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DIE JAZZMUSIKER UND IHRE DREI WÜNSCHE

DIE JAZZMUSIKER UND IHRE DREI WÜNSCHE - … · Beispiel kam, als sie Thelonious Monk und den Saxofonisten Sonny Stitt auf einer Tournee durch den Bundesstaat Delaware begleitete

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DIE JAZZMUSIKER UND IHRE DREI WÜNSCHE

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Titel der Originalausgabe:

Pannonica de Koenigswarter: Les Musiciens de jazz et leurs trois vœux. Propos recueillies et photographies originales. Préface de Nadine de Koenigs-warter. Traduit de l’américain par Florence Hertz. Paris: Buchet/Chastel, 2006

Dieses Buch wurde nach dem Manuskript und den Fotografien von Panno-nica de Koenigswarter und anderen unbekannten Fotografen von FrédéricPajak gestaltet, unter künstlerischer Mitwirkung von Anne Benoliel-Defré-

ville und Lea Lund.

Unser herzlicher Dank geht an Nadine de Koenigswarter für ihre Geduld undihren Sachverstand, und an die fünf Kinder von Pannonica de Koenigs-

warter, die dieses Projekt von ganzem Herzen unterstützt haben.

Alle Rechte vorbehaltenCopyright für die deutschsprachige Ausgabe

© 2007 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., StuttgartCopyright für die Originalausgabe

© 2006 Buchet/Chastel, un département de Meta-Éditions7, rue des Canettes, F-75006 Paris

Die Übersetzung erscheint mit Genehmigungdes Verlags Buchet/Chastel, Paris

Das Copyright für die Abbildungen liegt beider Familie de Koenigswarter

Satz: Reclam, DitzingenDruck und buchbinderische Verarbeitung: Kösel, Krugzell

Printed in Germany 2007RECLAM ist eine eingetragene Marke

der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., StuttgartISBN 978-3-15-010653-2

www.reclam.de

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Philipp Reclam jun. Stuttgart

PANNONICA DE KOENIGSWARTER

Die Jazzmusiker

und ihre drei Wünsche

FOTOGRAFIERT UND NOTIERT VON

PANNONICA DE KOENIGSWARTER

VORWORT VON

NADINE DE KOENIGSWARTER

Übersetzt vonMichael Müller

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PANNONICA IM CATHOUSE. UNTEN: MIT BERIT DE KOENIGSWARTER UND BARRY HARRIS

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NicaVORWORT VON NADINE DE KOENIGSWARTER

FOTOS VON PANNONICA DE KOENIGSWARTER

UND ANDEREN UNBEKANNTEN FOTOGRAFEN

Als ich Nica 1986 in New York zum letzten Mal gesehen habe, sind wirspät abends in ihr altes Bentleykabrio gestiegen, um, wie es ihre Ge-wohnheit war, eine Runde durch die Jazzclubs zu machen. Sie trug ein

Kleid aus bunt bedrucktem Stoff, ihr blasses schmales Gesicht war von lan-gen schwarzen Haaren gerahmt, eine Zigarettenspitze ragte wie immer zwi-schen ihren grellroten Lippen hervor. Dennoch betrat sie einen Club immersehr diskret: Sie ließ sich irgendwo in einem Winkel nieder und hörte andäch-tig zu.

Wenn die Musiker Pause machten, sich ein wenig entspannten, sich vollerHumor und in ihrer eigentümlichen verknappten Sprechweise unterhielten,vernahmen sie plötzlich von der anderen Seite des Raumes her, fast wie einEcho, eine witzige Bemerkung, einen Scherz, wie ihn nur ein Insider machenkonnte. Kaum hatten sie ihre lässige Stimme und den ausgeprägten britischenAkzent gehört, da schien eine Welle der Freude und des Entzückens von derBühne in den Zuschauerraum auszugehen, und man fühlte sich von einem Ge-fühl von Brüderlichkeit wie eingehüllt. Die Musiker riefen ihr zu: »Nica, mylady!« oder »There’s the Baroness!« und kamen zu ihr hergeeilt, um sie in dieArme zu schließen oder ihr einen Handkuss zu geben.

Pannonica Rothschild wurde am 10. Dezember 1913 in London geboren; ihrVater entstammte dem englischen Zweig der großen und internationalen Fa-milie der Rothschilds. Charles Rothschild war Bankier von Beruf und Ento-mologe aus Leidenschaft. Er gründete 1912 die Society for the Promotion ofNature Reserves und im Jahr darauf die Société pour la protection internatio-

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nale de la nature. Nachdem er auf einer Reise durch das Geburtsland seinerFrau, Ungarn (auf Latein: Pannonia), eine neue Schmetterlingsart entdeckthatte, taufte er nicht nur das Insekt, sondern auch seine Tochter auf densel-ben Namen: Pannonica.

Pannonica war die jüngste Tochter von Charles Rothschild und seiner FrauRozsika von Wertheimstein. Von Jugend an empfand sie ein reges Interesse fürden Jazz, das durch die umfangreiche Schallplattensammlung ihres Vaters ent-facht worden war. Später, während des Zweiten Weltkriegs, kam ihr BruderVictor, der als Churchills persönlicher Kurier die Verbindung zu PräsidentRoosevelt in Washington aufrechterhielt, mit dem Jazz in dessen Ursprungs-land in Berührung und begeisterte sich für das Klavierspiel von Art Tatum. InEngland bekam man damals so gut wie keinen Jazz zu hören – von ein paarKonzerten Benny Goodmans abgesehen, die Victor und Pannonica sich nieentgehen ließen. Victor, der eine Ausbildung als klassischer Pianist erhaltenhatte, begann sich mit einigen Goodman-Musikern zu treffen und Unterrichtbeim Pianisten der Band, Teddy Wilson, zu nehmen. Pannonica verfolgte dasalles aufmerksam. Teddy spielte ihr Schallplatten vor und erschloss ihr vor al-lem durch eine Aufnahme von Duke Ellingtons Suite Black, Brown and Beigeden ganzen Reichtum, die Vitalität und Spiritualität der Jazzmusik.

Schon im Alter von elf Jahren hatte sie von der Royal Drawing Society fürvon ihr angefertigte Zeichnungen eine Silbermedaille verliehen bekommen,und ihr ganzes Leben lang schuf sie farbenfrohe abstrakte Gemälde von klei-nerem Format. Ihre Malweise war in jeder Beziehung frei: sie mischte auch inihre Ölfarben alles Mögliche hinein, das gerade zur Hand war: Milch, Whis-ky, Parfum. Um flüchtige Licht- und Farbeffekte oder Bewegungen einzufan-gen, griff sie auch sehr gern zur Polaroidkamera.

1931 übersiedelte sie zusammen mit ihrer Schwester Liberty nach Mün-chen, um an der dortigen Kunstakademie zu studieren. Im Jahr darauf unter-nahmen beide eine Reise durch Deutschland und Österreich, wo Pannonicazum ersten Mal mit dem Antisemitismus in Berührung kam.

Nach ihrer Rückkehr nach London nahm sie immer mehr am mondänenLeben teil; sie wurde mit König Georg V. und seiner Gemahlin Mary bekannt.1935 begann sie sich für die Fliegerei zu begeistern und lernte es, ein Flugzeugzu steuern. Auf dem Feldflughafen von Le Touquet in Nordfrankreich begeg-

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7CHARLES MINGUS UND PANNONICA

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8 PANNONICA UND THELONIOUS MONK 1968 IN SAN FRANCISCO

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nete sie Jules de Koenigswarter, ihrem späteren Gatten. Die beiden hatten zu-sammen fünf Kinder.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs folgte Jules dem Aufruf von General deGaulle und schloss sich in London den Streitkräften des Freien Frankreich(FFL) an. Er wurde nach Äquatorialafrika abkommandiert, und Pannonicazögerte nicht, zu ihm zu stoßen, um dort als Chiffriererin für den Nachrich-tendienst der Gaullisten tätig zu werden. Sie trat ebenfalls den FFL als aktiveKämpferin bei und arbeitete während dieser Zeit nicht nur als Kommenta-torin für den Propagandasender Radio Brazzaville, sondern fuhr auch Mili-tärfahrzeuge; ihre Einsätze führten sie an die ghanesische Goldküste, in denKongo, nach Nigeria, Ägypten, Libyen, Tunesien, Italien und Frankreich. Indieser Periode erwachte vermutlich ihre Liebe zur afrikanischen Kultur.

Nach dem Krieg trat Jules in den diplomatischen Dienst ein; er hatte ver-schiedene Posten in Norwegen inne und wurde dann nach Mexiko versetzt.Pannonica fiel es jedoch schwer, sich an die Zwänge zu gewöhnen, denen manals Botschaftergattin ausgesetzt war, und obwohl beide sich nach wie vor lieb-ten, führte jeder von ihnen ab 1952 sein eigenes Leben.

Pannonica hielt sich von da an einen Teil der Zeit in Mexiko auf, wo ihrMann Dienst tat, während sie ansonsten in New York lebte, wo sie mit Ted-dy Wilson, dem Klavierlehrer ihres Bruders Victor, zusammentraf. Bei ihmhörte sie zum ersten Mal jene Melodie, die untrennbar mit ihrem Komponis-ten Thelonious Monk verbunden war: ’Round Midnight.

1954 erfuhr sie, dass Monk in Paris in der Salle Pleyel ein Konzert gebenwürde. Sie ließ sich das nicht entgehen und wurde bei dieser Gelegenheit vonMary Lou Williams, einer Jazzpianistin und -komponistin, mit ihm bekanntgemacht. Pannonica war einundvierzig Jahre alt. Im Jahr darauf bezogen sieund ihre älteste Tochter Janka eine Suite im New Yorker Stanhope-Hotel.

Nica – das war der Kosename, mit dem ihre Familienmitglieder und vieleMusiker sie anredeten – freundete sich mit einer großen Zahl von Jazzern an,mit Lionel Hampton, Art Blakey, Walter Davis, Bud Powell, Coleman Haw-kins, Sonny Clark, Charlie Parker, Tommy Flanagan … Jede Nacht setzte siesich an das Steuer ihres Bentley, um in Gesellschaft einiger von ihnen dieClubs abzuklappern: das Five Spot, das Village Vanguard, das Birdland, dasMinton’s Playhouse und Small’s Paradise in Harlem. Sie tauchte immer mehrin diese Welt ein, wurde Mitglied der Musikergewerkschaft und versuchte,

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Jobs für ihre Freunde an Land zu ziehen. Eine Zeit lang fungierte sie sogar alsAgentin für Art Blakey und dessen Jazz Messengers. Blakey erinnerte sich:»Mir kam nie die Idee, eine Band zu leiten, bis ich sie traf. Ich habe viel ge-lernt, einfach, indem ich mich hinsetzte und mit ihr sprach. Sie hat mir beige-bracht, wie man diplomatisch geschickt mit Leuten umgeht und wie man sichbenimmt …«

Eines Abends erlitt Coleman Hawkins, der Epileptiker war und allein leb-te, auf der Bühne einen Anfall. Er weigerte sich, sich in ein Krankenhaus ein-liefern zu lassen. Sie sah regelmäßig in seiner Wohnung nach ihm, leistete ihmGesellschaft und füllte den Kühlschrank auf.

Eines Nachts verschwand Bud Powell, den sie bei sich aufgenommen hat-te, weil er an Depressionen litt, spurlos. Sie machte sich auf die Suche nachihm, durchkämmte ganz New York, befragte alle möglichen Leute, bis er ei-nige Tage später gefunden wurde.

Nach dem Ende der Jamsessions in den Clubs lud Nica die Musiker zu sichins Stanhope ein, um die Nacht mit Musik ausklingen zu lassen. Die Direk-tion des Hotels war über diese lauten Feiern verzweifelt und bemühte sich, Nica loszuwerden. Man verdoppelte, ja verdreifachte schließlich die Miete fürihre Suite. Vergeblich: Die Baronin zeigte sich beharrlich, sie zahlte und zognicht aus.

Im März 1955 flüchtete sich der fünfunddreißigjährige Charlie Parker, ali-as Bird, zu ihr: seine Gesundheit war von Drogen und vom Alkohol zerrüttet.Selbst im Birdland, dem nach ihm benannten Club, wollte man ihm kein En-gagement mehr geben, weil er zu unberechenbar geworden war. Sein physi-scher Zustand war katastrophal, doch er weigerte sich, sich in einem Kran-kenhaus behandeln zu lassen, und starb wenige Tage später.

Es war eine Zeit, in der Nicas Name häufig in einem der Skandalblätterauftauchte; im Zusammenhang mit dem Tod Charlie Parkers etwa oder we-gen irgendwelcher Auseinandersetzungen mit der Polizei, zu denen es zumBeispiel kam, als sie Thelonious Monk und den Saxofonisten Sonny Stitt aufeiner Tournee durch den Bundesstaat Delaware begleitete. Als sie mit dem Au-to in Richtung Baltimore unterwegs waren, bekam Monk Durst, und als siean einem Restaurant vorbeikamen, bat er Nica anzuhalten. Durch Monks im-posante Statur und vor allem durch seine in sich gekehrte und schweigsameArt in Angst versetzt, rief der Besitzer die Polizei. Die Polizisten kamen und

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KENNY CLARKE, PANNONICA UND ART TAYLOR. UNTEN: MIT BUD POWELL IM CATHOUSE

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BARRY HARRIS, PANNONICA UND JUNIOR COOK. UNTEN: MIT HYLER JONES

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warfen sich auf den Pianisten – das alles vor den Augen der entsetzten Nica,die sie anflehte, ihm keine Schläge auf die Hände zu versetzen. Bei der Durch-suchung ihres Bentley stieß man auf eine kleine Menge Marihuana. Alle wur-den aufs Revier geschleift und verhört. Da Nica alle Schuld auf sich nahm,wurde sie wegen Drogenbesitzes zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Sie legteBerufung ein und wurde nach mehrjährigem, von ihren Anwälten geführtenVerfahren freigesprochen. Monk konnte man nichts vorwerfen, doch seineCabaret Card, ohne die er in New York nicht in Clubs auftreten durfte, wur-de ihm für die Dauer von zwei Jahren entzogen.*

Zu jener Zeit sah man es überhaupt nicht gern, wenn Schwarz und WeißUmgang miteinander hatten. Nica erzählte, wenn sie Monk zu Auftritten imSüden der USA begleitet habe und sie Arm in Arm über die Straße gegangenseien, hätten die Leute die Straßenseite gewechselt oder auf den Boden ge-spuckt, wenn sie an ihnen vorübergekommen seien.

Ein mit ihr befreundeter Musiker sagte über sie: »Sie geriet oft in Schwie-rigkeiten, einfach deswegen, weil sie sich als Weiße in der Gesellschaft vonSchwarzen blicken ließ.«

Nica wechselte mehrfach das Hotel; vom Stanhope zog sie ins Algonquinund dann ins Bolivar. Sie kaufte einen Stutzflügel der Marke Steinway, den sieMonk zur Verfügung stellte; er hatte mit Frau und Kindern bei ihr Unter-schlupf gefunden, nachdem die Wohnung der Familie ausgebrannt war. ImBolivar Hotel komponierte Monk auf seinem neuen Instrument Ba-Lue Boli-var Ba-Lues-Are, Brillant Corners und das berühmte Pannonica.

An die zwanzig von anderen Musikern komponierte Titel sind der Baro-ness gewidmet; darunter: Nica, My Dream of Nica von Sonny Clark, Tonicavon Kenny Dorham, Blues for Nica von Kenny Drew, Thelonica von TommyFlanagan, Nica’s Dream von Horace Silver, Nica’s Tempo von Gigi Gryce,Pannonica von Duke Jordan, Nica Steps Out von Freddie Redd, A Waltz forthe Baroness von Ray Draper, Here Nica von Matthew Gee, Pannonica’sNocturne von Samir Safwat, Inca von James Spaulding, Nica und Tune forNica von Eddie Thompson, Inca und Nicaragua von Barry Harris, My Nica,the Girl I Love, Nica and I, Nica, Love and Bliss, Nica is the Girl for Me,

* Vgl. eine andere Version dieser Geschichte bei Peter Niklas Wilson: Thelonious Monk. In: Jazz-klassiker. Stuttgart: Reclam, 2005. Bd. 1. S. 246. (Anmerkung des Übersetzers.)

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14 THELONIOUS MONK

Nica Drums of Love von Bliss Bowman sowie Weehawken Mad Pad von The-lonious Monk, das in Roger Vadims Verfilmung von Les liaisons dangereusesvon Art Blakey und den Jazz Messengers gespielt wird.

Einige Musiker baten sie auch, abstrakte Gemälde für die Cover ihrerSchallplattenalben anzufertigen.

Da sie es müde war, in Hotels als unerwünschter Gast behandelt zu wer-den, kaufte Nica auf den Rat von Monk hin ein Haus in dem in New Jerseygelegenen Weehawken, das sich der Filmregisseur und Schauspieler Josephvon Sternberg zehn Jahre zuvor hatte bauen lassen. Ihr neues Refugium wur-de von Monk erst »Catsville« getauft – im Jargon der farbigen Jazzer sind catsandere Musiker – und dann in Cathouse umbenannt, weil Nica als militanteTierschützerin sich dort im Laufe der Zeit mit Hunderten von streunendenKatzen umgab.

Durch die riesigen Fenster hatte man einen großartigen Ausblick auf denHudson und Midtown Manhattan am anderen Ufer. Nica und ihre Schützlin-ge hatten endlich eine Bleibe gefunden, einen Ort, wo sie sich ausruhen, krea-tiv tätig sein, Pingpong spielen, schlafen, ungestört üben oder Jamsessions ab-halten konnten.

1957 gelang es Monk mit Nicas Hilfe, seine Cabaret Card zurückzube-kommen, ohne die er in keinem Club mehr hatte spielen können. Damit bracheine der fruchtbarsten Perioden seines Lebens an: sofort nachdem er wiederöffentlich auftreten durfte, stellte er ein Quartett auf die Beine, mit dem ersechs Monate in Folge im New Yorker Five Spot gastierte. Diese mittlerweilemythische Formation setzte sich zusammen aus John Coltrane am Tenorsaxo-fon, Ahmed Abdul-Malik am Bass und Roy Haynes am Schlagzeug.

Nica, ihre Tochter Janka und Monks Ehefrau Nellie begleiteten den Pia-nisten danach regelmäßig auf Tourneen, die er mit seinen verschiedenenGruppen in den Vereinigten Staaten und in anderen Ländern unternahm.Nellie sagte einmal über Nica: »Sie ist uns eine aufrichtige Freundin gewesen,und davon haben wir nur wenige gehabt. Sie war genau die Person, die wirbrauchten.«

Die Mehrheit der Musiker führte ein Leben voller Probleme zum einen auf-grund der Rassendiskriminierung, aber auch weil man sie ökonomisch aus-beutete; sie wurden unablässig von Geldsorgen geplagt und wussten deswe-gen oft auch nicht, wo sie unterkommen konnten. Die Baronin begegnete ei-

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THELONIOUS MONK IN NEW YORK, 63. STRASSE WEST

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nem anderen Pianisten: Barry Harris. Sie schlug ihm, der dabei war, sich voneiner Lungenentzündung zu erholen, vor, ins Cathouse einzuziehen: Er lebtdort heute noch.

In New York verlangte damals das Gesetz, dass Musiker, die in Nachtclubsspielten, sich ihre Fingerabdrücke abnehmen lassen mussten und diese dannbei den Behörden registriert wurden. Nica intervenierte beim BürgermeisterJohn Lindsay, damit man mit dieser diskriminierenden Praxis Schluss mach-te. Und ebenso sammelte sie die Unterschriften von zweihundertdreißig Mu-sikern für eine Petition zur Abschaffung der Cabaret Card: Dieser Ausweissollte aber erst 1967 überflüssig werden.

Gegen Ende der sechziger Jahre hatte Nica bereits mit ihrer Polaroid eineganze Reihe Aufnahmen von Musikern gemacht, die einen beträchtlichen do-kumentarischen Wert besaßen. Die Situationen, in denen sie die Porträtierteneinfing, machen die Originalität und Einmaligkeit dieser Fotos aus. Viele vonihnen wurden in der intimen Atmosphäre des Cathouse aufgenommen, ver-gleichsweise wenige in der Öffentlichkeit. Sie dachte damals bereits daran, einBuch mit diesen Fotos zu veröffentlichen, in dem auch die sehnlichsten Wün-sche von dreihundert Jazzern enthalten sein sollten, zu denen sie diese Musi-ker beinahe beiläufig, wie im Scherz, zwischen 1961 und 1966 befragt hatte.

»Welche drei Wünsche hättest du?« Die Frage schien ganz harmlos, dochNica wurde sich bald bewusst, bis zu welchem Grad in den Antworten dieSorgen der Angehörigen der schwarzen Musikergemeinde zum Ausdruck ka-men. Zumeist galten diese Sorgen der Musik, sie betrafen aber auch das Geld,die Arbeitsbedingungen, die Liebe, die Gesundheit der eigenen Familie. Waserstaunt: Auf Religion und Rassismus kamen nur wenige zu sprechen! Hattendie Musiker Letzteren ausgeklammert, um sich auf diese Weise innerlich vonihm zu befreien? Man kann sich vorstellen, dass sie unbewusst das Gefühlhatten, für dieses Problem gebe es sowieso keine Lösung – oder aber, dassGeld und materieller Erfolg ihnen das Mittel zu sein schienen, um der Rassen-trennung zu entgehen.

Wie eine gute Fee hörte sich Nica ihre Wünsche an und sammelte sie. Hoff-te sie am Ende, den Musikern, indem sie sie befragte, helfen zu können?Monk ist der erste, dem sie ihre Frage stellte. Seine Antworten entlocken ihrein verblüfftes: »Aber das alles hast du ja schon!«

Damals ist das Buch, das sie verschiedenen Verlegern vorschlug, nicht zu-

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stande gekommen, weil diese glaubten, dass es zu wenige am Jazz interessier-te Leser gebe.

Monk legte nach und nach ein immer bizarreres Verhalten an den Tag. Der – in einigen Fällen auch gewaltsame – Tod vieler seiner Freunde bedrück-te ihn zutiefst. Einem Journalisten hatte er schon Jahre zuvor auf die Frage,wo er gerne leben würde, geantwortet: »Abgesehen von New York scheintmir der Mond der einzige verlockende Wohnort zu sein!« Er zog sich immermehr in sich zurück, kapselte sich immer mehr von allem ab. 1973 übersie-delte er zu Nica ins Cathouse. Dort blieb er neun Jahre lang, bis zu seinemTod. In dieser Zeit verließ er das Haus eigentlich nur noch zu drei Konzerten,die er zwischen 1973 und 1976 gab.

Als er starb, nahm Tommy Flanagan das Album Thelonica auf, das Thelo-nious und Nica gewidmet ist.

In den darauf folgenden Jahren kämpfte Nica dafür, dass der Platz am Ende der 63. Straße West, wo Monk fünfundvierzig Jahre lang gelebt hatte,in Thelonious Sphere Monk Circle umbenannt werde. Ihr Wunsch ging 1983in Erfüllung.

Ebenfalls in den Achtzigern half sie Barry Harris, eine Jazz-Schule zu grün-den, die im Junction Jazz Cultural Theatre untergebracht war, einem ehemali-gen Restaurant an der 8. Avenue, wo Musiker auch Konzerte geben konnten.

Im Dezember 1986 veröffentlichte sie einen Artikel im Daily Challenge,der einzigen »schwarzen« Tageszeitung von New York. In »A Remembranceof Monk« heißt es: »Als Mensch war er wie seine Musik. Er konnte dein gan-zes Leben verändern. Du konntest deinen biederen kleinen Lebensweg verfol-gen, und plötzlich schien dieser Weg sich dir wunderbarerweise nach allen Sei-ten hin zu öffnen. … Abgesehen von seinen alles auf den Kopf stellenden ei-genen Kompositionen konnte Monk jeden beliebigen Standard spielen unddich die Musik, ihr Inneres und ihr Äußeres, empfinden lassen wie kein ande-rer. Er versetzte dich ins Herz der Unendlichkeit der Musik hinein …«

1988 trat sie anlässlich der Premiere des Films Bird von Clint Eastwoodzum letzten Mal in der Öffentlichkeit auf.

Francis Paudras, ein anderer großer Förderer und Wohltäter der Jazzer undselbst auch Musiker, sagte über sie: »Nicas Gabe, Geschichten über Musikerzu erzählen, ist einzigartig, und sie kennt Hunderte davon. Wenn eine von ih-nen sich als weniger aufregend erweist, dann reicht das Timbre ihrer Stimme,

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19THELONIOUS MONK UND PANNONICA (AM LENKRAD IHRES LEGENDÄREN BENTLEY)

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21MILES DAVIS IM CATHOUSE

um die Zuhörer in ihren Bann zu ziehen. Das Erscheinen Nicas war im Allge-meinen gleichbedeutend mit Freude, denn für uns war ihr nie etwas zu gut.Wenn sie jemandem irgendeine Aufmerksamkeit erwies, dann tat sie das so,als ob es die natürlichste Sache der Welt sei, mit unendlichem Takt. Ich warsicher, der grande dame des Jazz begegnet zu sein … Sie war die Helferin, dieVertraute, die innige Freundin von allen gewesen, und ihr angeborener Sinnfür Schönheit war immer ihr zuverlässigster Ratgeber gewesen. Bird, Blakey,Bud und Thelonious, die ihre engsten Freunde waren, haben es alle bestätigt.«

Mein letztes Gespräch mit Nica zeigt sehr gut, wie sie Schwierigkeiten an-ging: Wir hatten uns später am Abend in einem Club treffen wollen, doch sierief mich an, um die Verabredung abzusagen, weil ihr elektrischer Büchsen-öffner nicht funktionierte. Sie würde daher den ganzen Abend damit beschäf-tigt sein, von Hand die Dosen mit dem Futter für ihre hundertzweiundzwan-zig Katzen zu öffnen!

Im November 1988 wurde sie in ein Krankenhaus eingeliefert; sie sollte ei-nen dreifachen Bypass erhalten, starb aber während der Operation, einige Ta-ge vor ihrem 75. Geburtstag. Am Morgen ihres Todestages hatte sie noch ih-ren Kindern anvertraut, dass sie das Gefühl habe, Monk und ihre kurz zuvorverstorbene Schwester Liberty seien um sie.

Mit ihrem Dahinscheiden verloren die Jazzmusiker eine Freundin, eine Be-schützerin, die mit ihrer Menschlichkeit, ihrer weiblichen Intelligenz und ih-rer geistigen Unabhängigkeit etwas Licht in ihr so schwieriges Leben brachte.

Einer Person, die die Schönheit der Musik wie auch die der Menschen, diesie schufen, zu schätzen gewusst hatte, musste man Hommage erweisen – auchindem man die von ihr gesammelten Interviews veröffentlichte. Ein Gedächt-nisgottesdienst für sie fand in der lutherischen Kirche St. Peter in New Yorkstatt – der Kirche des Jazz. Eine große Schar von Freunden und Musikern, dar-unter der Sohn Monks, erwies ihr die letzte Ehre. Eine von Barry Harris gelei-tete Band, die von Stepptänzern begleitet wurde, spielte ihre Lieblingssongs.

Ihr letzter Wunsch war, dass ihre Asche in den Hudson gestreut wurde, umMitternacht herum: ’Round Midnight.

Ich bedauere es, dass ich nicht dabei sein konnte, um meine Großmutterein letztes Mal zu begleiten, als man ihr diesen Wunsch erfüllte.

Nadine de Koenigswarter

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ELVIN JONES. UNTEN: KENNY CLARKE UND ART TAYLOR

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BLUE MITCHELL

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PANNONICA, SUN RA

UND BERIT DE KOENIGSWARTER

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THELONIOUS MONK

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Die Jazzmusiker

und ihre drei Wünsche

FOTOGRAFIERT UND NOTIERT VON

PANNONICA DE KOENIGSWARTER

Aus dem amerikanischen Englischübersetzt von Michael Müller

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28 THELONIOUS MONK IN NEW YORK, 63. STRASSE WEST

Thelonious Monk war der Erste, dem ichdie Frage stellte ...

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"WENN DU DREI WÜNSCHE FREI HÄTTEST, DIE DIR SOFORT ERFÜLLT WÜRDEN, WIE WÜRDEN DIESE DANN LAUTEN?"

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Er war im Zimmer auf und ab gegangen undhielt jetzt einen Moment inne, um überden Fluss hinweg einen Blick auf dieSkyline von New York zu werfen. ... Dannantwortete er mir, ... und ich sagte:"Aber Thelonious, ... das HAST du dochalles schon!" Er lächelte nur ... undfing wieder an, auf und ab zu gehen.

1. THELONIOUS MONK——————————————————1. Mit meiner Musik erfolgreich zu sein.2. Eine glückliche Familie zu haben.3. Eine verrückte Freundin wie dich zuhaben!

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