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Soziogene Entwicklungsst Soziogene Entwicklungsst ö ö rungen rungen in der in der ä ä rztlichen Praxis rztlichen Praxis Die Rolle soziogener Entwicklungsstörungen in der Arztpraxis Düsseldorf, 12. Februar 2011 DR. MED. THOMAS FISCHBACH ARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN BERUFSVERBAND DER KINDER- UND JUGENDÄRZTE BVKJ E.V. LANDESVERBANDSVORSITZENDER NORDRHEIN Person Definition Definition Definition Definition Die Entwicklungspsychologie und –pathopsychologie beschreibt den Stand der Entwicklung in den Bereichen - biologische - psychische - und soziale Entwicklung des heranwachsenden Menschen in definierten Lebensabschnitten bis einschließlich der Adoleszenz sowie deren Störungen.

Die Rolle soziogener Entwicklungsströrungen in der Arztpraxis

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Soziogene EntwicklungsstSoziogene Entwicklungsstöörungen rungen in der in der äärztlichen Praxisrztlichen Praxis

Die Rolle soziogener Entwicklungsstörungenin der Arztpraxis

Düsseldorf, 12. Februar 2011

DR. MED. THOMAS FISCHBACH

ARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN

BERUFSVERBAND DER KINDER- UND

JUGENDÄRZTE BVKJ E.V.

LANDESVERBANDSVORSITZENDER

NORDRHEIN

Person

DefinitionDefinition DefinitionDefinition

Die Entwicklungspsychologie und –pathopsychologiebeschreibt den Stand der Entwicklung in den Bereichen- biologische - psychische- und sozialeEntwicklung des heranwachsenden Menschen in definierten Lebensabschnitten bis einschließlich der Adoleszenz sowie deren Störungen.

DefinitionDefinition

Unter soziogenen Entwicklungsstörungen verstehen wir Störungen einer altersgerechten physischen und/oder psychischen und/oder sozialen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, die durch die Bedingungen ihres Aufwachsens verursacht und nicht primär somatischen Ursprungs sind.

Soziogene Entwicklungsstörungen stellen heute einen zunehmenden Anteil der Vorstellungsanlässe in pädiatrischen Praxen dar.

UrsachenUrsachen

Komplexes Zusammenspiel vielfältiger Bedingungen und Faktoren. In der pädiatrischen Praxis sind insbesondere folgende Stress-faktoren relevant und Grund für pädiatrische Inanspruchnahme:

1. Psychosoziale Belastungen der Familienz.B. Armut, Arbeitslosigkeit, Sucht, psychische Erkrankung der Eltern,problematische Familienstrukturen, Erziehungsinkompetenz…..

2. Folgen fehlender Aktionsräume für Kinder und Jugendliche (Verhäuslichung, Verinselung)

3. Folgen eines unkontrollierten Medienkonsums und Nutzung bedenklicher Medienformate

4. Probleme der Kinder/Jugendlichen mit dem Bildungs- bzw. Schulsystem5. Overprotection

Folgen Folgen Je nach zugrunde liegender Ursache treten gesundheitliche Schädigungen vorwiegend im organmedizinischen Bereich

auf- z.B. Adipositas und Haltungsschädenoder betreffen primär das Sozialverhalten, die Emotionalität sowie die motorische, kognitive und sprachliche

Entwicklung.Häufig treten diese Störungen in Kombination auf!

Gemäß den Ergebnissen des Kinder- und Jugendsurveys gibt es

bei bis zu 20 % unserer Kinder und Jugendlichen Hinweise auf

psychische Auffälligkeiten (RKI, 2006).

FolgenFolgen1. Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten stellen in 5 – 6 %

den Vorstellungsanlass in kinder- und jugendärztlichen Praxen

dar (Jäger-Roman, 1999)

2. Somatoforme Störungen machen etwa 1,5 % der Vorstellungs-

anlässe aus (Jäger-Roman, 1999)

Insbesondere Entwicklungsverzögerungen und Teilleistungs-Störungen, emotionale Störungen sowie Störungen des Sozial-verhaltens bedeuten einen zunehmenden Aufwand an

Diagnostik,Beratung und Therapie. Der Anteil dieser „neuen Morbiditäten“hat in NRW zwischen 2005 und 2008 um 20 % zugenommen.(LIGA NRW, Juli 2010).

FaktenFakten

◦ 5 % - 7% der Kinder eines Jahrganges sind „behindert“(1/2 davon „wesentlich behindert“) und benötigen sonderpädagogische Förderung

◦ 7% - 10% der Kinder eines Jahrganges zeigen Lern- und Leistungsstörungen bei umschriebenen Entwicklungsstörungen

u.a. z.B. der Sprache und/oder AD(H)S

◦ weitere 5 -10 % der Kinder und Jugendlichen zeigen Leistungsstörungen aus anderen Gründen (Elterntrennung, psychische Erkrankung, ....)

Soziale Bedingungen kindlichenSoziale Bedingungen kindlichenAufwachsens heute Aufwachsens heute

1960 1 261 614……2001 734 4752002 719 2502003 706 7212004 705 6222005 685 7952006 672 724

Quelle: Statistisches Bundesamt

JJäährliche Geburtenrate in hrliche Geburtenrate in DeutschlandDeutschland

2009 651 000

Prognose für 2020: Rot zeigt steigende, blau fallende, grün stagnierende Einwohnerzahl Quelle: Spiegel-online 17 05 2010

Umwelt und LebensbedingungenUmwelt und Lebensbedingungen-- Die Situation in der Familie Die Situation in der Familie --

VerVeräänderte nderte FamilienstrukturenFamilienstrukturen

15 % der minderjährigen Kinder werden in einer Einelternfamilie groß.

Etwa 3 von 10 Minderjährigen leben in sog. Patchwork - Familien mit ganz speziellen Problemen.

40 % aller in Deutschland geschlossenen Ehen werden geschieden.

Fakten: 15-17% der Kinder fallen unter die Armutsgrenze, besonders Kinder von Eltern mit Migrationshintergrund und von Alleinerziehendenje dunkler die

Blaufärbung, desto größer die Kinderarmut (DPWV)

Familienarmut = Kinderarmut!Familienarmut = Kinderarmut!AdipositasAdipositas und Bewegungsmangund Bewegungsmang

AdipositasAdipositas und und BewegungsmangelBewegungsmangel

AdipositasAdipositas und und BewegungsmangelBewegungsmangel

AdipositasAdipositas und und BewegungsmangelBewegungsmangel

Kind heute und LifeKind heute und Life--Style Style ––Medienkonsum Medienkonsum

Kind heute und LifeKind heute und Life--Style Style ––Medienkonsum Medienkonsum

Kind heute und LifeKind heute und Life--Style Style ––Medienkonsum Medienkonsum

Kind heute und LifeKind heute und Life--Style Style ––Medienkonsum Medienkonsum

Quelle: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachen, 2008

Kind heute und LifeKind heute und Life--Style Style ––Medienkonsum Medienkonsum

vom 14. Juli 2010

HzEHzE –– BenchmarkingBenchmarking NRW 2009NRW 2009 StStöörungen schulischer rungen schulischer FertigkeitenFertigkeiten

Unangenehme Unangenehme FaktenFaktenIn der Deutschland ist der (Schul-)erfolg

oder auch die Notwendigkeit sonderpädagogischer Förderung mehr als in anderen Ländern Europas abhängig◦ vom sozialen Status◦ von den allgemeinen Förderbedingungen

in der Familie◦ von der gesundheitlichen Versorgung und◦ von der deutschen Muttersprache

n n ––Der SchlDer Schlüüssel zum ssel zum

Problem?!Problem?!

-Treten oftmals nicht isoliert, sondern in Kombination mit weiteren Entwicklungsauffälligkeiten auf.

- Besonders häufig treten kombinierte Entwicklungs- störungen bei Kindern mit Migrationshintergrund und niedrigem Sozialstatus auf.

EinschulungsuntersuchungEinschulungsuntersuchungErgebnisse Ergebnisse AachenAachen

2007, 2008, 20092007, 2008, 2009

010203040506070

2007Gesamt

2120Kinder

2008Gesamt

2050Kinder

2009Gesamt

2085Kinder

deutscheMuttersprachenicht deutscheMuttersprache

Quelle: Dr. G. Trost-Brinkhues, Kinder- und jugendärztlicher Dienst Aachen

Deutschkenntnisse der Kinder Deutschkenntnisse der Kinder mit Migrationshintergrundmit Migrationshintergrund

05

101520253035404550

unzureichendeDeutschkenntnisse

guteDeutschkenntnisse

keine oderradebrechendeDeutschkenntnisse

erhebliche Fehler,Probleme für dieSchule zu erwarten

wenige Fehler oderfehlerfrei /mehrsprachig

Quelle: Dr. G. Trost-Brinkhues, Kinder- und jugendärztlicher Dienst Aachen

Bewertung der Bewertung der gesamten Sprache gesamten Sprache

01020304050607080

o.B. bzw. nichtbehandlungsbedürftiger

Befund

A B

deutscheMuttersprache

nicht deutscheMuttersprache

Quelle: Dr. G. Trost-Brinkhues, Kinder- und jugendärztlicher Dienst Aachen

Bewertung der feinBewertung der fein-- und und visuomotorischenvisuomotorischen FFäähigkeitenhigkeiten

0102030405060708090

o.B. A B nichtbehandlungsbedürftiger,förderbedürftiger Befund

nicht deutscheMuttersprache,gute Kenntnisse

deutscheMuttersprache

nicht deutscheMuttersprache,schlechteKenntnisse

Quelle: Dr. G. Trost-Brinkhues, Kinder- und jugendärztlicher Dienst Aachen

Bewertung des Bewertung des FFöörderbedarfs frderbedarfs füür die Schuler die Schule

01020304050607080

schulfähig schulfähigmit

Förderbedarf

sonderpäd./integrativeFörderungempfohlen

deutscheMuttersprache

nicht deutscheMuttersprache

Quelle: Dr. G. Trost-Brinkhues, Kinder- und jugendärztlicher Dienst Aachen

EntwicklungsauffEntwicklungsauffäälligkeiten lligkeiten bei bei MigrantenkindernMigrantenkindern

Sonderpädagogische oder integrative Förderung in den Aachener Kindertagesstätten (3-6 Jahre) bei „behinderten“ oder „von Behinderung bedrohten“ Kindern:

ca. 60 % (statt der erwarteten 32%-33%) der Kinder haben einen Migrationshintergrund und keine deutsche Muttersprache

nur ca. 40 % der Kinder sind deutscher Muttersprache

Quelle: Dr. G. Trost-Brinkhues, Kinder- und jugendärztlicher Dienst Aachen

Von den zurzeit rund drei Millionen bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Arbeitslosen haben 472.400 (=15,7%) keinen Schulabschluss, viele von ihnen sind Langzeitarbeitslose.

SchulabbrecherquoteSchulabbrecherquoteJahr %

2001 9,7 2006 7,92008 7,0

Quelle: dpa-Dossier Kulturpolitik 47/16.11.2009

Schuljahr Schüler gesamt Abbbrechergesamt

(Migranten)

[%] BevölkerungMigranten/Deut-

sche(6 – 15 Jahre)

[%] Abbrecher Migranten

2005/2006 34.276 3.390 (9,9%)(1.033)

16 30,4

2006/2007 34.140 3.295 (9,7%)(917)

16 27,8

Berliner Schülerjahrgang 2005 -2007 (Abbrecher) Anteil Migranten

StStöörungen des rungen des SozialverhaltensSozialverhaltens

Kontext Entwicklung und Kontext Entwicklung und VerhaltenVerhalten

http://www.praeventionstag.de/Dokumentation.cms/188 (Remschmidt)

Folgen fFolgen füür die Kinder und r die Kinder und JugendlichenJugendlichen

Die neuen Morbiditäten bedeuten eine erhebliche Erschwernisfür den weiteren Lebensweg der Betroffenen. Sie sind oftmalsmitentscheidend für die schulische, berufliche und ganz

allgemeinsoziale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen.

Das bedeutet:Es besteht eine Indikation zum Handeln. Aber - besteht auch injedem Fall eine Notwendigkeit für medizinische Behandlung?Kann der Kinder- und Jugendarzt überhaupt zur Problemlösung beitragen?????

Teilnahmeraten an den U-Untersuchungen in Bayern

Quelle: Ausgewählte Ergebnisse zur Schuleingangsuntersuchung 2004 bis 2007; Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit 2010

Inanspruchnahme der Früherkennungsuntersuchung J1 nach Sozial- und Migrationsstatus sowie nach Region

J1 (11. – 15. Lebensjahr) Anteile (%)

Jungen 36,6 %Mädchen 39,2 %Niedriger Sozialstatus 35,5 %Mittlerer Sozialstatus 39,3 %Hoher Sozialstatus 38,3 %Migrant 25,6 %Nicht-Migrant 39,6 %Ost 38,6 %West 37,7 %Gesamt 37,9 %

Signifikante Unterschiede hinsichtlich Migrationsstatussind in der Tabelle hervorgehoben

Quelle: Robert Koch-Institut, KiGGS, Selbstangaben

Folgen fFolgen füür den Kinderr den Kinder-- und und JugendarztJugendarzt

Gefahr einer Verlagerung gesellschaftlich bedingter Entwicklungs-

probleme ausschließlich in den Gesundheitsbereich.

Probleme:1. Ein falscher Lösungsansatz führt zu keiner Problemlösung

2. Wirtschaftlichkeit der Arztpraxis gerät durch Regressforde-rungen der Prüfgremien in Gefahr.

3. Gefahr einer Stigmatisierung durch Pathologisierung.

Anteil Verordnungen [%]

Physiotherapie 77,2

Gesundheitswesen Gesamtausgaben 154 Mrd. €

Heil-/Hilfsmittel 5,8 %

Ergotherapie 13,6

Logopädie 9,3 294,91

292,42

Kosten (Mio €)

84,87

Waltersacker, WIDO, 2008

Folgen fFolgen füür den Kinderr den Kinder-- und und JugendarztJugendarzt

1. Falsche Erwartungshaltung der Patienten bzw. ihrer Bezugspersonen führen zu Konflikten und belasten das Arzt-Patienten-Verhältnis.

2. Erforderliche Alternativen zur Verordnung von Heilmitteln sind oftmals nicht zeitnah und passgenau verfügbar.

3. Kooperative Strukturen stecken vielerorts noch in den Kinderschuhen.

Weitere PunkteWeitere Punkte1. Einschulung mit 52. Offener Ganztag3. Exclusion vs. Inclusion