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Ro ¨ntgenpraxis 56 (2006) 113—117 Du¨nndarmobstruktion durch Retention einer Videoendoskopie-Kapsel bei einem Patienten mit Rektumkarzinomrezidiv Retention of a video capsule leading to small bowel obstruction in a patient with recurrence of rectum carcinoma Marc Heinrich a, , Aleksandar Grgic a , Martina Heckmann a , Michael Uder b a Klinik fu ¨r Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universita¨tsklinikum des Saarlandes, Kirrbergerstr. 1, 66421 Homburg/Saar, Germany b Institut fu ¨r Diagnostische Radiologie, Friedrich-Alexander Universita¨t Erlangen-Nu ¨rnberg, Maximiliansplatz 1, 91054 Erlangen, Germany KEYWORDS Video capsule; Capsule endoscopy; Capsule retention; Small-bowel obstruction Zusammenfassung Die Kapselendoskopie hat sich zum sensitivsten und spezifischsten Verfahren zur Beurteilung der Du ¨nndarmmukosa entwickelt und wird zunehmend von Gast- roenterologen eingesetzt. Die wichtigste Komplikation stellt dabei die Kapselreten- tion bei Patienten mit vorbestehender Du ¨nndarmstenose dar. Wir berichten u ¨ber den Fall eines 73 Jahre alten Patienten, bei dem aufgrund gastrointestinaler Blutungen eine Kapselendoskopie durchgefu ¨hrt wurde, wobei es zur Retention der Kapsel im Ileum mit Entwicklung einer Du ¨nndarmobstruktion in den folgenden Tagen kam. Intraoperativ zeigte sich, dass die Kapsel in einem Ileumsegment retiniert wurde, das von einem Rektumkarzinomrezidiv infiltriert war. Der Radiologe sollte diese Komplikationsmo¨glichkeit der Kapselendoskopie kennen, ebenso wie den Stellen- wert der radiologischen Untersuchungsverfahren des Du ¨nndarmes mit denen mo¨glicherweise eine freie Passage der Videokapsel vorhergesagt werden kann. & 2006 Elsevier GmbH. All rights reserved. Abstract Wireless capsule endoscopy has become the most sensitive and most specific diagnostic modality for evaluation of the mucosa of the small bowel and is increasingly used by gastroenterologists. The most important complication is ARTICLE IN PRESS www.elsevier.de/rontge 0035-7820/$ - see front matter & 2006 Elsevier GmbH. All rights reserved. doi:10.1016/j.rontge.2006.05.002 Korrespondierender Autor. Tel.: +68411624600; fax: +6841 1624696 E-Mail: [email protected] (M. Heinrich).

Dünndarmobstruktion durch Retention einer Videoendoskopie-Kapsel bei einem Patienten mit Rektumkarzinomrezidiv

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Rontgenpraxis 56 (2006) 113—117

0035-7820/$ - sdoi:10.1016/j.

�KorrespondE-Mail: ram

www.elsevier.de/rontge

Dunndarmobstruktion durch Retention einerVideoendoskopie-Kapsel bei einem Patienten mitRektumkarzinomrezidivRetention of a video capsule leading to small bowelobstruction in a patient with recurrence of rectumcarcinoma

Marc Heinricha,�, Aleksandar Grgica, Martina Heckmanna, Michael Uderb

aKlinik fur Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitatsklinikum des Saarlandes,Kirrbergerstr. 1, 66421 Homburg/Saar, GermanybInstitut fur Diagnostische Radiologie, Friedrich-Alexander Universitat Erlangen-Nurnberg,Maximiliansplatz 1, 91054 Erlangen, Germany

KEYWORDSVideo capsule;Capsule endoscopy;Capsule retention;Small-bowelobstruction

ee front matter & 2006rontge.2006.05.002

ierender Autor. Tel.: +6hei@uniklinik-saarland.

ZusammenfassungDie Kapselendoskopie hat sich zum sensitivsten und spezifischsten Verfahren zurBeurteilung der Dunndarmmukosa entwickelt und wird zunehmend von Gast-roenterologen eingesetzt. Die wichtigste Komplikation stellt dabei die Kapselreten-tion bei Patienten mit vorbestehender Dunndarmstenose dar. Wir berichten uber denFall eines 73 Jahre alten Patienten, bei dem aufgrund gastrointestinaler Blutungeneine Kapselendoskopie durchgefuhrt wurde, wobei es zur Retention der Kapsel imIleum mit Entwicklung einer Dunndarmobstruktion in den folgenden Tagen kam.Intraoperativ zeigte sich, dass die Kapsel in einem Ileumsegment retiniert wurde,das von einem Rektumkarzinomrezidiv infiltriert war. Der Radiologe sollte dieseKomplikationsmoglichkeit der Kapselendoskopie kennen, ebenso wie den Stellen-wert der radiologischen Untersuchungsverfahren des Dunndarmes mit denenmoglicherweise eine freie Passage der Videokapsel vorhergesagt werden kann.& 2006 Elsevier GmbH. All rights reserved.

AbstractWireless capsule endoscopy has become the most sensitive and most specificdiagnostic modality for evaluation of the mucosa of the small bowel and isincreasingly used by gastroenterologists. The most important complication is

Elsevier GmbH. All rights reserved.

841 1624600; fax: +6841 1624696de (M. Heinrich).

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retention of the video capsule in patients with pre-existing strictures of the smallbowel. We report on a case of a 73-year-old man who underwent capsule endoscopybecause of obscure gastrointestinal bleeding. The capsule was retained in the ileumleading to small bowel obstruction during the following days. Surgery demonstratedthat the capsule had been retained in a segment of the ileum which was infiltratedby a recurrence of rectum carcinoma. Radiologists should know this complication ofcapsule endoscopy as well as the relative importance of the radiographic techniquesfor evaluating the small bowel, which possibly could predict a free passage of thevideo capsule.& 2006 Elsevier GmbH. All rights reserved.

Einleitung

Die Kapselendoskopie ermoglicht die direkteUntersuchung des gesamten Dunndarms auf nicht-invasive Weise und hat sich daher zu einerwichtigen Untersuchungsmodalitat bei der Evalua-tion vermuteter Dunndarmerkrankungen entwik-kelt [1,2]. Die mogliche Retention der Kapsel isteine Hauptsorge bei der Durchfuhrung der Kapsel-endoskopie, da die Kapselretention eine akuteObstruktion des Dunndarmes induzieren und somiteine Operation erforderlich machen kann beiPatienten, die ansonsten konservativ behandeltworden waren [1]. Wir berichten uber einenPatienten, bei dem ein Rektumkarzinomrezidivmit Infiltration des Ileums zu einer Retention derEndoskopiekapsel mit Obstruktion des Dunndarmsgefuhrt hat.

Abbildung 1. Die Abdomenubersichtsaufnahme zeigtgeblahte Dick- und Dunndarmschlingen sowie die reti-nierte Videokapsel im rechten Unterbauch.

Fallbericht

Bei einem 73 Jahre alten Patienten mit unklarerBlutungsanamie und Hamatochezie wurde eineKapselendoskopie zur Untersuchung des Dunndar-mes durchgefuhrt. Zuvor blieben die Osophagogast-roduodenoskopie und Koloskopie, sowie einauswarts erfolgtes Enteroklysma ohne richtungs-weisenden Befund. Vier Jahre zuvor war eine tiefeanteriore Rektumresektion bei einem Rektumkarzi-nom (pT2, N0, MX, GIII) durchgefuhrt worden. Nachder Kapselendoskopie entwickelte der Patientrezidivierende Subileuszustande, wobei die spon-tane Ausscheidung der Kapsel ausblieb. Auf derUbersichtsaufnahme des Abdomens nach zwei undnach vier Tagen zeigte sich die Kapsel unverandertim rechten Unterbauch (Abb. 1). Nach sechs Tagenerfolgte eine Magen-Darm-Passage sowie ein Kon-trastmitteleinlauf des Kolons mit einem wasser-loslichen Kontrastmittel (Abb. 2a, b). Die Magen-Darm-Passage war zeitgerecht, das Kontrastmittelhatte nach einer Stunde das Coecum erreicht.

Dilatierte Dunndarmschlingen oder ein Passagestopzeigten sicht nicht. Das Ileum war jedoch nur flaukontrastiert und nicht ausreichend beurteilbar. DieKapsel lag unverandert prasakral in einer Dunn-darmschlinge im rechten Unterbauch. Nach zwolfTagen wurde ein Enteroklysma durchgefuhrt(Abb. 3a–c). Dabei zeigte sich eine deutlichverzogerte Kontrastmittelpassage im distalenDunndarm. Im Ileum fand sich eine hochgradigeObstruktion des Darmlumens durch die Endoskopie-kapsel, die an einer Stenose des Darmes fest-gehalten war. Prastenotisch war es zu einererheblichen Dilatation des Darmsegmentes gekom-men. Im Bereich der Stenose war das Wand- undSchleimhautrelief polypos destruiert. Auch beigezielter manueller Palpation unter Durchleuch-tung ließ sich die Kapsel nicht mobilisieren. Nach 14

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Abbildung 2. (a) Zeitgerechte Magen-Darm-Passage deswasserloslichen Kontrastmittels. Die Dunndarmschlingensind nicht dilatiert. Die Kapsel liegt unverandert imrechten Unterbauch. (b) Beim Kolonkontrasteinlaufkommt die Kapsel prasakral gelegen zur Darstellung,der Retrorektalraum ist erweitert, die dorsale Wandkon-tur des Rektums unregelmaßig begrenzt bei fruhereranteriorer Rektumresektion.

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Tagen wurde aufgrund der Ileussymptomatik dieIndikation zur Operation gestellt. Intraoperativzeigte sich eine Dunndarmschlinge, welche mitder Wand des Os sacrum fest verwachsen war. Eswurde ein 20 cm langes Ileumsegment reseziert,wobei die endoluminal platzierte Videokamerageborgen werden konnte. Die histologische Aufar-beitung ergab ein ulcerierendes und infiltrativwachsendes Adenokarzinom vom kolorektalen Typ,das am ehesten einer Metastase des klinischbekannten Rektumkarzinoms entsprach.

Diskussion

Die Kapselendoskopie ist eine neue Methode zurBildgebung des Dunndarmes. Bis zur Entwicklungdieser Modalitat war der Dunndarm aufgrund seinerLange und Lokalisation weitgehend unerreichbarfur endoskopische Untersuchungen. Eine geschluck-te Videokapsel fertigt dabei photographische Bilderdes Darmes an und sendet sie mittels Radiofre-quenzsignalen zu einem Aufnahmegerat. Nach demHerunterladen der Bilder werden diese dann aneiner Computerworkstation betrachtet [3]. In denletzten vier Jahren hat die Anwendung der Kapsel-endoskopie eine dramatische Zunahme erfahrenund hat die endoskopische Untersuchung des Dunn-darmes revolutioniert [2,3]. Sie ist mittlerweileweltweit als eine wichtige Methode zur Bildgebungdes Dunndarmes akzeptiert [2]. Indikationen zurKapselendoskopie bestehen z.B. bei Patienten mitunklarer gastrointestinaler Blutung, bei Verdachtauf M. Crohn oder bei Patienten mit positiverZoliakie-Serologie bei unauffalliger endoskopischerBiopsie [2]. Dabei scheint die Kapselendoskopie derPush-Enteroskopie, der Koloskopie mit ilealerIntubation, der Magen-Darm-Passage und demEnteroklysma uberlegen zu sein [3].

Die Evaluation einer unklaren gastrointestinalenBlutung (unauffallige Gastroskopie und Koloskopie)stellt gegenwartig die haufigste Indikation zurKapselendoskopie dar [3]. Eine Pathologie desDunndarmes ist in 45–70% der Falle die Ursacheeiner unklaren gastrointestinalen Blutung, wobeisich diese Patienten bislang haufig zahlreichendiagnostischen Prozeduren unterziehen mussten,ohne dass eine definitive Diagnose gestellt werdenkonnte. Die Kapselendoskopie kann dagegen haufigPathologien aufdecken, die allen anderen Unter-suchungsmodalitaten entgangen waren [3,4]. DieKapselendoskopie gilt daher als die bevorzugteMethode zur Bildgebung der Mukosa des gesamtenDunndarmes und es wird empfohlen, dass sieBestandteil der initialen Untersuchung von Patien-ten mit okkulter gastrointestinaler Blutung seinsollte [3,4]. Eine Ausnahme davon stellt die starkegastrointestinale Blutung dar, bei der nach derGastroskopie und Koloskopie eine Angiographieerfolgen sollte [4].

Die mogliche Kapselretention stellt eine Haupt-sorge der Untersucher dar, da postuliert wurde,dass die Retention zu einer akuten Obstruktion desDunndarmes fuhren konnte, die eine chirurgischeIntervention erforderlich machen wurde. Dieskonnte theoretisch zu einer Operation fuhrenbei Patienten, die sonst konservativ behandeltworden waren. Dies gilt insbesondere fur Patientenmit M. Crohn oder einer Enteropathie durch

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Abbildung 3. (a) Das Enteroklysma zeigt eine deutlich verzogerte Kontrastmittelpassage im distalen Dunndarm mitausgepragter Dilatation der Dunndarmschlingen. (b,c) Im Ileum findet sich eine hochgradige Obstruktion desDarmlumens durch die Endoskopiekapsel, die durch eine Stenose des Darmes retiniert wird. Ausgepragte prastenotischeDilatation. Polypose Destruktion des Wand- und Schleimhautrelief im Bereich der Stenose. Intraoperativ zeigte sich eineInfiltration des Ileum durch ein Rektumkarzinomrezidiv.

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nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID) [1]. DieKapselretention ist definiert als eine Retention imDarmlumen uber 14 Tage, bis eine gezielte medika-mentose, endoskopische oder chirurgische Inter-vention eingeleitet wird [1]. Bekannte Ursacheneiner Retention sind Strikturen durch NSAID, M.Crohn, Dunndarmtumore, Strahlenenteritis undAnastomosenstrikturen. Die Haufigkeit einer Kap-selretention betragt �1,5%–1,9% der Falle, wobeidas Risiko bei bekanntem M. Crohn erhoht ist [1,5].Wie auch in unserem Fall haben sich bislanglediglich endoskopische und chirurgische Interven-tionen als effektiv erwiesen, wenn es zur Kapselre-tention gekommen ist [1,6]. Die bisherigenBeobachtungen weisen darauf hin, dass eine Kap-selretention generell zu einer elektiven Interven-

tion fuhrt, die auch therapeutischen Nutzen hat[7].

Das optimale Vorgehen um eine Kapselretentionzu vermeiden ist unklar. Wichtig ist eine guteAnamneseerhebung, um Patienten mit potentiellenStrikturen, einem bekannten M. Crohn oder chro-nischer Einnahme von NSAID zu identifizieren [1]. Esist bereits mehrfach gezeigt worden, dass eineunauffallige Magen-Darm-Passage das Vorliegeneiner Striktur nicht ausschließt und daher nichtvor einer Kapselretention schutzen kann [1,7].Dagegen scheint ein CT-Enteroklysma vor einerKapselendoskopie geeignet zu sein, Patienten mitStrikturen zu identifizieren, so dass dadurch Kap-selretentionen verhindert werden konnen [1]. Nochin Erprobung befindet sich eine losliche Testkapsel,

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mit der vor der Applikation der Videokapsel diePassage durch den Darm uberpruft werden kann[1]. Weitere Studien sind erforderlich, um zuevaluieren inwieweit durch die Durchfuhrung einesCT- oder MRT-Enteroklysmas vor der Kapselendo-skopie die Retention der Kamera verhindert werdenkann.

Literatur

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[6] Chang PK, Holt EG, De Villiers WJ, Boulanger BR. Anew complication from a new technology: what ageneral surgeon should know about wireless capsuleendoscopy. Am Surg 2005;71:455–8.

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