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Diversität und Inklusion – Umgang mit Verschiedenheit bei Beein- trächtigung und Behinderung Veranstaltet durch die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (Sektion soziale Probleme und soziale Kontrolle), das Max- Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik (Fachgruppe In- klusion bei Behinderung) und die Technische Universität München (Lehrstuhl für Diversitätssoziologie). Datum: 30. – 31. Januar 2014 Ort: Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, München Tagungsbericht Die Tagung Diversität und Inklusion – Umgang mit Verschiedenheit bei Beeinträchtigung und Behinderung verfolgte eine doppelte Intention: Einerseits wurde eine inhaltliche Präzisierung des sowohl in wissenschaftlichen Disziplinen als auch öffentlichen Diskursen stark uneinheitlich ver- wendeten Konzepts Diversität vorgenommen. Andererseits fand die im Rahmen ungleichheits- theoretischer Forschung oftmals vernachlässigte Diversitätsdimension Behinderung/Beeinträch- tigung als Querschnittsthema besondere Berücksichtigung. Die Kooperationsveranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (Sektion soziale Probleme und soziale Kontrolle), des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik (Fach- gruppe Inklusion bei Behinderung) und der Technischen Univer- sität München (Lehrstuhl für Diversitätssoziologie) fand am 30. und 31. Januar 2014 in den Räumen des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik in München statt. (Post-/Reflexiv-)Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch ein hohes Maß an Vielfalt bzw. Verschiedenheit aus, die in unterschiedlichen fachlichen Diskursen unter dem Schlagwort Diver- sität thematisiert werden. So sind Bezeichnungen wie „Diversitätspolitik“, „Diversity-Manage- ment“, „Diversity-Pädagogik“ oder „Gender Medicine“ heute mehr und mehr implementiert in An- wendungsfeldern der Praxis. Im wissenschaftlichen Diskurs dominieren hingegen nach wie vor Konzepte wie „Differenzen“ bzw. „Differenzierungen“, „Heterogenität“, „Intersektionalität“ oder schlicht „Ungleichheit“. Eine systematische Einbindung der verschieden gelabelten Forschung in umfassendere Theorien beispielsweise der Soziologie sozialer Ungleichheit bzw. der Theorien von Inklusion und Exklusion fehlt in der Regel ebenso wie eine Bezugnahme zu neueren diversi- tätsaffinen Programmen wie Diversity-Studies, Gender-Studies oder Disability-Studies. Um hier eine systematische Fundierung anzuregen und Präzisierungen des Diversitätsbegriffs voranzutreiben, folgte die Tagung einem inhaltlichen Dreischritt: der Anbindung von Diversitätskonzepten an Theorien zu Inklusion und Exklusion in Gegenwartsgesellschaften Prof. Dr. Elisabeth Wacker, MPI für Sozial recht und Sozialpolitik & TU München

Diversität und Inklusion – Umgang mit … · von Inklusion und Exklusion fehlt in der Regel ebenso wie eine Bezugnahme zu neueren diversi-tätsaffinen Programmen wie Diversity-Studies,

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Diversität und Inklusion – Umgang mit Verschiedenheit bei Beein-trächtigung und Behinderung Veranstaltet durch die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (Sektion soziale Probleme und soziale Kontrolle), das Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik (Fachgruppe In-klusion bei Behinderung) und die Technische Universität München (Lehrstuhl für Diversitätssoziologie). Datum: 30. – 31. Januar 2014 Ort: Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik,

München

Tagungsbericht Die Tagung Diversität und Inklusion – Umgang mit Verschiedenheit bei Beeinträchtigung und Behinderung verfolgte eine doppelte Intention: Einerseits wurde eine inhaltliche Präzisierung des sowohl in wissenschaftlichen Disziplinen als auch öffentlichen Diskursen stark uneinheitlich ver-wendeten Konzepts Diversität vorgenommen. Andererseits fand die im Rahmen ungleichheits-theoretischer Forschung oftmals vernachlässigte Diversitätsdimension Behinderung/Beeinträch-tigung als Querschnittsthema besondere Berücksichtigung. Die Kooperationsveranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (Sektion soziale Probleme und soziale Kontrolle), des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik (Fach-gruppe Inklusion bei Behinderung) und der Technischen Univer-sität München (Lehrstuhl für Diversitätssoziologie) fand am 30. und 31. Januar 2014 in den Räumen des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik in München statt. (Post-/Reflexiv-)Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch ein hohes Maß an Vielfalt bzw. Verschiedenheit aus, die in unterschiedlichen fachlichen Diskursen unter dem Schlagwort Diver-sität thematisiert werden. So sind Bezeichnungen wie „Diversitätspolitik“, „Diversity-Manage-ment“, „Diversity-Pädagogik“ oder „Gender Medicine“ heute mehr und mehr implementiert in An-wendungsfeldern der Praxis. Im wissenschaftlichen Diskurs dominieren hingegen nach wie vor Konzepte wie „Differenzen“ bzw. „Differenzierungen“, „Heterogenität“, „Intersektionalität“ oder schlicht „Ungleichheit“. Eine systematische Einbindung der verschieden gelabelten Forschung in umfassendere Theorien beispielsweise der Soziologie sozialer Ungleichheit bzw. der Theorien von Inklusion und Exklusion fehlt in der Regel ebenso wie eine Bezugnahme zu neueren diversi-tätsaffinen Programmen wie Diversity-Studies, Gender-Studies oder Disability-Studies. Um hier eine systematische Fundierung anzuregen und Präzisierungen des Diversitätsbegriffs voranzutreiben, folgte die Tagung einem inhaltlichen Dreischritt:

– der Anbindung von Diversitätskonzepten an Theorien zu Inklusion und Exklusion in Gegenwartsgesellschaften

Prof.  Dr.  Elisabeth  Wacker,  MPI  für  Sozial-­‐recht  und  Sozialpolitik  &  TU  München  

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Prof.  Dr.  Anne  Waldschmidt,  Universität  zu  Köln  

– dem Vergleich konzeptioneller Schwerpunktsetzungen im Umgang mit Diversität

– einer Rückbindung der theoretischen Auseinandersetzung mit Diversität an ihre or-

ganisationale Bearbeitung

Ein spezielles Augenmerk lag dabei quer zu den drei Themengebieten auf der Differenzierungs-kategorie Behinderung, die in den meisten differenzorientierten Arbeiten keine bzw. nur eine randständige Beachtung erfährt. Mit Prof. Dr. Anne Waldschmidt (Universität zu Köln, Themenfeld Inklusion und Exklusion), Dr. Heike Raab (Universität Innsbruck, Themenfeld Konzeptionelle Schwerpunktsetzungen) und Prof. Dr. Gertraude Krell (Freie Universität Berlin, Themenfeld Bearbeitung von Diversität in Or-ganisationen) folgten drei versierte Keynote-Sprecherinnen der Einladung nach München. 16 weitere Vorträge, darunter auch wie ausdrücklich erwünscht von Nachwuchswissenschaftle-r_innen, die ihre Forschungsarbeiten so einem fachkundigen Publikum präsentieren konnten, fügten sich zu einem arbeitsintensiven zweitägigen Programm. Insgesamt nahmen ca. 60 Wis-senschaftler_innen verschiedener Fachdisziplinen aus dem In- und Ausland an der Veranstal-tung teil. Leider mussten aufgrund des Workshopcharakters viele weiterer Interessent_innen auf die geplante Publikation verwiesen werden. I. Theorien zu Inklusion/Exklusion und empirische Analysen Nach der Begrüßung der Teilnehmenden und Einstimmung in die Tagung durch Prof. Dr. Elisa-beth Wacker (Technische Universität München; Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozial-politik München) eröffnete Keynote-Sprecherin Prof. Dr. Anne Waldschmidt (Universität zu Köln) mit ihrem Vortrag „Macht der Differenz: Perspektiven der Disability Studies auf Diversität, Inter-sektionalität und soziale Ungleichheit“ die Tagung. Frau Prof. Waldschmidt konzentrierte sich dabei auf drei Konzepte zur Analyse gesellschaftlicher Ungleichheit: Die „klassische“ Ungleichheitsforschung, die Intersektionalitätsforschung sowie die Diversitäts-Perspektive. Während Behinderung in der traditionellen Ungleichheitsfor-schung als horizontale Ungleichheitsdimension behandelt werde, thematisiere – so Waldschmidt – die Intersektionali-tätsforschung das gemeinsame Auftreten und die Verwoben-heit der Kategorie Behinderung mit anderen Differenzierungs-kategorien und kritisiere im Hintergrund wirksame Herr-schaftsmechanismen. In der Diversitätsforschung stehe schließlich die Frage nach der Anerkennung von und dem Umgang mit Differenz im Vordergrund. Schlussfolgernd lasse sich die Intersektionalitätsfor-schung nach Waldschmidt als eine Form der Weiterentwicklung der Ungleichheitsforschung be-trachten, während die Diversitätsforschung weit darüber hinausreiche. Während die Ungleich-heitsforschung in der Benennung von Unterschieden verharre und die Intersektionalitätsfor-schung normativ orientierte Kritik an der Verfasstheit der Gesellschaft vornehme, fordere und fördere Diversitätsforschung als kulturell ausgerichtete Wissenschaft die Anerkennung von und den Respekt vor Vielfalt.

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Isabella Bertmann und Luisa Demant (beide Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpoli-tik) setzten anschließend in ihrem Referat zu „Inklusion und Gerechtigkeit“ bei der Verabschie-dung und Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen an und gingen der Frage nach, welche Voraussetzungen und Grenzen für Teilhabemöglichkei-ten für Menschen mit Behinderungen aus theoretischer Perspektive in der Gegenwartsgesell-schaft existieren. Hierbei fand das Konzept des Capability Approach (Verwirklichungschancen-ansatz) nach Sen besondere Beachtung. Arne Müller (Universität zu Köln) verglich, basierend auf einer an Bourdieu orientierten qualitati-ven Studie, „Diskriminierungserfahrungen (nicht)behinderter Frauen und Männer“. Dabei zeigte er auf, dass Diskriminierungsformen klassenlagenspezifisch variieren. Während Angehörige hö-herer Klassen eher von Erfahrungen mit objektiven Barrieren berichteten, d.h. strukturellen Dis-kriminierungen, empfanden Angehörige unterer Klassen eher verbale Herabsetzungen als be-lastend, denen sie ausgesetzt waren. Prof. Dr. Kathrin Römisch (Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe) konnte dann in ihrem Vortrag aufzeigen, dass „Lebensläufe und Lebensentwürfe junger Frauen mit geistiger Behinderung“ eine vielfache Institutionalisierung erfahren. Eigenständige Lebensent-würfe sind im Spannungsverhältnis zu traditionellen weiblichen Lebensverläufen, der Spezifik sorgender Institutionen (Eltern oder professionelle Einrichtungen) sowie erwartbarer Gewalter-fahrungen (z.B. in Form sexueller Übergriffe) besonders limitiert. Prof. Dr. Markus Schäfers (Hochschule Fulda) thematisierte in seinem Beitrag „‘Personenzent-rierung‘ als sozialpolitische Programmformel im Zeichen der Inklusion“ die Widersprüchlichkei-ten, die aus der Neuausrichtung des Hilfesystems für Menschen mit Behinderung weg von der einrichtungs-, hin zu einer personenorientierten Dienstleistung erwachsen. Er verdeutlichte mit Hilfe von Textanalysen, wie das Versprechen partizipativer Prozesse Erwartungen wecke, die kaum zu erfüllen seien. Während zugleich über eine Re-, statt Deinstitutionalisierung von Teilha-beprozessen eine Verfeinerung der Macht und Neustandardisierung von Bedarfen vorgenom-men werde, die exkludierende Segregation weiterhin verfestigen könne. Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Matteo Borzaga (Università degli Studi di Trento) bot mit seinem Beitrag „Inklusion zwischen gesetzlicher Vorschrift und gezielter Förderung“ einen Ein-blick in italienische Modelle der Arbeitsinklusion von Menschen mit Behinderungen an. Im Steu-erungsgeschehen machte er zwei Richtungen aus: eine Zwangsteilhabe und eine in Form privi-legierter Genossenschaften gestaltete neue Form der Teilhabe am Arbeitsleben. Daniel Pateisky (Universität Halle-Wittenberg) zeigte mit seinem Paper „What Legislative Jargon Can Learn from Children: Inclusion through Accessibility of Language in UNCRPS and DRIP“ auf, wie bedeutsam die Zugänglichkeit für die Handlungsmöglichkeiten marginalisierter Gruppen sei. Dies konkretisierte er am Beispiel von Gesetzestexten in leicht verständlicher Sprache. Michael Wrase (Wissenschaftszentrum Berlin) setzte sich in seinem Referat „Inklusion und Di-versität als Rechtsbegriffe?“ schließlich mit der Frage auseinander, welche Bedeutung diesen beiden Begriffen im Rahmen der Rechtstheorie, aber auch der konkreten Rechtsanwendung zukommen solle. Sein spezieller Fokus lag dabei vor dem Hintergrund der Ratifizierung der UN-BRK auf dem deutschen Bildungssystem.

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II. Konzeptionen und Grenzen von Diversität In der zweiten Keynote Lecture „Unterschiede, die einen Un-terschied machen“ zeigte Dr. Heike Raab (Universität Inns-bruck) auf, wie unterschiedliche Politiken der Vielfalt aus Sicht der Disability Studies zu bewerten sind. Dabei zeichnete sie das Spannungsverhältnis zwischen differenzbejahenden (Anerkennungspolitiken im Feld Diversity) und ungleichheits-kritischen (Identitäts- und Machtkritik, Intersektionalitäts-forschung) Ansätzen im Anschluss an Nancy Frasers Frage „Umverteilung und/oder Anerkennung“ nach. Neben einem ausführlichen Resümee der beiden „Pole“ der Politiken der Vielfalt sowie der Identifikation möglicher Verknüpfungspunkte mit den Disability Studies skiz-zierte sie mögliche Auswirkungen der Umgestaltung sozialstaatlicher Regulierungen. Miklas Schulz (Universität Göttingen) fragte in seinem Beitrag „Diversity ohne Handlungsmäch-tigkeit“ nach der Möglichkeit eigensinnig-spielerischer Ingebrauchnahme differenzierender Iden-titätskategorien. Diese erscheine zwar situativ möglich, sei allerdings an individuelle Ressourcen und Kompetenzen gebunden und somit kein Mittel gegen strukturelle Ungleichheiten. Dr. Monika Schröttle (Universität Gießen und Universität Erlangen-Nürnberg) setzte in ihrer Prä-sentation mit einem methodisch-analytischen Zugang der datenbasierten Abbildbarkeit von Ver-schiedenheit an. Unter dem Titel „Behinderung macht nicht gleich“ legte sie aus Sicht der empi-rischen Teilhabe- und Gewaltforschung dar, wie erste repräsentative Studien zur Lebenssituati-on von Frauen und Männern mit Behinderung operationalisiert wurden und verwies zugleich auf die Grenzen quantifizierender Zugänge. Um die enorme Vielfalt innerhalb der Differenzierungs-kategorie Behinderung/Beeinträchtigung abbilden zu können wären – so Schröttle – qualitative Untersuchungen ergänzend unabdingbar, um „weiche“, lebensgeschichtlich relevante Aspekte wie Sozialisation, Gewalterfahrungen in Kindheit und Jugend, aktuelle Diskriminierungserfah-rungen und deren strukturelle Rahmen in Analysen einbeziehen zu können. Dominik Baldin (Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik und Technische Universität München) präsentierte unter dem Titel „Anders, anderer, am andersten?“ den theoretischen Rahmen seiner empirisch angelegten Untersuchung zur Situation von Menschen mit Behinde-rungen und Migrationshintergrund im deutschen Hochschulsystem. Er griff dabei auf die inter-sektionale Mehrebenenanalyse von Winker/Degele zurück und modifiziert diese im Hinblick auf das Herrschaftsverhältnis „Bodyismus“, welches er durch „Ableismus“ ersetzt. Stefanie Frings (Technische Universität München) beleuchtete in ihrem Vortrag „Vielfalt – Chan-ce oder Stolperstein im (Aus-)Bildungssystem“ den Umgang mit Vielfalt im Bildungssystem aus einer steuerungstheoretischen Perspektive. Mit Bezug zur Systemtheorie trat sie für eine Fokus-verschiebung weg von Gesellschafts-, hin zu Organisationstheorien ein und warf die Frage auf, wie dann die Lücke zwischen Inklusionsgebot und tatsächlicher Exklusion zu schließen sei.

Dr.  Heike  Raab,  Universität  Innsbruck  

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Prof.  Dr.  Gertraude  Krell,  Freie  Universität  Berlin  

III. Zur Bearbeitung von Diversität in Organisationen Mit ihrem Keynote-Vortrag „Wahrheitsspiele: Diversity versus Intersektionalität oder Diversity inklusive Intersektionalität“ eröffnete Prof. Dr. Gertraude Krell (Freie Universität Berlin) den dritten thematischen Block der Tagung, in dem eine Rückbindung der theoretischen Auseinandersetzung mit Diver-sität an die organisationale Bearbeitung von Differenzen angestrebt wurde. Dabei ging es Frau Prof. Krell darum, gängige Vorurteile gegenüber mit dem Schlagwort „Diversity“ belegter Forschung aufzudecken und zu entkräften. So führte sie aus, dass Intersektionalität in den USA schon immer im Kontext von Diversity Studies thematisiert sei und plädierte für eine interdisziplinäre Etablierung der Diversity Studies in den deutschen Sozialwissenschaften. Hier schlossen Prof. Dr. Regine Bendl und Dr. Helga Eberherr (beide Wirtschaftsuniversität Wien) an mit ihrer Präsentation „Multiple Ungleichheiten“ zum Verhältnis von Diversitätsmana-gement und Intersektionalitätsforschung. Ihr zentraler Fokus lag darauf, am Beispiel des Execu-tive Search-Prozesses „Headhunting“ empirisch fundiert aufzuzeigen, wann und warum be-stimmte Kategorien als relevant und wirkmächtig angenommen bzw. vorausgesetzt werden und andere nicht. Laura Dobusch (Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik und Technische Universität München) präsentierte im Anschluss unter dem Titel „Diversity-Diskurse in Organisationen: Be-hinderung als Grenzfall?“ zentrale Ergebnisse einer Feldstudie zu Deutungsmustern der Vielfalt in Organisationen, die sich selbst als „aktiv“ im Bereich des Diversity Managements bezeichnen. Insbesondere ging sie dabei auf Inklusions- und Exklusionsfolgen im Kontext der Kategorie Be-hinderung ein. Florian Kiuppis (Lillehammer University College) trug erste Vorüberlegungen zu einer Studie „Diskursive Gleichzeitigkeiten von Universalisierung und Partikularisierung in Sozialen Bewe-gungen“ vor. Anhand von Fallbeispielen zum Umgang mit Diversität in Disabled Peoples Orga-nisationen sollen transnational vergleichend die Mitgliedsorganisation von Disabled Peoples‘ International in den Vereinigten Staaten sowie eine Independent Living-Organisation in Norwe-gen betrachtet werden. Caroline Richter (Ruhr-Universität Bochum) schloss den dritten inhaltlichen Block schließlich mit ihrem Beitrag „‘Stille Post‘: Schwerhörigkeit und die Organisation von Arbeit“. Darin präsentierte sie die Ergebnisse zweier Forschungsarbeiten, die den Einfluss von Schwerhörigkeit auf berufli-che Kommunikation und Teilhabe sowie die Auswirkungen von Arbeitsassistenz für lautsprach-lich orientierte Beschäftigte an der Ruhr-Universität Bochum thematisierten. Aus soziologischer Perspektive verband sie Schwerhörigkeit als funktionale Einschränkung mit (nicht-)intendierten, aber verbundenen strukturellen Praktiken und Legitimationskonstruktionen. In den beiden abschließenden Statements von Prof. Dr. Axel Groenemeyer (Sprecher der DGS-Sektion Soziale Probleme und soziale Kontrolle, Technische Universität Dortmund) und Prof. Dr. Elisabeth Wacker wurden die Beiträge der Konferenz einerseits in einen breiteren soziologi-schen Zusammenhang gestellt („Problematisierungsprozesse von Differenz“) und andererseits

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an das in Folge der UN-Behindertenrechtskonvention und die mit ihr eingegangenen Verbind-lichkeiten reale Aufgabenfeld Diversity und Dis-/Ability rückgekoppelt. Resümee und die sehr positive und breite Resonanz der Tagung „Diversität und Inklusion – Umgang mit Ver-schiedenheit bei Beeinträchtigung und Behinderung“ weisen darauf hin, dass ein Themenfeld angeboten wurde, das aus vielerlei Perspektive aufmerksam verfolgt wird, aber zugleich wissenschaftlich eher ein Schattendasein fristet. Daraus lassen sich Aufträge an Forscher_innen ableiten, die eigenen Arbeitsschwer-punkte disziplinär bzw. transdisziplinär so zu verorten, dass sich eine „Forschungsperspektive Diversität“ im Diskurs der Fachwissenschaften besser etabliert und der oftmals oberflächlichen Kritik an Diver-sitäts-Konzepten mit substanzieller Forschung begegnet wird. Von dieser sicheren Fachfundie-rung lässt sich dann wohl auch der Weg zu den in Organisationen bereits vielfach verankerten Diversitätsdiskursen und -praktiken passender bahnen.