiterte,79 existierte dennoch die Idee zur Schaffung
von selbigem. Es ist der Prozess und die Genese des österreichischen Staats, die sich in Richtung
eines Gesamtstaats vollzog, auch wenn diese Entwicklung ohne einen erfolgreichen Endpunkt war
und mit dem Ausgleich 1867 sogar in eine gegenteilige Richtung umschlug, die dem Gesamtstaat
abträglich war. So sah beispielsweise auch Hermann Ignaz Bidermann, der in seinem Werk der
langen Tradition und der Entwicklung des Gesamtstaats sein Augenmerk widmete, diesen auch zu
seiner Zeit noch nicht völlig verwirklicht, wenn auch auf gutem Wege dahin.80 Diese historische
Manifestation bot allenfalls genügend Imaginationskraft, um als visionäre Idee die Geister von
Intellektuellen, Politikern und Historikern zu beschäftigen. Allen voran Franz Krones, der der
wichtigste Vertreter der Gesamtstaatsidee in der geschichtswissenschaftlichen Bearbeitung und der
erste Historiker war, der eine Gesamtdarstellung der österreichischen Geschichte in „einem Guss“
und unter der Berücksichtigung aller Territorien und Gebiete in einem ausgewogenen
Mischverhältnis zwischen Länder- und Gesamtstaatsgeschichte geschaffen hat.
77 Vgl. Judson, Habsburg: S. 320.78 Vgl. Berger Waldenegg, Vaterländisches Gemeingefühl: S. 161.79 Vgl. Hans Peter Hye/Brigitte Mazohl/Jan Paul Niederkron/Arnold Suppan, Einleitung. In: Hans Peter Hye/Brigitte
Mazohl/Jan Paul Niederkorn (Hgg.), Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs. Wien 2009. S. 3-19: S. 16.
80 Vgl. Hermann Ignaz Bidermann, Geschichte der österreichischen Gesammt-Staats-Idee. Bd. 1. Innsbruck 1867: S. I.
21
3 Die Voraussetzungen für die Gesamtstaatsgeschichte
Dieser Eindruck der zeitgenössischen und auch heutigen Fachwelt, dass Franz Krones aufgrund
seines biographischen Profils, seiner Sprachkenntnisse und Forschungsschwerpunkte prädestiniert
für die Aufgabe einer Gesamtgeschichte des österreichischen Staats war, mag durch das Fehlen
einer solchen bis dato verstärkt worden sein. Selbstverständlich beruht das „Handbuch“ auf
zahlreichen Vorarbeiten, denen zwar der durchschlagende Erfolg verwehrt blieb, die jedoch das
Fundament für das Werk von Franz Krones bildeten. Die Bedeutung und Wirksamkeit historischer
Darstellungen in staatspolitischen Diensten, um patriotische Stimmungen auszulösen, wurde bereits
während der Koalitionskriege unter Metternich als Instrument erkannt.81 Auch vor der
Verwissenschaftlichung der Geschichtsdisziplin und der Einführung der Österreichischen
Geschichte als Gegenstand an den österreichischen Universitäten Mitte des 19. Jahrhunderts hatte
es an historischen Erzählungen nicht gemangelt, deren Autoren fehlte allerdings meist das
methodenorientierte und systematische Handwerk der Geschichtswissenschaft. Freilich bildeten
diese Geschichtswerke trotz ihrer Mängel ebenfalls ein wichtiges Fundament für die Tradition der
geschichtlichen Darstellungsweise und beeinflussten auch die künftigen Werke der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts in ihren Textelementen und Textstrategien, die oft übernommen wurden.82 Dem
Tempo der revolutionären Neuerungen und der Verwissenschaftlichung, welche die
Geschichtswissenschaft im Laufe des 19. Jahrhunderts durchlief, konnten die historischen
Darstellungen der Österreichischen Geschichte nicht folgen, welche den neuen methodischen und
wissenschaftlichen Ansprüchen der Zeit nicht mehr gerecht wurden. Der Bildungsminister Leo
Thun-Hohenstein, der diese Verwissenschaftlichung mit seinen tiefgreifenden Bildungsreformen in
den 1850ern förderte und das Wesen der Schule und Universität nachhaltig prägte, hatte die
Bedeutung und Aufgabe der Geschichtswissenschaft für die Entwicklung und Förderung des
Staatsgedankens erkannt. Die Versäumnisse in diesem Bereich versuchte er angefangen bei der
Bestellung von Albert Jäger nach Wien 1851 aufzuholen.83 Die Absicht des
Unterrichtsministeriums, die Geschichtswissenschaft zum Entstehen, der Verbreitung und
Intensivierung eines gesamtösterreichischen Geschichts- und Nationalbewusstseins zu nutzen,
bringt der Historiker Fritz Fellner treffend auf den Punkt:
81 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S.197f.82 Vgl. Brigitte Mazohl/Thomas Wallnig, (Kaiser)haus – Staat – Vaterland? Zur „österreichischen“ Historiographie vor
der „Nationalgeschichte“. In: Hans Peter Hye/Brigitte Mazohl/Jan Paul Niederkorn (Hgg.), Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs. Wien 2009. S. 45-71: S. 46f.
83 Vgl. Lhotsky, Historiographie: 164f.
22
„Helferts Programm des systematischen, auf wissenschaftlicher Forschung und
Ausarbeitung einer großen Staatsgeschichte ausgerichteten gesamtösterreichischen
Geschichtsbewußtseins ist im Grunde genommen der Versuch einer ideologischen
Untermauerung der in dem Jahrzehnt des Neoabsolutismus versuchten Neuordnung der
Habsburgermonarchie auf der Basis einer alle Länder des Reiches umfassenden modernen
Verwaltungsbürokratie. Der Geschichtswissenschaft war die Aufgabe, ja Verpflichtung
zugedacht, nicht nur durch organisierte Forschung Instrument für die Schaffung eines
gesamtösterreichischen National- und Staatsbewusstseins zu sein, sondern in Lehre und
Publikation dieses Bewußtsein in allen Schichten der Bevölkerung abzusichern und
festzuschreiben“84
Zur Erreichung dieses Ziels musste die Regierung mit der Schaffung von entsprechenden
Institutionen, die einen streng methodischen und modern wissenschaftlichen Betrieb in der
Auseinandersetzung mit der Quellenforschung ermöglichen sollten, reagieren. Es waren liberale
Reformen nötig, um konservative Ziele umzusetzen. Wichtige Meilensteine waren in diesem
Hinblick die Gründung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 1847 und besonders die
Einrichtung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 1854.85 Auch nach der
zeitgenössischen Meinung des Historikers Franz Martin Mayer stellte die Einrichtung dieser beiden
Institutionen einen wichtigen Meilenstein für die österreichische Geschichtswissenschaft dar, was
einen erheblichen wissenschaftlichen Aufschwung nach sich zog.86 Gerade die Akademie wird in
dieser Hinsicht als bedeutendste wissenschaftliche Institution für Forschungs- und
Editionstätigkeiten sowie der Vernetzung unterschiedlicher Wissenschaftler und Gelehrtenkreise vor
dem Thun-Hohenstein'schen Reformwerk angesehen, in einer Zeit, als die Universitäten der
Habsburgermonarchie keinen auch nur vergleichbaren Output erzielen konnten.87 Wie Ernst es dem
Thun'schen Unterrichtministerium mit diesem Vorhaben war, verdeutlicht die Anstellung des
protestantischen Dr. Theodor Sickel, der sich im Jahr 1848 auf Seiten der Revolutionären engagiert
hatte, zum Dozenten und später a.o. Professor für die Geschichte des Kaiserstaates, was für die
Personalpolitik von Graf Thun unüblich war.88 Meist urteilte Thun nach konfessionellen und
politischen Gesichtspunkten und entschied sich tendenziell eher für katholisch-konservative
84 Fellner, Geschichte als Wissenschaft: S. 169f.85 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 152 u. 165.86 Vgl. Franz Martin Mayer, Geschichte Österreichs mit besonderer Rücksicht auf das Culturleben. Bd. 2.
Wien/Leipzig 21901: S. 748f.87 Vgl. Walter Höflechner, Forschungsorganisation und Methoden der Geschichtswissenschaft. In: Karl Acham (Hg.),
Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 4. Geschichte und fremde Kulturen. Wien 2002. S. 217-238: S. 220.
88 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 166.
23
Anwärter auf wichtige Universitäts-Posten.89
3.1 Der zeitgenössische Diskurs
Als Unterstaatssekretär im Ministerium Graf Thuns machte Joseph Alexander Freiherr von Helfert
in zahlreichen Vorträgen und Schriften auf die Missstände im Bildungsbereich aufmerksam und
förderte und forderte Institutionen zur Schaffung einer Grundlage für das Entstehen einer
Gesamtdarstellung der österreichischen Geschichte im staatlichen Interesse der supranationalen
Einheitsauffassung.90 Mit der Gründung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
wurde der Grundstein zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Gesamtstaatsgeschichte
gelegt, die sich nicht lediglich aus der Summe der Ländergeschichten zusammensetzen, sondern
sich als Gegenpol zu den zentrifugalen und national konnotierten Geschichtsauffassungen
positionieren sollte.91 In seiner Schrift „Über Nationalgeschichte und den gegenwärtigen Stand ihrer
Pflege in Oesterreich“ definierte Helfert den Begriff Nationalgeschichte hinsichtlich seiner
inhaltlichen Bedeutung, seinen Anforderungen und Schwierigkeiten, auf die es zu achten gelte. Es
war dies daher ein Appell und ein Leitfaden für Historiker zugleich, wie diese Nationalgeschichte
nach staatlichen Vorgaben inhaltlich und formal auszusehen habe. Als Kernpunkt bei der Pflege der
Nationalgeschichtsschreibung legte Helfert die Betonung auf ein „Groß-Österreich[, das] eine
providentielle Nothwendigkeit ist, nicht allein im System des staatlichen Gleichgewichts von
Europa, […] sondern eben so sehr im Interesse, zum Heile und Gedeihen jedes einzelnen der
verschiedenen Bestandtheile, aus denen es im Laufe der Zeiten zu einem mächtigen
Gesammtorganismus zusammenwuchs“92. Er sprach darin nicht nur Österreichs Großmachtstatus
und die Einheit des organisch gewachsenen Gesamtstaats an, sondern er verlangte nach einer
Sinnstiftung der Existenz Österreichs. Der österreichische Historiker Joseph Chmel schlug
dahingehend in die gleiche Kerbe, der Österreich in seiner multiethnischen Zusammensetzung als
„glänzendes Beispiel, dass Humanität höher stehe als Nationalität“93, sah. Ähnlich wie bei der
fiktiven, sogenannten „Parallelaktion“94 in Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“, wurde
Österreich als eine Art Idee mit moralischen und zivilisatorischen Aufgaben verstanden, womit der
89 Vgl. Alois Kernbauer, Multiethnizität und Deutschsprachigkeit. Zur Charakterisitk der „Scientific Community“ im Habsburgerreich. In: Siegfried Beer/Edith Marko-Stöckl/Marlies Raffler/Felix Schneider (Hgg.), Focus Austria. Vom Vielvölkerreich zum EU-Staat. Festschrift für Alfred Ableitinger zum 65. Geburtstag. Graz 2003. S. 130-141: S.134.
90 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 198.91 Vgl. Schennach, Gesamtstaatsidee: S. 12.92 Helfert, Nationalgeschichte: S. 54.93 Joseph Chmel, Die Aufgabe einer Geschichte des Österreichischen Kaiserstaates. Ein Vortrag, gehalten an der
feierlichen Sitzung der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften am 30. Mai 1857. Wien 1857: S. 4.94 Vgl. Musil, Mann ohne Eigenschaften: S. 78f. u. 87.
24
Existenz der Habsburgermonarchie eine tiefere Bedeutung und Berechtigung seines Bestehens
einzuhauchen versucht wurde. Chmel zählte zu den Aufgaben Österreichs, das für ihn der „von der
göttlichen Vorsehung berufene Staat des Rechts, der Cultur“95 war, „die Wahrung des Rechts, die
Erhaltung des Friedens, de[n] Wetteifer im Streben nach Gütern, die edlerer Natur sind“96.
Vor allem nach dem Ausscheiden Österreichs aus dem deutschen Raum und in Folge des
Ungarischen Ausgleichs von 1867 musste sich die Habsburgermonarchie neu orientieren, neu
identifizieren und ihrer Existenz eine neue Idee geben. Die Orientierung Richtung Balkan und den
Osten wurde innerhalb der Habsburgermonarchie vielfach als kulturelle, zivilisatorische Aufgabe
im Interesse Europas interpretiert, beispielsweise diese Gebiete auf europäisches Niveau zu heben.97
Bezeichnenderweise vermisst Alphons Lhotsky, einer der prägendsten österreichischen Historiker
der Nachkriegszeit,98 eben diese Fähigkeit der österreichischen Geschichtsschreibung des 19.
Jahrhunderts, den Ist-Zustand des Habsburgerreichs zu beschreiben und seine Aufgaben, seinen
Sinn und seine Zukunft deuten zu können.99 Interessant ist an dieser Stelle, dass er dies Franz
Krones und seinem „Handbuch“ ebenso abspricht und dabei kritisiert, dass selbiger „gar nichts
anderes beweisen wollte als Tatsachen, für nichts warb, nichts verteidigte und darum zwar als
Muster gewissenhafter und leidenschaftsloser Datensammler (…) denkwürdig bleiben wird, deren
Funktion im Bereiche der staatlichen Selbsterkenntnis jedoch minimal genannt werden darf“100.
Eine Defensiv-Strategie wurde vor allem in der Umdeutung des Vielvölkerstaats von einer
Schwäche hin zu einer Stärke verwendet. Helfert erachtete die multiethnische Beschaffenheit des
Österreichischen Kaiserstaats wie Joseph Chmel als ein stärkendes Element, insofern, als der
Zusammenschluss dieser geographisch, kulturell und historisch eng verwandten Völkerschaften
zugunsten eines größeren Staatsgebildes einem rationalen Gedanken des Nutzens für alle
entsprungen sei, wie in dem obigen Ausspruch mitschwingt. Auch viele weitere zeitgenössische
Wissenschaftler, Autoren und Intellektuelle wie Ernst von Schwarz, Karl von Czörnig oder der
Orientalist Joseph von Hammer-Purgstall erachteten den Multilingualismus Österreichs und in
Abgrenzung zu anderen vielsprachigen Staaten, wie dem Russische Zarenreich oder dem British
Empire, auch die Gleichbehandlung der Sprachgruppen und Bürger als Spezifikum und Stärke der
Habsburgermonarchie.101 In seinen Werken betonte Helfert diese Besonderheit der Donaumonarchie
95 Chmel, Aufgabe: S. 4.96 Ebenda.97 Vgl. Hugo Hantsch, 1866 und die Folgen. In: Peter Berger (Hg.), Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867.
Vorgeschichte und Wirkungen. Wien/München 1967. S. 51-63: S. 58.98 Vgl. Alois Kernbauer, Zur Historiographiegeschichte der Humanwissenschaften. In: Karl Acham (Hg.), Geschichte
der österreichischen Humanwissenschaften. Bd.4. Geschichte und fremde Kulturen. Wien 2002 S. 263-305: S. 289.99 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 199. 100 Ebenda: S. 200f.101 Vgl. Judson, Habsburg: S. 307-312.
25
immer wieder mit Nachdruck. „Nicht Oesterreichs Schwäche, nein, seine Stärke liegt in dessen
verschiedenen Nationalitäten, dafern es dieselben nach Gebühr zu würdigen und zu behandeln
versteht.“102 Helfert wollte die Vielfalt der Nationalitäten und Sprachgruppen als Vorteil verstanden
wissen und unterstrich einmal mehr die Wichtigkeit, die Bevölkerung der Habsburgermonarchie in
ihrer vielschichtigen Gesamtheit sichtbar zu machen und das Verständnis und die Kenntnis der
einzelnen Nationalitäten bei allen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu steigern. Erst durch
dieses Sichtbarmachen und „Würdigen“ aller Nationalitäten könne die Habsburgermonarchie diese
Vielfältigkeit als Stärke voll ausspielen. Dies geschieht nach dem Motte „Einheit in der Vielfalt“103 ,
dem auch Helfert in seinem supranationalen Österreichbewusstsein verhaftet war. Um das
Unverständnis dem habsburgischen Vielvölkerreich gegenüber, das Helfert seinen ausländischen
Zeitgenossen immer wieder vorwarf,104 auszuräumen, suchte er seine Argumentation mit einem
antiken Vergleich zu untermauern. Ganz an den Anfang seiner Abhandlung der
„Nationalgeschichte“ stellte Helfert bezeichnenderweise eine Analogie zum Imperium Romanum,
welches trotz seiner ethnischen Buntheit auf das römische Bürgerrecht als starkem
Identifikationsmerkmal vertrauen habe können und so zu seinem bekanntlichen zivilisatorischen,
militärischen und kulturellen Weltruhm gelangt sei.105 Mit diesem Vergleich, der möglicherweise
auch auf die Kontinuität der antiken Kaiserwürde und der römisch-deutschen Kaisertitulatur der
Habsburger aus der Vergangenheit, einer Art österreichischen translatio imperii, anspielte, suchte
Helfert die Überbetonung der Nation nach sprachlichen Kriterien mit einem historischen Beispiel zu
entkräften. Zur Nationalgeschichte überleitend unterstrich er in diesem Sinne das Hintanstellen der
Geschichte eines der Völker zugunsten einer gleichwertigen Gesamtdarstellung aller ethnischen
Gruppen der Habsburgermonarchie.106 In einem Vortrag, der der Veröffentlichung der
„Österreichischen Geschichte für das Volk“ voranging, untermauerte Helfert diese Position, die für
ihn allerdings nicht das Unsichtbarmachen und Ignorieren der unterschiedlichen Ethnien bedeutete:
„Denn dieses Gemeingefühl, dieses großösterreichische Bewußtsein soll nicht dadurch
geschaffen werden, daß man das Bewußtsein und das Selbstgefühl der einzelnen Länder und
Völker verkennt oder unterdrückt, sondern nur dadurch, daß man es erhebt und in einem
gemeinsamen Brennpunkt sammelt. In der österreichischen Gesammtgeschichte soll der
Dalmate wie der Bukowiner, der Tiroler wie der Siebenbürger seine Heimat finden, aber
102 Joseph Alexander Frh. von Helfert, Fünfzig Jahre nach dem Wiener Congresse von 1814-1815. Mit besonderem Hinblick auf die neuesten österreichischen Zustände. Wien 1865: S. 63.
103 Vgl. Stachel, Die Harmonisierung nationale-politischer Gegensätze und die Anfänge der Ethnographie in Österreich. In: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 4. Geschichte und fremde Kulturen. Wien 2002. S. 323-367: S. 323.
104 Vgl. Helfert, Wiener Congress: S. 62.105 Vgl. Ders., Nationalgeschichte: S. 1.106 Vgl. Ebenda: S. 1f.
26
nicht erst von dem Augenblicke an, wo dieselbe mit dem 'Stammlande' dauernd vereinigt
worden ist, sondern von den ersten Anfängen der Geschichte an, die in stufenweiser
Entwicklung eben zu jener Vereinigung geführt hat“107
Dass Ziel der Entwicklungen sollte die Vereinigung mit Österreich sein, nicht aber der Beginn der
Geschichte Österreichs. Für Helfert war es von Bedeutung, dass der Übergang der einzelnen Länder
in den Herrschaftsbereich der Habsburger nicht wie eine Fremdherrschaft wirkte. Im Mittelpunkt
stand demnach der Prozess der Staatswerdung Österreichs, das erst mit dem Zuwachs seines
jüngsten Kronlands komplettiert würde. Trotz der präzisen und durchdachten Vorstellungen Helferts
standen diesem Vorhaben noch zahlreiche Hindernisse im Weg, die auch bei der Publikation der
„Österreichischen Geschichte für das Volk“ keineswegs gelöst waren. Aus seinen Erfahrungen
heraus, die er in den Jahren seines Engagements in diesem Bereich gesammelt hatte, verortete
Helfert das Hauptproblem für eine Gesamtgeschichte in der unzureichenden und verspäteten
Sammlung und Bearbeitung des Quellenmaterials, dessen Auswertung aufgrund der sprachlichen
Verschiedenheit und des immensen Umfangs zusätzlich erschwert war.108
„Wir können keine umfassende Nationalgeschichte verlangen, weil die vielseitigen
Materialien dazu noch nicht in übersichtlicherweise vor uns bereit liegen, wie in den
großartigen Sammelwerken, die in Russland theils schon vollendet sind, theils der
Vollendung entgegen sehen.“109
3.2 Die geschichtswissenschaftlichen Vorarbeiten
Selbst Franz Krones, der als erster Historiker und Schöpfer einer wissenschaftlichen
Gesamtstaatsgeschichte gefeiert wurde, gestand im „Handbuch“ den Nachholbedarf in der
Bearbeitung der Quellen und damit einhergehend die Unzulänglichkeiten seines eigenen Werks ein.
Für das große Ziel, ein „allen Anforderungen entsprechendes Gesammtwerk über die Geschichte
Oesterreichs aus einem Gusse“, müsse erst noch „der Kreis provinzieller Vorarbeiten und
quellenmäßiger Monographien geschlossen, der Quellenvorrath in kritisch gesichteten
Textabdrücken gesammelt, die Urkundenmasse registrirt und bearbeitet“110 werden. Krones sah sein
„Handbuch“ also nicht als Endpunkt einer Entwicklung, als erfolgreichen Durchbruch eines bislang
immensen aber fruchtlosen Arbeitens zahlloser Historiker, vielmehr betonte er den nach wie vor
bestehenden Berg an unbearbeiteten Quellen. Diesen Aufholbedarf in der methodischen
107 Joseph Alexander Frh. von Helfert, Oesterreichische Geschichte für das Volk. Vortrag gehalten in der sechzehnten General-Versammlung des Vereins zur Verbreitung von Druckschriften für Volksbildung. Wien 1863: S. 15.
108 Vgl. Ebenda: S. 50ff.109 Ebenda: S. 63.110 Krones, Handbuch. Bd. 1: S. 61.
27
Quellenanalyse haben auch zahlreiche Historiker wie Joseph Chmel oder Max Büdinger erkannt,
die allerdings wegen des schieren Umfangs der Quellenarbeit resignierten. Dennoch leisteten sie
nebst anderen Historikern entscheidende Vorarbeit für Krones‘ Werk. Die Mehrheit der Historiker
in den 1850ern sah den Aufruf Helferts zur Abfassung einer wissenschaftlichen
Gesamtstaatsgeschichte als unvereinbar an, da entscheidende Pionierarbeiten und Quellenstudien
hierfür schlichtweg fehlten.111
3.2.1 Joseph Chmel
Allen voran war es Joseph Chmel, einer der bedeutendsten, aber zu Lebzeiten wenig geschätzten
österreichischen Historiker in dieser Zeit des wissenschaftlichen Umbruchs, der zu einem intensiven
Quellenstudium aufrief.112 Trotz intensiver Bemühungen und seinem hohen eigenen Engagement in
seiner Quellenforschung und Editionstätigkeit, mit dem großen Ziel, selbst eine Gesamtdarstellung
der österreichischen Geschichte zu schaffen, gestand er sich die Unmöglichkeit dieses Unterfangens
aufgrund des nicht zu bewältigenden Umfangs ein.113 Bis zuletzt gab er dieses Vorhaben, das er
selbst zu Lebzeiten nicht mehr zu realisieren imstande war, jedoch nicht auf, sondern setzte sich in
Vorträgen und Publikationen weiterhin für ein Zustandekommen einer Gesamtstaatsgeschichte in
naher Zukunft ein. Ähnlich wie Helfert steuerte er für dieses Vorhaben, abgesehen von seinen
erwähnten Editionen, eine Anleitung bei, wie eine solche Geschichte Österreichs inhaltlich und
formal auszusehen habe, auf welche Methoden, Schwerpunktsetzungen und Epochen dabei zu
achten sei. Obwohl kulturgeschichtliche Aspekte in der Geschichtswissenschaft des 19.
Jahrhunderts auf breite Ablehnung stießen, betrachtete Chmel die Kulturgeschichte als Österreichs
„wahre Geschichte“, der ein bedeutender Platz in der Gesamtstaatsgeschichte eingeräumt werden
müsse, um Österreich als einem „Culturstaat“ gerecht werden zu können.114 Damit griff Chmel dem
zweibändigen Werk Franz Martin Meyers voraus, der mit seiner „Geschichte Österreichs mit
besonderer Rücksicht auf das Culturleben“115 eine eben solche Schwerpunktsetzung verfolgte, wie
der Titel bereits verrät. Auch Franz Krones, der in seinem „Handbuch“ mit dem Untertitel „Mit
besonderer Rücksicht auf Länder-, Völkerkunde und Culturgeschichte“ in kulturgeschichtlicher
Hinsicht eine der Forderungen Chmels erfüllte, ist neben Mayer zu nennen. Wenngleich Joseph
Chmel das „Handbuch“ nicht mehr erlebt hat, ließ er sich von seiner optimistischen
Grundstimmung bezüglich des baldigen Glückens einer Gesamtstaatsgeschichte trotz des enormen
111 Vgl. Kernbauer, Multiethnizität: S. 132.112 Vgl. Ders., Konzeption: S. 259.113 Vgl. Ebenda: S. 259f.114 Vgl. Chmel, Aufgabe: S. 5.115 Mayer, Geschichte Österreichs. 2 Bde. Wien 1874.
28
Arbeits- und Zeitaufwands auch in seinem letzten Lebensjahr nicht mehr abbringen. Er hielt
nämlich „eine Geschichte des österreichischen Kaiserstaates als Ganzes nicht blos möglich, sie ist
auch die herrlichste Aufgabe“116.
3.2.2 Max Büdinger
Ebenso ehrgeizig wie Chmel und sogar noch akribischer in seinem Arbeiten nahm sich der deutsch-
österreichische Historiker Max Büdinger dieser Aufgabe an. Büdinger, der vor seiner Professur in
Wien ab 1872 im deutschen Marburg und in Zürich doziert hatte, legte 1858 seine vielbeachtete
„Österreichische Geschichte bis zum Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts“117 vor, das
ursprünglich als mehrbändiges und umfangreicheres Werk konzipiert war. Dieses Werk rief in seiner
streng wissenschaftlichen Methodik in der Fachwelt ein lautes Echo hervor und wurde von späteren
Historikern wie Oswald Redlich überaus positiv aufgenommen.118 Aufgrund dieser Charakteristika
musste Büdingers Werk auch auf politischer Ebene auf ein reges Interesse gestoßen sein. Der hohe
finanzielle Aufwand, den das Unterrichtsministerium in die Förderung einer Gesamtstaatsgeschichte
investiert hatte,119 schien sich durch Arbeiten wie die Büdingers langsam zu lohnen. Allerdings
scheiterte Max Büdingers ehrgeiziges Unterfangen an seiner Präzision und Genauigkeit im Detail,
da sein großangelegtes Werk in seiner Darstellung lediglich bis ins Mittelalter reichte und bereits
Mitte des 11. Jahrhunderts mit der Regentschaft Kaiser Heinrichs III. und des babenbergischen
Markgrafen von Österreich Adalbert abbrach,120 wodurch Büdinger nicht einmal das Versprechen
des Werkstitels, auch das gesamte 13. Jahrhundert abzudecken, einhalten konnte. In staatspolitischer
Hinsicht hatte das Werk den Vorstellungen des Ministeriums entsprochen, da Büdinger Wert auf
eine parallele Darstellung aller Völker der (späteren) Österreichischen Monarchie legte und die
Gemeinsamkeiten der drei großen Kernländer im Mittelalter bereits vor ihrem politischen
Zusammenschluss betonte.121 Denn diese Konzeption fand sich exakt in den Forderungen Helferts
wieder,122 natürlich nur soweit das Werk Max Büdingers zeitlich fortgeführt wurde. Bei Büdinger
wurde die Verbundenheit und Verwandtschaft dieser später „österreichischen“ Völkerschaften
gerade durch die zeitliche Konzeption vor der einenden Klammer der habsburgischen Dynastie
untermauert. Damit kann Büdingers Werk, welches laut Untertitel mit dem Auftreten des
Habsburger Rudolf I. und seiner Erlangung der Königswürde sowie der vormals babenbergischen
116 Chmel, Aufgabe: S. 5.117 Max Büdinger, Österreichische Geschichte bis zum Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts. Bd. 1. Leipzig 1858.118 Vgl. Kernbauer, Konzeption: S. 263.119 Vgl. Ebenda.120 Vgl. Büdinger, Österreichische Geschichte: S. 477-485.121 Vgl. Kernbauer, Konzeption: S. 263.122 Vgl. Helfert, Nationalgeschichte: S. 55f.
29
Länder sein Ende gefunden hätte, trotz seines mittelalterlichen Inhalts als Geschichte des
Gesamtstaates und aller seiner Völker gesehen werden. Entgegen seiner Ankündigung in der
Vorrede des ersten Bandes, einen zweiten Band in absehbarer Zeit hinterherschicken zu wollen,123
vollendete Büdinger dieses Vorhaben nie und es blieb bei diesem einen Band. Auch wenn Max
Büdinger seine „Österreichische Geschichte“ nur bis zum 13. Jahrhundert reichen lassen wollte und
somit keine zusammenhängende Gesamtdarstellung des Staates in zeitlicher Hinsicht zu bieten
gedachte, lieferte das Werk wichtige Ansätze für die Darstellungsweise der Länder der späteren
Donaumonarchie im Mittelalter und die gleichmäßige Beschreibung der „österreichischen“ Völker
sowie der Betonung auf deren enge kulturelle Verbindungen vor ihrer politischen Vereinigung.
3.2.3 Franz Martin Mayer
Kurz vor der Publikation von Krones‘ „Handbuch“ war das bereits erwähnte zweibändige
Geschichtswerk Franz Martin Mayers mit dem Fokus auf die Kulturgeschichte Österreichs
erschienen. Diese Schwerpunktsetzung stieß bei der zeitgenössischen Fachwelt auf breite
Ablehnung, welche die Fokussierung auf die politische Geschichte zur Leitlinie der Historiographie
erkoren hatte.124 Gemessen daran war es daher nicht verwunderlich, dass Mayers Werk auf wenig
Verständnis und Akzeptanz in der österreichischen Fachwelt stieß, welche die später publizierte
fünfbändige „Geschichte Österreichs“125 des Tiroler Historikers Alfons Huber mit ihrer rein
politischen Behandlung bevorzugte. Dennoch bleibt es erstaunlich, wie wenig Beachtung Mayers
„Geschichte“ im Gegensatz zu Krones‘ oder Hubers Werk fand, da ja ersterer ebenso eine
Berücksichtigung des Kulturlebens beherzigte. Während Krones viel gelobt und sogar nobilitiert
wurde, da die Regierung die Helfert'sche Vorgabe als erfüllt betrachtete, wurde Franz Martin Mayer
keinerlei Beachtung geschenkt.126 Dabei war Mayer eben wegen seines kulturgeschichtlichen
Schwerpunktes revolutionär, worunter er die Berücksichtigung von „staatsrechtlichen
Einrichtungen, von der Entwicklung der Stände, von der Wirtschaft des Volkes, also von der
Landwirtschaft, dem Bergbau, den Gewerben, der Handelsthätigkeit, von Sitten und Gewohnheiten,
von den Leistungen auf den Gebieten der Wissenschaft und der Kunst“127 verstand. Durch die
Vielfalt und Ausgewogenheit dieser verschiedenen Bereiche wurde Mayers Werk in einer
wohltemperierten Weise abgerundet, was die Bezeichnung „Gesamtgeschichte“ im wahrsten Sinne
123 Vgl. Büdinger, Österreichische Geschichte: S. Vf.124 Vgl. Kernbauer, Konzeption: S. 267.125 Alfons Huber, Geschichte Österreichs. 5 Bde. Gotha 1885-1896.126 Vgl. Kernbauer, Konzeption: S. 267.127 Mayer, Geschichte Österreichs. Bd. 1. 21900. S. V.
30
des Wortes rechtfertigte.128 Mag der Aufbau von Mayers Werk rund um das Jahr 1526, also ähnlich
wie bei Franz Krones‘ „Handbuch“, zum Zeitpunkt der Publikation keine neue Erfindung mehr
gewesen sein,129 diese Gesamtheit der unterschiedlichen Bereiche der österreichischen Geschichte
war es allemal. So attestierte Johannes Loserth dem Werk Mayers zwar einen gewaltigen Fortschritt
im Vergleich zu den vorangegangenen Werken zur österreichischen Geschichte, doch bemängelt er:
„[...] der lehrhafte Zweck tritt überall deutlich zu Tage, die Fassung ist eine knappe und nur das
Bedeutendste findet Beachtung“130 Hierin wurde auf Mayers Tätigkeit als Lehrer und Lehrbuchautor
verwiesen. Nur im Kontext dieser genannten Vorarbeiten akribisch arbeitender Historiker und durch
die staatlichen Förderungen und Ermunterungen hin zu einer Gesamtdarstellung der
österreichischen Geschichte von der Regierungsseite ausgehend kann die Bedeutung des
„Handbuchs“ Franz Krones‘ verstanden werden.
4 Franz Krones
Franz Xaver Krones von Marchland wurde im Jahr 1835 in Ungarisch-Ostrau in Mähren geboren
und absolvierte seine Gymnasialzeit in der mährischen Hauptstadt Brünn, bevor er sich für seine
weitere Ausbildung und akademische Laufbahn zuerst nach Wien und ins ungarische Kaschau, dann
nach Graz wandte.131 Nachdem Krones ursprünglich eine Stelle als Supplent an der Rechtsakademie
in Kaschau angetreten hatte, stieg er dort rasch zum außerordentlichen Professor für Österreichische
Geschichte auf.132 Constantin von Wurzbach vermerkte in seinem Lexikon-Eintrag zu Franz Krones,
dass selbiger seine Professur für Österreichische Geschichte in Kaschau aufgegeben habe, da seine
Situation als deutschsprachiger Professor in Ungarn nach dem föderalistischen Oktoberdiplom 1860
unhaltbar geworden sei und er sich daher um eine entsprechende Stellung in den deutschsprachigen
Ländern der Habsburgermonarchie bemühte habe.133 Im Zuge des Oktoberdiploms war es in Ungarn
zu schweren anti-österreichischen Ausschreitungen und Boykottbewegungen gekommen, da diese
Kompromisslösung sowohl von Zentralisten als auch von Föderalen abgelehnt worden war.134
Bereits in seinen Jahren in Kaschau hatte Krones‘ Vorhaben einer geschichtlichen
Gesamtdarstellung des österreichischen Staates Gestalt angenommen.135 Außerdem ist seine Zeit in
128 Vgl. Kernbauer, Konzeption: S. 267.129 Vgl. Ebenda.130 Loserth, Krones: S. 5.131 Vgl. Constantin von Wurzbach, Krones, Franz. In: Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Bd. 13. Wien 1865. S.
257f.: S. 257.132 Vgl. Helga Tomberger, Franz Krones Ritter von Marchland (1835-1902). Diss. Graz 1954: S. 16.133 Vgl. Wurzbach, Krones: S. 257.134 Vgl. Helmut Rumpler, Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der
Habsburgermonarchie (= Österreichische Geschichte 1804-1914). Wien 1997: S. 376.135 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 114.
31
Kaschau als a.o. Professor und seine wissenschaftliche Tätigkeit in Ungarn in ihrer Bedeutung nicht
zu unterschätzen, da er sich in diesem Lebensabschnitt in die ungarische Sprache und Geschichte
vertiefte, was ihn somit hinsichtlich seines weiteren Schaffens entscheidend prägte.136 Da auch das
zentralistisch orientierte Februarpatent, welches das Oktoberdiplom bereits im folgenden Jahr als
Verfassungsgrundlage weitestgehend abgelöst hatte, zu keiner Besserung geführt hatte,137 entschied
sich Krones für einen Wechsel nach Graz, wo er ab 1862 innerhalb weniger Jahre einen steilen
Aufstieg an der Grazer Universität hinlegte.138 Dieser rasante Aufstieg nahm seinen Anfang 1864
mit Krones‘ Antreten einer außerordentlichen Professur für Österreichische Geschichte, die in Graz
eben erst eingerichtet worden war, womit er der erste Inhaber dieses Lehrstuhls in Graz war.139 Im
darauffolgenden Jahr wurde er ordentlicher Professor für Österreichische Geschichte, die er bis zu
seinem Tod 1902 in Graz lehrte, zudem war er in seiner Laufbahn mehrmals Dekan und im
Studienjahr 1876/77 bekleidete er sogar das Rektorenamt an der Grazer Universität.140 Seine
fortschrittliche Haltung lässt sich unter anderen auch an seiner Tätigkeit als Kurator des Mädchen-
Lyzeums in Graz ablesen.141 Krones‘ Nobilitierung 1879 in Reaktion auf die Publikation seines
„Handbuchs der Geschichte Oesterreichs“, brachte den Titel „Ritter von Marchland“ mit sich, mit
dessen Wahl Krones auf seine mährische Herkunft verwies.142 Diese Erhebung in den Adelsstand
verdeutlichte das staatliche Wohlwollen, das Krones nach dem Erscheinen des „Handbuchs“
entgegengebracht wurde und zeigt, wie sehr Krones den nervus rerum der habsburgischen
Staatsideologie mit seinem Werk getroffen hatte.143 Darin vereinte er die Darstellung aller
habsburgischen Länder in einer chronologischen Gesamtgeschichte und legte den Fokus auf die
Vereinigung der drei Hauptländerkomplexe Österreich, Böhmen und Ungarn, somit das Werden des
„großösterreichischen“ Staates. Diese Schwerpunktsetzung im „Handbuch“ unterstrich er auch in
zahlreichen weiteren Publikationen. Die Fokussierung auf die Vereinigung dieser drei großen
Länderkomplexe rund um das Jahr 1526 sowie auf die Regentschaft Friedrichs III. tritt dabei klar
zutage. So steuerte Krones der „Österreichische Geschichte für das Volk“ als sechsten Band „Die
österreichischen, böhmischen und ungarischen Länder im Jahrhundert vor ihrer dauernden
Vereinigung 1437-1526“ bei,144 womit er sein Spezialgebiet abdeckte. Die zahlreichen
136 Vgl. Tomberger, Krones: S. 17.137 Vgl. Lothar Höbelt, Franz Joseph I. Der Kaiser und sein Reich. Eine politische Geschichte. Wien/Köln/Weimar
2009: S. 50ff.138 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 114f.139 Vgl. Tomberger, Krones: S. 18.140 Vgl. Erich Zöllner, Krones, von Marchland Franz. In: ÖBL. Bd. 4. Lfg. 19. 1968. S. 294: S. 294.141 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens: S. 282f.142 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 115.143 Vgl. Alois Kernbauer, Grazer Geschichtsforscher von europäischem Rang. In: Karl Acham (Hg.), Kunst und
Geisteswissenschaften aus Graz. Werk und Wirken überregional bedeutsamer Künstler und Gelehrter: vom 15. Jahrhundert bis zur Jahrhundertwende. Wien/Köln/Weimar 2009. 559-576: S. 568.
144 Franz Krones, Die österreichischen, böhmischen und ungarischen Länder im Jahrhundert vor ihrer dauernden
32
Publikationen zu Friedrichs III., oftmals im Kontext der Baumkircher-Fehde,145 scheinen die Worte
Helga Tombergers zu bestätigen, die von Krones‘ „Liebe zum Wesen und Wirken des Habsburgers
dieser bewegten Zeit, zu Friedrich III.“146, spricht. Zudem soll Krones die ernsthafte Absicht gehegt
haben, diesem Herrscher eine eigene Biographie zu widmen, wie sich aus seinen Aufzeichnungen
und Vorarbeiten aus dem Nachlass rekonstruieren lässt, wie aber auch durch Zeitgenossen wie
Johannes Loserth hervorging.147148 Es sollte allerdings bei einem Vorhaben bleiben, die Biographie
ging über die Anfangs-Arbeiten nicht hinaus. Als zweiten großen Schwerpunkt lassen sich seine
Arbeiten zur Revolution und Restauration zusammenfassen,149 deren starke Gewichtung bereits im
„Handbuch“ zu erkennen ist. Daneben widmete sich Franz Krones auch der Regional- und
Ländergeschichte. Dabei achtete er auf eine ausgewogene Mischung aus verschiedenen
Ländergruppen, um auf diese Weise die unterschiedlichen Provinzen der Monarchie möglichst
gleichwertig zu bearbeiten und als Teil eines großen Ganzen zu skizzieren. Allen voran fand die
(herzogtümlich-)österreichische und vor allem steirische Geschichte Eingang in das Werk
Krones‘.150 Häufig fungierten in seinen Arbeiten Herrscherpersönlichkeiten als Bindeglieder, welche
zumindest einen Teil der habsburgischen Länder zeitweise in einer Personalunion vereinen konnten,
wie etwa Ottokar II. von Böhmen.151 Dadurch sollte eine ethnisch-national geprägte
Geschichtsschreibung unter Bevorzugung einzelner Volksgruppen der Habsburgermonarchie
vermieden und auf kulturelle und politische Gemeinsamkeiten der Länder bereits vor den
Habsburgern verwiesen werden. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse des Tschechischen, Ungarischen
und Polnischen war Krones ebenfalls zur Auswertung von Quellen und Geschichtswerken in diesen
Vereinigung 1437-1526. In: Österreichische Geschichte für das Volk. Bd. 6. Wien 1864.145 Vgl. Ders., Alexander Baumkircher, Zur Geschichte der Steiermark vor und in den Tagen der Baumkircher-Fehde
1457-1471. In: Mitteilungen des Historischen Vereins für Steiermark 17. Graz 1869. S. 73-129. Ders., Zur Quellenkunde und Literatur der Geschichte Baumkirchers und der Baumkircherfehde. In: MIÖstGF 6 [Ergbd.]. 1901. S. 449-457.
146 Tomberger, Krones: S. 27.147 Vgl. ebenda.148 Vgl. Johannes Loserth, Franz von Krones. Ein Nachruf, gehalten bei Beginn der Vorlesungen am 23. Oktober 1902.
In: Zeitschrift des deutschen Vereins für die Geschichte Mährens und Schlesiens 7. Brünn 1903. S. 1-16: S. 15.149 Vgl. Franz Krones, Zur Geschichte Österreichs im Zeitalter der französischen Kriege und der Restauration 1792-
1816. Gotha 1886.Vgl. Ders., Tirol 1812-1816 und Erzherzog Johann von Österreich, zumeist aus seinem Nachlasse. Innsbruck 1890.Vgl. Ders., Aus dem Tagebuch Erzherzog Johanns von Österreich 1810-1815. Zur Geschichte der Befreiungskriege und des Wiener Kongresses. Innsbruck 1891.
150 Vgl. Ders., Verfassung und Verwaltung der Mark und des Herzogthums Steier von ihren Anfängen bis zur Herrschaft der Habsburger. Graz 1897.Ders., Die landesfürstlichen und landschaftlichen Patente der Herrscherzeit Maximilians I. und Ferdinands. I. (1493-1564), Mit besonderer Rücksicht auf die Steiermark, in: Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen 18. 1882. S. 117-146 u. 19. 1883. S. 3-73.Ders., Umrisse des Geschichtslebens der deutsch-österreichischen Ländergruppe in seinen staatlichen Grundlagen vom 10. bis 16. Jahrhunderte. Innsbruck 1863.
151 Vgl. Ders., Die Herrschaft König Ottokars II. von Böhmen in der Steiermark (1252-1276), In: Mitteilungen des Historischen Vereins für Steiermark 22. Graz 1874. S. 41-146.
33
Sprachen befähigt,152 was ihm die Tür für weitreichende Betätigungsfelder eröffnete. Die Werke zur
ungarischen Ländergeschichte bezogen sich hauptsächlich auf die Regierungszeiten von Maria
Theresia und Joseph II. sowie auf Franz Rakoczi II.153 Krones‘ Forschungsarbeiten zum ungarischen
Aufständischen und Habsburg-Gegner Franz II. Rakoczi galten als Pionierarbeiten in der
„deutschen“ Geschichtswissenschaft, um dessen wahrheitsgetreue Darstellung sich Franz Krones
bemüht hatte.154 Im Allgemeinen waren Krones‘ Leistungen auf diesem Gebiet überaus angesehen,
wodurch er wichtige Aspekte der ungarischen Geschichtsschreibung für einen deutschsprachigen
Kreis erschloss.155 Dem Böhmischen Länderkomplex wurde abseits zahlreicher kleinerer
Abhandlungen zu Krones‘ Heimat Mähren eine Monographie über das böhmische Staatsrecht
gewidmet.156 Franz Krones schien insgesamt die Erforschung der Lokalgeschichte seiner jeweiligen
Universitätsstadt als gewisse Pflicht oder auch Vorliebe aufgrund der Zugänglichkeit der Quellen
empfunden zu haben, wie sein umfangreiches Werk über die Geschichte der Karl-Franzens-
Universität in Graz oder auch seine kleinere Arbeit zur Stadtgeschichte von Kaschau illustrieren.157
Als zweites großes Hauptwerk nach dem „Handbuch“ wird häufig der „Grundriss der
österreichischen Geschichte“ angesehen. Er selbst nannte im Vorwort die „Universitätshörer und
Lehramtscandidaten“158 als Hauptadressaten dieses Werkes, das in seiner übersichtlichen
Darstellungsweise und seinen reichhaltigen Quellen- und Literaturverweisen als ein Hilfsbuch für
Interessierte zum Zwecke der Vertiefung und Weiterbildung verstanden sein wollte. Wie in seinem
„Handbuch“ teilte Krones die österreichische Geschichte in zwei Hauptepochen, die mit 1526 und
der Vereinigung Österreichs mit Böhmen und Ungarn ihre Zäsur fanden.159 Diese grobe Einteilung
in zwei Hauptepochen war ein tragendes Fundament in den Werken Krones‘, das seine
Geschichtsauffassung von Österreich als einem Gesamtstaat unterstrich. Insgesamt markieren über
150 Werke Krones‘ enorme Produktivität.160 Die zahlreichen kleineren und größeren Arbeiten zur
152 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 114.153 Vgl. Franz Krones, Ungarn unter Maria Theresia und Joseph II. 1740-1790. Geschichtliche Studien im Bereiche des
inneren Staatslebens. Graz 1871.Ders., zur Geschichte Ungarns im Zeitalter Franz Rakoczi's II. In: Archiv für Österreichische Geschichte 42. 1870. S. 251-362. u. 43. 1870. S. 1-102.
154 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 117.155 Vgl. Alfons Huber (Rez.): Franz Krones, Der Thronkampf der Premysliden und Anjou in Ungarn. /Ders., Der Kampf
des Anjou'schen Königthums mit der Oligarchie. Graz 1863. /Ders., Aktenmäßige Beiträge zur Geschichte des Tattenbach'schen Prozesses vom Jahre 1670. In: Literarisches Centralblatt für Deutschland. Leipzig 1864. Sp. 654: Sp. 654.
156 Vgl. Franz Krones, Das böhmische Staatsrecht und die Geschichte. Graz 1893.157 Vgl. Ders., Geschichte der Karl-Franzens-Universität in Graz: Festgabe zur Feier ihres dreihundertjährigen
Bestandes. Graz 1886.Vgl. Ders., Zur ältesten Geschichte der oberungarischen Freistadt Kaschau, Archiv für österreichische Geschichte 31. 1864. S. 1-56.
158 Ders., Grundriß der österreichischen Geschichte mit besonderer Rücksicht auf Quellen- und Literaturkunde. Wien 1882: S. IV.
159 Vgl. ebenda: S. 13.160 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 116.
34
erbländisch-österreichischen, böhmischen und ungarischen Geschichte sowie der Band für die
Helfert'sche Reihe können zudem als Vorarbeiten für die große Gesamtstaatsgeschichte angesehen
werden,161 in welche sie vereint einflossen und analog zum beschriebenen Gesamtstaat im Werk ein
großes Ganzes bildeten. Nach der Auffassung von Helga Tomberger sind es vor allem die vielen
kleinen Schriften und Krones‘ akribisches Suchen und Behandeln von immer neuen
Forschungsgebieten, die „einen Baustein zu einem späteren, umfassenderen Werk“162 lieferten. Für
dieses Vorhaben war Franz Krones durch seine Sprachkenntnisse, seine Schwerpunktsetzung auf die
Ländergeschichte Österreichs, Böhmens und Ungarns und deren Vereinigung prädestiniert.
Wiesflecker nennt Krones einen „der letzten umfassenden Kenner der wissenschaftlichen
Literaturen der großen österreichischen Staatsvölker“163 und schlussfolgert daraus, dass er dadurch
„der berufene Meister einer Gesamtstaatsgeschichte“164 sei.
4.1 Das „Handbuch der Geschichte Oesterreichs“
Das fünfbändige Hauptwerk „Handbuch der Geschichte Oesterreichs“ markierte einen deutlichen
Einschnitt in der österreichischen Historiographie. Der späte Zeitpunkt des Erscheinens in den
1870ern spielte dabei eine wesentliche Rolle hinsichtlich der innenpolitischen Umwälzungen
innerhalb der Habsburgermonarchie. Im Jahr 1867 nämlich war es es zum Ausgleich mit Ungarn
gekommen, der der politischen Verfassung des Staates ein völlig neues Gesicht gab. Vorallem aber
hatten diese politischen Neuerungen und der Beginn des Österreichisch-Ungarischen Dualismus
einen erheblichen Einfluss auf die österreichische Historiographie und insbesondere die Vertreter
der Gesamtstaatsidee. Historiker und Intellektuelle wie Joseph Freiherr von Helfert oder Franz
Krones, die im Zeichen einer großösterreichischen Grundgesinnung Geschichtswissenschaft
betrieben und darunter eine gewisse Aufgabe als Ideengeber verstanden, sahen sich plötzlich mit
zwei Staaten konfrontiert, die im Kontrast zu der von ihnen proklamierten Einheit und
Gemeinsamkeit eines einzigen Staates standen. Helfert identifizierte in seiner erwähnten Arbeit
„Nationalgeschichte“, die noch vor dem Ungarischen Ausgleich publiziert wurde, bereits dezidiert
die De-Facto-Existenz zweier Staaten innerhalb der Monarchie, zumindest bis 1849,165 womit er
wahrscheinlich auf die Aprilgesetze und die Pillersdorf'sche Verfassung anspielte, die lediglich für
die Habsburgischen Länder ohne Ungarn und Lombardo-Venetien Geltung hatte.166 Erst im Zuge
161 Vgl. ebenda: S. 117.162 Vgl. Tomberger, Krones: S. 26.163 Wiesflecker, Krones: S. 114.164 ebenda.165 Vgl. Ders., Nationalgeschichte: S. 64.166 Vgl. Bruckmüller, Österreichbegriff: S. 257.
35
der jüngsten politischen Ereignisse nach der Revolution sah Helfert die Verwirklichung eines
Gesamtstaates gegeben und sich zu einer optimistischen Grundhaltung dahingehend veranlasst,167
was in der Politik der frühen Regierungsjahre Kaiser Franz Josephs und dem Erlass des
Silvesterpatents begründet liegen mag. Mit dem Ausgleich 1867 gab es dieses erhoffte totum
endgültig nicht mehr, statt eines „Groß-Österreich“ entstanden zwei Staaten, die nur noch durch
Außenpolitik, Heer, Finanzen und ein gemeinsames Staatsoberhaupt in Personalunion miteinander
verbunden waren.168 Die Tragweite für die Staatseinheit brachte der österreichische Historiker
Heinrich Friedjung, der mit seiner 1877 erschienen Schrift „Ausgleich mit Ungarn“ für viel
Aufsehen gesorgt hatte, für viele Zeitgenossen polemisch auf den Punkt:
„Oesterreichische Bürger? Allein da besteht wieder die Schwierigkeit, daß unsere officielle
Terminologie zwar ein Oesterreich-Ungarn, ferner ein Ungarn aber kein Oesterreich kennt.
Denn in unserer Gesetzgebung heißen die Gebiete […] 'die im Reichsrathe vertretenen
Königreiche und Länder'. Damit wollte man die Fiction festhalten, als ob Oesterreich
eigentlich die beiden Staaten dies- und jenseits der Leitha bedeute.“169
Diese sogenannte „Fiction“ hatte tatsächlich 1915 ihr Ende, als die westliche Reichshälfte mitten im
Ersten Weltkrieg auch offiziell „Österreich“ getauft wurde,170 womit endgültig der Schlussstrich
unter die Gesamtstaatsidee gezogen wurde. Auf die Probleme der für die Staatsbürger wenig
identitätsstiftenden Termini wie „k.u.k.“, „k.k.“ oder „k.u.“ spielte auch Robert Musil mit seiner
Namenskreation Kakaniens an.171 Alphons Lhotsky attestiert der großösterreichischen
Historiographie spätestens mit der Zäsur des Ausgleichs 1867 einen eklatanten Interessensschwund
und eine Abkehr der österreichischen Historiker von der Bearbeitung der Neuesten Geschichte, um
einer Deutung der zeitgenössischen politischen Momente möglichst zu entgehen.172 Dem halten
sowohl Hermann Wiesflecker als auch Alois Kernbauer entgegen, dass diese häufig genannte
Abkehr für Franz Krones, der sich sehr wohl mit der österreichischen Gegenwart
auseinandergesetzt habe, nicht gelte.173 174 Auch Lhotsky selbst räumt in diesem Zusammenhang ein,
dass trotz des nicht zu widerlegenden Trends im 19. Jahrhundert die Werke Franz Krones‘ auch
nach dem Ausgleich noch ihre Berechtigung fanden.175 Nichtsdestoweniger resignierten zahlreiche
Verfechter der Gesamtstaatsidee, allen voran der Innsbrucker Staatsrechtslehrer Hermann Ignaz
167 Vgl. Helfert, Nationalgeschichte: S. 50 u. 64.168 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 412.169 Heinrich Friedjung, Ausgleich mit Ungarn. Politische Studie über das Verhältnis Oesterreichs zu Ungarn und
Deutschland. Leipzig 21877: S. 15.170 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 412.171 Musil, Mann ohne Eigenschaften: S. 33.172 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 202f. 173 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 121.174 Vgl. Kernbauer, Konzeption: S. 264.175 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 202.
36
Bidermann, dessen erster Band seiner auf drei Bände konzipierten „Geschichte der österreichischen
Gesammt-Staats-Idee“ noch im „Schicksalsjahr“ 1867 erschienen war. Nach einem durchaus
optimistischen Grundton im ersten Band zeichnete sich in seinem verspätet erschienenen zweiten
Band eine deutlich pessimistischere Grundhaltung und Arbeitsmotivation aufgrund der veränderten
politischen Verhältnisse ab, zur Veröffentlichung des dritten Bands kam es schließlich nicht mehr.176
Die Sinnlosigkeit seines Unterfangens erklärte er mit dem geschwundenen Interesse an einem
Gegenstand, der mit dem Ungarischen Ausgleich obsolet geworden war, da „die österr.
Gesammtstaatsidee ferner als je steht“177. Ebenso wie verschiedene staatspolitische Strömungen den
Begriff „Österreich“ für den Gesamtstaat retten wollten, beabsichtigte Franz Krones diese Idee
nicht aufzugeben, sondern als historisch gewachsene Tatsache zu manifestieren. Auch wenn das
„Handbuch“ nach 1867 publiziert worden war, bedeutete es keine Realitätsverweigerung vor den
veränderten Tatsachen des Dualismus, die Krones antrieben, sondern die Überzeugung, dass
kulturelle, geographische, nationale und auch zweckorientierte Kriterien zu einer dauerhaften
Verbindung der „österreichischen“ Völker unter ein größeres „Dach“ geführt hätten. Für Franz
Krones war die österreichische Gesamtstaatsidee keine „Fiction“, wie sich auch Friedjung
ausdrückte, und war es für ihn auch nach 1867 nicht geworden. „Man hat oft die Gesammtstaatsidee
Oesterreich als bloße Fiction bezeichnet und dieses Reich ein unorganisches Gefüge, einen bloßen
Mechanismus genannt, - aber mit Unrecht.“178 Dieses in seinen Augen ungerechtfertigte Urteil, das
In- wie Ausland über die Habsburgermonarchie gefällt habe, suchte er mit seinem „Handbuch“
auszuräumen und historisch zu beweisen, dass Österreich ein moderner Nationalstaat mit einer
vielsprachigen österreichischen Nation, kein durch Heirat zufällig konstruierter Anachronismus, ein
funktionierender Organismus, kein bloßer Mechanismus sei. Es war damit eine wissenschaftliche,
großösterreichische Antwort auf die Argumente von Historikern wie beispielsweise Anton Springer,
der die Habsburgermonarchie bestehend „aus einem Konglomerate äußerlich abgestorbener
politischer Körper, welche nur noch ein mechanisches Leben in dem europäischen
Gleichgewichtssysteme entfalteten“179, erachtete. Springer sprach darüber hinaus Österreich die
Charakteristika eines Staates völlig ab und sah in der habsburgischen Politik lediglich das Agieren
einer Macht mit Beamtenschaft und Heer, nicht das eines Staates seinen Bürgerinnen und Bürger
gegenüber.180 Diesem ideologischen Gegenwind, der die Position der „großösterreichischen“
Geschichtsschreibung und der Gesamtstaatsidee seit dem Ausgleich 1867 noch mehr unter Druck
gesetzt hatte, versuchte Franz Krones zu trotzen. Krones nämlich hatte in dem Kontrast zu den 176 Vgl. Schneider, Monarchische Union: S. 32.177 Bidermann, Gesammt-Staats-Idee. Bd. 2: S. IV.178 Krones, Handbuch. Bd. 1. 1876: S. 80.179 Anton Springer, Oestreich nach der Revolution. Leipzig 1850: S. 9.180 Vgl. Ebenda.
37
zeitgenössischen Umwälzungen und zum daraus resultierenden Trend der österreichischen
Geschichtsschreibung, anders als der resignierende Bidermann, erst seine Aufgabe wahrgenommen,
diese Widersprüche in der Relation der Länder zum österreichischen Gesamtstaat zu entwirren und
miteinander in Einklang zu bringen, wie Helga Tomberger überzeugend argumentiert.181 Er war „ein
politischer Historiker mit klaren politischen Vorstellungen“182, denn in seinem Gesamtwerk und
speziell in seinem „Handbuch“ sah Krones daher nicht nur eine rein wissenschaftliche Aufgabe,
sondern verfolgte damit auch staatspolitische Absichten.183 Aufschluss über die Wechselwirkung von
politischen Überzeugungen und historischer Forschungsarbeit in dieser Zeit gab Johannes Loserth.
„Man kann aber nicht gut Professor der österreichischen Geschichte sein, ohne seinen
politischen Überzeugungen, die ja den Niederschlag seiner durch langjähriges Studium
gewonnenen wissenschaftlichen Überzeugungen bilden, Ausdruck zu geben.“184
Diese beiden Säulen kombiniert, die wissenschaftliche und die staatspolitische, machen Franz
Krones mit seinem „Handbuch“ zu einem „der Mitschöpfer wissenschaftlichen österreichischen
Staatsidee“185.
4.1.1 Aufbau
Den Dreh- und Angelpunkt des Werkes bildet das Jahr 1526, in dem der spätere Kaiser Ferdinand I.
die drei Hauptländerkomplexe Österreich, Böhmen und Ungarn miteinander vereinigte und auf
diese Weise das Aussehen und Wesen des österreichischen Staates entscheidend formte. Wie auch
aus dem „Grundriß“ hervorgeht, sah Franz Krones in dem Jahr 1526 eine tiefere Bedeutung für den
österreichischen Gesamtstaat, das die österreichische Geschichte in zwei Hauptepochen teile:186 Die
gesamte Geschichte der drei Hauptländergruppen mit ihren sich gegenseitig ablösenden Dynastien
und kurzzeitigen Personalunionen in einer parallelgestalteten Darstellung bis 1526 und die
dauerhafte Vereinigung unter habsburgischem Szepter, dem eigentlichen Beginn des Gesamtstaats.
Dabei versuchte Krones den Balanceakt zu meistern, die Gesamtstaatsgeschichte mit der
Ländergeschichte in Einklang zu bringen, mit der Schwierigkeit, die Einzelbestandteile nicht zu
vernachlässigen und gleichzeitig das große Ganze zu betonen.187 Die zwei Groß-Epochen sind exakt
auf die vier Bände umgesetzt und teilen das Handbuch in zwei gleichgroße Werkshälften: Während
die ersten beiden Bände die Zeit bis 1526 abdecken, setzen die Bände drei und vier ebenda bei der
181 Vgl. Tomberger, Krones: S. 23f.182 Kernbauer, Konzeption: S. 264.183 Vgl. Wiesflecker, Krones: S.118184 Loserth, Krones: S. 11.185 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 118.186 Vgl. Ebenda: S. 121.187 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 121.
38
Übernahme der Stephans- und Wenzelskrone durch Ferdinand ein und führen die weiteren
Entwicklungen bis in den Beginn der 1870er Jahre fort. Damit folgte Franz Krones weitestgehend
den Postulaten Joseph Chmels, der dem Jahr 1526 ebenfalls eine große Bedeutung beimaß. Trotz
dieser Zuteilung von je zwei Bänden zu jeder der beiden Epochen ist das „Handbuch“ in seinem
Aufbau nicht besonders ausgewogen gestaltet. Der Fokus wurde auf das Mittelalter gelegt, die
sogenannte „Frühzeit“ wurde auf Kosten der Neuzeit und „Neuesten“ Zeit ausgedehnt.188 So waren
beispielsweise die Kapitel zu Friedrich III. in ihrer Ausführlichkeit äußerst kohärent und detailreich
gestaltet und das XII. Buch mit dem Inhalt „Inneres Staatsleben vom Schlusse des 10. Jahrhunderts
bis 1526. Grundzüge der Verfassungs-, Rechts- und Culturgeschichte“ nimmt gar ein Viertel des
gesamten dritten Bandes ein.189 Diesen Mangel hatte Franz Krones selbst erkannt und noch 1879,
also noch im selben Jahr, als Band vier und fünf seines Handbuches erschienen waren, in einer
eigenen „Geschichte der Neuzeit Oesterreichs vom achtzehnten Jahrhundert bis auf die
Gegenwart“190 auszugleichen versucht.191 Die Überbetonung des Mittelalters in Krones‘
„Handbuch“ sieht Wiesflecker auf der einen Seite der zeitgenössischen Grundlagenforschung
geschuldet, auf der anderen Seite nennt er ein vornehmliches Interesse an der Bearbeitung des
Mittelalters, das dem Zeitgeist des 19. Jahrhundert entsprach, als Grund.192 Zudem war es ein
Anliegen Franz Krones‘, gerade die Zeit vor 1526 für die Genese Österreichs zu betonen, um auf
die vielen Verbindungen zwischen Österreich und den Ländern der ungarischen und böhmischen
Krone aufmerksam zu machen. Hierfür konnte Krones vermehrt sein Spezialgebiet rund um die
Epoche Kaiser Friedrichs III. einfließen lassen, das in seiner Qualität mit Sicherheit zu den
Glanzstücken des „Handbuches“ gehört. Ein weiteres, nicht unwesentliches Argument zur
Erklärung, tätigte Krones selbst in seiner Einleitung, in der er seine Absicht „wissenschaftliche
Ergebnisse und Ueberzeugungen [zu] vertreten, die nichts mit dem politischen und confessionellen
Parteihader der Gegenwart gemein haben“193, kundtat. Noch präziser definierte Krones seine Rolle
als Historiker in seinem Vierten Band:
„Der Historiker soll allerdings nicht Zukunftspolitiker sein und es vermeiden, dem
Staatsmanne ins Handwerk zu pfuschen; seines Amtes ist, mit ruhigem, unbefangenen
Blicke den wechselvollen Erscheinungen der Vergangenheit nachzuspüren und deren tiefer
liegende Gesetze zu ergründen.“194
188 Vgl. Ebenda: S. 119.189 Vgl. Krones, Handbuch. Bd. 3: S. 1-165.190 Ders., Geschichte der Neuzeit Oesterreichs vom achtzehnten Jahrhundert bis auf die Gegenwart. Berlin 1879.191 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 121.192 Vgl. ebenda: S. 119.193 Krones, Handbuch. Bd. 1: S. VI.194 Ebenda. Bd. 4: S. 658.
39
Damit deutete er bereits an, dass gerade die innen- und außenpolitischen Entwicklungen der
franzisko-josephinischen Epoche keiner durchgehenderen Betrachtung unterzogen werden könnten,
um einem möglichen Vorwurf der Regierungskritik zu entgehen. Zugleich bestätigt diese
Auffassung die Kritik Lhotskys gewissermaßen, wonach Krones sich ohne eine sinnstiftende Idee
von der Zukunft abgekehrt habe und lediglich die Vergangenheit beschreibe.195 Auch Alfons Huber,
dessen eigenes Werk der „Geschichte Österreichs“ von den Zeitgenossen gefeiert wurde,
bemängelte an dem „Handbuch“, dass „der neuesten Zeit von 1792 bis 1870 auf ungefähr 100
Seiten nur eine knappe Uebersicht gegeben wird“196. Weiters kritisierte er den überdimensionierten
Einschub des „Historischen Bodens“ im ersten Band und prognostizierte, „daß wegen der großen
Ausdehnung der einleitenden Partien (418 S.!) die neuere Geschichte Oesterreichs, auf welche doch
das Hauptgewicht zu legen wäre, zu kurz kommen wird, da sich schon jetzt die Mißstände fühlbar
machen“197. Auch wenn Hubers Kritik in dieser Beziehung durchaus zutraf, so war sie dennoch auch
erstaunlich. Denn Huber, der zwar aufgrund seiner rein politisch-ereignisgeschichtlich
ausgerichteten Thematik die Neuere Geschichte kohärenter und stringenter behandelte, führte seine
„Geschichte Österreichs“ lediglich bis zum Jahr 1648. Damit ließ er den angesprochenen Zeitraum
von 1792-1870 im Gegensatz zu Krones völlig außen vor, was allerdings auch damit
zusammenhing, dass Huber einerseits durch seine intensive Auseinandersetzung mit Quellen
gebunden war,198 und dass er andererseits in seiner stärker deutschnational geprägten
Geschichtsauffassung mit dem Jahr 1648 eine entscheidende Zäsur betont wissen wollte. Doch auch
Huber achtete in seinem Werk auf eine ausgewogene Paralleldarstellung Österreichs, Böhmens und
Ungarns und betonte die Gemeinsamkeiten und Verbindungen.199 Am Ende des Werkes von Franz
Krones hingegen standen die innenpolitischen Entwicklungen mit dem Ungarischen Ausgleich, dem
er noch einen kurzen Ausblick in die frühen 1870er folgen ließ.
195 Vgl. Lhotsky, Historiographie: S. 200f.196 Alfons Huber (Rez.): Franz Krones, Handbuch der Geschichte Oesterreichs. 4 Bde. Berlin 1879. In: Literarisches
Centralblatt. Leipzig 1879. Sp. 540f.: Sp. 540.197 Ders. (Rez.): Franz Krones, Handbuch der Geschichte Oesterreichs. Bd. 1. Berlin 1876. In: Literarisches
Centralblatt. Leipzig 1876. Sp. 1686-1689: Sp. 1687.198 Vgl. Leo Santifaller/Eva Obermayer-Marnach (Hgg.), Huber, Alfons. In: ÖBL. Bd. 2. Lfg. 10. 1959. S. 442f.: S.
443. 199 Vgl. Erich Zöllner, Bemerkungen zu den Gesamtdarstellungen der Geschichte Österreichs. Leistungen - Aufgaben –
Probleme. In: Gerhard Pferschy (Hg.), Siedlung, Macht und Wirtschaft. Festschrift Fritz Posch zum 70. Geburtstag. Graz 1981. S. 295-311: S. 298f.
40
4.1.2 Die Dynastie im Staatsgedanken
Krones bezeichnete Ferdinands Thronbesteigung der Länder der böhmischen und ungarischen
Krone 1526 als „Geburtsjahr des Oesterreichischen Gesammt- oder Großstaates“200, da ab diesem
Zeitpunkt die Länder unter einem habsburgischen Herrscher geeint wurden. Allerdings stellte dieses
Jahr im Denken Krones‘ weniger eine Zäsur im trennenden Sinne dar, da doch die Kontinuität trotz
dieses Einschnitts hervorgehoben werden sollte. Im trennenden Sinn gebraucht wurde dieses Jahr in
der „Geschichte von Böhmen“201 Frantisek Palackys, der sein Werk nicht zufällig mit 1526 und der
Machtübernahme der Habsburger in den böhmischen Ländern enden ließ. Im Gegensatz zur
tschechisch-national gefärbten „Geschichte Böhmens“ Palackys und dem später erschienenen,
deutschnational angehauchten Hauptwerk Hubers, ist 1526 im Handbuch der Endpunkt einer
Entwicklung und gleichzeitig der Beginn des Staatswesens, das alle Einzelbestandteile und
Ländergruppen, aus denen es zusammengesetzt ist, erst bedeutend gemacht hat. Allerdings verstand
Krones seine Darstellung der Geschichte Österreichs nicht als Geschichte der Habsburgerdynastie,
vielmehr zeugte es von seiner Originalität, dass er die vorherrschende dynastisch-betonte
österreichische Geschichtsschreibung überwand.202 Durch das Loslösen von dynastischen
Herrschaftslegitimationen rückte der Fokus auf andere Faktoren, die für den Zusammenschluss der
Habsburgischen Länder ausschlaggebend gewesen seien. Die engen Berührungspunkte Österreichs,
Böhmens und Ungarns datierte Franz Krones bereits auf eine Zeit vor 976, noch bevor der erste
Babenberger an die Spitze der marchia orientalis gestellt worden war.203 In gleichem Maße blickte
er über den Tellerrand hinaus und erkannte Tendenzen zur Einigung auch von Böhmen und Ungarn
ausgehend an, deren Herrscher Ottokar II. Premysl und nach ihm Matthias Corvinus Teile der drei
Hauptländerkomplexe zeitweise vereinen konnten. Nicht die Dynastie der Habsburger, sondern die
allgemeinen, inneren und äußeren Tendenzen, die für das Zusammenwachsen verantwortlich
gewesen seien, standen im Mittelpunkt. Besonders deutlich tritt dies nach der ungarischen
Niederlage bei Mohacs zutage. Krones rückte die dynastischen Aspekte und die Bedeutung
erbrechtlicher Faktoren wie der Wiener Doppelhochzeit zwischen Habsburgern und Jagiellonen in
den Hintergrund. Dynastische Abmachungen hätten nicht die Voraussetzung für die Vereinigung
gebildet, sondern umgekehrt, wären die ähnlichen Interessenslagen, kulturellen Gemeinsamkeiten
sowie geopolitische Faktoren die Ursache für das Arrangement der Herrschergeschlechter dieses
Raumes gewesen. Die Notwendigkeit und der Nutzen, den die Habsburger und Jagiellonen auch in
200 Krones, Handbuch. Bd. 1: S. 80.201 Frantisek Palacky, Geschichte von Böhmen. Größtentheils nach Urkunden und Handschriften. 5 Bde. Prag 1836-
1867.202 Vgl. Erich Zöllner, Krones: S. 294.203 Vgl. Krones, Handbuch. Bd. 1: S. 81.
41
Anbetracht des äußeren Feindes erkannt und mit der Wechselheirat entsprechend Vorkehrungen
getroffen hatten, waren für Krones nach der Niederlage bei Mohacs und dem Tod Ludwigs II. die
Motivation für die Vereinigung:
„Wer aber den inneren Zustand Ungarns, den Schiffbruch dieses Staatswesens und die
tiefgehende Parteiung Böhmens ins Auge faßt, begreift leicht, daß beide Reiche im Sinne
begründeter Verträge und dynastischer Verwandtschaften den Anschluss an eine
festbegründete Macht brauchten, mit welcher sie seit Jahrhunderten in Wechselbeziehung
und 1437 bis 1457 bereits in Personalunion getreten waren. So entwickelt sich seit 1526/27
der dreigliedrige Großstaat: Deutsch-Habsburg, Böhmen, Ungarn, Oesterreich im
universellen Sinne.“204
Sogar Anton Springer, der sich in seinen Ansichten diametral zu Krones und der Gesamtstaatsidee
positionierte und den dynastischen Gedanken des habsburgischen Monarchien als einzig
nennenswerte Klammer für das Zusammenbleiben der Völker betrachtete, billigte diesem Topos der
Notwendigkeit für das Zusammenwachsen eine gewisse Gültigkeit zu, wenngleich dieser Umstand
nichts an Springers Auffassung eines künstlichen Mechanismus änderte.205 Die Verträge zwischen
Jagiellonen und Habsburgern waren dagegen bei Krones vielmehr die vorbereitenden Maßnahmen,
um die drei Länderkomplexe, die ohnehin der Zeit vom deutsch-römischen König Albrecht II. und
nominell unter dessen Sohn Ladislaus Postumus von 1437 bis 1457 vereint waren, wieder zu einem
Ganzen zu verbinden. Der Aufstieg des Erzherzogtums Österreich besonders seit Friedrich III. und
Maximilian I. einerseits und die inneren Zwistigkeiten in Böhmen und Ungarn andererseits legten
den Grundstein für das Zusammengehen laut Krones. Für Franz Krones wurde Österreich in diesen
Jahren zu der konsolidierten und stabilsten Macht der Länderkomplexe, was die Bedingung dafür
gewesen sei, dass Böhmen und Ungarn sich an Österreich als die „festbegründete Macht“
anschlossen. Den Aufstieg zur Großmacht und den Erfolg dieses gewachsenen Staatsgebildes sah
Krones in einem Prozess des Zusammenwachsens begründet, wodurch aus einer bloßen
Personalunion endgültig ein staatlicher Organismus seit Maximilian I. geformt worden sei:
„So kommt es, daß der dynastische Verband aller dieser österreichischen Länder durch einen
Interessensverband, ein Organismus wird, in welchem der Herrscherwille und das ihm
gegenüberstehende Bestreben der Ständeverwaltung, ihre Wünsche und Beschwerden
gemeinsam und desto kräftiger geltend zu machen, die einigenden und bewegenden Kräfte
abgeben.“206
204 Vgl. Ebenda. Bd. 2: S. 657.205 Vgl. Springer, Oestreich: S. 10f.206 Krones, Handbuch. Bd. 2: S. 586.
42
Nicht das spöttische „Tu felix Austria nube“ von Matthias Corvinus oder ein scheinbar zufällig in
den habsburgischen Schoß gefallenes Weltreich wollte Franz Krones hervorheben, sondern ein
freiwilliges und rationales Zusammenwachsen von kulturell und ethnisch eng verwandten Völkern,
die erfolgreich aus den einzelnen Ländern von lediglich regionaler Bedeutung eine Großmacht
geformt hätten. Vor allem im Verbleiben der Länder im Gesamtstaat, trotz der Bewältigung der
Krisen, schrieb Franz Krones diesem Modell den besonderen Erfolg zu, dessen Nutzen er auch in
seiner eigenen Zeit keineswegs erloschen sah. Doch erkannte Franz Krones sehr wohl die
Schwierigkeiten, welche der Nationalismus für einen multiethnischen Staat wie Österreich mit sich
brachte, und gestand in diesem Zusammenhang auch ein, dass es primär die Dynastie war, die sich
einheitsstiftend über alle Kronländer und Nationalitäten der Monarchie legte. Als Ursachen für den
Ausbruch der Revolution 1848/1849 nannte er folgende drei Gründe:
„Sie [die Revolution] haftet in drei Grundursachen: in der gemeineuropäischen Reaction des
Liberalismus gegen die Zwangsformen des absolutistischen Staates, in der Nationalitätsidee,
verhängnisvoll für einen Staat, der wie Oesterreich seine Einheit nicht in der nationalen,
sondern in der Dynastie besitzt und besitzen muß […], und endlich in dem autonomistischen
Streben der Provinzialstände Oesterreichs und Ungarns.“207
Auch wenn Krones, wie an den vorangegangenen Passagen ersichtlich wird, einen Staatsgedanken
propagierte, der über die Dynastie der Habsburger hinausging, so kam auch er dabei nicht völlig
ohne diese Dynastie aus. Im Gegenteil, die Dynastie nahm eine so bedeutende Stellung in seinem
Denken ein, dass er nur sie dem Nationalismus argumentativ entgegensetzen konnte.
4.1.3 Das Verhältnis zu Deutschland
Es war dies eines der Hauptprobleme Franz Krones‘, zeitgenössischen Strömungen wie dem
Nationalismus ein überzeugendes Gegengewicht gegenüberzustellen. Insbesondere die
deutschnationalen Strömungen innerhalb Österreichs, deren radikalere Kreise sich für einen
Anschluss der deutschsprachigen Gebiete an Deutschland aussprachen und vor allem seit der
Gründung des Deutschen Kaiserreiches regen Zulauf verzeichneten, stellten Krones in seinem Werk
vor eine Herausforderung. Denn Krones, der in vielen seiner Werke gerade auf die
deutschsprachigen Bürger einen genaueren Blick warf und ihnen auch im „Handbuch“ einen
besonderen Platz einräumte, hegte ein gewisses „Gefühl der Verbundenheit mit der
gesamtdeutschen Kultur“, das ihm „eine lebendige historisch-politische Tatsache“208 blieb, wie es
Hermann Wiesflecker ausdrückt. Im „Handbuch“ betonte Krones den deutschen Ursprung und die 207 Ebenda. Bd. 4: S. 633.208 Wiesflecker, Krones: S. 127.
43
Bedeutung des deutschen Elements für die Entwicklung des Österreichischen Kaisertums und
sprach dezidiert vom „Lebensnerv“ des Reichs, dem „in und aus Deutsch-Oesterreich historisch
entwickelten Staatsgedanken“209. Dennoch attestiert Wiesflecker Franz Krones ein noch stärkeres
großösterreichisches Bewusstsein, das dieses Zugehörigkeitsgefühl zur deutschen Nationalität
überflügelt habe.210 Im Einklang mit dieser Verpflichtung dem Habsburgerstaat gegenüber bedachte
Krones die Frage, ob Österreich ein deutscher Staat sei, mit einer klaren Antwort:
„Ist Österreich ein Deutscher Staat? Das verneint ihrerseits mit Fug und Recht die gewaltige
Masse der Nichtdeutschen in demselben, dagegen spricht die Thatsache des verschieden
politisch und literarisch immer schärfer ausgeprägten Volksthums; an der einseitigen
Bejahung dieser Frage scheiterte die Friedensarbeit der Lehrjahre 1848-1849.“211
Krones betrachtete den österreichischen Staat im Gesamten, wonach er die Frage nach der
Zugehörigkeit Österreichs zu Deutschland nüchtern verneinen konnte, indem er schlichtweg die
Mehrzahl der nicht-deutschsprachigen Bevölkerung der Habsburgermonarchie als Argument ins
Feld führte. Nach Krones‘ Auffassung entwickelte sich Österreich in seinem Sonderweg aus dem
Deutschen Reich heraus und bildete dadurch eine eigne Nation aus. Den aufkeimenden
Forderungen nach einer sogenannten „Großdeutschen Lösung“ mit der Vereinigung aller
deutschsprachigen Gebiete des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches inklusive Österreichs,
welche Teile der deutschnationalen Strömungen im 19. Jahrhundert vermehrt aufgeworfen hatten,
hielt Franz Krones die Loyalität der deutschsprachigen Gebiete Österreichs entgegen. Diese
Loyalität empfand er nicht primär der kaiserlichen Herrscherdynastie gegenüber, sondern mehr dem
österreichischen Staatswesen und der Zugehörigkeit zu demselben, welche das Durchsetzen der
Großdeutschen Lösung von vornherein unmöglich machen würde. Zum Verhältnis zu Deutschland
nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches vermerkte Krones:
„Noch ist nicht Preußen in Deutschland, Deutschland nicht in Preußen aufgegangen, noch
besteht die von der Natur und Geschichte abgesteckte Grenze ebenso wie der Gegensatz
nord- und süd-deutschen Volksgeistes und den Zerfall Oesterreich (…) erzwingen zu wollen,
um Deutschland abzurunden, wäre ein gewagtes Spiel, das auf Deutsch-Oesterreichs
Sympathien unmöglich rechnen könnte. Denn mit unendlicher und berechtigter Zähigkeit
hängen die Völker an einem Jahrhunderte alten Staatswesen und an der Stellung, welche sie
in ihm einnehmen (…) .“212
Unter dem Eingeständnis einer gewissen Gefahr für Österreich in ideologischer wie militärischer
209 Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 658.210 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 127.211 Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 657f.212 Ebenda. Bd. 1: S. 129.
44
Hinsicht und dem Reiz, den die Idee einer Vereinigung mit dem neugegründeten Deutschen Reich
auf deutschnationale Kreise im Deutschen Kaiserreich wie in Österreich ausgeübte, sah Krones die
integrativen und identitätsstiftenden Kräfte der Habsburgermonarchie als stark genug an. Lediglich
der „alpenländische“ Teil des österreichischen Gesamtstaats sei nach dieser Auffassung ein genuin
deutscher Staat gewesen, der allerdings in einem größeren, neuen Staatsgebilde aufgegangen sei.
Nach 1866 und vor allem 1871 gewann auch die groß-deutsche Bewegung in Österreich rund um
Heinrich Friedjung, Viktor Adler und Georg von Schönerer, bei letzterem mit dem erklärten Ziel der
Vereinigung der deutschsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie mit Deutschland, an
Bedeutung.213 Für Krones hatte die großösterreichische Staatsauffassung oberste Priorität, da für ihn
derartige großdeutsche Gedankenspiele mit der Existenz des österreichischen Staats unvereinbar
waren. Daher spielten in seinem „Handbuch“ die Jahreszahlen 1648, 1806 oder auch 1866 weniger
gewichtige Rollen, als dies beispielsweise bei Friedjung oder bei Huber der Fall war. Die
Habsburger als supranationale Herrscherdynastie, die neutral über allen ihren Völkern
gleichermaßen standen, etikettierte Krones zwar hie und da als genuin deutsches
Herrschergeschlecht, wie beispielsweise Kaiser Franz II./I. als „durch und durch
Deutschösterreicher“214, jedoch beurteilte er ihre Politik nicht als primäre Vertretung der deutschen
Interessen. Den Habsburgern vorgeworfene Germanisierungs-Tendenzen entkräftete er mit
Argumenten, wonach diese stets im Zeichen vereinheitlichender und pragmatischer Absichten wie
im Fall Joseph II. gehandelt hätten.215 Krones sah die Politik seit Joseph II. im Zeichen der
„Neutralisierung der nationalen Bestrebungen, aber nicht die Germanisierung von Grund aus“216. An
dieser Stelle bezog sich Krones‘ Argumentation auf die Einführung von Deutsch als
Verwaltungssprache in Ungarn in der Regierungszeit Josephs II., was in vielen Geschichtswerken
des 19. Jahrhunderts als Germanisierungs-Absicht gedeutet wurde. Diese Deutung ist allerdings
aufgrund der Tatsache unhaltbar, da das Deutsche lediglich das vorherrschende Lateinische, das in
Ungarn bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts als offizielle Amtssprache in Verwendung gewesen
war, für Verwaltungszwecke hätte ablösen sollen.217 Es handelte sich darum weder um
deutschnationale Absichten oder Germanisierungstendenzen, sondern es ging dem in vielerlei
Hinsicht sehr pragmatisch veranlagten Joseph II. um mehr Effizienz in der Verwaltung, wie Pieter
Judson betont.218 Es war daher nicht Josephs II. erklärte Absicht, die Bevölkerung zu
213 Vgl. Alan Sked, The Decline and Fall of the Habsburg Empire 1815-1918. London/New York 1990: S. 226.214 Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 618.215 Vgl. Ebenda: S. 635.216 Ebenda.217 Vgl. Karl Vocelka, Glanz und Untergang der Höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im
Habsburgischen Vielvölkerstaat (= Österreichische Geschichte 1699-1815). Wien 2001: S. 386.218 Vgl. Judson, Habsburg: S. 111.
45
homogenisieren und die „kleineren“ Landessprachen Ungarns (denen das Ungarische angehörte)
auszulöschen, da er im Gegenteil das Lehren dieser Sprachen im Unterricht sogar befürwortete.219
Es ging lediglich um eine einheitliche Verwaltungs- und Handelssprache, wofür sich das Deutsche
aufgrund seiner Verbreitung vor allem in den ungarischen Städten sowie aufgrund seines Status als
anerkannte „Kultursprache“ am besten eignete.220 Zu dieser Zeit hatten in den Ländern der
ungarischen und der böhmischen Krone weder ethnische noch sprachliche Aspekte bei der
Bedeutung des Nations-Begriff eine Rolle gespielt,221 wie dies seit Mitte des 19. Jahrhunderts
zunehmend der Fall war. Die Ablehnung der führenden ungarischen Adelskreise gegenüber der
Josephinischen Sprachenreform war daher gegen weitere österreichische
Zentralisierungsmaßnahmen gerichtet, welche den Einfluss des besitzenden Adels zurückgedrängt
hätten. Neben der Haltung Österreichs zu Deutschland war nämlich auch das Verhältnis zu Ungarn
ein Thema intensiver Auseinandersetzung zwischen Historikern, Juristen und Politikern, das für
reichlich Gesprächsstoff sorgte.
4.1.4 Das Verhältnis zu Ungarn
Krones‘ Geschichtsauffassung im Interesse der Gesamtstaatsidee kollidierte mit sämtlichen
Strömungen, die der Einheit und Integrität des Staates zuwiderliefen. Neben dem
Deutschnationalismus stand Krones daher auch dem Magyarismus und dem Ungarischen Ausgleich
skeptisch gegenüber.222 Die erfolglosen Versuche der Politik der 1850er, einen einheitlichen
Gesamtstaat durchzusetzen, beurteilte er als kritisch für die weiteren Entwicklungen, die
letztendlich zum Österreichisch-Ungarischen Dualismus geführt hätten.
„Aber der Augenblick, der es noch ermöglicht hätte, ganz Oesterreich in Einer constitutionellen
Reichsvertretung zu einigen, kam nicht wieder, denn was später geboten wurde, erschien als eine
durch die Umstände erzwungene, ungenügende Gabe.“223
Die Zeit der 1850er schätzte Franz Krones freilich nicht nur aufgrund der zentralisierenden und
reformerischen Tendenzen des Neoabsolutismus in diesem Maße, wie seine gewogene Haltung zu
den liberalen und konstitutionellen Entwicklungen seit Goluchowski und Schmerling beweisen,224
doch lag seine Betonung auf der Einheit, die durch ein kraftvolles Vorgehen der Regierung hätte
durchgesetzt werden können. Er sah in dieser Ära und der Anspielung auf die Bach'schen
219 Vgl. Derek Beales, Joseph II. Vol. II. Against the World 1780-1790. Cambridge 2009: S. 368.220 Vgl. Ebenda: S. 369221 Vgl. Lieven, Empire: S. 171.222 Vgl. Wiesflecker, Krones: S. 127.223 Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 650.224 Vgl. Ebenda: S. 651.
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Verwaltungsreformen nicht geglückte Vereinheitlichungsversuche, die den österreichischen Staat
und seine Völker, vertreten in einem zentralen Gremium, möglicherweise vor der De-Facto-Teilung
hätten retten können. Die Reformen des Innenministers Alexander von Bach zielten darauf ab, den
österreichischen Zentralstaat zu stärken, was in erster Linie in Ungarn auf breite Ablehnung
gestoßen war.225 Trotz der Rücknahme der Pillersdorf'schen Verfassung und der Aprilgesetze sowie
der Außerkraftsetzung der Okroyierten Märzverfassung blieben mit der Einführung des
Silvesterpatents durch Kaiser Franz Joseph wesentliche Programmpunkte und Errungenschaften der
Revolutionäre im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und rechtlichen Bereich bestehen.226 Diese
Tatsache täuscht jedoch nicht über die absolutistische Herrschaftsauffassung der frühen
Regierungsjahre Franz Josephs und seiner anfänglichen Zurückweisung einer parlamentarischen
Partizipation an den politischen Prozessen hinweg, ebenso wenig wie über die radikalsten
Zentralisierungsmaßnahmen seit Joseph II.227 Allerdings waren die Bach'schen
Verwaltungsreformen nicht aus rein politisch-ideologischen Gründen zur reinen Stärkung des
Zentralismus erdacht, auch wenn diese Aspekte zweifellos Gewicht hatten. Sie sollten daneben auch
zum Fortschritt und der Modernisierung der rückständigen ungarischen Verwaltung und des
Wirtschaftsraumes ihren Beitrag leisten, allerdings hatten sie als Provisorium lediglich zehn Jahre
Bestand.228 Bach selbst bezifferte die Zeit, die für das Fruchten seiner Reformen nötig gewesen
wäre, auf fünfundzwanzig Jahre, mit deren Ablauf ein gestärkter Zentralstaat entstanden und damit
den ungarischen Autonomie- bzw. Unabhängigkeitsbestrebungen Einhalt geboten worden wäre.229
Die Schaffung eines Gesamtstaats und das Vorantreiben der Zentralisierungsmaßnahmen scheiterte
allerdings aufgrund der allzu ehrgeizigen außenpolitischen Ambitionen der Habsburgermonarchie
angesichts der zerrütteten Finanzlage und den militärischen Niederlagen.230 Die späteren
Verfassungen und Reformen des Oktoberdiploms und des Februarpatents erachtete Krones als den
Umständen entsprechende Kompromisslösungen, die weder weitreichend noch durchschlagend
genug gewesen seien, um die Idee des Gesamtstaats zu verteidigen. Die von Krones postulierte
„Eine Reichsvertretung“ war durch die Diskrepanz zwischen Reichsrat und „engerem“ Reichsrat
am ungarischen, kroatischen und rumänischen Boykott gescheitert.231 Helmut Rumpler urteilt
hierzu, dass „aus dem Projekt Schmerlings […] etwas Großes [hätte] werden können, wenn Kaiser
Franz Joseph nicht schon ganz andere Ziele verfolgt hätte und wenn sich die österreichischen
225 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 329f.226 Vgl. Judson, Habsburg: S. 282.227 Vgl. Ebenda.228 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 330.229 Vgl. Robert John Evans, Austria, Hungary and the Habsburgs. Essays on Central Europe 1683-1867. Oxford 2010:
S. 282.230 Vgl. Judson, Habsburg: S. 320231 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 377.
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Nationalitäten nicht einem gesamtösterreichischen Parlament verweigert hätten“232. Krones sah im
Oktoberdiplom und Februarpatent zwar nicht die Ursache für den Österreichisch-Ungarischen
Dualismus, aber gescheiterte Versuche, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Den Ausgleich
mit Ungarn, als Endpunkt dieser Entwicklung, bewertete er dementsprechend als ein Extrem:
„'Oesterreich-Ungarn' ist der Titel des neuen, vom vormärzlichen wesentlich verschiedenen
Dualismus, wir müssen in ihm ebenso wie in der Neugestaltung Deutschlands eine
vollzogene Thatsache anerkennen, richtiger noch für uns darin ein Auskunftsmittel von
bedingtem Werthe gewahren.“233
Auch wenn Krones dem neuen, um „Ungarn“ ergänzten Namen seiner Heimat in diesen Zeilen
offenbar nur wenig Anerkennung entgegenbringen konnte und ihn lediglich einen „Titel“ nannte, so
ist es umso interessanter, dass er den noch wenige Jahre zurückliegenden Ausgleich mit Ungarn
angesichts der sich stetig ablösenden Verfassungsreformen als vollendete Tatsache anerkannte.
Loserth gab darüber in seinem Nachruf zu Franz Krones Auskunft, dass sich letzterer „mit dem
[Österreichisch-Ungarischen] Dualismus vollständig abgefunden“234 habe. Dieses Arrangement mit
dem Dualismus findet sich auch in der Mehrzahl der Mittelschullehrbücher wieder, wie aus den
Analysen dieser Arbeit hervorging. Kritik an politischen Entwicklungen, die seinen Überzeugungen
zuwiderliefen, übte Krones lediglich zwischen den Zeilen. Im Weiteren nannte er den
Österreichisch-Ungarischen Dualismus unmissverständlich „die äußerste Grenze der
Zugeständnisse, welcher die Gesammtstaatsidee sich nähern darf; hinter ihr läge das Chaos“235.
Aufgrund der vielen unterschiedlichen politischen, ethnisch-nationalen und auch zum Teil
konfessionellen Interessen sah sich die österreichische Regierung zu zahlreichen
Kompromisslösungen gezwungen, die sich in den wechselhaften und oft konträren Reformen und
Verfassungen niedergeschlagen haben. Durch die Korrelation der innen- und außenpolitischen
Krisen, welche Österreich geschwächt hatten, sei es zu diesen Zugeständnissen an Ungarn
gekommen, die Krones als zu weitgehend und grenzwertig einstufte. Die Zugeständnisse lagen
seiner Meinung nach zwar immer noch innerhalb des Rahmens, doch tritt sein Missfallen über den
Ausgleich und die Betonung auf ein Extrem deutlich zutage. Denn in der weiteren Entwicklung,
deren Eintreten Krones zwar im Konjunktiv formulierte, aber dennoch in die Zukunft blicken ließ,
identifizierte er das Auseinanderdriften nicht nur der beiden Reichshälften, sondern des gesamten
Reiches.
232 Ebenda: S. 379.233 Vgl. Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 658.234 Loserth, Krones: S. S. 11.235 Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 658..
48
„Denn mit der inneren Zersetzung der Nähr- und Wehrkräfte des Reiches und des
Staatsbewußtseins träfe die äußere Gefahr einer unbegrenzten Entgliederung Oesterreichs
durch die panslawistische Politik Rußlands und die italienische Einheitsidee zusammen.“236
Durch den Ausgleich befürchtete Krones, dass die innenpolitische Schwäche der
Habsburgermonarchie von äußeren Feinden ausgenützt werden würde, die das dadurch
entstandenen Machtvakuum zu füllen begehrten. Die zahlreichen, sich ablösenden und teilweise
widersprechenden Verfassungen bis zur Wende im Ungarischen Ausgleich, der auch von
zahlreichen Zeitgenossen als plötzlich, unnötig und den Einheitsstaat gefährdend empfunden wurde,
verdeutlichten das Bemühen der Politik um eine Lösung dieses innenpolitischen Problems. Gerade
für die deutschsprachige Bevölkerung der Habsburgermonarchie war die Periode von 1866-1871
mit mehreren Erschütterungen des Selbstbewusstseins verbunden.237 Angefangen bei der Schlacht
bei Königgrätz und der Exklusion aus dem Deutschen Bund, dem Ungarischen Ausgleich und der
von vielen Zeitgenossen empfundenen „Halbierung Österreichs“ sowie der Gründung des
Deutschen Kaiserreichs. Heinrich Friedjung haderte mit dem Ausgleich und sah die
gesamtstaatlichen Interessen Österreichs betrogen und nachhaltig beschädigt, die Entfremdung und
Eigenstaatlichkeit Ungarns bereits vollzogen:238 „Jenseits der Leitha liegt für uns das Ausland.“239 In
der Tat waren die Auffassungsunterschiede zwischen Österreich und Ungarn so groß, dass es bereits
als Erfolg für erstere verbucht wurde, wenn Ungarn, das seinen Standpunkt von zwei Staaten mit
einem Oberhaupt zu zementieren beabsichtigte, „Cisleithanien“ offiziell nicht als Ausland
bezeichnete.240 Trotz der Auffassungsunterschiede und dem vehementen Beharren Ungarns auf den
Standpunkt von zwei (verbündeten) Staaten mit teilweise gemeinsamen Organen und Ministerien,
hatten allerdings weitere Unabhängigkeitsbewegungen in Ungarn nur einen sehr begrenzten
Spielraum, da Politiker wie Andrassy und Tisza erkannt hatten, dass die Wahrung des
Großmachtstatus und die Durchsetzung der Interessen, insbesondere auf dem Balkan gegenüber
Russland, an die Union mit Österreich gebunden waren.241 Der österreichisch-ungarische Handels-
und nachmalige Finanzminister während des Ersten Weltkriegs, Alexander Spitzmüller-
Harmersbach kritisierte retrospektiv den Dualismus als „nicht nur den österreichischen, sondern
ganz besonders denen des Gesamtstaates abträglich“242. Auch der Titel dieses in der
236 Ebenda.237 Vgl. Lieven, Empire: S. 179f.238 Vgl. Friedjung, Ausgleich: S. 16f.239 Ebenda: S. 18.240 Vgl. Ernst C. Helbling, Das österreichische Gesetz vom Jahr 1867 über die gemeinsamen Angelegenheiten der
Monarchie. In: Peter Berger (Hg.), Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867. Vorgeschichte und Wirkungen. Wien/München 1967. S. 64-89: S. 75.
241 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 518ff.242 Alexander Spitzmüller-Harmersbach, Der letzte österreichisch-ungarische Ausgleich und der Zusammenbruch der
Monarchie. Sachliches und Persönliches. Berlin 1929: S. 5.
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Zwischenkriegszeit entstandenen Werkes suggerierte einen direkten Zusammenhang zwischen dem
Ausgleich mit Ungarn und dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches. Namhafter Gegner des
Ungarischen Ausgleichs war ebenso Helfert. Nicht nur stieß er sich an der Terminologie
„Österreich-Ungarn“ und forderte, diese wieder durch die Bezeichnung „Österreich“ zur
Hervorhebung des Gesamtstaats zu ersetzen, sondern er befürchtete auch die Wiederholung der
Situation von 1849 und monarchiegefährdende Unabhängigkeitsbewegung Ungarns.243 Nicht zuletzt
lehnte auch der vormalige Minister für Cultus und Unterricht Leo Graf von Thun-Hohenstein den
Ausgleich aus gesamtstaatlichen Erwägungen ab, wie aus seinem Boykott des Reichsrats sowie aus
Inhalt und Titel seiner herausgegeben Rede „Die Staatsrechtliche Zweispaltung Oesterreichs“244
hervorgeht, zudem vermied er Zeit seines Lebens die offizielle und vom Kaiser verwendete
Bezeichnung „Österreich-Ungarn“.245 Trotz dieser ausgewählten Beispiele der zahlreichen
zeitgenössischen und retrospektiven Gegenstimmen gegen den Ausgleich, die in dem föderalistisch
gesinnten und auf einen Ausgleich mit allen Völkern der Monarchie ausgerichteten Regierungschef
Martin Belcredi ihren einflussreichsten Wortführer fanden,246 setzte sich Beust letztendlich durch.
Um die Habsburgermonarchie zu konsolidieren und den deutschsprachigen Einfluss zumindest in
der westlichen Reichshälfte dauerhaft zu stärken, schloss Beust den Kompromiss mit Ungarn,
wodurch die Deutschen und Ungarn in ihren aufgeteilten Sphären die tonangebenden Volksgruppen
werden sollten.247 Hierzu sei allerdings noch einmal auf die Worte Istvan Deaks verwiesen, wonach
keine dominanten Nationen als vielmehr dominante Klassen im Habsburgerreich existierten.248 Alles
in allem spielte die Zustimmung der deutschsprachigen Österreicher die entscheidende Rolle, um
den Ausgleich in „Cisleithanien“ durchzusetzen.249 Lothar Höbelt bezeichnet die „Deutschböhmen“
gar als „Zünglein an der Waage“ um die Dezemberverfassung zu manifestieren.250 Vor dem
Preußisch-Französischen Krieg und der Gründung des Deutschen Kaiserreichs hatte Beust in der
Hoffnung, den österreichischen Einfluss über den süddeutschen Staatenbund aufrecht erhalten zu
können, die Verhandlungen mit Ungarn zu einem schnellen Abschluss führen wollen und auf diese
Weise Zugeständnisse gegeben, die nachmals große Bedeutung für die ungarische Auslegung des
Ausgleichs und das ungarische Staatsbewusstsein haben sollten.251 Die dargebotene Eile, mit der die
243 Vgl. Franz Pisecky, Josef Alexander Frh. v. Helfert als Politiker und Historiker. Diss. Wien 1949: S. 119.244 Leopold Graf von Thun-Hohenstein, Die Staatsrechtliche Zweispaltung Oesterreichs. Rede, gehalten im Herrenhaus
den 5. Juni 1867. Wien 1867.245 Vgl. Salomon Frankfurter, Thun-Hohenstein, Leo Graf von. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 38. 1894. S.
178-212: S. 206f.246 Vgl. Karl Otmar Freiherr von Aretin, Belcredi, Richard Graf von. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 2. 1955. S. 26-
28: S. 27.247 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 410. 248 Vgl. Deak, Comments: S. 303.249 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 410.250 Vgl. Höbelt, Franz Joseph I.: S. 64.251 Vgl. Hantsch, 1866: S. 56.
50
Regierung zu einem schnellen Abschluss in Form des Ausgleichs mit Ungarn kommen wollte, sieht
auch Gerald Stourzh in der Notwendigkeit einer schnellen inneren Konsolidierung begründet, „um
in der Anfang 1867 von Beust vertretenen „Revanchepolitik“ gegen Preußen gestärkt agieren zu
können“252. Hugo Hantsch bezeichnet den in dieser Eile zustande gekommenen Ausgleich als „halbe
Lösung“:
„Er halbierte die nach außen hin einheitliche Monarchie in zwei Staaten unter eigenen
Regierungen, aber unter einem einzigen Staatsoberhaupt, das nun mehr denn je der
wichtigste Faktor der Einheit und der staatlichen Außenpolitik, also der Großmachtstellung
der Monarchie, blieb.“253
Franz Krones unternahm nicht den Versuch, dem neuen Staatsgebilde Österreich-Ungarns eine
zukunftsweisende Idee einzuflößen, wie es auch Lhotsky bemängelt, oder aber konträr zu ersterem
eine Alternativ-Lösung zum Dualismus zu geben. Stattdessen fand sich Krones trotz seiner
durchschimmernden Skepsis und einer gewissen ablehnenden Haltung mit dem Geschehenen
schlichtweg ab. Dies lag vor allen Dingen aber auch daran, dass Krones, anders als beispielsweise
der deutschnational gesinnte Friedjung, der aus politischen Gründen aus dem Lehrdienst entlassen
worden war,254 gar nicht beabsichtigte, zeithistorische Politik zu kritisieren. Er vertrat im
„Handbuch“ trotz seiner gesamtstaatlichen Ausrichtung österreichische und nun eben
österreichisch-ungarische Staatsauffassungen, die als solche übernommen wurden, wenn auch nicht
völlig kritiklos. Ebendiese Haltung spielte auch bei der Mehrheit der betrachteten
Mittelschullehrbücher eine tragende Rolle.
5 Die Bildungsreformen des Unterrichtsministers Leo Thun
In die neoabsolutistische Zeit des Österreichischen Kaiserstaats, die für die Entwicklung des
Gesamtstaats auf mehreren Ebenen eine bedeutende Rolle spielte, fiel auch die Ära des Ministers
für Cultus und Unterricht Leo Graf Thun von Hohenstein. Dieses Jahrzehnt, das in vielerlei
Hinsicht zur Modernisierung des Staates beigetragen hat, ist neben den angesprochenen
Verwaltungsreformen Innenminister Alexander von Bachs vor allem durch die nachhaltigen und
tiefgreifenden Reformen Thuns im gesamten Bildungssektor geprägt. Diese standen nicht im
Widerspruch zu den liberalen Forderungen und Errungenschaften der Revolution von 1848/1849,
sondern teilweise im Einklang damit, da Thun zahlreichen Ideen der Revolution Rechnung trug und
sie erfolgreich gerade wegen seines eigenen konservativen Rufs vor der Rücknahme durch
252 Stourzh, Dualistische Reichsstruktur: S. 106.253 Hantsch, 1866: S. 64.254 Vgl. Robert Kann, Friedjung, Heinrich. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 5. 1961. S. 451f.: S. 451.
51
reaktionäre Kräfte bewahrte.255 Thuns Bildungsreformen im österreichischen Neoabsolutismus der
1850er hatten wesentlichen Anteil am Aufstieg der Wissenschaften und der Modernisierung des
Habsburgerreichs.256 Mit der Einführung des provisorischen Organisationsentwurfs 1849, der von
den liberalen Geistern Franz Serafin Exner und Hermann Bonitz unter Thuns Amtsvorgänger
Sommaruga erarbeitet worden war, begann die Reorganisation des österreichischen Schulwesens.257
Auch der maßgebliche Einfluss von Helferts Vorgänger im Amt des Unterstaatssekretärs, Ernst
Freiherr von Feuchtersleben, muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, er zog sich
allerdings ein Jahr vor seinem Tod 1849 enttäuscht wieder aus der Politik zurück.258 Die Bedeutung
Leo Thuns kommt demnach eher der Durchsetzung als der Ausarbeitung des
Unterrichtsprovisoriums zu.259 Der österreichische Historiker Walter Höflechner beschreibt „das mit
Thuns Namen bezeichnete Reformwerk als ein Unternehmen, durch das im Wesentlichen von
kompetenten, reformbegierigen und lange darauf vorbereiteten Wissenschaftlern und Intellektuellen
des österreichischen Vormärz stammende Inhalte durch einen böhmischen Aristokraten als
Exponent einer zentralen Regierung abgesichert wurden“260.
Dennoch verweist Höflechner auch auf die Rolle, die Thun persönlich bei der Durchsetzung der
Reformen zugekommen sei: Denn der Unterrichtsminister hielt auch nach dem Rückzug
Feuchterslebens 1848 und dem Tod Exners 1853 weiterhin an den Reformen fest und war nach wie
vor von deren Richtigkeit überzeugt.261 So war es nicht zuletzt dem aktiven Engagement Leo Thuns
zu verdanken, dass der sogenannte „Modifikationsentwurf“ von 1857, der restaurative Tendenzen
aufwies, abgelehnt und fallengelassen wurde.262
Zur Rolle und Bedeutung des Unterrichtsministers Leo Thun gab und gibt es bereits seit seiner
zeitgenössischen Beurteilung einander konträr gegenüberstehende Meinungen. Gemäß der
Unterteilung Feichtingers und Fillafers lassen sich die Hauptpositionen im Wesentlichen in die
apologetische Perspektive, die meist in der Tradition der wohlwollenden Monographie Salomon
Frankfurters begründet liegt, und die kritische Perspektive, die in der Regel den Ausführungen
Eduard Herbsts, Gustav Strakosch-Graßmanns, Paul Molischs sowie in jüngerer Zeit auch Hans
255 Vgl. Christof Aichner/Brigitte Mazohl/Tanja Kraler, Aspekte der Thun-Hohensteinschen Bildungsreform – ein „Werksbericht“. In: Harm-Hinrich Brandt (Hg.), Der österreichische Neoabsolutismus als Verfassungs- und Verwaltungsproblem. Diskussionen über einen strittigen Epochenbegriff. Wien 2014. S. 195-220: S. 196f.
256 Vgl. Ebenda: S. 197.257 Vgl. Lentze, Universitätsreform: S. 34.258 Vgl. Leo Santifaller/Eva Obermayer-Marnach (Hgg.), Feuchtersleben, Ernst Frh. von. In: ÖBL. Bd. 1. Lfg. 4. 1956.
S. 306f.: S. 306.259 Vgl. Tanja Kraler, Thun und Hohenstein, Leo (Leopold) Gf. von. In: ÖBL. Bd. 14. Lfg. 65. 2004. S. 326f: S. 327.260 Walter Höflechner, Die Thun'schen Reformen im Kontext der Wissenschaftsentwicklung in Österreich. In: Christof
Aichner/Brigitte Mazohl (Hgg.), Die Thun-Hohenstein'schen Universitätsreformen 1849-1860. Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen. Wien/Köln/Weimar 2017. S. 28-52: S. 39.
261 Vgl. Ebenda.262 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 150f.
52
Lentzes folgt, kategorisieren.263 Während erstere die Lehr- und Lernfreiheit und Autonomie der
Universitäten, das Durchsetzen und Erhalten der nachhaltigen Reformen und eine
wissenschaftsorientierte Berufungspolitik Thuns lobend hervorheben, stellen letztere die
Beteiligung und den Verdienst Thuns an den Reformen in Abrede und kritisieren seine
Berufungspolitik.264 Welche Bedeutung nun auch immer der Rolle von Thun persönlich
beigemessen werden mag, bei der Durchsetzung des Reformwerks, das unter seinem Namen
subsumiert wird, kam dem Unterrichtsminister gerade sein konservativer Ruf zugute:
„In einer Zeit der erstarkenden Reaktion, in der alles, was mit Unterrichtsreform und Lehr-
und Lernfreiheit zusammenhing, mit dem Odium des Revolutionären behaftet war, konnte
wohl nur ein Mann von Thuns weltanschaulicher Haltung und politischer Durchschlagskraft
die Reform retten.“265
Trotz dieser auch nach Ansicht der reaktionären Kreise „unzweifelhaft“ konservativen Haltung des
Unterrichtministers, war es angesichts seiner Übernahme revolutionärer und liberaler Entwürfe von
Männern wie Franz Serafin Exner und dem protestantischen und in Österreich überaus umstrittenen
Hermann Bonitz sowie aufgrund seiner skeptischen Haltung zum Absolutismus alles andere als
sicher, ob Leo Thun über die Anfangszeit seiner Regierungsjahre hinauskommen würde.266 Erst
1851 konnte Thuns Stellung als Minister für Cultus und Unterricht trotz ungebrochenen
Widerstands und zahlreicher Gegnerschaft als gesichert gelten.267 Der politische Gegenwind, der
ihm aus allen Richtungen des ideologischen und politischen Spektrums und hauptsächlich aus
konservativ-klerikalen, föderalisitschen und nationalistischen Kreisen entgegenschlug, legte sich
erst 1854 vollends, als Thun die Schulreform endgültig durchsetzen konnte.268 Bereits zuvor hatte
das Provisorium, das 1849 unter Zeitdruck durchgebracht worden war, schließlich aufgrund seiner
Qualität im Jahr 1850 endgültig Gesetzeskraft erhalten.269
Die Lehr- und Lernfreiheit bildete gemeinsam mit der Symbiose von Forschung und Lehre eine der
Grundlagen für den Aufstieg der österreichischen Universitäten, die somit in ihrer Ausrichtung den
preußischen und deutschen Universitäten gefolgt waren und ab der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts in vielen Wissenschaftsdisziplinen führend waren, wovon die Universitäten auch in
263 Vgl. Johannes Feichtinger/Franz Leander Fillafer, Leo Thun und die Nachwelt. Der Wissenschaftsreformer in der österreichischen Geschichts- und Kulturpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Christof Aichner/Brigitte Mazohl (Hgg.), Die Thun-Hohenstein'schen Universitätsreformen 1849-1860. Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen. Wien/Köln/Weimar 2017. S. 347-378: S. 348f.
264 Vgl. Ebenda.265 Werner Ogris, Die Unterrichtsreform des Ministers Leo Graf Thun-Hohenstein. In: Thomas Olechowski (Hg.),
Werner Ogris. Elemente europäischer Rechtskultur. Rechtshistorische Aufsätze aus den Jahren 1961-2003. Wien/Köln/Weimar 2003. S. 333-344: S. 337.
266 Vgl. Lentze, Unterrichtsreform: S. 104.267 Vgl. Ebenda.268 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 335.269 Vgl. Lentze, Unterrichtsreform: S. 40.
53
der Zwischenkriegszeit noch profitierten. Die Bildungsreformen in Preußen, die zum Vorbild und
globalen Exportschlager des 19. und 20. Jahrhunderts avancierten, waren im Fahrwasser der
krisengebeutelten Zeit der Napoleonischen Kriege und dem Zusammenbruch des preußischen Staats
entstanden. In der Folge des entstandenen Machtvakuums, das der geschwächte preußische Staat
nicht mehr füllen konnte, nutzten die Berliner Reformer um Schleiermacher, Hardenberg, Hegel
und Wilhelm von Humboldt, um nur einige wenige Namen aufzulisten, die Gunst der Stunde und
den dadurch entstandenen Handlungsspielraum, um das Bildungssystem Preußens ohne staatliche
Einschränkungen von Grund auf zu renovieren.270 An dieses Modell angelehnt ging auch die
Universitätsreform Thuns in der Habsburgermonarchie vonstatten, deren Ziel es war, den
entstandenen Vorsprung des Rivalen Preußen in wissenschaftlicher, technologischer und
wirtschaftlicher Hinsicht aufzuholen. Im Unterschied zu Preußen waren in der
Habsburgermonarchie die liberalen Konzepte und Ideen zur Reorganisation des Bildungswesens,
die bereits im Vormärz und im Zuge der Revolution 1848 entstanden waren, ironischerweise gerade
aufgrund des starken Durchgreifens einer staatlichen Zentralregierung im Neoabsolutismus
verwirklicht worden.271 Trotzdem war die Thun-Hohenstein'sche Bildungsreform wegen der
liberalen Entwürfe eines Exner und eines Bonitz, die vor diesem zentralisierenden Staatsapparat
entstanden sind, nicht unbedingt eine reine „Revolution von oben“.272 Denn es steckten freilich auch
autoritäre und konservative Züge im politischen Agieren Thuns. Obwohl den österreichischen
Universitäten und Hochschulen bei der Besetzung ihrer Lehrstühle ein grundsätzliches
Mitsprachrecht zugestanden wurde, handelten Thun und das Ministerium, was die Personalpolitik
anbelangte, bisweilen autoritär und eigensinnig, ohne auf die Meinung der jeweiligen Fakultät zu
achten.273 Allerdings war Thuns Berufungs- und Personalpolitik keineswegs von willkürlichen oder
rein gesinnungsmäßigen Leitlinien gekennzeichnet, da er sich unter großem Aufwand, begünstigt
durch seine eigene wissenschaftliche Expertise, selbst von den wissenschaftlichen Fähigkeiten des
jeweiligen Kandidaten überzeugen konnte und außerdem nie eine Berufung ohne entsprechende
wissenschaftliche Leistungen durchführte.274 Vor derartigen Hintergründen nehmen auch Aichner,
Mazohl und Kraler Thuns Personalpolitik in gewissen Punkten in Schutz und relativieren den
Vorwurf eines „diktatorischen Vorgehens“ dahingehend etwas.275
Das zweite große Charakteristikum der Thun'schen Bildungsreformen war durch die
Gleichberechtigung der Unterrichtssprachen in Schule und Universität gekennzeichnet. In neueren
270 Vgl. Osterhammel, Verwandlung der Welt: S. 1133.271 Vgl. Höflechner, Die Thun'schen Reformen: S. 39.272 Vgl. Ebenda.273 Vgl. Lentze, Unterrichtsreform: S. 115.274 Vgl. Ebenda: S. 114f. u. 145.275 Vgl. Aichner/Mazohl/Kraler, Aspekte: S. 212.
54
Forschungen haben Aichner, Mazohl und Kraler bereits auf die ambivalente Haltung Thuns sowohl
zur Lehr- und Lernfreiheit als auch zur Gleichberechtigung der Unterrichtssprachen hingewiesen.276
Die Ambivalenz von Leo Thun als Politiker und Staatsmann und seiner unterschiedlichen
Beurteilung und Kategorisierung, die ihm von Zeitgenossen wie von modernen Wissenschaftlern im
Laufe der Zeit auf vielfältige Weise angedacht wurde, wird von Franz Leander Fillafer prägnant auf
den Punkt gebracht:
„Es gibt viele Thuns: den austroslawistischen Landespatrioten und den germanisierenden
Zentralisten, den freisinnigen Staatsmann und den reaktionären Bürokraten; den
aufgeklärten Katholiken, der die Universitäten und Handelsschulen vor dem Zugriff der
Kirche bewahrt habe, und den ultramontanen, papsthörigen Architekten des Konkordats.“277
Denn Thun war vor allem in vormärzlicher Zeit dem Austroslawismus zugeneigt, den er in seiner
Ablehnung des Panslawismus und Magyarismus in seiner Jugend zur Schau gestellt hatte, sich
später jedoch davon distanzierte.278 Trotz seiner grundsätzlichen Empfänglichkeit für den
Austroslawismus nahm er davon wieder Abstand, weil er die „desintegrative Kraft“ dieser
Strömung für die Monarchie fürchtete.279 Dennoch wurde ihm unter diesen Vorzeichen im Zuge
seiner politischen Maßnahmen sowohl der Ruf eines „Germanisators“ zuteil, als auch gleichzeitig
der Vorwurf des „Cechisirens und Entgermanisirens“ gemacht.280 Auch moderne Historiker
interpretieren Thuns Maßnahmen als rücksichtslose Germanisierungskampagnen, wie Hans Lentze,
der in seinem nach wie vor wichtigen Standardwerk zu Thuns Universitätsreformen dessen
Vorgehen gegen polnische Professoren in Krakau und Lemberg als Germanisierungsmaßnahme
klassifiziert.281 Dabei muss relativierend hinzugefügt werden, dass Thun sich in seinem Handeln
primär an pragmatischen Leitmotiven orientierte, vergleichbar dem Denken Josephs II., der sich bei
seiner Sprachenreform ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt sah.282 Zudem entspricht dieses Motiv der
Effizienz, Einheitlichkeit und Zweckmäßigkeit ganz den allgemeinen politischen Trends der
Reformen im österreichischen Neoabsolutismus. Analog zu der Zentralisierung in der Verwaltung
durch Bach agierte Thun in seiner Bildungspolitik und trug auf diese Weise ein Stück weit den Geist
des Neoabsolutismus mit.283 Der Vorzug des Deutschen resultierte aus seinem Rang als sogenannte
„Kultursprache“ sowie als anerkannte Sprache der Wissenschaft, zudem war das Deutsche innerhalb
276 Vgl. Ebenda: S. 197.277 Franz Leander Fillafer, Leo Thun und die Aufklärung. Wissenschaftsideal, Berufungspolitik und Deutungskämpfe.
In: Christof Aichner/Brigitte Mazohl (Hgg.), Die Thun-Hohenstein'schen Universitätsreformen 1849-1860. Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen. Wien/Köln/Weimar 2017. S. 55-75: S. 55f.
278 Vgl. Kraler, Thun: S. 327.279 Vgl. Aichner/Mazohl/Kraler, Aspekte: S. 201.280 Vgl. Ebenda: S. 206.281 Vgl. Lentze, Unterrichtsreform: S. 172.282 Vgl. Aichner/Mazohl/Kraler, Aspekte: S. 199.283 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 335.
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der Habsburgermonarchie speziell als Unterrichtssprache weitverbreitet. Hinzu kam in dieser
Angelegenheit allerdings auch noch die Tatsache, dass Leo Thun zur erfolgreichen Umsetzung
seiner Universitätsreform massiv auf die Berufung vieler Professoren und Wissenschaftler aus dem
Deutschen Bund angewiesen war, ohne die das Funktionieren des Universitätsbetriebs undenkbar
gewesen wäre.284 Diese Berufungen brachten mit den modernen Grundlagen und Methoden, die sich
aus dem Fundament der Humboldt'schen Universitätsreformen in Preußen schon zu Beginn des 19.
Jahrhunderts entwickelt hatten, Qualität, aber auch gleichzeitig verstärkt das Deutsche als
Wissenschaftssprache nach Österreich. Nur auf diese Weise konnte das Reformprogramm
befriedigend umgesetzt und das österreichische Bildungssystem in dermaßen kurzer Zeit völlig
revolutioniert werden. Denn in der Tat machte das österreichische Bildungswesen durch diese
Dynamik enorme Fortschritte, wenngleich viele Reformen aufgrund des Mangels an Personal, das
den Anforderungen entsprach, und der permanenten Geldnot, die besonders während des
Krimkriegs und des Italienischen Einigungskrieges von 1859 akut geworden war, gebremst
wurden.285 Die Habsburgermonarchie hatte sich innerhalb weniger Jahrzehnte von einem relativ
„rückständigen“ Land in wissenschaftlicher Hinsicht zu einem Staat mit international überaus
anerkannten und nicht zu unterschätzenden wissenschaftlichen Leistungen gemausert und war
zudem seit den späten 1870er Jahren auf Augenhöhe mit Deutschland.286 Hermann Bonitz, einer der
Architekten der österreichischen Bildungsreform von 1849 und Kenner des preußischen
Bildungswesen, soll das preußische Bildungswesen, das er nach seiner Rückkehr nach Preußen
1866 im Zuge der österreichischen Niederlage bei Königgrätz vorgefunden hatte, dem
österreichischen sogar als nicht mehr ebenbürtig empfunden haben, da letzteres derartig schnell
aufgeholt hatte.287 Dies mag angesichts der ungebrochenen Dominanz Deutschlands und Preußens
vor allem im universitären Sektor etwas übertrieben anmuten, zeugt aber mit Sicherheit von den
erheblichen Fortschritten, welche die Habsburgermonarchie in diesem Bereich gemacht hatte. Ein
Indiz dafür ist auch, dass sich Bonitz nach seiner Rückkehr nach Preußen bei seinen Reformen des
preußischen höheren Schulwesens 1882 an den österreichischen Gymnasien orientierte,288 freilich
auch, weil gerade Bonitz bei deren konzeptioneller Reorganisation ja federführend gewesen war.
284 Vgl. Lentze, Universitätsreform: S. 41.285 Vgl. Alois Kernbauer, Prinzipien, Pragmatismus und Innovation: Die Umsetzung der Thun'schen Reform an der
Universität Graz. In: Christof Aichner/Brigitte Mazohl (Hgg.), Die Thun-Hohenstein'schen Universitätsreformen 1849-1860. Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen. Wien/Köln/Weimar 2017. S. 121-152: S. 150.
286 Walter Höflechner, Österreich: eine verspätete Wissenschaftsnation? In: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 1. Historischer Kontext, wissenschaftssoziologische Befunde und methodologische Voraussetzungen. Wien 1999. S. 93-114: S. 113.
287 Vgl. Peter Stachel, Das österreichische Bildungssystem zwischen 1749 und 1918. In: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 1. Historischer Kontext, wissenschaftssoziologische Befunde und methodologische Voraussetzungen. Wien 1999. S. 115-146: S. 143.
288 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 148.
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Deutsches Bildungsgut und vor allem deutsche Universitäten waren im 19. Jahrhundert global
betrachtet Vorbild für Hochschuleinrichtungen. In Japan wie in China und Indien beispielsweise
führte das Eingeständnis des technologischen und wissenschaftlichen Vorsprungs der europäischen
Staaten, basierend auf effizienten Universitäten und (Hoch-)Schuleinrichtungen, im 19. Jahrhundert
dazu, dass radikale Reformen auf Kosten des traditionellen Bildungswesens und ein massiver
Import europäischen (und vor allem deutschen) know-hows vorgenommen wurden, um den
Fortschritt voranzutreiben und so überhaupt konkurrenzfähig bleiben zu können.289
In der Habsburgermonarchie verhielten sich die Motive für diese liberalen Bildungsreformen und
den Import ausländischen Wissens durch eine konservative, neoabsolutistisch ausgerichtete
Staatsführung gar nicht so unähnlich zu Ostasien, wenngleich auf einem anderen Level. Nämlich
insofern, als auch hier der Konkurrenzgedanke, mit Preußen in jeder Hinsicht schritthalten zu
müssen, eine erhebliche Rolle spielte, um den österreichischen Einfluss und die österreichischen
Interessen im Deutschen Bund erfolgreich vertreten und verteidigen zu können. Mit einem im
Vergleich zu Preußen rückständigen System im Bildungs-, aber auch Verwaltungs- und
Wirtschaftsbereich war diesem Anspruch nicht beizukommen. In der jüngsten Forschung hat
Mitchell Ash, die vorherrschende wissenschaftliche Meinung relativierend, darauf hingewiesen,
dass von einem bloßen Import des deutschen Universitätssystems oder gar einem „humboldt'schen
Modell“ nach Österreich in dieser Form nicht gesprochen werden könne und führt dies auf die
Heterogenität der deutschen Modelle und die lediglich partielle Übernahme deutscher Strukturen in
Österreich zurück.290 In abgeschwächter Form vertritt auch Walter Höflechner diese Position, der
aber in den deutschen Universitäten dennoch einen klaren Vorbildcharakter für die
Habsburgermonarchie erkennt:
„Hinsichtlich der Inhalte und der Organisation gab es keine Übertragung des preußischen
Modells auf Österreich, aber eine weitgehende Angleichung an die Verhältnisse an den
preussischen Universitäten, also an das Humboldtsche Modell.“291
Ebenso bedeutete im schulischen Bereich die Reorganisation der Gymnasien nicht eine bloße
Übernahme des preußischen Modells, da auch hier eigenständige Strukturen und Kontinuitäten zu
erkennen sind.292 Nichtsdestoweniger ist eine grundsätzliche Orientierung an den Universitäten und
289 Vgl. Osterhammel, Verwandlung der Welt: S 1138f. u. 1154.290 Vgl. Mitchell G. Ash, Wurde ein „deutsches Universitätsmodell“ nach Österreich importiert? Offene
Forschungsfragen und Thesen. In: Christof Aichner/Brigitte Mazohl (Hgg.), Die Thun-Hohenstein'schen Universitätsreformen 1849-1860. Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen. Wien/Köln/Weimar 2017. S. 76-98.
291 Walter Höflechner, Die Auswirkungen politischer und kultureller Veränderungen auf Fortschrittsorientierung und Wissenschaftsorganisation. In: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 1. Historischer Kontext, wissenschaftssoziologische Befunde und methodologische Voraussetzungen. Wien 1999. S. 149-214: S. 158.
292 Vgl. Helmut Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 148f.
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Schulen des deutschen Raumes, bedingt durch deren Erfolg, und die Berufung zahlreicher deutscher
Gelehrter an die Schulen, Hochschulen und Universitäten der Habsburgermonarchie nicht zu
übersehen. Allerdings stieß diese Berufungspolitik zahlreicher deutscher Professoren und
Wissenschaftler an die österreichischen Universitäten und Hochschulen auch auf massiven
Widerstand innerhalb der Regierung. Insbesondere die Disziplin der Österreichischen Geschichte
blieb weitgehend inländischem Personal vorbehalten und auch in verschiedenen Disziplinen der
Rechtswissenschaft musste Leo Thun auf das nationale Selbstbewusstsein seiner Landsleute
Rücksicht nehmen.293 Alles in allem aber war Thuns Hochschulpolitik sowie der Aufschwung der
Wissenschaft in Österreich ohne die Bestellung deutscher Professoren undenkbar.
All dieser Einfluss von deutschen Wissenschaftlern und geistigen Gütern würde wohl kaum als
Anzeichen einer Germanisierungspolitik gedeutet werden, sondern war lediglich der Not der
Habsburgermonarchie und der Qualität, Modernität und Effizienz der deutschen Wissenschaftler
und Lehrer in diesem Bereichen geschuldet. Dieser Aspekt der Berufungspolitik unterstreicht
vielmehr Leo Thuns Pragmatismus in Verbindung mit seiner Verpflichtung gegenüber dem
österreichischen Staatsgedanken des Neoabsolutismus. Leo Thun und sein Unterstaatssekretär
Joseph von Helfert beabsichtigten die reorganisierten Bildungseinrichtungen auch für staatliche
Zwecke zur Förderung eines gesamtstaatlichen Bewusstseins der Staatsbürgerinnen und
Staatsbürger zu benutzen, um auf diese Weise die integrativen Kräfte der multiethnischen
Habsburgermonarchie zu stärken und etwaigen nationalen Unabhängigkeitsbewegungen
vorzubeugen und entgegenzuwirken. Denn die Revolution von 1848/1849 hatte auch gezeigt, wie
stark nationale Bewegungen, vor allem in Ungarn, sein konnten und wie sehr dieser Nations-Begriff
einem Wandel unterworfen war. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die Ansichten Helferts
verstehen, der den Nations-Begriff, der immer stärker sprachlich und ethnisch konnotiert war, auf
die Bewohnerinnen und Bewohner der Habsburgermonarchie in ihrer Gesamtheit anwenden und in
seiner multiethnischer Auffassung umdeuten wollte. Die Geschichtswissenschaft war hierfür das
Mittel, um den Nationalbewegungen entgegenzuwirken und ein gesamtösterreichisches
Nationalbewusstsein zu bilden.294 Thun und die von ihm berufenen Professoren mussten gerade in
der Geschichtswissenschaft erst neue Strukturen schaffen und verrichteten auf diesem Feld
Pionierarbeiten.295 Neben Helferts und Thuns zweifellosen Absicht der Förderung eines gesamt-
österreichischen Staats-Patriotismus, spielte auch eine Erziehung nach moralisch-konservativen und
katholischen Werten eine wichtige Rolle in Thuns Politik, wie Hans Lentze bekräftigt, dessen
293 Vgl. Lentze, Universitätsreform: S. 132 u.143f.294 Vgl. Fellner, Geschichte als Wissenschaft: S. 169f.295 Vgl. Aichner/Mazohl/Kraler, Apsekte: S. 212.
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Wortwahl der „Umerziehung“ allerdings zu stark zu sein scheint.296 Tatsächlich wurden hinsichtlich
der patriotischen Erziehung die potentiellen Möglichkeiten zur Verbreitung eines gesamt-
österreichischen Geschichtsbewusstseins und Zugehörigkeitsgefühls aber nur sehr wenig
ausgeschöpft. Georg Christoph Berger Waldenegg bilanziert in seiner Abhandlung, dass die
Versuche der österreichischen Regierung und regierungsnaher Kreise in der Periode des
Neoabsolutismus, ein großösterreichisches Nationalbewusstsein zu fördern und auf die breitere
Bevölkerung auszudehnen, gescheitert seien und sich durch den dadurch hervorgerufenen
Widerstand der Nationalitäten als eher kontraproduktiv erwiesen hätten.297 „Es gab 1859 nicht mehr,
sondern eher weniger Großösterreicher als noch 1854.“298 Die Geschichtswissenschaft, die erst sehr
spät als Mittel hierfür erkannt und dahingehend entsprechend unterstützt wurde, konnte sich in ihrer
Objektivität frei entfalten. Alphons Lhotsky bemerkt hierzu:
„Es war ein Fehler des alten Österreich, daß der Staat seit dem Ausbruche des Liberalismus
dieses anderwärts mit Selbstverständlichkeit geübte Recht aus den Augen verlor; er hat
damit wohl das seltene Phänomen einer in keiner Weise beeinflussten, also wirklich freien
Geschichtsforschung herbeigeführt, was ihm nur zur Ehre gereichen kann, aber er hat auch
mit schwer begreiflicher Indolenz die Propagation mancher Auffassungen, die gegen seine
Ideologie gerichtet waren, toleriert, ohne auch für diese eintreten zu lassen.“299
Auch wenn Lhotskys Argumentation hinsichtlich der verspäteten Erkenntnis der österreichischen
Regierung über die Instrumentalisierung der Geschichtswissenschaft für staatliche Ziele ihre
Richtigkeit besitzt, so wurden in dieser Disziplin freilich dennoch konkrete Interessen verfolgt. Die
Historiker dieser Zeit, wie Franz Krones, Alfons Huber und etliche andere, legten ohne Zweifel
Wert auf streng wissenschaftlich orientierte Methoden, und dennoch galt es unter ihnen als
staatsdienliche Pflicht, die Habsburgermonarchie mit ihren Werken und Arbeiten ideologisch zu
untermauern und ihren Staatsgedanken mitzutragen.300 Wie beschrieben, förderte Thun die
Unabhängigkeit und die freie geistige Entfaltung der Universität unter Zurückdrängung von
politischen und klerikalen Einflussmaßnahmen. Doch verfolgten Thun und das Ministerium mit
diesen liberalen Reformen konservative, staatserhaltende und staatsfördernde Zwecke. Die
Widersprüchlichkeit dieser Entwicklungen und Zielsetzungen im Unterrichtsministerium illustriert
einmal mehr die ambivalente Rezeption der Rolle Thuns als Reorganisator des österreichischen
Bildungswesens. Denn wahlweise wird Thun entweder zum „Retter, der die Universitäten der
habsburgischen Länder endlich für die geistigen Fortschritte des größeren Deutschland öffnete“, 296 Vgl. Lentze, Unterrichtsreformen: S. 95.297 Vgl. Berger Waldenegg, Vaterländisches Gemeingefühl: S. 176.298 Ebenda.299 Lhotsky, Historiographie: S. 165.300 Vgl. Fellner, Geschichte als Wissenschaft: S. 170.
59
stilisiert oder in das „Bild des Verpreußers, der die gesamtösterreichische Identität zerstört hat“301,
gepresst.
6 Das Mittelschulwesen der Habsburgermonarchie
Das Mittelschulwesen war, aufbauend auf dem „Organisationsentwurf für österreichische
Gymnasien und Realschulen“, der von Franz Exner und Hermann Bonitz ausgearbeitet und 1849
vom Kaiser genehmigt worden war, gründlich reformiert worden.302 Die Mittelschule der
Habsburgermonarchie war ein Überbegriff, unter dem alle Schultypen der mittleren und höheren
Schulen, wie Gymnasium, Realgymnasium, Realschule und Mädchenlyzeum, subsumiert wurden.303
Eine eigene, österreichische Handschrift trugen die Gymnasien der Habsburgermonarchie, die
keineswegs einer „Verpreußung“ unterzogen wurden, wie dies Thun vorgeworfen worden war.304 Im
Unterschied zu ihren preußischen Pendants, die einen Fokus auf die Philologie legten, wiesen die
Lehrpläne der österreichischen Gymnasien eine stärker mathematisch-naturwissenschaftliche
Ausrichtung auf.305 Diese „Realien“ hatten auf Initiative Franz Exners Eingang in das Curriculum
des Gymnasiums gefunden und sorgten neben den sprachlich-historischen Fächern Religion,
Geographie, Geschichte, den Klassischen Sprachen und der Muttersprache für Ausgewogenheit.306
Das Ziel der Gymnasien war es also eine möglichst breit gefächerte Allgemeinbildung zu
vermitteln, um die Schülerinnen und Schüler auf die verschiedensten Disziplinen der Universität
vorzubereiten. In den Realschulen war hingegen kein Platz für Latein und Griechisch, vielmehr
sollten lebende Fremdsprachen und ein Schwerpunkt auf Mathematik und die Naturwissenschaften
eine einschlägige Fachausbildung bieten, die hauptsächlich auf eine weiterführende Ausbildung in
den Technischen Studien ausgerichtet war.307 Die Schülerinnen und Schüler waren im
österreichischen Schulsystem einer erheblichen Belastung ausgesetzt, um 1900 lag der
durchschnittliche Arbeitsaufwand eines Schülers einer Prager Sekundarschule in und außerhalb des
Unterrichts summa summarum bei elf Stunden täglich.308 Vor allem im Gymnasium war die
Stundenzahl seit der Reform 1855 beträchtlich gestiegen. Engelbrecht sieht die Ursache für die
steigende Belastung im Widerstand gegen Kürzungen von etablierten Fächern, wodurch der
301 Fillafer, Leo Thun: S. 56.302 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 147.303 Vgl. Wallisch, Höheres Lehramt: S. 3.304 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 148f.305 Vgl. Ferdinand Tremel, Wirtschaft und Bildung im österreichischen Frühliberalismus. In: Gerda Mraz (Hg.),
Österreichische Bildungs- und Schulgeschichte von der Aufklärung bis zum Liberalismus (= Jahrbuch für Österreichische Kulturgeschichte Bd. 4). Eisenstadt 1974. S. 29-45: S. 40.
306 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 148.307 Vgl. Ebenda: S. 153.308 Vgl. Cohen, Education: S. 216.
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Lehrplan im Zuge der Reformen der Stundentafeln immer weiter aufgebläht worden sei und sich die
Stundenzahl so immer weiter erhöht habe.309 In den Realschulen waren die Schülerinnen und
Schüler einer nicht minder hohen Belastung ausgesetzt, was heftige Diskussionen über den Nutzen
der Ausrichtung dieses Schultyps zur Folge hatte, da auch Handel, Industrie und Gewerbe die
Unzulänglichkeiten dieser Ausbildung kritisierten.310 Der Input stand demnach in keinerlei
Verhältnis zum Output.
Auch wenn seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts andere Vertreter des Mittelschulwesens wie
die Realschule immer mehr an Bedeutung gewannen, blieb das Gymnasium weiterhin die
tonangebende Einrichtung unter den Sekundarschulen, die sich allesamt am Curriculum der
Gymnasien orientierten.311 Trotz Forderungen, alle Sekundarschultypen einheitlich und
gleichberechtigt zu gestalten, erhielt die Realschule bis zum Ersten Weltkrieg keine achte
Schulstufe und war damit dem Gymnasium weiterhin unebenbürtig.312 Seit Leo Thun war das
österreichische Gymnasium nämlich ein auf acht Schulstufen angelegter Schultyp, an dessen Ende
die „Maturitätsprüfung“ als Voraussetzung für ein Studium an der Universität stand.313 Lediglich bei
der Unterstufe war schon früh auf Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit von Untergymnasium,
Bürgerschule und Realgymnasium geachtet worden.314 Das Realgymnasium, das lediglich ein
Unterstufentyp war, bildete dahingehend eine Sonderform als Bindeglied zwischen Gymnasium und
Realschule. Seine Einrichtung geschah aus dem Gedanken heraus, eine gemeinsame Unterstufe
einzurichten, die sowohl auf das Obergymnasium als auch auf die Oberrealschule vorbereiten
sollte.315 Da sich allerdings Gymnasial- wie Realschullehrer gegen diesen Schultyp aussprachen,
gingen die Zahlen der Realgymnasien zurück und wandelten sich meist in Untergymnasien oder
Unterrealschulen um.316 Auch die Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler hinsichtlich
ihrer sozialen Herkunft verdient Beachtung. Der größte Teil der Schülerinnen und Schüler der
Gymnasien und Realschulen Böhmens und der „Alpenländer“ kam aus der unteren Mittelschicht,
die auch ein Drittel bis die Hälfte der Studierenden an den Universitäten ausmachte.317
Constantin Wurzbach bezeichnete die „Organisirung des gewerblichen Unterrichts und die damit
verbundene Errichtung von Gewerbe-Realschulen und Gymnasien“ als die Reform, die „von allen
309 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 150310 Vgl. Ebenda: S. S. 154.311 Vgl. Ebenda: S. 157.312 Vgl.: Cohen, Education: S. 255.313 Vgl. Wallschisch, Höheres Lehramt: S. 43f.314 Vgl. Ernst Springer, Das Mittelschulwesen. In: Egon Loebenstein (Hg.), 100 Jahre Unterrichtsministerium 1848-
1948. Festschrift des Bundesministeriums für Unterricht in Wien. Wien 1948. S. 114-138: S. 115.315 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 156.316 Vgl. Ebenda.317 Vgl. Cohen, Education: S. 171.
61
diesen Staatsacten am tiefsten ins geistige und Culturleben der Monarchie eingriff“318. Im Weiteren
fügte er als Begründung hinzu:
„Denn von diesen Anstalten, welche vorher gar nicht bestanden, zählt Oesterreich
gegenwärtig weit über anderthalbhundert, und dieselben ins Leben gerufen und zum großen
Theile mit Gebäuden und reichen Lehrmitteln versehen zu haben, bleibt Leo Thuns
unantastbares und bisher nirgend gewürdigtes Verdienst.“319
Den Effekt, dass sie tief in das „geistige Culturleben“ einflossen, wie Wurzbach konstatierte,
gedachte Thun nun auch für die staatspolitischen Zwecke zu nutzen. Den etwas speziellen und
eigentümlichen Zusammenhang von Schulkindern und Patriotismus in Österreich machte auch
Robert Musil zum Thema, das für österreichische Schulkinder im Unterschied zu ihren
Altersgenossinnen und Altersgenossen anderer Staaten zu einem von vorn herein differenzierten
Umgang zwinge.320 Anders als im Universitätsbereich wurde auf den Einsatz ausländischer
Lehrkräfte in den Gymnasien nach Möglichkeit verzichtet und stattdessen vermehrt auf Supplenten
und minder qualifizierte Hilfslehrer, die nicht einmal die vorgeschriebene Lehramtsprüfung
abgelegt haben mussten, zurückgegriffen.321 Dadurch entstand ein hoher Mangel an qualifiziertem
Lehrpersonal in allen Mittelschultypen, der das Niveau trotz der intendierten Qualitätssicherung
durch eine verpflichtende Lehramtsprüfung deutlich senkte und den Lehrenden oft den Ruf der
„Unfähigkeit“ einbrachte.322 Die Situation besserte sich erst, als Seminare zur gezielten Ausbildung
von Gymnasiallehrern eingerichtet und zahlreiche Stipendien zu deren Besuch vergeben wurden.323
7 Die Lehrbücher seit 1849
Der Mangel galt ebenso personell wie auch für die geistigen Güter und Materialien, insbesondere
Schulbücher, die in der Anfangszeit der Thun'schen Unterrichtsreformen aus dem deutschen Raum
importiert oder eigens angefordert werden mussten, da die entsprechenden österreichischen
Schulbücher erhebliche Schwächen aufwiesen. Aufgrund des miserablen Rufes der Schulbücher der
Habsburgermonarchie bis Mitte des 19. Jahrhunderts, war dieser Bereich eine weitere Baustelle, an
die Leo Thun seine Korrekturfeder setzte. Neben der methodischen und pädagogischen
Antiquiertheit dieser Schulbücher spielten im Geschichtsbereich auch die ideologischen
Gesichtspunkte eine große Rolle, da diese dem österreichischen Staatsgedanken und Patriotismus zu
318 Constantin von Wurzbach, Thun-Hohenstein, Leopold Leo Graf. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Bd. 45. 1882. S. 54-62: S. 58.
319 Ebenda: S. 59.320 Vgl. Musil, Mann ohne Eigenschaften: S. 18.321 Vgl. Wallisch, Höheres Lehramt: S. 74f.322 Vgl. Ebenda: S. 75f.323 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 150.
62
wenig Gewicht zukommen ließen und die historischen Ereignisse oft vom Standpunkt der deutschen
Reichsgeschichte und nicht von Österreich und den habsburgischen Ländern aus behandelten und
benannten.324 Als die Flut an Neupublikationen von österreichischen Schulbüchern einsetzte, um
diese Mängel zu beheben, war es vor allem in der Anlaufzeit vermehrt zur paradoxen Situation
gekommen, dass gerade deutsche Historiker außerhalb Österreichs Schulbücher zur österreichischen
Geschichte und Vaterlandskunde publizierten, da diese in der Habsburgermonarchie in
zufriedenstellender Qualität nicht vorhanden waren und auch die Fachkräfte schlichtweg fehlten. So
ist beispielsweise der Kölner Historiker und Schulbuchautor Wilhelm Pütz zu nennen, auf dessen
„Lehrbuch der österreichischen Vaterlandskunde“ ich noch genauer eingehen werde. Das
Ministerium griff also massiv auf ausländische Lehrbücher zurück, versuchte aber auch gleichzeitig
Grundlagen und Strukturen zur Optimierung der heimischen Lehr- und Schulbücher zu schaffen,
um den Missständen aktiv gegenzusteuern.325 Letzteres wurde auf der einen Seite durch die
Erhöhung des Konkurrenzdrucks mittels der Aufhebung der Monopolstellung des
Schülerbuchverlags und die freie Auswahlmöglichkeit für die Lehrenden zu erreichen versucht, auf
der anderen Seite sogar durch gefördertes Plagiieren von deutschen Lehrbüchern forciert.326 Der
Import deutscher Unterrichtsmaterialien machte auch deshalb Sinn, da Deutsch in den Mittelschulen
der Habsburgermonarchie die dominierende Unterrichtssprache war und umgekehrt das Fehlen
entsprechender nicht-deutschsprachiger Unterrichtmittel oftmals als Argument diente, diese
Dominanz aufrechtzuerhalten.327 Noch 1905 war in ungefähr der Hälfte aller Gymnasien der
Habsburgermonarchie Deutsch die verwendete Unterrichtssprache, in den Realschulen lag der
Anteil sogar noch höher.328 Mit deutschsprachigen Lehrmitteln konnte demzufolge über die Hälfte
der Mittelschülerinnen und -schüler erreicht werden.
Gerade vom ideologischen Standpunkt aus betrachtet sahen allerdings viele Beobachter den Wandel
und den Umbruch im Bereich der Schulbücher in der Anfangszeit der Thun'schen Reformen
kritisch. Vor allem die massive Abhängigkeit von deutschen Lehrbüchern, die zum Thema
Österreichische Vaterlandskunde und Österreichische Geschichte erschienen sind und teils
erhebliche Verbesserungen zu den vormärzlichen Schulbüchern aufwiesen, war dabei ein Problem.
Denn es sollte in den Schulbüchern die erklärte Absicht erfüllt werden, den Schülerinnen und
Schülern die Genese, das Wesen und die Besonderheiten der österreichischen Geschichte und seines
324 Vgl. Berger Waldenegg, Vaterländisches Gemeingefühl: S. 152.325 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 149.326 Vgl. Ebenda.327 Vgl. Peter Urbanitsch, Die Deutschen in Österreich. Statistisch-deskriptiver Überblick. In: Adam Wandruszka/Peter
Urbanitsch (Hgg.), Die Habsburgermonarchie 1848-1918. Bd. 3/1. Die Völker des Reiches. S. 33-153: S. 89.328 Vgl. Ebenda: S. 90.
63
Staatswesens begreiflich zu machen. Trotz des Eingeständnisses des wissenschaftlichen Vorsprungs
in Preußen und dem Deutschen Bund und der aus diesen Gründen nachvollziehbaren Benützung
von Lehrbüchern deutscher Autoren, stand daher vielfach die Unzufriedenheit und Skepsis im
Raum, ob deutsche Geschichtsbücher für österreichische Lehrgegenstände diese Anforderungen
überhaupt vollständig erfüllen könnten. In einer Rezension zum 1869 erschienen Mittelschul-
Lehrbuch „Oesterreichische Vaterlandskunde“ von Emanuel Hannak, die in der „Zeitschrift für die
österreichischen Gymnasien“ erschienen war, wurde über die bisherige Entwicklung in diesem
Gebiet wie folgt resümiert:
„Als nämlich in Folge der Umgestaltung des Unterrichtwesens die vordem bestandenen
Lehrbücher sofort beseitigt und neue in Deutschland bewährte eingeführt wurden, da konnte
man nicht erwarten, dass diese auf dem historisch-geographischen Gebiete allen jenen
Forderungen entsprechen würden, die eine Pflege der vaterländischen Geographie und
Geschichte in Oesterreich beansprucht und eine nachdrückliche Hervorhebung dieser
Forderung schien in dem Organisationentwurfe geboten.“329
Neben gewissen Mängeln, die dem Organisationsentwurf Exners und Bonitz bezüglich der
Definition und der Relevanz von Vaterlandskunde im Unterricht von Ptaschnik attestiert wurde,
kam eben diese Skepsis gegenüber deutschen, außer-österreichischen Lehrbüchern zum Ausdruck,
gerade was der historische Aspekt anbelangte. Es wurde diesen Lehrbüchern zwar kein qualitativer
Mangel an sich vorgeworfen, da sie ja dennoch einen wichtigen Beitrag leisteten, doch blitzte in
den Kritiken immer etwas von dem Vorwurf der Unfähigkeit und Unmöglichkeit, das
österreichische Spezifikum als „Außenstehender“ erfassen zu können, durch.
Auch wohlwollende Rezensenten und Beobachter sahen in ihnen oftmals nur eine
Übergangslösung, die lediglich das Fundament für eigene, genuin österreichische Materialien und
Bücher bilden sollte. Salomon Frankfurter, der Biograph Thuns und seines Wirkens als Minister, der
diesem auch die beiden geistigen Väter des Organisationsentwurfs von 1849 Hermann Bonitz und
Franz Serafin Exner gleichwertig zur Seite stellte und allen dreien ihre Würdigung zuteilwerden
ließ, fasste die Situation im Bereich der Schulbücher folgendermaßen zusammen:
„Ein Übelstand, der trotz aller früher darauf verwendeten Mühe nicht hatte behoben werden
können, weil er im Wesen des früheren Studiensystems begründet war, waren die
Lehrbücher, die 'ein Spott von ganz Deutschland geworden waren'; auch hierin wurde
Wandel geschaffen. Nachdem zunächst durch Einführung bewährter, in Deutschland durch
langjährige Übung erprobter Lehrmittel dem unmittelbaren Bedürfnisse abgeholfen war,
329 J. Ptaschnik (Rez.): Emanuel Hannak, Oesterreichische Vaterlandskunde für die mittleren und höheren Classen der Mittelschulen. Wien 1869. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien. Wien 1869. S. 870-873: S. 871.
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wurden Einleitungen getroffen, die die Lehrerschaft zur Abfassung neuer Lehrbücher, die
ganz den heimischen Bedürfnissen entsprächen, anregten, und bald entstand eine Literatur,
die nicht nur im Vergleich zur früheren eine treffliche genannt werden muss, sondern durch
eine Anzahl Bücher von bleibendem Werte für alle Zeiten ein ehrendes Zeichen des
rühmlichen Strebens der Lehrerschaft und der Anregungen gibt, die sie erfuhren.“330
Auf diese Situation versuchte das Unterrichtsministerium durch den Import von deutschen
Bildungsgütern und die Bestellung deutscher Professoren und Lehrkräfte zu reagieren. Allerdings
sollte diese Reformbedürftigkeit des österreichischen Bildungswesens und die erfolgreichen
Maßnahmen Leo Thuns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vorangegangene Periode von 1790
bis 1848 keinesfalls einen Stillstand in diesem Bereich bedeutete, wie Helmut Engelbrecht
argumentiert. Zwar haben speziell die Gymnasien im Zuge der theresianischen und josephinischen
Reformen Schaden davongetragen und waren nicht selten aufgrund des Personalmangels,
hervorgerufen durch das Verbot des Jesuitenordens, die staatliche Einflussnahme und die
kostensparende Politik zur Schließung der Einrichtung gezwungen.331 Doch waren kurzlebige
Reformen wie jenes nach Franz Innozenz Lang benannte Experiment und eine erstarkende und
zunehmend selbstbewusste Lehrerschaft Anzeichen der bevorstehenden Umwälzungen, die 1849
eintreten sollten.332 Ebendiese Emanzipation in Kombination mit der Rücknahme einiger liberalerer
Reformen war es, die den aufgestauten Wunsch nach Reform und Liberalisierung sich entladen ließ
und zahlreiche Entwürfe und Konzepte zur Reorganisation von Universität und Gymnasium in den
Köpfen und auf dem Papier am Vorabend der Revolution wachsen ließ. „Die Ablehnung des
vormärzlichen Bildungssystems war der Kitt, der nach 1848 sehr verschiedene politisch-
intellektuelle Gruppen verband.“333 Leo Thun-Hohenstein hatte die Reformen dennoch gegen
erheblichen Widerstand durchgesetzt und erhielt für sein Werk, wie bei Wurzbach angedeutet, in
Anbetracht seiner Leistungen nur wenig Würdigung. Trotzdem rief seine Politik in der Folgezeit ein
breites Echo und reges Interesse hervor, das bis heute andauert, wie die zahlreichen Publikationen
zu den Thun'schen Bildungsreformen zeigen. Interessant für die Rezeption noch im 19. Jahrhundert
sind die Ausführungen Samuel Frankfurters. Dessen Beurteilungen und Analysen, die zwar
streckenweise die Sympathie für die Person und Politik Thuns (aber auch für Bonitz und Exner)
allzu deutlich hervortreten ließen, haben deshalb einen so hohen Stellenwert, da seinem Werk laut
330 Salomon Frankfurter, Graf Leo Thun-Hohenstein, Franz Exner und Hermann Bonitz. Beiträge zur österreichischen Unterrichtsreform. Wien 1893:S. 35f.
331 Vgl. Helmut Engelbrecht, Das österreichische Gymnasium zwischen 1790 und 1848. In: Gerda Mraz (Hg.), Österreichische Bildungs- und Schulgeschichte von der Aufklärung bis zum Liberalismus (= Jahrbuch für Österreichische Kulturgeschichte Bd. 4). Eisenstadt 1974. S. 99-117: S. 99ff.
332 Vgl. Ebenda: S. 106 u. 112.333 Fillafer, Leo Thun: S. 74.
65
eigenen Angaben die Materialien und Aufzeichnungen des Unterstaatssekretärs aus Leo Thuns
Ministerium, Joseph Frh. von Helfert, zugrunde lagen, der sie Frankfurter zu Forschungszwecken
überlassen hatte.334 Das Anheben der Besoldungen, die Schaffung diverser Institutionen zur Pflege
und Förderung des Wissenschaftsbetriebs und zahlreiche Anregungen an die Professoren und
Lehrer, sich am wissenschaftlichen Output sowie an der Produktion hochwertiger Lehr- und
Schulbücher zu beteiligen, waren nach dem Urteil Frankfurters im Kern die wichtigsten und
nachhaltigsten Punkte von Thuns Reform. Als Vorbedingung der Publikation zahlreicher Lehr- und
Schulbücher war eine intensive Diskussion über den gesamten Bildungsbereich vorangegangen und
hatte wichtige Impulse für die folgenden Entwicklungen gegeben. Für Salomon Frankfurter spielte
die vom Unterrichtsministerium ins Leben gerufene „Zeitschrift für die österreichischen
Gymnasien“ eine tragende Rolle in diesem Disput:
„Großen Antheil daran [an der literarischen Publikation] hatte die vom Ministerium
geschaffene 'Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien', die nach allen Richtungen hin
aufklärend, belehrend und anregend wirkte.“335
In ihren jährlich erschienen Ausgaben besprach die „Zeitschrift für die österreichischen
Gymnasien“ die wichtigsten Publikationen an Schul- und Lehrbüchern, aber auch an
Forschungsliteratur, und beurteilte sie auf ihre Eignung und Qualität hin, was durch die Beteiligung
vieler namhafter Wissenschaftler aller Disziplinen als Rezensenten in besonders fundierter Weise
möglich war. In gleichem Maß wurden darin auch die neuesten Erlässe und Bestimmungen des
Ministeriums abgedruckt und besprochen. Die dritte Säule der Zeitschrift waren Beiträge und
Diskussionen zu didaktischen und pädagogischen Themen, denen die jeweils modernsten
Ansatzpunkte zugrunde lagen. Eine weitere Entwicklung, die die Qualität der Lehrbücher
sicherstellen sollte, war die Approbation der Lehrbücher für ihre Eignung im Unterricht. Zwar nahm
die österreichische Unterrichtsverwaltung formal keinen direkten Einfluss auf die inhaltliche
Gestaltung der Lehrbücher, doch förderte sie gezielt Publikationen, die den Vorstellungen und
Konzepten der Regierung entsprachen, und gebrauchte mit der Approbation ein nützliches
Instrument, um Lehrbücher, die diesen Vorstellungen zuwiderliefen, aus dem Verkehr zu ziehen.336
Dieses Instrument diente einerseits freilich ebenso der Qualitätssicherung der Lehrbücher,
andererseits der gezielten Einflussnahme. Von den Publikationen, die im staatlichen
Schulbuchverlag erschienen und daher von der Approbation ausgenommen waren, abgesehen,
mussten seit 1869 im Volksschulbereich und seit 1873 in den Mittelschulen alle Lehrtexte dem
Landesschulrat zur Freigabe vorgelegt werden, seit 1900 waren sie direkt an das Ministerium zu
334 Vgl. Frankfurter, Leo Thun: S. VI.335 Ebenda: S. 36.336 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 58.
66
adressieren.337 Um den Überblick über die wachsende Zahl der Neuerscheinungen zu behalten,
wurde jede erfolgte Approbation im „Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k.k. Ministeriums
für Cultus und Unterricht“338 aufgelistet.339 Zusätzlich wurde seit 1878 jedes Jahr ein Verzeichnis
herausgegeben, das alle approbierten Lehrbücher umfasste.340
Bereits in der Anlaufphase dieser Neuerungen stimmte auch Helfert einen durchaus optimistischen
Tenor an. In seinem Opusculum „Über Nationalgeschichte und den gegenwärtigen Stand ihrer
Pflege“ stellte er 1853 folgende Trends fest:
„Die Organe der Verwaltung reichen kaum zur Prüfung dessen aus, was von allen Seiten
dargeboten, was auf allen Feldern des neugeordneten Unterrichts geleistet wird. Ist auch bei
der gewissenhaften Sorgfalt, mit welcher bei Anempfehlung und Zulassung von neuen
Schulbüchern vorgegangen wird, desjenigen was zurückgewiesen werden muß, noch bei
weitem mehr als dessen, was angenommen werden kann;“341
Die Fülle an Neupublikationen von Schulbüchern und pädagogischer Fachliteratur, die durch die
Regierungsmaßnahmen begünstigt und gefördert wurden, waren für Helfert allein schon ein
Zeichen in die richtige Richtung, auch wenn die gewünschte Qualität noch nicht erreicht war. Es
spiegelte sich hierin Helferts Zufriedenheit über den bisherigen Verlauf und ein optimistischer Blick
in die Zukunft wider. Doch klingt in dieser Passage auch die nötige Steigerung an Qualität mit. Die
Schnelligkeit des Umschwungs im Bildungsbereich und die Qualität, die erzielt werden könne,
wenn die Reformen voll greifen und der regen Publikationstätigkeit noch mehr Zeit gelassen würde,
waren die Gründe, die Helfert so positiv stimmten:
„Ist man auch, um nicht durch zu große Strenge in der ersten Zeit vor erneuten Versuchen
zurückzuschrecken, in vielen Fällen gezwungen, sich das gute gefallen zu lassen, weil das
bessere noch nicht erwartet werden kann: so erscheint doch alles zusammen als ein
erfreuliches Zeichen des raschen Aufschwunges, welchen unsere pädagogische und
Schullitteratur genommen hat, der lebendigen Regsamkeit, welche sie entfaltet – eines
Aufschwunges und einer Regsamkeit, die auswärts vielfach mit unverhohlenem Staunen
beobachtet, aber leider im Lande noch mehrseitig mit kaum verhehlter Unkenntnis oder
Misgunst übersehen wird.“342
Gleichzeitig wies Helfert allerdings auf die inneren Widerstände und die Ablehnung gegenüber den
Thun-Hohenstein'schen Reformen hin, deren Fortbestand zu diesem Zeitpunkt alles andere als
337 Vgl. Ebenda.338 Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k.k. Ministeriums für Cultus und Unterricht. Wien 1869-1918.339 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 58.340 Vgl. Ebenda.341 Helfert, Nationalgeschichte: S. 36.342 Ebenda.
67
gesichert war. Gerade für die Geschichtswissenschaft und die Beschäftigung mit der
österreichischen Geschichte und sogenannten Vaterlandskunde bedeuteten diese Reformen einen
Aufschwung. Helfert definierte die Vaterlandskunde unter Abgrenzung zur „Heimatkunde“, die sich
seiner Meinung nach lediglich auf die Grenzen des jeweiligen Kronlandes beschränkte, als die
„Kenntnis des Gesammtvaterlandes von Groß-Österreich.“343 Unter diesem Gegenstand subsumiert
waren sowohl Kenntnisse in der Geschichte und Geographie als auch im weiteren Sinne über
Bodenbeschaffenheit, Industrie, Bildung, Kultur und Ethnographie des Österreichischen
Kaiserstaats. Folglich war die Vaterlandsgeschichte ein geeigneter Gegenstand, in dem sich ein
gesamt-österreichisches Geschichtsbewusstsein und Zugehörigkeitsbewusstsein transportieren ließ.
Von dieser Perspektive sah es auch der Gymnasialprofessor Josef Schwerdfeger, der in einer
Besprechung der „Vaterlandskunde“ von Silva-Tarouca 1914 in der „Zeitschrift der österreichischen
Gymnasien“ diesen Unterrichtsgegenstand und seinen Zweck für die Zukunft folgendermaßen
beschrieb:
„Besser als irgendwoanders kann bei uns die Vaterlandskunde ein Haupthebel sein für die
Erweckung und Förderung edelster Vaterlandsliebe, zumal in der empfänglichen Seele der
Jugend und wer die Jugend für seine Ideen erwärmt und begeistert, der hat bekanntlich die
Zukunft in Händen.“344
7.1 Wilhelm Pütz‘ „Lehrbuch der oesterreichischen Vaterlandskunde“ (1851)
In vielerlei Hinsicht beachtenswert ist dabei das „Lehrbuch der oesterreichischen Vaterlandskunde“
des Kölner Professors und Lehrers Wilhelm Pütz. Mit dem Publikationsjahr 1851 fiel es in die
Frühphase der Thun-Hohenstein'schen Reformen und damit in die Zeit eines akuten Mangels an
Lehrbüchern. Fiel die Übernahme ausländischer Lehrbücher bei naturwissenschaftlichen oder
sprachlichen Fächern noch vergleichsweise leicht, so wurde es bei einem ideologisch und politisch
behafteten und von staatlichen Absichten durchzogenen Gegenstand wie der Vaterlandskunde
problematisch. Ähnlich wie die Lehrstühle der Österreichischen Geschichte und einiger
rechtswissenschaftlicher Disziplinen auf der Universität, die fest in österreichischer Hand blieben,
war auch der Schulgegenstand Geschichte mit den dazugehörenden Unterrichtsmaterialien höchst
emotional beladen. Dass auch in diesem Bereich vermehrt auf deutsche Publikationen, wie der
Wilhelm Pütz‘, zurückgegriffen wurde, zeigt die Notlage des österreichischen
Bildungsministeriums. Wilhelm Pütz war hierfür insofern der geeignete Kandidat, als er mit
343 Ebenda.344 Josef Schwerdfeger (Rez.): Franz Joseph Graf von Silva-Tarouca, Lehrbuch der Vaterlandskunde. Wien/Leipzig
1913. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien. Wien 1914. Sonderdruck. S. 1-6: S. 1.
68
zahlreichen historischen und geographischen Lehrbuchpublikationen aufwarten konnte, die
abgesehen von Preußen und dem Deutschen Bund aufgrund ihrer Übersetzung in zahlreiche
Sprachen seit 1843 auch in vielen Teilen Europas Verwendung fanden, wo sie mit Wohlwollen
aufgenommen worden waren.345
Die Einführung der Österreichischen Geschichte und Vaterlandskunde in die Ober- und
Untergymnasien durch den Organisationsentwurf hatte durch die Kurzfristigkeit und den Mangel an
Lehrbüchern viele Lehrer des Schuljahrs 1851 „in Verlegenheit“ gebracht, wie es in der „Zeitschrift
für die österreichischen Gymnasien“ hieß.346 Aus derselben Renzension geht außerdem hervor, dass
vor allem ein eklatanter Mangel an Lehrbüchern der Vaterlandsgeschichte für die Untergymnasien
herrschte, wobei auch jene für die Obergymnasien einen enormen Rückstand aufgewiesen hätten,
den aufzuholen die Publikation von Pütz sich vorgenommen habe.347 Im Vorwort zu seinem
Lehrbuch nahm Pütz Bezug auf den in Österreich herrschenden Mangel und sah sich nicht zuletzt
aufgrund seiner mehrmaligen Reisen sowie der scheinbaren Ähnlichkeit zu Deutschland dazu
befähigt.348 Allerdings scheinen diese Punkte die erwähnte Skepsis in Österreich zu bestätigen, die
Nicht-Österreichern das Verstehen der Habsburgermonarchie absprachen, zumal Pütz lediglich vom
Besuch der „deutschen und italienischen Kronländer“, nicht aller Kronländer, und der oberflächlich
erscheinenden Einschätzung von „bei uns gewohnten Zustände[n]“349 sprach. Doch andererseits
entsprach sein Ansatz, „dass es hier weniger auf eine ins Detail gehende Kenntniss einzelner
Kronländer als auf eine klare, das grosse Ganze umfassende Uebersicht ankomme“350 wiederum den
Vorstellungen des Unterrichtministeriums und der Gesamtstaatsdoktrin des österreichischen
Neoabsolutismus.
Der Aufbau seines Lehrbuchs ist ein zweigeteilter. In der ersten Hälfte wird der österreichischen
Geschichte von der Römerherrschaft bis zum Österreichischen Kaiserstaat und der politischen
Ordnung seit dem Wiener Kongress Raum gegeben. Statistische und geographische Aspekte der
Habsburgermonarchie füllen hingegen die zweite Hälfte, die sich wiederum in feinere Unterkapiteln
gliedert, in denen unter anderem auf die Bevölkerung, die Verfassung und die Verwaltung
eingegangen wird. Die geschichtliche Hälfte hat ihren Schwerpunkt klar auf dem Mittelalter und
handelt skizzenhaft und komprimiert die wichtigsten Stationen in der österreichischen Geschichte
chronologisch ab. Als Orientierungspunkte dienten die habsburgischen Kaiser, denen
345 Vgl. Binder, Pütz, Dr. Wilhelm P. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 26. 1888. S. 780-782: S. 781.346 Vgl. A. Kral (Rez.): Wilhelm Pütz, Lehrbuch der österreichischen Vaterlandskunde. Coblenz 1851. In: Zeitschrift für
die österreichischen Gymnasien. Wien 1851. S. 655-660: S. 655.347 Vgl. Ebenda.348 Vgl. Pütz, Vaterlandskunde: S. IIIf.349 Ebenda: S. IV.350 Ebenda.
69
unterschiedliche viel Platz gewidmet wurde. An ihnen wurden die ereignisgeschichtlichen Punkte
ihrer Regierungszeiten nacheinander behandelt.
Inhaltlich achtete Wilhelm Pütz auf lückenlose Vollständigkeit, die sich aus der linearen
Abhandlung der babenbergischen und habsburgischen Regenten ergab, was aber auf Kosten einer
pointierteren Gewichtung besonders wichtiger Ereignisse geschah. In der Buchbesprechung in der
„Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien“ wurde umgekehrt kritisiert, dass Pütz „der
Zusammenstellung dieser historischen Skizze so enge Gränzen“ gesetzt und dass er „nur die
Hauptmomente der österreich. Geschichte“351 behandelt habe. Dem muss allerdings erwidert
werden, dass Pütz in diesem knappen Raum eben doch eine überaus zusammenhängende und
teilweise ins Detail reichende Geschichtsdarstellung bot, nur dass dadurch gerade die wesentlichen
Stationen und Ereignisse keine Akzentuierung erfuhren. Wesentlich gerechtfertigter war daher Krals
Urteil in derselben Rezension, „dass dadurch wohl die allgemeine Geschichte recapitulirt wird,
gewisse Momente aber, welche der österreichischen Staatengeschichte eigenthümlich sind,
entweder gar nicht zur Sprache kommen, oder nur oberflächlich berührt werden“352. Beispielsweise
traf diese Kritik auf eines der wesentlichsten Ereignisse für die Genese der Habsburgermonarchie
zu, die Schlacht von Mohacs und die „Vereinigung“ Österreichs mit den Ländern der böhmischen
sowie die der ungarischen Krone durch Ferdinand (I.) 1526. Ganz anders, als beispielsweise in der
wissenschaftlichen Ausführung bei Franz Krones, der diesem Datum in seiner gesamtstaatlichen
Orientierung viel Bedeutung beimaß, arbeitete Wilhelm Pütz mit weit weniger Fingerspitzengefühl.
Er kommentierte das Erbe Ferdinands lapidar mit:
„Seinen zweiten Enkel Ferdinand verlobte er [Maximilian] mit der Tochter des Königs
Wladislaw von Böhmen und Ungarn und da dessen Sohn, was freilich damals noch
Niemand ahnen konnte, ohne Erben starb, so fielen diese beiden Reiche in der Folge (1526)
und für immer an Oesterreich.“353
Mit diesem Satz und dem angefügten „Bella gerant alii, tu, felix Austria, nube!“354, welches
ursprünglich mit einer spöttischen Bedeutung konnotiert und vom ungarischen König Matthias
Corvinus geäußert wurde, bezog Pütz keine gesamtstaatliche Position. Vielmehr leistete er dem
Vorwurf eines willkürlich zusammen geheirateten Staatenkonglomerats unterschiedlicher
Völkerschaften Vorschub, da Pütz den zufälligen Charakter der Ereignisse hervorhob. Es soll in
diesem Zusammenhang nicht die korrekte Darstellung und der tatsächlich zufällige Charakter dieses
Ereignisses, das der Todesfall des kinderlosen Jagiellonen Ludwig II. ja auch war, an Pütz‘
351 Kral (Rez.): Pütz, Vaterlandskunde: S. 656.352 Ebenda.353 Pütz, Vaterlandskunde: S. 27.354 Ebenda.
70
Lehrbuch angezweifelt oder kritisiert werden, sondern vielmehr im Kontext der Gesamtstaatsidee
analysiert werden. Wilhelm Pütz unterließ es die engen Verbindungen, die zum Erbe Ferdinands
geführt hatten, in den Mittelpunkt zu stellen oder auch nur zu erwähnen. In einer ganz ähnlichen
Weise verhielt es sich mit der Pragmatischen Sanktion. Dieses wichtige Dokument fand aus
naheliegenden Gründen auch in Wilhelm Pütz‘ Lehrbuch Erwähnung. Doch wurde neben der
Unteilbarkeit dieser Länder in erster Linie von einer „aus so weit von einander getrennten und aus
so verschiedenartigen Bestandtheilen zusammengesetzte[n] Ländermasse“355 gesprochen, die
wiederum dieses Bild eines zusammengefügten, nicht zusammengewachsenen Territoriums erneut
heraufbeschwor.
Im gesamten Lehrbuch befand sich erstaunlich wenig vom österreichischen Staatsgedanken und der
Genese des österreichischen Staats, wohingegen mit ermüdenden Details zum Dreißigjährigen
Krieg und den zahlreichen Konflikten mit dem Osmanischen Reich nicht gespart wurde. So wurde
weiters der Spanische Erbfolgekrieg auf eigentümliche Weise zu einem Konflikt, in dem sich „die
germanischen Völker den romanischen gegenüber“356 standen, stilisiert, was angesichts des
multiethnischen Charakters der Habsburgermonarchie und besonders angesichts seiner großen
romanischen Bevölkerung vor allem in Siebenbürgen, Tirol und Lombardo-Venetien einerseits, und
der großen deutschsprachigen Bevölkerung anderseits, als nicht gerade staatsdienlich bezeichnet
werden kann.
Im Gegensatz dazu fanden sich allerdings auch einige Passagen, die dem „österreichischen Geist“
und dem gesamtstaatlichen Konzept schon eher entsprachen. So kann unter anderem Pütz‘ Bilanz
nach dem Dreißigjährigen Krieg für die Habsburgischen Länder, die er in „die nördlichen Provinzen
des Staates (Böhmen, Mähren, Schlesien)“ und „die südlich von der Donau gelegenen“357
unterteilte, als Betonung eines einzigen Staatswesen beurteilt werden. Dieses Staatswesen
bezeichnete er auch zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Regentschaft Franz II./I. als
„österreichische[n] Staat“358. Ebenso trugen die abschließenden Analysen dem Staatsgedanken
deutlicher Rechnung und ließen die Habsburgermonarchie keineswegs als Anachronismus, sondern
als festes Mitglied der europäischen Großmächte erscheinen. Die Ordnung seit dem Wiener
Kongress, die im wesentlichen auch die gegenwärtige Zeit beim Erscheinen des Lehrbuchs 1851
widerspiegelte, wurde hierbei von Pütz zur Glanzzeit Österreichs erklärt:
„So war die österreichische Monarchie nicht nur abgerundeter als jemals und daher leichter
zu vertheidigen, sondern hatte auch wiederum eine einflussreiche Stellung unter den
355 Ebenda: S. 53.356 Ebenda: S. 46.357 Ebenda: S. 40f.358 Ebenda: S. 61.
71
Grossmächten Europas gewonnen; […] unter den Staaten des deutschen Bundes […] nahm
Oesterreich den ersten Rang ein und führte den Vorsitz in permanenten Bundestage in
Frankfurt.“359
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die historischen Passagen von Pütz Vaterlandskunde
eine geschlossene und stringente Geschichte Österreichs wiedergeben, darin allerdings zahlreiche
bedeutende Ereignisse ohne Hervorhebung oder Höhepunkt hinter der geradlinigen Wand der
fortlaufenden Erzählung verschwinden, die als Orientierungspunkte hätten genutzt werden können.
Teilweise flackerte in seinen Darstellungen ein Funken des österreichischen Einheitsstaates auf, was
jedoch nicht auf breiter Linie und in konsequenter Weise fortgeführt wurde. Kral urteilte in der
„Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien“, dass Pütz‘ „Vaterlandskunde“ „den Rahmen und
das Fachwerk dazu [zur Vaterlandskunde] geliefert, aber den Raum in der Hauptsache unausgefüllt
gelassen“360 habe, dass es aber auf der anderen Seite „als rein statistisches Werk fast noch immer
ohne Concurrenz“361 sei.
7.2 Jakob Spitzers „Oesterreichische Vaterlandsgeschichte“ (1853)
Ungefähr in die gleiche Zeit wie die Vaterlandskunde von Wilhelm Pütz fiel Jakob Spitzers
„Oesterreichische Vaterlandskunde“. Jakob Spitzer war ein Realschul- und später Volksschullehrer,
in welcher Tätigkeit er an der Domschule zu St. Stephan über siebzehn Jahre hinweg
unterrichtete.362 Im Zuge der Revolution von 1848 wurde Spitzer zum Obmann des „Vereins der
Wiener Volksschullehrer“, der sich eben erst gegründet hatte, und kam auf diese Weise in Kontakt
mit der Politik und dem Unterrichtsministerium.363 Seinen wachsenden Einfluss in der Schulpolitik
verdankte er hierbei dem Unterstaatssekretär Ernst Freiherr von Feuchtersleben, dessen Vertrauen
Spitzer genoss und auf dessen Initiative er mit einer von ihm selbst ausgewählten Delegation von
Lehrern die Musterschulen im Ausland untersuchen sollte, um diese Erkenntnisse für die
österreichischen Volksschulen nutzbar zu machen.364 Feuchtersleben hatte dieses Amt, zu dem er
während der Revolution 1848 berufen worden war, jedoch nur für kurze Zeit inne.365 Mit dem
Rückzug Feuchterlebens aus der Politik ging Spitzers abflauender Einfluss Hand in Hand, sodass es
zur Ausführung dieses Plans nicht mehr kam und Spitzer schließlich von seinem Amt suspendiert
359 Ebenda: S. 65f.360 Kral (Rez.): Pütz, Vaterlandskunde: S. 657.361 Ebenda: S. 660.362 Vgl. Constantin von Wurzbach, Spitzer, Jacob. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Bd. 36.
1878. S. 188-191: S. 188.363 Vgl. Ebenda.364 Vgl. Ebenda: S. 189.365 Vgl. Ders. Feuchtersleben, Ernst Freiherr von. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Bd. 4.
1858. S. 210-214: S. 211.
72
wurde.366 Constantin von Wurzbach würdigte in erster Linie Spitzers Publikationstätigkeit, deren
Fülle und Vielfalt er chronologisch auflistete und sie vor vermeintlich „parteiischen“ Kritikern in
Schutz nahm.367 Die Fach- und Lehrbücher reichen von historischen und geographischen
Gegenständen bis hin zu Themen der Germanistik und Literatur. Mit seinen zahlreichen und
vielseitigen Publikationen leistete Spitzer somit seinen Beitrag und half auf diese Weise dem
Lehrbuchmangel gegenzusteuern. Im Fall seiner „Oesterreichischen Vaterlandsgeschichte“
allerdings wurde dieser Beitrag mit wenig Begeisterung aufgenommen, wie bereits Wurzbach die
vielen negativen Kritiken zu Spitzers Lehrbüchern andeutete. Unter diese Kritiker reihte sich auch
der Tiroler Historiker Albert Jäger ein, der sich aufgrund seiner vielbeachteten Werke ein immenses
Renommee erworben hatte und als einer der einflussreichsten und berühmtesten österreichischen
Historiker seiner Zeit galt. Jäger fuhr mit den bisherigen Publikationen zum Thema Geschichte hart
ins Gericht:
„Kaum finden wir irgendwo das klare Bewusstsein von dem, was in der österreichischen
Geschichte als Wesen und Zweck erfasst und der Jugend beigebracht werden soll. Man
begegnet häufig Werken, denen die Ansicht zugrunde liegen zu scheint, in unserer
Vaterländischen Geschichte gebe es keine Entwicklungsgesetze, nichts was sich in ihr
vollendet hat; sie werde daher von keinem leitenden Gedanken beherrscht, sondern sie
bestehe aus einem Conglomerate verschiedener aus der Geschichte der einzelnen Kronländer
excerpierter Thatsachen, bei deren Aufzählung es gar nicht darauf ankomme, einen
Zusammenhang, viel weniger eine Zusammengehörigkeit nachzuweisen.“368
Im Grunde kritisierte Albert Jäger nicht nur die Missstände der Schul- und Lehrbücher der
Habsburgermonarchie, seine Kritik deckte sich im Wesentlichen mit der Problematik der
österreichischen Historiographie, eine zusammenhängende Gesamtstaatsgeschichte zu entwickeln.
Jäger forderte eine Sinnstiftung und eine einende Klammer um das Staatswesen, das sich im Laufe
der Geschichte gebildet hatte. Nicht zu Unrecht reihte er darunter auch die „Oesterreichische
Vaterlandsgeschichte“ Jakob Spitzers ein, der er einen „Anspruch auf eine Ausnahme von dieser
Gattung neuerer Arbeiten“369 bereits einleitend absprach. Denn Spitzers Werk kam trotz der
alleinigen Behandlung der „Ereignisgeschichte“ und des vergleichsweise großen Umfangs meist
nicht über eine Aneinanderreihung von Herrschern und Feldzügen voller Anekdoten hinaus und
verzichtete darauf, Entwicklungen und Zusammenhänge zu deuten und einen Sinn einzuhauchen.
Die „Oesterreichische Vaterlandsgeschichte für Schule und Haus“ Jakob Spitzers erschien erstmals 366 Vgl. Ders., Spitzer: S. 189.367 Vgl. Ebenda: S. 189ff.368 Albert Jäger (Rez.): Jakob Spitzer, Oesterreichische Vaterlandsgeschichte. Wien 1853. In: Zeitschrift für die
österreichischen Gymnasien. Wien 1854. S. 50-62: S. 50.369 Ebenda: S. 51.
73
1853, erlebte aber trotz der Verrisse wie dem Albert Jägers immer wieder neue Auflage, so 1858 in
zweiter und 1871 in dritter Auflage. Auf letztere, die in redigierter und um die Ereignisse bis zum
Jahr 1866 ergänzter Form erschienen ist, stützen sich meine Analysen. Auch wenn historische
Lehrbücher wie die Emanuel Hannaks oder Anton Gindelys weit höhere Auflagen erzielten und
weitaus einflussreicher und verbreiteter waren, so zeugte es doch von einer gewissen Beliebtheit der
Vaterlandsgeschichte Spitzers, dass sie immerhin mehrmals neu aufgelegt wurde. Wie der Untertitel
verrät, war Spitzers Werk nicht gezielt für den Schulgebrauch oder eine Schulstufe konzipiert, aber
dennoch sollte daneben der Einsatz dieses Buches in der Schule möglich und nützlich sein. Spitzer
selbst betrachtete seine „Vaterlandsgeschichte“ neben dem Hausgebrauch als „eben kein
überflüssiges Lehrmittel für die österreichischen Schulen“370, wie er im Vorwort anlässlich der
dritten Auflage kundtat.
Der Aufbau der Vaterlandsgeschichte orientiert sich lückenlos an der dynastischen Genealogie der
Herrscher. Von der großzügig ausgeführten Urzeit bis zum Beginn der Babenberger als Markgrafen
von Österreich abgesehen, entsprechen die Kapitel dem jeweiligen babenbergischen oder
habsburgischen Herrscher oder diverser Linien von ihnen. Noch starrer und monotoner als dies bei
Wilhelm Pütz geschehen ist, arbeitete Spitzer die Babenberger und Habsburger der Reihe nach ab,
ohne wichtige Ereignisse oder Entwicklungen zu betonen oder hervorzuheben. An die Babenberger-
Epoche reiht sich mit der Bruchstelle des Interregnums die Herrschaft der Habsburger an, die nach
mehreren Spaltungen ihrer Linien wieder zusammenfinden und ins Haus Habsburg-Lothringen
münden. Die Geschichte der dritten Auflage führt inhaltlich bis zum Krieg mit Preußen und Italien
1866 und endet mit den Friedensschlüssen. Dass Spitzer sein erweitertes Lehrbuch ausgerechnet mit
1866 enden ließ, war überaus aussagekräftig und steht paradigmatisch für seine gesamte
„Vaterlandsgeschichte“. Denn mit dem verlorenen Krieg von 1866, dem Ausscheiden aus dem
Deutschen Bund und dem Verlust Venetiens war die politische Ereignisgeschichte abgeschlossen.
Über die Ereignisgeschichte nämlich ging Spitzers Werk nicht hinaus. Wichtige Aspekte, wie der
Ausgleich mit Ungarn nur ein Jahr später, fanden in der „Vaterlandsgeschichte“ keinerlei
Beachtung, auch dann nicht, wenn sogar der Name dieses „Vaterlandes“ sich in Österreich-Ungarn
geändert hatte. Die gesamte Regierungszeit Franz Josephs wurde auf die Kriege reduziert.
Inhaltlich gibt es aus diesen Gründen nur wenig Brauchbares zu nennen, das im Kontext der
Gesamtstaatsidee von Belang wäre, denn Spitzer hegte keine tiefgreifende Intention, er
transportierte keine Idee. Selbst erklärtes Ziel dieser „Oesterreichischen Vaterlandsgeschichte“ war
es lediglich „der vaterländischen Jugend ein belehrendes Buch an die Hand zu geben, welches sie
zur Nachahmung der ruhmwürdigen Handlungen ihrer Vorfahren aneifern und in deren Herzen
370 Spitzer, Vaterlandsgeschichte: S. II.
74
Liebe zu Fürst und Vaterland erwecken soll“371. Dieses Vorhaben versuchte Spitzer
dementsprechend mit einer sehr personen- und herrscherbezogenen Geschichtsdarstellung
umzusetzen. In dieser inhaltlichen und stilistischen Ausgestaltung war Spitzers
„Vaterlandsgeschichte“ mehr wie ein Lesebuch mit stark roman- und anekdotenhaften Erzählungen
und Episoden. So gesehen hatte Spitzer hingegen seine eigene Vorstellung und Intention nicht
verfehlt, wie an dieser Stelle eingeräumt werden soll, wenngleich dies Albert Jäger anders sah.372
Die gesamtstaatlichen Bezüge sind hingegen faktisch nicht aufzufinden. Die einzige tatsächliche
Passage, an der Spitzer ein Ereignis in seiner Bedeutung für die Habsburgermonarchie hervorhob
und für die weitere Entwicklung als wichtig einstufte, war der Erwerb Tirols für das Haus Habsburg
durch Rudolf IV. den Stifter. „Hochwichtig ist die Vereinigung Tirols mit den früheren Besitzungen,
die nach dem Ableben des Grafen Meinhard von Tirol erfolgte, der ein Sohn der Margaretha
Maultasch war.“373 Tirol kam deswegen eine so große Bedeutung zu, da mit dessen Vereinigung die
Habsburger ihre Stammlande mit ihren Ländereien in Österreich, der Steiermark, Kärnten und
Krain zu verbinden suchten, um so ein territorial zusammenhängendes Gebiet zu schaffen, was mit
dem Landankauf im heutigen Vorarlberg und Baden-Württemberg seine Fortsetzung fand. Diese
Rolle Tirols wollte auch Albert Jäger hervorgehoben wissen. Obwohl er diese Bedeutung Tirols in
Spitzers Werk sehr wohl gegeben sah, kritisierte er die fehlende Begründung, die er selbst
nachreichte:
„Nur die Erwerbung Tirols erscheint dem Hrn Vf. S. 54 [1. Auflage] 'hochwichtig'. Er
unterliess aber anzudeuten, warum diese Erwerbung von hoher Wichtigkeit war. Vielleicht
standen ihm die Gründe nicht so nahe zur Hand, um nachzuweisen, dass Tirol das
unentbehrliche Schlussglied, die nothwendige Brücke von den habsburgischen Besitzungen
im Osten zu den Besitzungen dieses Hauses im Westen war.“374
Weniger wichtig erschien Spitzer jedenfalls die andere Gebiets-Orientierung der Habsburger,
nämlich die Vereinigung der eigenen Länder mit denen der böhmischen und ungarischen Krone. Die
zeitweise Personalunion durch den deutsch-römischen König Albrecht II. kommentierte Spitzer
lapidar.
„Nach Beendigung des Krieges lebte der Kaiser [Sigismund] nur mehr drei Jahre, worauf
Albrecht zu Stuhlweißenburg zum Könige von Ungarn (1. Jänn. 1438) und zu Prag zum
Könige von Böhmen (29. Juni 1438) gekrönt wurde, nachdem er schon früher von den
Wahlfürsten des deutschen Reiches zum Kaiser (sic!) ernannt worden war.“375
371 Ebenda: S. If.372 Vgl. Jäger (Rez.): Spitzer, Vaterlandsgeschichte: S. 62.373 Spitzer, Vaterlandsgeschichte: S. 51.374 Jäger (Rez.): Spitzer, Vaterlandsgeschichte: S. 53.375 Spitzer, Vaterlandsgeschichte: S. 64.
75
Beispielhaft ist auch hier wieder Spitzers Bemühen um Details und auf den Tag genau genannte
Zahlen, deren Vermittlung er den Vorzug gegenüber der eigentlichen Bedeutung und Reichweite
von Albrechts und vor allem später Ferdinands Erbe einräumte. Auch wenn diesem Ereignis rund
um Albrecht II. erstaunlicherweise bei allen von mir betrachteten Lehrbüchern meist nur eine
beiläufige Erwähnung zukam, so wich Spitzer vor allem ab, was das Jahr 1526 und das Erbe
Ferdinands anbelangt. Die Jagiellonische Doppelhochzeit 1515 erhielt von Spitzer noch das
Prädikat „von größtem Nutzen […], wodurch später beide Reiche an das Haus Habsburg kamen“376.
Hingegen wurde der Tod des Jagiellonen Ludwig II. 1526 in der Schlacht von Mohacs und das
damit verbundene Erbe, das Ferdinand zumindest nominell über Böhmen und das besetzte Ungarn
antreten konnte, in wenigen Sätzen als Nebensache abgetan. Ferdinands Krönung zum ungarischen
König 1527 in Stuhlweißenburg verschwand gar in einem Halbsatz zwischen der Schlacht von
Tokay und der Flucht Zapolyas.377 Die Krönung zum böhmischen König fand überhaupt mit keinem
Wort Erwähnung, zu wichtig schien der Verlauf der Ersten Wiener Türkenbelagerung gewesen zu
sein. Die Pragmatische Sanktion wurde nicht mehr unter Karl VI. erwähnt, sondern, ganz ähnlich
wie dies auch Franz Joseph Silva-Tarouca tat,378 in Verbindung mit dem umkämpften Erbe Maria
Theresias, das Karl VI. durch sein allzu großes Vertrauen auf die Pragmatische Sanktion
mitverschuldet habe, ohne dabei auf den Prinzen Eugen gehört zu haben, der zum Ausbau des
Heeres als Hauptargument der Erbansprüche geraten hatte.379
Jäger erklärte die „Vaterlandsgeschichte“ einerseits aufgrund der fehlenden Zusammenhänge und
der fehlenden Beschreibung der Genese des österreichischen Staatswesens sowie andererseits
aufgrund der zahlreichen historischen Fehler und wissenschaftlichen Mängel, die Jäger seitenweise
zu zerlegen und richtigzustellen bemüht war, für ungeeignet.380 Im Großen und Ganzen ist diese
Kritik nicht unbegründet, zumal sie auch in Richtung einer gesamtstaatlichen Auffassung abzielte,
die bei Jakob Spitzer nicht gegeben war. Sowohl als Lehrbuch in einer Mittelschule als für die
Gesamtstaatsidee war das Werk ungeeignet. Spitzers „Vaterlandsgeschichte“ ist aber dennoch vor
allem vor dem Hintergrund von Albert Jägers Kritik interessant, da diese Verbindung die
Diskrepanz von geforderten und umgesetzten Herangehensweisen an die Geschichte und
Vaterlandskunde der Habsburgermonarchie beleuchtet. Es spiegelt Jägers Kritik an Spitzers Werk
diese Zeit des Mangels an Schulbüchern und die Zeit der ersten Welle an Neupublikationen, die
diesen Mangel an Qualität noch nicht befriedigend beheben konnten, sehr gut wider. Es ist dieser
Vorwurf Jägers, dass Spitzer sein Werk „mit läppischen Anekdoten und historischen Sagen“ 376 Ebenda: S. 74.377 Vgl. Ebenda: S. 81.378 Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 172f.379 Vgl. Spitzer, Vaterlandsgeschichte: 119.380 Vgl. Jäger (Rez.): Spitzer, Vaterlandsgeschichte: S. 53-56 u. 62.
76
ausschmückt habe und dass er nicht „von einem leitenden Gedanken geführt und durchdrungen“381
wäre, was beispielhaft für diese Phase der österreichischen Vaterlandskunde und Geschichte stand.
7.3 Die „Oesterreichische Vaterlandskunde“ von Emanuel Hannak (1869)
Ein weiteres Beispiel im Bereich der Vaterlandskunde lieferte der Lehrer und Pädagoge Emanuel
Hannak aus Österreichisch-Schlesien 1869. Hannak, der nach seinen Studien der Geschichte und
Altphilologie nacheinander an mehreren Gymnasien in Wien als Lehrer tätig war, hatte zeitweise
den Posten als Bezirksschulinspektor inne und erwarb sich überdies in seiner späteren Funktion als
Direktor des Wiener Pädagogiums einen überaus guten Ruf.382 Das Pädagogium in Wien war seit
seiner Gründung 1868 die wichtigste Einrichtung der Habsburgermonarchie zur qualitativen
Fortbildung von Volksschullehrern.383 Im Zuge von Hannaks Reorganisation des Pädagogiums, die
eine Verkürzung der Ausbildung auf zwei Jahre und eine Reduzierung der Wochenstunden
beinhaltete,384 gelangte diese Einrichtung zu hohem Ansehen in In- und Ausland.385 Zusätzlich wird
seine progressive und fortschrittliche Haltung auch durch seine Rolle als Leiter des ersten
Mädchengymnasiums in Wien unterstrichen.386 Emanuel Hannak brachte daher sowohl im
fachwissenschaftlichen Gebiet mit seinen Studien einerseits, als auch in seiner pädagogischen
Erfahrung und Tätigkeit in der Lehrerausbildung andererseits die nötigen Kompetenzen für die
Aufgaben und Anforderungen eines Lehrbuchs im Bereich der Vaterlandskunde mit. Dieser
ausgewogenen Qualifikationen entsprechend veröffentlichte Emanuel Hannak zahlreiche
Lehrbücher für den Geschichtsunterricht für Gymnasien und Mittelschulen, die teils in hohen
Auflagen über einen großen Zeitraum erschienen sind. Unter anderem publizierte Hannak ein viel
verwendetes Lehrbuch zur allgemeinen Geschichte, das er in drei Teilen zu den drei Groß-Epochen
Altertum, Mittelalter und Neuzeit mit starker Berücksichtigung der österreichischen Geschichte,
wie es den Vorgaben des Unterrichtsministerium entsprochen hatte, abhandelte. Vor allem die starke
Berücksichtigung der Kulturgeschichte, die in jedem Zeitabschnitt in einem eigenen Kapitel
behandelt wird, ist in dieser Reihe hervorzuheben. Vor allem der abschließende Band der Neuzeit
wurde aufgrund der Zuwendung zur Vermittlung „pragmatischer Zusammenhänge“ und der
unkonventionellen Stoff-Anordnung gelobt.387 Der Historiker Franz Kratochwil urteilte über diesen
381 Ebenda: S. 52.382 Vgl. Leo Santifaller/Eva Obermayer-Marnach (Hgg.) Hannak, Emanuel. In: ÖBL. Bd. 2. Lfg. 7. 1958. S. 180: S.
180. 383 Vgl. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4: S. 66.384 Vgl. Ebenda: S. 43.385 Vgl. Santifaller/Obermayer-Marnach (Hgg.) Hannak: S. 180.386 Vgl. Ebenda.387 Vgl. Franz Kratochwil (Rez.): Emanuel Hannak, Lehrbuch der Geschichte der Neuzeit. Wien 1873. In: Zeitschrift
für die österreichischen Gymnasien. Wien 1874. S. 267-274: 268f.
77
Band, dass es „ein gutes, brauchbares, den im Auslande erschienen Geschichtswerken ebenbürtiges
Lehrbuch“ sei, das den „pädagogischen Zielen des Organ.-Entw. sowie den gegenwärtigen
Anforderungen der Wissenschaft“388 entspräche. Kritiken wie diese verdeutlichen das Renommee
Hannaks, das er sich mit seinen Lehrbüchern erworben hatte. Bevor ich auf die Reihe seiner
allgemeinen Geschichte eingehe, soll Hannaks früher erschienene „Oesterreichische
Vaterlandskunde“ einer genaueren Analyse unterzogen werden. Wie sein „Lehrbuch der
Geschichte“ wurde auch seine „Vaterlandskunde“ für die Mittelschulen und vor allem die
Gymnasien konzipiert. Die „Vaterlandskunde“ wurde im Jahr 1869 erstmals publiziert, bei der mir
vorliegenden Ausgabe, auf die sich meine Betrachtungen stützen, handelt sich um die dritte Auflage
von 1873. Allerdings wurden nach Hannaks Angaben gerade die historischen Kapitel, auf welche
ich vor allem eingehen werde, keiner Überarbeitung oder Veränderung unterzogen,389 wenn auch
dies in den Kritiken oftmals gefordert worden war. Die vielen Auflagen verdeutlichen den regen
Gebrauch und die Nachfrage dieses Lehrbuchs.
Formal gesehen ist die „Vaterlandskunde“ Emanuel Hannaks äußerst unausgewogen ausgefallen. So
entfallen ungefähr zwei Drittel des gesamten Lehrbuchs auf die geographischen, topographischen
und statistischen Themengebiete der Habsburgermonarchie, während hingegen die Geschichte mit
dem restlichen Drittel ihr Auskommen finden muss. Aufgrund dieser Konzeption, die konträr zum
Aufbau der „Vaterlandskunde“ Silva-Taroucas stand, wurde der historische Teil auf einen sehr
kleinen Raum eingeengt, was auf Kosten der Details und vor allem der ausführlichen
Zusammenhänge geschah. Trotz dieser Gegebenheit wurde die „Vaterlandskunde“ Hannaks in der
Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien als ein „Versuch, der jedenfalls einen wesentlichen
Beitrag zur Klärung der Ideen auf diesem Gebiet liefert“390, begrüßt. Auch in dieser Rezension
wurden wiederum die Unzulänglichkeiten der bisherigen Vaterlandskunde-Bücher in der Schule und
die Problematik in der praktischen Umsetzung der Vorgaben des Organisations-Entwurfs
thematisiert.391 Diese Vorgaben beherzigend stellte Hannak die historische Abteilung an den Beginn
seines Werkes und verfuhr in seiner Anordnung wie folgt: Die Geschichte Österreichs ist in vier
Kapitel gegliedert, die in ihrer zeitlichen Abgrenzung gängigen Methoden folgten. Beginnend mit
der „Ältesten Geschichte“ und der Abhandlung des Stoffes seit der Bronzezeit über die Römer und
die Völkerwanderung bis hin zum Frankenreich, wird im zweiten Abschnitt die Zeit der
Babenberger zum Thema gemacht. Darauf folgen die Epochen der Übernahme Österreichs durch
die Habsburger 1282 bis zur Schlacht von Mohacs sowie ihren Folgen und schließlich die Zeit seit
388 Ebenda: S. 274.389 Vgl. Hannak, Vaterlandskunde: S. I.390 Ptaschnik (Rez.): Hannak, Vaterlandskunde: S. 872.391 Vgl. Ebenda: S. 870ff.
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der Vereinigung Österreichs, Böhmens und Ungarns bis zur Gegenwart. Der letzte Zeitraum von
1526 bis zur Gegenwart ist allerdings lediglich in einer schematischen Überblickform über die
nachmaligen Gebietsveränderungen der Habsburgermonarchie bis zum status quo gestaltet. Dies
rechtfertigte Hannak in folgender Ankündigung, die er an die Vereinigung der Länder 1526 anfügte
und den historischen Teil damit quasi abschloss: „Mit dieser Vereinigung (7998 Q.-M.) ist im
wesentlichen die Gestalt und der Umfang des jetzigen Oesterreich gegeben.“392
Obwohl sich auch laut der anschließenden Auflistung gerade in dieser Epoche große Veränderungen
territorialer Natur ereigneten, verzichtete Hannak darauf die Ereignisgeschichte und die
Zusammenhänge, wie es in den vorigen drei Kapiteln praktiziert wurde, fortzuführen und auch
diese letzte, entscheidende Epoche entsprechend abzudecken. Dadurch wurde weder die Genese des
modernen österreichischen Staatswesens noch der Ist-Zustand der Habsburgermonarchie
berücksichtigt. De facto besteht der historische Teil daher aus drei Abteilungen, von den
Metallzeiten bis zum Jahr 1526. Aufgrund der spärlichen Ausführungen und der fehlenden
Zusammenhänge lassen sich erschwert inhaltliche Aussagen über Gesamtstaats-Bezüge ermitteln,
doch zeigt dafür gerade der Aufbau des Werkes deutliche Anzeichen in diese Richtung gehend.
Anders als bei der wesentlich später erschienen „Vaterlandskunde“ Silva-Taroucas widmete sich
Emanuel Hannak nämlich in allen Epochen auch den Ereignissen und Entwicklungen, die für die
böhmischen und ungarischen Länder relevant waren und flocht sie nacheinander abfolgend in die
Geschichte des Herzogtums Österreich ein. Auf diese Weise wurde bereits in der Ältesten
Geschichte den Entwicklungen in der Karolingischen marchia orientalis die Situation der Magyaren
bis zur Schlachte am Lechfeld sowie die „slawischen“ Reichsgründungen und darunter vor allem
das Großmährische Reich zur Seite gestellt. Dieser Logik folgte Hannak ebenso im zweiten
Abschnitt mit der parallelen Behandlung der Premysliden in Böhmen und den Babenbergern in
Österreich sowie der Geschichte Ungarns und Polens in diesem Zeitraum. Besonders im Umgang
mit Ottokar II. Premysl, worum sich auch Franz Krones bemühte, war Hannak bestrebt, ein
objektives und gerechteres Bild des Premislyden zu zeichnen, so wie er ihn als umsichtig planenden
und weitsichtigen Herrscher mit durchaus positiven Eigenschaften charakterisierte.393 Auch im
letzten Zeitraum wurden diese Muster fortgesetzt und in gleichgestellter Rangordnung die Rolle des
Hauses Anjou in Ungarn und Polen, der Aufstieg der Luxemburger in Böhmen und die Teilung und
Wiedervereinigung der Habsburgischen Länder dargestellt. In dieser gleichwertigen Behandlung der
drei wichtigsten Ländergruppen der Habsburgermonarchie nebeneinander und der Betonung der
engen politischen und kulturellen Interaktion und teilweise auch Kooperation folgte Hannak ganz
392 Hannak, Vaterlandskunde: S. 53.393 Vgl. Ebenda: S. 29.
79
den Forderungen Helferts.394
Auch inhaltlich lassen sich einige Merkmale und Bezugnahmen, die auf eine gesamtstaatliche
Betonung hinauslaufen, herauslesen. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Rolle Rudolfs
IV., dem Hannak aufgrund seiner Erbschaftsabkommen mit Kaiser Karl IV. sowie mit Ungarn die
eigentliche Errungenschaft der Ländervereinigung zuschrieb. „Hiedurch war die Vereinigung der
österreichischen, böhmischen und ungarischen Länder bereits angebahnt.“395 Auch an anderer Stelle
wurde Rudolf IV. zum vorausschauenden Planer stilisiert, der die Vereinigung dieser Länder in die
Wege geleitet habe, nämlich bei der Erbschaft Ferdinands. I. selbst:
„Dennoch war rechtmässig auch Ungarn mit den Habsburgischen Ländern vereinigt, und so
der Plan, der schon zu Zeiten des Herzogs Rudolf IV. durch die Erbverträge Böhmens,
Oesterreichs und Ungarns vorgezeichnet war, verwirklicht.“396
Auch bei der Vereinigung der Länder an sich wurde also Rudolf zum großen Vorbereiter erhoben
und auf die Verträge und die gemeinsamen Interessen dieser Länder lange vor 1526 hingewiesen.
Die Einigung wurde als etwas langfristig geplantes und auch von böhmischer und ungarischer Seite
ebenfalls versuchtes und goutiertes Unterfangen präsentiert. In der österreichischen Historiographie
des 19. Jahrhunderts wurde dabei nicht selten gerade auf die Bedeutung Rudolfs IV. verwiesen, wie
auch der berühmte Historiker Alfons Huber in seinem Spezialgebiet unterstrich:
„Der Gedanke, auf diesem Wege die deutschösterreichischen, die ungarischen und
böhmischen Länder zu vereinigen, ist ohne Zweifel vom Herzoge R. ausgegangen, der so
mit einem gewissen Rechte als der Begründer des gegenwärtigen österreichischen
Kaiserstaates angesehen werden kann. Denn wie in Brünn die Habsburger und Luxemburger
für den Fall des Aussterbens eines der beiden Herrscherhäuser sich gegenseitig die
Nachfolge in ihren Ländern zusicherten, so hatte R. schon früher, wahrscheinlich bei
Gelegenheit des Bündnisses, das er im December 1361 mit dem ungarischen Könige
einging, einen ähnlichen Vertrag mit dem in Ungarn regierenden Geschlechte der Anjous
abgeschlossen.“397
Ebendiese Funktion kam auch in Hannaks Darstellungen der Person Rudolfs IV. zu, der trotz seiner
kurzen Regierungszeit wichtige Schritte für die künftigen Entwicklungen und das Innere und
Äußere der Habsburgermonarchie setzte. Dagegen wurde die Episode der tatsächlichen, wenngleich
kurzfristigen Einigung der Länder unter König Albrecht II. und nominell auch weiterhin unter
seinem Sohn Ladislaus Postumus von 1437-1457 nur als Randnotiz erwähnt.398 Umgekehrt wurde 394 Vgl. Helfert, Nationalgeschichte: S. 55f.395 Hannak, Vaterlandskunde: S. 35.396 Ebenda: S. 53.397 Alfons Huber, Rudolf IV. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd 29. 1889. S. 544-547: 546f.398 Vgl. Hannak, Vaterlandskunde: S. 43.
80
neben Rudolf vor allem Kaiser Maximilian als federführende Figur beurteilt, der mit der
sogenannten Jagiellonischen Doppelhochzeit von Wien das Arrangement und die daraus
resultierende Erbfolge einfädelte.399
Das erstaunliche daran ist die wechselhafte und nicht konsequent durchgeführte Wortwahl Emanuel
Hannaks im Zusammenhang mit dem Erbe Ferdinands I.. Während Hannak im Kontext der Rolle
Rudolfs IV. und dem Antritt des Erbes durch Ferdinand stets von der „Vereinigung“400 der Länder
sprach, gebrauchte er im Zuge der Jagiellonischen Doppelhochzeit das Wort der „Erwerbung“401
Böhmens und Ungarns für Österreich. Die „Erwerbung“, die Silva-Tarouca in seinem Lehrbuch
zum beschreibenden Wort von Ferdinands Erbe gewählt hat, steht auf semantischer Ebene der
„Vereinigung“ diametral gegenüber. Die Erwerbung für Österreich vermittelte vielmehr das Bild
von Gebietsgewinnen zugunsten des Herzogtums, das sich Ungarn und Böhmen einzuverleiben
verstand. Insgesamt betonte Hannak durch Aufbau, Anordnung und Inhalt gewisse gesamtstaatliche
Elemente, doch zeigt nicht nur dieses Beispiel, dass dieses Lehrbuch nicht ganz in diesem Sinn
durchkomponiert wurde. Es überwiegen zwar die klare Berücksichtigung und Perspektivierung auf
alle drei Länderkomplexe, die Betonung auf gemeinsame Beziehungen vor 1526 und die
Vereinigung der Länder, wie auch die vorherrschende Wortwahl „Vereinigung“ andeutet, doch sind
diese Aspekte allein durch den knapp bemessenen Raum des historischen Teils spärlich gesät.
Dennoch erhielt Hannaks „Vaterlandskunde“ gute Kritiken und war in vielen Auflagen über
mehrere Jahrzehnte auch aufgrund seines detailreichen statistischen und geographischen Teils weit
verbreitet. Als es 1914 schon ein wenig in die Jahre gekommen war und modernere Publikationen
dem Zeitgeist und den Veränderungen eher gerecht zu werden wussten, erinnerte sich der
Gymnasiallehrer Josef Schwerdfeger mit wenig Wehmut an dieses Lehrbuch, das seine eigene
Generation in der Schule geprägt hatte:
„Wie wurde aber nun dem gebildeten „Laien“ zu Mute, wenn er so manche unserer
bisherigen Vaterlandskunden aufschlug! Wir älteren Jahrgänge gedenken z. B. unseres
einstigen 'Hannak' und wahrscheinlich nicht mit den erhebensten Gefühlen.“402
Indirekt aber wurde Hannaks Lehrbuch mit diesen Worten auch eine gewisse Würdigung zuteil, wie
in dem selbstverständlichen „unser Hannak“ auf die weite Verbreitung und den regen Gebrauch in
den Schulen hingedeutet wurde. Auch zu Schwerdfegers Zeiten war es nämlich nach wie vor in
Verwendung. Ähnlich wie „Gindelys Lehrbuch der Geschichte“ wurde auch Hannaks
„Vaterlandskunde“ über den Tod des Verfassers 1899 hinaus als Fundament für zahlreiche
399 Vgl. Ebenda: S. 49.400 Ebenda: S. 35 u. 53.401 Ebenda: S. 49.402 Schwerdfeger (Rez.): Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 1.
81
Bearbeitungen und Neuauflagen genutzt. 1910 wurde es in bearbeiteter Version als „Hannaks
Österreichische Vaterlandskunde“403 in 16. Auflage von Karl Schober und Friedrich Machacek
herausgegeben.
7.4 Das „Lehrbuch der Geschichte“ von Emanuel Hannak (1871-1873)
Den Namen, den sich Hannak bei seiner Vaterlandskunde gemacht hatte, kam auch seinem
„Lehrbuch der Geschichte“ zugute. Wie bei Gindelys Reihe soll auch Hannaks erster Band in den
Betrachtungen außen vorgelassen werden, da erst ab dem Mittelalter-Band und besonders dominant
in der Neuzeit der österreichische Raum und die österreichische Geschichte auf den Plan tritt. Jeder
ereignisgeschichtliche Zeitabschnitt wird von einem kulurgeschichtlichen Kapitel abgeschlossen.
Jeder dieser beiden Bände ist in je vier Zeitabschnitte unterteilt. Das Mittelalter gliedert sich in die
Perioden vom Untergang des Weströmischen Reiches bis zu Karl Martell, von der Thronbesteigung
der Karolinger bis zum römisch-deutschen König Heinrich IV. aus dem Haus der Salier, vom Ersten
bis zum Siebten Kreuzzug, und abschließend von der Königswahl Rudolfs von Habsburg bis zu
Kaiser Maximilian und dem Übergang zur Neuzeit. Im dritten Band schickte Hannak voraus, dass
er „vielfach von den gangbaren Büchern abzugehen“ gezwungen war und zwar „schon in der
Eintheilung der Hauptepochen (Reformation, despotischer und aufgeklärter Absolutismus und
Revolution).“404 Franz Kratochwil lobte Anordnung und Gewichtung des Stoffes, der „im
allgemeinen nicht ethnographisch, sondern nach den in der Entwicklung der Neuzeit wirkenden
Momenten behandelt“405 werde. Emanuel Hannaks unkonventionelle Gewichtung zielte auf eine
vermehrte Berücksichtigung der Entwicklungen und Zusammenhänge ab, denen er gegenüber einer
bloßen Aneinanderreihung historischer Ereignisse den Vorzug gab. Die Schülerinnen und Schüler
wollte er bei der Beschäftigung mit der neuzeitlichen Geschichte primär darauf aufmerksam
machen, „den Causalnexus der Gegebenheiten aufzusuchen und die Geschichte nicht als bloßes
Conglomerat interessanter Begebenheiten, sondern als einen nach bestimmten Gesetzen sich
entwickelnden Organismus zu betrachten.“406 Zudem wurde der österreichischen Geschichte
verhältnismäßig viel Platz eingeräumt, wie aus dem Urteil Kratochwils hervorgeht.407 Da die
„Vaterlandskunde“ Hannaks wenig gesamtstaatliche Aspekte zutage geliefert hat, ist durch die
starke Berücksichtigung der österreichischen Geschichte in Verbindung mit dem methodischen
403 Emanuel Hannak/Karl Schober/Friedrich Machacek, Hannaks Österreichische Vaterlandskunde für die oberen Klassen der Mittelschulen. Wien 161910.
404 Hannak, Lehrbuch der Geschichte. Bd. 3: S. III. 405 Kratochwil (Rez.): Hannak, Lehrbuch der Geschichte: S. 269.406 Hannak, Lehrbuch der Geschichte. Bd. 3: S. III.407 Vgl. Kratochwil (rez.): Hannak, Lehrbuch der Geschichte: S. 270.
82
Zugang der Entwicklungsgeschichte bei diesem Lehrbuch Emanuel Hannaks deutlich mehr
Potential vorhanden. Interessant sind dabei die Erläuterungen des Verfassers, die er in seinem
Vorwort zum dritten Band vorausschickte:
„Hauptsächlich wurde die österreichische Geschichte berücksichtigt. Darum wurden
Ferdinand I., Maximilian II., Leopold I., Karl VI. und vor Allen Maria Theresia und Joseph
II. ausführlicher behandelt, als dies sonst zu geschehen pflegt. Niemand wird mir wol in
diesem Punkte einen Vorwurf machen. Daß neben der österreichischen die mit dieser innig
verbundenen deutschen Geschichte in den Vordergrund trat, ist selbstverständlich; doch
wurden auch die übrigen Länder da berücksichtigt, wo ihre Geschichte entweder in die
österreichische und deutsche eingreift, oder doch zum Verständnis der leitenden
Gesichtspunkte bestimmter Epochen und der Entwicklung der europäischen Politik
erforderlich ist.“408
Die Ankündigung der hauptsächlichen Orientierung an der österreichischen (und deutschen)
Geschichte spiegelt sich auch im Inhaltsverzeichnis wider und nimmt in der Tat einen großen Raum
ein, wobei die Geschichte nicht so stark an die Herrscher und deren Biographien gekoppelt ist, wie
dies zunächst erscheinen mag. Auch die enge Verbindung der österreichischen und deutschen
Geschichte ist nicht weiter verwunderlich, zudem die österreichische trotz ihrer Verwandtschaft von
der deutschen geschieden kategorisiert und die Habsburgermonarchie als eigenständiges, nicht
primär deutsches Staatswesen in separaten Kapiteln präsentiert wird. Es stellt sich allerdings die
Frage, wie Emanuel Hannak dieses „Österreich“ definierte, da er im Vorwort auf weitere
Präzisierungen verzichtete. Aus dem Inhalt und den Zeitabschnitten geht jedoch hervor, dass
Hannak damit die gesamte Habsburgermonarchie bezeichnete, ohne jedoch die Gewichtung der
einzelnen Länderkomplexe und Kronländer abzustecken oder auch nur namentlich zu erwähnen.
Noch erstaunlicher ist dies, da das Lehrbuch bereits nach dem Ausgleich 1867 erschienen war, der
Terminus „Österreich-Ungarn“ jedoch im gesamten Lehrbuch nicht einmal Erwähnung fand. Damit
stand Hannaks „Lehrbuch“ in einem krassen Gegensatz zu „Gindelys Lehrbuch“, in dem die
offiziellen Termini in jeder Situation und in jedem Kontext akkurat eingehalten wurden. Auch zur
„Vaterlandsgeschichte“ Hannaks unterscheidet sich das „Lehrbuch der Geschichte“ inhaltlich in
vielen Dingen, wenn man von den allgemeinen Unterschieden zwischen einer allgemeinen
Geschichte und einer Vaterlandskunde absieht.
Die Figur Rudolfs IV., der in Hannaks „Vaterlandskunde“ noch zum Wegbereiter der
Ländervereinigung stilisiert wurde, fand in diesem Lehrbuch nur in Verbindung mit der Erbeinigung
408 Vgl. Hannak, Lehrbuch der Geschichte. Bd. 3: S. IV.
83
mit Karl IV., deren Konsequenzen nicht näher beschrieben wurden, kurz Erwähnung.409 Allgemein
ging Hannak nicht näher auf das Verhältnis Österreichs zu Böhmen und Ungarn ein, er orientierte
sich im Mittelalter-Band vielmehr an den römisch-deutschen Kaiserdynastien und betrachtete von
diesem Standpunkt aus die Länder, wie beispielsweise Böhmen anhand der Luxemburger-Dynastie.
Umgekehrt deutete Hannak die Bedeutung Albrechts II. hinsichtlich des österreichischen
Gesamtstaates wiederum breiter aus, der im vorigen Werk nur als Randnotiz vermerkt worden war.
„Albrecht aber wußte sich mit den Waffen allgemeine Anerkennung zu verschaffen und vereinigte
die Königreiche Böhmen und Ungarn mit dem Herzogtume Oesterreich.“410
Auch hier wurde der Topos des Notgedankens als Ursache für die Ländervereinigung benutzt, um
den gegenseitigen Schutz und die Machtfülle, die daraus resultiere, anzuzeigen. Nachdem Böhmen
und Ungarn für die Habsburger wieder verloren gegangen waren, wurde Kaiser Maximilian zum
planenden Kopf erklärt, der die beiden Königreiche dauerhaft für seine Dynastie sichern sollte:
„Auch die Vereinigung Böhmens und Ungarns mit Oesterreich ward durch ihn angebahnt.“411
Auffallend ist, dass Hannak bis dato stets von der „Vereinigung“ der Länder sprach, wohingegen er
beispielsweise bei der Verheiratung seines Sohnes Philipp durchaus dynastischer dachte als im
Zusammenhang mit Böhmen und Ungarn:
„Seinen Sohn Philipp den Schönen vermählte er mit Johanna der Erbprinzessin von Spanien und
erwarb hiedurch für seine Familie den Besitz dieses damals mächtigsten Reiches in Europa.“412
Dies lässt eine erhöhte Sensibilität im Umgang mit Böhmen und Ungarn erkennen, die im
Zusammenhang mit Spanien nicht mehr notwendig war. Die eigentliche Vereinigung wurde im
darauffolgenden dritten Band expressis verbis nicht mehr erwähnt, sondern lediglich die
Königswahl Ferdinands in Ungarn und Böhmen.413 Auch wenn das Jahr 1526 selbst nicht den
Stellenwert einnahm, wie es das etwa bei Gindely-Tupetz als Grundstein der Großmacht Österreich
getan hatte, wurde die Vereinigung dennoch an den beiden zuvor geschilderten Passagen
angekündigt. Zudem betonte Hannak das spezifisch „Österreichische“ am Habsburgerstaat durch
dessen sukzessive „Herausentwicklung“ aus Deutschland, besonders seit dem Westfälischen
Frieden.
„Für Deutschland ist die Regierung Leopolds von geringer Bedeutung. Der im Westfälischen
Frieden angebahnte Zerfall des Reiches nahm seinen Fortgang. […] Umso wichtiger ist die
Herrschaft Leopolds für Oesterreichs Geschichte.“414
409 Vgl. Ebenda. Bd. 2: S. 85.410 Ebenda: S. 92.411 Ebenda: S. 97.412 Ebenda.413 Vgl. Ebenda. Bd. 3: S. 11.414 Ebenda: S. 73.
84
Emanuel Hannak, dessen negatives Urteil über den Westfälischen Frieden die vorherrschende
Forschungsmeinung des 19. Jahrhunderts widerspiegelte, sah im Friedensschluss von Münster und
Osnabrück den Ursprung des Niedergangs und der Handlungsunfähigkeit des Heiligen Römischen
Reichs, was jedoch in der neueren Forschung größtenteils revidiert wurde.415 Doch war die
zunehmend separat behandelte Geschichte Deutschlands und Österreichs ein bedeutendes Merkmal
Hannaks, das die Habsburgermonarchie zu einem deklariert eigenen, nicht-deutschen Staatswesen
erklärte. Diese Eigenstaatlichkeit der Habsburgermonarchie wurde durch die Pragmatische
Sanktion, die 1713 erlassen wurde und 1740 mit dem Aussterben der männlichen Habsburger
schlagend geworden war, als erster gesamtstaatlicher Klammer um alle habsburgischen Länder,
über die Person des Monarchen hinausgehend, vorangetrieben. Bei keinem anderen der hier
behandelten Geschichts-Lehrbücher, die „Vaterlandskunde“ Silva-Taroucas ausgenommen, nahm
die Pragmatische Sanktion einen so hohen Stellenwert wie im „Lehrbuch“ Emanuel Hannaks ein.
Im Gegensatz zu Jakob Spitzer fand die Pragmatische Sanktion nicht erst beim Regierungsantritt
Maria Theresias Erwähnung und wurde auch in seiner Dimension und Bedeutung tiefer
ausgeleuchtet:
„Denn das Hauptbestreben dieses Kaisers [Karl VI.] war darauf gerichtet die habsburgische
Monarchie vor dem Zerfalle, der derselben bei dem Mangel an männlichen Erben drohte, zu
sichern. Zu diesem Zwecke gab er schon 1713 die pragmatische Sanction, nach welcher die
österreichischen Erbländer ungetheilt in dem Mannesstamme sich vererben und, im Falle es
an männlichen Nachkommen fehlen würde, zuerst auf seine Töchter […] übergehen
sollten.“416
Neben der Bedeutung der Pragmatischen Sanktion hinsichtlich der weiblichen Erbfolge für die
habsburgischen Länder ging Hannak auch explizit auf die Dimension als wichtigem Staatsgesetz
ein, das die Zugehörigkeit der heterogenen habsburgischen Länder zueinander definierte. Von
diesem Fundament ausgehend führt der rote Faden des Lehrbuches durch die weitere
Entwicklungsgeschichte, in der die staatsrechtlich miteinander verbundenen Länder schrittweise zu
einem zentralisierten Staatswesen zusammenwuchsen. Die Reformen unter Maria Theresia wurden
als Modernisierungsmaßnahmen präsentiert, deren Umsetzung in Folge der außenpolitischen Krise
nötig geworden waren:
„Der Erbfolgekrieg hatte die Notwendigkeit einer Centralisation deutlich gemacht. Maria
Theresia vollzog diese durch die Errichtung des Directoriums in publicis et cameralibus, an
415 Vgl. Gabriele Haug-Moritz, 1648 – Der Westfälische Frieden und seine Folgen für das Heilige Römische Reich und die Habsburgermonarchie. In: Martin Scheutz/Arno Strohmeyer (Hgg.), Von Lier nach Brüssel. Schlüsseljahre österreichischer Geschichte (1496-1995). Innsbruck/Wien u.a. S. 99-110: 106f.
416 Hannak, Lehrbuch der Geschichte. Bd. 3: S. 86.
85
dessen Spitze der talentvolle Graf Haugwitz stand. Von dieser Centralstelle wurden die
österreichischen Kronländer mit Ausschluss Ungarns und seiner partes adnexae
verwaltet.“417
Ungarn wurde zwar gemeinsam mit Kroatien und Siebenbürgen, seinen „angehängten Gebieten“,
unter die österreichischen Kronländer gerechnet, doch signalisierte Hannak mit dem Aussparen
Ungarns bereits dessen Sonderentwicklung. Aus Hannaks Lehrbuch lässt sich eine Sympathie für
eine zentralisierte und konstitutionelle Verfassung herauslesen. Nach den Reformphasen unter
Maria Theresia, Joseph II. und Leopold II. sah Hannak in der Regierungszeit Franz‘ II./I. eine
versäumte Gelegenheit, nachhaltige Zentralstrukturen zu schaffen.
„Die Umgestaltung der französischen Verfassung bewog auch den deutschen Kaiser Franz
II. den Titel eines österreichischen Kaisers anzunehmen, ohne die günstige Gelegenheit einer
Centralisation des Reiches zu benützen.“418
Den Begriff „Reich“ gebrauchte Hannak in diesem Kontext bereits zur Bezeichnung der
habsburgischen Länder, die mit der Gründung des Kaisertums Österreich 1804 einen gemeinsamen
Namen erhielten. Warum Hannak ausgerechnet in dieser Situation mehr Handlungsspielraum für
eine Zentralisierung der Habsburgermonarchie vermutete, ließ er unkommentiert. Aufgrund der
engen Wechselwirkung zwischen der Kaiserwürde Napoleons und der Gründung des Kaisertums
Österreich, die bei Hannak betont wurde, kann aber geschlossen werden, dass Hannak in Österreich
ein ähnliches Potential an Zentralisierung vorhanden sah wie in Frankreich. Parallel zum
Verfassungswechsel in Frankreich und der damit einhergegangenen Zentralisierung suggerierte
Hannak die Möglichkeit einer ähnlichen Entwicklung Österreichs, die mit der Begründung eines
eigenen Kaisertitels bereits ihren Anfang genommen habe. Selbst wenn diese Interpretation zutrifft,
bleiben Hannaks Einschätzungen nichtsdestoweniger dubios, da Kaiser Franz II./I. gerade wegen
der Entwicklungen in Frankreich und der permanenten militärischen Auseinandersetzungen mit
Napoleon wenig Handlungsspielraum für innenpolitische Gestaltungsmöglichkeiten offenstanden.419
Zuspruch zu liberalen und konstitutionellen Entwicklungen formulierte Hannak beispielsweise
bereits im Vorwort, in dem er sich ebenso positiv über die gegenwärtige Verfassung der
Habsburgermonarchie äußerte:
„Und da wir uns in Oesterreich gegenwärtig einer constitutionellen Regierung erfreuen, die
dem verfassungsmäßigen Fortschritte huldigt, so ist es selbstverständlich, daß in der
Geschichte der neuesten Zeit eine Parteinahme für den Constitutionalismus und den
417 Ebenda: S. 101f.418 Ebenda: S. 144.419 Vgl. Judson, Habsburg: S. 123.
86
Fortschritt zu Tage tritt.“420
Dies geschah aus einer Loyalität gegenüber der Regierung heraus, der Konstitutionalismus wurde
mit Modernisierung und Fortschritt gleichgesetzt, so auch die gegenwärtige Verfassung, was den
Ausgleich mit Ungarn impliziert. Bereits aus dem Vorwort lässt sich schlussfolgern, dass Emanuel
Hannak den Österreichisch-Ungarischen Dualismus nicht als Zäsur bewertete, sondern als
Kontinuität in der verfassungsrechtlichen Weiterentwicklung Österreichs. Die außenpolitische
Niederlage bei Königgrätz wandelte Hannak zu einem innenpolitischen Sieg um: „Die Niederlage
Oesterreichs rief im Inneren den Sieg der liberalen Partei hervor.“421 In der innenpolitischen
Kräftigung der Habsburgermonarchie versuchte Hannak dem verlorenen Krieg einen Sinn zu geben.
Die schnelle innere Konsolidierung war auch das Kalkül Beusts beim Ungarischen Ausgleich
gewesen, um die Habsburgermonarchie auch außenpolitisch wieder konkurrenzfähig zu machen.422
Bei Hannak erscheint der Ausgleich 1867 wie eine logische Konsequenz der Verfassungsreformen,
die aufeinander aufbauen und schließlich in die Dezembergesetze münden:
„Unter dem Ministerium Beust wurde die sistirte Constitution wieder eingeführt und durch
Vereinbarung mit den ungarischen Staatsmännern eine neue Verfassung zustande gebracht,
welche durch die December-Gesetze (21. Dez. 1867) in Kraft trat.“423
Hannak gebrauchte im gesamten Lehrbuch weder die Bezeichnung „Österreich-Ungarn“ noch
„Ausgleich“ oder ähnliche Begriffe, die auf den Beginn der Doppelmonarchie und die
innenpolitische Autonomie Ungarns Schlüsse zugelassen hätten. Angedeutet wurden diese lediglich
durch die Erwähnung ungarischer Politiker, die bei der Verfassung beteiligt waren, oder durch den
Gebrauch eines Synonyms. Als solches diente Hannak der Terminus „Constitutionalismus“, dessen
er sich zur Benennung des zeitgenössischen, dualistischen Systems bediente.
„[...] Oesterreich hält treu an dem constitutionellen Principe fest, weist die Versuche der
privilegirten Stände (Ministerium Hohenwart) zum Sturze desselben zurück und sucht durch
rege Thätigkeit auf dem Gebiete des Handels und der Industrie (Weltausstellung), durch die
Sorge für eine allgemeine Volksbildung die Wunden zu heilen, die frühere Jahre äußeren
Unglücks und innere Mißwirtschaft ihm geschlagen hatten.“424
Ganz im Gegensatz zu Gindely-Tupetz vermied Emanuel Hannak die Begriffe „Österreich-Ungarn“
oder „Ausgleich“ und versuchte sie nach Möglichkeit zu umgehen. Die Bezeichnung „Österreich“
verwendete Hannak über das ganze Lehrbuch hinweg mit der Bedeutung des Gesamtstaats und
änderte dies auch nach dem Ausgleich nicht, um die Kontinuität dieses Staatswesens zu betonen. In 420 Hannak, Lehrbuch der Geschichte. Bd. 3: S. VI.421 Ebenda: S. 170.422 Vgl. Stourzh, Dualistische Reichsstruktur: S. 106.423 Hannak, Lehrbuch der Geschichte. Bd. 3: S. 170.424 Ebenda: S. 173.
87
seiner zentralistischen und gesamtstaatlichen Auffassung von Österreich übte er auch an Politkern
wie dem Ministerpräsidenten Karl Sigmund Hohenwart Kritik, der für Zugeständnisse an die
Tschechen und eine föderale Ausrichtung eingetreten war.425 Der Constitutionalismus als Synonym
für die Verfassung(-en), die seit dem Ausgleich in Kraft war(en), verdeutlicht, dass Hannak die
politische Tatsache der Doppelmonarchie nicht ignorierte oder ablehnte, sondern sich im Gegenteil
damit abfand. Denn Hannaks Loyalität zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie war
ungebrochen. Er bewertete den Ausgleich oder die damit einhergehenden Veränderungen nämlich
keineswegs negativ, sondern würdigte den Aufstieg der Wirtschaft und des Bildungsbereichs sowie
die gefestigte innere und äußere Konstitution der Habsburgermonarchie seit diesem Ereignis.
Politische Bewegungen, die am Dualismus zu rütteln versuchten, lehnte Hannak trotz seiner
gesamt-österreichischen Haltung ab, da er hierdurch weitere föderale Zugeständnisse befürchtete.
7.5 „Gindelys Lehrbuch der allgemeinen Geschichte“ von Gindely-Tupetz (1910)
Das Geschichtsbuch, das wahrscheinlich die höchste Reichweite aufwies und in seinen zahlreichen
Auflagen und Übersetzungen in alle im Unterricht verwendeten Sprachen der Habsburgermonarchie
Generationen von Schülerinnen und Schülern begleitete, war das dreibändige „Lehrbuch der
allgemeinen Geschichte“ Anton Gindelys. Seit seiner Erstpublikation 1861 erlebte es allein bis zum
Jahr 1910 dreizehn Auflagen, also zu einer Zeit, als Anton Gindley seit fast zwei Jahrzehnten
verstorben war. Aufgrund der schülerfreundlichen Gestaltung, zahlreicher Abbildungen und
Orientierungshilfen war es zu einem der bekanntesten und gebräuchlichsten Lehrbücher für
Geschichte geworden und durch die vielen Überarbeitungen und Ergänzungen war es stets
zeitgemäß und modern gehalten worden. Über dieses Lehrbuch war Gindelys Name daher in der
gesamten Habsburgermonarchie bei Schülerinnen und Schülern wie bei Lehrerinnen und Lehrern
bekannt und berühmt geworden.426 Es gerieten auch deshalb so viele Schülerinnen und Schüler
früher oder später mit Gindelys Geschichtsbüchern in Kontakt, da der Verfasser sie für alle
Schultypen und Altersgruppen von Volksschule bis zum Gymnasium anbot und eigens auf die
jeweiligen Anforderungen anpasste. Auch nach seinem Tod 1892 wurde die Berühmtheit dieses
Namens, der stellvertretend für ein geschätztes und qualitätsvolles Lehrbuch stand, für mehrere
überarbeitete Neuauflagen genutzt und als „Gindelys Lehrbuch der allgemeine Geschichte“
zunächst von Franz Martin Mayer und später von Theodor Tupetz, einem Schüler Anton Gindelys,
herausgegeben. Nach Angaben Adjut Trogers trug die Gindely-Mayer-Fassung klar „das Gepräge
425 Vgl. Robert Kann, Hohenwart, Karl Graf von. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 9. 1972. S. 495f.: S. 496.426 Vgl. Leo Santifaller/Eva Obermayer-Marnach (Hgg.), Gindely, Anton. In: ÖBL. Bd. 1. Lfg 5. 1957. S. 441f.: S.
441f.
88
der Gindely'schen Schulbücher mit ihren Vorzügen und Schwächen“427, und ergänzte metaphorisch:
„[...] denn ein altes, immerhin noch bewohnbares Haus baut man nicht vom Grund aus um.“428
Dies verdeutlicht die weiterhin bestehende Handschrift Gindelys, dessen ursprüngliches Lehrbuch
auch weiterhin noch das Fundament für die überarbeiteten Fassungen bildete. Denn noch zu
Lebzeiten hatte Anton Gindely sein Lehrbuch selbst mehrmals überarbeitet, ergänzt und neu
veröffentlicht. Diese Struktur wurde im Wesentlichen auch in den überarbeiteten Fassungen
Gindely-Mayer und Gindely-Tupetz beibehalten. In der Folge werde ich mich in meinen
Betrachtungen an der überarbeiteten Fassung durch Theodor Tupetz von 1910 orientieren. Zunächst
aber zu Person und Werk Anton Gindelys, der sich nicht nur aufgrund seines Lehrbuchs einen
Namen gemacht hatte, sondern zudem auch einer der bedeutendsten österreichischen Historiker, vor
allem im Bereich der Böhmischen Geschichte, war. Anton Gindely war ein Geschichtsprofessor und
Lehrer aus Böhmen, der die Lehramtsprüfung für Geschichte, Geographie, Deutsch, Philosophie,
Mathematik und Physik abgelegt hatte, was seine Vielseitigkeit unterstreicht, die auch in sein
Lehrbuch einfloss.429 Seine Arbeit an einer Realschule in Prag konnte er jedoch durch seine
Tätigkeiten an den Universitäten in Olmütz und Prag nur kurz ausüben, bevor er 1867 die Stelle als
ordentlicher Professor in Prag antrat und durch die Vermittlung Frantisek Palackys zum
Landesarchivar von Böhmen bestellt wurde.430 Die hohe Wertschätzung, die Palacky ihm
offensichtlich entgegenbrachte, beweist die große fachliche Kompetenz und das große Renommee
Anton Gindelys. Auch von staatlicher Seite wurde seine fachwissenschaftliche Kompetenz
geschätzt und entsprechend unterstützt. So etwa bei Gindelys einträglicher Reise durch die Archive
Deutschlands, Polens und Böhmens, deren Ergebnisse in dem zweibändigen Werk „Böhmen und
Mähren im Zeitalter der Reformation“431 verschriftlicht wurden.432 Daneben erlangte aber in erster
Linie Gindelys „Geschichte des dreißigjährigen Krieges“433 Berühmtheit und beeinflusste die
Forschungssicht auf Wallenstein und andere Akteure für Jahrzehnte.434 Wie diese beiden
bedeutendsten Werke aus seinem Schaffen bereits andeuten, setzte Anton Gindely seine
Schwerpunkte in räumlicher Hinsicht auf Böhmen und in zeitlicher Hinsicht auf das 16. und 17.
Jahrhundert. Auf seine Kenntnisse in diesem Gebiet griff daher auch der böhmische
427 Adjut Troger (Rez.): Gindely-Mayer, Gindelys Lehrbuch der allgemeinen Geschichte für die oberen Classen der Gymnasien. Bearbeitet von F. M. Mayer. Wien/Prag 101900. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien. Wien 1901. S. 244-247: S. 244.
428 Ebenda.429 Vgl. Berthold Bretholz, Gindely, Anton. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 49. 1904. S. 364-367: S. 365.430 Vgl. Santifaller/ Obermayer-Marnach (Hgg.), Gindely: S. 442.431 Anton Gindely, Böhmen und Mähren im Zeitalter der Reformation. Geschichte der böhmischen Brüder. 2 Bände.
Prag 1857-1858.432 Vgl. Bretholz, Gindely: S. 365.433 Anton Gindely, Geschichte des dreißigjährigen Krieges in drey Abtheilungen. Leipzig 1882.434 Vgl. Santifaller/Obermayer-Marnach (Hgg.), Gindely: S. 442.
89
Landesausschuss zurück und betraute Gindely mit der Beantwortung der vieldiskutierten Frage
nach der staatsrechtlichen Einheit Böhmens, Mährens und Schlesiens, die dieser jedoch nach
Rücksprache mit Palacky negativ beantwortete.435 Wohl das beste und eindrücklichste Beispiel für
das Vertrauen, das von wissenschaftlichen wie politischen Kreisen und sogar von der kaiserlichen
Familie in Gindelys historische und pädagogische Kompetenz gesetzt wurde, ist seine Tätigkeit als
Geschichtslehrer des Kronprinzen Rudolf im Jahr 1876/77.436
Diese pädagogisch-fachdidaktische Kompetenz hatte Gindely vor allem mit seinem „Lehrbuch der
allgemeinen Geschichte“, das in der gängigen Aufteilung auf drei Bände zu Altertum, Mittelalter
und Neuzeit gestaltet war, unter Beweis gestellt. Vorausgeschickt werden muss an dieser Stelle, dass
„Gindelys Lehrbuch“, anders als die behandelten Pendants der Vaterlandskunde, weniger Konzepte
der Gesamtstaatsidee gezielt transportierte und die Zugehörigkeit der Nationalitäten und Länder
zueinander historisch-ideologisch zu untermauern suchte, als dass es vielmehr in einer überaus
objektiven und distanzierten Haltung diese Entwicklungen und Tendenzen hin zum österreichischen
Gesamtstaat schlichtweg beschrieb. Indem den Schülerinnen und Schülern die Epochen und
politischen Entwicklungen angezeigt wurden, in denen politische Kräfte und Akteure
gesamtstaatliche Strukturen aufzubauen und voranzutreiben bestrebt waren, bot Gindely-Tupetz de
facto einen ideologiefreien Teilbereich der Gesamtstaatsgeschichte in Abschnitten seines
Lehrbuchs. Grundsätzlich vertrat Gindely-Tupetz aber staatstreue Positionen.
Mit seiner ursprünglichen Fassung setzte Anton Gindely auch dahingehend Maßstäbe, als er neben
den Ereignissen von weltgeschichtlicher Bedeutung viel Platz für die österreichische Geschichte
ließ, die er in einer vielschichtigen und in sich abgeschlossenen Form präsentierte. Die vermehrte
Berücksichtigung der österreichischen Geschichte war zwar im Geschichtsunterricht in den
Obergymnasien ohnehin vorgesehen,437 doch schien Gindely diese auch im Vergleich
überproportional stark gewichtet zu haben. Dieses Charakteristikum Gindelys thematisierte nämlich
der Historiker Franz Kratochwil in einer Rezension zum Geschichtslehrbuch Emanuel Hannaks für
die „Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien“ und sah darin zum Teil Gindelys Erfolg
begründet: „Gindely's Bücher verdanken die so rasch erworbene Sympathie zum großen Theile dem
Umstande, dass darin auf Oesterreich geziemende Rücksicht genommen ist.“438
Während der erste Band von den frühen Hochkulturen in Ägypten bis zum Beginn der
Völkerwanderung reicht und als Schwerpunkt der griechischen und römischen Antike zum Inhalt
hat, sticht diese Berücksichtigung der österreichischen Geschichte in Band zwei und mehr noch in 435 Vgl. Constantin von Wurzbach, Gindely, Anton. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Bd. 14.
1865. S. 458-461: 459f.436 Vgl. Santifaller/Obermayer-Marnach (Hgg.), Gindely: S. 442.437 Vgl. Helfert, Nationalgeschichte: S. 33.438 Kratochwil (Rez.): Hannak, Lehrbuch der Geschichte: S. 270.
90
Band drei deutlich heraus. Der Mittelalter-Band nahm den Faden bei der Völkerwanderung wieder
auf und führte diesen bis zur Entdeckung Amerikas fort, wobei die einzelnen Unterkapitel nach
räumlichen Kriterien unterteilt wurden, von denen der deutsche Raum und Österreich, Böhmen und
Ungarn am stärksten Berücksichtigung fanden, daneben aber auch Frankreich, Italien und England
breite Aufmerksamkeit erhielten und in komprimierter Form auch Spanien und „der Norden und der
Osten Europas“, worunter Skandinavien, Polen und Russland subsumiert waren. Im neuzeitlichen
Band, der hinsichtlich der Gesamtstaatsgeschichte die bedeutendsten Passagen aufweist, wurde in
einer ähnlichen Mischung aus zeitlichen und räumlichen Unterteilungen verfahren. Eingehend
widmete sich Anton Gindely auch seinem Spezialgebiet des Zeitalters der Reformation und
Gegenreformation sowie dem Dreißigjährigen Krieg. Je weiter die Geschichte vom Zeitalter der
Entdeckungen beginnend bis zur Jahrhundertwende voranschreitet, desto mehr rückt die
Habsburgermonarchie in den Mittelpunkt des Geschehens. Alle drei Bände sind mit ihren
zahlreichen Abbildungen, Grafiken und Stammtafeln benutzerfreundlich und übersichtlich gestaltet
worden. Inhaltlich beschränkte sich Gindely-Tupetz nicht auf eine bloße Ereignisgeschichte, wie
dies bei Spitzer der Fall war, sondern schenkte auch der Innenpolitik und der Kulturgeschichte,
speziell der Architektur, Literatur und Wissenschaft der jeweiligen Epoche viel Beachtung. Im
dritten Band bot Gindely-Tupetz zudem einen Überblick über die wichtigsten Erfindungen und
wissenschaftlichen Errungenschaften der jüngsten Zeit aus Bereichen wie Philologie, Geschichte,
Astronomie und den Naturwissenschaften.439 Diese Charakteristika machten „Gindelys Lehrbuch
der Geschichte“ zu einem gehaltvollen, kohärenten und überaus abgeschlossenen Werk, in dem viel
Wert auf die Erläuterung von Zusammenhängen und Entwicklungen gelegt wurde.
Aufbau, Konzeption und Inhalte der allgemeinen Geschichte wurden im Unterschied zur
Vaterlandskunde aufgrund ihrer weltgeschichtlichen Relevanz ausgewählt. Das bedeutet, dass die
Ereignisse der österreichischen Geschichte, die ausgewählt wurden, vor diesem Hintergrund noch
an Bedeutung gewinnen, da ihre Wichtigkeit nicht nur für die Habsburgermonarchie, sondern auch
global gesehen suggeriert wurde. Unter diesen Vorzeichen ist die Vereinigung Böhmens und
Ungarns mit Österreich unter Albrecht II. zu verstehen:
„Als Schwiegersohn Siegmunds erhob er nach dessen Tode Anspruch auf Ungarn und
Böhmen. In Ungarn wurde er ohne Widerstand gekrönt, schwerer wurde es ihm, seine Wahl
in Böhmen durchzusetzen. Aber es gelang ihm endlich doch (1438) und so war Albrecht der
erste Habsburger, der die Herrschaft über Österreich, Ungarn und Böhmen in einer Person
vereinigte.“440
439 Gindely/Tupetz, Lehrbuch. Bd 3: S. 218-222.440 Ebenda. Bd. 2: S. 129.
91
In seiner nüchternen und objektiven Weise beschrieb der Verfasser die kurzzeitige Vereinigung wie
sie war, eine Personalunion von Ländern, die aus dynastischen Gründen ein Oberhaupt erhielten. Er
hob zwar die Bedeutung der Ära unter den Habsburgern, die mit Albrecht angekündigt wurde,
hervor, doch wies er klar auf auf die Person des Herrschers als Bindeglied hin. Immerhin sah er
darin eine „Vereinigung“. In einer ähnlichen Weise umriss Gindely-Tupetz die ungarische
Geschichte des 15. Jahrhunderts feststellend und beschreibend, indem er die Faszination der
ungarischen Bevölkerung für Matthias Corvinus mit dessen Leistungen im wissenschaftlichen und
militärischen Bereich nachvollziehbar zu machen suchte. „Ungarn bewahrt daher dem König
Matthias ein dankbares Andenken und feiert sein Zeitalter als das goldene der ungarischen
Nation.“441
Es wurde hierbei kein apologetischer Versuch im Sinn der Habsburger unternommen, der Verehrung
des großen Habsburg-Gegners ein Gegenmodell Ungarns im erfolgreichen Verbund mit den
habsburgischen Ländern und dem daraus resultierenden Großmachtstatus entgegenzustellen. Das
Motiv der Vereinigung Ungarns mit den Habsburgischen Ländern aus einer krisenhaften
Notsituation und der daraus resultierenden Machtfülle, setzte beispielsweise Franz Krones gekonnt
in Szene.442 Umgekehrt bezeichnete Gindely selbst Corvinus‘ Epoche auch nicht als das „goldene
Zeitalter“ Ungarns, sondern rückte lediglich die ungarische Faszination für dieses Jahrhundert in
einen historischen Kontext. Den Großmachtgedanken griff der Verfasser hingegen im folgenden
Band auf und verortete den Beginn der Großmachtstellung Österreichs in seiner Vereinigung mit
Böhmen und Ungarn, wie sich aus der Kapitelüberschrift „Begründung der österreichischen
Großmacht unter Ferdinand I.“443 schließen lässt. In diesem Zusammenhang wurde auf bereits zuvor
bestehende Ansprüche der Habsburger infolge mehrerer dynastischer Verbindungen verwiesen, die,
durch die Hochzeit von Wien untermauert, auf Ferdinand übergegangen seien.444 Zwar ist dies sehr
dynastisch gedacht, doch war dies ein gängiger Topos der Gesamtstaatsidee, die wechselseitigen
Beziehungen und Verträge der drei Länderkomplexe vor 1526 zu versinnbildlichen. Ein weiteres
dieser Motive ließ er beim Österreichischen Erbfolgekrieg anklingen, nämlich das der Einigkeit und
des Zusammenhalts, sowie der Loyalität der Völker und Nationalitäten gegenüber dem
Herrscherhaus im Angesicht von Krisen.
„Aus ihrer bedrängten Lage rettete die junge Herrscherin das Vertrauen auf ihr gutes Recht
und die Treue ihrer Völker. Durch politische Zugeständnisse und die Anmut ihrer
persönlichen Erscheinung erweckte sie auf einem Reichstag in Preßburg die Begeisterung
441 Ebenda: S. 132.442 Vgl. Krones, Handbuch. Bd. 2: S. 657443 Gindely/Tupetz, Lehrbuch. Bd. 3: S. 30.444 Vgl. Ebenda: S. 31.
92
der Ungarn, die ein allgemeines Aufgebot beschlossen; auch die übrigen Länder gewährten
bereitwillig Truppen und Geld“445
Das Zugehörigkeitsgefühl zu einem gemeinsamen Staat und einer gemeinsamen Dynastie mit
gemeinsamen Interessen und gemeinsamen Gefahren wurde hier hervorgehoben. Doch machte
Gindely auch klar, dass diese Bereitschaft nicht aus reiner Liebe zur Dynastie und zum
gemeinsamen Staatswesen geschehen war, denn er verheimlichte hierin keineswegs die politischen
Zugeständnisse und Kompromisse, die gemacht werden mussten. Die Unterstützung durch die
Ungarn hatte Maria Theresia dazu veranlasst, ihr umfassendes Reformprogramm in diesem Maße
nicht auf die ungarischen Länder auszudehnen, was schließlich eine wichtige Grundlage für die
Sonderentwicklung Ungarns war.446 Die für die Gesamtstaatsidee interessantesten Passagen finden
sich in den Kapiteln ab dem Revolutionsjahr 1848 und der franzisko-josephinischen Epoche, da
Gindely-Tupetz einen Einblick in die Zentralisierungstendenzen und den Versuch, einen modernen
Gesamtstaat zu konstituieren, lieferte. In dieser Epoche wurde auch die Gymnasialreform Leo
Thun-Hohensteins und ihre Nachhaltigkeit zum Thema.447 In einem eigenen Kapitel zum
österreichischen Neoabsolutismus 1849-1859 verortete Gindely den Zentralismus in erster Linie bei
der deutschsprachigen Bevölkerung, bei denen der Wunsch nach einem modernen Einheitsstaat im
Unterschied zur slawischen, italienischen und magyarischen Bevölkerung der
Habsburgermonarchie besonders stark verankert gewesen sei.
„Die Deutschen [der Habsburgermonarchie] strebten die Herstellung moderner
Verfassungsverhältnisse im zentralistischen Sinne an und wollten zugleich in die innigste
Verbindung mit dem einigen Deutschland treten; die Ungarn wünschten die bloße
Personalunion mit Österreich, die Slawen die Umgestaltung der Monarchie zu einem
Bundesstaat, die Italiener endlich trachteten darnach, sich vom österreichischen
Staatsverbande ganz abzulösen.“448
Dezidiert vom habsburgischen Gesamtstaat sprach Gindely-Tupetz im Zusammenhang mit der
Revolution 1848/49 in Ungarn und der damit einhergehenden Unabhängigkeitsbewegung:
„Seit Leopold I. hatten die österreichischen Herrscher Ungarn in engere Beziehungen zum
Gesamtstaate zu bringen, Josef II. sogar die vollständige Einverleibung durchzusetzen
gesucht, aber vergeblich.“449
Mit Leopold I. markierte Gindely-Tupetz den Beginn der Gesamtstaatstendenzen und
Vereinheitlichungsbestrebungen, die unter dessen Nachfolgern fortgeführt wurden. Außerdem 445 Ebenda: S. 110.446 Vgl. Judson, Habsburg: S. 69.447 Vgl. Gindely/Tupetz, Lehrbuch. Bd 3: S. 209.448 Ebenda: S. 184.449 Ebenda: S. 187.
93
sprach er auch das Scheitern aller radikal durchgeführten Versuche, diesen Gesamtstaat zu schaffen,
an, da diese immer wieder am Widerstand der ungarischen Adeligen gescheitert seien. Auch die
ungarische Gegenbewegung wurde in gleicher Sachlichkeit skizziert, die diesen
Zentralisierungstendenzen Wiens entgegentrat und forderte, dass „die Länder der ungarischen
Krone […] nur durch das Band der Personalunion mit Österreich verbunden sein“450 sollte.
Der Verfasser umschrieb aus einer distanzierten und nüchternen Position die Maßnahmen und
Gegenmaßnahmen zur Etablierung eines Gesamtstaats mit den unterschiedlichen
Interessensgruppen und informierte schlichtweg über die Entwicklungen. Dabei nahm Gindely-
Tupetz einen deutlich objektiveren Standpunkt ein, als dies beispielsweise bei Bidermann und
seiner „Geschichte der österreichischen Gesammt-Staats-Idee“ der Fall war, dessen Resignation in
der Einleitung zum zweiten Band bereits Erwähnung gefunden hat.451 Von besonderer Bedeutung ist
auch Gindely-Tupetz‘ Beurteilung des Neoabsolutismus, den er mit Modernisierungs- und
Zentralisierungstendenzen in Verbindung brachte:
„Auch diese [die Aprilverfassung Ungarns von 1849] wurde jedoch schon im Jahre 1851
außer Wirksamkeit gesetzt, die gesamte Gewalt in der Hand des Monarchen vereint und die
Herstellung verfassungsmäßiger Zustände auf spätere Zeiten vertragt. Die Maßregeln der
Regierung zielten hauptsächlich darauf hin, aus Österreich einen einheitlichen Staat zu
schaffen. Auf dem Gebiete der Verwaltung, der Rechtspflege, des Unterrichts, in der
Herstellung von Straßen und Eisenbahnen entfaltete die Regierung eine hervorragende und
ersprießliche Tätigkeit.“452
Gindely-Tupetz betonte zwar nicht direkt die positiven Effekte der Zentralisierungsabsichten der
neoabsolutistischen Regierung, doch wird seine gewogene Haltung indirekt dadurch ersichtlich,
dass er die Effizienz, die Modernisierung und den Fortschritt dieser Ära würdigte. An die Stelle der
Distanz, die der Verfasser ansonsten einzuhalten bemüht war, trat ein klar positives Urteil über die
Periode von 1849-1860, bei der es sich um eine der bedeutendsten Phasen für den österreichischen
Gesamtstaat handelte. Allerdings wurde auch über diese Periode eine differenziertes Urteil gefällt,
das keineswegs nur positiv war, sondern auch von Kritik gekennzeichnet war:
„Der italienisch-französische Krieg (1859) hatte manche Schäden der inneren Verwaltung
Österreichs aufgedeckt, die es wünschenswert erscheinen ließen, durch Einführung einer
Verfassung den Vertretern des Volkes Einfluß auf Gesetzgebung und Regierung zu
gewähren.“453
450 Ebenda.451 Vgl. Bidermann, Gesammt-Staats-Idee. Bd. 2: S. IV.452 Gindely/Tupetz, Lehrbuch. Bd. 3: S. 188.453 Vgl. Ebenda: S. 195.
94
Anders als Franz Krones betrachtete Gindely-Tupetz das Ende des Neoabsolutismus jedoch nicht
als endgültig verpasste Chance, den Einheitsstaat durchzusetzen.454 Vielmehr sah er in den
kommenden Verfassungen eine stetige Weiterentwicklung und suggerierte mit dem
Konstitutionalismus weitere politische Modernisierungen. Die weiteren Etappen des Gesamtstaats
mit ihrem Endpunkt 1867 wurden in einem eigenen kurzen Unterkapitel der „Ordnung der
österreichischen Verhältnisse“ von 1860 bis 1867 zusammengefasst. In diesem Kapitel griff
Gindely-Tupetz zunächst die Thematik der verschiedenen Interessensgruppen, entlang der
Nationalitäten gebildet, wieder auf und begründete mit deren Unvereinbarkeit das Scheitern von
Oktoberdiplom und Februarpatent.455 Der verlorene Krieg mit Preußen und Italien wirkte in
„Gindelys Lehrbuch“ wie ein willkommener Anlass, auch innenpolitisch Frieden zu schließen.
Dabei wurde vor allem Franz Joseph die aktive Rolle zugesprochen, der die Blockade aufgehoben
und die Verfassungskrise gelöst habe:
„Nach dem Kriege mit Preußen und Italien beschloß der Kaiser, den Verfassungswirren
durch Zugeständnisse an Ungarn ein Ende zu machen. Die inneren Angelegenheiten des
Staates, namentlich die Gesetzgebung wurden nach dem Rate des ungarischen Staatsmannes
Franz v. Deak in dualistischer Weise geregelt. Für Österreich gilt daher seit 1867 die durch
die Dezemberverfassung dieses Jahres ergänzte Februarverfassung, für Ungarn die durch die
Gesetze des Jahres 1848 umgeänderte alte Landesverfassung.“456
Bei der Wiedergabe und Zusammenfassung der innenpolitischen Verhältnisse und
Verfassungsfragen agierte der Verfasser einmal mehr beschreibend statt urteilend. Auf die
innenpolitische De-facto-Unabhängigkeit Ungarns und die Existenz zweier unterschiedlicher
Verfassungen innerhalb der Habsburgermonarchie verwies Gindely ebenso wie auf die nach wie vor
„gemeinsamen“ Ebenen und Ressorts:
„Dagegen blieb die Einheitlichkeit des Staates in der äußeren Vertretung, in der Armee, in den
Reichsfinanzen und vorläufig auch in den Handelsbeziehungen unangetastet.“457
Mit dem Verweis auf die Handelsbeziehungen ist das Handels- und Zollbündnis gemeint, das
zwischen beiden Reichshälften alle zehn Jahre neu verhandelt werden musste.458 Gindely-Tupetz
deutete hierin an, dass in diesem Bereich noch weitere Entwicklungen möglich seien und es zu
weiteren Aufteilungen gemeinsamer Ressorts kommen könnte. Das Gemeinschaftliche und
Gesamtstaatliche betonte Gindely-Tupetz jedoch nicht nur in dieser Aufzählung der gemeinsamen
Angelegenheiten, sondern auch in der folgenden Wahl der Termini:454 Vgl. Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 650.455 Vgl. Gindely-Tupetz, Lehrbuch. Bd. 3: S. 195f.456 Ebenda: S. 196.457 Ebenda.458 Vgl. Stourzh, Dualistische Reichsstruktur: S. 117.
95
„Die gemeinschaftlichen Angelegenheiten der beiden Reichshälften (der im Reichsrate
vertretenen und der ungarischen Länder) wurden von da an in den jährlich berufenen
Delegationen beraten. Die neue Gestaltung der Verfassungsverhältnisse kam in dem
veränderten Namen der Monarchie, die fortan die 'österreichisch-ungarische' genannt wird,
zum Ausdrucke.“459
Es wird hier ersichtlich, wie exakt die offiziellen Bezeichnungen der Habsburgermonarchie und
seiner Bestandteile eingehalten wurden. Bezüglich der Verwendung des Begriffs der zwei
„Reichshälften“ verweist Gerald Stourzh darauf, dass dieser Terminus lediglich Eingang in die
Gesetzgebung des „cisleithanischen“ Teils gefunden hat, nicht aber in den ungarischen, da hier
unter Berufung auf die Eigenständigkeit des Königreichs jegliche Verwendung des
gesamtstaatlichen Begriffs „Reich“ zurückgewiesen worden war.460 Gindely-Tupetz folgte demnach
gemäß der „cisleithanischen“ Gesetzgebung dem offiziellen Begriff, der schließlich die Vorstellung
zweier Hälften ein und desselben Reichs suggerierte.
Allerdings griff auch er auf inoffizielle Bezeichnungen zurück und gebrauchte „Österreich“ als
Synonym für die nicht-ungarischen Länder, wie dies häufig der Einfachheit halber auch vor 1915
praktiziert wurde. Lediglich einmal verwendete der Verfasser mit den „im Reichsrat vertretenen
Königreichen und Ländern“ den sperrigen Terminus und machte so auf die offizielle Bezeichnung
aufmerksam. Umgekehrt vermied es Gindely-Tupetz aber, Österreich ab diesem Zeitpunkt des
Ausgleichs als Synonym für den habsburgischen Gesamtstaat zu gebrauchen, den er
dementsprechend „österreichisch-ungarische Monarchie“ nannte. Durch diese konsequente
Vorgehensweise in „Gindelys Lehrbuch“ wurden zwar weniger gesamtstaatliche Konzepte direkt
transportiert, doch wurden diese in der Entwicklungsgeschichte des habsburgischen Staatswesens
thematisiert und beschrieben. Der sensible und exakte Gebrauch der Bezeichnungen entsprach den
offiziellen staatlichen Vorgaben, denen in einer sachlichen und distanzierten Weise Folge geleistet
wurde. Gerade hierdurch förderte „Gindelys Lehrbuch“ allerdings staatstragende Elemente und
Auffassungen, wie sie die Regierung der Habsburgermonarchie nach innen und außen vertrat.
Ebenso wertfrei wurden die Etappen des österreichischen Staatswesens und die Versuche, daraus
einen Gesamtstaat zu formen, beschrieben. Es wurde dadurch die Entwicklungsgeschichte des
österreichischen Gesamtstaats von der distanzierten Warte eines Historikers aus betrachtet und
beschrieben, um die Genese der Habsburgermonarchie auf sachliche Art und Weise abzubilden.
Dennoch lässt sich Gindely-Tupetz‘ Sympathie für den Neoabsolutismus und den Gesamtstaat
zwischen den Zeilen herauslesen..
459 Gindely/Tupetz, Lehrbuch. Bd. 3: S. 196.460 Vgl. Stourzh, Dualistische Reichsstruktur: S. 110f.
96
7.6 Das „Lehrbuch der Vaterlandskunde“ von Franz Joseph von Silva-Tarouca (1914)
Als letztes Schulbuch werde ich die Vaterlandskunde des mährischen Adeligen und
Großgrundbesitzers Franz Joseph Graf von Silva-Tarouca in meine Betrachtungen mit einschließen,
das mit seinem Erscheinungsjahr 1914 in die Spätphase der Habsburgermonarchie und in den
Vorabend des Ersten Weltkriegs einzuordnen ist. Da sie auf einer langen Tradition von
Schulbüchern dieses Gegenstandes aufbaute, war die „Vaterlandskunde“ Silva-Taroucas zwar
modern und in qualitativer und kompositorischer Hinsicht mitunter eines der ausgewogensten,
stringentesten und vielseitigsten. Doch hat das Erscheinungsdatum wenige Jahre vor dem Zerfall
der Habsburgermonarchie zur Folge, dass es naheliegenderweise nur für kurze Zeit in Gebrauch war
und nur wenig rezipiert wurde, da ein Schulbuch für die Vaterlandskunde Österreich-Ungarns nach
1918 obsolet geworden war. Dies trug mitunter dazu bei, dass sowohl Verfasser wie auch Schulbuch
in Vergessenheit gerieten. Dieser Verfasser, Franz Joseph von Silva-Tarouca, war der Bruder des
Dendrologen und einflussreichen Politikers Ernst Graf von Silva-Tarouca, der im letzten Kabinett
Kaiser Karls I. den Ministerposten für Agrarbau innehatte und sogar für das Amt des
Ministerpräsidenten im Gespräch war.461 Wie sein Bruder nahm auch Franz Joseph Silva-Tarouca
politische Ämter war, auch wenn er darin nie zu ähnlich hohen Posten gelangt war. Josef
Schwerdfeger, der als Rezensent die Vaterlandskunde Silva-Taroucas überaus wohlwollend
aufnahm und geradezu euphorisch bejubelte, erachtete den Verfasser in pädagogischen Belangen
bereits aufgrund seiner Vaterschaft „von sechs Söhnen, die er alle in dieser Disziplin
unterrichtete“462, als ausreichend qualifiziert für diese Aufgabe. In historisch-fachwissenschaftlicher
Hinsicht genügte Schwerdfeger bereits, dass Silva-Tarouca „als Mitglied des europäischen Uradels
ein lebhaftes historisches Interesse zu eigen“463 sei und „als aktiver Politiker und Gesetzgeber,
nämlich als erblicher Pair, gewiß hinlängliche Legitimation“464 besitze. Auch wenn Schwerdfeger
keinerlei akademische Qualifikationen auflistete und zudem eingestand, dass Silva-Tarouca „kein
Fachmann“465 sei, sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die „Vaterlandskunde“ Silva-
Taroucas dennoch inhaltlich den Nerv getroffen und nach dem Urteil des Rezensenten auch im
Vergleich zu etablierten Lehrbüchern wesentlich besser abgeschnitten habe. Das vorliegende
Lehrbuch der Vaterlandskunde wurde für die oberste Klasse der Mittelschule konzipiert. Im Aufbau
wird eine Schwerpunktsetzung zugunsten der Geschichte ersichtlich, die in etwa zwei Drittel des
Gesamtumfangs ausmacht, das letzte Drittel beschäftigt sich mit der Geographie Österreich-
461 Vgl. Elisabeth Lebensaft/Christoph Mentschl, Silva-Tarouca (Sylva-Tarouca), Ernst (Arnost) Emanuel Gf. von. s.v. Franz Josef Gf. v. S.-T. In: ÖBL. Bd. 12. Lfg. 57. 2004. S. 270f.: S. 270f.
462 Schwerdfeger (Rez.): Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 3.463 Ebenda: S. 4.464 Ebenda: S. 3f.465 Ebenda: S. 2f.
97
Ungarns und seiner Kronländer. Der historische Teil, der als „Geschichte und Bürgerkunde“ betitelt
wurde, beinhaltet neben der Ereignisgeschichte auch kulturelle Aspekte der jeweiligen Epochen und
Informationen zu Handel, Gewerbe, Industrie, Militär und einigen weiteren Bereichen, die
bedarfsweise eingeschoben wurden. Am Schluss stehen übersichtliche Genealogien und
Stammtafeln und Eckdaten zur Verfassungsgeschichte, in welcher sich der Autor auch der
Erklärung von Begriffen wie „Liberalismus“ oder „Nationalismus“ annahm. Die Epochen der
österreichischen Geschichte sind zeitlich in vier Kapitel gegliedert: Als erstes wird den
Babenbergern ein volles Kapitel gewidmet, daran anschließend wird das Auftreten der Habsburger,
dezidiert als Nachfolger der Babenberger in Österreich, nicht im Heiligen Römischen Reich,
behandelt, wie aus der Zusatzangabe der Jahre 1282-1526 deutlich wird. Die letzten beiden
Epochen umfassen mit 1526 das Zusammenwachsen Österreichs, Böhmens und Ungarns in
Personalunion bis 1740, und zum Schluss die habsburgisch-lothringische Linie bis zur Gegenwart.
Angesichts des kleinen Territoriums der Babenberger, verglichen mit den Ländern Österreich-
Ungarns, wird auf eine Perspektivierung aus Sicht der Markgrafschaft bzw. des Herzogtums
Österreich vor dem Hintergrund der verbuchten Gebietsgewinne hingedeutet, nicht auf ein
Zusammenwachsen der Länderkomplexe.
In der Gesamtstaatsgeschichte war es zwar nicht unüblich, dass die Babenberger, die Österreich
über Jahrhunderte prägten, Berücksichtigung fanden, doch geschah dies meist parallel zu den
Ländergeschichten Böhmens und Ungarns. Hiervon ist bei der Konzeption Silva-Taroucas nichts zu
spüren. Einleitend gab er hingegen folgendermaßen Auskunft über die Absicht seines Aufbaus:
„Wenn 'Österreich' genannt wird, erhellt nicht ohneweiters, was der Name bedeute. Aus dem
Zusammenhange muß es sich erst ergeben, ob der Großstaat gemeint sei, den wir heute mit
stolz unser Vaterland nennen, oder die sonnigen Fluren, am Fuße des Wienerwaldes, die
einst Kern gewesen, an welchen sich allmählich die 'Königreiche und Länder'
herangegliedert haben. Die Geschichte von Österreich ist ein stetiges Wachsen.“466
Dieser Abschnitt lässt Schlüsse auf die Geschichtsauffassung Silva-Taroucas zu, oder
beziehungsweise, welche Geschichtsauffassung dieser an die Schülerinnen und Schüler
weitervermitteln wollte. Österreich, das Territorium um Wien, sollte Ursprung und
Orientierungspunkt der Habsburgermonarchie sein, den restlichen Landen kam hingegen eher der
Status eroberter Gebiete zu, an denen sich Österreich zu vergrößern wusste. Er berücksichtigte darin
nicht die anderen Kronländer und Gebiete, die die Habsburgermonarchie der Gegenwart in ihrer
Summe ausmachten und ergänzten, oder ein größeres Kerngebiet als Geburtsstunde des
habsburgischen Staatswesens, wie er beispielsweise mit 1526 als einem breiteren Identifikations-
466 Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 91.
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und Orientierungspunkt hätte wählen können. Das „stetige Wachsen“, das der Verfasser ansprach,
wirkt in diesem Zusammenhang nicht wie ein „Zusammenwachsen“, sondern eher wie ein
„Vergrößern“ des ursprünglichen Herzogtums Österreich.
Noch interessanter erscheint die Bezeichnung Österreich, die er als Bezeichnung für den
Gesamtstaat der Österreichisch-Ungarischen Monarchie seiner Gegenwart benutzte. Gleichzeitig
sprach er aber die unterschiedliche Bedeutungsebene und Interpretationsmöglichkeit des
Österreichbegriffs an und nannte hierfür die beiden Möglichkeiten zur Bezeichnung des
Gesamtstaats oder des Erzherzogtums. Alternativ dazu könnte aufgrund des Zusatzes „Königreiche
und Länder“ auch lediglich die Bezeichnung für die cisleithanische Reichshälfte der
Habsburgermonarchie gemeint sein, auf die Silva-Tarouca in diesem Fall verwiesen hätte. Auch in
diesem Fall würde es sich aber nicht um den aktuell gültigen Terminus des „heutigen“ Staatswesens
handeln, da Österreich erst ein Jahr später zum offiziellen Namen der „westlichen“ Reichshälfte der
Habsburgermonarchie werden sollte.467 Über die Probleme der sperrigen Termini zur Bezeichnung
des Gesamtstaats oder Teilen wurde bereits gesprochen, die inoffizielle Verwendung von
„Österreich“ und „österreichisch“ zur Benennung des Gesamtstaats war auch nach dem Ausgleich
bis zum Ende der Habsburgermonarchie der Einfachheit halber noch durchaus gebräuchlich. Die
Verwendung dieses inoffiziellen Terminus ist aber doch in Anbetracht eines Schulbuch der
Vaterlandskunde, das in staatlichen Einrichtungen der Habsburgermonarchie in Gebrauch war,
verwunderlich.Allerdings verwendete Silva-Tarouca diese Bezeichnung nicht konsequent, sondern
sprach in der Regel von „Österreich-Ungarn“.
In Silva-Taroucas „Vaterlandskunde“ lassen sich deutlich mehr gesamt-österreichische Elemente als
beispielsweise im Lehrbuch Wilhelm Pütz‘, das über ein halbes Jahrhundert zuvor erschienen war,
erkennen. Nach dem Urteil Schwerdfegers sei die „Vaterlandskunde“ Silva-Taroucas im
Unterschied zu den als antiquiert und mangelhaft kritisierten Vorgängern in diesem Gegenstand gar
„eine wahrhaft befreiende Tat“468 gewesen. In dem vorausgeschickten Orientierungs-Abschnitt
erklärte der Autor mittels dieses „Lehrbuchs für Vaterlandskunde“ einen „Rundgang durch die
schönen Königreiche und Länder, die in ihrer Gesamtheit unser Vaterland bilden“469, antreten zu
wollen. Somit untermauerte er den Anspruch, einerseits der Berücksichtigung aller Länder gerecht
zu werden, und andererseits ihre Zugehörigkeit zu einem größeren Ganzen, das Thema der
Vaterlandskunde war, zu betonen. Diesen Grundsatz bekräftigte er noch einmal in der Einleitung zu
seinem historischen Teil: „Nun wollen wir uns aber die Österreichisch-ungarische Monarchie,
467 Vgl. Rumpler, Chance für Mitteleuropa: S. 412.468 Schwerdfeger (Rez.): Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 2.469 Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. III.
99
unsere Heimat, als einen 'Staat' betrachten.“470 Nach den Beschreibungen der vielen Regionen und
Länder der Habsburgermonarchie und ihren geographischen Eigenschaften und Eigenheiten folgte
die Betonung der gemeinsamen Klammer, der Zugehörigkeit all dieser Gebiete zu ein und
demselben Staat. Silva-Tarouca argumentierte in einer ähnlichen Weise, wie Helfert dies getan
hatte,471 die Wichtigkeit eines staatlichen Überbaus zur Wahrung der Interessen und zur kulturellen
Entfaltung einer Gemeinschaft, die nur durch ein gemeinsames Handeln einen entsprechenden
Nutzen daraus ziehen könne, womit er den Wappenspruch Kaiser Franz Josephs, „viribus unitis“,
zitierte.472 Sein Fingerspitzengefühl bewies Silva-Tarouca in der Schilderung der Konsequenzen der
Schlacht am Lechfeld, wo er besonders spitzfindig formulierte:
„Der Sieg, den diese Großmacht [das ottonische Kaiserreich] am St. Laurentiustage 955 auf dem
Lechfeld davontrug, hat für Österreich-Ungarn eine hohe Bedeutung. Dieser zehnte August ist zum
Doppelgeburtstag der Monarchie geworden. Denn auf die Schlacht vom Lechfeld folgt die
Christianisierung der auf ihr Wanderleben verzichtenden Magyaren und – die Gründung der
Ostmark!“473
Durch seine geschickte Wortwahl und viel Sensibilität hob Silva-Tarouca die doppelte, gemeinsame
Bedeutung für die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn hervor und umging auf diese Weise die
Beschreibung der Folgen für Österreich einerseits und Ungarn andererseits. Zudem vermied er es
Österreich und die Ostmark in die Nähe dieser ottonischen Großmacht zu rücken und Ungarn in die
direkte Verbindung mit der Niederlage zu bringen. Stattdessen verwies er auf die Konsequenzen
vom Standpunkt der Habsburgermonarchie aus, für die in diesem Ereignis ein wichtiger Schritt für
die künftigen Entwicklungen und das Zusammenwachsen Österreichs und Ungarns bestanden habe.
Silva-Taroucas „Vaterlandskunde“ ist zudem das einzige der von mir behandelten Lehrbücher, in
dem auf Österreich-Ungarn als gemeinsamem Heimatbegriff noch vor der Schilderung des
Ausgleichs verwiesen wurde. Auch auf die slawische Bevölkerung der Habsburgermonarchie,
besonders die Tschechen, und deren Reichsgründungen wurde Bezug genommen, stellenweise in
die Babenberger-Geschichte eingewoben und den Entwicklungen in Österreich gegenübergestellt.474
Auch wenn damit der äußerliche Aufbau einer rein herzöglich-österreichischen Perspektivierung
etwas entkräftet wird, so lag dennoch der Schwerpunkt aufgrund der Spärlichkeit dieser Einschübe
auf den Babenbergern und Österreich. Ausgeglichen wurde dies durch die Berücksichtigung
Böhmens und Ungarns als wichtige Faktoren zum Aufstieg der Habsburgermonarchie zur
470 Ebenda: S. 89.471 Vgl. Helfert, Nationalgeschichte: S. 54.472 Vgl. Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 89.473 Ebenda: S. 107f.474 Vgl. Ebenda: S. 110f.
100
Großmacht.475 Allerdings sprach Silva-Tarouca in diesem Kontext vom „Erwerb von Böhmen und
Ungarn“476 durch Österreich und den daraus resultierenden Aufstieg von letzterem. Ähnlich verhält
sich dies auch an anderer Stelle, als er in der Regentschaft Ferdinands I. und besonders in dessen
Erbe 1526 den Beginn einer neuen Periode und den Aufstieg der österreichischen oder deutschen
Linie des Hauses Habsburg zur Großmacht verortete.477 Das Ereignis von 1526, das etwa Franz
Krones als „Geburtsjahr des Oesterreichischen Gesammt- oder Großstaates“478 oder als
„Vereinigung“479 Österreichs, Böhmens und Ungarns ansah, bezeichnete Silva-Tarouca auch an
dieser Stelle als „Erwerb“480 beider Kronen durch Österreich oder die habsburgische Dynastie. Er
wollte den dominanten und aktiven Part von Österreich bei diesem Vorgang verstanden wissen, oder
wie eingehends erwähnt wurde: das „Wachsen“ bedeutete bei ihm kein „Zusammenwachsen“.
Die Dominanz und Perspektivierung Österreichs unterstrich bereits das äußere Erscheinungsbild
mit dem schlicht gehaltenen Cover: Darauf prangte nicht etwa der österreichisch-ungarische
Doppeladler und/oder die Wappen der Kronländer, sondern lediglich der österreichische
Bindenschild mit den Lettern A.E.I.O.U., des Wappenspruchs Kaiser Friedrichs III., dessen
Bedeutung meist vulgo mit „Alles Erdreich ist Österreich Untertan“ oder „Austriae est imperare
orbi universo“ interpretiert wird. Darin wurde rein äußerlich die Thematik des
Eroberungsgedankens und Herrschaftsanspruchs seitens Österreichs aufgeworfen. Der rote-weiß-
rote Bindenschild war der Wahrscheinlichkeit nach als ursprüngliches Wappen der Eppensteiner von
Schwaben aus zunächst nach Kärnten und Friaul und über die steirischen Traungauer schließlich
mit den Babenbergern nach Österreich gekommen.481 Vom Haus Habsburg wurde der Bindenschild
mit seinen Farben zwar übernommen und später auch ins österreichisch-ungarische Wappen
integriert, womit er gewissermaßen über das Herzogtum hinausging, doch repräsentierte er dennoch
primär die österreichischen „Erblande“.
Auch der dynastische Gedanke kam in diesem Lehrbuch zum Tragen. Über den gesamten Zeitraum
sah er in der Regierungszeit Franz Josephs und der konstitutionellen Monarchie „die Majestät der
Krone […] nicht ein Jota ihrer Größe“482 geschmälert. Das verbindende Element der Habsburger-
Dynastie veranlasste Silva-Tarouca dazu, auf ein kollegiales „wir“ einzuschwenken und das
Funktionieren und die Gerechtigkeit der staatlichen Institutionen und Gesetze der
475 Vgl. Ebenda: S. 94.476 Ebenda.477 Ebenda: S. 141.478 Krones, Handbuch. Bd. 1: S. 80.479 Ders., Die österreichischen, böhmischen und ungarischen Länder.480 Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 141.481 Vgl. Hermann Wiesflecker, Österreich im Zeitalter Maximilians I. Die Vereinigung der Länder zum frühmodernen
Staat. Der Aufstieg zur Weltmacht. Wien 1999: S. 138f.482 Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 227.
101
Habsburgermonarchie zu loben:
„Wir Österreicher dürfen auf das Herrscherhaus stolz sein, das im Besitz der Allmacht in
wundervoller Selbstzucht nie einen Schritt hinaustrat aus den Bahnen des Rechts […].“483
Auf die direkte Rolle der Dynastie beim Ländererwerb und der Machtentfaltung wurde bereits
verwiesen. Silva-Tarouca arbeitete sich jedoch nicht an der strengen Abfolge die Habsburger ab,
sondern schloss in seine Charakterisierungen auch prägende Figuren über die Dynastie hinaus mit
ein. So wurden vor allem Feldherrn wie Albrecht von Wallenstein, Prinz Eugen oder Feldmarschall
Radetzky als Vorbilder und Orientierungshilfen für die Schülerinnen und Schüler aufgebaut. Gerade
diese lebendige Charakteristik und der beinahe romanhafte Duktus des Verfassers veranlassten
Schwerdfeger zu Lobeshymnen, da „ein Hauptgewicht […] nach Rankes Vorgang auf die
Gestaltung der historischen Persönlichkeiten gelegt und so das Interesse auch der Jugend gefesselt,
nicht ertötet“484 worden sei. Im Fall Prinz Eugens wurde die Weitsicht und der Scharfblick des
hochdekorierten Feldherrn auch über die Politik Karls VI. gestellt, zumindest im Zusammenhang
mit der Pragmatische Sanktion.485 Der Bedeutung der Pragmatischen Sanktion für die
Habsburgermonarchie und ihre Länder wurde Silva-Tarouca erst vor dem Hintergrund des
Ungarischen Ausgleichs gerecht. Hierbei betonte er die „Wahrung des im Staatsgrundgesetze Kaiser
Karls VI. von 1713 unauflöslich gemachten Verwachsenseins mit Österreich“.486 Auf dieses
„Verwachsensein“ achtete Silva-Tarouca in der Folge jedoch wenig. Die Gebietsveränderungen
wurden, vor allem bei der Beschreibung der Wiederherstellung der Habsburgischen Länder nach
den Napoleonischen Kriegen, mehr nach einer Kosten-Nutzen Rechnung bemessen, um welche
Territorien es sich dabei handelte, wirkt eher trivial.487 Dies erweckt angesichts eines Schulbuchs
der Vaterlandskunde, das ja gerade die geographischen und historischen Spezifika der
Habsburgermonarchie zum Inhalt hat und ein Zugehörigkeitsgefühl aufgrund dieser gemeinsamen
Gesichtspunkte vermitteln sollte, nicht gerade den Anschein eines zusammenhängenden
„Staatskörpers“ oder eines „Organismus“, für dessen Funktionieren jeder Teil essentiell wäre. Der
Patriotismus steckte bei Silva-Tarouca auch nicht in der Berücksichtigung der Peripherie und der
einzelnen Kronländer, sondern im österreichischen Zentrum und dem großen Ganzen. Diesen
großösterreichischen Patriotismus auf die breite Bevölkerung aller Kronländer ausdehnen zu
können, sah Silva-Tarouca als nicht möglich an und führte dies auf ein gesamtösterreichisches
Merkmal zurück, das ironischerweise die Bevölkerung der Habsburgermonarchie miteinander
483 Ebenda: S. 168.484 Schwerdfeger (Rez.): Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 4.485 Vgl. Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 172f.486 Ebenda: S. 225.487 Vgl. Ebenda: 194.
102
verband, nämlich das fehlende „Selbstbewusstsein in der Vaterlandsliebe“488. Ein gesamtstaatliches
Denken lässt sich vor allem in den Passagen der jüngeren Geschichte erkennen. Den Nationalismus
stufte Silva-Tarouca zwar als progressive und moderne Strömung ein, sah in ihm aber
naheliegenderweise eine Gefahr für das Staatswesen und rückte ihn in die Nähe des Militarismus,
was er aus der historischen Erfahrung am Exempel Napoleons zu belegen versuchte.489
Einen besonderen Stellenwert nahm der Neoabsolutismus in Silva-Taroucas Werk ein, den er mit
der „Ära Bach“ gleichsetzte. Der Innenminister Alexander von Bach, der dieser Ära seinen Stempel
aufgedrückt hatte, wurde hierbei in Schutz genommen. Daneben lieferte Silva-Tarouca aber auch
interessante Einsichten in die zeitgenössische Beurteilung von dessen Politik:
„Von Alexander von Bach spricht man jetzt nur mehr wenig. Er gehört zu den Leuten, an die
niemand besonders interessiert zurückdenkt, weder die Einen, denen seine offen bekannte
religiöse Gesinnung nicht gefiel, noch die anderen, weil ihrer ungeachtet Baron Bach ein
entschiedener, nein, starrer Zentralist war. Und doch hat er unleugbar seinerzeit viel
geleistet. Advokat von Beruf und der Sache der Freiheit begeistert zugewendet, hatte er […]
sehr wesentlichen an den Errungenschaften jener Tage und später als Minister des Inneren
unter Schwarzenberg wurde er die Seele von großen, folgenschweren Reformen.“490
Auch wenn Silva-Tarouca die Schwächen an Bachs Politik thematisierte und dessen Reformen in
möglichst vagen und wertfreien Beschreibungen charakterisierte, so betonte er dennoch dessen
Leistungen. Er war darum bemüht, dem zeitgenössischen Urteil über Bachs Politik ein
differenziertes Bild entgegenzuhalten. Insbesondere für Bachs Reformwerk hatte Silva-Tarouca
lobende Worte übrig, die er mit der damit einhergegangenen Modernisierung der
Habsburgermonarchie begründete. Ähnlich wie Gindely-Tupetz lobte Silva-Tarouca nicht direkt die
Zentralisierungsmaßnahmen Bachs, sondern vielmehr die Modernisierung, die allerdings aufgrund
der gestiegenen nationalen Emanzipation bei den Ungarn auf wenig Verständnis gestoßen war:
„Sie [die Bach'sche Beamtenschaft] hat Straßen gebaut und die Schulen gehoben, die
sprichwörtliche Unsicherheit des Rechts und der Ordnung gemildert; - aber die Ungarn
wußten ihm keinen Dank, sie wollten auf Kosten ihrer heißen nationalen Gefühlen von
Reformen nichts wissen.“491
In seinem negativen Urteil zum Ende des Neoabsolutismus lassen sich einige Parallelen zu Krones‘
„Handbuch“ ziehen, in dem 1859/60 ebenfalls als entscheidende Zäsur bewertet wurde.492 Einen
gesamtstaatlichen Standpunkt nahm er auch beim Februarpatent von 1861 ein, an dem er „das 488 Ebenda: S. 205.489 Vgl. Ebenda: S. 209f.490 Ebenda: S. 224.491 Ebenda: S. 225.492 Vgl. Krones, Handbuch. Bd. 4: S. 650.
103
gleichzeitige, gleichberechtigte Gelten zweier Verfassungsreformen, die prinzipiell und praktisch
einander widersprachen“, kritisierte. „In Wien das Parlament und in Ungarn die strenge, absolute
Regierung […].“493 Hier warnte er vor der Problematik eines staatlichen Auseinanderdriftens der
habsburgischen Länder durch die Einführung zweier verschiedener Verfassungen und
Verwaltungspraktiken. Somit maß Silva-Tarouca der Zäsur 1859/60 und dem Ende des
Neoabsolutismus eine erhebliche Bedeutung bei und sparte auch nicht mit Kritik an der Situation,
die aus der gescheiterten Durchsetzung eines Gesamtstaats entstanden war. Diese Bedenken
wiederholte Silva-Tarouca beim Ausgleich mit Ungarn allerdings nicht, den er mehr als
lohnenswerten Kompromiss und sogar als Wiederannäherung mit Ungarn zum Nutzen der
Habsburgermonarchie interpretierte: „Dann – nach dem Preußenkriege – kam die große
Versöhnung: unser 'Ausgleich mit Ungarn vom Jahre 1867' zustande.“494 Obwohl er Ungarns daraus
resultierenden „Rang eines eigenen Staates“495 klar benannte, stellte Silva-Tarouca dennoch die
verbindenden Elemente wie die gemeinsamen Ministerien in den Vordergrund und kaschierte das
Trennende. Auch die Tatsache, die Silva-Tarouca im Zusammenhang mit dem Februarpatent noch
als problematisch bezeichnet hatte, dass seit dem Ausgleich erst recht zwei verschiedene Systeme
mit zwei verschiedenen Verfassungen konstituiert wurden, schien den Verfasser nun nicht mehr zu
stören. Angesichts der zahlreichen Stimmen von Zeitgenossen, welche wie erwähnt den
Ungarischen Ausgleich als Katastrophe oder zumindest als Ende des österreichischen Gesamt- und
Einheitsstaates empfanden, ist es dahingehend besonders interessant, wie Silva-Tarouca auch hier
das Verbindende, „unseren Ausgleich“ hervorhob und mit ihm scheinbar sympathisierte. Dies mag
darin begründet liegen, dass der Autor sich mit der politischen Tatsache des Ausgleichs und der
Österreichisch-Ungarischen Monarchie abgefunden hatte, sich mit dieser realen Gegebenheit
arrangierte. Dies hatte sich ja bereits bei Franz Krones abgezeichnet, der hingegen noch sichtlich
weniger Sympathien für den Ungarischen Ausgleich aufbrachte als Silva-Tarouca. Im Gegensatz zur
Krise von 1859/60, die Silva-Tarouca als negative Zäsur auffasste, bewertete er den Ausgleich unter
Betonung der Kontinuitäten als überaus positiv. Trotz einiger Veränderungen hielt Silva-Tarouca
einen gesamtstaatlichen Patriotismus hoch und bediente zahlreiche Elemente der Gesamtstaatsidee,
die somit in veränderter Form auch 1914 noch weiterlebte und weiterentwickelt wurde.
493 Silva-Tarouca, Vaterlandskunde: S. 224.494 Ebenda: S. 225.495 Ebenda.
104
8 Schlussfolgerungen
Bei den betrachteten Lehrbüchern lässt sich folgender Kanon an Ereignissen, die hinsichtlich ihrer
Bedeutung für den Gesamtstaat häufig auftauchen, zusammenfassen. In allen Lehrbüchern wurde
die Vereinigung der drei Länderkomplexe thematisiert, sodass sowohl die Personalunion unter
Albrecht II. als auch der dauerhafte Zusammenschluss unter Ferdinand I. Erwähnung fanden. Des
Weiteren wurden auch die Pragmatische Sanktion und die Rolle Maximilians bei der Vereinigung in
den Lehrbüchern soweit berücksichtigt, dass sie sich als gesamtstaatliche Muster bemerkbar
machen. Im Einzelnen zeigte sich aber eine sehr unterschiedliche Gewichtung dieser Ereignisse.
Die Bedeutung Albrechts II. wurde vor allem in „Gindelys Lehrbuch“ aber auch in Hannaks
„Lehrbuch der Geschichte“ hervorgehoben. Die Vereinigung durch Ferdinand wurde ebenfalls sehr
unterschiedlich ausgedeutet, die Tragweite der Konsequenzen aber am stärksten bei Gindely-Tupetz
und Silva-Tarouca behandelt. Häufig wurde dabei auf die vorbereitende Rolle Maximilians, der die
Wiener Hochzeit arrangierte, verwiesen, wie dies vordergründig Wilhelm Pütz und Emanuel
Hannak („Lehrbuch“) taten. Ebenfalls in allen Lehrbüchern enthalten ist die Pragmatische Sanktion,
die allerdings lediglich in Hannaks „Lehrbuch“ und in Silva-Taroucas „Vaterlandskunde“ als
wichtiges Staatsgesetz und einendes Band für die Habsburgischen Länder präsentiert wurde.
Wilhelm Pütz betonte immerhin die Zugehörigkeit der Habsburgischen Länder und nicht nur die
weibliche Erbfolge. Während der Krieg zwischen Österreich und Preußen von 1866 Eingang in alle
Lehrbücher fand, wurde auf die Berücksichtigung des Ungarischen Ausgleichs in einigen Fällen
verzichtet. Auch die Art und Weise, wie der Ausgleich erwähnt und beurteilt wurde, divergiert
wiederum stark. Ebenso sehr wichen die Lehrbücher in der Verwendung gesamtstaatlicher Topoi
voneinander ab. Obwohl bei Pütz und Silva-Tarouca die einzelnen Kronländer wenig
Berücksichtigung fanden, richteten beide nach eigenen Angaben ihr Augenmerk darauf, das
Staatswesen als ein großes Ganzes zu betrachten. Auf eine parallele Darstellung der Habsburgischen
Länder bis zu ihrer Vereinigung wurde besonders in „Gindelys Lehrbuch“ und Hannaks
„Vaterlandskunde“ geachtet. Vereinzelt wurde auch auf den Topos der Notwendigkeit für das
Zusammengehen und Zusammenbleiben der Länder zurückgegriffen, in den meisten Fällen aber die
Verbindungen und Gemeinsamkeiten der Länder vor ihrer Einigung 1526 bekräftigt. Die Dynastie
als Identifikationsmerkmal fand in allen Lehrbüchern Erwähnung, während aber Pütz und Spitzer
das Haus Habsburg streckenweise mit dem Staat gleichsetzten und auch Silva-Tarouca die Macht
der Dynastie hervorhob, betonte Gindely-Tupetz in seinen Darstellungen die Einheit des
Staatswesens über den dynastischen Gedanken hinaus. Interessante Schlüsse lassen sich aber vor
allem aus der Wortwahl im Zusammenhang mit der Thronbesteigung Ferdinands in Böhmen und
105
Ungarn ziehen. Dort spalten sich die Lehrbücher in exakt zwei gleichgroße Lager: Während Silva-
Tarouca und Spitzer vom „Erwerb“ Böhmens und Ungarns für Österreich oder das Haus Habsburg
sprachen, implizierten Gindely-Tupetz und Hannak („Lehrbuch“) mit der „Vereinigung“ der Länder
das Entstehen eines eigenen, großen Staatsgebiets. Pütz vermied zwar den Begriff „Erwerb“,
tendierte aber dennoch zu einer dynastisch konnotierten Inbesitznahme, wohingegen Hannaks
„Vaterlandskunde“ in der Wortwahl zwischen „Vereinigung“ und „Erwerb“ wechselte.
In Anbetracht dieser Ergebnisse lässt sich daher argumentieren, dass gesamtstaatliche Aspekte, wie
sie im Kanon und in den Topoi zusammengefasst wurden, in fast allen behandelten Lehrbüchern
bewusst thematisiert wurden, dass aber gleichzeitig die Gewichtung und Häufigkeit stark variierte.
Oft ergeben sich durch die Stoffanordnung, die Kontextualisierung oder die Wortwahl kleine aber
feine Unterschiede, die einen differenzierten Zugang zur Gesamtstaatsidee offenkundig werden
lassen. Es kristallisieren sich dadurch einige Lehrbücher heraus, die gesamtstaatliche Elemente
linear und stringent über den gesamten Geschichtsstoff hinweg transportierten und auf diese Weise
eine tiefer gehende Intention erkennbar machen. Ein dichtes Netz an gesamtstaatlichen Themen,
Textstrategien und Begrifflichkeiten lässt sich vor allem bei Gindely-Tupetz und Hannak
rekonstruieren, die akribisch genau die Muster, die aus der Diskursanalyse zum Gesamtstaat
hervorgegangen sind, einzuhalten bemüht waren. Punktuell und weniger vollständig geschah dies
auch bei Silva-Tarouca, der viele der Kriterien der Gesamtstaatsgeschichte erfüllte. Bei diesen
Vertretern lässt sich die primäre Tendenz, die Habsburgermonarchie gezielt als historisch
gewachsenen Gesamtstaat zu präsentieren, herauslesen. Insofern versuchten sie den staatlichen und
geschichtswissenschaftlichen Ansprüchen, die Helfert und Chmel bei einer österreichischen
Nationalgeschichte voraussetzten, gerecht zu werden und wiesen einige Parallelen zu Franz Krones‘
Handbuch auf. Sie folgten den Vorgaben des Ministeriums für Cultus und Unterricht und suchten
die Interessen des Staats ideologisch zu untermauern. Überwiegend ist der Anspruch und die
Tendenz in den Lehrbüchern erkennbar, die Vorgaben des Ministeriums einzuhalten und den
einheitlichen und gesamtstaatlichen Charakter der Habsburgermonarchie hervorzuheben. Gerade
diejenigen Lehrbücher, die die staatlichen Positionen am konsequentesten vertraten und dem
Ministerium am ehesten gerecht zu werden verstanden, erlebten die größte Nachfrage und weiteste
Verbreitung. Die höchsten Neuauflagen nämlich erzielten „Gindelys Lehrbuch“ und Hannaks
„Lehrbuch der Geschichte“. Dieser Zusammenhang könnte zum Teil auch mit dem Wohlwollen des
Ministeriums erklärt werden.
Von Relevanz sind in erster Linie die Ergebnisse zu den innen- und außenpolitischen Zäsuren. Im
Hinblick auf die Beurteilung der Krisen 1859/60 und 1866/67 machen sich große Unterschiede
bemerkbar. Während auf die außenpolitischen Niederlagen größtenteils Bezug genommen wurde,
106
traten die innenpolitischen Auswirkungen vergleichsweise eher in den Hintergrund. Im Gegensatz
zu 1867 gab es selten Reaktionen auf 1860, allerdings wurde der Neoabsolutismus in diesen Fällen
als Regierungsperiode im Gesamten einer Beurteilung unterzogen, nicht nur der Schlusspunkt. Aus
den Untersuchungen lässt sich schlussfolgern, dass der Neoabsolutismus mit Zentralisierung und
Modernisierung assoziiert und die Reformen in dieser Zeit als grundsätzlich positiv aber
missverstanden interpretiert wurden. Während bei Gindely-Tupetz das Ende des Neoabsolutismus
mehr wie eine Weiterentwicklung einer Verfassung, die trotz positiver Ansätze doch ihre Mängel
offenbart hätte, angesehen wurde, betonte Silva-Tarouca den Charakter einer Zäsur. In beiden Fällen
wurde die Periode selbst allerdings durchaus positiv bewertet. Im Gegensatz zu 1860 wurde 1867
häufiger behandelt, allerdings nicht als Zäsur interpretiert. Trotz der positiven Sichtweise auf die
zentralisierenden Maßnahmen des Neoabsolutismus folgte bei der Betrachtung des Ausgleichs keine
Kritik, sondern größtenteils Zustimmung. Vorherrschend war nämlich die Herangehensweise, die
Kontinuitäten hervorzuheben und die Habsburgermonarchie trotz der Einschnitte als im Wesen
unverändert und als einen Staat zu behandeln. Dementsprechend wurde der Ausgleich mit Ungarn
primär positiv bewertet, um die Unversehrtheit des österreichischen Gesamtstaats und die
ungebrochene Identifikation mit diesem Staatswesen zu betonen. Daher schienen sich gerade die
Autoren, die am meisten gesamtstaatliches, großösterreichisches Gedankengut transportierten, eher
mit dem Dualismus zu arrangieren. Dies kann auf eine Anpassung der Verfasser an die veränderte
Ausrichtung der Regierung zurückgeführt werden, die durch die neuen politischen Verhältnisse des
Ausgleichs nötig geworden war. Umso mehr verdeutlicht dies den Anspruch der Lehrbücher, den
Regierungsvorgaben Rechnung zu tragen und offizielle, staatsdienliche Inhalte gezielt zu
verbreiten. In etwa entsprach diese Haltung der Franz Krones‘, der zwar nicht mit der De-facto-
Zweiteilung sympathisierte, sich aber sehr wohl mit der Doppelmonarchie abgefunden hatte. Dieser
Umstand hielt ihn jedenfalls, anders als Bidermann bei seinem dritten Band, nicht davon ab sein
„Handbuch“ in den 1870ern zu publizieren. Schulbücher, die in staatlichen Einrichtungen in
Verwendung waren, mussten naheliegenderweise die politischen Gegebenheiten des Staatswesens
ein Stück weit widerspiegeln. In erster Linie wurde dabei meist das Gemeinsame vor das Trennende
gestellt. Konkret bei Gindely-Tupetz, der trotz seiner objektiven Herangehensweise im Ausgleich
mehr eine Möglichkeit sah, innenpolitisch Frieden zu schließen und den Gesamtstaat wieder zu
konsolidieren. Ganz ähnlich war der Umgang Silva-Taroucas mit dem Ausgleich, dessen politische
Realität er begrüßte und als „große Versöhnung“ bezeichnete. Auch Emanuel Hannak, der zwar die
Bezeichnung des „Ausgleichs“ unter Verwendung eines Synonyms umging und dadurch umso mehr
den Eindruck der Kontinuität erweckte, stand den neuen Verhältnissen ebenso wohlwollend
gegenüber wie Silva-Tarouca und Gindely-Tupetz. Zudem sprach er sich dezidiert gegen föderale
107
Strömungen aus, die am Dualismus zu rütteln versuchten.
In engem Zusammenhang hiermit stand auch der Wandel des Österreichbegriffs. In der Regel war
„Österreich“ als alleiniger Terminus mindestens bis zu den Beschreibungen des Ausgleichs in
Verwendung. Ab diesem Stoffgebiet gibt es allerdings deutliche Unterschiede was den Gebrauch
offizieller Termini anbelangt. Allgemein lässt sich festhalten, dass „Österreich“ in der Mehrzahl der
Lehrbücher unverändert als Bezeichnung für den Gesamtstaat der Habsburgermonarchie bestehen
blieb. Die positive Haltung zum Dualismus musste dabei nicht zwingend mit der Verwendung der
offiziellen Termini korrelieren. Silva-Tarouca erkannte den neuen Namen desselben Staatswesens
an und gebrauchte die offizielle Bezeichnung „Österreich-Ungarn“. Zudem war Silva-Tarouca der
einzige, der diesen Terminus an einer früheren Stelle erwähnte, nämlich als er die Konsequenzen
der Schlacht am Lechfeld für „Österreich-Ungarn“ auseinandersetzte. Eine weitere Besonderheit an
Silva-Tarouca ist hierbei, dass nur er auf die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten des
Österreichbegriffs aufmerksam machte und differenzierte. Exakt eingehalten wurde die offizielle
Terminologie von Gindely-Tupetz, der von „Österreich-Ungarn“ als dem Gesamtstaat und den „im
Reichsrat vertretenen Ländern“ in der Bedeutung der „cisleithanischen“ Reichshälfte sprach.
Konsequent in diesem Vorgehen war aber auch Gindely-Tupetz nicht, da auch bei ihm „Österreich“
in der Regel „die im Reichsrat vertretenen Länder“ synonymisch ersetzte. Von Pütz abgesehen,
vermieden hingegen Spitzer und Hannak den Terminus „Österreich-Ungarn“ und verwendeten
„Österreich“ deckungsgleich für „Habsburgermonarchie“. Hannaks „Lehrbuch“, das in die direkte
Folgezeit des Ausgleichs fiel, lässt zwar ebenso eine Anerkennung des Dualismus erkennen, doch
schien Hannak noch von der Aussicht auf die Rettung des „Österreich-Begriffs“ für den
Gesamtstaat geprägt. In zeitlicher Hinsicht lässt sich dadurch der Trend feststellen, dass vor allem
spätere Werke, wie die Gindely-Tupetz‘ und Silva-Taroucas, sich mit den Gegebenheiten des
Dualismus abgefunden hatten und auch den offiziellen Namen dieses Staatswesens rundum
anerkannten und übernahmen. Als Fazit lassen sich also deutliche Anzeichen eines gesamt-
österreichischen Bewusstseins in den meisten der Lehrbücher erkennen, vor allem in den
bekanntesten. Vereinzelt wird zwar eine Bevorzugung des „deutschen“ Elements der
Habsburgermonarchie bemerkbar, doch geschieht dies meist im Rahmen der mittelalterlichen
Geschichte und der engen Verbindung mit dem deutschen Raum. Dennoch nahmen diese Tendenzen
nie extreme Züge im Sinne deutschnationaler Positionen an und überstiegen nie das
großösterreichische Identitätsbewusstsein. Mehr noch als bei Franz Krones, der trotz eines
moderaten Zugehörigkeitsgefühls zur deutschen Nationalität seiner großösterreichischen Gesinnung
stets den Vorzug einräumte, traten die Identitäten der Lehrbuchautoren in den Hintergrund. Zum
Teil wurde der Führungsanspruch des Herzogtums Österreich innerhalb des Staats unter
108
Hintanstellen der böhmischen und ungarischen Geschichte unterstrichen, doch war dabei die
Betonung des eigenstaatlichen Charakters der Habsburgermonarchie als nicht-deutschem Staat
vorherrschend. Grundsätzlich scheinen Sympathien zugunsten eines Zentralismus und einer
Vereinheitlichung des Staatswesens durch, bei Hannak eine klare Antipathie gegen föderalistische
Reformen. Trotz dieser Sympathien in die eine oder andere Richtung war es hingegen nie das Ziel,
die zeitgenössische Politik zu kritisieren. Um der offiziellen Position der Regierung zu entsprechen
und die staatlichen Interessen zu unterstützen, wurde der status quo der Habsburgermonarchie stets
positiv beurteilt. Dementsprechend wurden auch die gesamtstaatlichen Elemente an das veränderte
Staatsinteresse angepasst und fanden unvermindert bis zum Zerfall der Habsburgermonarchie
Verwendung.
109
9 Literaturverzeichnis
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