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Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 1 von 27 Die Katastrophe von Tschernobyl Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Katastrophe_von_Tschernobyl; Fassung wie am 1.10.2010 vorgefunden) Die Katastrophe von Tschernobyl (auch: Super-GAU von Tschernobyl) ereignete sich am 26. April 1986 im Kernkraftwerk Tschernobyl nahe der Stadt Prypjat, Ukraine (damals Ukrainische Sowjetrepublik), als Folge einer Kernschmelze und Explosion im Kernreaktor Tschernobyl Block 4. Sie gilt als die schwerste nukleare Havarie und als eine der schlimmsten Umweltkatastrophen aller Zeiten. Auf der INES-Skala wurde sie als bisher einziges Ereignis mit dem Höchstwert 7 (katastrophaler Unfall) eingestuft. Grundlegende Mängel in der Konstruktion des Reaktors sowie Planungs- und Bedienungsfehler bei einem Versuch schaukelten sich auf und bewirkten einen Super-GAU. Große Mengen an radioaktivem Material wurden in die Luft geschleudert und verteilten sich hauptsächlich über die Region nordöstlich von Tschernobyl, aber auch über viele Regionen Europas. Der Unfall führte bei einer nicht genau bekannten Zahl von Menschen zum Tod. Bei vielen Erkrankungen wird die Strahlung als mögliche Ursache angesehen. Dazu kommen psychische, soziale, ökologische und ökonomische Schäden. Über die zu erwartenden Langzeitfolgen besteht seit Jahren ein Streit auch unter Wissenschaftlern. Nach der Katastrophe hatten hunderttausende Helfer, so genannte Liquidatoren, einen Sarkophag einen provisorischen Betonmantel um den explodierten Reaktor errichtet. Dieser ist inzwischen an vielen Stellen gerissen und droht einzustürzen. Mit ausländischer Finanzhilfe soll deshalb in den kommenden Jahren eine neue Schutzhülle gebaut werden. Bekannt ist die Katastrophe unter dem russischen Namen der Nachbarstadt Tschernobyl, da Russisch zum Zeitpunkt der Katastrophe Hauptamtssprache war. Der heute amtliche ukrainische Name der Stadt lautet Tschornobyl. Vereinzelt werden auch die englischen Schreibweisen Chernobyl bzw. Chornobyl verwendet. Reaktor Nr. 4 in Tschernobyl im September 2006 Lage des Kraftwerks in der Nähe der Stadt Prypjat Satellitenbild der Region aus dem Jahr 1997

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Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 1 von 27

Die Katastrophe von Tschernobyl

Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Katastrophe_von_Tschernobyl;

Fassung wie am 1.10.2010 vorgefunden)

Die Katastrophe von Tschernobyl (auch: Super-GAU

von Tschernobyl) ereignete sich am 26. April 1986 im

Kernkraftwerk Tschernobyl nahe der Stadt Prypjat,

Ukraine (damals Ukrainische Sowjetrepublik), als Folge

einer Kernschmelze und Explosion im Kernreaktor

Tschernobyl Block 4. Sie gilt als die schwerste nukleare

Havarie und als eine der schlimmsten

Umweltkatastrophen aller Zeiten. Auf der INES-Skala

wurde sie als bisher einziges Ereignis mit dem

Höchstwert 7 (katastrophaler Unfall) eingestuft.

Grundlegende Mängel in der Konstruktion des Reaktors

sowie Planungs- und Bedienungsfehler bei einem

Versuch schaukelten sich auf und bewirkten einen

Super-GAU. Große Mengen an radioaktivem Material

wurden in die Luft geschleudert und verteilten sich

hauptsächlich über die Region nordöstlich von

Tschernobyl, aber auch über viele Regionen Europas.

Der Unfall führte bei einer nicht genau bekannten Zahl

von Menschen zum Tod. Bei vielen Erkrankungen wird

die Strahlung als mögliche Ursache angesehen. Dazu

kommen psychische, soziale, ökologische und

ökonomische Schäden. Über die zu erwartenden

Langzeitfolgen besteht seit Jahren ein Streit auch unter

Wissenschaftlern.

Nach der Katastrophe hatten hunderttausende Helfer, so

genannte Liquidatoren, einen Sarkophag – einen

provisorischen Betonmantel – um den explodierten

Reaktor errichtet. Dieser ist inzwischen an vielen Stellen

gerissen und droht einzustürzen. Mit ausländischer

Finanzhilfe soll deshalb in den kommenden Jahren eine

neue Schutzhülle gebaut werden.

Bekannt ist die Katastrophe unter dem russischen

Namen der Nachbarstadt Tschernobyl, da Russisch zum

Zeitpunkt der Katastrophe Hauptamtssprache war. Der

heute amtliche ukrainische Name der Stadt lautet

Tschornobyl. Vereinzelt werden auch die englischen

Schreibweisen Chernobyl bzw. Chornobyl verwendet.

Reaktor Nr. 4 in Tschernobyl im September

2006

Lage des Kraftwerks in der Nähe der Stadt

Prypjat

Satellitenbild der Region aus dem Jahr 1997

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Inhaltsverzeichnis

1 Die Katastrophe

o 1.1 Ursachen

o 1.2 Geplanter Versuchsablauf

o 1.3 Chronologie der Ereignisse

2 Folgen der Reaktorkatastrophe

o 2.1 Vorbemerkung zu den verschiedenen Studien

o 2.2 Kontaminierte Gebiete

o 2.3 Strahlenexponierte Personengruppen

o 2.4 Gesundheitliche Folgen

2.4.1 Akute Strahlenkrankheit

2.4.2 Langzeitfolgen

2.4.3 Schilddrüsenkrebs und Leukämien

2.4.4 Andere Krebserkrankungen

2.4.5 Genetische und teratogene Schäden

2.4.6 Andere (körperliche) Gesundheitsfolgen

2.4.7 Mentale Gesundheit und psychosoziale Auswirkungen

o 2.5 Wirtschaft

o 2.6 Personelle Konsequenzen

3 Reaktionen auf das Unglück außerhalb der ehemaligen Sowjetunion

o 3.1 Bundesrepublik Deutschland

o 3.2 DDR

o 3.3 Diskussion nach zwanzig Jahren

4 Tschernobyl und die gesperrte Zone nach dem Unfall

5 Das Kernkraftwerk Tschernobyl heute

6 Gedenken

o 6.1 Veranstaltungen

o 6.2 Museum und Mahnmale

o 6.3 Ausstellungen, Konzerte und andere Aktivitäten

7 Literatur

8 Weblinks

o 8.1 Wissenschaftliches

o 8.2 Dokumentation

o 8.3 Fotodokumentation

o 8.4 Videodokumentation

o 8.5 Audiodokumentation

9 Einzelnachweise

Die Katastrophe

Ursachen

Die Katastrophe ereignete sich bei der Durchführung eines Versuchs unter Leitung des

stellvertretenden Chefingenieurs Anatoli Stepanowitsch Djatlow, der den Nachweis einer

ausreichenden Stromversorgung nach einer Reaktorabschaltung bei gleichzeitig unterstelltem

Totalausfall der Versorgung durch das äußere Stromnetz hätte erbringen sollen (Simulation

eines totalen Stromausfalls). Als Hauptursachen für die Katastrophe gelten schwerwiegende

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Verstöße gegen geltende Sicherheitsvorschriften während des Versuches durch die

Operatoren sowie die bauartbedingten Eigenschaften des mit Graphit moderierten

Kernreaktors vom Typ RBMK-1000 und dessen Betrieb in einem unzulässig niedrigen

Leistungsbereich.[1] Kennzeichnend für diesen Reaktortyp unter dieser Voraussetzung ist ein

stark positiver Void-Koeffizient – die Verringerung der Neutronenabsorption des

Kühlwassers infolge von Dampfblasenbildung (Dichteänderung) bei Leistungssteigerung. Ein

hoher Void-Koeffizient wurde gleichzeitig durch den fortgeschrittenen Abbrand des

Kernbrennstoffes begünstigt. Weiterhin war die betriebliche Reaktivitätsreserve (minimal

erforderliche Reaktivitätsbindung durch hinreichend in den Reaktor eingefahrene Steuerstäbe)

nicht in das automatische Reaktorsicherheitssystem eingebunden, sondern lediglich ein

Minimalwert in den Betriebsvorschriften vorgegeben. Dieser Minimalwert war bereits

Stunden vor Beginn des Versuchs unterschritten, der Reaktor hätte abgeschaltet werden

müssen. Außerdem hatte die Betriebsmannschaft Sicherheitssysteme abgeschaltet, um im

Bedarfsfall den Versuch wiederholen zu können. Die automatisch arbeitenden

Sicherheitssysteme hätten das ansonsten planmäßig verhindert; wie weit sie – im

eingeschalteten Zustand – bei den gegebenen ungeplanten Randbedingungen des Versuchs

auch dessen Erstdurchführung oder zumindest den Eintritt einer Katastrophe bei

Durchführung verhindert hätten, ist umstritten.

Die endgültige Auslösung der explosionsartigen Leistungsexkursion war wahrscheinlich auf

eine weitere konstruktive Besonderheit des Regelstabsystems zurückzuführen: Ein Großteil

der Steuerstäbe hat an ihrem unteren Ende Graphitspitzen, die beim Einfahren aus der oberen

Endlage zunächst eine positive Reaktivitätszufuhr (Leistungssteigerung) in Höhe eines halben

Betas bewirken, eine Leistungsminderung ergibt sich erst bei größerer Einfahrtiefe.

Als der Schichtleiter Aleksandr Akimow schließlich die Reaktorschnellabschaltung auslöste,

ist genau dieser Effekt eingetreten: Viele Stäbe fuhren gleichzeitig ein und führten dadurch

dem Reaktor mehr Reaktivität zu. Dieser wurde prompt überkritisch, das heißt die

Kettenreaktion der Kernspaltungen lief auch ohne verzögerte Neutronen von allein weiter und

war daher nicht mehr regelbar. Die Leistung stieg so innerhalb von Sekundenbruchteilen auf

ein Vielfaches (vermutlich etwa auf das Hundertfache) der Nennleistung an.

Eine weitere Schwäche des RBMK war ein fehlender Sicherheitsbehälter (Containment), auch

wenn unklar ist, ob dieser den Explosionen standgehalten hätte.

Umstritten ist auch der tatsächliche Anteil von Fehlentscheidungen des Kraftwerkpersonals

am Zustandekommen des Unglücks. Dass Betriebsvorschriften verletzt wurden, ist Tatsache –

in welchem Umfang sie dem Personal bekannt waren, ist fraglich. Unerfahrenheit und

unzureichende Kenntnisse, insbesondere im Zusammenhang mit der Leistungsanhebung des

(mit Xenon vergifteten) Reaktors werden angeführt. Da beim Versuch ein neuartiger

Spannungsregler getestet werden sollte, bildeten Elektrotechniker einen Großteil des

anwesenden Personals.

Getreu der Geheimhaltungspolitik wurden wie bei früheren Störfällen in den Kernkraftwerken

Ignalina und Leningrad weder sorgfältige Untersuchungen angestellt noch das Personal in den

übrigen Kraftwerken mit wichtigen Informationen versorgt.

Wesentlich zum Zustandekommen des Unfalls beigetragen hat die Verschiebung des

Versuchs um rund einen halben Tag. Die lange Haltezeit auf Teillast führte zu einer

Anreicherung des Reaktors mit neutronenabsorbierendem Xenon-135. Dadurch wurde das

neutronenphysikalische Verhalten des Reaktors wesentlich komplexer und unübersichtlicher.

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Weiterhin war zum Zeitpunkt des Versuchs ein anderes Schichtpersonal anwesend, als

ursprünglich geplant war.

Geplanter Versuchsablauf

Auch ein abgeschaltetes Kernkraftwerk ist auf die Versorgung mit elektrischer Energie

angewiesen, beispielsweise zur Aufrechterhaltung der Kühlung und für die Instrumentierung

und Überwachung. Im Normalfall wird der Bedarf aus dem öffentlichen

Energieversorgungsnetz gedeckt. Ist das nicht möglich, laufen Notstromaggregate an.

Im Rahmen einer zwecks Wartungsarbeiten anstehenden Abschaltung des Reaktors sollte nun

gezeigt werden, dass die Rotationsenergie der auslaufenden Turbinen bei gleichzeitig

unterstelltem Netzausfall ausreicht, die Zeit von etwa 40 bis 60 Sekunden bis zum vollen

Anlaufen der Notstromaggregate zu überbrücken. Nach Sicherheitsvorschriften hätte der

Versuch bereits vor der kommerziellen Inbetriebnahme im Dezember 1983 durchgeführt

werden sollen.

Ein (durch Xenon-135) unvergifteter Reaktor ohne Abbrand hätte sicherere Voraussetzungen

geboten. Warum das unterblieben ist, ist nicht bekannt. Ein im Block 3 des Kraftwerkes

bereits durchgeführter Versuch war 1985 fehlgeschlagen, weil die Spannung zu schnell

abfiel.[2] Nun sollte der Versuch im Block 4 mit einem verbesserten Spannungsregler

wiederholt werden.

Es war vorgesehen, den Versuch bei reduzierter Reaktorleistung (zwischen 700 bis

1.000 MWth) durch Schließung der Dampfzufuhr zu den Turbinen einzuleiten.

Chronologie der Ereignisse

Freitag, 25. April 1986, 01:06: Als erster Schritt sollte die thermische Leistung des Reaktors

von ihrem Nennwert bei 3200 Megawatt (MW) auf 1000 MW reduziert werden, wie bei einer

Regelabschaltung üblich. Der Reaktor sollte sowohl für eine Revision als auch für den Test

abgefahren werden.[3]

25. April 1986, 13:05: Aufgrund erhöhter Stromnachfrage wird auf Anweisung des

Lastverteilers in Kiew die Leistungsabsenkung bei einer erreichten Leistung von 1600 MW

unterbrochen und der Reaktor mit dieser Leistung konstant weiter betrieben. Bei diesen etwa

50 % Leistung wird der Turbogenerator 7 abgeschaltet.[3]

25. April 1986, 14:00: Es wird begonnen, das Notkühlsystem abzuschalten. Grund dafür war,

dass bei einem Notkühlsignal kein Wasser in den Reaktor gepumpt werden soll.[3]

25. April 1986, 23:10: Es erfolgt die Freigabe zur weiteren Leistungsabsenkung. Der Reaktor

soll nun langsam auf 25 % der Nennleistung abgefahren werden.[3]

Samstag, 26. April 1986, 00:00: Eine neue Schichtmannschaft übernimmt den Reaktor.

26. April 1986, 00:28: Bei 500 MW erfolgte eine Umschaltung innerhalb der

Reaktorleistungsregelung. Durch einen Bedienfehler, durch den der Sollwert für die

Gesamtleistungsregelung möglicherweise nicht richtig eingestellt wurde, oder auf Grund

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eines technischen Defekts sank die Leistung weiter bis auf nur noch etwa 30 MW, was ca.

1 % der Nennleistung beträgt.

Wie nach jeder Leistungsabsenkung erhöhte sich vorübergehend die Konzentration des

Isotops Xenon-135 im Reaktorkern („Xenonvergiftung“). Da Xenon-135 als Neutronengift

die für die nukleare Kettenreaktion benötigten Neutronen sehr stark absorbiert, nahm

aufgrund der Konzentrationszunahme die Reaktivität des Reaktors immer weiter ab. Als die

Betriebsmannschaft am 26. April 1986 um 00:32 Uhr die Leistung des Reaktors durch

weiteres Ausfahren von Steuerstäben wieder anheben wollte, gelang ihr das infolge der

mittlerweile aufgebauten Xe-Vergiftung nur bis zu etwa 200 MW oder 7 % der Nennleistung.

Obwohl der Betrieb auf diesem Leistungsniveau unzulässig war (laut Vorschrift durfte der

Reaktor nicht unterhalb von 20 % der Nennleistung betrieben werden, was 640 MW

entspricht) und sich zu diesem Zeitpunkt außerdem viel weniger Steuerstäbe im Kern

befanden, als für einen sicheren Betrieb vorgeschrieben waren, wurde der Reaktor nicht

abgeschaltet, sondern der Betrieb fortgesetzt.

26. April 1986, 01:03 bzw. 01:07: Bei Schließen der Turbineneinlassventile läuft

normalerweise das Kernnotkühlsystem an. Dieses war jetzt jedoch ausgeschaltet. Um dessen

Stromverbrauch für den Versuch zu simulieren, wurden nacheinander zwei zusätzliche

Hauptkühlmittelpumpen in Betrieb genommen. Der dadurch erhöhte Kühlmitteldurchsatz

verbesserte die Wärmeabfuhr aus dem Reaktorkern und reduzierte demgemäß den

Dampfblasengehalt in ihm. Der positive Dampfblasen-Koeffizient bewirkte eine

Reaktivitätsabnahme, auf welche die (automatische) Reaktorregelung mit dem Herausfahren

weiterer Steuerstäbe reagierte. Der Reaktorzustand verschob sich weiter in den unzulässigen

Bereich.

26. April 1986 01:19: Die Wasserzufuhr in den Reaktor wird erhöht, um so die Warnsignale

zu deaktivieren.[3]

26. April 1986 01:22: Es gelingt, den Reaktor zu stabilisieren und den Wasserpegel im

Reaktor auf zwei Drittel des vorgeschriebenen Wertes zu steigern.[3]

Einfahrweite der Steuerstäbe (Grün) und von unten

eingefahrene gekürzte Absorberstäbe (Gelb) während der

Explosion in Zentimetern

26. April 1986, 01:23:04: Der eigentliche Test begann durch Schließen der

Turbinenschnellschlussventile. Dadurch wurde die Wärmeabfuhr aus dem Reaktor

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unterbrochen, sodass die Temperatur des Kühlmittels nun anstieg. Infolge des positiven

Dampfblasen-Koeffizienten kam es jetzt zu einem Leistungsanstieg, auf den die automatische

Reaktorregelung folgerichtig mit dem Einfahren von Steuerstäben reagierte. Infolge der

relativ langsamen Einfahrgeschwindigkeit der Steuerstäbe konnte die Leistung allerdings

nicht stabilisiert werden, sodass der Neutronenfluss weiter anstieg. Dies bewirkte einen

verstärkten Abbau der im Kern angesammelten Neutronengifte (insbesondere Xenon-135).

Dadurch stiegen Reaktivität und Reaktorleistung weiter an, wodurch immer größere Mengen

an Dampfblasen entstanden, die ihrerseits wieder die Leistung erhöhten. Die Effekte

schaukelten sich auf.

26. April 1986, 01:23:40: Der Schichtleiter Aleksandr Akimow löst manuell den Knopf des

Havarieschutzes, Typ 5 (Notabschaltung des Reaktors), aus. Dazu wurden alle zuvor aus dem

Kern entfernten Steuerstäbe wieder in den Reaktor abgeworfen; doch hier zeigte sich ein

weiterer Konzeptionsfehler des Reaktortyps: Durch die an den Spitzen der Stäbe angebrachten

Graphitblöcke (Graphit war der Hauptmoderator des Reaktors) wurde beim Einfahren eines

vollständig herausgezogenen Stabs die Reaktivität zunächst kurzzeitig um den Wert eines

halben Betas erhöht, bis der Stab tiefer in den Kern eingedrungen war.[1]

Die durch das gleichzeitige Einfahren aller Stäbe massiv gesteigerte Neutronenausbeute ließ

die Reaktivität so weit ansteigen, bis schließlich (um 01:23:44) die prompten Neutronen

alleine (also ohne die verzögerten Neutronen) für die Kettenreaktion ausreichten („prompte

Kritikalität“) und die Leistung innerhalb von Sekundenbruchteilen das Hundertfache des

Nennwertes überschritt („nukleare Leistungsexkursion“).

Die Hitze verformte die Kanäle der Steuerstäbe, so dass diese nicht weit genug in den

Reaktorkern eindringen konnten, um ihre volle Wirkung zu erzielen. Die Steuerstäbe

verkeilten sich nach nur 2 bis 2,5 Metern anstelle der vorgesehenen 7 Metern im Reaktor. Die

herrschende Temperatur ließ die Druckröhren reißen und das Zirconium der Brennstäbe

(Ummantelung der Brennstäbe) wie auch den Graphit mit dem umgebenden Wasser

reagieren. Wasserstoff und Kohlenmonoxid entstand in größeren Mengen und konnte

aufgrund der Beschädigungen des Reaktorkernes entweichen. Unterhalb des

Reaktorgebäudedeckels bildeten diese mit dem Sauerstoff der Luft entzündbares Knallgas,

das sich vermutlich entzündete und zu einer zweiten Explosion (nur Sekunden nach der

„nuklearen Exkursion“) führte.

Welche Explosion zum Abheben des über 1000 Tonnen schweren Deckels des Reaktorkerns

(Biologischer Schild) führte, ist nicht ganz klar. Außerdem zerstörten die Explosionen das

(nur als Wetterschutz ausgebildete) Dach des Reaktorgebäudes, sodass der Reaktorkern nun

nicht mehr eingeschlossen war und direkte Verbindung zur Atmosphäre hatte. Der glühende

Graphit im Reaktorkern fing sofort Feuer. Insgesamt verbrannten während der folgenden zehn

Tage 250 Tonnen Graphit, das sind etwa 15 % des Gesamtinventars.

Große Mengen an radioaktiver Materie wurden durch die Explosionen und den

anschließenden Brand des Graphits in die Umwelt freigesetzt, wobei die hohen Temperaturen

des Graphitbrandes für eine Freisetzung in große Höhen sorgten. Insbesondere die leicht

flüchtigen Isotope Iod-131 und Cäsium-137 bildeten gefährliche Aerosole, die in einer

radioaktiven Wolke teilweise hunderte oder gar tausende Kilometer weit getragen wurden,

bevor sie der Regen aus der Atmosphäre wusch. Radioaktive Stoffe mit höherem Siedepunkt

wurden hingegen vor allem in Form von Staubpartikeln freigesetzt, die sich in der Nähe des

Reaktors niederschlugen.

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 7 von 27

26. April 1986, 04:30: Akimow meldet einem Mitglied der Kraftwerksleitung, Formin, dass

der Reaktor intakt geblieben sei. Obwohl augenscheinlich überall kontaminierte Bruchstücke

des Brennstoffes sowie Graphitelemente verstreut lagen und die Situation bei Tageslicht

offensichtlich war, wird seitens der Operatoren sowie der Kraftwerksleitung (Formin und

Brjuchanow) noch bis zum Abend des 26. April darauf beharrt, dass der Reaktor intakt sei

und nur gekühlt werden müsse. Entsprechende Meldungen wurden nach Moskau übermittelt.

Dieser Umstand ist nach Medwedew hauptursächlich für die späte Evakuierung der Stadt

Prypjat.[1]

26. April 1986, gegen 05:00: Die Brände außerhalb des Reaktors waren durch die

Werkfeuerwehr gelöscht. Block 3 wurde abgeschaltet.

Abwurf von Materialien aus einem Hubschrauber, um die

Freisetzung von Spaltprodukten zu verringern

26. April 1986, gegen 15:12: Der Werksfotograf Anatoli Rasskasov macht die ersten

Aufnahmen von der radioaktiven Rauchfahne und dem zerstörten Reaktorblock 4 von einem

Hubschrauber aus. Ein Großteil seiner Aufnahmen waren infolge der hohen radioaktiven

Strahlung geschwärzt. Einige Abzüge behielt er für sich und die anderen Fotos mitsamt der

Negative wurden dem Notfallstab und den Sicherheitsbehörden übergeben. Einige

Aufnahmen werden erst am 30. April 1986 retuschiert im sowjetischen Fernsehen gezeigt, um

das Ausmaß des Unglücks weniger dramatisch darstellen zu können.

27. April 1986: Die Blöcke 1 und 2 wurden um 01:13 bzw. 02:13 abgeschaltet. Es wurde

begonnen, den Reaktor von Block 4 mit Blei, Bor, Dolomit, Sand und Lehm zuzuschütten.

Dies verringerte die Spaltproduktfreisetzung und deckte den brennenden Graphit im Kern ab.

Insgesamt wurden ca. 40 t Borcarbid abgeworfen, um die Kettenreaktion zu unterbinden, ca.

800 t Dolomit, um den Graphitbrand zu unterdrücken und die Wärmeentwicklung zu

verringern, ca. 2400 t Blei, um die Gammastrahlung zu verringern, wie auch eine

geschlossene Schicht über den schmelzenden Kern zu bilden und ca. 1800 t Sand und Lehm,

um die radioaktiven Stoffe zu filtern.[3] Rund 1800 Hubschrauberflüge waren hierfür nötig.

Das zur Kühlung in den Block 4 eingeleitete Wasser sammelt sich aufgrund der geborstenen

Leitungen in den Räumen unter dem Reaktor, wo es stark kontaminiert wurde und mit etwa

1000 Röntgen pro Stunde strahlte.[1] Zur gleichen Zeit begann die Evakuierung der in der

Nähe liegenden Stadt Pripjat mit 48.000 Einwohnern.

28. April 1986, 9:00 Uhr: Im Kernkraftwerk Forsmark in Schweden wurde aufgrund

erhöhter Radioaktivität auf dem Gelände automatisch Alarm ausgelöst.[4] Messungen an der

Arbeitsbekleidung der Angestellten ergaben erhöhte radioaktive Werte.[5] Nachdem die

eigenen Anlagen als Verursacher ausgeschlossen werden konnten, richtete sich der Verdacht

aufgrund der aktuellen Windrichtung gegen eine kerntechnische Anlage auf dem Gebiet der

Sowjetunion.

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 8 von 27

28. April 1986, 21:00 Uhr: Nachdem die sowjetischen Behörden zunächst eine

Nachrichtensperre erlassen hatten, meldete die amtliche Nachrichtenagentur TASS erstmals

einen „Unfall“ im Kernkraftwerk Tschernobyl. Um 21:30 Uhr wird auch in der

Nachrichtensendung Wremja eine Meldung verlesen, dass der Reaktor in Tschernobyl

beschädigt sei und man „Maßnahmen zur Beseitigung der Folgen der Havarie“ ergriffen habe.

Um 19:32 Uhr MEZ schickt auch die Presseagentur dpa eine erste Eilmeldung an die

Nachrichtenredaktionen in der Bundesrepublik Deutschland ab.

29. April 1986: Sowjetische Quellen sprachen erstmals von einer „Katastrophe“ und von

zwei Todesopfern.[6] Auch internationale Medien berichten erstmals ausführlicher über den

Unfall, verfügten aber über kein Bild- oder Filmmaterial vom Unglücksort. US-

Militärsatelliten liefern ab dem Nachmittag erste Aufnahmen und Informationen, die

allerdings der Öffentlichkeit vorenthalten werden.

Im sowjetischen Fernsehen wird erstmals ein Foto vom Unglücksort gezeigt, das aber

retuschiert wurde. Auch die ARD-Nachrichtensendung Tagesschau zeigte erstmals am 30.

April 1986 das von den sowjetischen Behörden bearbeitete Foto. Der Generalsekretär des

Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion erklärte:

„Wenn wir die Öffentlichkeit informieren, sollten wir sagen, dass das Kernkraftwerk gerade

renoviert wurde, damit kein schlechtes Licht auf unsere Ausrüstung geworfen wird.“

– Michail Gorbatschow, auf der nichtöffentlichen Sitzung des ZK der KPdSU am 29. April

1986

Erst am 5. Mai 1986 nimmt Gorbatschow im sowjetischen Fernsehen Stellung zum

Reaktorunglück in Tschernobyl.

1. Mai 1986: Der erst im Februar 1986 in die Erdumlaufbahn entsandte französische

Erderkundungssatellit SPOT 1 lieferte den internationalen Fernsehmedien Aufnahmen von

Infrarotbildern der nuklearen Rauchfahne über dem Reaktor. Am 3. Mai lieferten auch

LANDSAT-Satelliten erstmals Aufnahmen, die allerdings sehr ungenau waren und keine

Aufschlüsse über das Ausmaß der Katastrophe zeigen konnten.

4. und 5. Mai 1986: Es wurde unterhalb der Anlage begonnen, gasförmigen Stickstoff

einzublasen, um so das Feuer zu ersticken. Zunächst bewirkte ein Nebeneffekt, dass die

Wärme im Kern anstieg und so auch mehr radioaktive Partikel hinausgeblasen wurden.[3]

6. Mai 1986: Die Freisetzung der Spaltprodukte war weitgehend unterbunden. Man begann,

ein Stickstoffkühlsystem unter dem Reaktor einzubauen.[7][3]

Folgen der Reaktorkatastrophe

Vorbemerkung zu den verschiedenen Studien

Die Folgen der Reaktorkatastrophe werden nach wie vor sehr kontrovers erörtert. Ein im

September 2005 veröffentlichter Report des Tschernobyl-Forums beschreibt die

gesundheitlichen, ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen aus der Sicht der

Mitglieder dieses Forums.

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 9 von 27

Das Tschernobyl-Forum besteht aus vier Nebenorganen der UNO (dem Umweltprogramm der

Vereinten Nationen (UNEP), dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP),

dem Büro der Vereinten Nationen zur Koordinierung der humanitären Hilfe (OCHA) und

dem Wissenschaftlichen Komitee der Vereinten Nationen über die Wirkungen atomarer

Strahlungen (UNSCEAR)), vier autonomen Organisationen, die mit der UNO durch Verträge

verbunden sind (der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), der Weltbank, der

Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation

der Vereinten Nationen (FAO)), sowie aus den Regierungen von Weißrussland, Russland und

der Ukraine.[8]

Die Ausarbeitung des Tschernobyl-Forums wird von einigen Wissenschaftlern und

Nichtregierungsorganisationen kritisiert. Dem Report wird einerseits vorgeworfen, parteiisch

zu sein und die Folgen des Reaktorunglücks vorsätzlich zu verharmlosen. Andererseits wird

auf methodische Mängel hingewiesen. So umfasse die Studie lediglich die Folgen in

Weißrussland, Russland und der Ukraine, obwohl ein erheblicher Teil der

Strahlenbelastungen in Mittel- und Westeuropa anfiel. Außerdem habe die Studie des

Tschernobyl-Forums Publikationen, die höhere Opferzahlen nahe legen, unberücksichtigt

gelassen. Schließlich wird kritisiert, dass die Untersuchungen erst fünf Jahre nach dem

Unglück begonnen wurden.

Mit The other report on Chernobyl (TORCH) wurde ein 'Gegenreport' zur Ausarbeitung des

Tschernobyl-Forums veröffentlicht. Dieser Report wurde von den britischen Wissenschaftlern

Ian Fairlie und David Sumner erarbeitet. Er sagt weitaus schwerwiegendere

gesundheitsschädigende Folgen des Reaktorunglücks voraus. In Auftrag gegeben und privat

finanziert wurde die Studie von der Grünen Europaabgeordneten und Atomkraftgegnerin

Rebecca Harms.

Die nachfolgenden Angaben stammen im Wesentlichen aus obigen beiden Studien (siehe

Weblinks).

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 10 von 27

Kontaminierte Gebiete

Die Karte zeigt die Caesium-137-Kontamination in Weißrussland, Russland und

der Ukraine in Curie pro Quadratkilometer.

Die größten Freisetzungen radioaktiver Stoffe fanden während des Zeitraums von zehn Tagen

nach der Explosion statt. Aufgrund der großen Hitze des bauartbedingten Graphitbrandes

gelangten gasförmige oder leichtflüchtige Stoffe (z. B. Jod oder Cäsium) in Höhen von 1.500

- 10.000 Meter. [9]Die Wolken mit dem radioaktiven Fallout verteilten sich zunächst über

weite Teile Europas und schließlich über die gesamte nördliche Halbkugel. Wechselnde

Luftströmungen trieben sie zunächst nach Skandinavien, dann über Polen, Tschechien,

Österreich, Süddeutschland und Norditalien. Eine dritte Wolke erreichte den Balkan,

Griechenland und die Türkei. Innerhalb dieser Länder wurde der Boden je nach regionalen

Regenfällen unterschiedlich hoch belastet. Insgesamt wurden etwa 218.000 Quadratkilometer

mit mehr als 37.000 Becquerel (37 kBq) Cs-137 pro m² radioaktiv belastet. Mehr als

70 Prozent dieser Gebiete liegen in Russland, der Ukraine und Weißrussland. Während hier

die stärksten Konzentrationen an flüchtigen Nukliden und Brennstoffpartikeln entstanden,

wurde mehr als die Hälfte der Gesamtmenge der flüchtigen Bestandteile und heißen Partikel

außerhalb dieser Länder abgelagert. Jugoslawien, Finnland, Schweden, Bulgarien, Norwegen,

Rumänien, Deutschland, Österreich und Polen erhielten jeweils mehr als ein Petabecquerel

(1015 Bq oder eine Billiarde Becquerel) an Cäsium-137. Insgesamt wurden in Europa etwa

3.900.000 km² (40 % der Gesamtfläche) durch Cäsium-137 kontaminiert (mindestens

4 kBq pro m²).

In den am stärksten belasteten Gebieten Deutschlands, im Südosten von Bayern, lagen die

Bodenkontaminationen bei bis zu 2 Ci /km² (74 kBq/m²) Cs-137. Diese Landkreise hätten

auch in Weißrussland, Russland und der Ukraine den Status der kontaminierten Zone

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 11 von 27

erhalten. So sind beispielsweise auch heute noch in einigen Regionen Deutschlands,

insbesondere im Süden, Pilze, Waldbeeren und Wildtiere hoch belastet. Laut Bundesamt für

Strahlenschutz (BfS) ist die Kontamination dort rund zehnmal höher als im Norden

Deutschlands. Im Muskelfleisch von Wildschweinen wurden in Deutschland Cäsium-137-

Werte von bis zu 40.000 Bq/kg gemessen. Der Durchschnittswert betrug 6.800 Bq/kg und

damit mehr als das Zehnfache des EU-Grenzwertes von 600 Bq/kg.

Auch einige Regionen in Großbritannien und Skandinavien sowie im Alpenraum sind

teilweise hohen Cäsium-Kontaminationen ausgesetzt, wobei die Belastung im Laufe der Jahre

nur langsam abnimmt. In einigen Ländern gelten weiterhin Einschränkungen bei Produktion,

Transport und Verzehr von Lebensmitteln, die immer noch durch den radioaktiven

Niederschlag von Tschernobyl belastet sind.[10]

Strahlenexponierte Personengruppen

Siehe auch: Auswirkung von Strahlenbelastungen

Unmittelbar nach dem Unglück und bis Ende 1987 wurden etwa 200.000 Aufräumarbeiter

(„Liquidatoren“) eingesetzt. Davon erhielten ca. 1.000 innerhalb des ersten Tages nach dem

Unglück schwere bis absolut tödliche Strahlendosen im Bereich von 2 bis 20 Gray (Gy). Die

restlichen Liquidatoren erhielten demgegenüber wesentlich geringere (sich nicht direkt

auswirkende) Strahlendosen bis zu maximal etwa 500 Millisievert (mSv), bei einem

Mittelwert von etwa 100 mSv. Die Zahl der Liquidatoren erhöhte sich nach Angaben der

WHO in den folgenden Jahren auf 600.000 bis 800.000. Die Zahl ist nicht exakt bezifferbar,

da nur 400.000 Liquidatoren registriert wurden und auch deren Daten unvollständig sind. Die

später eingesetzten Liquidatoren erhielten deutlich geringere Dosen. Die Liquidatoren wurden

später für ihre Arbeit mit einer Medaille gewürdigt.

Herz der Medaille der Liquidatoren

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 12 von 27

Weitere Medaillen von Tschernobyl

Im Frühjahr und Sommer 1986 wurden etwa 116.000 Personen aus der 30 Kilometer-Zone

rund um den Reaktor evakuiert. Später wurden zirka 240.000 weitere Personen umgesiedelt.

Für die ukrainischen Evakuierten wurde ein mittlerer Dosiswert von 17 mSv

(Schwankungsbereich 0,1 bis 380 mSv) errechnet, für die weißrussischen Evakuierten ein

Mittelwert von 31 mSv (mit einem maximalen Durchschnittswert in zwei Ortschaften von

300 mSv).

In den ersten Tagen nach dem Unfall führte die Aufnahme von radioaktivem Jod mit der

Nahrung zu stark schwankenden Schilddrüsendosen in der allgemeinen Bevölkerung von im

Mittel etwa 0,03 bis 0,3 Gy mit Spitzenwerten bis zu etwa 50 Gy. Eine Ausnahme davon

bildeten die wenigen Einwohner von Prypjat, die durch die rechtzeitige Ausgabe von

Tabletten mit stabilem Jod (Jodblockade) wesentlich geringere Schilddrüsendosen erhielten.

Die nicht evakuierte Bevölkerung erhielt während der mehr als 20 Jahre seit dem Unfall

sowohl durch externe Bestrahlung als auch durch Aufnahme mit der Nahrung als interne

Strahlenexposition effektive Gesamtdosen von im Mittel etwa 10 bis 20 mSv bei

Spitzenwerten von einigen 100 mSv. Heute erhalten die fünf Millionen Betroffenen in

kontaminierten Gebieten generell Tschernobyl-bedingte Dosen von unter 1 mSv/Jahr, doch

rund 100.000 erhalten immer noch mehr als 1 mSv pro Jahr.

Gesundheitliche Folgen

Akute Strahlenkrankheit

Akute Strahlenkrankheit wurde zunächst bei 237 Personen vermutet und bei 134 Personen

(insbesondere Kraftwerksbeschäftigten und Feuerwehrleuten) bestätigt. Von diesen sind 28

im Jahr 1986 und weitere 19 in den Jahren 1987 bis 2004 verstorben, einige möglicherweise

auch aus anderer Ursache.

Langzeitfolgen

Die Langzeitfolgen des Unglücks sind schwer abzuschätzen. Wegen der Unsicherheit vieler

Daten und epidemiologischer Modell-Parameter sind alle Voraussagen über zukünftige

Morbiditäts- oder Mortalitätszahlen mit Vorsicht zu betrachten.

Schilddrüsenkrebs und Leukämien

Zu den bisher am häufigsten beobachteten gesundheitlichen Folgen gehört ein dramatischer

Anstieg der Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Personen aus Weißrussland, Russland und der

Ukraine, die zum Zeitpunkt des Unglücks Kinder oder Jugendliche waren. Der Anstieg wird

auf die Belastung mit radioaktivem Jod zurückgeführt und wurde Anfang der 1990er Jahre

zuerst in Weißrussland beobachtet. Insgesamt wurden in den genannten drei Ländern bis

Anfang 2006 etwa 5000 Fälle diagnostiziert. Mit weiteren Fällen wird noch über viele Jahre

gerechnet. Von den betroffenen Patienten seien bis 2002 in Weißrussland 14 gestorben, davon

6 aus anderen Ursachen (persönliche Mitteilung). Umstritten ist, ob ein erhöhtes

Schilddrüsenkrebs-Risiko auch für Menschen besteht, die zum Zeitpunkt der höchsten

Belastung durch radioaktives Jod bereits erwachsen waren.[11]

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 13 von 27

Ein durch freigesetzte radioaktive Strahlung bedingter Anstieg der Fälle von Leukämie ist

bisher nicht eindeutig feststellbar, kann aber auch nicht widerlegt werden. Diesbezügliche

Studien hatten zum Teil unsichere Datengrundlagen oder brachten widersprüchliche

Ergebnisse. In einer großen Kohorte von Liquidatoren in Russland wurde (bei „registrierten“

Strahlendosen zwischen 150 und 300 mSv) eine annähernde Verdoppelung des

Leukämierisikos gefunden.

Andere Krebserkrankungen

In Folge der durch die Katastrophe bedingten Freisetzung von radioaktiver Strahlung sind

auch andere Krebserkrankungen zu erwarten. Sie werden aber zum größten Teil erst nach

einer Latenzzeit von mehreren Jahrzehnten auftreten. Bisher konnten nach Angaben der

Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) mit Ausnahme von Schilddrüsenkrebs in

den am stärksten kontaminierten Gebieten keine erhöhten Krebsraten festgestellt werden, die

eindeutig auf die Strahlung zurückgeführt werden können. Hinweise auf erhöhte Raten z. B.

von Brustkrebs müssten weiter verfolgt werden.

Schätzungen der IARC über die zu erwartende Häufigkeit an Krebserkrankungen beruhen auf

Risikomodellen, die aus Studien bei anderen Populationen (hauptsächlich Opfern der

Atombombenabwürfe in Japan) und auf der (umstrittenen) Basis der linearen

Dosis/Wirkungs-Beziehung entwickelt wurden. Nach diesen Modellen wird bis 2065 in

Europa mit ungefähr 16.000 Fällen von Schilddrüsenkrebs und 25.000 Fällen von anderen

Krebsarten als Folge der Tschernobyl-bedingten Strahlenbelastung gerechnet. Zwei Drittel

der Erkrankungen an Schilddrüsenkrebs und mindestens die Hälfte der anderen

Krebserkrankungen seien in Weißrussland, der Ukraine und den am stärksten kontaminierten

Gebieten der russischen Föderation zu erwarten. Ungefähr 16.000 Todesfälle könnten auf

diese Krebserkrankungen zurückgeführt werden.

Bei der hohen Zahl von Krebserkrankungen, die insgesamt in diesem Zeitraum in Europa

auftreten würden, werde dieser Anstieg aber kaum in den nationalen Krebsstatistiken

nachzuweisen sein.

Zu höheren Fallzahl-Schätzungen kam der „TORCH-Bericht“ (The Other Report on

Chernobyl). Er kommt zum Ergebnis, dass unter den damals lebenden 570 Millionen

Menschen zwischen 30.000 und 60.000 zusätzliche Krebstodesfälle durch die Katastrophe

von Tschernobyl möglich sein könnten.

Genetische und teratogene Schäden

Das Tschernobyl-Forum sieht nach Auswertung der vorliegenden epidemiologischen Studien

weder einen Beweis noch einen Hinweis auf verringerte Fruchtbarkeit bei Männern und

Frauen, auf die Zahl der Totgeburten, auf andere negative Geburtsfolgen, auf Komplikationen

bei der Geburt und auf die allgemeine Intelligenz und Gesundheit der Kinder, die eine direkte

Folge ionisierender Strahlung sein könnten. Die gesunkenen Geburtenraten in den

kontaminierten Gebieten könnten auf die Ängste der Bevölkerung und auf den Wegzug vieler

jüngerer Menschen zurückzuführen sein. Ein mäßiger, aber beständiger Anstieg von

berichteten angeborenen Fehlbildungen in kontaminierten und nicht kontaminierten Gebieten

Weißrusslands scheine auf eine vollständigere Erfassung und nicht auf Strahlung

zurückzugehen.[12]

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 14 von 27

Einige Studien von anderen Organisationen und Wissenschaftlern beschreiben im zeitlichen

Zusammenhang mit der Katastrophe hingegen einen deutlichen Anstieg von genetischen bzw.

teratogenen Schäden wie Totgeburten und Fehlbildungen in der Unglücksregion, aber auch in

Deutschland und in anderen europäischen Ländern und legen einen ursächlichen

Zusammenhang nahe.[13]

Die Forscher bzw. Herausgeber der einen Position haben wiederholt den Vertretern der

anderen Position Voreingenommenheit unterstellt oder deren Befunde wegen unvollständiger

Absicherung der Daten und anderer methodischer Mängel zurückgewiesen. Meist handele es

sich um sogenannte ökologische Studien, die wegen des Fehlens einer individuellen

Dosiszuordnung mit großer Vorsicht zu betrachten seien. Autoren, die ökologische Dosis-

Wirkungsbeziehungen für Totgeburten, Fehlbildungen sowie für das Geschlechtsverhältnis

bei der Geburt – unter anderem in unterschiedlich hoch belasteten bayerischen Landkreisen –

gefunden haben,[14][15] wird entgegen gehalten, dass vor dem Hintergrund der

vergleichsweise geringen Strahlendosiserhöhungen in Deutschland, die sich innerhalb der

Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenexposition bewegten, nicht zu verstehen sei, dass

solche massiven Effekte nachweisbar sein sollten. Diese Skepsis werde unterstützt durch

zahlreiche negative epidemiologische Befunde in Deutschland und anderen europäischen

Ländern mit zum Teil deutlich höheren Strahlendosen. Zudem sei bis heute kein biologischer

Mechanismus bekannt, der solche Effekte in dem beobachteten Ausmaß erklären könnte.[16]

Gegen negative epidemiologische Befunde wird wiederum vorgebracht, dass die Nicht-

Signifikanz fälschlich als Nachweis eines nicht vorhandenen Effekts ausgegeben werde.

Korrekt wäre die in einigen Studien auch so offen formulierte Aussage, dass solche Effekte

entweder tatsächlich nicht vorhanden sind oder aufgrund des Studiendesigns nicht

nachgewiesen werden konnten. Zudem wurde bisher nicht gezeigt, dass es auch in relativ

unbelasteten Gebieten stark erhöhte Raten von Totgeburten und Fehlbildungen gab. Dies wäre

ein Hinweis auf andere Ursachen oder auf einen rein zufälligen Zusammenhang.

Andere (körperliche) Gesundheitsfolgen

In den am stärksten von der Tschernobyl-Katastrophe betroffenen Ländern ist ein erheblicher

Anstieg auch bei vielen nicht bösartigen Erkrankungen zu beobachten. Die durchschnittliche

Lebenserwartung ist deutlich gesunken. Beides gilt jedoch auch für die nicht kontaminierten

Gebiete. Es ist umstritten, wie weit diese Veränderungen auf höhere Strahlenbelastung oder

auf andere Faktoren (z. B. Armut, schlechte Ernährung, ungesunde Lebensbedingungen,

wirtschaftliche und soziale Verwerfungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion,

psychische Belastungen im Zusammenhang mit der Katastrophe sowie den Evakuierungen

und Umsiedlungen, selbstschädigendes Verhalten, bessere Diagnostik und Erfassung von

Krankheiten) zurückzuführen ist. Die Zuverlässigkeit der Daten und die methodische Qualität

vieler Studien sind sehr unterschiedlich.

Bei Erkrankungen der Augenlinsen (z. B. dem Grauen Star) ist ein Zusammenhang mit

radioaktiver Belastung wahrscheinlich. Schon relativ geringe Dosen in der Größenordnung

von 250 mGy scheinen eine Zunahme der Bildung von Grauem Star zu bewirken. Einer

solchen Dosis waren u. a. viele Aufräumarbeiter in den ersten Tagen nach der Explosion

ausgesetzt. Auch bei anderen Augenerkrankungen (Akkommodationsstörungen,

Makuladystrophien und Gefäßveränderungen) wird ein Zusammenhang mit radioaktiver

Strahlung vermutet. Hier sind weitere Beobachtungen nötig.

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 15 von 27

Hohe Dosen radioaktiver Strahlung können ein breites Spektrum kardiovaskulärer

Komplikationen verursachen. Die Auswirkungen chronischer und niedriger

Strahlungsbelastung auf das Herz-Kreislauf-System sind weniger klar.

In Russland wurde in einer großen Studie an Notfall-Einsatzkräften von Tschernobyl ein

signifikant höheres Risiko für tödliche Herz-Kreislauf-Krankheiten festgestellt. Ob dieses

höhere Risiko allein auf höhere Strahlendosen oder auf konkurrierende Krankheitsursachen

zurückzuführen ist, muss in weiteren Untersuchungen beobachtet werden. Es deckt sich aber

mit Ergebnissen von Studien, die an Überlebenden von Atombombenangriffen durchgeführt

wurden.

In mehreren Studien wurden Beeinträchtigungen des zellulären und humoralen

Immunsystems gefunden. Die Interpretation dieser Befunde ist jedoch schwierig, weil sie

auch andere Ursachen (Stress, chronische Infektionen, Ernährungsmängel, Chemikalien)

haben können. Die Langzeitfolgen solcher Beeinträchtigungen sind noch unklar.

Mentale Gesundheit und psychosoziale Auswirkungen

Eine erhebliche Belastung für die Gesundheit durch die Katastrophe von Tschernobyl liegt in

direkt oder indirekt von ihr verursachten mentalen und psychosozialen Folgen. Als mentale

Folgen des Unglücks werden unter anderem Angst vor möglichen Folgen der Strahlung, das

Drängen in eine Opferrolle, die zu einem Gefühl sozialer Ausgrenzung führt, sowie Stress in

Zusammenhang mit Evakuierung und Umsiedlung genannt. Angst kann zu

Krankheitserscheinungen und zu gesundheitsschädigendem Lebenswandel (Ernährung,

Alkohol, Tabak) führen. Auch die hohe Suizidrate der Region wird damit erklärt.

Wirtschaft

Verlassene Schiffe auf dem Prypjat

Die Katastrophe von Tschernobyl verursacht immense Kosten und schadet der Wirtschaft in

der Region. Wegen des ökonomischen Umbruchs aufgrund des Zusammenbruchs der UdSSR

sind die genauen wirtschaftlichen Auswirkungen Tschernobyls aber kaum zu erheben. Die

Kosten haben ein großes Loch in die Budgets der drei betroffenen Länder gerissen.

Besonders betroffene Zweige der lokalen Wirtschaft sind Land- und Forstwirtschaft. So

können aufgrund der Strahlenbelastung knapp 800.000 Hektar (ha) Land und 700.000 ha

Wald nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden. Die Landwirtschaft der Region leidet aber

auch unter dem „Stigma Tschernobyl“, das zu sehr geringer Nachfrage nach Produkten aus

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 16 von 27

der Region führt. Aufgrund dieser Tatsache werden kaum private Investitionen im

Agrarbereich der Region getätigt.

Personelle Konsequenzen

Der Energietechniker Nikolai Antonowitsch Dolleschal, der als Leiter des nach ihm

benannten Forschungs- und Konstruktionsinstitut für Energotechnik (NIKITE)

hauptverantwortlich für die Entwicklung des Reaktortyps RBMK war, trat nach der

Reaktorkatastrophe in den Ruhestand. Der Zusammenhang zwischen diesem Schritt und dem

Super-GAU von Tschernobyl wurde jedoch niemals offiziell bestätigt.

Reaktionen auf das Unglück außerhalb der ehemaligen

Sowjetunion

In den Ländern außerhalb der damaligen Sowjetunion waren die Reaktionen auf das

Reaktorunglück sehr unterschiedlich.

Bundesrepublik Deutschland

In Süddeutschland beherrschten monatelang Diskussionen über das Ausmaß der radioaktiven

Belastung von Lebensmitteln und andere mögliche Kontaminationen die Öffentlichkeit. Dabei

wurde die Auseinandersetzung neben Sachargumenten vor allem auch durch die

grundsätzliche Einstellung zur Kernenergie geprägt, zumal sich gleichzeitig die Kontroverse

um die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf abspielte.[17]

Es wurden Empfehlungen zum Unterpflügen von Feldfrüchten oder zum Sperren von

Kinderspielplätzen gegeben, wobei es aus heutiger Sicht strittig ist, inwieweit diese

angemessen und notwendig waren. In der Folge des Reaktorunglücks bröckelte der ohnehin

schon durch die Anti-Atomkraft-Bewegung in Frage gestellte Konsens über die Verwendung

der Atomenergie. Große Teile der Bevölkerung waren nun für einen Ausstieg aus der

Atomenergie. In der Politik wurde diese Forderung nun auch von der SPD übernommen, u.a.

durch Erhard Eppler und den SPD-Kanzlerkandidaten Johannes Rau, der einen schrittweisen

Ausstieg befürwortete. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) sprach sich auch im Namen seiner

Fraktion im Bundestag in der Zukunft für eine Senkung des Anteils der Kernenergie an der

Energieversorgung (1985: rund 31 %) aus, für einen baldigen Ausstieg komme dies aber nicht

in Frage, da dieser weder notwendig noch machbar sei. Der Ministerpräsident Lothar Späth

(CDU) nannte die Kernenergie eine Übergangsenergie, und nach Tschernobyl gelte es

konsequent über eine Energiepolitik nachzudenken, die langfristig der Kernenergie nicht

bedürfe. Die FDP bezeichnete die Kernenergie auf ihrem Bundesparteitag 1986 in Hannover

ebenfalls als eine Übergangsenergie, auf deren Verzicht als Bestandteil der

Energieversorgung hingearbeitet werden müsse.

Der Bau schon in Planung befindlicher Atomkraftwerke wurde auch aufgrund der Erfahrung

mit Tschernobyl nicht mehr realisiert.

Ein Beispiel für die damalige Diskussion in Westdeutschland ist die so genannte

„Strahlenmolke“: Einige Molkereien in besonders betroffenen Gebieten waren angewiesen

worden, die Molke von der Milch abzutrennen und nicht zu verkaufen, sondern einzulagern,

da sich in ihr das radioaktive Cäsium besonders angereichert hatte. Der Vorschlag, diese

Molke als Dünger auf Felder aufzubringen, hatte keinerlei Chancen auf Umsetzung.

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 17 von 27

Stattdessen wurde die Molke in extra errichteten Spezialanlagen über Ionenaustauscher

behandelt. Eine Gruppe Waggons mit „Strahlenmolke“ wurde nach einer längeren Fahrt durch

Norddeutschland, die Medien mit großem Interesse verfolgten, vor der „Entsorgung“ sogar

auf einem gesicherten Bundeswehrgelände zwischengelagert.

In der Bundesrepublik Deutschland wurden nach Bekanntwerden des Reaktorunglücks die

Landwirte durch die Strahlenschutzkommission des Bundes aufgefordert, den eigentlich für

Anfang Mai 1986 anstehenden Umstieg von der Winterfütterung der Milchkühe auf

Sommerfütterung (und Weide) noch bis nach den ersten Regenfällen hinauszuzögern. Die

Katastrophe fiel mit einer mehrwöchigen Schönwetterperiode zusammen, die einerseits das

Wachstum der Wiesen sehr anregte, auf der anderen Seite aber auch mit einem stetig

blasenden Ostwind die Verbreitung des radioaktiven Staubs nach Westen bewirkte. Später

gab es dann eine Ausgleichszahlung für die landwirtschaftlichen Betriebe für die entstandenen

Mehrkosten bei der Fütterung. Die Strahlenschutzkommission gab zudem Grenzwerte für

Frischmilch und Blattgemüse aus, bei dessen Überschreitung der Werte die Produkte nicht

verkauft werden durften. Der Umsatz auch von freigegebenen Milchprodukten, sowie von

Obst und Gemüse ging drastisch zurück. Die Lebensmittelgruppe Rewe vernichtete allein im

Mai 1986 unverkäufliche Milchprodukte und Frischgemüse im Wert von rund 3 Millionen

DM.

Wenige Wochen nach dem Unglück wurde in der Bundesrepublik Deutschland das

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gegründet. Die Gründung

dieses Ministeriums war vor allem eine Reaktion auf den als unzureichend koordiniert

empfundenen Umgang der Politik mit der Katastrophe von Tschernobyl und ihren Folgen.

DDR

Aus Rücksicht auf den sowjetischen Bruderstaat wurden Informationen über das Unglück nur

zögerlich in Umlauf gebracht, oftmals wurden Fakten des Unglücks heruntergespielt oder

ganz verschwiegen. In den Wochen nach dem Unglück gab es in der DDR plötzlich ein

reichhaltiges Angebot an Gemüse, jenes, das im Westen nicht gekauft wurde. Gleichzeitig

war von einer Stabilisierung der Radioaktivität auf niedrigem Niveau in den Zeitungen zu

lesen, ohne über das Niveau vor der Katastrophe zu schreiben. Das damalige Mitglied des

Politbüros, Günter Schabowski informierte sich zwar auch in den West-Medien und machte

sich Gedanken, aber es habe im Katastrophenfall ein eisernes Gesetz gegolten: „Auf jeden

eigenen Kommentar verzichten. Da wird nur erzählt, was die in Moskau fabrizieren.“[18]

Für Umweltgruppen in der DDR war das Ereignis allerdings ein erstes Aufbruchsignal.

Erstmals begann eine Debatte um die friedliche Nutzung der Kernenergie. In Eingaben an die

Volkskammer und den Ministerrat forderten DDR-Bürger erstmals den Ausstieg aus der

Kernenergie.

Diskussion nach zwanzig Jahren

Auch zwanzig Jahre nach der Katastrophe sind in der Diskussion um Tschernobyl die

Grenzen zwischen sachlicher Information, gezielter Verharmlosung und absichtlich

geschürter Verängstigung mitunter fließend. Die Katastrophe von Tschernobyl ist zum

Symbol für die Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernenergie geworden und wird von

Atomkraftgegnern häufig als Argument für einen schnellen Atomausstieg verwendet.

Kernenergiebefürworter beklagen hingegen, dass Tschernobyl als Totschlagargument gegen

die Nutzung der Kernenergie missbraucht werde.

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 18 von 27

Weitgehend anerkannt ist zur Jahrtausendwende allerdings, dass die damaligen

Strahlenexpositionen in Deutschland meist niedriger als und nur in wenigen Regionen etwa

vergleichbar mit den Strahlenexpositionen durch Atombombentests vor dem partiellen

Teststoppabkommen waren. Eine einmalig hohe Strahlenbelastung auf dem Gebiet der DDR

war im Gebiet Magdeburg zu verzeichnen, allerdings kamen die Ergebnisse der Messungen

des Bezirkshygieneinstituts nicht an die Öffentlichkeit.

Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und ihre Folgen sind inzwischen auch Gegenstände

sozial- und kulturwissenschaftlicher Untersuchungen. So arbeiten etwa am Forschungsprojekt

„Politik und Gesellschaft nach Tschernobyl“ das Potsdamer Zentrum für Zeithistorische

Forschung (ZZF), die Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), die Europäische

Humanistische Universität Vilnius/Minsk (EHU) und die Nationale Universität Kiew-

Mohyla-Akademie (NaUKMA) zusammen.[19]

Tschernobyl und die gesperrte Zone nach dem Unfall

Die Stadt Prypjat

Verlassenes Haus in der Sperrzone

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 19 von 27

Eingangsposten zur 30-Kilometer-Zone

Nachdem Prypjat bereits am 27. April 1986 evakuiert worden war,[20] erfasste ein weiterer

Evakuierungs-Schritt bis 3. Mai weitere Personen aus einem Umkreis von 10 km um den

Reaktor. Weitere 116.000 Einwohner wurden am 4. Mai 1986 aus dem Gebiet 30 km um den

Reaktor evakuiert. In den folgenden Jahren wurden weitere 210.000 Einwohner umgesiedelt,

so dass die Sperrzone mittlerweile 4.300 km² groß ist.

Etwa 1.000 Bewohner sind angesichts der wirtschaftlichen Lage trotz der stark erhöhten

Strahlungswerte zum Teil schon Wochen nach dem Unglück in die gesperrte Zone

zurückgekehrt. Der Grund war für die meisten, dass ihnen weder die damalige Sowjetunion

noch der heutige ukrainische Staat in den Orten, in die sie evakuiert wurden, eine

ausreichende Lebensgrundlage zur Verfügung stellen konnte. Dazu kommt, dass viele der

Rückkehrer die Gesundheitsgefahr durch die Strahlung nicht sehr hoch einschätzten. Da es

sich auch damals überwiegend um ältere Personen handelte, ist unklar, wie viele davon an den

Folgen der Strahlung starben. Einige heute noch lebende Rückkehrer meinen, es seien „sehr

viele gestorben“. Einige berichten aber auch, sie hätten auch nach 20 Jahren in der

kontaminierten Region keine strahlenbedingten Beschwerden. Im Dorf Tschernobyl selbst,

einige Kilometer südlich des Reaktors, leben heute etwa 100 Rückkehrer. 2001 eröffnete auch

die orthodoxe Dorfkirche Sv. Ilja wieder, zum Sonntagsgottesdienst erscheinen regelmäßig

etwa 30 Gläubige. Alle Rückkehrer wie auch alle Bewohner der „Zone 3“, der Region rund

um die Sperrzone, erhalten ab dem Alter von 47 Jahren eine kleine Sonderrente vom

ukrainischen Staat in Höhe von umgerechnet 60 US-Dollar im Monat. Unabhängig davon

ernähren sich praktisch alle Bewohner der Sperrzone, wie der belasteten, aber nicht

evakuierten „Zone 3“, auch aufgrund der Armut und Arbeitslosigkeit vor Ort, von den

Waldpilzen und dem vor Ort gezogenen Gemüse und Obst. Die gesundheitlichen Folgen bei

den Erwachsenen sind schwer abzuschätzen, vor allem auch deshalb, weil es andere

ungünstige Faktoren wie die mangelhafte Ernährung, die schlechte Wirtschaftslage,

Alkoholismus und eine steigende AIDS-Rate gibt. Laut Einschätzung des Radiologischen

Instituts der Stadt Iwankiw, etwa 50 Kilometer südlich von Tschernobyl, sind nur etwa 3

Prozent der Proben von Gemüse, Obst und Wildfleisch, die die Bewohner dort kostenlos zur

Untersuchung einreichen, über die (mit westeuropäischem Niveau im Einklang befindlichen)

Grenzwerte hinaus belastet. Die Messwerte schwanken aber sehr stark nach Mikro-Regionen,

es gibt einzelne Proben, die enorm hoch belastet sind.

Was die Kinder betrifft, die in „Zone 3“ wohnen, schätzt Jewgenija Stepanowa, Chefärztin

der Pädiatrischen Abteilung der 1987 für die Tschernobyl-Opfer gegründeten Klinik für

Radiologie in Kiew, ein, dass etwa 90 Prozent der Kinder der Region an strahlenbedingter

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 20 von 27

Immunschwäche leiden. Die Folgen seien insbesondere häufige Erkrankungen aller Art wie

Lungenentzündung oder Allergien. Leukämie oder andere Krebserkrankungen bei Kindern

träten aber „heute nicht besonders gehäuft“ auf. Das Dorf Tschernobyl ist heute vor allem

Wohnort aller Arbeiter und Wissenschaftler, die im Zusammenhang mit der

Reaktorkatastrophe in der Sperrzone eingesetzt sind. Das Dorf wurde dafür ausgewählt, weil

es innerhalb der Sperrzone als verhältnismäßig minderbelastet eingestuft wurde. Das Betreten

ist trotzdem nur mit besonderer Genehmigung möglich. Auf Warnschildern wird vor der

Gefahr von offenbar gelegentlich auftretenden Staubstürmen im Sommer gewarnt, die stark

erhöhte Radioaktivität verbreiten. Für die Bewohner sind dafür in Tschernobyl besondere

Schutzräume angelegt, die laut Warnschildern sofort aufgesucht werden sollen und die man

nicht verlassen solle, bevor die Stürme sich gelegt hätten oder man gerettet werde. Es gibt

dort heute ein kleines Hotel für ausländische Wissenschaftler, auch die Verwaltung der

Sperrzone und verschiedene wissenschaftliche Institute der Ukraine haben dort ihren Sitz

bzw. Außenstellen. Aus Strahlenschutzgründen wechseln die bei den dauernden

Ausbesserungsarbeiten am „Sarkophag“ eingesetzten und in Tschernobyl untergebrachten

Arbeiter alle 14 Tage. Die Mitarbeiter der Verwaltung haben eine auf Montag bis Donnerstag

verkürzte Arbeitswoche, kehren am Wochenende in ihre Wohnorte außerhalb der Sperrzone,

meist nach Kiew, zurück. Vor Verlassen der Sperrzone gibt es Kontrollen auf radioaktive

Kontamination. Besuchern vor Ort ist es selbst überlassen, wie sie mit der radioaktiven

Belastung der Umgebung umgehen. Während insbesondere einheimische Wissenschaftler

ungeschützt in der Sperrzone unterwegs sind, trifft man in der am höchsten belasteten Zone

im Umkreis von einigen Kilometern rund um den Reaktor auch Experten aus westlichen

Ländern mit Atemschutz und Schutzanzügen.

Die Sperrzone von Tschernobyl erscheint heute auf den ersten Blick als Naturparadies. Elche,

Wölfe, Hirsche sind hier zahlreich vorhanden, in den 1990er-Jahren wurden hier auch einige

der vom Aussterben bedrohten Przewalski-Pferde ausgesetzt. Binnen 20 Jahren sind die

damals verlassenen Dörfer verwildert und zum großen Teil zugewachsen.

Bis zum Ende der Sowjetunion waren die meisten Folgen vor Ort Staatsgeheimnis. Die

Behörden und Experten der heutigen Ukraine, zum Teil sogar mit denselben beteiligten

Personen wie Ärzten oder Radiologen, gehen heute offen und sehr auskunftsfreudig damit

um. Die Hilfsgelder für die Folgen der Tschernobyl-Katastrophe sind heute ein wichtiger

Wirtschaftsfaktor für die Ukraine.

Selbst das zum Teil stark durch Plutonium verseuchte Zentrum der Sperrzone von

Tschernobyl wurde in den letzten Jahren auch von Plünderern heimgesucht, obwohl das

Gebiet eigentlich abgesperrt, durch Schranken und Kontrollen abgeschirmt ist. Fast alle

Wohnungen in der am 27. April 1986 nachmittags binnen Stunden evakuierten Stadt Prypjat

sind geplündert, Türen eingeschlagen, Küchenherde und Möbel geraubt. Wildschweine und

wildernde Hunde sind auf den ehemaligen und langsam zuwachsenden Straßen anzutreffen.

Im Fundus des ehemaligen Theaters der Stadt lagern bis heute die Großplakate mit den

Konterfeis der einstigen sowjetischen Politbüro-Mitglieder und zahlreiche Spruchbänder und

Fahnen, vorbereitet für die Mai-Demonstration, die am 1. Mai 1986 in der Stadt stattfinden

sollte.

Auch die meisten der tausenden 1986 eingesetzten Fahrzeuge und Hubschrauber, die wegen

ihrer geringen bis hohen Kontamination damals auf einem zentralen „Friedhof“ im

Sperrgebiet abgestellt wurden, sind trotz formaler Bewachung und Einzäunung

ausgeschlachtet und geplündert. Motoren und Windschutzscheiben fehlen, ganze

Hubschrauber sind zerlegt und verschwunden.

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 21 von 27

Das Kernkraftwerk Tschernobyl heute

Alle drei noch funktionsfähigen Blöcke wurden nach dem Ende der Aufräumarbeiten wieder

hochgefahren. Nach den Dekontaminierungsarbeiten in den Jahren 1986 und 1987 war die

Regierung der Ansicht, dass die Strahlung keine weiteren Auswirkungen auf das Personal

habe.[3] Der zweite Reaktorblock wurde im Oktober 1991 nach einem Feuer in der

Turbinenhalle abgeschaltet. Block 1 folgte im November 1996, Block 3 am 15. Dezember

2000. Die Abschaltung erfolgte insbesondere auf Druck der Europäischen Union, die Ukraine

erhielt dafür entsprechende Ausgleichszahlungen.

Der havarierte Reaktorblock ist heute durch einen provisorischen, durchlässigen „Sarkophag“

gedeckelt. Im Inneren ist weitgehend die Situation vom Zeitpunkt der Katastrophe in heißer

Form konserviert. Von rund 190 Tonnen Reaktorkernmasse befinden sich Schätzungen

zufolge noch rund 150–180 Tonnen im Gebäude, teils in Form geschmolzener und erstarrter

Brennelemente aus Uran, Plutonium, Graphit und Sand, teils in Form von Staub und Asche, in

Form ausgewaschener Flüssigkeiten im Reaktorsumpf und im Fundament oder in anderer

Form. Die ZDF-Reportage Tschernobyl − der Millionensarg spricht hingegen von weit

weniger verbliebenem Brennstoff im zerstörten Reaktorblock. Demnach sei im Zuge der

Katastrophe mehr radioaktives Material freigesetzt worden, als ukrainische und westliche

Stellen behaupten.

Im Jahr 1992 hatte die Ukraine mit einer französischen Firma einen Konzeptwettbewerb

veranstaltet, dessen Thema es war, Ideen für eine langfristige Lösung für Block 4 zu finden.

Schon nach kurzer Zeit entschied man sich für eine effektive Schutzummantelung und kürte

einen Gewinner. Hierzu sollte eine vollkommene Ummantelung von Block 3 und Block 4

gebaut werden. Da aber für dieses Konzept der damals noch aktive Block 3 hätte abgeschaltet

werden müssen, verwarf man dieses Projekt wieder. Die Kosten hätten sich auf ca. drei bis

vier Milliarden US-Dollar belaufen.[3]

Der internationale „Shelter Implementation Plan“ hat als Ziel, einen neuen haltbaren

Sarkophag zu errichten. Als erste Maßnahme wurden das Dach des ursprünglichen

Sarkophags verstärkt und die Belüftungsanlage verbessert. Der neue Sarkophag soll über dem

alten errichtet werden. Dadurch soll es möglich sein, den alten Sarkophag zu entfernen, ohne

dass weitere radioaktive Stoffe freigesetzt werden. Das geht mit zwei speziellen Kränen, die

extra für die Arbeit unter hoher Strahlenbelastung angefertigt wurden. Unter anderem können

diese auch radioaktive Stoffe zerkleinern. Der neue Sarkophag soll 257 Meter lang, 150 Meter

breit und 108 Meter hoch werden. Der Auftrag wurde am 17. September 2007 dem

Konsortium Novarka erteilt.[21] Der neue Sarkophag soll 200 Meter neben dem Reaktor

aufgebaut und auf Schienen über den alten Sarkophag gefahren werden.

Gedenken

Veranstaltungen

Bereits kurz nach der Katastrophe etablierten sich in größeren Städten, vor allem der

ehemaligen Sowjetunion, jährliche Gedenkveranstaltungen. Hierbei werden im Frühjahr

Kundgebungen oder Gottesdienste abgehalten, bei denen tausende Teilnehmer mit

brennenden Kerzen, Schweigeminuten, Mahnwachen oder Glockenläuten der Opfer der

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 22 von 27

Reaktorexplosion gedenken. Sie demonstrieren damit jedoch auch für die friedliche Nutzung

der Atomenergie oder langfristig auch für die Stilllegung aller Atomreaktoren.[22]

Zur Erinnerung an Tschernobyl!

Museum und Mahnmale

Ein in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eingerichtetes National-Museum zeigt

eindrucksvolle Bilder, Videos, Reste von Kleidung oder verweist mit durchgestrichenen

Ortstafeln auf die nicht mehr existenten Dörfer.[23]

Inzwischen gibt es auch mahnende Denkmale, wie in der russischen Hauptstadt Moskau oder

in den ukrainischen Städten Kiew, Charkow oder Saporoschje.[24]

Kiew erinnert mit einem Denkmal an die Feuerwehrleute und Ingenieure, die infolge ihres

Einsatzes bei der Katastrophe gestorben sind. An dem symbolhaften verbogenen Metall legen

Politiker des Landes regelmäßig Gedenkkränze nieder.[25]

Mahnmal in Charkow

In Charkow erinnern sogar zwei Monumente an die Katastrophe: eines aus rotem Porphyr und

ein weiteres, dreifarbig gestaltetes, im Park der Jugend. Ein weiteres Denkmal, das den

Helfern („Liquidatoren“) im Gelände des Kernkraftwerks gewidmet war, wurde zerstört.

In Saporoschje hat ein Bildhauer einen Stein an einem Brunnen wie ein gespaltenes Atom

gestaltet, unweit davon befindet sich ein Granitfindling mit einer Tafel für die Opfer der

Katastrophe. In der nach dem Reaktorunglück neu errichteten Stadt Slawutytsch gibt es ein

Mahnmal mit Fotos und Lebensdaten einiger Opfer.[26]

Ausstellungen, Konzerte und andere Aktivitäten

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 23 von 27

Der deutsche Künstler Till Christ organisierte in Zusammenarbeit mit Studenten der

Staatlichen Akademie für Design und Kunst aus Charkow im Berliner Kunsthaus Tacheles die

Ausstellung Visual Energy – Nach Tschernobyl: Ressourcen, Energien und wir. Diese war

zwischen Oktober 2005 und April 2006 zu sehen.[27]

Im Jahr 2006 führte die schweizerische Stadt Thun in ihrem Rathaus eine Gedenkausstellung

mit Unterstützung der Botschafter der Ukraine, von Weißrussland und von Russland durch. –

Sogar musikalisch wurde das schreckliche Geschehen verarbeitet. Die Schriftstellerin

Swetlana Alexijevitsch hatte ein „Tschernobyl-Gebet“ verfasst, das im Jahr 2006 von dem

französischen Komponisten Alain Moget als Oratorium unter dem Titel „Und sie werden uns

vergessen“ vertont und uraufgeführt wurde. – In jedem Jahr kommen weitere Aktivitäten in

aller Welt zum Gedenken hinzu wie Fotoausstellungen, Konzerte, Veröffentlichungen oder

wissenschaftliche Tagungen. [28]

Literatur

Astrid Sahm, Manfred Sapper, Volker Weichsel (Hg.): Tschernobyl: Vermächtnis und

Verpflichtung. Berlin 2006 (= Osteuropa, 4/2006), ISBN 3-8305-1122-1.[29]

Mary Mycio: Wormwood Forest: A natural history of Chernobyl. ISBN 0-309-09430-

5.[30]

20 Jahre nach Tschernobyl – Eine Bilanz aus Sicht des Strahlenschutzes, Bericht der

Strahlenschutzkommission (SSK) des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz

und Reaktorsicherheit, Heft 50 (2006), H. HOFFMANN GmbH – FACHVERLAG,

Berlin, ISBN 3-87344-127-6, ISSN 0948-308X

Chernobyl’s Legacy: Health, Environmental and Socio-Economic Impacts and

Recommendations to the Governments of Belarus, the Russian Federation and

Ukraine; April 2006 (PDF-Dokument)

Igor Kostin, T. Johnson (Mitarbeit), Übers. C. Kalscheuer: Tschernobyl -

Nahaufnahme. Verlag Antje Kunstmann, München 2006. ISBN 3-88897-435-6

(Fotoband, Reportage).

Environmental Consequences of the Chernobyl Accident and Their Remediation:

Twenty Years of Experience; Report of the UN Chernobyl Forum Expert Group

“Environment” (EGE), August 2005 (PDF-Dokument)

World Health Organization: Health Effects of the Chernobyl Accident and Special

Health Care Programms. Report of the UN Chernobyl Forum Expert Group “Health”

(EGH) April 2006 (PDF-Dokument, 1,6 MB).

IAEA (Hrsg.): Chernobyl's Legacy: Health, Environmental and Socio-economic

Impacts (…). September 2005 (PDF-Dokument)

Peter Jacob, Werner Rühm, Herwig G. Paretzke: 20 Jahre Tschernobyl – Die

gesundheitlichen Auswirkungen In: Physik Journal 5 (2006), Nr. 4, S. 43–49 (Online).

Herbert Dederichs, Jürgen Pillath, Burkhard Heuel-Fabianek, Peter Hill, Reinhard

Lennartz: Langzeitbeobachtung der Dosisbelastung der Bevölkerung in radioaktiv

kontaminierten Gebieten Weißrusslands – Korma-Studie, Verlag Forschungszentrum

Jülich 2009, ISBN 978-3-89336-562-3, 2004 (PDF-Dokument)

Oda Becker, Helmut Hirsch: Tschernobyl: Sanierung des Sarkophags - Wettlauf mit

der Zeit. Hamburg/Hannover: Greenpeace, 2004 (PDF-Dokument)

Franz-Josef Brüggemeier: Tschernobyl, 26. April 1986. Die ökologische

Herausforderung, München 1998.

H. Dederichs, E. Konoplya, P. Hill, R. Hille: Systematische Differenzierung

kontaminierter und nicht kontaminierter Nutzflächen in der Region Korma.,

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 24 von 27

Schriftenreihe Reaktorsicherheit und Strahlenschutz; BMU-2002-613, 2002.

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

A. Bayer, A. Kaul, C. Reiners: Zehn Jahre nach Tschernobyl, eine Bilanz. München:

Gustav Fischer Verlag, 1996. - ISBN 3-437-25198-8

Karl-Heinz Karisch/Joachim Wille (Hg.): Der Tschernobyl-Schock. Zehn Jahre nach

dem Super-GAU. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1996. - ISBN 3-

596-13301-7

Grigori Medwedew: Verbrannte Seelen - Die Katastrophe von Tschernobyl, Carl

Hanser Verlag München Wien, 1991. - ISBN 3-446-16116-3

V. M. Chernousenko: Chernobyl. Insight from the Inside. Berlin, Heidelberg, New

York: Springer-Verlag, 1991. ISBN 3-540-53698-1.

Antje Hilliges/Irina Wachidowa: Der Tag, an dem die Wolke kam. Wie wir

Tschernobyl überlebten. Heyne, 2006, ISBN 3-453-64508-1

Zhores Medwedjew: Das Vermächtnis von Tschernobyl, Münster: Daedalus Verlag

Joachim Herbst, 1991, ISBN 3-89126-030-X

Swetlana Alexijewitsch Stimmen aus Tschernobyl. In: 20 Jahre Tschernobyl,

Themenheft Aus Politik und Zeitgeschichte Beilage zur Wochenzeitung das

Parlament, 27. März 2006 (Online).

Richard Stone: Der lange Schatten von Tschernobyl. Vor 20 Jahren explodierte der

Atomreaktor – Die Folgen sind noch immer furchtbar, Auszüge aus National

Geographic Deutschland April 2006, S. 106-127.

20 Jahre Leben mit Tschernobyl - Erfahrungen und Lehren für die Zukunft,

Kongressband zum internationalen Kongress vom 14.-17. September 2006, Feldkirch,

Österreich, ISBN 978-3-929990-04-1

Weblinks

Commons: Katastrophe von Tschernobyl – Sammlung von Bildern, Videos und

Audiodateien. Die hier wiedergegebenen Aufnahmen sind dieser Quelle entnommen. Zur

Autorenschaft wird ausdrücklich auf die dort wiedergegebenen Lizenzbestimmungen

verwiesen (siehe

http://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Chernobyl_disaster?uselang=de).

Wissenschaftliches

IAEO-Website :In Focus - Chernobyl. Mit verschiedenen Studien des 'Tschernobyl-

Forums'

IAEO-Pressemitteilung: Tschernobyl: Das wahre Ausmaß des Unfalls PDF-Datei (176

kB)

Darstellung des Unfallhergangs auf der Seite des Kernkraftwerks Tschernobyl

(englisch)

ECRR Chernobyl 20 Years On Health Effects of the Chernobyl Accident: European

Committee on Radiation Risk (PDF-Datei; 3,86 MB)

The Other Report on Chernobyl (als Download)

„Tschernobyl: Die IAEA spricht von 56, Greenpeace von 93000 Todesopfern. Wer hat

Recht ?“ von Eike Roth, sehr ausführliche Gegenüberstellung der Studie des

Chernobyl-Forums und der Greenpeace-Studie, PDF (1,64 MB)

www.pro-physik.de Artikelserie im Physik-Journal 4/2006

Forschungszentrums Jülich: Langzeitbelastung der Bevölkerung in Weißrussland

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 25 von 27

Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA, Bern; Website zu den

Langzeit-Folgen

PDF mit Karte der Kontamination auf landwirtschaftlichen Flächen in Bayern (573

kB)

Chernobyl: the true scale of the accident UN Report (WHO) zu den Folgen des

Unglücks

Publikationen der GRS zum Thema Tschernobyl

Rayk Einax: Tagungsbericht Politik und Gesellschaft nach Tschernobyl. 14.12.2009–

15.12.2009, Gießen. In: H-Soz-u-Kult, 19. Januar 2010.

Dokumentation

Wahrnehmung des Unglücks in der DDR (Zusammenfassung mit Links zu zwei pdf-

Dateien; 867 kB)

20 Jahre Tschernobyl (u. a. umfangreiche Presseschau des Umweltinstitut München

e. V.)

Karte zur regionalen Verteilung der Strahlenbelastung nach dem Tschernobyl-Unfall

(Quelle: CIA, 1996)

Strahlentelex Tschernobyl-Folgen (Materialsammlung / Links)

Sondersitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit beim

Deutschen Bundestag (Dreieinhalbstündige Videoaufzeichnung vom 5. April 2006

anlässlich des 20. Jahrestages von Tschernobyl. Reflexionen und Diskussionen über

die Folgen und Auswirkungen der Reaktorkatastrophe.)

Dokumentation des Unfalls (Doku - der letzten Minuten vor dem GAU in

Tschernobyl)

Fotodokumentation

Umfangreiche Fotodokumentation zum Reaktorunfall

Fotogalerie auf pripyat.com

Tschernobyl und Pripyat: Fotodokumentationen (englisch)

Tschernobyl und seine Folgen 20 Jahre danach - Reise eines Teams aus Mitarbeitern

des WDR und des Forschungszentrum Jülich

Reportage: Wie es heute vor Ort in Tschernobyl aussieht

Fotodokumentationen von Elena Filatova

Reaktor 3 zu Betriebszeiten

Videodokumentation

Der Millionensarg Video in 6 Teilen

Die Wahre Geschichte von Tschernobyl

Tschernobyl - Minuten der Entscheidung Rekonstruktion der letzten 60 Minuten im

Kontrollraum, nachgedreht in Block 3

Tschernobyl-Gau - Strahlendes Erbe der Geisterstadt

Die Schwelle Dokumentationsfilm aus dem Jahr 1989 in 9 Teilen

Audiodokumentation

Elementarfragen (Tschernobyl) - Audiopodcast. Interview mit dem Kernphysiker Dr.

Sebastian Pflugbeil über die Katastrophe

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 26 von 27

Einzelnachweise

1. ↑ a b c d

Medwedew, Grigori: Verbrannte Seelen – Die Katastrophe von Tschernobyl.

Hauser Verlag München, 1991

2. ↑ Dokument über den Versuchsvorgang und die Folgen der Radioaktiven Verstrahlung

3. ↑ a b c d e f g h i j k

Reaktorunfall von Tschernobyl (pdf)

4. ↑ www.greenpeace.de: Chronologie der Ereignisse

5. ↑ orf.at: Chronologie der Ereignisse

6. ↑ www.faz.net: Chronologie der Ereignisse

7. ↑ Video vom Tschernobyl-Unglück

8. ↑ Report of the UN Chernobyl Forum Expert Group “Health” (EGH); Working Draft

August 31, 2005

9. ↑ Alexey V. Yablokov, et al.: Chernobyl: Consequences of the Catastrophe for People

and the Environment. Ann. N.Y. Academy of Science. 1181. 4-30 (2009), Seite 5, @

google books

10. ↑ Der Reaktorunfall von Tschernobyl. Herausgeber: Informationskreis KernEnergie

(April 2006)

11. ↑ z. B. Thyroid cancer has increased in the adult populations of countries moderately

affected by Chernobyl fallout. Medical Science Monitor, 2004; 10(7): CR300-306,

PDF Datei

12. ↑ The Chernobyl Forum 2003-2005 (Hrsg.): Chernobyl’s Legacy: Health,

Environmental and Socio-Economic Impacts and Recommendations. Second revised

version, April 2006, PDF-Datei

13. ↑ Zusammenfassende Darstellung mit Literaturnachweisen in: Internationale Ärzte für

die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), Gesellschaft für Strahlenschutz e. V.

(Hrsg.): „Gesundheitliche Folgen von Tschernobyl. 20 Jahre nach der

Reaktorkatastrophe“, Metaanalyse, April 2006, S. 29-39, PDF-Datei

14. ↑ z. B. Hagen Scherb, Eveline Weigelt (2003): Congenital malformation and stillbirth

in Germany and Europe before and after the Chernobyl nuclear power plant accident,

Environ. Sci.& Pollut.Res. 10 Special (1):117–125, PDF-Datei

15. ↑ z. B. Hagen Scherb, Kristina Voigt (2007): Trends in the human sex odds at birth in

Europe and the Chernobyl Nuclear Power Plant accident. Reproductive Toxicology,

Volume 23, Issue 4, June 2007, Pages 593-599, HTML

16. ↑ Berichte der Strahlenschutzkommission (SSK) des Bundesministeriums für Umwelt,

Naturschutz und Reaktorsicherheit, Heft 50 (2006): „20 Jahre nach Tschernobyl. Eine

Bilanz aus Sicht des Strahlenschutzes“, PDF-Datei, Schlussbetrachtung S. 143

17. ↑ BR-online: 23 Jahre Tschernobyl: Der GAU und die Wende 24. April 2009.

Abgerufen am 4. September 2009

18. ↑ Miriam Schröder: Tschernobyl in der DDR: „Gezielte Vergiftung“, Spiegel Online,

9. April 2006; einestages.spiegel.de, 7. August 2007

19. ↑ Vgl. Rayk Einax: Tagungsbericht Politik und Gesellschaft nach Tschernobyl.

14.12.2009–15.12.2009, Gießen. In: H-Soz-u-Kult, 19. Januar 2010.

20. ↑ National Geographic (dt. Ausgabe), April 2006

21. ↑ Presseerklärung der European Bank for Reconstruction and Development

22. ↑ „Gedenken an den Super-GAU. 20 Jahre Tschernobyl.“ Auf n-tv.de; abgerufen am

25. August 2010

23. ↑ Homepage des Museums

24. ↑ Gedenken an Tschernobyl-Katastrophe vor 24 Jahren. Abbildung des Kiewer

Mahnmals und Information über ein Mahnmal in Moskau. In: Schweizer 'Tagblatt'

vom 26. April 2010; abgerufen am 25. August 2010

Die Katastrophe von Tschernobyl Seite 27 von 27

25. ↑ Gedenken an die Katastrophe von Tschernobyl auf Spiegel-online. Abgerufen am

25. August 2010

26. ↑ Bild auf Spiegel-online. Abgerufen am 25. August 2010

27. ↑ Schwarze Eier und strahlende Gullideckel. Informationen über eine

Erinnerungsausstellung in Berlin 2005/2006 auf Spiegel-online. Abgerufen am 25.

August 2010

28. ↑ Tchernobyl.Info, gesonderte Website mit zusammengefassten Aktivitäten anlässlich

des 20. Jahrestages der Katastrophe. Abgerufen am 25. August 2010

29. ↑ Inhalt und Abstracts unter osteuropa.dgo-online.org.

30. ↑ (englische Buchbesprechung), Vorwort (engl.).