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Dipl.-Ing. Markus Müller ist Director Operations und Partner bei KUGLER MAAG CIE GmbH und verantwortlich für den operativen Betrieb. Er berät seit vielen Jahren namhafte Unternehmen sehr erfolg- reich in Prozessverbesserung und agiler Entwicklung, überwiegend in der Automobilindustrie. Markus Müller ist auch »Project Management Professional« entsprechend der Zertifizierung PMI sowie Scrum Master und SAFe Program Consultant (Scaled Agile Framework). Außerdem ist er intacs TM ISO/IEC 15504 Principal Assessor, bildet seit vielen Jahren Assessoren aus und leitet seit fast 20 Jahren Assessments. Neben vie- len Assessments hat er das bis dato größte bekannte Organisations- assessment nach Automotive SPICE durchgeführt. Zudem ist er Co-Autor mehrerer Bücher und Vortragender auf Konferenzen und Veranstaltungen. Dr. Klaus Hörmann ist Principal und Partner bei KUGLER MAAG CIE GmbH und seit vielen Jahren schwerpunktmäßig in der Automobilin- dustrie tätig. Er leitet Verbesserungsprojekte und führt Assessments, Appraisals, CMMI-, Automotive SPICE- und Projektmanagement-Trai- nings sowie Assessoren-Trainings und -Coaching durch. Dr. Klaus Hörmann ist intacs TM -zertifizierter Principal Assessor, intacs TM -zertifi- zierter Instructor (Competent Level), Scrum Master, CMMI Institute- zertifizierter SCAMPI Lead Appraiser und CMMI Instructor. Er ist ehrenamtlich bei intacs tätig und leitet die Arbeitsgruppe »Exams« und ist (Co-)Autor mehrerer Fachbücher. Dipl.-Ing. Lars Dittmann ist bei der Volkswagen AG Marke VW PKW für den Betrieb und fachlichen Support der mobilen Aftersales Online- dienste verantwortlich. Er baute u.a. das Software-Assessment- system des Konzerns auf und leitete die Software-Qualitätssicherung des Konzerns. Mit seiner jahrelangen Erfahrung als intacs TM ISO/IEC 15504 Principal Assessor beteiligt er sich aktiv an der Erweiterung der SPICE-Methodik auf neue Domains. Dipl.-Inform. Jörg Zimmer ist seit vielen Jahren bei der Daimler AG tätig. Dort leitete er übergreifende Software-Qualitätsprojekte und interne Prozessverbesserungsprojekte. Er war Mitglied des VDA- Arbeitskreises 13 sowie Sprecher der HIS-Arbeitsgruppe Prozess- assessment. Er ist Mitbegründer des Software-Qualitätsmanagement- systems des Konzerns und im Rahmen der aktiven Mitgliedschaft der AUTOSIG-Gruppe mitverantwortlich für die initiale Erstellung von Automotive SPICE. Aktuell ist er in der Powertrain-Entwicklung für den Inhouse-Softwareentwicklungsprozess verantwortlich. Er ist intacs TM ISO/IEC 15504 Principal Assessor. Zu diesem Buch – sowie zu vielen weiteren dpunkt.büchern – können Sie auch das entsprechende E-Book im PDF-Format herunterladen. Werden Sie dazu einfach Mitglied bei dpunkt.plus + : www.dpunkt.de/plus Markus Müller / Klaus Hörmann / Lars Dittmann / Jörg Zimmer, Automotive SPICE® in der Praxis, dpunkt.verlag, ISBN 978-3-86 D3kjd3Di38lk323nnm

Dipl.-Ing. Markus Müller · PDF fileüblich, von Lieferanten einen bestimmten CMMI- oder Automotive SPICE-Level zu verlangen, bevor ein Angebot akzeptiert wird. In der Automobilindustrie

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Dipl.-Ing. Markus Müller ist Director Operations und Partner beiKUGLER MAAG CIE GmbH und verantwortlich für den operativenBetrieb. Er berät seit vielen Jahren namhafte Unternehmen sehr erfolg-reich in Prozessverbesserung und agiler Entwicklung, überwiegend inder Automobilindustrie. Markus Müller ist auch »Project ManagementProfessional« entsprechend der Zertifizierung PMI sowie Scrum Masterund SAFe Program Consultant (Scaled Agile Framework). Außerdem ister intacsTM ISO/IEC 15504 Principal Assessor, bildet seit vielen JahrenAssessoren aus und leitet seit fast 20 Jahren Assessments. Neben vie-len Assessments hat er das bis dato größte bekannte Organisations-assessment nach Automotive SPICE durchgeführt. Zudem ist erCo-Autor mehrerer Bücher und Vortragender auf Konferenzen undVeranstaltungen.

Dr. Klaus Hörmann ist Principal und Partner bei KUGLER MAAG CIEGmbH und seit vielen Jahren schwerpunktmäßig in der Automobilin-dustrie tätig. Er leitet Verbesserungsprojekte und führt Assessments,Appraisals, CMMI-, Automotive SPICE- und Projektmanagement-Trai-nings sowie Assessoren-Trainings und -Coaching durch. Dr. KlausHörmann ist intacsTM-zertifizierter Principal Assessor, intacsTM-zertifi-zierter Instructor (Competent Level), Scrum Master, CMMI Institute-zertifizierter SCAMPI Lead Appraiser und CMMI Instructor. Er istehrenamtlich bei intacs tätig und leitet die Arbeitsgruppe »Exams«und ist (Co-)Autor mehrerer Fachbücher.

Dipl.-Ing. Lars Dittmann ist bei der Volkswagen AG Marke VW PKWfür den Betrieb und fachlichen Support der mobilen Aftersales Online-dienste verantwortlich. Er baute u.a. das Software-Assessment-system des Konzerns auf und leitete die Software-Qualitätssicherungdes Konzerns. Mit seiner jahrelangen Erfahrung als intacsTM ISO/IEC15504 Principal Assessor beteiligt er sich aktiv an der Erweiterung derSPICE-Methodik auf neue Domains.

Dipl.-Inform. Jörg Zimmer ist seit vielen Jahren bei der Daimler AGtätig. Dort leitete er übergreifende Software-Qualitätsprojekte undinterne Prozessverbesserungsprojekte. Er war Mitglied des VDA-Arbeitskreises 13 sowie Sprecher der HIS-Arbeitsgruppe Prozess-assessment. Er ist Mitbegründer des Software-Qualitätsmanagement-systems des Konzerns und im Rahmen der aktiven Mitgliedschaft derAUTOSIG-Gruppe mitverantwortlich für die initiale Erstellung vonAutomotive SPICE. Aktuell ist er in der Powertrain-Entwicklung für denInhouse-Softwareentwicklungsprozess verantwortlich. Er ist intacsTM

ISO/IEC 15504 Principal Assessor.

Zu diesem Buch – sowie zu vielen weiteren dpunkt.büchern – können Sie auch das entsprechende E-Book im PDF-Format herunterladen. Werden Sie dazu einfach Mitglied bei dpunkt.plus+:

www.dpunkt.de/plus

Markus Müller / Klaus Hörmann / Lars Dittmann / Jörg Zimmer, Automotive SPICE® in der Praxis, dpunkt.verlag, ISBN 978-3-86490-326-7

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Markus Müller · Klaus Hörmann · Lars Dittmann · Jörg Zimmer

Automotive SPICE®in der Praxis

Interpretationshilfe für Anwender und Assessoren

2., aktualisierte und erweiterte Auflage

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Markus Müller – [email protected] Hörmann – [email protected] Dittmann – [email protected]örg Zimmer – [email protected]

Lektorat: Christa PreisendanzCopy-Editing: Ursula Zimpfer, HerrenbergSatz: Birgit BäuerleinHerstellung: Susanne Bröckelmann Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de Druck und Bindung: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:Print 978-3-86490-326-7PDF 978-3-86491-998-5ePub 978-3-86491-999-2mobi 978-3-96088-000-4

2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2016Copyright © 2016 dpunkt.verlag GmbHWieblinger Weg 1769123 Heidelberg

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.Es wird darauf hingewiesen, dass die im Buch verwendeten Soft- und Hardware-Bezeichnungen sowie Markennamen und Produktbezeichnungen der jeweiligen Firmen im Allgemeinen warenzeichen-, marken- oder patentrechtlichem Schutz unterliegen.Alle Angaben und Programme in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt kontrolliert. Weder Autor noch Verlag können jedoch für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Buches stehen. 5 4 3 2 1 0

Fachliche Beratung und Herausgabe von dpunkt.büchern im Bereich Wirtschaftsinformatik:Prof. Dr. Heidi Heilmann · [email protected]

Automotive SPICE® ist ein eingetragenes Warenzeichen des Verbands der Automobilindustrie e.V. (VDA). Für weitere Informationen über Automotive SPICE® siehe www.automotivespice.com.

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v

Geleitwort

Ein Blick auf die Entwicklung des Automobils über die letzten Dekaden zeigt deutlich: Fahrzeuginnovationen, wie vernetzte Infotainmentsysteme, Head-up-Displays, bidirektionale Funkschlüssel, Hybridantriebe oder Fahrerassistenzsys-teme, wären ohne Software nicht denkbar. In modernen Oberklassefahrzeugen tauschen heute bis zu 100 Steuergeräte Daten aus und insgesamt sorgen bis zu 100 Millionen Programmzeilen dafür, dass Fahrer und Passagiere sicher, effizient und komfortabel ans Ziel gelangen. Zum Vergleich, ein F35-Kampfjet aus dem Jahr 2013 kam noch mit etwa 25 Millionen Programmzeilen aus und das Space Shuttle flog nur mit etwa 400.000 Zeilen ins All.

Im Fahrzeug ist allein zwischen den Jahren 2000 und 2010 der Wertschöp-fungsanteil von Software von etwa 2 auf 13 % gestiegen und die Tendenz zeigt klar weiter nach oben. Blickt man auf die Trends, die die Automobilindustrie bewegen, so bestätigt sich diese Annahme. Automatisiertes Fahren, Hybridisie-rung und Elektrifizierung, Vernetzung mit dem Internet of Everything: All diese Themen werden maßgeblich durch schlaue Algorithmen durch Bits und Bytes und letztlich durch Einsen und Nullen vorangetrieben. In der Tat sind Elektronik und Software bereits heute Basis für über 90 % der Fahrzeuginnovationen. Bei der immens steigenden Bedeutung softwarebasierter Funktionen darf allerdings gerade die Automobilindustrie die grundlegenden Anforderungen nicht außer Acht lassen. Der Fahrer eines Fahrzeugs bewegt sich in einem sicherheitskriti-schen Umfeld. Er will zuverlässig von der Fahrzeugelektronik unterstützt werden, und das nicht nur heute und morgen, sondern über die gesamte Lebensdauer sei-nes Fahrzeugs hinweg. Die Toleranz für Softwarefehler ist deshalb im Fahrzeug nur äußerst gering.

Es gehört zum Handwerkszeug der Automobilindustrie, Elektronik und Soft-ware zu beherrschbaren Kosten, innerhalb eines vorgegebenen Terminplans und mit höchster Qualität zu entwickeln. Bei Continental arbeiten daran schon heute etwa 11.000 Mitarbeiter im Bereich Software – gut die Hälfte des gesamten For-schungs- und Entwicklungspersonals. Dabei hat sich deutlich herauskristallisiert, dass nachhaltig implementierte Prozesse in Entwicklung, aber auch Produktion eine immens positive Wirkung auf die Produktqualität haben können.

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Geleitwortvi

Mit dem Start des SPICE-Projekts im Jahr 1992, der Einführung des Interna-tionalen Standards ISO/IEC 15504 [ISO/IEC 15504] und der Veröffentlichung von Automotive SPICE wurde ein Weg gefunden, Softwareentwicklungsprozesse transparent zu bewerten. In der Praxis wurde dadurch die Transparenz in Ent-wicklungsprojekten deutlich erhöht. Automotive SPICE hat zudem das Bewusst-sein dafür geschärft, welche Bereiche bei komplexen Softwareentwicklungen von Bedeutung sind. Damit ist Automotive SPICE zum Synonym für Entwicklungs-qualität geworden.

Der Blick nach vorne zeigt deutlich, dass softwarebasierte Funktionen im Fahr-zeug komplexer werden. Dabei steigt jedoch gleichzeitig der Qualitäts- und Pro-duktivitätsdruck. Mit dieser Entwicklung geht ein Wandel von wasserfallartigen Entwicklungsprozessen hin zu agilen Prozessen (wie Scrum) einher. Da Automo-tive SPICE genügend Freiräume für unternehmensspezifische Prozessgestaltungen lässt, kann es auch in Zukunft die Basis für Qualität in der Softwareentwicklung bilden. Dafür wird es jedoch essenziell, den agilen Entwicklungsmethoden in der Bewertungspraxis Rechnung zu tragen.

Das vorliegende Buch »Automotive SPICE in der Praxis« gibt die notwendi-gen Interpretationshilfen und unterstützt den Leser dabei, die Anforderungen der neuesten Version von Automotive SPICE im Kontext der jeweiligen Situation bes-ser zu verstehen. Es liefert konkrete Beispiele aus der Entwicklung von soft-warebestimmten Systemen. Aktuelle Trends bei der Weiterentwicklung der Norm wurden entsprechend berücksichtigt. Auch gehen die Autoren auf spannende Themen wie Automotive SPICE und funktionale Sicherheit bzw. das Zusammen-spiel mit agilen Methoden ein. Die Autoren sind anerkannte Experten mit jahre-langem umfangreichem Erfahrungswissen, erworben in Hunderten von Assess-ments im Feld, und haben zahlreiche Unternehmen bei der Umsetzung von Verbesserungsprogrammen unterstützt. Ich bin zuversichtlich, dass dieses Buch das Verständnis für die Bewertung des Reifegrades der Softwareentwicklung wei-ter fördert, hilfreich ist für die Durchführung von Assessments, und die notwen-digen Prozessverbesserungen in den Unternehmen systematisch unterstützt.

Helmut MatschiVorstandsmitglied von Continental und�Leiter der Division Interior

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1 Einführung und Überblick

Dieses Kapitel besteht aus fünf Teilen: In Abschnitt 1.1 beschäftigen wir uns mit der Frage, warum Automotive SPICE und weitere Modelle mit steigender Ten-denz eingesetzt werden. In Abschnitt 1.2 geben wir einen kurzen Überblick über die in der Automobilentwicklung relevanten Modelle, deren Historie und die sich abzeichnenden Tendenzen. Abschnitt 1.3 beschreibt intacs, das in der Automobil-industrie etablierte und offiziell anerkannte Ausbildungssystem. Abschnitt 1.4erläutert die wesentlichen Strukturen von Automotive SPICE, soweit sie für das Verständnis der restlichen Kapitel notwendig sind. Abschnitt 1.5 widmet sich den Umsetzungsaspekten in Form von Tipps für eine nachhaltige Prozessverbesse-rung.

1.1 Einführung in die Thematik

In der globalisierten Weltwirtschaft werden Produkte und Dienstleistungen kaum noch von einzelnen Unternehmen isoliert entwickelt. Unternehmen sind zuneh-mend gezwungen, ihre Entwicklung in einem Netz von weltweiten Entwicklungs-standorten, Lieferanten und gleichberechtigten Partnern durchzuführen. Der entscheidende Treiber hierfür ist der stetig steigende Kostendruck, der die Unter-nehmen zur Entwicklung an Niedrigkostenstandorten und zu strategischen Part-nerschaften zwingt. Da gleichzeitig die Produkte immer komplexer und anspruchs-voller werden und sich die Entwicklungszeiten verkürzen, haben sich zwei kritische Themen herauskristallisiert:

■ Wie können die komplexen Kooperationen und Wertschöpfungsketten be-herrscht werden?

■ Wie können unter diesen Umständen Qualität, Kosten- und Termineinhaltung sichergestellt werden?

Dies ist für viele Unternehmen zur existenziellen Herausforderung geworden, mit unmittelbarer Auswirkung auf Markterfolg und Wachstum. Ein entscheidender Erfolgsfaktor bei diesen Fragen sind systematische und beherrschte Prozesse, ins-besondere für Management, Entwicklung, Qualitätssicherung, Einkauf und für

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1 Einführung und Überblick2

die Kooperation mit externen Partnern. Die Methodik der »Reifegradmodelle« bietet sich geradezu an, um dieser Probleme Herr zu werden.

Reifegradmodelle wie Automotive SPICE und CMMI werden schon seit vie-len Jahren erfolgreich zu diesem Zweck eingesetzt. Historisch begann es mit CMM und dessen Nachfolger CMMI, mit denen enormen Qualitäts-, Kosten- und Zeitproblemen entgegengewirkt wurde. Es ist bei vielen Auftraggebern üblich, von Lieferanten einen bestimmten CMMI- oder Automotive SPICE-Level zu verlangen, bevor ein Angebot akzeptiert wird. In der Automobilindustrie wol-len die Hersteller damit das Risiko hinsichtlich Qualität, Zeit und Funktionsum-fang in den Lieferantenprojekten reduzieren.

1.2 Überblick über die in der Automobilentwicklung relevanten Modelle

Das erste Reifegradmodell, das weite Verbreitung fand, war Anfang der 90er-Jahre CMM (siehe [CMM 1993a], [CMM 1993b]). In der Automobilindustrie hat CMM nie eine nennenswerte Rolle gespielt, auch wenn ein Automobilherstel-ler damit für kurze Zeit Ansätze zur Lieferantenbeurteilung erprobte. Das SPICE-kompatible BOOTSTRAP wurde bei wenigen Pionieren unter den Automobilzu-lieferern eingesetzt, konnte sich aber gegenüber SPICE nie durchsetzen und wurde 2003 eingestellt.

SPICE1 (siehe [Hörmann et al. 2006]) entstand aus einem gleichnamigen Pro-jekt der ISO2 und wurde 1998 als ISO/IEC TR 15504 veröffentlicht, wobei TR (Technical Report) eine Vorstufe zu einem späteren International Standard (IS) darstellt. Die verschiedenen Teile des International Standard ISO/IEC 15504 erschienen sukzessive ab 2003. 2006 erschien der für die Praxis wichtigste Teil 5, der 2012 eine neue Version erhielt. 2008 erschien der Teil 7 (»Assessment of organizational maturity«), der normative Grundlagen von Organisationsassess-ments definierte. Im Gegensatz zu den sonst üblichen Projektassessments kann hier die Reife einer Organisation anhand einer größeren Zahl von Untersu-chungsstichproben beurteilt werden. Bisher wurden auf dieser Grundlage erfolg-reich einige Pilotassessments durchgeführt. In der Breite hat sich diese Methodik noch nicht durchgesetzt. Wir gehen darauf in Abschnitt 4.4 näher ein.

Die ISO/IEC 15504 wird seit 2015 sukzessive in die ISO/IEC-33000-Familie [ISO/IEC 33000] überführt. Die folgenden Normen sind die Basisnormen, auf die das Automotive SPICE-Modell aufsetzt:

■ ISO/IEC 33001 Concepts & Terminology■ ISO/IEC 33002 Requirements for Performing Process Assessment■ ISO/IEC 33003 Requirements for Process Measurement Frameworks

1. Das Akronym SPICE steht für Software Process Improvement and Capability DEtermination.2. International Organization for Standardization.

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31.3 intacsTM (International Assessor Certification Scheme)

■ ISO/IEC 33004 Requirements for Process Models■ ISO/IEC 33020 Measurement Framework for assessment of process capabi-

lity and organizational maturity

Der Durchbruch zum Einsatz von Reifegradmodellen in der Automobilindustrie geschah 2001 durch die Entscheidung der Herstellerinitiative Software (HIS)3, SPICE zur Lieferantenbeurteilung im Software- und Elektronikbereich einzuset-zen. Ab diesem Zeitpunkt verbreitete sich SPICE flächendeckend in der Automo-bilindustrie. Einer der großen Vorzüge von SPICE ist, unter einem gemeinsamen normativen Framework branchenspezifische Modelle entwickeln zu können. Davon machte u. a. die Automobilindustrie Gebrauch: 2005 veröffentlichte die Automotive Special Interest Group (AUTOSIG) das Automotive SPICE-Modell (siehe [Automotive SPICE]) und löste damit SPICE ab. Automotive SPICE wird heute durch den VDA-Arbeitskreis 134 weiterentwickelt. Nach einigen Jahren der Versionspflege erschien 2015 die Version 3.0, die neben inhaltlichen Weiterent-wicklungen auch einige strukturelle Änderungen mit sich brachte.

Die Lieferanten müssen neben Automotive SPICE insbesondere die Forderun-gen nach funktionaler Sicherheit von elektrisch-elektronischen Systemen in Pkws erfüllen. 2011 erschien die ISO 26262 (»Road vehicles – Functional safety«) [ISO 26262] und löste eine neue Umsetzungswelle in der Automobilindustrie aus. Das Verhältnis der beiden Modelle kann man etwa wie folgt zusammenfassen: Beide Modell besitzen Anforderungen an Prozesse, die sich teilweise überlappen, aber auch teilweise unterschiedlich sind. Dabei wirkt Automotive SPICE (ab Level 2, besser noch ab Level 3) sehr förderlich für die Umsetzung von funktionaler Sicherheit (für Details siehe Kap. 5).

1.3 intacsTM (International Assessor Certification Scheme)

intacs ist das weltweit führende Ausbildungs- und Zertifizierungssystem für ISO/IEC-33000-konforme Modelle und ist auch in der Automobilindustrie als Ausbildungssystem etabliert und offiziell anerkannt5. intacs hat in den letzten zwölf Jahren eine weltweite Community aufgebaut, die Prozessassessments, basierend auf der ISO/IEC-15504- bzw. ISO/IEC-33000-Familie, unterstützt. Es wurde 2006 gegründet und verzeichnet derzeit über 30 Mitgliedsorganisationen, darunter Automobilhersteller und -zulieferer, Trainings- und Beratungsunterneh-

3. HIS – ehemalige Initiative der Hersteller Audi, BMW, Daimler, Porsche und Volkswagen für nicht wettbewerbsrelevante Produkte und Prozesse, in der bis 2015 zusammengearbeitet wurde, um gemeinsame Standards in verschiedenen Themen wie z.B. Prozessassessments zu etablieren.

4. In diesem Arbeitskreis sind Vertreter von folgenden Organisationen aktiv: BMW, Bosch, Brose, Continental, Daimler, Ford, Knorr Bremse, Kugler Maag Cie, Schäffler, VDA QMC, Volkswa-gen, ZF.

5. intacs ist von der Herstellerinitiative Software (HIS) und vom Arbeitskreis 13 des VDA (zustän-dig für die Festlegung von Anforderungen an Prozessbewertungen auf Basis von Automotive SPICE) anerkannt.

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1 Einführung und Überblick4

men sowie Vertreter aus der Forschung. Die Organisation ist nicht gewinnorien-tiert und arbeitet ausschließlich mit ehrenamtlichen Mitarbeitern, die ohne Aus-nahme sehr erfahrene Assessoren sind.

Abb. 1–1 Die intacs-Assessoren- und -Instruktorenstufen

intacs hat ein Ausbildungssystem aufgebaut, das weltweit anerkannt und verwen-det wird. Dabei werden drei Assessorenstufen und zwei Instruktorenstufen unter-schieden (siehe Abb. 1–1). Die unteren beiden Assessorenstufen werden nur für einzelne Prozessassessmentmodelle zertifiziert (»PAM-specific certification«), die Principal Assessoren sind für alle PAMs zugelassen. Für alle Stufen gibt es Lehr- und Prüfungspläne sowie standardisierte Trainingsmaterialien. Diese werden von denjenigen intacs-Mitgliedsorganisationen verwendet, die auch als Trainingsan-bieter tätig sind. Nicht-intacs-Trainingsanbieter können ihre Trainingsmateria-lien von intacs auf Konformität mit den Lehrplänen validieren lassen.

Das Grundprinzip des intacs-Ausbildungssystems ist die organisatorische Trennung der Definition des Ausbildungssystems von der Zertifizierung (inklusivePrüfung) der Assessoren und der Durchführung der Trainings (siehe Abb. 1–2). In der Automobilindustrie ist der VDA QMC der maßgebliche »Certification Body«, für alle anderen Modelle ist die ECQA zuständig.

intacsTM Provisional Assessor(PAM-specific certification)

intacsTM Principal Assessor(PAM-independent certification)

intacsTM Competent Assessor(PAM-specific certification)

intacsTM InstructorProvisional Level

(PAM-independent certification)

intacsTM InstructorCompetent Level

(PAM-independent certification)

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51.3 intacsTM (International Assessor Certification Scheme)

Abb. 1–2 Organisatorische Trennung der Definition des Ausbildungssystems von der Zertifizierung (inkl. Prüfung) der Assessoren und der Durchführung der Trainings

Seit der Gründung wurden weltweit ca. 3.300 Prüfungen durch die Zertifizie-rungsorganisationen durchgeführt. Zum Beispiel kann sich eine Person nach Absolvierung des intacsTM Provisional Assessor Training für Automotive SPICE und nach bestandener Prüfung bei der zuständigen Zertifizierungsorganisation (VDA QMC) gegen Zahlung einer Gebühr für drei Jahre registrieren lassen. Sie erhält dadurch den Status »intacsTM Provisional Assessor (Automotive SPICE)« sowie eine »Authorisation Card« mit aufgedruckter Zertifizierungsnummer. Die-ser Status ist in der Automobilindustrie der Qualifikationsnachweis schlechthin für Automotive SPICE. Man kann danach als Co-Assessor an offiziellen, intacs-anerkannten Assessments teilnehmen und, wenn man genügend Erfahrung gesam-melt hat, das intacsTM Competent Assessor Training für Automotive SPICE besu-chen und die Prüfung ablegen. Zusätzlich zu diesem Training (davor oder danach) durchlaufen Provisional Assessoren in der Regel mehrere Ausbildungsassess-ments, in denen sie schrittweise die Aufgaben eines Lead Assessors wahrnehmen und dabei von einem erfahrenen Assessor6 gecoacht und beobachtet werden. Der beobachtende Assessor füllt einen detaillierten »Observation Report« aus mit Bewertungen und detaillierten Befunden in mehreren Kategorien, die alle erforder-lichen Fähigkeiten eines Lead Assessors abdecken. Ist die Competent-Assessor-Prüfung bestanden und ist die Observation positiv verlaufen, kann sich der Kandi-dat beim VDA QMC als »intacsTM Competent Assessor (Automotive SPICE)« registrieren lassen.

6. Dieser muss mindestens Competent Assessor sein. Eine organisatorische Unabhängigkeit von dem Kandidaten ist nicht erforderlich.

Trainingsanbieter

Certification Body:VDA QMC

ECQA

intacsTM

definiert Kriterien fürAssessoren- und

Instruktorenstufenzertifizieren

definiert Lehrpläne,validiert

Trainingsunterlagenbilden aus

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1 Einführung und Überblick6

Ende 2015 waren weltweit ca. 1.250 Assessoren bei den Zertifizierungsorga-nisationen registriert, darunter ca. 1.105 Provisional Assessoren, ca. 100 Compe-tent Assessoren und ca. 45 Principal Assessoren.

Weitere wichtige Aufgaben von intacs sind:

■ Die Förderung der Entwicklung und Erprobung von neuen Prozessassess-mentmodellen (PAMs). In den letzten Jahren wurden mit Unterstützung von intacs z. B. das TestSPICE PAM und das ISO/IEC 20000 PAM entwickelt und in das Ausbildungssystem integriert. Das Gleiche gilt für neue PAM-Versio-nen wie z. B. die Transition von Automotive SPICE v2.5 zu v3.0.

■ Die Förderung der Interaktion in der Community der Assessoren, Instrukto-ren und Anwender der von intacs betreuten Modelle. Hierzu gehören sowohl intacs-interne Arbeitskreise als auch öffentliche Veranstaltungen (in Deutsch-land »Gate4SPICE« genannt), in denen sich Unternehmen treffen und Erfah-rungen und Neuigkeiten austauschen.

■ Eine Plattform für Arbeitsgruppen und Interessierte rund um das Thema SPICE zu bieten. Aus dem Bedarf der Mitglieder haben sich hier mehrere inte-ressante Arbeitsgruppen gebildet, zum Beispiel zu Themen wie Mechanik- und Mechatronik-SPICE und die Arbeitsgruppe »Trustworthy Assessments«, die sich mit komplexen Assessments und Organisationsassessments beschäf-tigt. Eine weitere wichtige Arbeitsgruppe ist die Gruppe »Internationalisie-rung«, die die weltweite Verbreitung von intacs vorantreibt. In Japan gibt es z. B. eine weitere sehr große Community mit Fokus auf die Automobil- und die Luft- und Raumfahrtindustrie. Ableger von Gate4SPICE gibt es in Indien und Italien. Weitere Länder wie Korea sind Stand 2016 auf dem Sprung, und in vielen Ländern gibt es »Regional Representatives« von intacs.

1.4 Automotive SPICE: Struktur und Bestandteile

Automotive SPICE besteht aus einem Prozessreferenzmodell (PRM) und einem Prozessassessmentmodell (PAM), die in einem gemeinsamen Dokument enthalten sind und sich durch Farbcodes unterscheiden. Für die praktische Anwendung ist die Kenntnis des Prozessassessmentmodells7 relevant und ausreichend, auf das wir uns daher im Folgenden beschränken.8

Das Prozessassessmentmodell enthält die Details zur Bewertung der Prozess-reife (sog. Indikatoren) und ist in zwei Dimensionen organisiert:

7. Seit Automotive SPICE 3.0 sind PRM und PAM in einem Dokument zusammengefasst und durch Farbcodes abgegrenzt.

8. Siehe [Hörmann et al. 2006] für eine ausführliche Darstellung der Zusammenhänge.

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71.4 Automotive SPICE: Struktur und Bestandteile

■ Prozessdimension�Diese enthält für alle Prozesse die Indikatoren für die Prozessdurchführung (»process performance indicators«). Mit diesen wird beurteilt, inwieweit die Prozesse durchgeführt werden. Diese Indikatoren sind für jeden Prozess ver-schieden und bilden eine wichtige Voraussetzung zur Erreichung von Level 1.

■ Reifegraddimension�Diese enthält die Indikatoren für die Prozessfähigkeit (»process capability indicators«). Mit diesen wird beurteilt, welcher Level erreicht wird. Diese Indikatoren sind für alle Prozesse gleich.

Abbildung 1–3 zeigt die zwei Dimensionen des Prozessassessmentmodells sowie dessen Quellen: Die Reifegraddimension (y-Achse) basiert auf den Vorgaben der ISO/IEC 33020 und fügt dieser die Indikatoren für die Prozessfähigkeit hinzu. Die Prozessdimension basiert auf dem Automotive SPICE-Prozessreferenzmodell und fügt diesem die Indikatoren für die Prozessdurchführung hinzu.

Abb. 1–3 Die zwei Dimensionen von Automotive SPICE (in Anlehnung an Figure 1 und Figure 3 in [Automotive SPICE])

... Prozessn

Prozessassessmentmodell(Automotive SPICE)

CL 1

CL 2

CL 3

CL 4

CL 5

PA 1.1

PA 2.1PA 2.2

PA 3.1PA 3.2

PA 4.1PA 4.2

PA 5.1PA 5.2

MeasurementFramework(ISO/IEC 33020)! Reifegrade (CL)! Prozess- attribute (PA)! Bewertungs- verfahren

Prozessreferenzmodell(Automotive SPICE)! Prozesszweck! Prozessergebnisse

Indikatorender Reifegrad-dimension:generischePraktiken,generischeRessourcen

Indikatoren der Prozessdimension:Basispraktiken, Arbeitsprodukte,Arbeitsproduktcharakteristiken

Prozess1

Prozess2

Prozess3

Markus Müller / Klaus Hörmann / Lars Dittmann / Jörg Zimmer, Automotive SPICE® in der Praxis, dpunkt.verlag, ISBN 978-3-86490-326-7

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1 Einführung und Überblick8

1.4.1 Die Prozessdimension

Die in Automotive SPICE verwendeten Prozesse sind in Abbildung 2–1 dargestellt. Jeder Prozess hat den in Abbildung 1–4 gezeigten Aufbau. Basispraktiken sind modellhafte Aktivitäten9, durch deren Umsetzung die Prozessergebnisse (»process outcomes«) erzielt werden sollen. Die Prozessergebnisse sind eine Detaillierung des Prozesszweckes (»process purpose«), sie spezifizieren, was durch den Prozess erreicht werden soll. Arbeitsprodukte10 (»output work products«) sind modell-hafte, typische Ergebnisse eines Prozesses. Zusammen mit den Basispraktiken stel-len sie objektive Nachweise für die Erfüllung des Zweckes des Prozesses dar. Sie werden daher als Indikatoren für die Prozessdurchführung (»process performance indicators«) bezeichnet und sind die Kriterien für die Erreichung von Level 1.

Abb. 1–4 Aufbau eines Prozesses in Automotive SPICE

9. Alle Automotive SPICE-Modellelemente sind modellhaft, d. h., sie müssen nicht wörtlich umge-setzt werden, sondern sinngemäß. Sie sind sozusagen Anforderungen an die Unternehmenspro-zesse. Die Unternehmensprozesse können auch anders benannt und strukturiert werden.

10. Zu den Arbeitsprodukten gibt es im PAM, Annex B Erläuterungen, die »Work product charac-teristics«.

Arbeitsprodukte

Basispraktiken

Prozessergebnisse

Zweck

Prozessbezeichnung

Prozess-ID

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91.4 Automotive SPICE: Struktur und Bestandteile

1.4.2 Die Reifegraddimension

Automotive SPICE verwendet sechs Levels für Prozesse (siehe Abb. 1–5). Die Levels bauen aufeinander auf. Jede höhere Stufe beinhaltet die Anforderungen der darunterliegenden Stufen.

Die Levels haben folgende Bedeutung:

Abb. 1–5 Die sechs Levels

■ Level 0: Unvollständig�Der Prozess ist nicht implementiert oder der Zweck des Prozesses wird nicht erfüllt. Projekterfolge sind durchaus möglich, basieren dann aber häufig auf den individuellen Leistungen der Mitarbeiter.

■ Level 1: Durchgeführt �Der implementierte Prozess erfüllt den Zweck des Prozesses. Dies bedeutet, dass grundlegende Praktiken sinngemäß implementiert sind und definierte Prozessergebnisse erzielt werden.

■ Level 2: Gemanagt �Die Prozessausführung wird zusätzlich geplant und verfolgt und die Planung ständig fortgeschrieben. Die Arbeitsprodukte des Prozesses sind adäquat implementiert, stehen unter Konfigurationsmanagement und werden quali-tätsgesichert gesteuert und fortgeschrieben.

■ Level 3: Etabliert �Es existiert ein organisationseinheitlich festgelegter Standardprozess. Ein Pro-jekt verwendet eine angepasste Version dieses Standardprozesses, einen soge-nannten »definierten Prozess«, der daraus mittels »Tailoring« abgeleitet wird. Dieser ist in der Lage, definierte Prozessergebnisse zu erreichen. Zur Messung und Verbesserung der Prozesseffektivität gibt es einen Feedbackmechanismus.

■ Level 4: Vorhersagbar �Bei der Ausführung des definierten Prozesses werden detaillierte Messungen durchgeführt und analysiert, die zu einem quantitativen Verständnis des Pro-zesses und einer verbesserten Vorhersagegenauigkeit führen. Messdaten wer-

Unvollständig

Durchgeführt

Gemanagt

Etabliert

Vorhersagbar

Innovativ

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1 Einführung und Überblick10

den gesammelt und analysiert, um zuordenbare Gründe für Abweichungen zu ermitteln. Korrekturmaßnahmen werden auf Basis eines quantitativen Ver-ständnisses durchgeführt.

■ Level 5: Innovativ�Die Prozesse werden fortlaufend verbessert, um auf Änderungen in Verbindungmit Organisationszielen zu reagieren. Innovative Ansätze und Techniken wer-den erprobt und ersetzen weniger effektive Prozesse, um dadurch vorgegebene Ziele besser zu erreichen. Die Effektivität der Änderung wird nachgewiesen.

Ob ein bestimmter Level vorliegt, wird anhand von Prozessattributen beurteilt. Die Prozessattribute sind den Levels zugeordnet und charakterisieren diese inhaltlich (siehe Abb. 1–6). Jedes Prozessattribut definiert einen bestimmten inhaltlichen Aspekt der Prozessreife, z. B. ist Level 2 durch die Attribute »Management der Pro-zessausführung« (d. h. Planung, Zuweisung von Verantwortlichkeiten und Res-sourcen, Überwachung etc.) und »Management der Arbeitsprodukte« (d. h. Sicher-stellung, dass die Anforderungen an Arbeitsprodukte erfüllt werden) definiert.

Abb. 1–6 Die Prozessattribute

Die Prozessattribute und deren Bewertung sind in Kapitel 3 im Detail erläutert. Die Bewertung der Prozessattribute erfolgt auf einer vierstufigen Bewertungs-skala:

N Not achieved bzw. nicht erfülltP Partially achieved bzw. teilweise erfüllt L Largely achieved bzw. überwiegend erfülltF Fully achieved bzw. vollständig erfüllt

5

Reifegradstufen

Innovativ

Prozessattribute

PA 5.1 ProzessinnovationPA 5.2 Prozessoptimierung

4 Vorhersagbar PA 4.1 Quantitative ProzessanalysePA 4.2 Quantitative Prozesssteuerung

3 Etabliert PA 3.1 ProzessdefinitionPA 3.2 Prozessanwendung

2 Gemanagt PA 2.1 Management der ProzessausführungPA 2.2 Management der Arbeitsprodukte

1 Durchgeführt PA 1.1 Prozessausführung

0 Unvollständig

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111.5 Umsetzungsaspekte: Tipps für eine nachhaltige Prozessverbesserung

Der Level wird aus den Prozessattributbewertungen nach einer einfachen Me-thode berechnet (siehe Kap. 3). Danach müssen die Prozessattribute des betref-fenden Level mindestens mit L bewertet sein, um diesen Level zu erreichen, und alle Prozessattribute der darunter liegenden Levels müssen mit F bewertet sein.

1.5 Umsetzungsaspekte: �Tipps für eine nachhaltige Prozessverbesserung

In unserer langjährigen Berufserfahrung trafen wir bei der Durchführung von Prozessverbesserungen häufig auf ähnliche Fragestellungen und Probleme. Wir wollen Ihnen mit diesem Abschnitt ein paar dieser Probleme aufzeigen und Denk-anstöße bzw. Ideen geben, damit Ihre Prozessverbesserungsaktivitäten und -pro-gramme in der Zukunft erfolgreicher werden.

Nachfolgend sind die wesentlichen Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige Pro-zessverbesserung dargestellt.

Ausreichend Zeit einplanen – Erfolgsfaktor Zeit

Vor allem im Umfeld der SPICE-Assessments wird immer wieder vorgeschlagen, die Prozessverbesserung im betroffenen Unternehmen durch einen verstärkten internen und externen Kapazitätseinsatz zu beschleunigen. Das heißt, um von einem Level auf den nächsten zu gelangen, wird mit großem Personaleinsatz für einen bestimmten Zeitraum an der Abarbeitung von Maßnahmen aus vorange-gangenen Assessments gearbeitet. Man geht davon aus, dass so der gewünschte Level innerhalb kurzer Zeit sicher erreicht wird.

Sicher, die Maßnahmen aus einem Assessment lassen sich so abarbeiten, aber die Resultate müssen von den Mitarbeitern verstanden, akzeptiert und verinner-licht werden. Dafür vergehen erfahrungsgemäß mindestens 1 – 2 Jahre. In diesem Zeitraum können dann auch die Veränderungen an das Umfeld angepasst und weiter verbessert und optimiert werden. Daher wird auch in dieser Zeit erhöhte Kapazität benötigt.

Tipp: »Gut Ding braucht Weile.« Fangen Sie so früh wie möglich mit Ihrer Pro-zessverbesserungsinitiative an und planen Sie pro Level wirklich 1 – 2 Jahre an Zeit und Kapazität ein. Vereinbaren Sie die Verbesserungen mit Ihren Mitarbei-tern und lassen Sie ihnen Zeit für die Umsetzung der Veränderungen. Diese betreffen deren tägliche Arbeit und der Mensch ist ein Gewohnheitstier, d. h., er hat seine übliche und bekannte Arbeitsweise, an die er gewöhnt ist, und kann sich nur langsam umstellen. Schaffen Sie eine Kultur der ständigen Verbesserung unter Einbeziehung der Mitarbeiter. Die Adaption der Veränderungen muss in dieser Zeit regelmäßig kontrolliert werden und Abweichungen durch die Prozesscoa-ches oder Führungskräfte abgestellt werden.

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1 Einführung und Überblick12

Interne Schlüsselkollegen ausreichend einbinden – Erfolgsfaktor Erfahrung

Prozessverbesserung erfordert Zusatzaufwand für Assessments, für die Umset-zung von Maßnahmen und das Ausrollen in die Organisation. Hier wird häufig externe Unterstützung gesucht.

Das mag in vielen Fällen sinnvoll sein. Es kommt aber immer darauf an, für welche Aufgaben die externe Unterstützung eingesetzt werden soll. Kann man z. B. ein Automotive SPICE-Assessment nicht selbst durchführen oder ist man rat-los, was man am Entwicklungsprozess verbessern soll, sind externe Experten her-vorragend geeignet. Man sollte aber nie vergessen, dass diese weder genügend fir-menspezifisches Wissen und Erfahrung besitzen noch den Rückhalt in der eigenen Mannschaft.

Tipp: Der Schlüssel zum Erfolg einer Prozessverbesserung ist die maßgebliche Beteiligung von internen, sehr erfahrenen Kollegen (Manager, erfahrene Entwick-ler, interne Know-how-Träger etc.) mit großem Rückhalt in der Entwicklungs-mannschaft. Diese übernehmen die Verantwortung für die Prozessverbesserung und Kommunikation und lassen sich dabei von den externen Kollegen unterstüt-zen. Nur so finden die Veränderungen interne Akzeptanz und die Kompetenz und das Verständnis für die Veränderungen bleiben auch nach dem Weggang der externen Verstärkung erhalten.

Tipp: Ergänzen Sie die Prozessverbesserung gezielt durch externe Experten, wenn das interne Know-how nicht ausreichend ist.

Beschluss zur Prozessverbesserung – Erfolgsfaktor Management

Für den Erfolg einer Prozessverbesserung ist es unabdingbar, sich die Zustim-mung des verantwortlichen Managements einzuholen. Oft wird nur das Budget genehmigt und ein nachhaltiges Commitment bleibt aus. Doch was bedeutet »Zustimmung«? Ist das ein schriftlicher Beschluss? Ist es eine mündliche Zusage?

Tipp: Auch bei noch so kleinen Prozessverbesserungen ist immer ein schriftlicher Beschluss einzuholen. Dieser beinhaltet auch die Freigabe der benötigten, kompe-tenten, internen und ggf. auch externen Personalressourcen. Gibt es diesen Beschluss nicht, so steht auch das Management nicht voll hinter der Prozessver-besserungsinitiative. Dann wird auch im Ernstfall die Unterstützung ausbleiben und die Prozessverbesserung fehlschlagen. Daher sollte bei Ausbleiben einer ver-bindlichen Managementunterstützung die Initiative gestoppt werden.

Tipp: Ein weiterer Aspekt ist das nachhaltige Management Commitment durch kontinuierliches Einbinden des Managements in z. B. Steuerkreise oder durch eine aktive Wahrnehmung der Sponsorrolle.

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131.5 Umsetzungsaspekte: Tipps für eine nachhaltige Prozessverbesserung

Umfang und Reihenfolge der Prozessverbesserung – Erfolgsfaktor Umfang

Häufig wird nach einem Automotive SPICE-Assessment versucht, alle Befunde aus dem Assessment für das betroffene Projekt gleichzeitig anzugehen. Das kann zu einer Überforderung des Projekts führen. Außerdem sinkt zunächst die Quali-tät der Arbeitsprodukte und die Performance der Mitarbeiter zu Beginn der Pro-zessverbesserung, bevor sie am Ende der Prozessverbesserung über das ursprüng-liche Maß hinauswachsen. Während einer Prozessverbesserung müssen die neuen und geänderten Prozesse durch die Mitarbeiter verstanden, gelernt und akzeptiert werden. In dieser Einarbeitungs- bzw. Lernphase entstehen natürlicherweise Feh-ler, die sich auf die Qualität des Produktes und auf die Performance der Mitarbei-ter auswirken können.

Abb. 1–7 Zusammenhang von Zeit und Qualität/Performance bei Prozessverbesserungen

Tipp: Wenn die Maßnahmen nicht von einem OEM nachdrücklich gefordert werden, sollten in einem laufenden Projekt möglichst nur Maßnahmen mit gutem Kosten-Nutzen-Verhältnis angegangen werden. Weitere Veränderungen sollten vorbereitet und erst bei neu beginnenden Projekten umgesetzt werden.

Tipp: Denken Sie daran, in der Organisation parallel laufende Prozessverbesse-rungsinitiativen aufeinander abzustimmen! Am besten richten Sie eine zentrale Stelle zur Koordination der gesamten Prozessverbesserungen ein.

Tipp: Sorgen Sie in dieser Zeit für eine zusätzliche Unterstützung der eingebunde-nen Personen, da diese in der Regel gut ausgelastet sind. Ist beispielsweise ein erfahrener Projektleiter in die Prozessverbesserung des Projektmanagements intensiv eingebunden, so sollte er diese Unterstützung bei Routinetätigkeiten bekommen (z. B. durch eine Projektassistenz).

Qualität/Performance

Zeit

Beginn derProzess-

verbesserung

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1 Einführung und Überblick14

Transferarbeit zu den Mitarbeitern – Erfolgsfaktor Tooling & Kommunikation

Die notwendige Transferarbeit, damit Veränderungen von Mitarbeitern tatsäch-lich umgesetzt werden können, wird fast immer unterschätzt. Die neuen Prozesse, Methoden, Tools, Templates etc. sind oft noch nicht ganz ausgereift, passen noch nicht gut bzw. sind noch nicht richtig in die bestehende Toollandschaft integriert (z. B. doppelte Datenhaltung und manueller Transfer von Daten reduziert die Akzeptanz dramatisch) und ihre Benutzerfreundlichkeit ist schwach. Auch Kom-munikation und Schulungen lassen häufig zu wünschen übrig.

Tipp: Erstellen Sie eine kleine Auswirkungsanalyse, z. B. eine SWOT-Analyse: Welche Prozessdokumentation muss geändert werden? Wie ändert sich ein Werk-zeug? Ändern Sie alle betroffenen Dokumente und erstellen Sie einen Kommuni-kations- und Schulungsplan, um die Zielsetzung bzw. den Grund für die Ände-rungen sowie die Änderungen selbst in die Entwicklungsmannschaft nachhaltig zu kommunizieren. Stellen Sie eine Anlaufstelle für interne Unterstützung zur Verfügung, falls Mitarbeiter Probleme oder Fragen haben. Je weniger manuelle Schritte, desto erfolgversprechender ist der Ansatz.

Feedbackmechanismus – Erfolgsfaktor Feedback

Essenziell bei Prozessverbesserungen ist es, dass die Betroffenen eine Rückmel-dung geben können in Form von Kritik, Fragen, Verbesserungsvorschlägen etc. Hier kann man viel falsch machen, insbesondere wenn die Mitarbeiter den Ein-druck gewinnen, dass ihre Rückmeldungen ignoriert werden.

Tipp: Bieten Sie einen guten, toolgestützten Feedbackmechanismus an und kom-munizieren Sie ihn an die Mitarbeiter. Mitarbeiter sollten in einer definierten Ant-wortzeit eine individuelle (nicht automatisch generierte) E-Mail erhalten und den Status ihrer Rückmeldung verfolgen können. Für die Organisation ist es wichtig, die Feedbacks tatsächlich auszuwerten und für Korrekturmaßnahmen zu nutzen. Dies kostet nicht unerheblich Aufwand und muss in der Personalplanung berück-sichtigt werden.

Tipp: Planen Sie für die Umsetzung kurze Retroperspektiven, z. B. alle vier Wochen, damit das Feedback auch analysiert und ggf. rechtzeitig kleinere Nach-schärfungen durchgeführt werden können.

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151.5 Umsetzungsaspekte: Tipps für eine nachhaltige Prozessverbesserung

Nachweis des Erfolgs – Erfolgsfaktor Messgrößen

Wie weisen Sie denn Ihren Auftraggebern den Erfolg Ihrer Prozessverbesserung nach? Erheben Sie bereits Prozess- oder Produktkennzahlen vor einer Prozessver-besserung? Erfahrungsgemäß fängt eine Organisation erst nach einem Assess-ment damit an. Automotive SPICE besitzt zwar den Prozess MAN.6 Measure-ment, der allerdings nicht im HIS Scope (gefüllte Kreise in Abb. 2–1) enthalten ist und daher selten verwendet wird.

Tipp: Erforschen Sie den Zusammenhang zwischen den geplanten Verbesserun-gen und den Geschäftszielen Ihrer Organisation und finden Sie geeignete Mess-größen, um die Auswirkungen zu verfolgen. Fangen Sie mit den Messungen VOR den Verbesserungen an, um den Vorher-Nachher-Effekt darstellen zu können.

Tipp: Prüfen Sie kontinuierlich die Prozesskonformität durch z. B. interne Audits, entsprechende Messgrößen und Kommunikation, damit die Prozessverbesserung nachhaltig aktiv bleibt.

Aufsetzen der Prozessverbesserung – Erfolgsfaktor Change Management

Wie setzen Sie Ihre Prozessverbesserung auf? Ist ein Automotive SPICE-Assess-ment von außen der Auslöser? Oder setzen Sie eine eigenständige größere Pro-zessverbesserungsinitiative auf?

Tipp: Prozessverbesserung bedeutet Change Management einschließlich Ände-rung der Unternehmenskultur. Planen Sie die Prozessverbesserungsinitiative als eigenständiges Projekt mit eigenen Zielen, Ressourcen und Plänen. Binden Sie das Management ein. Überwachen die den Fortschritt und kommunizieren Sie recht-zeitig.

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1

1 Einführung und Überblick

Dieses Kapitel besteht aus fünf Teilen: In Abschnitt 1.1 beschäftigen wir uns mit der Frage, warum Automotive SPICE und weitere Modelle mit steigender Ten-denz eingesetzt werden. In Abschnitt 1.2 geben wir einen kurzen Überblick über die in der Automobilentwicklung relevanten Modelle, deren Historie und die sich abzeichnenden Tendenzen. Abschnitt 1.3 beschreibt intacs, das in der Automobil-industrie etablierte und offiziell anerkannte Ausbildungssystem. Abschnitt 1.4erläutert die wesentlichen Strukturen von Automotive SPICE, soweit sie für das Verständnis der restlichen Kapitel notwendig sind. Abschnitt 1.5 widmet sich den Umsetzungsaspekten in Form von Tipps für eine nachhaltige Prozessverbesse-rung.

1.1 Einführung in die Thematik

In der globalisierten Weltwirtschaft werden Produkte und Dienstleistungen kaum noch von einzelnen Unternehmen isoliert entwickelt. Unternehmen sind zuneh-mend gezwungen, ihre Entwicklung in einem Netz von weltweiten Entwicklungs-standorten, Lieferanten und gleichberechtigten Partnern durchzuführen. Der entscheidende Treiber hierfür ist der stetig steigende Kostendruck, der die Unter-nehmen zur Entwicklung an Niedrigkostenstandorten und zu strategischen Part-nerschaften zwingt. Da gleichzeitig die Produkte immer komplexer und anspruchs-voller werden und sich die Entwicklungszeiten verkürzen, haben sich zwei kritische Themen herauskristallisiert:

■ Wie können die komplexen Kooperationen und Wertschöpfungsketten be-herrscht werden?

■ Wie können unter diesen Umständen Qualität, Kosten- und Termineinhaltung sichergestellt werden?

Dies ist für viele Unternehmen zur existenziellen Herausforderung geworden, mit unmittelbarer Auswirkung auf Markterfolg und Wachstum. Ein entscheidender Erfolgsfaktor bei diesen Fragen sind systematische und beherrschte Prozesse, ins-besondere für Management, Entwicklung, Qualitätssicherung, Einkauf und für

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1 Einführung und Überblick2

die Kooperation mit externen Partnern. Die Methodik der »Reifegradmodelle« bietet sich geradezu an, um dieser Probleme Herr zu werden.

Reifegradmodelle wie Automotive SPICE und CMMI werden schon seit vie-len Jahren erfolgreich zu diesem Zweck eingesetzt. Historisch begann es mit CMM und dessen Nachfolger CMMI, mit denen enormen Qualitäts-, Kosten- und Zeitproblemen entgegengewirkt wurde. Es ist bei vielen Auftraggebern üblich, von Lieferanten einen bestimmten CMMI- oder Automotive SPICE-Level zu verlangen, bevor ein Angebot akzeptiert wird. In der Automobilindustrie wol-len die Hersteller damit das Risiko hinsichtlich Qualität, Zeit und Funktionsum-fang in den Lieferantenprojekten reduzieren.

1.2 Überblick über die in der Automobilentwicklung relevanten Modelle

Das erste Reifegradmodell, das weite Verbreitung fand, war Anfang der 90er-Jahre CMM (siehe [CMM 1993a], [CMM 1993b]). In der Automobilindustrie hat CMM nie eine nennenswerte Rolle gespielt, auch wenn ein Automobilherstel-ler damit für kurze Zeit Ansätze zur Lieferantenbeurteilung erprobte. Das SPICE-kompatible BOOTSTRAP wurde bei wenigen Pionieren unter den Automobilzu-lieferern eingesetzt, konnte sich aber gegenüber SPICE nie durchsetzen und wurde 2003 eingestellt.

SPICE1 (siehe [Hörmann et al. 2006]) entstand aus einem gleichnamigen Pro-jekt der ISO2 und wurde 1998 als ISO/IEC TR 15504 veröffentlicht, wobei TR (Technical Report) eine Vorstufe zu einem späteren International Standard (IS) darstellt. Die verschiedenen Teile des International Standard ISO/IEC 15504 erschienen sukzessive ab 2003. 2006 erschien der für die Praxis wichtigste Teil 5, der 2012 eine neue Version erhielt. 2008 erschien der Teil 7 (»Assessment of organizational maturity«), der normative Grundlagen von Organisationsassess-ments definierte. Im Gegensatz zu den sonst üblichen Projektassessments kann hier die Reife einer Organisation anhand einer größeren Zahl von Untersu-chungsstichproben beurteilt werden. Bisher wurden auf dieser Grundlage erfolg-reich einige Pilotassessments durchgeführt. In der Breite hat sich diese Methodik noch nicht durchgesetzt. Wir gehen darauf in Abschnitt 4.4 näher ein.

Die ISO/IEC 15504 wird seit 2015 sukzessive in die ISO/IEC-33000-Familie [ISO/IEC 33000] überführt. Die folgenden Normen sind die Basisnormen, auf die das Automotive SPICE-Modell aufsetzt:

■ ISO/IEC 33001 Concepts & Terminology■ ISO/IEC 33002 Requirements for Performing Process Assessment■ ISO/IEC 33003 Requirements for Process Measurement Frameworks

1. Das Akronym SPICE steht für Software Process Improvement and Capability DEtermination.2. International Organization for Standardization.

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31.3 intacsTM (International Assessor Certification Scheme)

■ ISO/IEC 33004 Requirements for Process Models■ ISO/IEC 33020 Measurement Framework for assessment of process capabi-

lity and organizational maturity

Der Durchbruch zum Einsatz von Reifegradmodellen in der Automobilindustrie geschah 2001 durch die Entscheidung der Herstellerinitiative Software (HIS)3, SPICE zur Lieferantenbeurteilung im Software- und Elektronikbereich einzuset-zen. Ab diesem Zeitpunkt verbreitete sich SPICE flächendeckend in der Automo-bilindustrie. Einer der großen Vorzüge von SPICE ist, unter einem gemeinsamen normativen Framework branchenspezifische Modelle entwickeln zu können. Davon machte u. a. die Automobilindustrie Gebrauch: 2005 veröffentlichte die Automotive Special Interest Group (AUTOSIG) das Automotive SPICE-Modell (siehe [Automotive SPICE]) und löste damit SPICE ab. Automotive SPICE wird heute durch den VDA-Arbeitskreis 134 weiterentwickelt. Nach einigen Jahren der Versionspflege erschien 2015 die Version 3.0, die neben inhaltlichen Weiterent-wicklungen auch einige strukturelle Änderungen mit sich brachte.

Die Lieferanten müssen neben Automotive SPICE insbesondere die Forderun-gen nach funktionaler Sicherheit von elektrisch-elektronischen Systemen in Pkws erfüllen. 2011 erschien die ISO 26262 (»Road vehicles – Functional safety«) [ISO 26262] und löste eine neue Umsetzungswelle in der Automobilindustrie aus. Das Verhältnis der beiden Modelle kann man etwa wie folgt zusammenfassen: Beide Modell besitzen Anforderungen an Prozesse, die sich teilweise überlappen, aber auch teilweise unterschiedlich sind. Dabei wirkt Automotive SPICE (ab Level 2, besser noch ab Level 3) sehr förderlich für die Umsetzung von funktionaler Sicherheit (für Details siehe Kap. 5).

1.3 intacsTM (International Assessor Certification Scheme)

intacs ist das weltweit führende Ausbildungs- und Zertifizierungssystem für ISO/IEC-33000-konforme Modelle und ist auch in der Automobilindustrie als Ausbildungssystem etabliert und offiziell anerkannt5. intacs hat in den letzten zwölf Jahren eine weltweite Community aufgebaut, die Prozessassessments, basierend auf der ISO/IEC-15504- bzw. ISO/IEC-33000-Familie, unterstützt. Es wurde 2006 gegründet und verzeichnet derzeit über 30 Mitgliedsorganisationen, darunter Automobilhersteller und -zulieferer, Trainings- und Beratungsunterneh-

3. HIS – ehemalige Initiative der Hersteller Audi, BMW, Daimler, Porsche und Volkswagen für nicht wettbewerbsrelevante Produkte und Prozesse, in der bis 2015 zusammengearbeitet wurde, um gemeinsame Standards in verschiedenen Themen wie z.B. Prozessassessments zu etablieren.

4. In diesem Arbeitskreis sind Vertreter von folgenden Organisationen aktiv: BMW, Bosch, Brose, Continental, Daimler, Ford, Knorr Bremse, Kugler Maag Cie, Schäffler, VDA QMC, Volkswa-gen, ZF.

5. intacs ist von der Herstellerinitiative Software (HIS) und vom Arbeitskreis 13 des VDA (zustän-dig für die Festlegung von Anforderungen an Prozessbewertungen auf Basis von Automotive SPICE) anerkannt.

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1 Einführung und Überblick4

men sowie Vertreter aus der Forschung. Die Organisation ist nicht gewinnorien-tiert und arbeitet ausschließlich mit ehrenamtlichen Mitarbeitern, die ohne Aus-nahme sehr erfahrene Assessoren sind.

Abb. 1–1 Die intacs-Assessoren- und -Instruktorenstufen

intacs hat ein Ausbildungssystem aufgebaut, das weltweit anerkannt und verwen-det wird. Dabei werden drei Assessorenstufen und zwei Instruktorenstufen unter-schieden (siehe Abb. 1–1). Die unteren beiden Assessorenstufen werden nur für einzelne Prozessassessmentmodelle zertifiziert (»PAM-specific certification«), die Principal Assessoren sind für alle PAMs zugelassen. Für alle Stufen gibt es Lehr- und Prüfungspläne sowie standardisierte Trainingsmaterialien. Diese werden von denjenigen intacs-Mitgliedsorganisationen verwendet, die auch als Trainingsan-bieter tätig sind. Nicht-intacs-Trainingsanbieter können ihre Trainingsmateria-lien von intacs auf Konformität mit den Lehrplänen validieren lassen.

Das Grundprinzip des intacs-Ausbildungssystems ist die organisatorische Trennung der Definition des Ausbildungssystems von der Zertifizierung (inklusivePrüfung) der Assessoren und der Durchführung der Trainings (siehe Abb. 1–2). In der Automobilindustrie ist der VDA QMC der maßgebliche »Certification Body«, für alle anderen Modelle ist die ECQA zuständig.

intacsTM Provisional Assessor(PAM-specific certification)

intacsTM Principal Assessor(PAM-independent certification)

intacsTM Competent Assessor(PAM-specific certification)

intacsTM InstructorProvisional Level

(PAM-independent certification)

intacsTM InstructorCompetent Level

(PAM-independent certification)

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51.3 intacsTM (International Assessor Certification Scheme)

Abb. 1–2 Organisatorische Trennung der Definition des Ausbildungssystems von der Zertifizierung (inkl. Prüfung) der Assessoren und der Durchführung der Trainings

Seit der Gründung wurden weltweit ca. 3.300 Prüfungen durch die Zertifizie-rungsorganisationen durchgeführt. Zum Beispiel kann sich eine Person nach Absolvierung des intacsTM Provisional Assessor Training für Automotive SPICE und nach bestandener Prüfung bei der zuständigen Zertifizierungsorganisation (VDA QMC) gegen Zahlung einer Gebühr für drei Jahre registrieren lassen. Sie erhält dadurch den Status »intacsTM Provisional Assessor (Automotive SPICE)« sowie eine »Authorisation Card« mit aufgedruckter Zertifizierungsnummer. Die-ser Status ist in der Automobilindustrie der Qualifikationsnachweis schlechthin für Automotive SPICE. Man kann danach als Co-Assessor an offiziellen, intacs-anerkannten Assessments teilnehmen und, wenn man genügend Erfahrung gesam-melt hat, das intacsTM Competent Assessor Training für Automotive SPICE besu-chen und die Prüfung ablegen. Zusätzlich zu diesem Training (davor oder danach) durchlaufen Provisional Assessoren in der Regel mehrere Ausbildungsassess-ments, in denen sie schrittweise die Aufgaben eines Lead Assessors wahrnehmen und dabei von einem erfahrenen Assessor6 gecoacht und beobachtet werden. Der beobachtende Assessor füllt einen detaillierten »Observation Report« aus mit Bewertungen und detaillierten Befunden in mehreren Kategorien, die alle erforder-lichen Fähigkeiten eines Lead Assessors abdecken. Ist die Competent-Assessor-Prüfung bestanden und ist die Observation positiv verlaufen, kann sich der Kandi-dat beim VDA QMC als »intacsTM Competent Assessor (Automotive SPICE)« registrieren lassen.

6. Dieser muss mindestens Competent Assessor sein. Eine organisatorische Unabhängigkeit von dem Kandidaten ist nicht erforderlich.

Trainingsanbieter

Certification Body:VDA QMC

ECQA

intacsTM

definiert Kriterien fürAssessoren- und

Instruktorenstufenzertifizieren

definiert Lehrpläne,validiert

Trainingsunterlagenbilden aus

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1 Einführung und Überblick6

Ende 2015 waren weltweit ca. 1.250 Assessoren bei den Zertifizierungsorga-nisationen registriert, darunter ca. 1.105 Provisional Assessoren, ca. 100 Compe-tent Assessoren und ca. 45 Principal Assessoren.

Weitere wichtige Aufgaben von intacs sind:

■ Die Förderung der Entwicklung und Erprobung von neuen Prozessassess-mentmodellen (PAMs). In den letzten Jahren wurden mit Unterstützung von intacs z. B. das TestSPICE PAM und das ISO/IEC 20000 PAM entwickelt und in das Ausbildungssystem integriert. Das Gleiche gilt für neue PAM-Versio-nen wie z. B. die Transition von Automotive SPICE v2.5 zu v3.0.

■ Die Förderung der Interaktion in der Community der Assessoren, Instrukto-ren und Anwender der von intacs betreuten Modelle. Hierzu gehören sowohl intacs-interne Arbeitskreise als auch öffentliche Veranstaltungen (in Deutsch-land »Gate4SPICE« genannt), in denen sich Unternehmen treffen und Erfah-rungen und Neuigkeiten austauschen.

■ Eine Plattform für Arbeitsgruppen und Interessierte rund um das Thema SPICE zu bieten. Aus dem Bedarf der Mitglieder haben sich hier mehrere inte-ressante Arbeitsgruppen gebildet, zum Beispiel zu Themen wie Mechanik- und Mechatronik-SPICE und die Arbeitsgruppe »Trustworthy Assessments«, die sich mit komplexen Assessments und Organisationsassessments beschäf-tigt. Eine weitere wichtige Arbeitsgruppe ist die Gruppe »Internationalisie-rung«, die die weltweite Verbreitung von intacs vorantreibt. In Japan gibt es z. B. eine weitere sehr große Community mit Fokus auf die Automobil- und die Luft- und Raumfahrtindustrie. Ableger von Gate4SPICE gibt es in Indien und Italien. Weitere Länder wie Korea sind Stand 2016 auf dem Sprung, und in vielen Ländern gibt es »Regional Representatives« von intacs.

1.4 Automotive SPICE: Struktur und Bestandteile

Automotive SPICE besteht aus einem Prozessreferenzmodell (PRM) und einem Prozessassessmentmodell (PAM), die in einem gemeinsamen Dokument enthalten sind und sich durch Farbcodes unterscheiden. Für die praktische Anwendung ist die Kenntnis des Prozessassessmentmodells7 relevant und ausreichend, auf das wir uns daher im Folgenden beschränken.8

Das Prozessassessmentmodell enthält die Details zur Bewertung der Prozess-reife (sog. Indikatoren) und ist in zwei Dimensionen organisiert:

7. Seit Automotive SPICE 3.0 sind PRM und PAM in einem Dokument zusammengefasst und durch Farbcodes abgegrenzt.

8. Siehe [Hörmann et al. 2006] für eine ausführliche Darstellung der Zusammenhänge.

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71.4 Automotive SPICE: Struktur und Bestandteile

■ Prozessdimension�Diese enthält für alle Prozesse die Indikatoren für die Prozessdurchführung (»process performance indicators«). Mit diesen wird beurteilt, inwieweit die Prozesse durchgeführt werden. Diese Indikatoren sind für jeden Prozess ver-schieden und bilden eine wichtige Voraussetzung zur Erreichung von Level 1.

■ Reifegraddimension�Diese enthält die Indikatoren für die Prozessfähigkeit (»process capability indicators«). Mit diesen wird beurteilt, welcher Level erreicht wird. Diese Indikatoren sind für alle Prozesse gleich.

Abbildung 1–3 zeigt die zwei Dimensionen des Prozessassessmentmodells sowie dessen Quellen: Die Reifegraddimension (y-Achse) basiert auf den Vorgaben der ISO/IEC 33020 und fügt dieser die Indikatoren für die Prozessfähigkeit hinzu. Die Prozessdimension basiert auf dem Automotive SPICE-Prozessreferenzmodell und fügt diesem die Indikatoren für die Prozessdurchführung hinzu.

Abb. 1–3 Die zwei Dimensionen von Automotive SPICE (in Anlehnung an Figure 1 und Figure 3 in [Automotive SPICE])

... Prozessn

Prozessassessmentmodell(Automotive SPICE)

CL 1

CL 2

CL 3

CL 4

CL 5

PA 1.1

PA 2.1PA 2.2

PA 3.1PA 3.2

PA 4.1PA 4.2

PA 5.1PA 5.2

MeasurementFramework(ISO/IEC 33020)! Reifegrade (CL)! Prozess- attribute (PA)! Bewertungs- verfahren

Prozessreferenzmodell(Automotive SPICE)! Prozesszweck! Prozessergebnisse

Indikatorender Reifegrad-dimension:generischePraktiken,generischeRessourcen

Indikatoren der Prozessdimension:Basispraktiken, Arbeitsprodukte,Arbeitsproduktcharakteristiken

Prozess1

Prozess2

Prozess3

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1 Einführung und Überblick8

1.4.1 Die Prozessdimension

Die in Automotive SPICE verwendeten Prozesse sind in Abbildung 2–1 dargestellt. Jeder Prozess hat den in Abbildung 1–4 gezeigten Aufbau. Basispraktiken sind modellhafte Aktivitäten9, durch deren Umsetzung die Prozessergebnisse (»process outcomes«) erzielt werden sollen. Die Prozessergebnisse sind eine Detaillierung des Prozesszweckes (»process purpose«), sie spezifizieren, was durch den Prozess erreicht werden soll. Arbeitsprodukte10 (»output work products«) sind modell-hafte, typische Ergebnisse eines Prozesses. Zusammen mit den Basispraktiken stel-len sie objektive Nachweise für die Erfüllung des Zweckes des Prozesses dar. Sie werden daher als Indikatoren für die Prozessdurchführung (»process performance indicators«) bezeichnet und sind die Kriterien für die Erreichung von Level 1.

Abb. 1–4 Aufbau eines Prozesses in Automotive SPICE

9. Alle Automotive SPICE-Modellelemente sind modellhaft, d. h., sie müssen nicht wörtlich umge-setzt werden, sondern sinngemäß. Sie sind sozusagen Anforderungen an die Unternehmenspro-zesse. Die Unternehmensprozesse können auch anders benannt und strukturiert werden.

10. Zu den Arbeitsprodukten gibt es im PAM, Annex B Erläuterungen, die »Work product charac-teristics«.

Arbeitsprodukte

Basispraktiken

Prozessergebnisse

Zweck

Prozessbezeichnung

Prozess-ID

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91.4 Automotive SPICE: Struktur und Bestandteile

1.4.2 Die Reifegraddimension

Automotive SPICE verwendet sechs Levels für Prozesse (siehe Abb. 1–5). Die Levels bauen aufeinander auf. Jede höhere Stufe beinhaltet die Anforderungen der darunterliegenden Stufen.

Die Levels haben folgende Bedeutung:

Abb. 1–5 Die sechs Levels

■ Level 0: Unvollständig�Der Prozess ist nicht implementiert oder der Zweck des Prozesses wird nicht erfüllt. Projekterfolge sind durchaus möglich, basieren dann aber häufig auf den individuellen Leistungen der Mitarbeiter.

■ Level 1: Durchgeführt �Der implementierte Prozess erfüllt den Zweck des Prozesses. Dies bedeutet, dass grundlegende Praktiken sinngemäß implementiert sind und definierte Prozessergebnisse erzielt werden.

■ Level 2: Gemanagt �Die Prozessausführung wird zusätzlich geplant und verfolgt und die Planung ständig fortgeschrieben. Die Arbeitsprodukte des Prozesses sind adäquat implementiert, stehen unter Konfigurationsmanagement und werden quali-tätsgesichert gesteuert und fortgeschrieben.

■ Level 3: Etabliert �Es existiert ein organisationseinheitlich festgelegter Standardprozess. Ein Pro-jekt verwendet eine angepasste Version dieses Standardprozesses, einen soge-nannten »definierten Prozess«, der daraus mittels »Tailoring« abgeleitet wird. Dieser ist in der Lage, definierte Prozessergebnisse zu erreichen. Zur Messung und Verbesserung der Prozesseffektivität gibt es einen Feedbackmechanismus.

■ Level 4: Vorhersagbar �Bei der Ausführung des definierten Prozesses werden detaillierte Messungen durchgeführt und analysiert, die zu einem quantitativen Verständnis des Pro-zesses und einer verbesserten Vorhersagegenauigkeit führen. Messdaten wer-

Unvollständig

Durchgeführt

Gemanagt

Etabliert

Vorhersagbar

Innovativ

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1 Einführung und Überblick10

den gesammelt und analysiert, um zuordenbare Gründe für Abweichungen zu ermitteln. Korrekturmaßnahmen werden auf Basis eines quantitativen Ver-ständnisses durchgeführt.

■ Level 5: Innovativ�Die Prozesse werden fortlaufend verbessert, um auf Änderungen in Verbindungmit Organisationszielen zu reagieren. Innovative Ansätze und Techniken wer-den erprobt und ersetzen weniger effektive Prozesse, um dadurch vorgegebene Ziele besser zu erreichen. Die Effektivität der Änderung wird nachgewiesen.

Ob ein bestimmter Level vorliegt, wird anhand von Prozessattributen beurteilt. Die Prozessattribute sind den Levels zugeordnet und charakterisieren diese inhaltlich (siehe Abb. 1–6). Jedes Prozessattribut definiert einen bestimmten inhaltlichen Aspekt der Prozessreife, z. B. ist Level 2 durch die Attribute »Management der Pro-zessausführung« (d. h. Planung, Zuweisung von Verantwortlichkeiten und Res-sourcen, Überwachung etc.) und »Management der Arbeitsprodukte« (d. h. Sicher-stellung, dass die Anforderungen an Arbeitsprodukte erfüllt werden) definiert.

Abb. 1–6 Die Prozessattribute

Die Prozessattribute und deren Bewertung sind in Kapitel 3 im Detail erläutert. Die Bewertung der Prozessattribute erfolgt auf einer vierstufigen Bewertungs-skala:

N Not achieved bzw. nicht erfülltP Partially achieved bzw. teilweise erfüllt L Largely achieved bzw. überwiegend erfülltF Fully achieved bzw. vollständig erfüllt

5

Reifegradstufen

Innovativ

Prozessattribute

PA 5.1 ProzessinnovationPA 5.2 Prozessoptimierung

4 Vorhersagbar PA 4.1 Quantitative ProzessanalysePA 4.2 Quantitative Prozesssteuerung

3 Etabliert PA 3.1 ProzessdefinitionPA 3.2 Prozessanwendung

2 Gemanagt PA 2.1 Management der ProzessausführungPA 2.2 Management der Arbeitsprodukte

1 Durchgeführt PA 1.1 Prozessausführung

0 Unvollständig

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111.5 Umsetzungsaspekte: Tipps für eine nachhaltige Prozessverbesserung

Der Level wird aus den Prozessattributbewertungen nach einer einfachen Me-thode berechnet (siehe Kap. 3). Danach müssen die Prozessattribute des betref-fenden Level mindestens mit L bewertet sein, um diesen Level zu erreichen, und alle Prozessattribute der darunter liegenden Levels müssen mit F bewertet sein.

1.5 Umsetzungsaspekte: �Tipps für eine nachhaltige Prozessverbesserung

In unserer langjährigen Berufserfahrung trafen wir bei der Durchführung von Prozessverbesserungen häufig auf ähnliche Fragestellungen und Probleme. Wir wollen Ihnen mit diesem Abschnitt ein paar dieser Probleme aufzeigen und Denk-anstöße bzw. Ideen geben, damit Ihre Prozessverbesserungsaktivitäten und -pro-gramme in der Zukunft erfolgreicher werden.

Nachfolgend sind die wesentlichen Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige Pro-zessverbesserung dargestellt.

Ausreichend Zeit einplanen – Erfolgsfaktor Zeit

Vor allem im Umfeld der SPICE-Assessments wird immer wieder vorgeschlagen, die Prozessverbesserung im betroffenen Unternehmen durch einen verstärkten internen und externen Kapazitätseinsatz zu beschleunigen. Das heißt, um von einem Level auf den nächsten zu gelangen, wird mit großem Personaleinsatz für einen bestimmten Zeitraum an der Abarbeitung von Maßnahmen aus vorange-gangenen Assessments gearbeitet. Man geht davon aus, dass so der gewünschte Level innerhalb kurzer Zeit sicher erreicht wird.

Sicher, die Maßnahmen aus einem Assessment lassen sich so abarbeiten, aber die Resultate müssen von den Mitarbeitern verstanden, akzeptiert und verinner-licht werden. Dafür vergehen erfahrungsgemäß mindestens 1 – 2 Jahre. In diesem Zeitraum können dann auch die Veränderungen an das Umfeld angepasst und weiter verbessert und optimiert werden. Daher wird auch in dieser Zeit erhöhte Kapazität benötigt.

Tipp: »Gut Ding braucht Weile.« Fangen Sie so früh wie möglich mit Ihrer Pro-zessverbesserungsinitiative an und planen Sie pro Level wirklich 1 – 2 Jahre an Zeit und Kapazität ein. Vereinbaren Sie die Verbesserungen mit Ihren Mitarbei-tern und lassen Sie ihnen Zeit für die Umsetzung der Veränderungen. Diese betreffen deren tägliche Arbeit und der Mensch ist ein Gewohnheitstier, d. h., er hat seine übliche und bekannte Arbeitsweise, an die er gewöhnt ist, und kann sich nur langsam umstellen. Schaffen Sie eine Kultur der ständigen Verbesserung unter Einbeziehung der Mitarbeiter. Die Adaption der Veränderungen muss in dieser Zeit regelmäßig kontrolliert werden und Abweichungen durch die Prozesscoa-ches oder Führungskräfte abgestellt werden.

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1 Einführung und Überblick12

Interne Schlüsselkollegen ausreichend einbinden – Erfolgsfaktor Erfahrung

Prozessverbesserung erfordert Zusatzaufwand für Assessments, für die Umset-zung von Maßnahmen und das Ausrollen in die Organisation. Hier wird häufig externe Unterstützung gesucht.

Das mag in vielen Fällen sinnvoll sein. Es kommt aber immer darauf an, für welche Aufgaben die externe Unterstützung eingesetzt werden soll. Kann man z. B. ein Automotive SPICE-Assessment nicht selbst durchführen oder ist man rat-los, was man am Entwicklungsprozess verbessern soll, sind externe Experten her-vorragend geeignet. Man sollte aber nie vergessen, dass diese weder genügend fir-menspezifisches Wissen und Erfahrung besitzen noch den Rückhalt in der eigenen Mannschaft.

Tipp: Der Schlüssel zum Erfolg einer Prozessverbesserung ist die maßgebliche Beteiligung von internen, sehr erfahrenen Kollegen (Manager, erfahrene Entwick-ler, interne Know-how-Träger etc.) mit großem Rückhalt in der Entwicklungs-mannschaft. Diese übernehmen die Verantwortung für die Prozessverbesserung und Kommunikation und lassen sich dabei von den externen Kollegen unterstüt-zen. Nur so finden die Veränderungen interne Akzeptanz und die Kompetenz und das Verständnis für die Veränderungen bleiben auch nach dem Weggang der externen Verstärkung erhalten.

Tipp: Ergänzen Sie die Prozessverbesserung gezielt durch externe Experten, wenn das interne Know-how nicht ausreichend ist.

Beschluss zur Prozessverbesserung – Erfolgsfaktor Management

Für den Erfolg einer Prozessverbesserung ist es unabdingbar, sich die Zustim-mung des verantwortlichen Managements einzuholen. Oft wird nur das Budget genehmigt und ein nachhaltiges Commitment bleibt aus. Doch was bedeutet »Zustimmung«? Ist das ein schriftlicher Beschluss? Ist es eine mündliche Zusage?

Tipp: Auch bei noch so kleinen Prozessverbesserungen ist immer ein schriftlicher Beschluss einzuholen. Dieser beinhaltet auch die Freigabe der benötigten, kompe-tenten, internen und ggf. auch externen Personalressourcen. Gibt es diesen Beschluss nicht, so steht auch das Management nicht voll hinter der Prozessver-besserungsinitiative. Dann wird auch im Ernstfall die Unterstützung ausbleiben und die Prozessverbesserung fehlschlagen. Daher sollte bei Ausbleiben einer ver-bindlichen Managementunterstützung die Initiative gestoppt werden.

Tipp: Ein weiterer Aspekt ist das nachhaltige Management Commitment durch kontinuierliches Einbinden des Managements in z. B. Steuerkreise oder durch eine aktive Wahrnehmung der Sponsorrolle.

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131.5 Umsetzungsaspekte: Tipps für eine nachhaltige Prozessverbesserung

Umfang und Reihenfolge der Prozessverbesserung – Erfolgsfaktor Umfang

Häufig wird nach einem Automotive SPICE-Assessment versucht, alle Befunde aus dem Assessment für das betroffene Projekt gleichzeitig anzugehen. Das kann zu einer Überforderung des Projekts führen. Außerdem sinkt zunächst die Quali-tät der Arbeitsprodukte und die Performance der Mitarbeiter zu Beginn der Pro-zessverbesserung, bevor sie am Ende der Prozessverbesserung über das ursprüng-liche Maß hinauswachsen. Während einer Prozessverbesserung müssen die neuen und geänderten Prozesse durch die Mitarbeiter verstanden, gelernt und akzeptiert werden. In dieser Einarbeitungs- bzw. Lernphase entstehen natürlicherweise Feh-ler, die sich auf die Qualität des Produktes und auf die Performance der Mitarbei-ter auswirken können.

Abb. 1–7 Zusammenhang von Zeit und Qualität/Performance bei Prozessverbesserungen

Tipp: Wenn die Maßnahmen nicht von einem OEM nachdrücklich gefordert werden, sollten in einem laufenden Projekt möglichst nur Maßnahmen mit gutem Kosten-Nutzen-Verhältnis angegangen werden. Weitere Veränderungen sollten vorbereitet und erst bei neu beginnenden Projekten umgesetzt werden.

Tipp: Denken Sie daran, in der Organisation parallel laufende Prozessverbesse-rungsinitiativen aufeinander abzustimmen! Am besten richten Sie eine zentrale Stelle zur Koordination der gesamten Prozessverbesserungen ein.

Tipp: Sorgen Sie in dieser Zeit für eine zusätzliche Unterstützung der eingebunde-nen Personen, da diese in der Regel gut ausgelastet sind. Ist beispielsweise ein erfahrener Projektleiter in die Prozessverbesserung des Projektmanagements intensiv eingebunden, so sollte er diese Unterstützung bei Routinetätigkeiten bekommen (z. B. durch eine Projektassistenz).

Qualität/Performance

Zeit

Beginn derProzess-

verbesserung

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Transferarbeit zu den Mitarbeitern – Erfolgsfaktor Tooling & Kommunikation

Die notwendige Transferarbeit, damit Veränderungen von Mitarbeitern tatsäch-lich umgesetzt werden können, wird fast immer unterschätzt. Die neuen Prozesse, Methoden, Tools, Templates etc. sind oft noch nicht ganz ausgereift, passen noch nicht gut bzw. sind noch nicht richtig in die bestehende Toollandschaft integriert (z. B. doppelte Datenhaltung und manueller Transfer von Daten reduziert die Akzeptanz dramatisch) und ihre Benutzerfreundlichkeit ist schwach. Auch Kom-munikation und Schulungen lassen häufig zu wünschen übrig.

Tipp: Erstellen Sie eine kleine Auswirkungsanalyse, z. B. eine SWOT-Analyse: Welche Prozessdokumentation muss geändert werden? Wie ändert sich ein Werk-zeug? Ändern Sie alle betroffenen Dokumente und erstellen Sie einen Kommuni-kations- und Schulungsplan, um die Zielsetzung bzw. den Grund für die Ände-rungen sowie die Änderungen selbst in die Entwicklungsmannschaft nachhaltig zu kommunizieren. Stellen Sie eine Anlaufstelle für interne Unterstützung zur Verfügung, falls Mitarbeiter Probleme oder Fragen haben. Je weniger manuelle Schritte, desto erfolgversprechender ist der Ansatz.

Feedbackmechanismus – Erfolgsfaktor Feedback

Essenziell bei Prozessverbesserungen ist es, dass die Betroffenen eine Rückmel-dung geben können in Form von Kritik, Fragen, Verbesserungsvorschlägen etc. Hier kann man viel falsch machen, insbesondere wenn die Mitarbeiter den Ein-druck gewinnen, dass ihre Rückmeldungen ignoriert werden.

Tipp: Bieten Sie einen guten, toolgestützten Feedbackmechanismus an und kom-munizieren Sie ihn an die Mitarbeiter. Mitarbeiter sollten in einer definierten Ant-wortzeit eine individuelle (nicht automatisch generierte) E-Mail erhalten und den Status ihrer Rückmeldung verfolgen können. Für die Organisation ist es wichtig, die Feedbacks tatsächlich auszuwerten und für Korrekturmaßnahmen zu nutzen. Dies kostet nicht unerheblich Aufwand und muss in der Personalplanung berück-sichtigt werden.

Tipp: Planen Sie für die Umsetzung kurze Retroperspektiven, z. B. alle vier Wochen, damit das Feedback auch analysiert und ggf. rechtzeitig kleinere Nach-schärfungen durchgeführt werden können.

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151.5 Umsetzungsaspekte: Tipps für eine nachhaltige Prozessverbesserung

Nachweis des Erfolgs – Erfolgsfaktor Messgrößen

Wie weisen Sie denn Ihren Auftraggebern den Erfolg Ihrer Prozessverbesserung nach? Erheben Sie bereits Prozess- oder Produktkennzahlen vor einer Prozessver-besserung? Erfahrungsgemäß fängt eine Organisation erst nach einem Assess-ment damit an. Automotive SPICE besitzt zwar den Prozess MAN.6 Measure-ment, der allerdings nicht im HIS Scope (gefüllte Kreise in Abb. 2–1) enthalten ist und daher selten verwendet wird.

Tipp: Erforschen Sie den Zusammenhang zwischen den geplanten Verbesserun-gen und den Geschäftszielen Ihrer Organisation und finden Sie geeignete Mess-größen, um die Auswirkungen zu verfolgen. Fangen Sie mit den Messungen VOR den Verbesserungen an, um den Vorher-Nachher-Effekt darstellen zu können.

Tipp: Prüfen Sie kontinuierlich die Prozesskonformität durch z. B. interne Audits, entsprechende Messgrößen und Kommunikation, damit die Prozessverbesserung nachhaltig aktiv bleibt.

Aufsetzen der Prozessverbesserung – Erfolgsfaktor Change Management

Wie setzen Sie Ihre Prozessverbesserung auf? Ist ein Automotive SPICE-Assess-ment von außen der Auslöser? Oder setzen Sie eine eigenständige größere Pro-zessverbesserungsinitiative auf?

Tipp: Prozessverbesserung bedeutet Change Management einschließlich Ände-rung der Unternehmenskultur. Planen Sie die Prozessverbesserungsinitiative als eigenständiges Projekt mit eigenen Zielen, Ressourcen und Plänen. Binden Sie das Management ein. Überwachen die den Fortschritt und kommunizieren Sie recht-zeitig.

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