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Doing Culture - Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur ... · Matthias Wieser Inmitten der Dinge. Zum Verhältnis von sozialen Praktiken und Artefakten 92 . . . . . . . .

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Doing Culture

2004-08-16 12-51-15 --- Projekt: T243.sozialtheorie.reuter-hörning / Dokument: FAX ID 01f460679393814|(S. 1 ) T00_01 schmutztitel.p 60679393934

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2004-08-16 12-51-15 --- Projekt: T243.sozialtheorie.reuter-hörning / Dokument: FAX ID 01f460679393814|(S. 2 ) T00_02 autor.p 60679393966

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Karl H. Hörning, Julia Reuter (Hg.)

Doing CultureNeue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis

2004-08-16 12-51-16 --- Projekt: T243.sozialtheorie.reuter-hörning / Dokument: FAX ID 01f460679393814|(S. 3 ) T00_03 innentitel.p 60679394030

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Bibliografische Information der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2004 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlagesurheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektro-nischen Systemen.

Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, BielefeldSatz: digitron GmbH, BielefeldDruck: Majuskel Medienproduktion GmbH, WetzlarISBN 3-89942-243-0

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zell-stoff.

Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de

Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter:[email protected]

2004-08-16 12-51-17 --- Projekt: T243.sozialtheorie.reuter-hörning / Dokument: FAX ID 01f460679393814|(S. 4 ) T00_04 impressum.p 60679394070

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Inhalt Karl H. Hörning und Julia ReuterDoing Culture: Kultur als Praxis 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Theorie sozialer Praktiken

Karl H. HörningSoziale Praxis zwischen Beharrung und Neuschöpfung.Ein Erkenntnis- und Theorieproblem 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Andreas ReckwitzDie Reproduktion und die Subversion sozialer Praktiken.Zugleich ein Kommentar zu Pierre Bourdieu und Judith Butler 40 . . . .

Michael MeierBourdieus Theorie der Praxis – eine ›Theorie sozialer Praktiken‹? 55 . .

Materialität sozialer Praktiken

Stefan HirschauerPraktiken und ihre Körper.Über materielle Partizipanden des Tuns 73 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Matthias WieserInmitten der Dinge.Zum Verhältnis von sozialen Praktiken und Artefakten 92 . . . . . . . . . . .

Ingo Schulz-SchaefferRegelmäßigkeit und Regelhaftigkeit. Die Abschirmungdes technischen Kerns als Leistung der Praxis 108 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Macht sozialer Praktiken

Sven ReichardtPraxeologie und Faschismus. Gewalt und Gemeinschaftals Elemente eines praxeologischen Faschismusbegriffs 129 . . . . . . . . . .

Urs StäheliSubversive Praktiken?Cultural Studies und die ›Macht‹ der Globalisierung 154 . . . . . . . . . . . . .

Medialität sozialer Praktiken

Udo GöttlichKreativität in der Medienrezeption? Zur Praxis derMedienaneignung zwischen Routine und Widerstand 169 . . . . . . . . . . . .

Helga KotthoffOverdoing Culture. Sketch-Komik, Typenstilisierungund Identitätskonstruktion bei Kaya Yanar 184 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Norbert SieprathMedienaneignung als blinder Fleck der Systemtheorie 201 . . . . . . . . . . . .

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Hybridität sozialer Praktiken

Kien Nghi HaHybridität und ihre deutschsprachige Rezeption.Zur diskursiven Einverleibung des ›Anderen‹ 221 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Julia ReuterPostkoloniales Doing Culture. Oder: Kultur als translokale Praxis 239 . .

Anhang

Autorinnen und Autoren 259 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Doing Culture: Kultur als Praxis

Karl H. Hörning und Julia Reuter Kultur ist dynamisch; sie ist in action. Immer häufiger richtet sich das For-schungsinteresse nicht auf die Kultur, sondern auf die Vielfalt kulturellen

1Wandels. Treibende Kraft dieses Wandels sind nicht nur ›objektive‹ Pro-zesse der Differenzierung, Virtualisierung oder Globalisierung. Es ist vorallem das Handeln der Akteure, das Kultur bewegt. Durch die grundsätzli-che Kennzeichnung des Menschen als ›Kulturwesen‹, der mit Kultur pro-duktiv umgeht, rückt die Kultur wieder ins Zentrum der Gesellschaftsanaly-se. Seit Mitte der 1980er Jahre zeichnet sich in der Soziologie dieser culturalturn ab. Mit dieser ›Wende‹ erlangt Kultur den Status eines grundlegendenPhänomens sozialer Ordnung zurück, das sämtliche Gesellschaftsbereichedurchdringt – Verwandtschaftsbeziehungen und Familienleben, Arbeitsrol-len und Organisationen, Kommunikationsformen und Bedeutungen derSprache, Körpererfahrungen und Geschlechterbeziehungen, nicht zuletztArbeits- und Erkenntnisweisen der Wissenschaft. Wichtige Impulse für die-se Revitalisierung der Soziologie als Kultursoziologie kamen dabei nicht nuraus den eigenen Reihen, sondern aus disziplinübergreifenden Diskussions-zusammenhängen, führend aus der Ethnologie Clifford Geertz’ und denanglo-amerikanischen Cultural Studies. Durch diese Öffnung der Soziolo-gie zu anderen Kulturwissenschaften wurde der Kulturbegriff immer offe-ner, nicht zuletzt, weil unter dem Einfluss der Cultural Studies auch die Er-forschung ›vulgärer‹, populärkultureller Gegenstände ›salonfähig‹ wurde.Im Gegensatz zu früheren Ansätzen, die einer Substanzialisierung, Totali-sierung und Territorialisierung von Kultur Vorschub leisteten, wird jetztKultur als Prozess, als Relation, als Verb verstanden. Der Begriff der Kultur ›in Aktion‹ ist wörtlich zu verstehen, denn es 1 | Vgl. hierzu auch Gebhardt 2001.

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sind die Aktionen im Sinne eingelebter Umgangsweisen und regelmäßigerPraktiken der Gesellschaftsmitglieder, die zu dem zentralen Bezugspunktvon Kulturanalysen avancieren. Auch die theoretische Herangehensweiseträgt diesem Umstand Rechnung: Statt Kultur als Mentalität, Text oderBedeutungsgewebe kognitivistisch zu verengen, oder sie als fragloses Wer-te- und Normensystem strukturalistisch zu vereinnahmen, wird in anti-mentalistischer und ent-strukturierender Weise von Kultur als Praxis ge-sprochen. Was zunächst eher als loses Bündel von Ansätzen eine analyti-sche wie empirische Neuausrichtung der Kultursoziologie anstieß, formtsich gegenwärtig zu einem eigenständigen Paradigma, zu einer »Praxis-wende« aus (Schatzki/Knorr Cetina/von Savigny 2001), hinter der sichnicht nur eine internationale (Wieder-)Entdeckung praxiszentrierter Ansät-ze in Philosophie, Soziologie, Geschichts- und Kulturwissenschaften ver-birgt. Vielmehr geht es um ein grundsätzliches verändertes Verständnis derzentralen Analyseeinheiten des sozialen Lebens, das am Begriff der Praxisentfaltet wird: Kultur als Praxis bedeutet sowohl ein modifiziertes Verständ-nis von Kultur als auch ein modifiziertes Verständnis des Handelns, desAkteurs, des Sozialen schlechthin (vgl. Reckwitz 2003). Dem liegt einetheoretische, wir nennen sie ›praxistheoretische‹ Prämisse zugrunde: Ganzgleich, ob der Umgang mit dem Computer im Betrieb oder dem Auto imAlltag, die Rezeption von Fernsehsendungen oder wissenschaftlichen Tex-ten, der Prozess der Identifikation oder Repräsentation von Personen, oderauch nur die Art und Weise, wie üblicherweise Fahrstuhl gefahren, Ge-schlecht praktiziert oder Wissen gewusst wird – es handelt sich um dasPraktizieren von Kultur. Und: Die gesellschaftliche Wirklichkeit ist keine›objektive Tatsache‹, sondern eine ›interaktive Sache des Tuns‹. Wir haben diese am Praxisbegriff orientierte empirische wie theoreti-sche Neureflexion von Kultur und Gesellschaft als doing culture bezeichnet.Doing culture steht als Sammelbegriff für das ›Dickicht‹ der pragmatischenVerwendungsweisen von Kultur: doing gender, doing knowledge, doing identityoder doing ethnicity sind nur einige von zahlreichen Beispielen. Doing culturesieht Kultur in ihrem praktischen Vollzug. Es bezeichnet ein Programm,das den praktischen Einsatz statt die vorgefertigten kognitiven Bedeutungs-und Sinnstrukturen von Kultur analysiert. Es zielt auf die Pragmatik vonKultur; auf Praxiszusammenhänge, in die das Kulturelle unweigerlich ver-wickelt ist, in denen es zum Ausdruck kommt, seine Verfestigungen undseinen Wandel erfährt. Die praktischen Verhältnisse des sozialen Lebenslassen Kultur erst zu ihrer Wirkung gelangen. Damit treten Fragen nach derpraktischen Hereinnahme, des konkreten Vollzugs und der Reproduktionvon Kultur, aber auch Fragen nach ihrer ungleichen Verteilung und Hand-habung in den Vordergrund. Kultur als Praxis verbindet das Kulturelle mit dem Sozialen. Wie und

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was wir essen, wie und was wir arbeiten, wie und wen wir heiraten, ist ausdieser Perspektive weder eine rein kulturelle noch eine rein soziale Angele-genheit, schon gar nicht eine körperlicher Bedürfnisse. Sie ist, wie PierreBourdieu bereits in den 1970er Jahren für die französische Gesellschaft ge-zeigt hat, eine kulturelle und soziale Frage, die nach der kulturellen Be-dingtheit der sozialen Praxis. Im Praktizieren von Kultur wird Macht undsoziale Ungleichheit repräsentiert, in ihr wird sie verwirklicht. Soziale Pra-xis ist immer schon mit Bewertungen, mit Interpretationen, Selbst- undFremddeutungen verknüpft, auch wenn diese eher unbemerkt und unre-flektiert ›mitlaufen‹. Insofern macht eine Unterscheidung von sozialer undkultureller Praxis ebenso wie die dualistische Gegenüberstellung von sozia-ler Ungleichheit und kulturellen Unterschieden wenig Sinn. Aber nicht nurdie Differenzen entlang unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen, sondernauch die Differenzen innerhalb der Praxis ein und derselben Gruppe odereinzelner Akteure kommen dann in den Blick: eben jene ›Verunreinigun-gen‹ und Synkretismen von Kultur, die auf einer Vermischung mit der Kon-tingenz menschlicher Lebenspraxis beruhen. Doing culture ist immer auchdoing difference, gleichwohl nicht alle Differenzen als Ungleichheiten prakti-ziert werden. Es bleiben immer auch Spielräume, dasselbe anders zu ma-chen. Dabei wird die Kontingenz der Praxis unterschiedlich erklärt: Praxis-theorien, die im Rahmen der Analysen von kultureller Globalisierung ste-hen, sehen die Kontingenz der Praxis als Folge einer unberechenbaren Kre-olisierung oder Hybridisierung der Lebenswelt. So betonen etwa Theoreti-kerInnen der Cultural und Postcolonial Studies, dass (populär-)kulturelleGebrauchs- und Aneignungskontexte entlang der kommunikations-, me-dien- oder migrationsbedingten Neuartikulation des Globalen und Lokalenstets polyphon, intertextuell und umkämpft sind und damit ebensolchePraktiken hervorbringen. Artefakt- oder körpertheoretische Ansätze dage-gen sehen die Kontingenz in der Materialität sozialer Praktiken begründet.Dinge und Körper als Teilelemente oder Träger sozialer Praktiken erschei-nen dabei weder ausschließlich als zu bearbeitende Objekte noch als Kräfteeines physischen Zwangs (vgl. Reckwitz 2003: 291). In Gestalt materialisier-ter »Aktanten« (Latour) oder selbsttätiger »Kommunikationsmedien«(Hirschauer in diesem Band) fordern sie die Wiederholung und Mobilisie-rung von Praktiken immer auch heraus. Wieder andere führen die Kontin-genz der Praxis auf das für das Ausüben einer Praktik notwendige prakti-sche Wissen zurück. Praktisches Wissen, so die These der Pragmatisten,besteht aus unterschiedlichen Wissenskomplexen. Es entspringt keinem ge-festigten Fakten- oder Lösungswissen, sondern einem doing knowledge(Hörning in diesem Band), das als ›Wissen-wie‹ oder ›implizites Wissen‹kreativ und explorativ in der Praxis zum Einsatz kommt.

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Was aber bedeutet die Kontingenz der Praxis für die Kultur? Zunächsteinmal, dass die Kultur selbst ein translokales, kreatives und explorativesPhänomen ist und keine territorial fixierte Entität, wie moderne (imperiali-stische) Kulturtheorien behaupten (Reuter in diesem Band). Nichtsdesto-trotz ist Kultur immer auch materiale Kultur, aber die Materialität ist keinephysikalische oder biologische Größe. Sie ist eine praktisch hergestellte Mate-rialität, die mit anderen Materialitäten und Praktiken netzwerkartig ver-knüpft ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um die Materialität vonTerritorien, Dingen oder Körpern handelt. Sie alle sind kulturell geformt.Auch Kultur lässt sich häufig erst im Umgang mit Dingen und Körpernwirklich ›dingfest‹, d.h. sichtbar, aufzeigbar, nachweisbar, nachvollziehbarmachen. Interessant sind aus dieser Sicht weniger die Fragen nach der Un-terscheidung von Menschen und Dingen, Technik und Gesellschaft oderNatur und Kultur, auch nicht solche nach der Autonomie und Qualität dersymbolischen Sinn- und Zeichenmuster. Interessant sind Fragen nach denEinsatz- und Rückwirkungsformen von Kultur im Zuge ihrer lebensprakti-schen intersubjektiven wie interobjektiven ›Vereinnahmung‹. Aber auch diehistorische Genese von kulturellen Sinnmustern und Wissensordnungensowie ihre Habitualisierung und Materialisierung stehen dann im Vorder-grund. Zugleich zeigt jedoch der Blick in die Praxis, dass die kulturellen Ord-nungen nicht zwangsläufig ›ordentlich‹ praktiziert werden. Ihr Sinn ist nievollständig vorgegeben, sondern wird häufig erst durch eine bestimmtekörperliche Fertigkeit ›in Gang‹ gesetzt. Damit verschiebt sich stellenweisedie Aufmerksamkeit von der Kultur auf die Praxis: Mehr doing, weniger cul-ture wird hier erfragt. Durch diese Priorität der Seite des Vollzugs, der Ver-körperung und Ausführung rückt der (kultur-)soziologische Praxisbegriffstellenweise sehr nah an den Performanzbegriff heran. Doch anders als diein den Kultur- und Sprachwissenschaften geführte Performanzdiskussion(vgl. etwa Kertscher/Mersch 2003; Wirth 2003), geht es ihm gerade nichtum die singuläre Aufführung und Präsentation. Nicht jede Hantierung,nicht jedes Tun ist schon Praxis. Erst durch häufiges und regelmäßigesMiteinandertun bilden sich gemeinsame Handlungsgepflogenheiten her-aus, die soziale Praktiken ausmachen. Soziologisch interessant ist jenes ge-meinsame Ingangsetzen und Ausführen von Handlungsweisen, die in relativroutinisierten Formen verlaufen und eine bestimmte Handlungsnormalitätim Alltag begründen (vgl. Hörning 2001: 160f.). Auch wenn doing cultureeine Reihe von stilisierten Praktiken umfasst, die als Ritual oder als Konven-tion repräsentativen oder als Emanzipationsakt subversiven Charakter an-nehmen, ist der soziologische Praxisbegriff eher unspektakulär: Meistensbezeichnet er Alltagsroutinen, Gepflogenheiten oder habitualisierte Mach-arten, die gar kein aktives doing vom Einzelnen verlangen.

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Genau darin liegt die eigentliche praxistheoretische Herausforderungvon Kulturanalysen: Sie formuliert einerseits die Aufgabe, unmittelbar ver-ständliche und vorhersehbare Praktiken gerade nicht als unmittelbar ver-ständlich und vorhersehbar zu begreifen, sondern die dahinterliegendenkulturellen Formen und Sinnbezüge herauszuarbeiten, die bewirken, dassPraktiken als unmittelbar verständlich und vorhersehbar wahrgenommenwerden (vgl. Bourdieu 1987: 108). Andererseits gilt es, in ethnographischerManier aufzuzeigen, wie kultureller Sinn, wie dieses kulturelle Wissen undDenken im gemeinsamen Handeln tatsächlich praktiziert wird. Wenn auchdie Praktiken des Computerbedienens, des Small Talk, des Lesens oder derGeschlechtsdarstellung auf den ersten Blick simpel erscheinen. Manchmalreicht ein falscher Knopfdruck, ein unpassendes Wort oder eine unbeab-sichtigte Geste, um den Normallauf der Interaktion zu behindern. Dies ist nicht nur ein empirisches Problem. Es stößt auch ein ›altes‹Theorie- und Erkenntnisproblem an: Wo ist diese Praxis zu verorten? Ist sieeher als heroische Einzeltat, als theatrale Inszenierung oder als rationaleWahl dem Subjekt zuzuschlagen, oder ist sie als systemerhaltende Kraft, alsdurchgängige Ausführung von Regeln und Normen aus den objektivenStrukturen heraus zu erklären? Weder noch, so das Credo der praxistheore-tischen Diskussion: Praxis ist als Scharnier zwischen dem Subjekt und denStrukturen angelegt und setzt sich damit von zweckorientierten und norm-orientierten Handlungstheorien gleichermaßen ab. Praxis ist zugleich re-gelmäßig und regelwidrig, sie ist zugleich wiederholend und wiedererzeu-gend, sie ist zugleich strategisch und illusorisch. In ihr sind Erfahrungen,Erkenntnisse und Wissen eingelagert, manchmal sogar regelrecht einver-leibt. Doch die Erfahrungen, die Erkenntnisse und das Wissen werden inder Praxis immer wieder neu eingebracht, erlebt und mobilisiert. Sie sindkeine Objekte, die passiv registriert oder aber intellektualistisch angeeignetwerden. Man braucht sich in Bourdieus Worten nur in die »wirkliche, sinn-liche Tätigkeit [des Erfahrens, Erkennens und Wissens], also in das prakti-sche Verhältnis zur Welt hineinzuversetzen, in jene beschäftigte und ge-schäftige Gegenwärtigkeit auf der Welt, durch welche die Welt ihre Gegen-wärtigkeit mit ihren Dringlichkeiten aufzwingt […], ohne sich jemals wie einSchauspiel zu entfalten« (Bourdieu 1987: 97). Praxistheoretische Ansätze betonen also nicht nur das ›In-der-Welt-Sein‹ kultureller Akteure. Sie reflektieren auch ihr eigenes praktische Ver-hältnis des Verhaftet- und Eingebundenseins, jene praktische Logik derTheorie, die Aussagen über kulturelle Akteure trifft. Insofern geht der prac-tice turn deutlich über den cultural turn hinaus: Er erweitert nicht bloß denGegenstand der Kulturanalyse auf potenziell sämtliche Bereiche der Gesell-schaft. Er fragt auch nach den Praktiken des Theoretisierens dieser potenti-ellen Gegenstandsbereiche. Denn je nachdem, welche Praktik des Theoreti-

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sierens vorliegt, kann soziale Praxis unterschiedliche Formen annehmen:als individualistische Strategie oder als gesellschaftliche Routine, als be-wusste oder als mechanische Aktion, als selbständige Interpretation oder alsRegelerfüllen (Reckwitz in diesem Band). Meist sind es nicht die Praktikenselbst, sondern die begrifflichen, theoretischen und methodologischen Ge-gensätze, die das doing culture so unterschiedlich erscheinen lassen. Geradedie Soziologie hat hierfür prägnante Beispiele: Individuum und Gesell-schaft, Handeln und Struktur, Verstehen und Erklären, Mikro- und Makro-soziologie, interpretatives und normatives Paradigma. Sie stehen nicht nurfür begriffliche Differenzierungen, sondern auch für zwei unterschiedlicheErkenntnisweisen, die als subjektivistisch oder objektivistisch bezeichnetwerden können. Praxistheorien verstehen sich als ›blinder Fleck‹ dieser künstlich ge-schaffenen Aufteilung erkenntnistheoretischer Grundpositionen in Subjek-tivismus und Objektivismus. Insofern beinhalten sie eine doppelte ›Logikder Praxis‹: Einerseits verweisen sie auf die handlungslogischen Differenzenim alltäglichen doing culture, andererseits betonen sie die erkenntnislogischenDifferenzen im wissenschaftlichen doing culture. Praxistheorien fragen nachden eigenen Bedingungen ihrer theoretischen Erkenntnis. Im Gegensatz zustrukturalistischen Theorien privilegieren sie nicht das ideelle Konstrukt vorder Materialität praktischer Realisierung. Im Gegenteil, die Praxis wird überdie Theorie gestellt: Auch Theorie ist primär Praxis. Zum Ausdruck kommtdies in Begriffen des ›praktischen Sinns‹, des ›praktischen Bewusstseins‹,der ›Praxeologie‹ oder auch der ›praktischen Vernunft‹. Sie leiten nicht nurdie Arten und Weisen des Erkennens, Denkens und Wissens der Akteureim Alltag, sondern auch die der wissenschaftlichen Praxiswelt an. Die Her-ausforderung der ›Praxiswende‹ in den Sozial- und Kulturwissenschaftenbesteht darin, das wissenschaftliche Verhältnis zur Praxis von der prakti-schen Einbeziehung in die Praxis zu lösen und damit auch die Grenzen dertheoretischen Erkenntnis des Wissenschaftlers und der praktischen Er-kenntnis des Handelnden herauszuarbeiten (vgl. Schwingel 1993: 41). Der vorliegende Band nimmt diese Herausforderung an, indem er we-sentliche und innovative Beiträge zur Logik der Praxistheorie und zur Logikder Alltagspraxis in einer breiten soziologischen Diskussion verortet. Imersten Teil werden neben zentralen Elementen einer Praxistheorie vor allemdie unterschiedlichen Formen und Konsequenzen ihres Theoretisierenshervorgehoben. Hierzu greifen die Beiträge auf zentrale Autoren, wie PierreBourdieu, Michel Foucault, Ludwig Wittgenstein oder Judith Butler undihre Logik der Praxis zurück und nehmen eine differenzierte Kontextuali-sierung, stellenweise auch eine programmatische Kanonisierung der unter-schiedlichen Theorien vor. In den darauffolgenden Kapiteln werden vor al-lem die grundlegenden Merkmale: Materialität, Macht, Medialität und Hyb-

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