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Martin Trebsdorf
AnatomieAnatomiePhPhyysiologiesiologie
BiologieBiologie
Lehrbuch und Atlas
Der Autor hat alle Anstregungen unternommen, um sicherzustellen, dass etwaige Auswahl und Dosierungsabga-ben von Medikamenten im vorliegenden Text mit den aktuellen Vorschriften und der Praxis übereinstimmen.Trotzdem muss der Leser im Hinblick auf den Stand der Forschung und mit Blick auf die Änderung staatlicherGesetzgebungen, mit dem ununterbrochenen Strom neuer Erkenntnisser bezüglich Medikamentenwirkung undNebenwirkungen unbedingt bei jedem Medikament den Packungsprospekt konsultieren, um mögliche Ände-rungen im Hinblick auf Indikation und Dosis nicht zu übersehen.Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigtauch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.
Autor:Dr. päd. Martin Trebsdorf
Illustrationsideen und Beratung:Dipl.-Med. päd. Paul Gebhardt
Zeichnungen:Sylvana Bardl, Halle
Mark Bitter, HamburgAndreas Busse, Suderburg
Steffen Faust, BerlinGerhard Schäfer, Bad Bevensen
Layout und Satz:GS Werbeagentur, Bad Bevensen
Lektorat:Karin Schanzenbach, Hamburg
ISBN 3-928537-30-X5., überarbeitete Auflage 2000
© 2000 by Lau-Verlag GmbH, ReinbekTel: 040-7106374
e-mail: [email protected]://www.lau-verlag.de
Sei schlau –
lern mit LAU
Das völlig neue „Gesicht“ der 4. Auflage hat sowohl bei Schülern als auch bei Lehrern großenAnklang gefunden, nicht zuletzt weil das bewährte inhaltliche und didaktische Grundkonzept beibehalten wurde. Das hat uns bewogen, auch die 5. Auflage weiter zu verbessern, was durch vieleneu gestaltete Zeichnungen sichtbar wird.
Bei der Arbeit mit dem Buch ist es deshalb von großer Bedeutung, stets den Text in engsterVerbindung mit den in unmittelbarer Nähe befindlichen Abbildungen und Tabellen zu studieren.Gerade durch diese enge Nachbarschaft von Text und Bild – lesen und sogleich sehen – hebt sich die-ses Lehrbuch unmissverständlich von allen anderen ab, zum Vorteil von Lernenden und Lehrenden.Aufgrund dieser Tatsache war es auch möglich, einfache oder bereits bekannte Sachverhalte, wiezum Beispiel makroskopische Strukturen, „nur“ aufzuzählen, um dadurch das umfangreiche anato-mische und physiologische Wissen gerafft wiedergeben zu können.
Das Studieren wird durch den streng logischen Aufbau und eine übersichtliche Anordnung des Stoffeserleichtert. In Merksätzen wird das Wichtigste immer wieder präzise zusammengefasst.Wiederholungsfragen am Ende der Kapitel helfen, den Lerneffekt zu überprüfen. Hilfreich dabei istauch das umfangreiche Stichwortregister.
Darüber hinaus bietet die neugeschaffene, extra zu diesem Buch konzipiert CD-Rom dieMöglichkeit, mit Hilfe neuer Technik die Inhalte noch präziser anschaulich aufnehmen und erarbei-ten zu können.
Reinbek, im Juni 2000 Martin Trebsdorf
3Vorwort
Erläuterungen zu den Abkürzungen und Zeichen4
Diese Merkesätze enthalten wichtige ergän-zende oder zusammenfassende Informa-tionen der vorangegangenen Inhalte.
Merke
Die nachfolgenden Informationen stelleneinen Praxisbezug dar.❑P
➞➞
Allgemeine Symbole
= Erhöhung, Anstieg= Reduzierung, Abfall
✑ = siehe
Besonders hervorgehoben sind einzelne Passagen mit folgenden Markierungen:
Vorsätze vor MaßeinheitenSymbol Faktor Beispiele
Kilo K 1000 (103) 1 kg = 1000 gDezi d 0,1 (10–1) 1 dm = 0,1 mZenti c 0,01 (10–2) 1 cm = 0,01 mMilli m 0,001 (10–3) 1 mm = 0,001 mMikro µ 0,000001 (10–6) 1 µm = 0,000001 mNano n 10–9 1 nm = 0,000000001m
Chemische ElementeSymbol Element
C KohlenstoffCa CalciumCl ChlorF FluorFe EisenI IodMg MagnesiumN StickstoffNa NatriumO SauerstoffZn Zink
Chemische VerbindungenSymbol Element
CO2 KohlendioxidH2O WasserHCl SalzsäureH2CO3 Kohlensäure
Funktionelle GruppenSymbol Element
COOH CarboxylgruppeNH2 AminogruppeOH HydroxylgruppePO4 PhosphatgruppeSO4 Sulfatgruppe
Abk. Fachbez. deutsche Bez.A. Arteria ArterieAa. Arteriae ArterienArt. Articulatio GelenkArtt. Articulationes GelenkeC. Cartilago KnorpelCol. Columna Säule Gl. Glandula DrüseGll. Glandulae DrüsenLig. Ligamentum BandLigg. Ligamenta Bänder M. Musculus MuskelMm. Musculi MuskelnN. Nervus NervNn. Nervi NervenProc. Processus FortsatzR. Ramus Zweig, AstV. Vena VeneVv. Venae Venen
Sonstige AbkürzungenADH antidiuretisches HormonADP AdenosindiphosphatAMP AdenosinmonophosphatATP AdenosintriphosphatBPH benigne ProstatahyperplasiedB Dezibel (Pegelmaß)EEG Elektroenzephalogramm, -graphieEPS extrapyramidal-motorisches SystemEZF extrazelluläre FlüssigkeitEZR extrazellulärer RaumHCG ChoriongonadotropinHK Hexokinase (Enzym der Glykolyse)HMV HerzminutenvolumenHPL human placento lactogen (Plazentalaktogen)IgG Immunglobin GIZF intrazelluläre FlüssigkeitIZR intrazellulärer RaumNNM NebennierenmarkNNR NebennierenrindePNS peripheres NervensystemZNS Zentralnervensystem
Maßeinheitenµs Mikrosekunde (0,000 001 s)ms Millisekunde (0,001 s)µg Mikrogramm (0,000 001 g)mg Milligramm (0,001 g) µm Mikrometer (0,000 001 m)nm Nanometer (0,000 000 001 m)µl Mikroliter (0,000 001 l)nl Nanoliter (0,000 000 001 l)Pa Pascal (0,0075 mmHg)mmHg Millimeter Quecksilbersäule (133 Pa = 1,33 mbar)mbar Millibar (100 Pa = 0,75 mmHg)A Ampère (Stromstärke)V Volt (Potential)Hz Hertz (= 1/s)mol Mol
3
4
11
1.1 Inhalt und Aufgaben der Anatomie und Physiologie 11
1.2 Orientierung am Körper 15
17
2.1 Bau- und Funktionsstoffe des menschlichen Körpersund ihre biologische Bedeutung 172.1.1 Wasser 172.1.2 Mineralstoffe 182.1.3 Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße 19
2.2 Zellen und ihr umgebendes Milieu 222.2.1 Bau und Funktion der Zelle 232.2.2 Flüssigkeitsräume des Körpers und Körperflüssigkeiten 282.2.3 Das innere Milieu 282.2.4 Säure-Basen-Haushalt 29
2.3 Arten des Stofftransports im Organismus 312.3.1 Passiver Transport 322.3.2 Aktiver Transport 33
2.4 Physiologie des Stoff- und Energiewechsels 352.4.1 Stoff- und Energiewechsel 352.4.2 Bedeutung energiereicher Phosphatverbindungen
im Stoff- und Energiewechsel 362.4.3 Enzyme 372.4.4 Stoffumsatz- und Energiefreisetzung 40
2.5 Genetik (Vererbungslehre) 43 2.5.1 Chromosomen 432.5.2 Nukleinsäuren als Trägerstoff der Erbinformation 442.5.3 Zellteilung 482.5.4 Gesetzmäßigkeiten der Vererbung – Mendel’sche Erbregeln 502.5.5 Mutationen 542.5.6 Modifikationen 56
Fragen zur Wiederholung 57
5Inhaltsverzeichnis
Der menschliche Körper
Vv.Venae
1
Erläuterungen zu den Abkürzungen und Zeichen
Vorwort
Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe2
59
3.1 Epithelgewebe (= Epithel) 603.2 Binde- und Stützgewebe 623.3 Muskelgewebe 683.4 Nervengewebe 69
3.4.1 Bau 693.4.2 Grundlagen der Erregungsphysiologie 71
Fragen zur Wiederholung 76
77
4.1 Äußere Haut 774.1.1 Schichten der äußeren Haut 774.1.2 Gefäßversorgung 804.1.3 Haut als Sinnesorgan 804.1.4 Altersveränderung der Haut 82
4.2 Anhangsorgane der Haut 824.2.1 Hautdrüsen 824.2.2 Haare (Pili) 834.2.3 Nägel 85
4.3 Schleimhaut (Tunica mucosa) 854.4 Seröse Haut (Tunica serosa) und seröse Höhlen 864.5 Drüsen (Überblick) 86Fragen zur Wiederholung 88
89
5.1 Allgemeine Knochenlehre 895.1.1 Aufgaben der Knochen 895.1.2 Knochentypen 895.1.3 Bau eines Knochens 895.1.4 Knochenwachstum 905.1.5 Knochenverbindungen 91
5.2 Allgemeine Muskellehre 955.2.1 Bau und Hilfseinrichtungen des Skelettmuskels 955.2.2 Kontraktion des Skelettmuskels 96
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 1045.3.1 Wirbelsäule (Columna vertebralis) 1045.3.2 Brustkorb (Thorax) 1095.3.3 Schultergürtel und obere Extremität 1115.3.4 Beckengürtel und untere Extremität 1185.3.5 Kopf (Caput) 128
Fragen zur Wiederholung 135
Inhaltsverzeichnis6
Gewebe3
Häute und Drüsen4
Stütz- und Bewegungssystem5
137
6.1 Brustwand 1376.2 Bauchwand 1376.3 Leistenregion (Regio inguinalis) 1386.4 Beckenboden 140Fragen zur Wiederholung 142
143
7.1 Brusthöhle (Cavitas thoracis) 1437.2 Bauchhöhle (Cavitas abdominalis) 144
7.2.1 Bauchfell (Peritoneum) 1447.2.2 Lage der Bauchorgane 146
7.3 Beckenhöhle 148Fragen zur Wiederholung 148
149
8.1 Bau 1498.2 Leitungsbahnen 149Fragen zur Wiederholung 152
153
9.1 Aufgaben (Überblick) 1539.2 Das Blut 153
9.2.1 Blutzellen (Blutkörperchen) 1539.2.2 Blutplasma 156
9.3 Physiologie des Blutes 1569.3.1 Transportfunktion 1569.3.2 Blutstillung (Hämostase) 1579.3.3 Fibrinolyse 1589.3.4 Blut und Immunsystem 1589.3.5 Unspezifische und spezifische humorale und zelluläre
Abwehrmechanismen 1659.3.6 Verschiedene Immunreaktionen 1689.3.7 Immunisierung 1689.3.8 Blutgruppen des Menschen 168
9.4 Das Herz (Cor) 1729.5 Gefäßsystem 176
9.5.1 Blutgefäßarten 1769.5.2 Blutkreislauf 1789.5.3 Lymphgefäßsystem 187
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 1899.6.1 Erregung des Herzens 1899.6.2 Mechanik der Herztätigkeit 191
Inhaltsverzeichnis 7
Leibeswand und Beckenboden6
Die großen Körperhöhlen7
Hals (Collum)8
Kreislaufsystem9
9.6.3 Funktion der Gefäße 1969.6.4 Regulation des Blutkreislaufes 202
Fragen zur Wiederholung 205
207
10.1 Körpertemperatur des Menschen 20710.2 Wärmeproduktion und Wärmeabgabe 208Fragen zur Wiederholung 212
213
11.1 Gliederung 21311.2 Bau der Atmungsorgane 213
11.2.1 Nase (Nasus) 21311.2.2 Rachen (Pharynx) 21411.2.3 Kehlkopf (Larynx) 21611.2.4 Luftröhre (Trachea) 21911.2.5 Lungen (Pulmones) 22011.2.6 Brustfell (Pleura) 223
11.3 Physiologie der Atmung 22411.3.1 Atembewegungen 22411.3.2 Gasaustausch 22811.3.3 Atemgastransport 22911.3.4 Regulation der Atmung 230
Fragen zur Wiederholung 232
233
12.1 Mundhöhle (Cavum oris) 23412.1.1 Lippen und Wangen 23412.1.2 Zähne, Gebiss 23412.1.3 Zunge (Lingua, Glossa) 23712.1.4 Gaumen (Palatum) 23812.1.5 Große Mundspeicheldrüsen 238
12.2 Speiseröhre (Ösophagus) 23912.3 Magen (Gaster, Ventriculus) 24012.4 Dünndarm (Intestinum tenue) 24212.5 Dickdarm (Intestinum crassum) 24412.6 Leber (Hepar) 24612.7 Bauchspeicheldrüse (Pankreas) 25012.8 Physiologie der Verdauung 252
12.8.1 Verdauungsvorgänge in der Mundhöhle 25212.8.2 Verdauungsvorgänge im Magen 25412.8.3 Verdauungsvorgänge im Dünndarm 25512.8.4 Verdauungsvorgänge im Dickdarm 25612.8.5 Regulation der Verdauung 25712.8.6 Funktionen der Leber (Überblick) 259
Fragen zur Wiederholung 262
Inhaltsverzeichnis8
Atmungssystem11
Verdauungssystem12
Wärmehaushalt10
263
13.1 Niere (Ren, Nephron) 26413.2 Harnleiter (Ureter) 26713.3 Harnblase (Vesica urinaria) 26813.4 Harnröhre (Urethra) 27013.5 Physiologie der Niere 271Fragen zur Wiederholung 276
277
14.1 Männliche Geschlechtsorgane 27714.1.1 Innere männliche Geschlechtsorgane 27814.1.2 Äußere männliche Geschlechtsorgane 280
14.2 Weibliche Geschlechtsorgane 28114.2.1 Innere weibliche Geschlechtsorgane 28114.2.2 Äußere weibliche Geschlechtsorgane 285
14.3 Fortpflanzung und Individualentwicklung des Menschen bis zur Geburt (Überblick) 286
Fragen zur Wiederholung 294
295
15.1 Regulationsfunktionen der Hormone 29515.2 Hormongruppen 298
15.2.1 Hormone des Hypothalamus und der Hypophyse 29815.2.2 Hormone des Hypophysenvorderlappens 299
15.3 Periphere Hormondrüsen, die durch die glandotropen Hormone gesteuert werden 30115.3.1 Schilddrüse und die Hormone
Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) 30115.3.2 Nebennieren und ihre Hormone 30215.3.3 Keimdrüsen, Sexualhormone
und Menstruationszyklus 30415.4 Periphere Hormondrüsen, die nicht durch die glandotropen
Hormone gesteuert werden 30715.4.1 Pankreashormone und Blutzuckerregulation 30715.4.2 Hormonelle Regulation des Mineralhaushaltes
(Überblick) 308Fragen zur Wiederholung 310
311
16.1 Oberflächen- und Tiefensensibilität 31216.2 Chemische Sinne (Geschmack und Geruch) 31316.3 Hör- und Gleichgewichtssinn 315
Inhaltsverzeichnis 9
Harnsystem, Funktionen der Niere13
Geschlechtssystem (Genitalsystem)14
Hormonsystem (Endokrines System)15
Sinnesorgane 16
16.3.1 Gleichgewichtssinn 31616.3.2 Gehörsinn 31816.3.3 Physiologie des Hörens 319
16.4 Gesichtssinn 32116.4.1 Bau des Auges 32116.4.2 Schutz- und Bewegungsapparat des Auges 32316.4.3 Physiologie des Sehens 326
Fragen zur Wiederholung 330
331
17.1 Gliederung 33117.2 Rückenmark (Medulla spinalis) 332
17.2.1 Lage und Form 33317.2.2 Innerer Bau 33317.2.3 Rückenmarksegmente 335
17.3 Gehirn (Encephalon) 33517.3.1 Masse, Lage, Form, Gliederung 33517.3.2 Endhirn (Telencephalon) 33517.3.3 Zwischenhirn (Diencephalon) 34117.3.4 Mittelhirn (Mesencephalon) 34217.3.5 Brücke (Pons) 34317.3.6 Kleinhirn (Cerebellum) 34317.3.7 Verlängertes Mark (Medulla oblongata) 34417.3.8 Netzsubstanz (Formatio reticularis) und aufsteigendes
redikuläres aktivierendes System (ARAS) 34417.4 Hirnkammern (Ventriculi encephali) 34517.5 Schutzeinrichtungen des ZNS 34517.6 Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) 34617.7 Blutversorgung des Gehirns 34817.8 Leitungsbahnen des ZNS 349
17.8.1 Sensible aufsteigende Leitungsbahnen 34917.8.2 Motorische aufsteigende Leitungsbahnen 350
17.9 Peripheres Nervensystem (PNS) 35217.9.1 Hirnnerven 35317.9.2 Rückenmarksnerven (Nn. spinales) 357
17.10 Reflexe 36117.11 Vegetatives Nervensystem (VNS) 36417.12 Zusammenwirken der Koordinationssysteme VNS,
animales Nervensystem und Hormonsystem 37117.13 Wachsein und Schlafen 372Fragen zur Wiederholung 375
Inhaltsverzeichnis10
Nervensystem 17
1.1 Inhalt und Aufgaben der Anatomie und Physiologie
Die genaue Kenntnis des gesunden menschli-chen Körpers ist eine unabdingbare Vorausset-zung, um pathologische (krankhafte) Verände-rungen festzustellen. Ohne die Kenntnisse der
Anatomie und Physiologie ist keine Diagnose (Krankheitsbestimmung) und ohne Diagnosekeine Therapie (Heilverfahren) möglich.
Anatomische und physiologische Kenntnissesind die erste Voraussetzung für alle Pflege- undGesundheitsfachberufe.
11
1 Der menschliche Körper
Körperbau von Mann und Frau. Abb. 1.1
Kopf(Caput)
Hals(Collum)
Rumpf(Truncus)
obere Extremität(Membrum superius)
Bauch(Abdomen)
Becken(Pelvis)
untere Extremität(Membrum inferius)
Der Mensch gehört als biologische Art zurGattung der Säugetiere, von denen er sich aller-dings in einigen Merkmalen deutlich unter-scheidet. Dies sind– die spärliche Körperbehaarung,– der aufrechte Gang,– der Gebrauch der Hände und– das stark entwickelte Endhirn (Großhirn),
welches solche herausragenden Leistungen wie das Denken und Sprechen ermöglicht.
Betrachten wir also unseren komplizierten undzugleich interessanten menschlichen Körpernäher. An erster Stelle wenden wir uns zunächstder äußeren Körpergestalt zu (✑ Abb. 1).
Gliederung des menschlichen KörpersDer menschliche Körper gliedert sich in – Kopf (Caput), in dem sich das Gehirn, wichtige
Sinnesorgane sowie die Anfangsorgane des Verdauungs- und Atmungstraktes befinden;
– Hals (Collum). Er enthält als Verbindungsteil zwischen Kopf und Rumpf:• den Kehlkopf und den Anfangsteil der Luft-
röhre (vorn),• den Anfangsteil der Speiseröhre (hinter der
Luftröhre und vor der Halswirbelsäule) sowie• Blutgefäße und Nerven, welche zwischen
Brusthöhle und Kopf seitlich verlaufen;– Rumpf (Truncus), der aus der Wirbelsäule, dem
Brustkorb und dem Beckengürtel besteht. In ihm eingebettet sind die Brusthöhle (Cavitas thoracis), die Bauchhöhle (Cavitas abdominalis)und der Beckenraum (Regio pelvis), in denen viele Organe geschützt untergebracht sind;
– obere Extremität (Membrum superius), die durch den Schultergürtel mit dem Rumpf beweglich verbunden ist und sich unterglie-dert in• Oberarm (Brachium),• Unterarm (Antebrachium) und• Hand (Manus);
– untere Extremität (Membrum inferius), die durch den Beckengürtel mit dem Rumpf beweg-lich verbunden ist und sich unterteilt in• Oberschenkel (Femur),• Unterschenkel (Crus) und • Fuß (Pes).
1 Der menschliche Körper12
kleiner
schwächer
abgerundet wegen des stärker aus- gebildeten Unterhautfettgewebes (be- sonders an Brust, Gesäß und Hüften)
kleiner, Kiefer und Kaumuskeln schwächer
zierlicher, Kehlkopf kleiner, Schildknorpel (Adamsapfel) kaum vorgewölbt
stärker abgerundet, leicht abfallend, schmaler
enger, kürzer
länger
breiter
kürzer, rundlicher, zierlichereFußgelenke
schwächer
obere Grenze horizontal
Körpergröße
Knochen undMuskeln
Körperform
Kopf
Hals
Schultern
Brustkorb
Rumpf
Becken
Beine
Behaarung
Schambehaarung
Unterschiede Körper der Frau Körper des Mannes
größer
stärker
weniger abgerundet wegen des dün-neren Unterhautfettgewebes, dafür treten die oberflächlichen Muskeln deutlicher hervor
größer, stärkere Ausprägung von Ober-und Unterkiefer und der Kaumuskulatur
dicker, Kehlkopf größer, deutlich hervor-tretender Adamsapfel
breiter und kantiger
weiter, länger
kürzer
schmaler
länger, oberflächliche Muskeln sinddeutlicher zu erkennen
stärker; Bartwuchs
spitzförmig zum Nabel laufend
Unterschiede zwischen weiblichem und männlichem Körper.Tab. 1.1
Unterschiede von Mensch zu MenschBereits im Kindesalter erkennen wir, dass jederMensch eine Reihe äußerer Merkmale besitzt,die ihn deutlich von allen anderen Menschenunterscheiden (Ausnahme eineiige Zwillinge). Dazu gehören z. B. • Konstitution, • Körpermasse, • Körpergröße, • Muskelkraft, • Haut- und Haartyp, • Nasen- und Lippenform,• Hautleistenmuster, • Verhaltenseigenschaften,• Widerstandsfähigkeit
gegen Krankheitenund v. a. m.
Aufgrund der unterschiedlichen biologischen Funk-tionen treten deutliche Unterschiede zwischenweiblichem und männlichem Körper zutage, die inder Tabelle 1.1 gegenübergestellt sind.
Veränderungen der Körpergestalt und KörperproportionenNach der Geburt erfolgt das Wachstum des Men-schen diskontinuierlich und proportional ver-schieden, was bei einem Vergleich zwischen Neu-geborenem, Kind und Erwachsenen deutlich zuerkennen ist (✑ Abb. 1.2).Beim Neugeborenen sind Kopf und Rumpf relativ groß, Hals und Beine dagegen kurz. Sehrgut erkennt man diese Proportionsveränderun-gen am Kopf. Während beim Neugeborenen dieKopflänge 1/4 der Körperlänge ausmacht, ist esbeim Erwachsenen nur noch 1/8. Der Rumpf istim Vergleich zu den Extremitäten beim Neuge-borenen wesentlich größer. Beim Neugeborenenliegt der Nabel, beim Erwachsenen die Sym-physe (Schambeinfuge) etwa in der Körpermitte.Die Brustwirbelsäule des Neugeborenen ist nurleicht nach vorn gekrümmt. Erst mit demLaufenlernen und dem damit verbundenen auf-rechten Gang bilden sich beim Kind die typi-schen Krümmungen heraus (✑ S. 104, Kap.5.3). Das diskontinuierliche Wachstum desmenschlichen Körpers zeigt sich sowohl im
1.1 Inhalt und Aufgaben der Anatomie und Physiologie 13
Die geschlechtsspezifischen Unterschiedesind genetisch festgelegt und werden maßgeb-lich durch die Wirkung verschiedener Hormone(auch durch künstliche Hormongaben) beein-flusst werden.
❑P
... dergesamten
Körpergröße
1/4
1/4
1/4
1/4
Veränderungen der Proportionen durch Wachstum. Abb. 1.2
Längen- als auch im Breitenwachstum. So ist im1. und 5. bis 7. Lebensjahr sowie während derPubertät ein verstärktes Längenwachstum,dazwischen und nach der Pubertät ein erhöhtesBreitenwachstum zu beobachten.
Im 5. bis 7. Lebensjahr verändert sich der fülligeKleinkindtyp durch stärkeres Wachstum derGliedmaßen, Vergrößerung des Kauapparates,Abnahme des Unterhautfettgewebes und Abfla-chung des Rumpfquerschnittes in den typischenSchulkindtyp. Diese Körperformveränderungenwerden als 1. Gestaltenwandel bezeichnet. Der2. Gestaltenwandel vollzieht sich während derPubertät und führt zu den endgültigen Körper-proportionen des Erwachsenen. In dieser Phasewerden auch die Geschlechtsorgane funktions-tüchtig, und es kommt zur Ausprägung dersekundären Geschlechtsmerkmale.
Die Regulation des Wachstums erfolgt durch dasErbgut, das Hormon- und das Nervensystemsowie durch Umweltfaktoren wie Ernährung u.a.
Inhalte des Lehrgebietes Biologie, Anatomieund PhysiologieIm Mittelpunkt des Lehrgebietes steht die Betrach-tung des Baus von Zellen, Geweben und Orga-nen des menschlichen Körpers einschließlichihrer Funktionen.
Gliederung der Anatomie1. Makroskopische Anatomie: Das ist die Lehre
der Körperstrukturen, die mit bloßem Auge wahrzunehmen sind.
2. Mikroskopische Anatomie: Sie befasst sich mit den Körperstrukturen, die nur mit Lupe und Mikroskop wahrzunehmen sind. Die mikro-skopische Anatomie umfaßt die Histologie (Gewebelehre) und die Zytologie (Zellenlehre).
3. Embryologie (Lehre von der Embryonalent-wicklung): Dieses Teilgebiet befasst sich mit der Entwicklung des Menschen von der be-fruchteten Eizelle bis zur Geburt.
4. Systematische Anatomie: Sie bietet eine Ein-teilung nach gleichen Funktionen. Auf diese Weise wird eine Vereinfachung und bessere Übersicht des menschlichen Körpers erreicht.
Das Lehrbuch orientiert sich deshalb an der systematischen Anatomie und behandelt fol-gende Organsysteme:• Haut,• Stütz- und Bewegungssystem, • Kreislaufsystem,• Atmungssystem,• Verdauungssystem, • Harnsystem,• Geschlechtssystem,• Hormonsystem,• Sinnesorgane,• Nervensystem.
5. Topographische Anatomie: Sie beschäftigt sich mit der Lagebeschreibung der Organe.
Das Ziel der Physiologie besteht darin, die ursäch-lichen (kausalen) Zusammenhänge der Lebens-vorgänge zu ergründen. Sie ist ein Teilgebiet derBiologie und bedient sich naturwissenschaftlicherForschungsmethoden.
Im vorliegenden Lehrbuch werden im Kapitel„Grundlagen“ notwendige physiologische Kennt-nisse und Gesetzmäßigkeiten aufgezeigt, diegleichermaßen für alle Organsysteme gelten. In den weiteren Kapiteln werden die anatomi-schen und physiologischen Sachverhalte der ein-zelnen Organe anschaulich dargestellt.
1 Der menschliche Körper14
Anatomie und Physiologie bilden eineEinheit. Der Bau und die Form einer anato-mischen Struktur werden erst verständlichdurch die Kenntnis ihrer Funktion. Umge-kehrt lassen sich Funktionen erst richtigerklären, wenn Bau und Form bekannt sind.
Merke
Biologie ist die Lehre von den Lebewesen;Anatomie die von der Lage, der Form unddem Bau der Organe und Gewebe. Mit denFunktionen und Leistungen des menschli-chen Körpers, seinen Zellen, Geweben undOrganen befasst sich die Physiologie.
Merke
1.2 Orientierung am Körper
Sowohl in der Anatomie als auchin der Medizin ist die Lagebe-schreibung anatomischer Struk-turen von großer Bedeutung. Umdies möglichst exakt vornehmenzu können, verwendet man Körper-achsen und Körperebenen sowieeine Reihe von Richtungsbezeich-nungen. Man kann beliebig vieleAchsen und Ebenen durch denmenschlichen Körper bzw. seineOrgane legen. Entsprechend den 3 Raumdimensionen werden je-weils 3 Gruppen von Hauptachsenund -ebenen unterschieden.
Hauptachsen1.) Längsachse (Longitudinal- oder
Vertikalachse)Die Längsachsen verlaufen zwi-schen cranial und caudal, also bei aufrechtem Stand senkrechtzur Standfläche.
2.) Querachse (Horizontal- oder Transversalachse)Die Querachsen verlaufen zwi-schen lateral und lateral, also von links nach rechts bzw. um-gekehrt. Jede Querachse steht senkrecht auf einer Längsachse.
3.) Pfeilachse (Sagittalachse)Die Pfeilachsen verlaufen zwi-schen ventral und dorsal, also von der Körperhinter- zur Kör-pervorderfläche bzw. umge-kehrt. Die Pfeilachsen stehen senkrecht zu den Längs- und Querachsen.
HauptebenenKörperebenen sind gedachte Schnittflächen durchden Körper in den 3 Dimensionen des Raumes.1.) Medianebene (Sonderfall unter den Sagittal-ebenen)Die Medianebene liegt genau in der Mitte desKörpers und teilt ihn in eine rechte und einelinke Hälfte, die sich spiegelbildlich annäherndgleich sind. Folglich gibt es nur eine Median-ebene.
2.) SagittalebenenDie Sagittalebenen liegen parallel rechts und links zur Medianebene. Durch sie ist der Körper von medial nach lateral in viele „Längsscheiben“teilbar.3.) FrontalebenenDie Frontalebene zerlegt den Körper jeweils ineinen vorderen und hinteren Abschnitt. 4.) Horizontal- oder TransversalebenenDie Ebenen gliedern den Körper immer in einenoberen und unteren Abschnitt.
1.2. Orientierung am Körper 15
Frontalebene
Querachse
Horizontal- oderTransversal-
ebenePfeilachse
Medianebene
Längsachse
Körperebenen. Abb. 1.3
RichtungsbezeichnungenDie Richtungsbezeichnungen die-nen ebenfalls der besseren Orien-tierung am Körper. Die wichtigstensind in der Tabelle „Lage- undRichtungsbezeichnungen auf einenBlick“ verdeutlicht.
Hinzuzufügen ist noch, dass fürcranial häufig superior (= oben)und für caudal inferior (= unten)benutzt wird. In gleicher Weise verwendet manstatt ventral anterior (= vorn) undstatt dorsal posterior (= hinten).
1 Der menschliche Körper16
Medianebene
Sagittalebenen
Horizontal-oderTransversal-ebene
lateralmedial
proximaldistal
ventral
caudal
dorsal
cranial
Frontalebenen
Richtungsbezeichnungen.Abb. 1.4
Allgemeinanterior – vornecaudal – steißbeinwärts gelegencranial – kopfwärts gelegendexter – rechtsdorsal – rückenwärts gelegenexternus – außenliegendinferior – weiter unteninternus – innenliegendlateral – seitlichlongitudinal – längs verlaufendmedial – zur Mittelebene hinmedian – in der Medianebene bzw.
Mittellinie gelegenposterior – weiter hintenprofundus – tief gelegensinister – linkssuperficialis – oberflächlich gelegensuperior – weiter obentransversal – quer verlaufendventral – bauchwärts gelegen
Den Schädel betreffendbasal – in Richtung Schädelbasisoccipital – in Richtung Hinterhauptfrontal – in Richtung StirnDie Extremitäten betreffendproximal – rumpfwärtsdistal – vom Rumpf wegArm:radial – auf der Speichenseite gelegen
(daumenwärts)ulnar – auf der Ellenseite gelegen
(kleinfingerwärts)Hand:palmar – hohlhandwärts gelegendorsal – handrückenwärts gelegenBein:tibial – auf der Schienbeinseite
gelegen fibular – auf der Wadenbeinseite
gelegenFuß:plantar – fußsohlenwärts gelegendorsal – fußrückenwärts gelegen
Lage- und Richtungsbezeichnungen auf einen Blick
Es gibt unendlich viele Sagittal-,Frontal- und Horizontalebenen,aber nur eine Medianebene(Körpermittelebene). Die Medianebene ist ebenfallseine Sagittalebene.
Merke
Der Mensch ist ein Teil der belebten Natur.Zwischen allen Lebewesen und der Umwelt be-stehen lebensnotwendige Wechselwirkungen. Besonders wichtig sind:1. die ständige Aufnahme und Abgabe von Stof-
fen und Energie, sowie 2. die ständige Aufnahme und Abgabe von Infor-
mationen.Für jedes Lebewesen sind die aus der Umweltaufgenommenen Stoffe körperfremd. In denZellen werden sie in der Regel in körpereigeneStoffe umgewandelt (= Assimilation) oder un-verändert ausgeschieden.
Autotrophe AssimilationDie grünen Pflanzen sind als autotrophe Lebe-wesen in der Lage, im Prozess der Photosynthesedie anorganischen energiearmen Stoffe CO2 undH2O mithilfe ihres Chlorophylls und unter Nut-zung der Lichtenergie in den energiereichen orga-nischen Stoff Glucose (Traubenzucker) umzu-wandeln (= autotrophe Assimilation). Die Glucose wiederum dient der Pflanze zusam-men mit einigen anorganischen Stoffen, z. B.Stickstoff (N), Schwefel (S), Phospor (P), alsAusgangsstoff für die Synthese der verschiedens-ten Pflanzeninhaltsstoffe (z. B. Eiweiße, Fette,Vitamine, Farbstoffe, Duftstoffe).
Heterotrophe AssimilationAlle Lebewesen ohne Chlorophyll, also auch derMensch, nehmen organische energiereiche Stoffeauf, die letztendlich immer von chlorophyllhalti-gen Zellen stammen, und wandeln diese in kör-pereigene Stoffe um (Stoffwechsel).
In der kleinsten lebensfähigen Struktureinheit,der Zelle, vollziehen sich durch Wechselwirkungmit ihrer unmittelbaren Umgebung die für dasLeben notwendigen Funktionsabläufe. Im Folgenden beschäftigen wir uns mit allge-meinen Grundlagen der Lebensvorgänge.
2.1 Bau- und Funktionsstoffe des menschlichen Körpers und ihre biologische Bedeutung
Alle Zellen bestehen aus organischen Stoffen(Eiweiße, Fette, Kohlenhydrate) und anorgani-schen Stoffen (Salze, Wasser). Die physiko-chemischen Eigenschaften dieser Substanzenbestimmen ihre biologische Funktion in der Zelle.
2.1.1 Wasser
Der erwachsene Mensch besteht zu 60 % ausWasser. Ohne Wasser gibt es kein Leben. DasWasser ist ein polarisiertes Molekül, das alsDipol auf einer Seite positiv, auf der anderenMolekülseite negativ geladen ist. Diese Polari-sierung ermöglicht es, dass sich Wasser an ande-re elektrisch geladene Teilchen (Ionen) anlagernkann.Der Vorgang der Wasseranlagerung wird alsHydratation bezeichnet (✑ Abb. 2.1, Seite 18).Die Hydratation spielt für Wasser- und Elektro-lytverschiebungen in und zwischen der außerhalbder Zellen liegenden extrazellulären Flüssigkeit(EZF) und der in den Zellen enthaltenen intra-zellulären Flüssigkeit (IZF) eine wichtige Rolle.Dieser Dipolcharakter des Wassers ermöglicht esaußerdem, dass Stoffe gelöst und mit derFlüssigkeit im Organismus transportiert werdenkönnen.Wasser kommt in Molekülverbänden vor. Auf-grund seiner inneren Struktur kann es vielWärme aufnehmen und transportieren. DieseEigenschaft ist eine wichtige Voraussetzung fürdie Regulation der Körpertemperatur.
17
2 Grundlagen,Bau- und Funktionsstoffe
Die Photosynthese ist der wichtigste Assimila-tionsprozess auf der Erde, weil durch sie so-wohl die stoffliche als auch die energetischeGrundlage für alle heterotrophen Organismengeschaffen werden. Außerdem produziert sie dengesamten molekularen Sauerstoff auf derErde.
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:53 Uhr Seite 17
2.1.2 Mineralstoffe
Die Mineralstoffe (Salze) liegen entweder disso-ziiert (= Elektrolyte) oder in gebundener Formvor. Die Elektrolytkonzentrationen sind in derEZF und in der IZF unterschiedlich, wie dieTabelle 2.1 zeigt. Alle übrigen Mineralstoffekommen nur in sehr geringen Mengen vor undwerden deshalb als Spurenelemente bezeichnet.
Spurenelemente (Bedeutung)Eisen: Zentralatom des roten Blutfarbstoffes
(Hämoglobin). Kupfer: Zentralatom vieler Enzyme.
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe18
Ionen mit Wasserhülle
Wassermolekül positiver Ladungsschwerpunktnegativer Ladungsschwerpunkt
Wassermolekül und Hydratation.Abb. 2.1
Wasser dient aufgrund seiner chemischenund physikalischen Eigenschaften im Orga-nismus
– als Baustoff (ca. 60 % des menschlichen Körpers besteht aus Wasser),
– als Lösungs- und Transportmittel für: Elektrolyte, Hormone, Glucose, Aminosäu-ren, Stoffwechselzwischen- und Stoffwech-selendprodukte,
– der Wärmeregulation,– als Reaktionsmedium und Reaktionsstoff für
die chemischen Reaktionen in der Zelle.
Merke
IZR EZR hauptsächliche Funktion/Mineralstoffe (mmol/l)1) (mmol/l) biologische EigenschaftenNatrium (Na+) 10 145 GrundvoraussetzungKalium (K+) 155 4 für die Erregbarkeit,
osmotische Regulation.
Calcium (Ca2+) 10-5 2,5 Blutgerinnung, Muskelkontraktion,Knochen- und Zahnaufbau,Herztätigkeit.
Magnesium (Mg2+) 15 1 Bestandteil zahlreicher Enzyme.
Chlorid (Cl-) 8 102 HCl-Produktion im Magen,osmotische Regulation.
Bicarbonat (HCO3-) 10 25 Pufferung.
1) 1 mol = 6 x 1023 Teilchen
Elektrolytkonzentrationen.Tab. 2.1
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:53 Uhr Seite 18
Zink: Bestandteil des Insulins und von Enzy-men.
Mangan: Bindegewebs- und Skelettentwicklung,Bestandteil von Enzymen.
Kobalt: Zentralatom des Vitamin B12, Bildungvon Blutzellen.
Iod: Bestandteil der Schilddrüsenhormone Trijodthyronin und Thyroxin.
Fluor: Knochen- und Zahnaufbau.
2.1.3 Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße
Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße sind energie-reiche organische Stoffe. Sie werden als Bau-,Betriebs- und Funktionsstoffe benötigt. Für dieseStoffe besteht ein Mindestbedarf.
KohlenhydrateDie Kohlenhydrate, die aus den ElementenKohlenstoff (C), Sauerstoff (O) und Wasserstoff(H) bestehen, sind die einzigen von den Zellenständig benötigten und genutzten Energieliefe-
ranten. Sie sind an allen energieabhängigenStoffwechselvorgängen beteiligt. Außerdem sindsie Bausteine für viele biologisch wichtigeVerbindungen (✑ Tab. 2.2).Der eigentliche Energieträger ist die Glucose(Traubenzucker). Im Blut gelöst wird Glucoseals Blutzucker zu allen Zellen transportiert.Durch regulierende Hormone (einerseits Insulin,zum anderen Glucagon u. a. ) wird der Glucose-spiegel im Blut beim Gesunden zwischen 3,4und 5,5 mmol/l einreguliert (= 0,6 bis 1 g proLiter bzw. als Messwert oft angegeben 60 bis 100 mg pro 100 ml).
Glykogen ist die Speicherform der Kohlenhydrateim tierischen Organismus. Gespeichert wird es inder Muskulatur (= Muskelglykogen) und in derLeber (= Leberglykogen). Der Muskelglykogen-vorrat ist relativ stabil und beträgt ca. 300 g. DieLeberglykogenmenge wird mit ca. 100 g angege-ben und ist sehr beweglich. Glykogen kann beiBedarf rasch in Glucose umgewandelt werden.Umgekehrt lässt sich Glucose sehr schnell inGlykogen umwandeln.
2.1 Bau- und Funktionsstoffe 19
Gruppe Vertreter Biologische Bedeutung
Monosaccharide Glucose (Hexose) Energiespender,Baustein und Reaktionspartner
Fruktose (Hexose) Reaktionspartner
Ribose (Pentose) Baustein der RNA
Desoxyribose (Pentose) Baustein der DNA
Polysaccharide Glykogen Energiespeicherung
In allen Körperflüssigkeiten liegen charakte-ristische Elektrolytkonzentrationen vor. Diedominierenden Ionen im IZR sind K+ undEiweißionen, im EZR Na+ und Cl-. Die Mineralstoffe dienen dem Körper als Bau-sowie Regelstoffe und sind Bestandteile vonEnzymen.
Merke
Veränderungen der Mineralstoffkonzen-trationen führen zu schweren Funktionsstö-rungen.
❑P
Übersicht über wichtige Kohlenhydrate und ihre biologische Bedeutung im menschlichen Körper. Tab. 2.2
Vor allem Erythrozyten und Nervenzellensind bei der Deckung ihres Eigenbedarfes aufGlucose angewiesen. Ein Glucoseabfall imBlut unter 3,4 mmol/l führt deshalb zu Ausfall-erscheinungen des zentralen Nervensystems(ZNS). Besonders gefährlich ist das hypogly-kämische Koma.
❑P
Kohlenhydrate sind Energielieferant Nummereins. Die Möglichkeit der raschen Umwand-lung von Glucose in Glykogen und umgekehrtgarantiert einen konstanten Blutzuckerspiegel.
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:53 Uhr Seite 19
Fette (Lipide) Fette (bestehend aus den Atomen C, O, H) stel-len eine heterogene Stoffgruppe dar. Alle Fett-stoffe sind wasserunlöslich. Für unsere Betrach-tung kommen infrage: – Triglyceride als einfache Lipide, – Phosphatide als zusammengesetzte Lipide, die
zusätzlich Phospor (P) und andere Atome ent-halten,
– Cholesterol (= Cholesterin) als wichtigstes Sterin des höheren tierischen Organismus und
– Steroidhormone.
Triglyceride sind Verbindungen (Ester) vonGlycerol mit drei gleichen oder verschiedenenFettsäuren (daher Triester). Dabei kann es sichum gesättigte Fettsäuren (FS) handeln, die vorallem in tierischen Fetten vorkommen, oder umungesättigte Fettsäuren mit einer oder mehrerenDoppelbindungen, die überwiegend Bestandteilpflanzlicher Fette sind. Ungesättigte Fettsäurensind ernährungsphysiologisch günstiger.
Einige Fettsäuren kann der Körper selbst synthe-tisieren, andere müssen zugeführt werden. Diewichtigste Fettsäure für den Menschen ist dieLinolsäure. Sie ist Ausgangsstoff für die Syn-these weiterer Fettsäuren, die bei Mangel vonLinolsäure ebenfalls essentiell werden. Mehrfachungesättigte Fettsäuren werden besonders für denAufbau von Biomembranen benötigt.
Triglyceride dienen im Organismus als– langfristige Energiespeicher und Reservedepot
(Glykogen dagegen ist ein Kurzzeitspeicher);– Körperfett dem Schutz vor mechanischen Be-
lastungen;– Fettschicht unter der Haut der Isolation und
der Temperaturregelung des Körpers.
Phosphatide gleichen dem Aufbau der Triglyce-ride, haben aber statt einer der drei Fettsäuren-Reste einen Phophorsäurerest gebunden, der sichan Wasser binden kann (hydrophiler Anteil). Sokönnen Stoffe, die sich nicht in Wasser lösen,durch Bindung an Phosphatide wasserlöslich,und dadurch mit der Blutflüssigkeit transportiertwerden. Außerdem werden Phosphatide beimAufbau von Zellwänden und anderen Bio-membranen benötigt.
Cholesterol (oft noch als Cholesterin bezeich-net) befindet sich, wie die Phosphatide, in allenZellen und wird ebenfalls für den Aufbau derBiomembranen benötigt. Außerdem ist esAusgangsstoff für die Steroidhormone undGallensäuren. Cholesterol kommt in freier(unveresterter Form) in den Zellen und in gebun-dener (veresterter Form) im Blutplasma vor.
Steroidhormone (✑ Hormonsystem, S. 295).
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe20
+ H2O
+ H2O
+ H2O
Fettsäure-Rest
Fettsäure-Rest
Fettsäure-Rest
Glycerol
R
e
s
t
Glycerol
+ FS
+ FS
+ FS
Ungesättigte Fettsäuren sind besonders inpflanzlichen Fetten enthalten. Deshalb sind diesefür die Ernährung wertvoller als tierische Fette.
❑P
Glycerol
R
e
s
t
Fettsäure-Restlipophiler
Anteil
hydrophilerAnteil
Phoshorsäure-Rest (organischer, basischer Bestandteil)
Fettsäure-Rest
Ein erhöhter Cholesterolspiegel im Blut(Hypercholesterinämie) zählt neben Überge-wicht zu den ernährungsbedingten Risiko-faktoren für Arteriosklerose mit den möglichenFolgen eines Herzinfarktes oder Schlagan-falles.
❑P
Fette leisten vielfältige und nützliche Auf-gaben, wie z. B.: • Energiespeicherung• Schutz vor Auskühlung • mechanischen Schutz
und dienen als
• Bausteine der Biomembranen
Merke
Triglyceride
Phosphatide, Cholesterol
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:53 Uhr Seite 20
Eiweiße (Proteine)Eiweiße, die neben den Atomen C, O und Hnoch Stickstoff (N) und häufig Schwefel (S) undPhosphor (P) enthalten, sind die kompliziertes-ten Verbindungen der Lebewesen. Sie stellen denHauptanteil der organischen Substanz desMenschen dar. Jeder Zelltyp besteht aus spezifi-schen Eiweißen, sodass sich auch jedes Indivi-duum in der Gesamtheit seiner Eiweiße von denübrigen unterscheidet.
Aminosäuren als Bausteine der EiweißeDie Grundbausteine der Eiweiße sind 20 ver-schiedene Aminosäuren, von denen Isoleuzin,Leuzin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Thre-onin, Tryptophan und Valin essentiell (unent-behrlich) sind, d. h., diese Aminosäuren könnenvom menschlichen Organismus nicht syntheti-siert werden.
Aminosäuren sind Stoffe, die im MolekülAminogruppen (-NH2) und Carboxylgruppen(-COOH) enthalten.
Je nach Anzahl der Amino- und Carboxylgrup-pen im Molekül unterscheiden wir:– neutrale Aminosäuren (Alanin, Threonin,
Methionin, Valin, Leucin, Isoleucin),– basische Aminosäuren (Lysin, Arginin),– saure Aminosäuren (Asparaginsäure, Gluta-
minsäure).
Aminosäuren bilden Ionen, und zwar:– in neutraler Lösung (pH 7): Zwitterionen,– in saurer Lösung (pH < 7): Kationen,– in basischer Lösung (pH > 7): Anionen.
Die Fähigkeit, überschüssige H+ bzw. OH- che-misch zu binden, trägt zur Konstanthaltung despH-Wertes der Körperflüssigkeiten bei (✑ auchPufferung, S. 30).
EiweißbildungAminosäuren verknüpfen sich zu Peptiden bzw.Eiweißen.
Je nach Anzahl der so miteinander verbundenenAminosäuren unterscheidet man:– Dipeptide: 2 Aminosäuren,– Tripeptide: 3 Aminosäuren,– Polypeptide: ab 4 Aminosäuren.
2.1 Bau- und Funktionsstoffe 21
H
R C COOH (= saure Funktion)
NH2 (= basische Funktion)
Allgemeine Formel der Aminosäuren.Tab. 2.3
ZwitterionDas H+ der Carboxylgruppe wandert zur Aminogruppe
R - CH - COO-
Protonenübergang
Kation AnionR - CH - COOH R - CH - COO-
NH3+ NH2
Bei H+-Überschuss in saurer Lösung nimmt dieCarboxylgruppe ein H+ auf. Es entsteht ein Kation.
Bei OH--Überschuss in basischer Lösung verbindetsich das H+ der Aminogruppe mit dem OH- zu H2O.Es entsteht ein Anion.
NH3+
Verhalten von Aminosäuren in Lösungen mit unterschiedlichen pH-Werten. Tab. 2.4
Ab einer Kettenlänge von ca. 100 Aminosäu-ren spricht man von Eiweißen (Proteinen).Eiweiße sind Riesenmoleküle.
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 21
Räumliche Struktur der EiweißeDie Proteine liegen in verschiedenen Strukturenvor, die für ihre biologische Aktivität bedeu-tungsvoll sind. Man unterscheidet vier Stufen:Primärstruktur: Genetisch festgelegte Aufein-anderfolge (= Sequenz) der Aminosäuren, für die es eine gigantische Fülle von Möglichkeiten gibt.Sekundärstruktur: Spiralform (= Helixstruk-tur), lange Peptidketten.Tertiärstruktur: knäuelartige Aufwindung der Sekundärstruktur durch intramolekulare Wechsel-wirkungen. Quartärstruktur: räumliche Anordnung mehre-rer Tertiärstrukturen durch weitere intramoleku-lare Wechselwirkungen.
Eigenschaften und Funktionen der Proteine lie-gen begründet in ihrer Strukturvielfalt und che-mischen Reaktionsfreudigkeit. Die Eiweiße kommen bei Pflanzen und Tierenvor und sind für die Struktur und für dieFunktion des menschlichen Organismus vongroßer Bedeutung.
Die wichtigsten biologischen Funktionen sind:• Baustoff von Zell- und Gewebsstrukturen,• Stoffwechselsteuerung als Enzyme und Hor-
mone, • Abwehr durch Antikörperbildung, • Blutstillung durch die Gerinnungsfaktoren, • Bewegung durch kontraktile Eiweiße, vor
allem in Muskelzellen bzw. -fasern, • Stofftransport durch Transportproteine, • Festigung und Schutz durch Strukturproteine
(z. B. Kollagen) in Haut, Sehnen, Knorpel, Knochen,
• Pufferung in den Körperflüssigkeiten.
2.2 Zellen und ihr umgebendes Milieu
Zellen sind die Grundbausteine des menschlichenOrganismus. Ein einziger Blutstropfen enthält ca.5 Millionen roter und weißer Blutzellen. InAnpassung an bestimmte Funktionen haben sichvielfältige Zellformen herausgebildet, z. B.Knochenzellen, Nervenzellen, Epithelzellen,Fettzellen etc.
Gewebe sind Zellverbände aus annäherndgleichartig differenzierten Zellen und der vonihnen abgegebenen und sie verbindendenInterzellularsubstanz, z. B. Muskelgewebe,Nervengewebe, Epithelgewebe, Binde- undStützgewebe.
Organe sind Teile des Körpers, die aus verschie-denen Geweben bestehen und eine funktionelleEinheit bilden, z. B. Auge, Herz, Niere, Lunge,Leber u. a.
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe22
Einteilung der Eiweiße (Übersicht).Tab. 2.5
– Glykoproteine (Schleimstoffe)Globuläre Gerüst- (Protein + Kohlenhydrat)
Eiweiße eiweiße – Lipoproteine(Protein + Fett)
– Albumine – Kollagene – Nucleoproteine– Globuline – Keratine (Protein + Nucleinsäure)
– Phosphoproteine(Protein + Phosphorsäure)
Eiweiße
einfache Eiweiße zusammengesetzte Eiweiße
nur aus Aminosäuren aufgebaut
enthalten neben den Aminosäuren noch andere
Bestandteile
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 22
Organsysteme sind Funktionseinheiten, die ausmehreren Organen bestehen. Das Verdauungs-system z. B. besteht aus den Organen Mund,Rachen, Speiseröhre, Magen und Darm.
Der menschliche Organismus besteht aus Zellen,Geweben, Organen und Organsystemen.
2.2.1 Bau und Funktion der Zelle
Die Zellenlehre (Zytologie) beschreibt dengrundsätzlichen Aufbau und die Leistungen derZellen. Die Zelle ist die kleinste selbständige Bau- und
Funktionseinheit mit den Kennzeichen desLebens. Diese sind:– Vermehrungsfähigkeit (Fortpflanzung), – Formwechsel (Wachstum und Entwicklung), – Informationsaustausch (Aufnahme, Weiter-
leitung, Verarbeitung, Speicherung und Ab-gabe von Informationen),
– Stoff- und Energiewechsel.Beachte: Die Zellteilungen werden im Abschnitt2.5.3 Seite 48 beschrieben. Zellen sind im Prinzip identisch gebaut. Sie vari-ieren allerdings aufgrund unterschiedlicherFunktionen vor allem in ihrer Gestalt und ihrenfunktionellen Bestandteilen.
2.2 Zellen und ihr umgebendes Milieu 23
Viele gleichartige Zellen bilden durch Zusammenschluss Gewebe; unterschiedlicheGewebe bilden Organe, und Organe schließen sich zu Organsystemen zusammen.
Alle Organsysteme bilden den menschlichen Organismus. Abb. 2.2
Zellorganelle(z. B. Mitochondrium)
Gewebe(z. B. Endothelgewebeder Lungenbläschen)
Organ(z. B. Lunge)
Organsystem(z. B. Atmungssystem)
Ganzheit
Der MenschDer Mensch
Zellen(z. B. glatte Muskelzellen,
Bindegewebszellen)
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 23
Menschliche Zellen• durchschnittliche Größe: 7,5 µm,• kleinste Zellen: Lymphozyten (5 µm), • größte Zelle: Eizelle (150 µm), • längste Zelle: Nervenzelle mit Fortsätzen (1 m).
Zellmembran (d = 9 nm; = 10–9m)Alle Membranen der Zelle sind im Prinzipgleichartig gebaut. Sie sind hauchdünn (wenigemillionstel Millimeter) und bestehen aus einerPhospholipiddoppelschicht mit eingelagertenMembranproteinen. Jede Phospholipidschichtbesteht wiederum aus einem hydrophilen(wasserlöslichen) Anteil (Membranaußen- und -innenseite) und einem hydrophoben (wasserab-weisenden) Anteil (Membranmitte). Die Membranproteine spielen eine wichtigeRolle für den Transport hydrophiler Stoffe durchdie Biomembranen. Man unterscheidet diesbe-züglich zwischen Transportproteinen und Kanal-oder Tunnelproteinen. Letztere durchdringen diegesamte Membran, sodass durch den Kanal ge-löste Stoffe fließen können.Die meisten Zellmembranen besitzen an ihrerAußenseite spezifische Kohlenhydratketten, wel-che in ihrer Gesamtheit als Glykokalyx bezeich-net werden. Die Glykokalyx ist mit Rezeptor-molekülen ausgestattet, z. B. für Hormone undAntikörper, und hält die Zellen zusammen.
Kompartimente Als Kompartimente werden Reaktionsräume be-zeichnet, die von Membransystemen abgegrenztwerden. Intrazellulär sind es die Zellorganellen (z. B. Zellkern, Mitochondrien), die vom Zell-plasma getrennt sind. Weitere Membransystemebilden das endoplasmatische Retikulum und denGolgi-Apparat. Sinn dieser Membransysteme ist,den Zellinnenraum in eine Vielzahl von Reak-tionsräumen aufzuteilen, damit möglichst vieleverschiedene Stoffwechselreaktionen gleichzei-tig ablaufen können. Extrazellulär werden derintravasale Raum (in den Blutgefäßen) und dasInterstitium (die Räume zwischen den Zellen,EZR) unterschieden. Die Beziehung der Flüssig-keitsräume zueinander ist in der Abb.2.4 zu sehen.
Zellplasma (Zytoplasma)Das Zellplasma ist ein kolloidales System mitwechselnder Viskosität (= Zähigkeit) und bestehthauptsächlich aus Wasser, Eiweißen, Ionen (vorallem Na+, K+, Ca2+, CI-, PO4
2-, SO42-) sowie
löslichen Kohlenhydraten und Nukleinsäuren.Im Zytoplasma finden wichtige Stoffwechsel-reaktionen statt (z. B. Glykolyse, Fettsäuresyn-these – ✑ S. 39/40). Außerdem dient es demStoff- und Informationsaustausch.
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe24
Wichtige Membranfunktionen
• Abgrenzung von Zellen und Zellräumen• Regulation des Stoffaustausches• Aufbau elektrischer Spannungspotentiale• Erkennen von Boten- und Fremdstoffen• Binden von Antikörpern.
Glykoprotein
Proteine
FettsäurenCholesterol
Zytoplasma
Elementarmembran mit Glykokalyx(Kohlenhydratketten der Außenseiten vieler Zellmembranen, z. B. im Darm).Abb. 2.3
Grundbausteine tierischer bzw. menschlicher Zellen
Zellmembran(Plasmalemm)
Zellplasma(Zytoplasma)
mit Zellorganellen:• Zellkern (Nucleus)• Mitochondrien• endoplasmatisches
Retikulum (glattes und rauhes)
• Ribosomen• Golgi-Apparat• Lysosomen• Microbodies• Zytoskelett
(Mikrotubuli,Mikrofilamente)
• Zentralkörperchen
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 24
2.2 Zellen und ihr umgebendes Milieu 25
Darstellung der Kompartiments-Beziehungen. Abb. 2.4
Atmungssystem Verdauungssystem Harnsystem Haut
Blutgefäß
extrazellulärerRaum (EZR)
Zellmembranhohe Durchlässigkeit fürWasser, geringe für Ionen
Kapillarmembran –hohe Durchlässigkeit
für Wasser und Ionen
Schweißdrüse
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 25
Zellorganellen und ihre Aufgaben
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe26
Membranumgrenzte flache Hohlräume (ein Zwischenstapel oder Membranfeld heißt Dictyosom).
Aufgabe: Beteiligung an der Synthese aller sekretorischen Produkte einer Zelle, z. B. der Glykoproteinezur ständigen Erneuerung der Glykokalyx.
Wird von einer Doppelmembran abgegrenzt. Im Inneren befinden sich das Chromatin, das Kernkörper-chen und das Kernplasma. Chromatin und Kernkörperchen bestehen hauptsächlich aus Nukleinsäure (95 % DNS, 5 % RNS) und Eiweißen; das Kernplasma vorwiegend aus Wasser und Eiweißen.
Hauptaufgaben: Übertragung der Erbinformation bei der Zellteilung, Speicherung der Erbinformationund ihre Weitergabe an die Orte der Eiweißsynthese während des Zellwachstums und der Zell-entwicklung.
Vesikel (= Bläschen) meist vom endoplasmatischen Retikulum stammend, mit Verdauungsenzymen.
Aufgabe: Intrazellulärer Abbau organischer Substanzen.
Meist schlauchförmig und oft mit Golgi-Apparat verbunden, ohne Ribosomen.
Aufgabe: Bildung der Lipide und Steroidhormone, Entgiftungsfunktion (z. B. Entgiftung von Medika-menten in Leberzellen).
Dreidimensionales, röhren- und bläschenförmiges Hohlraumsystem, Membranen sind mit Ribosomen be-setzt.
Aufgabe: Synthese der verschiedenen Proteine (z. B. Membranproteine, Glykoproteine, Proteine für denAufbau der Lysosomen).
Kleinste kugelförmige Partikel, die aus ca. 40 % RNA und 60 % Proteinen bestehen, liegen entweder ein-zeln im Plasma oder am granulären endoplasmatischen Retikulum.
Aufgabe: Eiweißsynthese.
Lang gestreckte Zellorganellen, von zwei Membranen begrenzt (äußere Membran glatt, innere einge-stülpt), dadurch mehrfache „Kammerbildung“ (Kompartimentierung) und Oberflächenvergrößerung. Ent-halten Enzyme der Atmungskette, des Zitronensäurezyklus und des Fettabbaus.
Aufgabe: Energiebereitstellung durch Oxidation, Abbau von Nährstoffen.
Golgi-Apparat – (netzförmig oder Knäuel)
Zellkern (Nucleus) – d = 3–10 µm
Lysosomen – 1 µm
Rundliche membranbegrenzte Zellorganellen, die durch Abschnürung vom endoplasmatischen Retikulumentstehen, enthalten verschiedene Enzyme.
Aufgabe: Mithilfe der Katalase wird z. B. das bei bestimmten Stoffwechselreaktionen entstehende giftigeWasserstoffperoxid (H2O2) in Wasser (H2O) und Sauerstoff (O2) gespalten.
Microbodies (Peroxisomen) – 0,5–1,5 µm
Agranuläres (glattes) endoplasmatisches Retikulum
Granuläres (raues) endoplasmatisches Retikulum
Ribosomen – 18–20 nm
Mitochondrien – d = 0,5–1 µm; l = 1–5 µm
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 26
2.2 Zellen und ihr umgebendes Milieu 27
Das Zentriol liegt in der Nähe des Zellkerns und besteht aus Mikrotubuli.
Aufgabe: Stehen funktionell in enger Beziehung zur geordneten Bewegung der Chromosomen bei derZellteilung (Spindelapparat).
Die das Zytoskelett bildenden Strukturen sind für den Erhalt der Zellform und für die Stabilität der Zellenzuständig. Man unterscheidet:• Mikrofilamente, die aus den fadenförmigen Eiweißen Aktin und Myosin bestehen und sich meist in
Bündeln zusammenlagern, welche dann als Fibrillen bezeichnet werden (z. B. Myofibrillen in Muskel-zellen, Neurofibrillen in Nervenzellen, Tonofibrillen in Epithelzellen).
• Mikrotubuli sind 25 nm dicke, röhrenförmige, vorwiegend aus dem Protein Tubulin bestehende Strukturen. Sie befinden sich z. B. in Zilien, Geißeln und Mikrovilli und bilden den Spindelapparat während der Zellteilung.
Aufgaben: Stabilisierung von Form und Festigkeit der Zellen, Transport von Zellbestandteilen (z. B.Chromosomen bzw. Chromatiden, Vesikel) und Widerlager bei Bewegungsabläufen.
Zytoskelett
Zentralkörperchen (Zentriol) – l = 400 nm, d = 150 nm
Zellkern (Nucleus)
Ribosomen Golgi-Apparat
Lysosomen Microbodies ZentralkörperchenZytoskelett
Mitochondrien Agranuläres (glattes)endoplasmatisches
Retikulum
Granuläres (raues)endoplasmatisches
Retikulum
Bestandteile einer Zelle. Abb. 2.5
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 27
2.2.2 Flüssigkeitsräume des Körpers und Körperflüssigkeiten
FlüssigkeitsräumeAls Flüssigkeitsräume bzw. Kompartimente wer-den hier die Volumenbereiche des Körpers (z. B.Blutvolumen) bezeichnet. Die Abbildung 2.4(Seite 25) zeigt die Beziehungen der Komparti-mente untereinander und zur Umwelt. DiePermeabilität (= Durchlässigkeit) der Barrieren(= Kapillar-, Zellmembran) gilt nur für passiveTransportvorgänge (✑ S. 32).
Bei einem Erwachsenen mit einem Körperge-wicht von ca. 70 kg ergeben sich bei 60 %Wassergehalt ca. 42 l Wasser, die wie folgt aufdie Flüssigkeitsräume aufgeteilt werden.l. Extrazellulärer Raum mit extrazellulärer
Flüssigkeit: ca. 14 l• interstitieller Raum (= Zwischenzell-
raum) mit der interstitiellen Flüssigkeit (ca. 10 l),
• intravasaler Raum (= Raum in denBlut- und Lymphgefäßen) mit der Blut- und Lymphflüssigkeit (ca. 4 l).
2. Intrazellulärer Raum (= Gesamtheit der Zellinnenräume) mit intrazellulärer Flüs-sigkeit: ca. 28 l.
Die Körperflüssigkeiten sind Lösungen undbestehen aus dem Lösungsmittel Wasser, in demeine Vielzahl an Stoffen enthalten ist.
WasserbedarfDer Wasserbedarf hängt von den Faktoren Alter,körperlicher Belastung, Klima (Schwitzen) undKochsalzzufuhr ab.
Säuglinge haben wegen ihres gesteigerten Stoff-wechselgeschehens und erhöhter Wasseraus-scheidung einen im Verhältnis höheren Wasser-bedarf und trocknen leichter aus (Lebensge-fahr!).
2.2.3 Das innere Milieu
Das innere Milieu ist die unmittelbare Umge-bung der Zellen, wobei Menge, Verteilung undZusammensetzung der Körperflüssigkeiten (inne-res Flüssigkeitsmilieu) und die Temperaturwichtige Bestimmungsgrößen sind. Damit allebiologischen Reaktionen optimal ablaufen kön-nen, muss das innere Milieu dauerhaft konstantgehalten werden. Dies wird als Homöostasebezeichnet. Die Regelung der Homöostase des innerenMilieus umfasst demnach:1. die Regulation des inneren Flüssigkeits-
milieus mit• der Einstellung des normalen Volumens
(Isovolämie),• der Einstellung des normalen osmotischen
Druckes (Isotonie),• der Einstellung des normalen Elektrolyt-
haushaltes (Isoionie) und• der Einstellung des normalen pH-Wertes
(Isohydrie);2. die Regulation der Körpertemperatur.
Darüber hinaus spielt die Steuerung des Hor-monhaushaltes, der Atmung und des Kreislaufesebenfalls eine bedeutende Rolle.
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe28
Der Mindestwasserbedarf pro Tag beträgt 1 bis 1,5 Liter.
Merke
Die durchschnittliche Wasserzufuhr pro Tagsollte ca. 2,5 Liter betragen.
Merke
Wasserzufuhr
• durch Getränke• durch feste Nahrung• Oxidationswasser
= 2,5 l
Wasserausscheidung
Harn – NiereKot – DarmAtemluft – LungeSchweiß – Haut
= 2,5 l
Bilanzierung
Die temperaturabhängige Wasserabgabe durch Haut
und Atmung wird als Perspiratio insensibilis bezeichnet.
Der Hypothalamus (Teil des Zwischenhirns)ist das wichtigste Integrationsorgan des inne-ren Milieus. Die Homöostase des innerenMilieus wird durch das Blut, die Nieren unddie Lunge reguliert.
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 28
Größere Abweichungen des inneren Milieuskönnen, insbesondere bei Säuglingen und älterenMenschen, lebensbedrohlich sein. Gründe, die zu solchen Veränderungen führen,sind z. B.:– Wasser- und Elektrolytverluste bei extremem
Schwitzen, Durchfällen oder Erbrechen,– zu geringe Flüssigkeitszufuhr über längere Zeit,– Störungen des Elektrolythaushaltes bei Nieren-
erkrankungen,– Eiweißmangel bei Hunger oder Leberschäden,– Einnahme bestimmter Medikamente.Wichtig: Bei Verlust größerer Flüssigkeitsmen-gen für ausreichende Flüssigkeits- und Elektro-lytzufuhr sorgen!
2.2.4 Säure-Basen-Haushalt
Für eine normale Stoffwechselfunktion müssendie Säure- und Basenkonzentrationen in denKörperflüssigkeiten immer konstant gehaltenwerden. Entscheidend für das Säure-Basen-Gleichge-wicht ist die Einstellung einer festen Wasser-stoffionenkonzentration (Isohydrie) mit einempH-Wert von 7,37 bis 7,43 in der extrazellulärenund 7,28 bis 7,29 in der intrazellulären Flüssig-keit. Die Isohydrie ist notwendig, weil die En-zyme bestimmte, oft eng begrenzte pH-Werte fürihre Wirksamkeit benötigen.
Die Isohydrie ist permanent Störungen ausge-setzt, weil im Stoffwechselgeschehen ständig u. a. H+, aber auch OH- anfallen. Hauptsäure-quelle ist der Energiestoffwechsel. Hier entstehtdie flüchtige Kohlensäure. Darüber hinaus fallennichtflüchtige Säuren an, z. B. Milch- undPhosphorsäure.
pH-WertDer pH-Wert ist eine Zahl zur Kennzeichnungder Wasserstoffionenkonzentration [H+] in einerLösung und somit der Stärke einer Säure oderBase. Der Organismus hält den pH-Wert vonallen Messgrößen am genauesten konstant.
Um eine praktikable Anwendung mit einer ein-
fachen Zahl zu haben, wurde der Logarithmusgewählt, sodass ein fallender pH-Wert eine höhe-re Wasserstoffionenkonzentration bedeutet.
Die Zahlenangabe von 0 bis 14 kommt zustande,weil in sauren, neutralen und basischen Lösun-gen das Produkt aus Wasserstoffionenkonzen-tration [H+] und Hydroxidionenkonzentration[OH–] konstant ist, immer 10-14 mol/l. Sind vieleH+-Ionen enthalten (z. B. im sauren Milieu pH 4= 10–4), dann sind weniger OH–-Ionen vorhan-den (10–10).
2.2 Zellen und ihr umgebendes Milieu 29
Schon eine geringfügige Änderung der Wasserstoffionenkonzentration ist lebens-bedrohlich.
❑P
[H+] in mol/l pH-Wert
1,0 = 100 00,1 = 10-1 10,01 = 10-2 20,001 = 10-3 30,0001 = 10-4 40,00001 = 10-5 50,000001 = 10-6 60,0000001 = 10-7 7 neutral0,00000001 = 10-8 80,000000001 = 10-9 90,0000000001 = 10-10 100,00000000001 = 10-11 110,000000000001 = 10-12 120,0000000000001 = 10-13 130,00000000000001 = 10-14 14
alka
lisc
h (b
asis
ch)
saue
r
Lösung pH-Wert
sauerneutral
alkalisch bzw. basisch
> 7,0= 7,0< 7,0
1,54,7 bis 8,07,07,37 bis 7,438,0 bis 9,08,012,0
MagensaftUrin
destilliertes WasserBlut
BauchspeichelDarmsaft
Ammoniak
Der pH-Wert der intra- und extrazellulärenKörperflüssigkeiten liegt im schwach alkali-schen (basischen) Bereich.
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 29
Regulation des Säure-Basen-HaushaltesWie zuvor ausgeführt, muss der pH-Wert in sehrengen Grenzen konstant gehalten werden. Diesgeschieht durch drei Vorgänge:– Pufferung,– respiratorische Regulation durch Abatmung
von CO2 und – renale Regulation durch differenzierte Aus-
scheidung von H+ bzw. HCO3- über die Nieren.
PufferungPufferung bedeutet, dass durch bestimmte Stoffe– Puffersubstanzen – überschüssige H+ bzw.OH- chemisch gebunden und somit Schwan-kungen des pH-Wertes vermieden werden. DiePuffersubstanzen befinden sich in den Körper-flüssigkeiten, z. B. im Blutplasma.Für die Konstanthaltung des pH-Wertes immenschlichen Organismus sorgen hauptsächlichdrei Puffersysteme:
1. Kohlensäure-Bicarbonat-System, 2. Proteinpuffersysteme, z. B. Hämoglobin, 3. Phosphatpuffersysteme.
Versuch zum Nachweis der Pufferwirkung desBlutplasmasZu diesem Zweck werden zunächst zwei Rea-genzgläser wie folgt gefüllt:Reagenzglas I: 5 ml frisches Blutplasma,
2 bis 3 Tropfen Methylorange;Reagenzglas II: 5 ml destilliertes Wasser,
2 bis 3 Tropfen Methylorange.Nun gibt man nacheinander in beide Reagenz-
gläser so viel Salzsäure, bis ein Farb-umschlageintritt. Dieser Farbumschlag tritt im Reagenz-glas II bereits nach wenigen Tropfen, imReagenzglas I erst nach vielen Tropfen Salzsäureein.
ErklärungIm Blutplasma befinden sich Puffersysteme(Kohlensäure-Bicarbonat-System, Plasmaeiwei-ße), die durch chemische Bindung der H+ zu-nächst den pH-Wert konstant halten. Die großeBedeutung des Kohlensäure-Bicarbonat-Puffer-systems liegt darin, dass die Konzentrationenbeider Pufferkomponenten (H+ und HCO3
-)durch das System Blut – Atmung – Niere wei-testgehend unabhängig voneinander verändertwerden können.
So zerfällt einerseits die bei H+-Überschuss ver-mehrt gebildete Kohlensäure in H2O und CO2.Letzteres kann über die Lunge durch Intensivie-rung der Atmung abgegeben werden. Anderer-seits reguliert die Niere die Abgabe von H+ undHCO3
-.
Bei den Störungen des Säure-Basen-Haushaltesunterscheidet man:– respiratorische und nicht respiratorische
Azidose (= Säureüberschuss) sowie– respiratorische und nicht respiratorische
Alkalose (= Basenüberschuss).
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe30
[H+] • [OH-] = konstantFür neutrale Lösungenbedeutet dies:[10-7] • [10-7] = 10-14
H+
H+ -Überschuß
HCO3-
H2O
CO2 Lunge
H+ + OH- H2O
HCO3-
Niere
H2CO3
OH-
OH- -Überschuß
H2CO3
Die respiratorische Regulation des pH-Wertes erfolgt schnell, die renale dagegensehr langsam.
Merke
Regulation des pH-Wertes.Tab. 2.6
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 30
2.3 Arten des Stofftransports imOrganismus
In die Zellen, innerhalb der Zellen, zwischen denZellen und aus den Zellen muss eine Vielzahlvon Stoffen transportiert werden. Zum Beispiel:– Nährstoffe, – Mineralstoffe, – Vitamine, – Atemgase, – Harnstoff, – Hormone.
Der vielzellige Organismus nutzt zu dessen Rea-
lisierung verschiedene Transportformen. – Passive Transportformen (= Formen, die ohne
Energie aus dem Stoffwechsel ablaufen):Diffusion, Osmose, Filtration.
– Aktive Transportformen (= Formen, die Ener-gie aus dem Stoffwechsel benötigen): Bläs-chentransport, Trägertransport, Konvektion.
Eine wichtige Voraussetzung für den geordnetenStofftransport stellen die Biomembranen als Bar-rieren mit veränderlicher Permeabilität (Durch-lässigkeit) dar.
2.3 Arten des Stofftransports im Organismus 31
Prinzip der Pufferung. Abb. 2.6
Nahrung und Stoffwechsel
pH Wert
Puffersystem
Hämoglobin / ProteinHHb H+ + Hb-
(bindet H+ oder gibt es ab)
PhosphatH2PO4
- H+ + HPO42-
(Prozess ähnlich wie beiBicarbonat)
BicarbonatH2CO3 H+ + HCO3
-
(bindet H+ und Bicarbonat[HCO3
-] unter Bildung vonKohlensäure oder
Kohlensäure zerfällt und gibtes ab)
H+ CO2 OH- + CO2
HCO3-
HCO3- oder H+
Niere Lunge CO2
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 31
2.3.1 Passiver Transport
Diffusion In einem Versuch (vgl. Abb. 2.7) geben wir ineinen Glaszylinder zuerst etwas Wasser und da-nach wenige Kristalle Kaliumpermanganat odereinige Tropfen eines wasserlöslichen Farbstoffes.Was geschieht? l. Die Farbstoffteilchen bewegen sich vom Ort
ihrer höheren zum Ort ihrer niedrigeren Kon-zentration (sichtbar).
2. Die Wasserteilchen bewegen sich ebenfalls vom Ort ihrer höheren zum Ort ihrer niedrige-ren Konzentration (unsichtbar).
Die Folge: Die Stoffe mischen sich allmählich.
Unter Diffusion versteht man die Wanderung vonTeilchen aufgrund ihrer Eigenbeweglichkeit vomOrt ihrer höheren zum Ort ihrer niedrigerenKonzentration. Dieser Transportprozess verläuftrelativ langsam und setzt deshalb im Organismusaußer dem Konzentrationsgefälle hinreichendgroße Austauschflächen und sehr kurze Wegevoraus.
Vorkommen: Gasaustausch– zwischen Atemluft und Blut in der Lunge,– zwischen Blut und Zellen in den Geweben.
OsmoseWie auf S. 24 beschrieben, befinden sich dieInhaltsstoffe einer Zelle in Kompartimenten, diedurch Membranen (= dünne Häutchen) vonein-ander getrennt sind.Diese Membranen wirken ähnlich einem Siebmit einer bestimmten Porenweite: Kleine Teil-chen, z. B. Wasser-, Sauerstoff- und Kohlen-dioxidmoleküle, können diffundieren, größereTeilchen, z. B. Eiweißmoleküle, nicht.Membranen, die nicht alle Teilchen hindurchtre-ten lassen, werden als halbdurchlässige = semi-permeable Membranen bezeichnet.
Ein Experiment – in Abb. 2.8 dargestellt – solluns Klarheit über die genaueren Vorgänge aneiner solchen semipermeablen Membran ver-schaffen:Reines Wasser wird durch eine semipermeableMembran von einer Kochsalzlösung getrennt.
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe32
rote Farbstoffteilchen
Wasserteilchen
Diffusion.Abb. 2.7
Osmose.Abb. 2.8
hyperton
hypotonisoton
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 32
Die Kochsalzlösung ist die Lösung mit der höhe-ren Konzentration1) (= hypertone Lösung) undentspricht dem Zellplasma. Das Wasser ist dieLösung mit der niederen Konzentration (= hypo-tone Lösung) und entspricht der Außenlösungeiner Zelle.
Beobachtung:Das Flüssigkeitsvolumen im inneren Gefäßvergrößert sich allmählich.
Erklärung: Die semipermeable Membran lässt nur die Was-serteilchen hindurch, die entsprechend ihremKonzentrationsgefälle von außen nach innen dif-fundieren.
Wird die Bewegung bestimmter größererTeilchen (hier Na+ und Cl-) durch eine halb-durchlässige Membran behindert, können alsonur kleinere Teilchen (hier Wasserteilchen)durch die Membran, spricht man von Osmose.Osmose führt immer zu einer Wasserzunahmeder hypertonen Lösung.
Die größeren Teilchen werden als osmotischaktive Teilchen bezeichnet, der von ihnen her-vorgerufene Druck an der semipermeablen Mem-bran als osmotischer Druck. Verursachen Kolloide(z. B. Eiweiße) den osmotischen Druck, heißt erkolloid-osmotischer (KOD) oder onkotischer Druck.
Vorkommen:Da fast alle Zellen semipermeable Membranenals Grenzschichten (Zellmembran, intrazelluläreMembransysteme) besitzen, spielt die Osmosebei der Wasseraufnahme der Zelle und beimWassertransport innerhalb der Zelle eine bedeu-tende Rolle.
FiltrationBesteht zwischen beiden Seiten einer Biomem-bran ein Druckunterschied, werden alle Teilcheneiner Flüssigkeit, die durch die Poren passen,vom Ort des höheren zum Ort des niederenDruckes gepresst.
Vorkommen:– Stoffaustausch im Gewebe, – Filtration des Blutplasmas in der Niere.
2.3.2 Aktiver Transport
Diese Transportform ist notwendig, um Stoffegegen Konzentrationsgefälle und hydrophileStoffe, die ansonsten die Biomembran nicht pas-sieren können, zu transportieren. Hier solleneinige Formen näher beschrieben werden:
1. Bläschentransporta) Phagozytose (griech.: Fresstätigkeit einer Zelle)Amoeboid2) bewegliche Zellen, z. B. bestimmteweiße Blutzellen, umfließen feste Partikel (z. B.Bakterien). An der Berührungsstelle der Zell-membran entsteht eine Vertiefung, die als Bläs-chen abgeschnürt wird.
2.3 Arten des Stofftransports im Organismus 33
1) Konzentration bezieht sich auf die Menge der im Lösungsmittel Wasser gelösten osmotisch aktiven Teilchen.
2) Kriechbewegungen von Zellen ohne feste Zellwand
Membran
Filtration
Niere
Zellen (Gewebe)
Interstitium
Blutkapillare
Filtration. Abb. 2.9
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 33
b) Pinozytose (griech.: Trinken einer Zelle)
Die Pinozytose läuft prinzipiell ähnlichder Phagozytose ab. Es wird Flüssig-keit mit darin gelösten Stoffen aufge-nommen. Zur Pinozytose sind imGegensatz zur Phagozytose fast alleZellen fähig.c) Exozytose (griech.: Ausscheidung
von Stoffen durch eine Zelle) Verschiedene in der Zelle anfallendeStoffe, z. B. Sekrete, können ebenfallsin Bläschen, die meist vom Golgi-Apparat abgeschnürt werden, einge-schlossen werden. Diese Bläschen ver-schmelzen vom Plasma her mit derZellmembran und entleeren ihrenInhalt nach außen.
2. TrägerstoffeDie zu transportierenden Teilchen, vorallem Nähr- und Mineralstoffe, werdenan spezifische Trägermoleküle –Transporteiweiße (Carrier) – gebunden(= Trägertransport) und transportiert.
Vorkommen:– Aufnahme der Glucose, Aminosäure,
Vitamine und Mineralstoffe in die Darmzellen, von dort in das Blut und danach in die Körperzellen.
3. KonvektionUnter Konvektion wird Stofftransportdurch Mitführung verstanden.
Beispiele: – Sauerstoff- und Kohlendioxidtrans-
port bei der Belüftung der Lunge; – Stofftransport durch das Blutplasma
und durch den Harn.
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe34
EZR
Zellmembran
verschiedene feste Partikel
IZR
1)
2)
Zytoplasma
Phagozytose.Abb. 2.10
EZR
Zellmembran
Flüssigkeitströpfchen
IZR
1)
2)
Zytoplasma
Pinozytose.Abb. 2.11
Zellmembran
verschiedene, in der Zelle anfallende Stoffe
IZR
1)
2)
Zytoplasma
EZR
Exozytose.Abb. 2.12
1) Extrazellulärer Raum2) Intrazellulärer Raum
Trägertransport.Abb. 2.13
Blutkapillare
Interstitium
Substrat Trägermolekül (Carrier)
Zellmembran
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 34
2.4 Physiologie des Stoff- und Energiewechsels
2.4.1 Stoff- und Energiewechsel
Alle Lebensäußerungen lassen sich im Prinzipauf chemische Reaktionen im Körper zurück-führen, die Bestandteile des Gesamt- und Ener-giestoffwechsels sind.
Stoff- und Energiewechsel ist die Gesamtheit derbiologischen Vorgänge, die der Aufnahme, Um-wandlung und Abbau jener Stoffe dienen, die fürdie Existenz des Organismus und der Auf-rechterhaltung seiner Lebensfunktionen notwen-dig sind.
Stoffaufnahme – Atmungssystem: Sauerstoff. – Verdauungssystem: organische, energiereiche
Stoffe (Kohlenhydrate, Fette, Eiweiße), Vit-amine, Mineralstoffe, Wasser und Ballaststoffe (gelangen nicht in das Blut oder in die Zellen).
Stofftransport Herz-Kreislauf-System; Lymphsystem; Blut undLymphe als Transportmittel.
Stoffausscheidung– Harnsystem: Harn – Atmungssystem: Kohlendioxid, Wasser– Hautsystem: Wasser– Darm: Abbauprodukte des Stoffwechsels
2.4 Physiologie des Stoff- und Energiewechsels 35
Harnsystem
Ausscheidung
Ausscheidung
Nährstoffe
Nahrung
Atmungssystem
Herz-Kreislauf-System
Verdauungssystem
Haut
O2
O2CO2
CO2
Stoff- und Energiewechsel. Abb. 2.14
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 35
Intermediärstoffwechsel(Zwischenstoffwechsel)Intermediärstoffwechsel ist die Gesamtheit derin den Zellen ablaufenden chemischen Reaktio-nen, denen sowohl die aufgenommenen als auchdie körpereigenen Stoffe unterworfen sind.
Prinzip:
Die Stoffe werden einerseits zum Aufbau und zurErhaltung der Körperstrukturen und andererseitsals Energielieferant zur Aufrechterhaltung derLebensvorgänge benötigt. Jeder Stoffwechselstellt also gleichzeitig einen Energiewechsel dar.Dieser gliedert sich in zwei sich gegenseitigbedingende Bereiche:– anabole (aufbauende) Stoffwechselwege
(= Baustoffwechsel) – Synthese körpereigener
Bau- und Betriebsstoffe aus einfachen Mole-külen unter Energieverbrauch (z. B. Protein-synthese),
– katabole (abbauende) Stoffwechselwege(= Betriebsstoffwechsel) – Abbau energierei-cher organischer Verbindungen zum Zweck der Energiefreisetzung für Organleistungen.
2.4.2 Bedeutung energiereicher Phosphatver-bindungen im Stoff- und Energiewechsel
Energiereiche Phosphatverbindungen fungierenals Überträger Energie verbrauchender undEnergie liefernder Prozesse. Die größte Bedeutung hat das Adenosintriphos-phat (ATP). Es gehört zu den Coenzymen (✑ S.39) und besteht aus der organischen BaseAdenin, dem Zucker Ribose (Adenin + Ribose = Adenosin) und drei Phosphatgruppen P (✑Tab. 2.7).
Wird Energie freigesetzt, läuft in der Zelle fol-gender Vorgang ab:
Wird Energie benötigt, kehrt sich der Vorgang um:
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe36
Blutkapillaren
Zelle
interstitielle Flüssigkeit
Stoffaustausch im Gewebe.Abb. 2.15
Ausgangs-stoff
chemische Um- undAbbauvorgänge
End-produkt
Adenin – Ribose
Adenosin
� ��– P – P ~ P
AMP = Adenosinmonophosphat
ADP = Adenosindiphosphat
ATP = Adenosintriphosphat
energie-reiche
Bindung
Energiereiche Phosphatverbindungen.Tab. 2.7
�
ADP + P + Energie ATP�
ATP ADP + P + Energie�
ATP ist in allen Zellen die wichtigste ener-giereiche Phosphatverbindung und einzigerunmittelbarer Energielieferant.
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 36
2.4.3 Enzyme
Die chemischen Reaktionen in der Zelle laufennur in Anwesenheit von Katalysatoren ab. DieKatalysatoren der Zelle heißen Enzyme (= Bio-katalysatoren), die von ihnen umgesetzten StoffeSubstrate. Alle Enzyme sind Proteine. Sieermöglichen die chemischen Umsetzungen unteräußerst günstigen Bedingungen: 37 °C, Normal-druck, pH 7,4 und wässriges Milieu und mit rela-tiv hoher Geschwindigkeit.
Sinn der Enzyme ist, dass alle notwendigen Reak-tionen unter Körperbedingungen koordiniertablaufen können.
Bezeichnung der Enzyme Die Enzymnamen enden in der Regel auf -ase.Für uns sind drei Enzymgruppen bedeutungsvoll(Einteilung nach dem Reaktionstyp):1. Hydrolasen – katalysieren hydrolytische Spal-
tungen, d. h. Spaltung durch Wasser (z. B. Ver-dauungsenzyme),
2. Oxidoreduktasen – katalysieren Redoxpro-zesse, d. h. Oxidations- und Reduktionsvor-gänge (z. B. Enzyme der Atmungskette),
3. Transferasen – katalysieren die Übertragung von Stoffgruppen (z. B. Aminogruppen).
Enzyme sind substrat- und reaktionsspezifischeFunktionseiweiße.– Substratspezifität: Das Enzym reagiert nur
mit einem ganz bestimmten Zwischenpro-dukt des Stoffwechsels,
– Reaktionsspezifität: Von den vielen mögli-chen Reaktionen, die ein Zwischenprodukteingehen kann, wird nur eine katalysiert.
Ablauf einer EnzymreaktionWasserstoffperoxid (H2O2) zerfällt normalerwei-se sehr langsam in Wasser (H2O) und Sauerstoff
(O2). Gibt man einem mit H2O2 gefülltenReagenzglas nur wenige Tropfen des EnzymsKatalase1) hinzu, läuft diese Reaktion so schnellab, dass man den frei werdenden O2 mit einemglühenden Holzspan nachweisen kann. Mithilfeder Katalase wird also beispielsweise das beimZellstoffwechsel anfallende Zellgift H2O2 besei-tigt.Die Katalase ist ein Biokatalysator. Ein einzigesMolekül kann in der Minute bis zu 5 MillionenMoleküle H2O2 zerlegen. Dabei geht das Enzymselbst unverändert aus der Reaktion hervor.
Wie ist das möglich?Jede chemische Reaktion benötigt für den Starteinen bestimmten Energieschub. Diesen nenntman Aktivierungsenergie. Sie wird gebraucht,um die Teilchen der Stoffe, die miteinander rea-gieren sollen, in einen reaktionsfähigen Zustandzu bringen.
Es gibt aber auch Reaktionen, die gebremst wer-den müssen. Die entscheidende Reaktion zurEnergiefreisetzung: O2 (aus der Atmung) + H2
(aus dem Zitratzyklus) zu H2O + Energie würdeunter Normalbedingungen sehr heftig als Knall-gasreaktion ablaufen. Die Enzyme der Atmungs-kette sorgen dafür, dass die Energie schrittweiseübertragen und in Form von ATP gespeichertwerden kann.
2.4 Physiologie des Stoff- und Energiewechsels 37
Substrat Enzym-katalase
Enzym-Substrat-Komplex
Reaktions-produkte
Enzym
+ +
Katalysatoren – also auch unsere Enzyme –setzen die Aktivierungsenergie herab, indemsie die betreffenden Reaktionen in Teilschrittezerlegen. Jeder Teilschritt benötigt so wenigAktivierungsenergie, dass die Körpertempera-tur ausreicht und die Reaktionsgeschwindig-keit stark erhöht wird.
Merke
1) Katalase ist ein weit verbreitetes Zellenzym. Besonders hohe Konzentrationen sind in Leberzellen und Erythrozyten vorhanden.
Schritte der Enzymkatalyse. Tab. 2.8
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 37
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe38
Wirkungsweise der Verdauungsenzyme (Wirkung der Lipase zur Fettspaltung)
Fettsäure-Rest
Fettsäure-Rest
Fettsäure-Rest
Glycerol
R
e
s
t
Lipase
Lipase
Fettsäure
Fettsäure
Fettsäure
Wasser
Wasser
Wasser
Glycerol
+
+
+
+
+
+
H2O + CO2 H2CO3 H+ + HCO3- oder
H2O H+ + OH-; OH- + CO2 HCO3-
CA
CA
HCO3-
CO2
H+
OH-
H2OCarbo-
anhydrase
Enzymwirkung.Abb. 2.16
Aktivierungsenergie
ohne Enzym
mit Enzym
für die Enzym-Substratverbindung
H2O und O2
H2O2
Energie
Herabsetzung der Aktivierungsenergie durch Katalyse
Wirkungsweise der Carboanhydrase bei der Regulation des Gleichgewichts vonBicarbonat sowie von Wasser und Kohlendioxid
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 38
CoenzymeFür manche Enzymkatalysen sind unbedingtCoenzyme (= Cosubstrate) notwendig. Dies sindniedermolekulare Stoffe (also keine Eiweiße),die im Gegensatz zum Enzym bei der Reaktionverändert und wieder regeneriert werden müs-sen. Es handelt sich also nicht um Enzyme. AlsBausteine oder Vorstufen für Coenzyme dienen verschiedene Vitamine. ATP ist das „Coenzymdes Energiestoffwechsels“.
Beeinflussende Faktoren der Enzymtätigkeit Aus der Eiweißstruktur der Enzyme ergibt sich,dass ihre Aktivität insbesondere von der Tempe-ratur und vom pH-Wert abhängt. Dies verdeut-lichen zwei Experimente (vgl. Tabelle 2.9).
Jedes Enzym wirkt nur in einem bestimmten pH-Bereich.
Bestimmte Chemikalien (z. B. Kupfer- u. Silber-ionen, Säuren) hemmen bzw. blockieren dieEnzymtätigkeit.
2.4 Physiologie des Stoff- und Energiewechsels 39
Beeinflussende Faktoren der Enzymtätigkeit. Tab. 2.9
1. Experiment:
Drei Reagenzgläser wer-den nach folgendem Schema gefüllt:
Die Reagenzgläser wer-den in unterschiedliche Temperaturbereiche gebracht:
Ergebnis:Das Temperaturoptimum für die meisten Enzyme liegt zwischen 30 ° und 40 °C, also bei Körper-temperatur. Temperaturerhöhung über 60 °C zerstört die Enzyme.
2. Experiment:
Drei Reagenzgläserwerden wie folgt ge-füllt:
Jetzt wird in jedes Reagenzglas 1 ml Amylaselösung (spaltet Stärkemoleküle) gegeben und kurzgeschüttelt. Danach werden aus jedem Glas einige Tropfen in je eine Vertiefung einer Tüpfelplattegegeben und mit 1 Tropfen Iod-Kaliumjodid-Lösung (verfärbt sich bei Vorhandensein von Stärkekräftig blau) auf Stärke geprüft.
Ergebnis: Unterschiedliche Färbungen lassen erkennen, dass sich im Ansatz 2 (pH 7) kaum nochStärke befindet, d. h., bei einem pH-Wert 7 ist der Substratumsatz optimal.
Reagenzglas 1 2 3
Stärkelösung 2 ml 2 ml 2 mlAmylaselösung 4 ml 4 ml 4 mlIod-Kaliumjodid-Lösung 1 Tropfen 1 Tropfen 1 Tropfen
Reagenzglas 1 in ein Wasserbad von 15 – 20 °C Reagenzglas 2 in ein Wasserbad von 35 – 40 °C Reagenzglas 3 in ein Wasserbad von 70 – 80 °C
Reagenzglas 1 2 3
Wasser 0,5 ml 0,5 ml 0,5 mlPufferlösung (pH = 4,8) 1 mlPufferlösung (pH = 7,0) 1 mlPufferlösung (pH = 8,0) 1 mlStärkelösung 0,5 ml 0,5 ml 0,5 ml
Enzyme haben meist eine geringe Temperatur-und pH-Wert-Toleranz. Manche Enzyme müs-sen durch bestimmte Ionen (z. B. Ca2+, Mg 2+,K+) aktiviert werden bzw. benötigen dieAnwesenheit eines Coenzyms.
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 39
2.4.4 Stoffumsatz und Energiefreisetzung
In diesem Abschnitt werden die wichtigstenReaktionswege der Kohlenhydrate, Fette undEiweiße in vereinfachter Form dargestellt.
Abbau- und Synthesewege der KohlenhydrateDie Glucose (= Traubenzucker) ist das wichtigs-te Kohlenhydrat für den menschlichen Organis-mus. Nervenzellen und Erythrozyten könnenEnergie nur durch Glucoseabbau bereitstellen.Eine Voraussetzung hierfür ist ein geregelterBlutzuckerspiegel.
Der Blutzuckerspiegel wird hauptsächlich durchvier Faktoren beeinflusst (✑ Tab. 2.10).
GlykolyseDie Glykolyse ist die wichtigste Stoffwechsel-reaktion der Glucose und leitet deren Abbau zumZwecke der Energiefreisetzung ein.
Die Glucose wird hierbei zu Pyruvat (= Brenz-traubensäure) abgebaut, das bei Anwesenheitvon Sauerstoff im Zitratzyklus weiter bis zumCO2 und H2O oxidiert wird (= Hauptabbauweg).Anaerob (ohne O2) entsteht aus dem Pyruvat inAnwesenheit des Enzyms Lactatdehydrogenase(LDH) Milchsäure. Die dabei freigesetzte Ener-giemenge reicht aus, um zwei ATP-Moleküle zusynthetisieren.
GlukoneogeneseWas geschieht bei Erschöpfung der Glykogen-reserven? Der Organismus hat in einem solchenFall die Möglichkeit, in der Leber aus „Nicht-kohlenhydrat-Material“ Glucose zu synthetisie-ren. Dies nennt man Glukoneogenese. FolgendeAusgangsstoffe stehen zur Verfügung: l. Lactat (aus Erythrozyten ständig, aus Musku-
latur bei Überbeanspruchung), 2. Glycerol (aus eingeschmolzenen Fettvorräten),3. glucoplastische Aminosäuren (durch Eiweiß-
abbau verfügbar).
Abbau und Synthese der Triglyceride (Neutral-fette)Fettabbau Die Fette werden zunächst in Glycerol und Fett-säuren zerlegt.
Glycerol kann zwecks Energiefreisetzung zuCO2 und H2O abgebaut werden, oder es dient alsAusgangsstoff für die Bildung von Glucose(siehe Glukoneogenese).
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe40
Glykogen
Glukoneogenese
Blutzuckerspiegel
Nahrung OxidativerAbbau
Lebererkrankungen, Herzinfarkt, perniziöseAnämie, akute Hämolysen und Erkrankungender Muskulatur verändern die LDH-Konzen-tration im Serum. LDH-Bestimmungen dienendeshalb sowohl der Diagnosestellung als auchder Verlaufskontrolle dieser Erkrankungen.
❑P
Glucose (C6-Körper)
Glykolyse
Pyruvat (C3-Körper)
anaerob aerob(ohne O2) (mit O2)
Lactat (C3-Körper) CO2 + H2O(Milchsäure)
135 kJ (=̂ 2 ATP) 2847 kJ (=̂ 38 ATP)
Vorkommen:• Erythrozyten • alle Gewebszellen • Muskelfasern • Muskelfasern• Krebszellen • Mikroorganismen
Glykolyse. Tab. 2.11
Glycerol
ATP
ADP
GlucosePyruvat
Verstoffwechslung des Glycerols. Tab. 2.12
Faktoren, die den Blutzuckerspiegel beeinflussen.Tab. 2.10
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 40
Die Fettsäuren bilden eine wichtige Energie-quelle. Sie werden in den Mitochondrien zu-nächst in C2-Einheiten zerlegt und dann weiterzu CO2 und Wasser abgebaut.
Beim Fettsäureabbau in der Leber entstehenKetonkörper (= Aceton, Acetessigsäure, �-Hydro-xybuttersäure) als Stoffwechselprodukte, dienormalerweise in den peripheren Organen abge-baut werden. Bei Hunger und beim Diabetesmellitus mit extremer Mobilisierung der Fett-reserven kommt es zu einer überschießendenProduktion dieser Ketonkörper. Sie werden dannmit dem Urin ausgeschieden (Obstgeruch!).Außerdem führen sie zu einer azidotischenStoffwechsellage (✑ S. 230).
Fettspeicherung Triglyceride können in Fettzellen und begrenztauch in der Leber gespeichert werden. Über-schüssige Kohlenhydrate können leicht inTriglyceride umgewandelt und so ebenfalls zurAuffüllung der so genannten Fettdepots (z. B.Bauch, Oberschenkel, Oberarm) dienen.
FettaufbauDie Tabelle 2.13 zeigt in stark vereinfachterForm die Synthese der Fettsäuren bzw. Fette (✑auch S. 19/20).
Abbau der AminosäurenDer Stoffwechsel der Proteine beginnt mit derZerlegung des Eiweißmoleküls (im Verdauungs-trakt) in Aminosäuren. In der Leber dienen dieAminosäuren entweder dem Aufbau körpereige-ner Proteine oder sie werden abgebaut. An dieserStelle werden drei mögliche Reaktionswegestark vereinfacht beschrieben:1. TransaminierungTransaminasen (ASAT = Aspartat-Amino-Trans-ferase, ALAT = Alanin-Amino-Transferase) über-nehmen die NH2-Gruppe einer Aminosäure undgeben sie an ein anderes Kohlenstoffskelett ab.Auf diese Weise wird der Aminostickstoff in denausscheidungsfähigen Harnstoff überführt.ASAT und ALAT spielen eine wichtige Rolle inder Leberenzymdiagnostik. Eine erhöhte Kon-zentration dieser Enzyme im Blutserum deutetauf einen Leberschaden hin (z. B. Hepatitis,Leberzirrhose).
2. DecarboxylierungSpezifische Enzyme (Decarboxylasen) spalten
von Aminosäuren CO2 ab.Dadurch entstehen diebiogenen Amine, welcheim Organismus vielfältigeAufgaben erfüllen, z. B.als Bausteine von Coen-zymen oder Vorstufen vonHormonen.3. Oxidative Desaminie-rungDurch Aminosäure-Oxida-sen wird in der Leber vonAminosäuren die NH2-Gruppe abgespalten. Dabeientsteht Ammoniak, derunter Energieverbrauch inHarnstoff umgewandeltwird.
2.4 Physiologie des Stoff- und Energiewechsels 41
Auch aus Kohlenhydraten können Fettdepotsgebildet werden.
Merke
Fettsucht (Adipositas) und das damit ver-bundene Übergewicht sind eine der häufigsten Ursachen für Herz-Kreislauf-Erkrankungenund Erkrankungen des Bewegungsapparates.
❑P
CO2
Glucose Pyruvat C2-Körper Fettsäuresynthese durch Verketten der C2-Körper
im Mitochondrium im Zellplasma
Triglycerid Phosphatid
FS FS Glycerol FS Glycerol FS
FS Phosphat + Alkohol
Glycerol können Fettsäuren, Triglyceride oder Phosphatide bilden
Synthese von Fettsäuren und Fetten.Tab. 2.13
Decarboxylase
Aminosäure CO2 + biogenes Amin
Decarboxylierung. Tab. 2.14
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 41
Der Harnstoff besitzt folgende Eigenschaften, dieseine Ausscheidung mit dem Urin problemlos er-möglichen. Er ist ungeladen, nicht toxisch undkann gut durch die Biomembranen diffundieren.
Stoffwechselwege zur Energiefreisetzung(Überblick)Der Mensch benötigt zur Aufrechterhaltung sei-ner Lebensvorgänge (wie z. B. Informationsaus-tausch, Stoffsynthesen, Bewegung, gleichmäßigeKörpertemperatur) ständig Energie, die durchAbbau energiereicher Stoffe in den Zellen be-reitgestellt werden muss. Als energiereiche Stoffe kommen infrage – Kohlenhydrate: 99 %. – Fette: Geringe Beteiligung, aber die
langkettigen Fettsäuren lie-fern bei hohem O2-Verbrauch viel Energie.
– Eiweiße: Spielen normalerweise keine Rolle.
Im Folgenden wird in einfacher Form darge-stellt, wie die chemische Energie dieser Stoffefreigesetzt wird. Grundsätzlich erfolgt der Abbauschrittweise mithilfe von Enzymen.
Drei grundlegende Schritte sind zu erkennen:
Bei der Energiefreisetzung sind folgende bioche-mische Vorgänge zu erkennen (✑ Tab. 2.15):– Pyruvat und C2-Körper sind zentrale Stoffe im
Energiestoffwechsel, wobei, wie bereits gesagt,99 % aus der Glykolyse stammen.
– Alle C2-Körper werden in den Zitratzyklus eingeschleust und weiter abgebaut, wobei Wasserstoff (wird an Coenzyme gebunden) und CO2 (wird abgegeben) entstehen.
Biologische Oxidation des WasserstoffsUnter biologischen Bedingungen werden Was-serstoff und Sauerstoff stufenweise in ihrerReduktions-Oxidationsenergie angenähert, so-dass es nicht zur Knallgasreaktion kommt. Diebei der biologischen Oxidation hintereinandergeschalteten Redoxreaktionen bezeichnet manals Atmungskette. Zuerst wird der Wasserstoff(enthält die Energie) ionisiert. Die dabei entste-henden energiereichen Elektronen werden so-gleich über die Atmungskette, die aus Oxido-reduktasen besteht, „bergab“ transportiert. Dasheißt, es kommt zu einer schrittweisen Energie-abgabe. Die freigesetzte Elektronenenergie wirdsofort durch ATP-Bildung in chemische Bin-dungsenergie umgewandelt (✑ S. 36). ZumSchluss werden die energiearmen Elektronen aufmolekularen Sauerstoff (O2–) übertragen. Der soionisierte Sauerstoff verbindet sich mit den ent-standenen Wasserstoffionen (H+) zu Wasser.
Die beschrie-benen Abbau-wege zur Ener-giefreisetzungsind in allenZellen gleich.
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe42
Die wenigen nicht als Baustoff oder Funk-tionsstoff benötigten Aminosäuren werden vorallem in der Leber zur Energiefreisetzungabgebaut. Die Endprodukte des Aminosäureabbaus sind: • Wasser • Kohlendioxid • Ammoniak.
Merke
Fast jede Erkrankung verursacht mehr oderweniger deutliche Veränderungen des Eiweiß-stoffwechsels. Bei Schwerkranken und Schock-patienten ist immer darauf zu achten, dass aus-reichend Harnstoff ausgeschieden wird.
❑P
1. Zerlegung der Makromoleküle in ihre Grundbausteine (✑ Kap. Verdauung):
• KohlenhydrateAmylasen
Monosaccharide,• Fette
LipasenGlycerol + Fettsäuren,
• EiweißeProteasen und Peptidasen
Aminosäuren.
2. Zerlegung der Grundbausteine in C2-Körper.
3. Oxidation der C2-Körper zu CO2 + H2O, wobei die Hauptmenge der Energie dosiert freigesetzt wird.
Die zentrale Stellung des Zitratzyklus imIntermediärstoffwechsel kommt darüber hinausbeim Fettsäure-, Aminosäure-, Glucosestoff-wechsel und bei der Synthese körpereigenerStoffe (z. B. Häm) zum Ausdruck.
❑P
Das CO2 entsteht im Säurekreislauf, der O2
wird zur Wasserbildung verbraucht und nichtzur Oxidation von Kohlenstoff zu CO2.
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 42
2.5 Genetik (Vererbungslehre)
Bei der Fortpflanzung einer Organismenart ent-stehen immer wieder Nachkommen, die in ihrenwesentlichen Merkmalen den Eltern gleichen.Diese relative Konstanz der Arten wird durch dieKonstanz spezifischer Eiweiße gewährleistet. Die„Anweisungen“ für die Bildung der Eiweiße sindin der DNA gespeichert, welche sich in denChromosomen befindet. Bei der geschlechtlichenFortpflanzung werden sie von den Eltern auf dieNachkommen übertragen und bei der Zellteilungan die Tochterzellen weitergegeben. Man sagt,sie werden vererbt, und bezeichnet sie als Erb-information oder genetische Information.Alle Merkmale eines Lebewesens sind von sei-ner Erbinformation abhängig. In der DNA sinddie Informationen für die einzelnen Eiweiße hin-tereinander angeordnet.
2.5.1 Chromosomen
Die nur während der Zellteilungsphase sicht-baren Chromosomen gehen aus dem Chromatinhervor und nach Abschluss der Zellteilung wie-der in dieses über.
Veränderungen der Chromosomenstruktur undChromosomenzahl haben meist Krankheiten(Erbkrankheiten, genetische Störungen, vererbteAnomalien) zur Folge.
2.5 Genetik 43
Oxydo-
reduk-
tasen2e-
Eiweiße
Aminosäuren
Pyruvat
Glucose
C2-Körper
Glycerol Fettsäuren
Kohlenhydrate Fette
Zitrat-zyklus
H2O
2H+ + O2- 1/2 O2
38 ADP + 38 � 38 ATP
oxidative Phosphorylierung
P�Energie
CO2
H2
Biochemische Vorgänge bei der Energiefreisetzung. Tab. 2.15
Die Chromosomen stellen die „Transportform“der Erbinformation während der Zellteilungdar. Das Chromatin ist die „Funktionsform“,die im Stoffwechsel der Zelle wirksam wirdund sich verdoppelt. Struktur und Anzahl derChromosomen sind artspezifisch.
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 43
Bei allen höheren Lebewesen, also auch beimMenschen, ist die arttypische Chromosomen-zahl in allen Zellen zweimal vorhanden. Sie sinddiploid. Nur ihre reifen Keimzellen sind haploid,d. h., sie besitzen nur den einfachen Chromoso-mensatz.
Menschliche Keimzellen (sowohl Eizellen alsauch Samenzellen) enthalten 23 Chromosomen;die bei der Befruchtung entstehende befruchteteEizelle (Zygote) und alle aus ihr hervorgehendenKörperzellen besitzen 46 Chromosomen (✑ S.49).
FeinbauJedes Chromosom ist gekennzeichnet durch sei-ne Länge und die Lage seines Zentromers.
Ein Chromosom (✑ Abb. 2.17) besteht aus 2 Chromatiden (= Längshälften, Halb- oderTochterchromosomen), die am Zentromer (Spin-delfaseransatzstelle) miteinander verbunden sind.Jede Chromatide besteht aus einem doppelsträn-gigen DNA-Molekül.
2.5.2 Nukleinsäuren als Trägerstoff der Erbinformation
Wir wissen, dass bei jeder Mitose die Tochterzel-len die vollständige Erbinformation der Mutter-zelle erhalten. Die Nukleinsäuren sind hierfürdie stoffliche Grundlage. Sie besitzen die für dieseFunktion notwendigen drei Eigenschaften: – relativ stabil zu sein, – zahlreiche Informationen speichern zu können,– sich identisch zu verdoppeln.
Aufbau der NukleinsäurenFür das Vererbungsgeschehen kommen zwei unterschiedliche Nukleinsäuren in Frage: – Desoxyribonukleinsäure (DNS) oder (englisch)
Desoxyribonucleinacid (DNA), – Ribonukleinsäure (RNS) oder (englisch)
Ribonucleinacid (RNA).
Jede dieser Nukleinsäuren besteht aus vielenmiteinander verbundenen Nukleotiden als Bau-stein. Deshalb werden sie auch als Polynukleotidbezeichnet.
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe44
Im doppelten (diploiden) Chromosomensatzsind immer 2 Chromosomen in Form undGröße gleich. Sie heißen homologe Chromo-somen.Eine Ausnahme bilden die Geschlechts-chromosomen. Sie werden als X- und Y-Chro-mosomen bezeichnet und sind nicht gleich(✑ S. 49).
Merke
C
C
G
G
A
AT
T
Zentromer
Chromatiden
DNS-Doppelhelix
Matrix
DNS-Doppelhelix
Bau des Chromosoms.Abb. 2.17
Der unterschiedliche Bau ermöglicht dieEinordnung der Chromosomen in Karyogram-me.1)
❑P
1) Bildliche Darstellung der Chromosomen eines Organismus
In einem Chromosom ist die Erbinformationvierfach gespeichert. Die Chromosomen be-stehen aus:– DNA (enthält die genetische Information),– RNA (ermöglicht die Umsetzung der
genetischen Information, ✑ S. 45),– Eiweiße (haben Stütz- und regulatorische
Funktionen).
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 44
Ein Nukleotid setzt sich zusammen aus: – Zuckermolekül, – Phosphorsäuremolekül, – organischer Stickstoffbase.
DNADie DNA wird aus vier verschiedenen Nukle-otiden gebildet (✑ Abb. 2.18).Ähnlich den Proteinen sind auch bei der DNAverschiedene Strukturen zu unterscheiden: – Primärstruktur (= Nukleotidsequenz), – Sekundärstruktur (= Doppelstrang), – Tertiärstruktur (= Raumstruktur, rechtsdrehen-
de Doppelhelix).
Die sich im Doppelstrang gegenüberstehendenBasen heißen komplementäre Basen (= sichergänzende Basen). Der Doppelstrang lässt sichlängs der Wasserstoffbrücken in zwei komple-mentäre Einzelstränge spalten. Dies besorgenbestimmte Enzyme.
RNADie RNA wird ebenfalls aus vier verschiedenenNukleotiden gebildet. An der Stelle von Thyminsteht Uracil im Nukleotid und die Desoxyriboseist durch Ribose ersetzt. In der Abbildung 2.19sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede vonDNA und RNA dargestellt.
Die Speicherung der Erbinformation erfolgt ver-schlüsselt durch Anzahl und Reihenfolge der ver-schiedenen Nukleotide in der DNA bzw. RNA,vergleichbar mit den Buchstaben in einemgeschriebenen Wort. Die spezifische Aufeinan-derfolge der Nukleotide beinhaltet die Anwei-sung für die Synthese der Eiweiße.
Die Aminosäuresequenz der Eiweiße wird durchdie Basensequenz der DNA verschlüsselt(codiert) gespeichert.
Triplett-Code Die Aminosäuren werden durch Nukleotidbasen-tripletts codiert. Zur Codierung der 20 vorkom-menden Aminosäuren gibt es aufgrund vier ver-schiedener Basen 43 = 64 Kombinationsmög-lichkeiten. Das heißt, für die meisten Amino-säuren gibt es mehrere Tripletts.
2.5 Genetik 45
Doppelhelix
Stickstoffbase
Desoxyribose
Phosphorsäure
4 verschiedene Nukleotide
Phosphor-säurerest
Desoxy-ribose
organischestickstoffhaltigeBase
P
P
P
P
Adenin
Thymin
Guanin
Cytosin
DNA. Abb. 2.18
Aufgrund der Molekülstruktur können sichdurch Wasserstoffbrücken nur Adenin mitThymin und Guanin mit Cytosin verbinden.
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 45
Die Speicherung der Erbinformation ist bei allenLebewesen gleich.
Identische Verdopplung (= Reduplikation) der DNA Die identische Verdopplung des genetischenMaterials bei Zellteilungen ist die Voraussetzungfür die unveränderte Weitergabe und die Erhal-tung artspezifischer Merkmale. Nur dadurch istes möglich, dass bei der Zellteilung zwei völliggleiche Zellen mit identischen Eigenschaftenund gleicher Erbinformation entstehen. Ohneden Mechanismus der identischen Reduplikationwäre kein Wachstum und kein gleichwertigerErsatz abgestorbener Zellen möglich.Die identische Reduplikation beruht darauf, dassdie beiden Polynukleidstränge eines DNS-Moleküls aufgetrennt werden und sich dann diejeweils passenden Nukleotide aus dem Umfeld
in der Zelle so anlagern, dass eine völlig gleicheKopie des Ausgangsmoleküls entsteht (komple-mentäre Paarung der organischen Basen). DieserVorgang wird durch Enzyme gesteuert und ver-läuft in mehreren Phasen. Die Abbildung 2.20stellt den komplizierten Vorgang schematischdar.1. Mittels Enzymen werden die Wasserstoff-
brückenbindungen zwischen den komplemen-tären Basen gelöst. Der Doppelstrang öffnet sich wie ein Reißverschluss. Es entstehen zwei Einzelstränge.
2. An die Basen jedes Einzelstranges lagern sich die jeweils passenden freien Nukleotide aus dem Zellstoffwechsel an und verbinden sich in der bereits bekannten Weise miteinander. Es sind zwei genetisch identische Doppel-stränge entstanden, halb aus altem und halb aus neuem Material.
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe46
DNA
RNA
Uracil
Proteinsynthese
Ribosom
Kernmembran
KernporeInformation
Desoxyribose
Ribose
Merkmale DNA – RNA.Abb. 2.19
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 46
Realisierung der Erb-information(Eiweißsynthese)In den Abschnitten 2.1.3(✑ S. 19 – 22) und 2.4.3(✑ S. 37) ist die Bedeu-tung der Eiweiße als Bau-und Funktionsstoffe dar-gestellt. Weil schon derAusfall eines einzigenEnzyms zu einer gestör-ten Zellfunktion oder garzum Zelltod führen kann,kommt der Eiweißsyn-these eine zentrale Be-deutung zu.
Die Umsetzung der Erb-information besteht in derSynthese der individual-spezifischen Eiweißstoffe,die bei jedem Menschenunterschiedlich sind (indi-vidualspezifisch). Dabeiwird derjenige Abschnittder DNA, der die Syn-these eines bestimmtenEiweißstoffes steuert, alsGen (= Erbanlage) be-zeichnet.
Der Ablauf erfolgt in zweiStufen:l. Informationsabgabe im
Zellkern(= Transkription) Die Information derDNA (Gen) wird in die Nukleotidsequenz einerm-RNA (m-RNA = Messenger-RNA: Bo-ten-RNA) umgeschrie-ben. Dies geschieht wie folgt:
– Aufspaltung des DNA-Doppelstranges durchLösen der Wasserstoffbrücken,
– komplementäre Anlagerung der m-RNA-Nukleotide,
– Ablösen der m-RNA und Wanderung zu den Ribosomen.
2. Entschlüsselung am Ribosom (= Translation) Die genetische Information der m-RNA als Aminosäuresequenz eines Proteins wird ent-schlüsselt. Der Proteinaufbau erfolgt mithilfe der t-RNA (= Transfer-RNA) in folgenden Schritten:
2.5 Genetik 47
DNA-Doppelstrang
organischeStickstoffbasen
Desoxyribose
Phosphorsäure
freie Nukleotideaus dem
Zellstoffwechsel
ElternstrangTochterstrang Tochterstrang
Wasserstoff-brücken-
bindungen
Identische Reduplikation der DNA. Abb. 2.20
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 47
– Anlagerung der m-RNA an ein Ribosom, – komplementäre Basenpaarung zwischen
m-RNA und t-RNA und Verknüpfung der Aminosäuren,
– Lösen des neu gebildeten Eiweißes von der t-RNA.
Sowohl durch äußere Einflüsse (z. B. radioaktiveStrahlen, Röntgenstrahlen, Zellgifte, Viren) alsauch durch innere Einflüsse (z. B. Erbeinflüsse)kann die DNA verändert werden. Auf diese Weisekönnen Zellen entarten und beispielsweiseKrebszellen entstehen, die außerhalb der Regu-lations- und Steuervorgänge des Organismus lie-gen. Hieraus lässt sich das weitgehend unge-hemmte Wachstum von bösartigen Tumorenerklären.
2.5.3 Zellteilung
Die Zellteilung ist ein Grundvorgang, der beiden Lebewesen zur Zellvermehrung führt. Sokönnen sich aus einer Zelle vielzellige Lebe-wesen entwickeln. Die entstehenden Tochterzel-len sind mit der Mutterzelle genetisch identisch.
Entscheidend bei jeder Zellteilung ist, dass dieErbinformation, die im Zellkern der Mutterzellegespeichert ist, fehlerfrei auf die Tochterzellenübertragen wird.
Die Zellteilung ist die Grundlage für dasWachstum und die Vermehrung der Organismensowie die Regeneration abgestorbener Zellen.
Formen der Zellteilung
1. MitoseAls Mitose bezeichnet man die „indirekte Kern-teilung“ im Sinne des Wachstums- und Zell-erneuerungsprozesses. Sie kann in verschiedenePhasen untergliedert werden, die ohne deutlicheGrenzen ineinander übergehen.
Die Kernteilung geht stets der Zellteilung vor-aus.
Prophase
• Die spezifischen Zellfunktionen werden ein-gestellt und viele Zellorganellen sowie die Kernmembran beginnen sich aufzulösen.
• Das Chromatin formt sich zu den Chromo-somen um (✑ Abb. 2.17, S. 44), und die Chromatiden werden sichtbar (Längsspalt).
• Das Zentriol teilt sich.
Metaphase
• Auflösung der Kernmembran wird abge-schlossen.
• Bildung des Spindelapparates aus kontrakti-len Plasmafäden und
• Verbindung der Chromosomen am Zentromermit den Plasmafäden.
• Die Chromosomen werden in die Äquatori-alebene verlagert und geordnet (die Chromo-somenarme zeigen polwärts).
Anaphase
• Die Zentromere werden geteilt und die Chromatiden mithilfe der Spindelfasern an die Zellpole transportiert. Bei diesem Vorgangkommt es darauf an, dass die beiden Chromati-den eines jeden Chromosoms getrennt werden.
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe48
Zentriol
ChromosomenChromatin
Prophase. Abb. 2.21
Metaphase. Abb. 2.22
Anordnung derChromosomenin der Äquatorialebene
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 48
Telophase
• Spindelapparat löst sich auf.
• Neubildung der Kernmembran.
• Bildung des Chromatins.
• Zwischen den beiden Tochterkernen bildet sich eine neue Zellmembran.
• 2 neue Tochterzellen sind entstanden.
Bedeutung der Mitose• Grundlage des Wachstums (= Zellteilungs-
wachstum): Ausgehend von der befruchteten Eizelle (= Zygote) entstehen alle Körperzellen durch Mitosen, besitzen also das gleiche Erbmaterial wie die Zygote.
• Grundlage der Wundheilung:Bei Verletzungen werden bestimmte Zellen wieder zur Mitose angeregt.
• Grundlage der Tumorbildung: Die Mitosen finden krankhaft verändert und unkontrolliert statt.
2. PolyploidieIm Zellkern entstehen Chromatiden, aber dieKernmembran bleibt erhalten und die Zelle teiltsich nicht.Ergebnis: Zellen mit vielfachen Chromosomen-sätzen (= polyploide Zellen). Vorkommen: Megakaryozyten des Knochen-marks, bösartige Tumorzellen.
3. Amitose (= direkte Kernteilung) Hierbei wird nur der Zellkern einfach geteilt,ohne dass eine geordnete Aufteilung der Chro-matiden erfolgt (✑ Abb. 2.25, S. 50).Ergebnis: Zellen mit zwei Zellkernen. Vorkommen: Leberzellen und Harnblasenepithel-zellen.
4. MeioseDie Meiose tritt bei der Bildung der Geschlechts-zellen (= Keimzellen = Gameten) auf (✑ Abb.2.26, S. 51).
Die Körperzellen des Menschen besitzen einendoppelten Chromosomensatz (✑ S. 44). Sie sinddiploid (= 2n). In jeder menschlichen Körperzelle befinden sich22 Autochromosomenpaare und 1 Gono- oderGeschlechtschromosomenpaar (2n = 46).
Chromosomensatz der Frau: 22 Autochromosomenpaare + 2 gleich gestaltete Geschlechtschromosomen,die X-Chromosomen.
Chromosomensatz des Mannes: 22 Autochromosomenpaare + 2 ungleich gestaltete Geschlechtschromoso-men, ein X- und ein Y-Chromosom.
Damit dieser Chromosomensatz auch in denFolgegenerationen erhalten bleibt, findet bei derBildung der Geschlechtszellen eine Halbierungstatt. Die Samen- und Eizelle besitzen demnacheinen einfachen Chromosomensatz. Sie sindhaploid (= n). In jeder reifen menschlichen Keimzelle befindensich somit 23 Chromosomen (n = 23), also inden Samenzellen 22 Autosomen plus 1 Y- oder 1 X-Chromosom und in den Eizellen 22 Auto-somen plus in jedem Fall 1 X-Chromosom.
2.5 Genetik 49
Transport derChromatidenmithilfe desSpindelapparatesan die Zellpole
Anaphase.Abb. 2.23
Tochterkern Bildung der Tochterzellen
Telophase.Abb. 2.24
Bei der Mitose entstehen genetisch „gleichwer-tige“ Zellen. Der Chromosomensatz der Toch-terzelle entspricht dem der Mutterzelle.
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 49
Trifft bei der Be-fruchtung eineSamenzelle miteinem X-Chro-mosom auf dieEizelle, so ent-steht ein weibli-cher Organismus(XX).Eine Samen-zelle mit einemY-Chromosom be-wirkt bei der Ver-schmelzung dasmännliche Ge-schlecht (XY).
Ablauf der Meiose(= Reifeteilung) Die Meiose läuftin zwei aufeinander folgenden Teilungsschritten(Reifeteilungen) ab:
Meiose I (1. Reifeteilung) Prophase I
Paarung der homologen Chromosomen (je 1 mütterliches mit dem entsprechenden väter-lichen Chromosom). Während der Paarung kann es zum Austausch einzelner homologer Bruchstücke bei Nichtschwesterchromatiden kommen („crossing over“). Dadurch können Veränderungen im Erbgut entstehen.
Metaphase IAnordnung der homologen Chromosomen in der Äquatorialebene zufallsgemäß.
Anaphase IDie mütterlichen und väterlichen Chromosomengelangen entsprechend der zufallsgemäßen Anordnung an die Zellpole.
Telophase IBildung von 2 haploiden Tochterzellen.
Meiose II (2. Reifeteilung) Die Meiose II ist eine Mitose. Beim Menschen entstehen: – 4 haploide plasmaarme Spermien (Mann) bzw.– 1 haploide plasmareiche Eizelle plus 3 haploi-
de plasmaarme Polkörperchen (Frau).
Bedeutung der Meiose1. Grundlage für die Konstanz der artspezifi-
schen Chromosomenzahlen. 2. Grundlage für die Neukombination des gene-
tischen Materials zwischen den Generationen.Bei Trennung der homologen Chromosomenhängt es vom Zufall ab, welche mütterlichenbzw. väterlichen Chromosomen in die eineoder andere Tochterzelle gelangen. BeimMenschen sind demnach 223 = 8.388.610verschiedene Kombinationen möglich. Dieswird noch erweitert durch den möglichenAustausch homologer Bruchstücke von Nicht-schwesterchromatiden in der Prophase I.
2.5.4 Gesetzmäßigkeiten der Vererbung – Mendel’sche Erbregeln
Im 19. Jahrhundert stellte Gregor Mendel durchzahlreiche Kreuzungsversuche als Erster dasAuftreten von Gesetzmäßigkeiten in der Verer-bung fest. Er legte damit den Grundstein für diemoderne Genetik. Im Folgenden wollen wir uns mit einigen seiner wichtigsten Erkenntnisse, denMendel’schen Erbregeln, genauer auseinandersetzen.
Zum besseren Verständnis der Erbgänge werdenzunächst einige wichtige Fachbegriffe erklärt. Gen (= Erbanlage): Ein Abschnitt der DNA, der
die Information für den Aufbau eines bestimm-ten Eiweißes enthält, heißt Gen (✑ S. 47).
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe50
Mitose Polyploidie Amitose
direkteKerndurch-schnürung
1 Zelle mit2 genetischungleichenZellkernen
Vergleichende Übersicht der Zellteilungsformen. Abb. 2.25
Bei der Meiose entstehen aus diploiden Ur-keimzellen in zwei Teilungsschritten haploideGeschlechtszellen.
Merke
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 50
2.5 Genetik 51
unbefruchtete Eizelle– haploid –
haploide Tochterzellen
Bildung derhaploiden Tochterzellen
Bildung der Chromosomenund Paarung der
homologen Chromosomen
Trennung der homologen Chromosomen
haploide Geschlechtszellen
1. Reifeteilung (Reduktionsteilung)
2. Reifeteilung (Mitose)
befruchte Eizelle(Zygote)
– diploid –
Samenzelle(Spermium)
– haploid –
Meiose – Bildung der Geschlechtszellen und Befruchtung. Abb. 2.26
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 51
Jedes Gen hat eine spezifische Erbinforma-tion gespeichert. Die Gesamtheit der Gene eines Lebewesens werden als seine Erban-lagen bezeichnet. An der Ausbildung eines Merkmals (z. B. Augenfarbe) sind in der Regel Genpaare beteiligt, d. h. je ein Gen vom Vater und von der Mutter.
Genotyp: Gesamtheit der in den Genen verschlüs-selten Erbinformation.
Phänotyp: Äußeres Erscheinungsbild eines Individiums, welches sich aus allen Merk-malen zusammensetzt.
Reinerbig (homozygot): Für die Ausbildungeines Merkmals sind zwei gleiche Gene oder Gengruppen vorhanden.
Mischerbig (heterozygot): Für die Ausbildung eines Merkmals (z. B. Augenfarbe) sind zwei verschiedene Gene oder Gengruppen vorhan-den. Nur eine der Erbinformationen kann sich durchsetzen, z. B. braune Augen (dominant, s. u.) gegen die Erbanlage blaue Augen (rezes-sive Anlage, s. u.). Diese Individuen mit 2 ver-schiedenen Anlagen für ein Erbmerkmal wer-den als Hybride oder Bastarde bezeichnet. Solche gleichen oder auch unterschiedlichen Zustandsformen von Genen, die in homologen Chromosomen den gleichen Platz einnehmen, werden als allele Gene oder Allele bezeichnet.
Monohybrider Erbgang: Kreuzung, bei der sich die Eltern in einem Allelpaar unterscheiden.
Dihybrider Erbgang: Kreuzung, bei der sich die Eltern in zwei Allelpaaren unterscheiden.
Dominant: Ein Gen oder eine Gengruppe herrschtin der Merkmalsausprägung vor.
Rezessiv: Ein Gen oder eine Gengruppe tritt in der Merkmalsausprägung zurück.
Intermediär oder kodominant: Zwei Gene oder Gengruppen sind in der Merkmalsausprägung gleich stark.
Autosomaler Erbgang: Ein an die Autosomen (normale Chromosomen, nicht Geschlechts-chromosomen) gebundener Erbgang.
Geschlechtsgebundener Erbgang: Ein an die Ge-schlechtschromosomen (Heterochromosomen) gebundener Erbgang.
Bei der Darstellung von Erbgängen werden zurVereinfachung Buchstaben verwendet: – ein großer Buchstabe für dominant, zum Bei-
spiel B; – ein kleiner Buchstabe für rezessiv, zum Bei-
spiel b;
– zwei gleiche Buchstaben für reinerbig, zum Beispiel BB, bb;
– zwei ungleiche Buchstaben für mischerbig, zum Beispiel aB, AB, bA.
Bei der Durchführung von Kreuzungen werdenfür die Kreuzungspartner die folgenden Bezeich-nungen benutzt:P = Elterngeneration (Parentalgeneration),V = Vater,M = Mutter, Fl = 1. Tochtergeneration (l. Filialgeneration), F2 = 2. Tochtergeneration (2. Filialgeneration)usw.
1. Mendel’sche Erbregel (Uniformitätsregel)Kreuzt man reinerbige Individuen, die sich ineinem oder mehreren Merkmalen unterschei-den, sind alle Fl-Bastarde gleich (= uniform).
Beispiel: Vererbung der Blutgruppen
a) Dominant-rezessiver ErbgangAA = Blutgruppe A (Vater) oo = Blutgruppe 0 (Mutter)
P: AA x oo
Keimzellen: A o
b) Intermediärer ErbgangAA = Blutgruppe A (Vater) BB = Blutgruppe B (Mutter)
P: AA x BB
Keimzellen: A B
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe52
(F1)
Ergebnis: Alle Nachkommen haben die dominanteBlutgruppe A und sind mischerbig.
Ergebnis: Alle Nachkommen haben die BlutgruppeAB und sind mischerbig.
(F1)
MV A A
o Ao Ao
o Ao Ao
MV A A
B AB AB
B AB AB
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 52
2. Mendel’sche Erbregel (Spaltungsregel)Kreuzt man Fl-Bastarde, die in einem Merkmalmischerbig sind, so ist die F2-Generation in dembetreffenden Merkmal nicht einheitlich, sondernspaltet sich in einem bestimmten Zahlen-verhältnis auf. Bei dominant-rezessiven Erbgängen:
3 : 1 = 75 % : 25 %Bei intermediären Erbgängen:
1 : 2 : 1 = 25 % : 50 % : 25 %
Beispiel: Vererbung der Blutgruppen
a) Dominant-rezessiver ErbgangAo = Blutgruppe A (Vater) Ao = Blutgruppe A (Mutter)
P: Ao x Ao
Keimzellen: A,o A,o
b) Intermediärer ErbgangAB = Blutgruppe AB (Vater) AB = Blutgruppe AB (Mutter)
P: AB x AB
Keimzellen:A,B A,B
3. Mendel’sche Erbregel (Neukombinationsregel)Kreuzt man Bastarde, die sich in mehrerenMerkmalen unterscheiden, so werden die Merk-male unabhängig voneinander nach der Spal-tungsregel vererbt, soweit sie nicht gekoppelt aufeinem Chromosom lokalisiert sind.
Beispiel: Vererbung der Blutgruppe und desRhesusfaktors.
AAdd (Vater) x ooDD (Mutter) A = Blutgruppe A o = Blutgruppe 0d = rh- D = Rh+
P: AAdd x ooDD
Keimzellen: Ad oD Fl AoDdKeimzellen: AD, Ad, oD, od
Die Genotypen AADD und oodd stellen rein-erbige Neukombinationen dar.
2.5 Genetik 53
(F1)
MV A o
A AA Ao
o Ao oo
Ergebnis: Blutgruppe A = 3x, Blutgruppe o = lx;Spaltungsverhältnis = 3 : 1.
(F1)
MV A B
A AA AB
B AB BB
Ergebnis: Blutgruppe A = 1x, Blutguppe AB = 2x,Blutgruppe B = 1x; Spaltungsverhältnis = 1 : 2 : 1.
(F2)
oodd
AADD
Ergebnis:
4 Phänotypen:A, Rh+; A, Rh-; 0, Rh+; 0, Rh- im Verhältnis9:3:3:1.
A, Rh+ (reinerbig): 1
A, Rh+ (mischerbig): 8
A, Rh- (reinerbig): 1
A, Rh- (mischerbig): 2
0, Rh+ (reinerbig): l
0, Rh+ (mischerbig): 2
0, Rh- (reinerbig): l
0, Rh- (mischerbig): –
9 Genotypen:AADD, AADd (2x), AoDD (2x), AoDd (4x),AAdd, Aodd (2x), ooDD, ooDd (2x), oodd.
} 3
} 1
} 9
} 3
M V AD Ad oD od
AD AADd AoDD AoDd
Ad AADd AAdd AoDd Aodd
oD AoDD AoDd ooDD ooDd
od AoDd Aodd ooDd
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 53
2.5.5 Mutationen
Mutationen sind spontan entstandene Verän-derungen der Erbinformation. Das betroffeneIndividuum heißt Mutante.
Arten Genmutationen betreffen ein Gen, sind alsoVeränderungen innerhalb der Basenfolge derDNA. Beispiele: – Sichelzellanämie,
– Phenylketonurie und – Hämophilie.
Chromosomenmutationen sind Strukturverän-derungen einzelner Chromosomen. Beispiel – Katzenschrei-Syndrom.
Genommutationen sind Änderungen der Chro-mosomenzahl. Beispiele: – Trisomie 21 (Chromosom Nr. 21 ist
3x vorhanden – Langdon-Down-Syndrom),
– Klinefelter-Syndrom: 44 + XXY, – Turner-Syndrom: 44 + X.
Ursachen:– energiereiche Strahlen, z. B. Rönt-genstrahlen,
– Chemikalien, z. B. LSD, Nikotin, Salpetersäure, bestimmte Industrie-abgase,
– Temperatur, z. B. Kälte- und Wärme-schocks,
– Viren.
Autosomal rezessive Erbgänge (typisch fürStoffwechseldefekte)
A = gesundes Gen, dominant; a = krankes Gen, rezessiv.
Beispiel 1:
P: Aa x Aa
Keimzellen: A,a A,a
Beispiel 2:
P: aa x AA
Keimzellen: a A
Beispiel 3:
P: Aa x aa
Keimzellen: A,a a
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe54
Mutationen in den Keimzellen können zu Erb-krankheiten führen. Mutationen in den Körperzellen hingegenführen zu veränderten Zellverbänden unddamit zu Fehlbildungen des Individuums (z. B.Krebs), werden aber nicht direkt vererbt.
Merke
Heterozygote Merkmals-träger, klinisch gesund
(F1)
MV A a
A AA Aa
a Aa aa
Ergebnis: aa (25 %) homozygot, klinisch krank; AA (25 %) homozygot, klinisch gesund;Aa (50 %) heterozygote Merkmalsträger; klinischgesund.
(F1)
MV a a
A Aa Aa
A Aa Aa
Ergebnis: Aa (100 %): heterozygot, klinisch gesun-de Merkmalsträger.
(F1)
MV A a
a Aa aa
a Aa aa
Ergebnis: Aa (50 %): heterozygot, klinisch gesundeMerkmalsträger; aa (50 %): homozygot, klinischkrank.
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 54
Autosomal dominanter Erbgang (typisch fürMissbildungen)
a = gesundes Gen, rezessiv; A = krankes Gen, dominant.
Beispiel 1:
P: aa x Aa
Keimzellen: a a
Beispiel 2:
P: Aa x Aa
Keimzellen: A,a A,a
Beispiel 3:
P: AA x aa
Keimzellen: A a
Geschlechtsgebundener ErbgangDas defekte Gen liegt auf dem X-Chromosomund wird bei Vorhandensein eines Normalgens(heterozygote Frauen) von diesem unterdrückt.Das Y-Chromosom des Mannes besitzt diesesGen nicht, sodass bei der Konstellation X-Chromosom mit defektem Gen plus Y-Chromo-som es sich um klinisch kranke Männer handelt.Heterozygote Frauen werden als Konduktorin-nen bezeichnet.
Beispiele sind Hämophilie, Rotgrünblindheitund Sehnervenatrophie. Es bedeutet:
X = gesundes Gen,XK = krankes Gen.
Beispiel 1:
P: XY x XXK
Keim-zelle: X,Y X,XK
Beispiel 2:
P: XKY x XX
Keim-zelle: XK,Y X
Beispiel 3:
P: XKY x XXK
Keim-zelle: XK,Y X,XK
2.5 Genetik 55
(F1)
MV a a
A Aa Aa
a aa aa
Ergebnis: aa (50 %): homozygot, klinisch gesund;Aa (50 %): heterozygot, klinisch krank.
Ergebnis: AA (25 %): homozygot, klinisch krank;Aa (50 %): heterozygot, klinisch krank;
aa (25 %): homozygot, klinisch gesund.
(F1)
MV A a
A AA Aa
a Aa aa
(F1)
MV A A
a Aa Aa
a Aa Aa
Ergebnis: Aa (100 %): heterozygot, klinisch krank.
(F1)
MV X Y
X XX XY
XK XXK XKY
Ergebnis: XX (25 %): homozygot, klinisch gesund;XXK (25 %): klinisch gesund, heterozygote Kon-duktorin; XY (25 %): klinisch gesund; XKY (25 %): klinisch krank.
Ergebnis: XY (50 %): klinisch gesund; XXK (50 %): klinisch gesund, heterozygote Kon-duktorin.
(F1)
MV XK Y
X XXK XY
X XXK XY
(F1)
MV XK Y
X XXK XY
XK XKXK XKY
Ergebnis: XXK (25 %): klinisch gesund, heterozy-gote Konduktorin; XKXK (25 %): klinisch krank; XY (25 %): klinisch gesund; XKY (25 %): klinisch krank.
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 55
2.5.6 Modifikationen
Kein Mensch gleicht völlig dem anderen. Selbsteineiige Zwillinge mit weitgehend identischenErbanlagen sind nie völlig gleich. Die Unter-schiede (körperliche und geistige Merkmale)nehmen mit fortschreitendem Alter zu. DerGrund liegt darin, dass selbst bei gemeinsamemAufwachsen die Umweltbedingungen nicht ab-solut gleich sind.
Wird bei Individuen mit gleichen Erbanlageninfolge unterschiedlicher Umweltfaktoren einMerkmal verändert, spricht man von einerModifikation. Dadurch wird die Erbanlage nichtbeeinflusst, d. h. in der Folgegeneration könnendiese Veränderungen wieder fehlen.
Sinn der Modifikationen ist, dass sich die Orga-nismen innerhalb eines bestimmten erblichenSpielraumes – der Reaktionsnorm – an verän-derte Umweltbedingungen anpassen können.
Nicht alle Merkmale sind gleichermaßen modi-fizierbar. So gibt es beim Menschen:– umweltstabile Merkmale, die nicht modifi-
zierbar sind, z. B. die Blutgruppen;– umweltlabile Merkmale mit geringer Reak-
tionsnorm, z. B. Haarfarbe, Größe und Masse des Körpers;
– umweltlabile Merkmale mit großer Reak-tionsnorm, z. B. Intelligenz, handwerklicheGeschicklichkeit und andere Begabungen.
Der überwiegende Teil der Merkmale wird beim Menschen durch das Zusammenwirken von Erb-anlagen und Umweltfaktoren geprägt.
Änderung von Merkmalen können durch dieGestaltung entsprechender Entwicklungsbedin-gungen (Umwelt) niemals über die Grenzen dergenetisch festgelegten Reaktionsnorm erfolgen.
Die Ursache der Unterschiedlichkeit (Variabi-lität) zwischen den Menschen sind Modifikatio-nen und Mutationen.
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe56
Beim Menschen können auch soziale Fakto-ren verändernd auf die Ausprägung körperli-cher und psychischer Merkmale wirken.
❑P
Jeder Mensch besitzt andere Reaktions-normen. Um das Gleiche im Leben zu errei-chen, muss derjenige mit der ungünstigerenReaktionsnorm mehr tun.
❑P
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 56
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe 57
l. Beschreiben Sie die chemischen und physikalischen Eigenschaften des Wassers und seine Bedeutung für den menschlichen Organismus.
2. Nennen Sie die intra- und extrazellulären Elektrolytkonzentrationen, und geben Siewesentliche Funktionen der jeweiligen Elektrolyte an.
3. Erläutern Sie die Hauptfunktionen der Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße im menschlichen Organismus.
4. Erklären Sie folgende Begriffe: a) Zelle, b) Gewebe,c) Organ, d) Organsystem.
5. Skizzieren Sie aus dem Gedächtnis eine menschliche Zelle und ordnen Sie den einzelnenBestandteilen die entsprechenden Funktionen zu.
6. Beschreiben Sie den Aufbau der Zellmembran. Welche Eigenschaften und Aufgaben hat sie?
7. Nennen Sie Vorkommen und Funktion der Kompartimente. 8. Erstellen Sie eine Übersicht über Menge und Verteilung der Körperflüssigkeiten. 9. Was versteht man unter der Homöostase des inneren Milieus?
10. Was versteht man unter dem pH-Wert? – Nennen Sie den Normbereich des Blutes. l l. Begründen Sie, warum schon geringfügige Abweichungen vom normalen pH-Wert lebens-
bedrohlich sind. 12. Wie erfolgt die Regulation des Säure-Basen-Haushalts? Erläutern Sie exakt die Pufferung.13. Erläutern Sie die Notwendigkeit des Stofftransportes im menschlichen Körper. 14. Erklären Sie folgende Begriffe:
a) passiver Transport, b) Konzentrationsgefälle, c) Diffusion, d) Osmose, e) osmotischer Druck, f) kolloidosmotischer Druck, g) aktiver Transport, h) Phagozytose, i) Pinozytose, j) Trägertransport, k) Konvektion!
15. Überlegen Sie, was passiert, wenn rote Blutzellen a) in eine hypotone, b) in eine hypertone Lösung gebracht werden.
16. Erläutern Sie den Begriff Stoffwechsel und die wichtigsten Teilprozesse.17. Was ist ATP und welche Bedeutung hat es?18. Unterscheiden Sie Enzyme und Coenzyme. 19. Beschreiben Sie den Ablauf einer Enzymreaktion.
Welche Bedeutung haben Enzyme im Stoffwechsel? 20. Erklären Sie die Begriffe Glykolyse und Glukoneogenese. 21. Nennen und erläutern Sie die drei grundlegenden Schritte der Energiefreisetzung. 22. Worin liegt die besondere Bedeutung der biologischen Wasserstoffoxidation?
Fragen zur Wiederholung
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 57
2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe58
23. Erklären Sie folgende Begriffe: a) Chromosom, b) Chromatin, c) Chromatide, d) DNA, m-RNA, t-RNA, e) Nukleotid, Polynukleotid, f) Reduplikation.
24. Was versteht man unter dem Triplett-Code? 25. Beschreiben Sie die Eiweißsynthese.26. Beschreiben Sie die Mitose und ihre Bedeutung.27. Erläutern Sie Ziel und Ablauf der Meiose. 28. Vergleichen Sie Mitose und Meiose.29. Was versteht man unter der relativen Konstanz einer Art?30. Erklären Sie folgende Begriffe:
a) Erbinformation, b) Gen, c) Allel, d) Genotyp,e) Phänotyp,f) homozygot,g) heterozygot,h) dominant-rezessiver Erbgang,i) intermediärer Erbgang.
31. Erläutern Sie die drei Mendel’schen Gesetze anhand konkreter Beispiele.32. Mutter und Kind haben Blutgruppe 0. Kann der Vater Blutgruppe A haben?
Begründen Sie Ihre Antwort.33. Unterscheiden Sie Mutationen und Modifikationen. Welche Bedeutung haben sie?34. Was verstehen Sie unter
a) autosomal-rezessiven Erbleiden?b) autosomal-dominanten Erbleiden?
35. Was verstehen Sie unter X-chromosomal-rezessiver Vererbung?
Fragen zur Wiederholung
Text-Grundlagen 30.05.2000 13:52 Uhr Seite 58
Gewebe sind Verbände von Zellen mit annä-hernd gleichem Bau und gleicher Funktion ein-schließlich der von ihnen abgegebenen Inter-zellularsubstanz.
Interzellularsubstanzen Die Interzellularsubstanzen befinden sich zwi-schen den Zellen, von denen sie auch ausge-schieden werden. Sie sind bedeutungsvoll fürden Zusammenhalt der Zellen (deshalb auch alsKittsubstanz bezeichnet) und damit für denKörperbau von großer Bedeutung. Zu denInterzellularsubstanzen gehören ungeformte Interzellularsubstanzen – Flüssigkeiten: Blut- und Lymphflüssigkeit,
interstitielle Flüssigkeit sowie– amorphe Grundsubstanz. Hierbei handelt es
sich um ein Gel unterschiedlicher Konsistenz, das sich hauptsächlich zusammensetzt aus: • Proteinen,• Polysacchariden, • anorganischen Verbindungen (z. B. Calcium-
salze) und • wechselnder Menge Wasser (wenig);
geformte Interzellularsubstanzen (= Fasern)Die Fasern ermöglichen als wichtiger Bestandteildes Körpers den Zusammenhalt und die Festig-keit der Organe.
Bei den geformten Interzellularsubstanzen spre-chen wir von drei Faserarten:1. Retikuläre Fasern
Sie bilden Fasernetze um Zellen und um Blut- gefäße. Außerdem kommen sie im retikulärenBindegewebe vor.
2. KollagenfasernDie Kollagenfasern sind die zugfesten Bauele-mente in den Bändern, Gelenkkapseln und Seh-nen. Kollagen heißt „leimgebend“. Aus diesen Fa-sern entsteht beim Kochen eine leimartige Masse.
3. Elastische FasernDieser Fasertyp verhält sich wie ein Gummi-band. Wir finden ihn vor allem in häufig bean- spruchten Organen (z. B. Wände der großen Arterien, Lunge und Gallenblasenwand). Elas-tische Fasern bilden Fasernetze.
59
3 Gewebe
Kollagenfasern(Sehne)
Knorpelzellen elastische Fasern
retikuläre Fasern Blutzellen
Retikulozyten 1)
Geformte Interzellularsubstanz (= Fasern). Abb. 3.1
1) netzförmig angeordnete Zellen in den lymphatischen Organen
retikuläresBindegewebe
straffesBindegewebe
elastischesKnorpelgewebe
Text-Gewebe 30.05.2000 13:57 Uhr Seite 59
Der menschliche Organismus besteht aus vierHaupttypen von Geweben: 1. Epithelgewebe, 2. Binde- und Stützgewebe, 3. Muskelgewebe, 4. Nervengewebe.
Jeder Typ hat mehrere Untergruppen, die an-schließend beschrieben werden. Jedes Organ istaus mehreren Gewebearten zusammengesetzt(vgl. S. 20). Diejenigen Zellen, die für die spezi-elle Organleistung der kompakten innerenOrgane verantwortlich sind, werden als Paren-chymzellen bezeichnet. Diese Zellen bilden also das eigentliche Organ-gewebe (Parenchym), z. B. Leber-, Pankreas-und Nierenparenchym.
3.1 Epithelgewebe (= Epithel)
Epithelgewebe ist praktisch in allen Körper-organen anzutreffen. Es erfüllt sehr unterschied-liche Aufgaben, wie z. B.:– mechanischen Schutz, – Einschränkung der Verdunstung, – Abgabe und Aufnahme von Stoffen sowie– Reizaufnahme.
Den Aufgaben entsprechend zeigen Epithel-zellen auch ganz unterschiedliche Formen. Nach ihrer Funktion werden die Epithelien indrei Gruppen eingeteilt:
• Deckepithel, • Drüsenepithel (✑ Drüsen, S. 86), • Sinnesepithel (✑ Sinnesorgane, S. 311),
3 Gewebe60
Flimmerhärchen(Cilien)
MikrovilliZellen
Zellkerne
Basalmembran
Funktionell bedingte Ausstülpungen der Zellmembran.Abb. 3.2
mehrreihiges Flimmerepithel Darmepithel
Epithelgewebe
Deckepithel Drüsenepithel Sinnesepithel
einschichtig mehrschichtig
unverhorntes Plattenepithelverhorntes PlattenepithelZylinderepithel
Plattenepithelkubisches EpithelZylinderepithelmehrreihiges FlimmerepithelÜbergangsepithel (Urothel)
Gliederung der Epithelgewebe.Tab. 3.1
Text-Gewebe 30.05.2000 13:57 Uhr Seite 60
3.1 Epithelgewebe 61
Tastkörperchen
Licht-sinneszellen
Hörsinnes-zellen
Sinnesepithelien
Plattenepithel (einschichtig)
kubisches Epithel (einschichtig)
Übergangsepithel (mehrreihig, gedehnt)
Zylinderepithel(einschichtig)
Plattenepithel(mehrschichtig,unverhornt)
Plattenepithel(mehrschichtig, verhornt)
Flimmerepithel(mehrreihig)
Übergangsepithel (mehrreihig, ungedehnt)
Becherzellen
Formen der Epithelgewebe: Deck- und Sinnesepithelien. Abb. 3.3
Text-Gewebe 30.05.2000 13:57 Uhr Seite 61
Epithelgewebe sind fast ohne Interzellularsub-stanz.
Deckepithel (= Schutzepithel)Das Deckepithel bedeckt als flächiger, in sichgeschlossener Zellverband die Körperober-fläche und kleidet die Hohlorgane (z. B. Verdau-ungstrakt, Harnwege) aus. Es ruht mit einer Grenzmembran (= Basalmembran) auf dem dar-unter liegenden Bindegewebe. Entsprechend denFunktionen weisen die Deckepithelien verschie-dene Merkmale auf. Man unterscheidet: a) Nach der Zellform– Plattenepithel mit abgeflachten Zellen, – isoprismatisches (kubisches) Epithel mit an-
nähernd würfelförmigen Zellen, – hochprismatisches Epithel (Zylinderepithel)
mit hohen Zellen,– Flimmerepithel: Bewegliche Plasmastrukturen
in der Schleimhaut der Atemwege sowie Eileiterdienen dem Transport von Staub bzw. Eizelle.
Die freie Oberfläche der Zellen kann verschiede-ne Bildungen tragen.Beispiel: Bürstensaum; feinste Fäserchen (= Mi-krovilli) der Dünndarmepithelzellen, die an der Zelloberfläche entspringen und der Oberflächen-vergrößerung und damit der besseren Stoffauf-nahme dienen.
b) Nach der Zahl der Zellenlagen– Einschichtige Epithelien (die ein- oder mehr-
reihig sein können) 1.) Einschichtiges einreihiges Plattenepithel
• als Auskleidung der Blutgefäße und Lun-genbläschen (hier heißt es Endothel),
• als Epithel der serösen Häute (hier heißt es Mesothel).
2.) Einschichtiges einreihiges kubisches Epithel• als Auskleidung der kleinen Bronchien.
3.) Einschichtiges einreihiges Zylinderepithel• als Auskleidung des Magens und Darmes.
4.) Einschichtiges mehrreihiges Flimmerepithel • als Auskleidung der Atemwege. Nicht
alle Zellen erreichen durch unterschiedli-che Größe die Oberfläche, aber alle Zellen sind mit der Basalmembran verbunden. Da die Zellkerne in verschiedenen Ebenen liegen, wird von Mehrreihigkeit gespro-chen.
5.) Einschichtiges mehrreihiges Übergangs-epithel (Urothel)• kleidet überwiegend die harnableitenden
Wege aus. Bedingt durch unterschiedlicheDruck- und Dehnungszustände ist die Anzahl der Zellschichten verschieden.
– Mehrschichtige Epithelien1.) Mehrschichtiges Plattenepithel:
• unverhornt als Auskleidung von Mund-höhle, Speiseröhre, Scheide und Bede-ckung der Lippen,
• verhornt als Bedeckung der Körperober-fläche (= Epidermis).
2.) Mehrschichtiges Zylinderepithel als Aus-kleidung der männlichen Harnröhre.
3.2 Binde- und Stützgewebe
Das Binde- und Stützgewebe gibt dem KörperFestigkeit und Halt und verbindet seine Teileuntereinander.
Zum Binde- und Stützgewebe gehören: • Bindegewebe, • Knorpelgewebe, • Knochengewebe.Binde- und Stützgewebe besitzen im Unter-schied zum Epithelgewebe relativ wenig Zellen,dafür reichlich Interzellularsubstanz.
3 Gewebe62
tubulär
tubulo-alveolär
alveolär
Formen der Drüsenepithelien.Abb. 3.4
Text-Gewebe 30.05.2000 13:57 Uhr Seite 62
3.2 Binde- und Stützgewebe 63
fixe Zellen
sternförmige Zellen zu einem räumlichen Gitterwerk angeordnet
Retikulum- zellen
zahlreicheFettzellen
Fibrozyten
wenig Fibrozyten
Interzellular- substanz
flüssig
flüssig (= Gewebs-flüssigkeit) Verfestigung durch Retikulinfasern
Grundsubstanz mit wenig Fasern
Gewebsflüssig-keit mit einge-lagerten retikulären Kollagen- und elastischen Fasern
sehr viel in dichten Geflech-ten oder paral-lel angeordneteKollagenfasern,die von elasti-schen Fasern be-gleitet werden
freie Zellen
selten
sehr viele
keine
viele, z. B.Plasma- zellen, Histio-zyten
selten
Vorkommen und Aufgaben
bildet Füllgewebe des Embryos, Ausgangs-material für alle anderen Binde- und Stützgewebe
bildet das Grundgerüst von Knochenmark, Milz, Lymphknoten und Lymph- follikeln.Retikulum- und freie Zellen sind zur Phagozytose und Speicherung befähigt
Baufett: bildet druckelasti-sche Polster (z. B. Gesäß,Augenhöhle, Wange) undhält Organe in ihrer Lage (z. B. Niere) Speicherfett: wirkt v. a. alsBestandteil des Unterhaut-fettgewebes als Wärme-isolator; außerdem stellt es eine Energiereserve darund spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation des Wasserhaushaltes
füllt Lücken zwischen den Organen und verbindet sie beweglich, liegt zwischen den Parenchymzellen der Organe, speichert Flüssigkeit, erfüllt Abwehraufgaben
baut Lederhaut, Sehnen, Bänder undGelenkkapseln auf
Bindegewebe
Embryonales Binde-gewebe, Mesenchym
Retikuläres Bindegewebe, netzförmiges Bindegewebe
Fettgewebe • weißes: Fetttropfen im Zyto-plasma als Bau- und Speicherfett im Körper verteilt
• braunes: Fettzellen des Neugebo-renen mit kleinen Fetttröpfchen und Mitochondrien; zur zitterfreienWärmebildung
Lockeres Bindegewebe
Straffes Bindegewebe
Bindegewebsformen Tab. 3.2
Text-Gewebe 30.05.2000 13:57 Uhr Seite 63
Bindegewebe Das Bindegewebe bezeichnet eine Gruppe rechtunterschiedlicher Gewebsformen. Dazu gehörendas embryonale, retikuläre, lockere und straffeBindegewebe sowie auch das Fettgewebe. DasBindegewebe erfüllt diverse Aufgaben; es– umhüllt und verbindet die Organe, – bildet das Grundgerüst der Organe, – erfüllt Stoffwechselfunktionen und – speichert Fett.Neben den fixen Zellen (= jeweilige Bindege-webszellart) kommen oft sog. freie, teilweise zurWanderung befähigte Zellen vor, die Abwehr-funktionen ausüben (✑ Tab. 3.2).
Knorpelgewebe und KnochengewebeKnorpel- und Knochengewebe sind die Stütz-gewebe im engeren Sinn. Sie geben dem Körperdurch ihre besondere Festigkeit seine Form. Dasformgebende Prinzip ist die geformte und unge-formte Interzellularsubstanz. Letztere wird alsGrundsubstanz bezeichnet.
Knorpelgewebe, KnorpelDas Knorpelgewebe geht aus dem Mesenchymhervor. Es bildet auch beim Menschen zunächstdas Knorpelskelett, welches sich durch den Pro-zess der Knochenbildung in das Knochenskelettumwandelt. Der Knorpel besteht aus den Knorpel-zellen (Chondrozyten), die von einer gallertartigenGrundsubstanz mit eingekitteten Kollagenfasernumgeben werden. Die Knorpelzellen liegen in Ein-oder Mehrzahl in den Knorpelhöhlen (= Ausspa-rungen der Interzellularsubstanz). Die Wand derKnorpelhöhlen heißt Knorpelkapsel. Mit Aus-nahme der Gelenkknorpel werden alle übrigen voneiner Knorpelhaut (Perichondrium) überzogen,von der aus die Versorgung des Knorpels erfolgt.
Eigenschaften• hohe Druckelastizität, • geringe Zugfestigkeit.Beim Menschen tritt der Knorpel in 3 Formen auf:1. Hyaliner Knorpel
Die Interzellularsubstanz wird etwa zur Hälftevon amorpher Grundsubstanz und kollagenen Fibrillen (kleinste Fäserchen) gebildet. Der
hyaline Knorpel zeichnet sich durch hohe Druckfestigkeit, aber nur geringe Zugfestig-keit aus. Es ist die am häufigsten vorkommendeKnorpelart.Vorkommen: Skelettanlage, Rippenknorpel, Nasenscheidewand, Knorpelspangen der Luft-röhre, Schild-, Ring- und Stellknorpel des Kehl-kopfes, Gelenkknorpel (ohne Perichondrien).
3 Gewebe64
Das Bindegewebe zeigt in seiner Ausbildungeine große Mannigfaltigkeit und übt im Orga-nismus vielfältige Funktionen aus.
Merke
Knorpelarten. Abb. 3.5
Hyaliner Knorpel
Knorpelzelle Knorpelkapsel
Grund-substanz
elastische Fasern
Knorpelzelle
Knorpelzelle
Elastischer Knorpel
Grund-substanz
kollagene Fasern
Grund-substanz
Faserknorpel
Text-Gewebe 30.05.2000 13:57 Uhr Seite 64
2. Elastischer KnorpelDer elastische Knorpel ist dem hyalinen sehr ähnlich. Außer den kollagenen Fibrillen ist er von elastischen Fasern durchsetzt. Er ist zug-fester, dafür wenig druckfest.Vorkommen: Ohrmuschel, Ohrtrompete, Kehl-deckel.
3. FaserknorpelDer Faserknorpel hat große Ähnlichkeit mit dem straffen Bindegewebe. Die Kollagen-fasern überwiegen gegenüber der amorphen Grundsubstanz deutlich. Er zeichnet sich des-halb durch eine hohe Zugfestigkeit aus.Vorkommen: Zwischenwirbelscheiben, Disci, Minisci.
Knochengewebe, KnochenDas Knochengewebe zeichnet sich durch seinebesondere Druck- und Scherbelastbarkeit bei rela-tiv geringer Masse aus. Diese Eigenschaften sindauf die Zusammensetzung und Anordnung derreichlich vorhandenen Interzellularsubstanzzurückzuführen.
Die Struktur des Knochengewebes ist bei seinerEntstehung zunächst unregelmäßig und bildetdie ursprünglichen Geflechtknochen (✑ Abb.3.6, S. 66). Im Zuge des Wachstums wandelt sichdiese in Anpassung an die Belastung in einelamellen- oder schalenförmig geordneteKnochenstruktur um und bildet die endgültigenLamellenknochen (✑ Abb. 3.7, S. 66).
3.2 Binde- und Stützgewebe 65
Der Gelenkknorpel hat keine eigene Blut-versorgung. Die stoffliche Versorgung erfolgtdurch Diffusion über die Gelenkinnenhaut undden unter dem Knorpel liegenden Knochen.Diese ohnehin nicht optimale Versorgung rea-giert zudem sehr empfindlich auf unterschied-lichste Störfaktoren. Die Folge sind Abnutzun-gen des Knorpels, die als Arthrose (= degene-ratives Gelenkleiden) der entsprechendenGelenke in Erscheinung treten. Da die Zellendes erwachsenen Knorpels außerdem ihreTeilungsfähigkeit verloren haben, ist dieArthrose irreversibel.
❑P
Bestandteile des Knochengewebes
Interzellularsubstanz
anorganischeSubstanzen Fasern
ungeformte(amorphe)
Grundsubstanz
Knochenzellen
• knochenbildende Zellen(Osteoblasten)
• Knochenzellen(Osteozyten)
• knochenabbauende Zellen(Osteoklasten)
Elastizität Festigkeit Elastizität
• Calciumphos- phat (ca. 85 %)
• kollagene Fibrillen
Der anorganische Bestandteil beträgt 50 % und der organische 25 %. Der Rest ist Wasser. DieKnochenzellen liegen in Knochenhöhlen. Untereinander sind sie durch Plasmaausläuferinnerhalb feiner Knochenkanälchen verbunden.
Knochengewebe. Tab. 3.3
Die Interzellularsubstanz enthält große Men-gen Calciumphosphat und reichlich kolla-gene Fasern, wodurch dem KnochengewebeDruckfestigkeit und Elastizität verliehen wer-den. Die Anordnung des „Baumaterials“ istden Belastungen angepasst.
Merke
Mit zunehmendem Alter nimmt die Knochen-elastizität ab. Das Knochengewebe wird sprö-der (= Ursache für häufigere Knochenbrüche).
❑P
Text-Gewebe 30.05.2000 13:57 Uhr Seite 65
Knochenbildung (Ossifikation)Die Bildung der einzelnen Knochen beginnt inder Fetalzeit (ab 3. Monat der Schwangerschaft)und erfolgt auf zwei verschiedenen Wegen.
1. Chondrale OssifikationBis auf wenige Ausnahmen werden die Knochenzunächst aus Knorpelgewebe (geht aus demMesenchym hervor) vorgebildet („Knorpelkno-chen“). Bereits vor der Geburt beginnt der Ab-bau des Knorpels und sein Ersatz durch unge-ordnetes Knochengewebe, sodass zuerst Geflecht-knochen entstehen.
Die Verknöcherung der „Knorpelknochen“ er-folgt sowohl von der Knorpelhaut, also von außen(perichondrale Ossifikation) als auch von innen(enchondrale Ossifikation).Bei den langen Röhrenknochen entsteht zu-nächst im mittleren Bereich der Diaphyse außenum den Knorpel eine Knochenmanschette. Diesewird allmählich nicht nur dicker, sondern wächstauch in Richtung der beiden Epiphysen (✑ Abb.3.8). Gleichzeitig bildet sich innerhalb der Kno-chenmanschette die Markhöhle, und die Knorpel-haut wird zur Knochenhaut.Die Epiphysen verknöchern enchondral, d. h., im
3 Gewebe66
Knochenzellen(Osteozyten)
Interzellularsubstanz
Kollagenfasern
Geflechtknochen.Abb. 3.6
Lamellenknochen.Abb. 3.7
Blutgefäße
Knochenhaut(Periost)
äußere Lamellen
Volkmann-Kanalmit Blutgefäßen
Havers’scherKanal mit
Bindegewebe,Blutgefäßen,Nerven und
freien Zellen
Knochenbälkchen(Substantia spongiosa)
Havers-System(Osteon)
Text-Gewebe 30.05.2000 13:57 Uhr Seite 66
Inneren entsteht ein sog. Knochenkern, der durchallmählichen Abbau des Knorpelgewebes größerwird. Am Ende ist das Knorpelgewebe bis aufden Gelenkknorpel und die Epiphysenfugen voll-ständig in Knochengewebe umgebaut.Die Ossifikation der einzelnen Knochen ge-schieht zeitlich verschoben. So sind zum Zeit-punkt der Geburt lediglich Rippen, Schädel-knochen, Wirbelkörper, Hüftbeine und Diaphy-sen der Röhrenknochen verknöchert. In denübrigen Knochen sind entweder Knochenkerne(z. B. Epiphysen der Röhrenknochen, Fersen-bein) vorhanden oder sie bilden sich zu einemspäteren Zeitpunkt in einer ganz bestimmtenReihenfolge.
2. Desmale OssifikationUnter desmaler Ossifikation versteht man dieBildung von Knochengewebe direkt aus demMesenchym. Beispiele: Schädeldach, Schlüsselbein.
Aufbau des Lamellenknochens (✑ Abb. 3.7)Diese Knochenart ist durch ein lamelläres Ord-nungsprinzip der Interzellularsubstanz charakte-risiert. Die 5 – 10 µm dicken plattenförmigenKnochenlamellen werden aus parallel zueinan-der verlaufenden kollagenen Fibrillen undKittsubstanz gebildet. Zwischen den Lamellenliegen die pflaumenkernförmigen Knochenzell-höhlen, welche die Knochenzellen (Osteozyten)enthalten.
3.2 Binde- und Stützgewebe 67
Knochenbildung. Abb. 3.8
Mit dem Längenwachstum der Knochen (✑ S. 90) bildet sich der Geflechtknochen inden Lamellenknochen um.
Merke
Mesenchym Knorpel Geflechtknochen Lamellenknochen
Mesenchym Knochen
Epiphyse
Diaphyse
Epiphyse
Gelenkknorpel
Markhöhle
Metaphyse oderEpiphysenfuge
einwachsendeGefäße
endochondralerKnochenkern
Knochen-manschette
HyalinerKnorpel
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Die Knochenzellhöhlen sind durch enge Kno-chenkanälchen untereinander verbunden, indenen sich die Ausläufer der Osteozyten befin-den.
Osteone (= Havers-System)Durch die konzentrische Anordnung der Kno-chenlamellen entstehen dünne mehrere Zenti-meter lange Zylinder, die Osteone. Wie in Abb. 3.7 zu erkennen, verlaufen dieLamellen um eine Aussparung, die als Haver’-scher-Kanal bezeichnet wird. Er enthält die ver-sorgenden Blutgefäße und Nerven. Senkrecht zuden Haver’schen Kanälen verlaufen die Volk-mann-Kanäle, in denen die Arterien, Venen undNerven von der Knochenhaut (✑ S. 89) kom-mend in das Zentrum der Osteone gelangen.
3.3 Muskelgewebe
Das Muskelgewebe besitzt im besonderen Maßedie Fähigkeit zur Kontraktion, wodurch die Be-wegung der Körperteile ermöglicht wird. Verant-wortlich für die Kontraktilität sind die Myofibril-len. Das sind feinste Fäserchen, bestehend ausden kontraktilen Eiweißen Aktin und Myosin.Zwischen den Myofibrillen befindet sich einNetz feinster Kanälchen (= Tubuli). Nach morphologischen und funktionellen Ge-sichtspunkten gliedert man das Muskelgewebein drei Muskelgewebearten:
1. glattes Muskelgewebe, 2. quer gestreiftes Muskelgewebe, 3. Herzmuskelgewebe.
3 Gewebe68
Bei der Frakturheilung legt der Organismus um den Bruchspalt einen stützenden Verbandin folgender Art und Weise an:– Zunächst wächst vor allem vom Periost ge-
fäßreiches Bindegewebe in und um den Bruchspalt (= bindegewebiger Kallus).
– Im Bindegewebe entstehen knochenbildende Zellen (= Osteoblasten), welche um den
❑P
glattes Muskelgewebe
Zellkernelang gestreckte,
spindelförmige Muskelzellen
quer gestreiftesMuskelgewebe
(Teil einer Muskelfaser)
MuskelfasermembranMyofibrillen
balkenförmigeHerzmuskelzellemit zentral liegendemZellkern
lockeresBindegewebeGlanzstreifen
Herzmuskelgewebe
Muskelgewebearten.Abb. 3.9
Bruchspalt eine „Knochenmanschette“ legen (= knöcherner Kallus).– Jetzt, nach Fixierung der Bruchstücke, ver-
knöchert das Bindegewebe im Spalt.– Zum Schluss des Heilungsprozesses wird die
Knochenmanschette abgebaut.
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1. Glattes Muskelgewebe Bauelement des glatten Muskelgewebes ist diespindelförmige glatte Muskelzelle mit zentralgelegenem ovalen Kern. Glattes Muskelgewebezeigt keine Querstreifung.
Eigenschaften: Glattes Muskelgewebe• ist nicht dem Willen unterworfen (= unwill-
kürliche Muskulatur), Steuerung durch das vegetative Nervensystem,
• kontrahiert langsam, • kann einen bestimmten Spannungs- bzw.
Dehnungszustand über längere Zeit aufrecht- erhalten, ermüdet also kaum,
• entfaltet nur geringe Kraft und benötigt des-halb nur wenig Energie.
Vorkommen:• Verdauungstrakt, • Atmungstrakt, • Harnleiter, Harnblase, • Gebärmutter, • Blutgefäße.
Aufgaben:• Bewegungen der Hohlorgane sichern.
2. Quer gestreiftes Muskelgewebe Bauelement des quer gestreiften Muskelgewebesist die quer gestreifte vielkernige Muskelfaser,die eine Länge von wenigen Millimetern bis zu 10 Zentimetern erreicht. Die reichlich vorhandenen Myofibrillen durch-ziehen die Faser als parallele Eiweißfäden inLängsrichtung. Sie lassen unter dem Mikroskophelle und dunkle Streifen erkennen, die meist ingleicher Höhe liegen – daher die Querstreifung.Um die Myofibrillen bildet das endoplasmati-sche Retikulum (hier sarkoplasmatisches Retiku-lum) ein netzförmiges Röhrensystem, das bei derErregung eine wichtige Rolle spielt.
MuskelfaserbündelMehrere Muskelfasern werden zu Primärbün-deln und diese wiederum zu Sekundärbündelnzusammengeschlossen. In ihrer Gesamtheit bil-den diese Faserbündel den Muskel.
Eigenschaften: Quer gestreiftes Muskelgewebe• ist dem Willen unterworfen (= willkürliche
Muskulatur),• kontrahiert schnell, • entfaltet viel Kraft, d. h., benötigt deshalb viel
Energie und• ermüdet schnell.
Vorkommen:• In der gesamten Skelettmuskulatur (= 45 %
der Körpermasse), in Zunge, Rachen, Speise-röhre, Zwerchfell und Kehlkopf.
Aufgaben: • Bewegungen der Extremitäten, des Rumpfes,
der Augäpfel, Atembewegungen; auch für dieStimmbildung im Rachen wird die willkür-liche Muskulatur eingesetzt.
3. Herzmuskelgewebe Bau- und Funktionselement des Herzmuskel-gewebes sind die quer gestreiften Herzmuskel-fasern. Sie werden aus einer Kette hintereinan-der geschalteter Herzmuskelzellen gebildet undvon einer gemeinsamen Membran umgeben.Untereinander sind die Fasern durch Plasma-ausläufer miteinander verbunden. Die Zell-grenzen innerhalb einer Faser werden durch diesog. Glanzstreifen (= typisches Kennzeichen)als Verzahnungsstellen sichtbar.
Vorkommen:• Herzmuskel.
Aufgaben:• Spezifisch differenzierte Herzmuskelzellen
(fibrillenarm, glykogenreich) garantieren die Erregung des Herzmuskels;
• die Arbeitsmuskelzellen (fibrillenreich) sind für die Kontraktion verantwortlich.
3.4 Nervengewebe
3.4.1 Bau
Das Nervengewebe ist das am höchsten ent-wickelte Gewebe. Es dient dem Informations-austausch. Zusammen mit der Neuroglia oder Glia(✑ S. 71) bildet es das zentrale und periphereNervensystem. Hauptbestandteil des Nervenge-webes sind die Nervenzellen (= Neurone).
3.4 Nervengewebe 69
Besonders hohe Anforderungen führen zurHypertrophie (= übermäßige Vergrößerung derZellen). So kann im schwangeren Uterus dieZellgröße auf das Achtfache gesteigert werden.
❑P
Text-Gewebe 30.05.2000 13:56 Uhr Seite 69
NeuronDas Neuron setzt sich zusammen ausdem Zellkörper (Perikaryon), demStoffwechselzentrum und den von ihmausgehenden Fortsätzen (Dendriten,Neuriten). Die meisten Neurone desMenschen sind multipolar, d. h., siebesitzen mehrere Dendriten (baumartigverzweigt) und einen längeren Neurit(= Axon). Das Axon zweigt sich amEnde zum Endbäumchen (Telodendron)auf. Die Enden verdicken sich keulen-förmig (= Endknopf). Neurone sind funktionell bipolar, d. h.,man unterscheidet einen Rezeptorpol zurInformationsaufnahme und -weiterlei-tung in das Perikaryon und einenEffektorpol zur Informationsabgabe überdas Axon.Neurone besitzen ein stark ausgeprägtesgranuläres endoplasmatisches Retiku-lum, welches als Nissl-Schollen oderTigroidsubstanz bezeichnet wird, undzahlreiche Mitochondrien und Lysoso-men im Perikaryon. Außerdem enthältdas Perikaryon eine größere Anzahl vonNeurofibrillen, die sich in das Axonfortsetzen. Sie dienen dem Transport vonVesikeln und Mitochondrien in die synap-tischen Endknöpfe.
Nervenfaser und HüllenDer Neurit bildet zusammen mit einerGliahülle die Nervenfaser. Die Gliahüllewird im ZNS von Oligodendrozyten undim PNS von Schwann-Zellen gebildet.Ein Oligodendrozyt kann mehrereNeuriten umhüllen, eine Schwann-Zelleimmer nur einen. Man unterscheidet jenach Beschaffenheit der Gliahülle 2 Nervenfaserarten. • Markhaltige Nervenfasern: Die Glia-
zellen wickeln sich lamellenartig um das Axon, sodass eine isolierende Fetthülle entsteht. Diese wird als Mark-oder Myelinscheide bezeichnet. An den Kontaktstellen von 2 benachbar-
3 Gewebe70
Neurone leiten Erregungen schnellüber weite Strecken weiter.
Merke
synaptischeEndknöpfchenEndbäumchen
(Telodendron)
Dendriten
Neurolemm
Zellkörper(Perikaryon, Soma)
Ursprungskegel
Ranvier’scherSchnürring
Axolemm
Nissl-Schollen
Zellkern
Axoplasma mitNeurofibrillen
Nervenfaser(Axon, Neurit)
Nervenzelle (Neuron).Abb. 3.10
Text-Gewebe 30.05.2000 13:56 Uhr Seite 70
ten Gliazellen fehlt das Myelin, wodurch eine Einschnürung erfolgt. Diese heißt Nerven-faserknoten oder Ranvier’scher Schnürring.
• Marklose Nervenfasern: Mehrere Axone wer-den einfach in eine Gliazelle eingeschlossen, sodass nur sehr wenig isolierendes Myelin vor-liegt und keine Nervenfaserknoten entstehen.
Einteilung der Nervenfasern nach ihren funk-tionellen Eigenschaften: • Afferente (= sensible, aufsteigende) Nerven-
fasern leiten die Information von der Periphe-rie zum ZNS.
• Efferente (= motorische, absteigende) Nerven-fasern leiten die Informationen vom ZNS zur Peripherie.
Faszikel und periphere Nerven Die Nervenfasern sind zu Nervenfaserbündelnzusammengefasst. Im Gehirn und Rückenmarkwerden diese als Faszikel bezeichnet, außerhalbbilden sie die peripheren Nerven (✑ Abb. 3.11).Die peripheren Nerven sind überwiegendgemischte Nerven, weil sie afferente und effe-rente Fasern enthalten.
Neuroglia (Glia)Außer den Neuronen befinden sich sowohl imZNS als auch im PNS noch die Gliazellen, die inihrer Gesamtheit als Neuroglia bezeichnet wer-den. Je nach Funktion unterscheidet man ver-schiedene Gliazelltypen. Zentrale Glia:– Astrozyten. Dies sind verzweigte Zellen, die
die Neurone mit den Blutgefäßen verbinden und den Stoffaustausch ermöglichen. Sie bil-den den Hauptanteil der Neuroglia.
– Oligodendrozyten. Diese sind weniger ver-zweigt und bilden die Markscheiden im ZNS.
– Ependymzellen. Sie kleiden Hirnventrikel undZentralkanal des Rückenmarks aus.
Periphere Glia:– Schwann-Zellen. Sie umhüllen die peripheren
Neuriten.– Mantelzellen. Sie umgeben die in den Gan-
glien liegenden Perikaryen.
3.4.2 Grundlagen der Erregungsphysiologie
Das Nervengewebe sichert den Informationsaus-tausch, der in fünf Schritten dargestellt werdenkann: 1. Informationsaufnahme durch Sinneszellen
(= Rezeptoren), 2. Informationsleitung durch afferente Nerven-
fasern zum Zentralnervensystem, 3. Informationsverarbeitung und Speicherung
im Zentralnervensystem, 4. Informationsleitung durch efferente Nerven-
fasern zum Muskel bzw. zur Drüse (= Effek-toren),
5. Informationsabgabe an die Umwelt durch Muskelleistung und Drüsensekrete.
3.4 Nervengewebe 71
Nervenfasern
Epineurium(lockeres
Bindegewebe, dasden Nerven umhüllt
und seine Verbin-dung zur Um-
gebung herstellt)
Perineurium(straffes Binde-gewebe um die
Nervenfaserbündel)
Endo-neurium
(lockeres Binde-gewebe um die
Nervenfasern,mit Blut- und
Lymph-kapillaren)
Nervenfaser-bündel
Nach der Menge des Myelins (= Mark) unter-scheidet man markhaltige (myelinreiche) undmarklose (myelinarme) Nervenfasern.
Merke
Peripherer Nerv (Querschnitt). Abb. 3.11
Die wesentlichen Aufgaben der Neurogliasind:– Stützfunktion,– Isolationsfunktion,– Beeinflussung des Nervenzellstoffwechsels.
Merke
Gliazellen füllen Defekte in der Hirnsubstanzaus. Es entstehen die sog. Glianarben.❑P
Text-Gewebe 30.05.2000 13:56 Uhr Seite 71
Grundlage für den Informationsaustausch ist dieErregung der Nervenzellen. Im Folgenden wer-den beschrieben: die Erregungsbildung, die Er-regungsleitung und die Erregungsübertragung.
ErregungsbildungDie Bildung einer Erregung bedeutet, dass voneiner erregbaren Zelle eine Information aufge-nommen und in elektrische Impulse transfor-miert worden ist. Voraussetzung dafür ist u. a.das Ruhepotential.
RuhepotentialDie Spannung (= Potential), die bei einer nichtgereizten Zelle zwischen Zellinnerem und derAußenseite der Membran herrscht, bezeichnetman als Ruhepotential der Zelle (Innenseitenegativ, Außenseite positiv).
Folgende Faktoren bedingen die Entstehung desRuhepotentials:• ungleichmäßige Verteilung bestimmter Ionen
in der intra- und extrazellulären Flüssigkeit (✑ S. 17);
• unterschiedliche Permeabilität (Durchlässig-keit) der ruhenden Membran für die einzelnen Ionenarten. Die Membran ist für Proteinionen undurchlässig, für Na+ relativ gering und K+
relativ gut durchlässig. Entsprechend der unter-schiedlichen Durchlässigkeit der Membran diffundieren im Ruhezustand ständig relativ viele K+ von innen nach außen und wenige Na+
im umgekehrten Richtungssinn;
• ein aktives Transportsystem (= Natrium-Kali-um- Pumpe) sorgt dafür, dass es nicht zum Konzentrations- und damit auch Ladungsaus-gleich kommt.
Letztendlich überwiegen in der intrazellulärenFlüssigkeit einige wenige Anionen (negativ gela-dene Teilchen) und in der extrazellulärenFlüssigkeit einige Kationen (positiv geladeneTeilchen).
Diese wenigen Ionen bewirken, dass die Innen-seite der Membran im Ruhezustand gegenüberder Außenseite negativ geladen ist. Sie ist pola-risiert. Das Membranruhepotential ist eine wich-tige Voraussetzung für die Erregungsbildung.
Erregung (Aktionspotentialbildung)Erregung einer Zelle bedeutet die Umwandlungdes Ruhepotentials in das Aktionspotential (= AP) infolge Reizung.
Reize Ein Reiz ist eine energetische Veränderung phy-sikalischer und/oder chemischer Natur in derUmgebung einer Zelle, die zu einer Änderungdes Membranpotentials führt.
Beispiel: Änderung von Lichtintensität, Tempe-ratur, Schallwellen, Druck und pH-Wert.
Der Verlauf der Potentialänderung bei Reizungist in der Abbildung 3.13 dargestellt.
3 Gewebe72
Na+
Na+
Natrium-Kalium-Pumpe
K+
K +
intrazellulärK 160 mmol/lNa 10 mmol/l+
+
extrazellulärK 4 mmol/l
Na 140 mmol/l++
Ruhepotential.Abb. 3.12
Text-Gewebe 30.05.2000 13:56 Uhr Seite 72
Es ist zu erkennen, dass bei Reizung dasRuhepotential (1) sehr schnell zusammenbricht.Die Membran wird depolarisiert (2). Für kurzeZeit findet sogar eine Ladungsumkehr bis ca.+30 mV statt (Membran innen positiv, außennegativ; 3). Anschließend wird die Membranwieder repolarisiert (4), d. h., das Ruhepotentialwird wieder hergestellt (5). Der gesamteVorgang dauert nur wenige Millisekunden (ms).
Den Verlauf der Spannungsänderung von derDepolarisation bis zur Wiederherstellung desRuhepotentials nennt man Aktionspotential. Erist Ausdruck einer Erregung.
Beachtet man die Faktoren, die das Ruhepoten-tial bedingen, so kann man feststellen:
Reize verändern die Membranpermeabilität. AlsFolge kommt es zu einer Veränderung derIonenverteilung.
Je nach Reizstärke wird die Membran mehr oderweniger depolarisiert.
Voraussetzung für die Entstehung eines Aktions-potentials ist eine Mindestreizstärke, welche dieMembran auf ca. –60 mV depolarisiert. Bei die-sem Wert erhöht sich aufgrund der Ladungsän-derung die Permeabilität der Membran für Na+
auf das 500fache.Folge:Rascher Na+-Einstrom mit weiterer Depolarisa-tion und anschließender Ladungsumkehr.
Das durch die Mindestreizstärke ausgelöstePotential als Voraussetzung für das Aktions-potential heißt Schwellenpotential.Reize, die die Membran bis zum Schwellenwert depolarisieren, also die Reizschwelle der Zelleerreichen, nennt man überschwellige Reize.Reize, die die Membran nicht bis zum Schwel-lenwert depolarisieren und somit kein Aktions-potential auslösen, bezeichnet man als unter-
3.4 Nervengewebe 73
Ruhepotential Aktionspotential Ruhepotential
K+ K+
+ +
- -
+ +
- -+ +
- -
ReizNa+
(1+5) Ruhepotential (2) Depolarisation (3) Ladungsumkehr (4) Repolarisation
40
20
0
- 20
- 40
- 60
- 80
Schwellenpotential
Ruhepotential
(ms)
(mV)
1 2 3 4
4
5
2
1
3
Aktionspotential. Abb. 3.13
Text-Gewebe 30.05.2000 13:56 Uhr Seite 73
schwellige Reize. Die Permeabilitätsänderung fürNa+ hält nur kurzfristig an. Dagegen wird dieMembranpermeabilität für K+ verbessert.Folge: Verstärkter K+-Ausstrom, dadurch Repolarisa-tion, d. h., Ruhespannung wird wieder erreicht.Im Anschluss daran sorgt die Natrium-Kalium-Pumpe dafür, dass wieder die alten Konzentra-tionsverhältnisse (wie vor der Erregung) herge-stellt werden. Bemerkenswert ist, dass trotz dergroßen Permeabilitätsänderungen an der erreg-ten Stelle der Membran die Ionenkonzentratio-nen im intra- und extrazellulären Raum kaumverändert werden.
Alles-oder-Nichts-Gesetz Die Tatsache, dass bei unterschwelligen Reizenkeine Erregung, bei überschwelligen aber immereine Erregung in vollem Umfang erfolgt, be-zeichnet man als „Alles-oder-Nichts-Gesetz“.Das bedeutet, nachdem das Schwellenpotential
erreicht ist, bleibt bei weiterer Verstärkung desReizes die Amplitude der Aktionspotentialetrotzdem unverändert. Wie ist es aber möglich, dennoch unterschiedli-che Reizstärken, z. B. unterschiedliche Druck-einwirkung, wahrzunehmen?
Die Reizstärke wird durch die Frequenz derAktionspotentiale verschlüsselt. Je stärker derReiz, desto mehr Aktionspotentiale werden inder Zeiteinheit ausgelöst.
ErregungsleitungDie Erregungsleitung besteht in der Fortleitungder Aktionspotentiale entlang der Neuriten-membran bis an die Synapsen. Wie ist das zu er-klären?Ein ausgelöstes Aktionspotential hat zur Folge,dass zwischen benachbarten Membranabschnit-ten ein Ladungsunterschied entsteht. Dieserführt zu einem Ladungsausgleich (= Ausgleichs-
strom) längs der Faser (innen undaußen). Der Ladungsausgleich ausder Nachbarschaft bedeutet dortdie Bildung eines neuen Aktions-potentials usw. Bei markscheiden-haltigen Neuriten erfolgt dieErregungsleitung saltatorisch(sprunghaft) von Schnürring zuSchnürring.
Bei markscheidenlosen Neuritenerfolgt die Erregungsleitung kon-tinuierlich, weil polarisierte, de-und repolarisierte Membranab-schnitte viel dichter beieinanderliegen. Das hat Konsequenzen fürdie Erregungsleitungsgeschwin-digkeit und den Energieverbrauch.Bei der saltatorischen Erregungs-leitung „springt“ das Aktions-potential von Schnürring zuSchnürring.Folgen:• Erhöhung der Leitungsgeschwin-
digkeit (zirka 100 gegenüber 1 bei kontinuierlicher Leitung).
• Geringerer Energieverbrauch,da Natrium-Kalium-Pumpe nur an den Schnürringen tätig ist.
3 Gewebe74
Ausgleichsstrom
Ausgleichsstrom
AP
AP
AP
Saltatorische Erregungsleitung(AP = Aktionspotential).Abb. 3.14
ms
ms
Text-Gewebe 30.05.2000 13:56 Uhr Seite 74
Erregungsübertragung in der Synapse Unter Erregungsübertragung (= Informations-übertragung) versteht man die Übertragung einerErregung von einem Neuron auf ein anderesNeuron, auf eine Muskelzelle bzw. -faser undauf eine Drüse.
Die Erregungsübertragung erfolgt an besonderenKontaktstellen, den Synapsen.
Funktion der Synapse Im präsynaptischen Endknöpfchen treffen Akti-onspotentiale ein und bewirken dort die Frei-setzung eines bestimmten Quantums Transmitter(= chemischer Überträgerstoff). Der Überträger-stoff diffundiert über den synaptischen Spalt indie postsynaptische Membran (= Membran derbenachbarten Zelle) und verändert dort dieDurchlässigkeit für positive Ionen.
Folge: Es kann ein Aktionspotential in der anderen Zelle ausgelöst werden.
Es gibt erregende und hemmende Transmitterund damit erregende und hemmende Synapsen.An einem Neuron können bis über tausendSynapsen liegen.
Die Bildung von Aktionspotentialen in einemNeuron setzt voraus, dass eine bestimmteMindestzahl von erregenden Synapsen gegen-über den hemmenden vorherrscht. DasVerhältnis von erregenden und hemmendenSynapsenpotentialen bestimmt also, ob eineInformation weitergeleitet (= gebahnt) odergehemmt wird. Synapsen wirken demnach wieVentile.
3.4 Nervengewebe 75
Axon
Neurotubili
präsynaptischeBläschen (Vesikel)
mit Neurotransmitterpräsynaptische
Membransynaptischer Spalt
chemische Übertragung
(Neurotransmitter)
postsynaptische Membran mit
Membranrezeptorenelektrische
Weiterleitung
elektrische Weiterleitung
Mitochondrien
Die Repolarisierung benötigt viel Energie,daher ist eine gute Durchblutung des Nerven-systems notwendig. Sauerstoffmangel, niedri-ge Temperaturen und Narkotika lähmen dieTätigkeit des Nervensystems.
❑P
Funktion der Synapse. Abb. 3.15
Es gibt zahlreiche chemische Substanzen, die die Wirkung der natürlichen Transmitter nach-ahmen (imitieren) oder hemmen. Sie sind Be-standteil vieler Medikamente (z. B. Atropin,Propranolol).
❑P
Text-Gewebe 30.05.2000 13:56 Uhr Seite 75
3 Gewebe76
1. Erklären Sie die Begriffe a) Gewebe, b) Interzellularsubstanz.
2. Nennen Sie Bauarten, Vorkommen und Aufgabena) des Epithelgewebes, b) des Binde- und Stützgewebes, c) des Muskelgewebes.
3. Nennen Sie Unterschiede zwischen Epithel und Bindegewebe.4. Welche Eigenschaften besitzt Knorpel?
Nennen Sie die Knorpelarten.5. Erklären Sie die Festigkeit der Knochen aus ihrer Struktur.6. Beschreiben Sie den Bau eines Lamellenknochens.7. Beschreiben Sie die Knochenbildung.8. Vergleichen Sie die Muskelgewebearten nach Bau, Vorkommen, Aufgaben und Eigen-
schaften.9. Was sind Myofibrillen?
10. Vergleichen Sie eine Nervenzelle mit anderen Zellen hinsichtlich Bau und Funktion.11. Erklären Sie folgende Begriffe:
a) Dendrit, b) Neurit, c) Nervenfaser, d) Axon, e) Nerv.
12. Was versteht man unter der Neuroglia und welche Aufgaben erfüllt sie?13. Erklären Sie die Begriffe:
a) Ruhepotential,b) Aktionspotential,c) Erregung,d) Synapse,e) Transmitter.
14. Erklären Sie den Vorgang der Erregungsbildung.15. Erklären Sie die Begriffe:
a) Reiz, einschließlich über- und unterschwelliger Reiz,b) Schwellenpotential,c) Alles-oder-Nichts-Gesetz.
16. Wie wird die Reizstärke verschlüsselt?17. Erklären Sie den Vorgang der saltatorischen Erregungsleitung.18. Erklären Sie die Erregungsübertragung in der Synapse.
Was sind erregende und hemmende Synapsen?
Fragen zur Wiederholung
Text-Gewebe 30.05.2000 13:56 Uhr Seite 76
Häute sind flächenhafte Gewebsstrukturen, dieaus einem Deckepithel und einer darunter lie-genden Bindegewebsschicht bestehen. Besprochen werden in diesem Kapitel– die äußere Haut, die den Organismus gegen die
Umwelt abgrenzt und im weitesten Sinne Schutzaufgaben erfüllt,
– die Schleimhaut als innere Auskleidung vielerHohlorgane mit wichtigen Schutz- und Trans-portaufgaben,
– die seröse Haut, deren Hauptaufgabe darin besteht, die Verschiebbarkeit der inneren Organezu gewährleisten und
– Drüsen, die Sekrete oder Hormone mit vielfäl-tigen Funktionen im Körper produzieren.
4.1 Äußere Haut
Äußere Haut und Schleimhaut bilden die Grenz-schicht zwischen Organismus und Umwelt. Dieäußere Haut ist die Körperbedeckung desMenschen. Sie ist beim Erwachsenen durch-schnittlich 2 bis 3 mm dick, hat eine Masse vonca. 4 kg und eine Fläche von 1,5 bis 2 m2.
4.1.1 Schichten der äußeren Haut
Die äußere Haut besteht aus:• Oberhaut (Epidermis) – außen mehrschich-
tiges verhorntes Plattenepithel.• Lederhaut (Corium) – vor allem straffes
Bindegewebe.Oberhaut und Lederhaut bilden die eigent-liche Haut, die als Cutis bezeichnet wird.
• Unterhaut (Subcutis) – Verschiebeschicht aus lockerem Bindegewebe zwischen Cutis und Muskelfascien bzw. Periost (Knochen-haut) der Knochen.
Oberhaut (Epidermis)Die Oberhaut ist ein mehrschichtiges verhorntesPlattenepithel, welches sich in 2 Hauptschichtengliedert.1. Keimschicht (Stratum germinativum), beste-
hend aus Basalzellschicht (Stratum basale), Stachelzellschicht (Stratum spinosum), Körner- zellschicht (Stratum granulosum) und helle Schicht (Stratum lucidum).
2. Hornschicht (Stratum corneum).
Die Dicke der Oberhaut schwankt in Abhängig-keit von der mechanischen Beanspruchung. Jegrößer die Beanspruchung, desto dicker ist sie(Fußsohle 1 – 2 mm, Hohlhand 1 mm). Hautstellen, die sehr stark beansprucht werden,bilden Schwielen. Besonders dünn ist dieEpidermis an den Augenlidern. Die unterschied-liche Dicke ist vor allem durch die Hornschichtbedingt.
Die hochprismatischen Epithelzellen der ein-schichtigen Basalschicht sind als einzige Zellender Epidermis mit der Basalmembran verbunden,sie werden also am besten versorgt. Hier findenständig mitotische Zellteilungen zur Bildungneuer Epithelzellen statt. Da ihre Lebensdauernur ca. 50 Tage beträgt, sterben täglich Millionenab und genauso viele werden neu gebildet.
77
4 Häute und Drüsen
Die wichtigsten Funktionen der äußeren Hautsind:• Schutz vor physikalischen und chemischen
Einwirkungen,• Vermittlung von Sinneseindrücken,• Wärmeregulation.
Merke
Da die äußere Haut wie kein anderes Organ in ihrer ganzen Ausdehnung der unmittelbarenBetrachtung zugänglich ist, hat sie für dieDiagnostik besondere Bedeutung. Nicht zuletztauch deshalb, weil sich Erkrankungen andererOrgane in ihr widerspiegeln, z. B. Rötung derGesichtshaut bei Bluthochdruck (Hypertonie),Blässe bei Blutarmut (Anämie), Blaufärbung(Zyanose) bei O2-Mangel oder Gelbfärbung(Ikterus) bei Lebererkrankungen.
❑P Zu viel Horn kann Krankheitswert bekom-men (z. B. „Hühnerauge“).❑P
Durch den Wachstumsdruck werden die älterenBasalzellen in Richtung Oberfläche befördert.Diese Zellen durchlaufen nun der Reihe nachalle zuvor genannten Zelllagen. Während dieser„Wanderung“ werden nach und nach Zytoplasmaund alle Zellorganellen abgebaut. Im Stratumgranulosum bilden die Zellen Keratohyalin-körnchen und Tonofibrillen (feine faserige zug-feste Strukturen), aus denen wahrscheinlich derHornstoff (Keratin) entsteht. Diese Schicht unddas darauf folgende Stratum lucidum bilden alsodie „verhornende Schicht“.
Hornschicht (Stratum corneum)Die oberflächlich geschlossene Hornschichtbesteht praktisch nur noch aus abgestorbenenkeratinhaltigen Epithelzellen, wobei Zellgrenzengar nicht mehr erkennbar sind. Da in der Horn-schicht die Verbindungen zwischen den Zellen(sog. Desmosomen) verschwinden, werden dieverhornten Zellen laufend abgestoßen. An derKopfhaut bleiben sie häufig aneinander hängenund bilden Schuppen.
In den Hautschichten der Oberhaut (bei hellhäu-tigen Menschen nur in der Basalschicht) befin-den sich zwischen den Epithelzellen nochPigmentzellen (Melanozyten). Die Zellen produ-zieren das braunschwarze Hautpigment Melanin(= wichtigster Hautfarbstoff), das die mitoti-schen Zellteilungen in der Basalzellschicht vorder schädlichen UV-Strahlung schützt.
4 Häute und Drüsen78
Die Epidermis besteht aus der lebendenKeimschicht (Stratum germinativum) und dertoten Hornschicht (Stratum corneum). In derBasalschicht finden lebenslang mitotischeZellteilungen zur ständigen Regeneration derHaut statt. Die fest geschlossene Hornschichtdient als „Schutzpanzer“.
Merke
Wegen der raschen Regenerationsfähigkeitder Epidermis heilen Wunden, die nur sie be-treffen, schnell vom Rand her ohne Narben-bildung ab.
❑P
Hautschichten.Abb. 4.1
Lederhaut-papillen
Fettgewebe
BlutgefäßeFaszieMuskel
HornschichtKeimschicht
Lederhaut(Corium)
Unterhaut(Subcutis)
Oberhaut(Epidermis)
Cutis
HautfarbeDie Hautfarbe des Menschen wirdbestimmt vom Pigmentgehalt, derFarbe des Blutes (abhängig vom O2-Gehalt) und vom Grad der Durch-blutung. Die Hautpigmentierung istnicht an allen Stellen gleich. Besondersstark pigmentiert ist die Haut derGeschlechtsorgane, des Afters und derWarzenvorhöfe.
Lederhaut (Corium, Dermis)Die Lederhaut ist der gebindewebigeAnteil der Haut und enthält demnachalle typischen Bestandteile des Binde-gewebes (✑ S. 62 ff.).Dominierend sind die wellenartigangeordneten miteinander verflochte-nen Kollagenfasern mit eingelagertenelastischen Fasernetzen. Letztere sollenerstere vor Überdehnung schützen.Die Fasern besitzen außerdem eine gute Quell-fähigkeit, was das große Wasserbindungsver-mögen der Lederhaut erklärt. Auch die Grund-substanz enthält relativ viel Wasser. Durch dieseWasserspeicherung entsteht im Gewebe eineSpannung, die als Hauttugor bezeichnet wird. Erlässt mit zunehmendem Alter nach, weil dasWasserbindungsvermögen abnimmt.
Die Lederhaut besteht aus 2 Schichten:– der Papillarschicht (Stratum papillare) und– der darunter liegenden Netz- oder Geflecht-
schicht (Stratum reticulare).Beide Schichten gehen ohne scharfe Grenzeineinander über. Die Papillarschicht ist mit derBasalmembran des Epithels durch die Binde-gewebspapillaren (= Lederhautpapillaren) ver-zahnt. Dadurch wird die Kontaktfläche zur
Oberhaut vergrößert, sodass diese mehr Haltbekommt. Die Papillaren bestehen aus zellrei-chem feinfasrigem Bindegewebe. Die Fasern bil-den ein dichtes Geflecht. Eingebettet in dasGewebe ist entweder eine Kapillarschlinge oderein Meissner’sches Tastkörperchen. Die Netz-schicht wird aus dickeren Fasern gebildet, wel-che dementsprechend auch gröbere und zugfesteGeflechte bilden.
Leisten- und FelderhautIn der Epidermis der Handflächen und Fuß-sohlen spiegelt sich die Beziehung der in Reihenoder „Leisten“ angeordneten Lederhautpapillendeutlich wider und bildet die Grundlage für dasMuster der nur hier vorkommenden Leistenhaut.
Die Leistenhaut ist nicht behaart und sehr fest ander Hohlhand- bzw. Fußsohlensehnenplatte ver-ankert, eine wichtige Voraussetzung für sicherenGriff und Stand. Sie enthält Schweiß-, aber keine
4.1 Äußere Haut 79
Durch die Kombination von Kollagenen undelastischen Fasern enthält die äußere Hautgroße Zugfestigkeit und Elastizität.
Merke
Individuen, die wegen einesGendefekts kein Melanin synthetisie-ren können, heißen Albinos; sie sindblasshäutig, haben eine rötliche Irisund sind durch Sonnenstrahlung sehrgefährdet.
❑P
Die Leistenmuster sind genetisch festgelegt(Beispiel: Fingerabdruck in der Kriminalistik).❑P
Hornhaut-schuppen
Basalmembran
Hornschicht (Stratum corneum)
Hornbildungs-schicht(Stratum
granulosum)
Keimschicht(Stratum
germinativum)
Zellen werden durch ständige Zellteilung an die Ober-fläche verlagert und als Hornschuppen abgestoßen.
Oberhaut (Epidermis). Abb. 4.2
Talgdrüsen. In der Leistenhaut befinden sichbesonders viele Hautrezeptoren, so auch dieMerkel-Zellen in der Basalschicht (✑ S. 77).Die übrige Haut zeigt durch feine Furchengetrennte rhombische Felder, daher der Name„Felderhaut“. Die Felderhaut ist die behaarteHaut.
Unterhaut (Subcutis)Die Subcutis gehört nur funktionell zur Haut. Siebesteht vor allem aus lockerem Bindegewebeund Fettgewebe und befestigt die Cutis mittelsvon der Lederhaut kommender Faserbündelmehr oder weniger verschiebbar an der darunterliegenden Körperfaszie bzw. dem Periost derKnochen. Die Fettzellen bilden das Unterhaut-fettgewebe (Panniculus adiposus), welches alsFettmantel in stark unterschiedlicher Ausprä-gung den Körper umgibt. Frei von Fettgewebesind vor allem Augenlider, äußerer Gehörgangund Penis.Die besonderen Aufgaben der Subcutis sind• Energiedepot und Wasserspeicherung,• Wärmeisolation und• mechanischer Schutz.
4.1.2 Gefäßversorgung
In der Haut liegen drei arterielle und entspre-chende venöse Gefäßgebiete übereinander:– tiefes Gefäßgebiet unter der Subcutis,– Gefäßgebiet an der Grenze von Subcutis und
Cutis,– Gefäßgebiet unterhalb der Lederhautpapillen,
von dem die Kapillarschlingen der Lederhaut-papillen abzweigen.
Von den Kapillarschlingen wird auch diegefäßlose Oberhaut versorgt.
In der Lederhaut existieren besonders viele arte-riovenöse Anastomosen. Über sie können dieKapillaren im Sinne der Wärmeregulation um-gangen werden.
4.1.3 Haut als Sinnesorgan
In der Haut befindensich zahlreiche Sin-neszellen (auch Ner-venendkörperchengenannt) und freieNervenendungen zurAufnahme von Rei-zen. Die Rezeptorensind in allen Haut-schichten vertretenund sind nach ihrenEntdeckern benannt(Merkel, Meissner,Ruffini, Vater-Pacini✑ Abb. 4.3).
4 Häute und Drüsen80
Die Unterhaut kann viel Flüssigkeit aufneh-men und eignet sich daher gut zur Aufnahmevon Medikamenten, z. B. bei subkutanen Injek-tionen (Heparin zur Thromboseprophylaxe,Insulin zur Blutzuckersenkung).
❑P
freieNervenendungenMeissner’scheTastkörperchen
Ruffini-KörperchenVater-Pacini-Körperchen
Nervengeflecht
Oberhaut(Epidermis)
Lederhaut(Corium)
Unterhaut(Subcutis)
Merkel-Zellen
Sinneszellen der Haut.Abb. 4.3
4.1 Äußere Haut 81
1. Mechanischer Schutz
2. Temperaturregulation, Wärmeschutz
3. Flüssigkeitsschutz
4. Strahlenschutz
5. Infektionsschutz
6. Speicherfunktion
7. Sinnesfunktionen• Druckempfindung
• Berührungsempfindung
• Vibrationsempfindung
• Kälte- und Wärmeempfindung
• Schmerzempfindung
Hornschicht: unterschiedlich dick, wird durch das fetthaltige Sekret der Talgdrüsen geschmeidig gehalten.
Lederhaut: garantiert Zugfestigkeit und Beweglichkeit.
Nägel: schützen die empfindlichen Finger- und Zehenendglieder.
Die Hornschicht kann sich bei Überbeanspruchung von der Keimschicht lösen, es bildet sich eine Blase.
Hautblutgefäße: bei Erweiterung – verstärkte Wärmeabgabe; bei Verengung – Drosselung der Wärmeabgabe.
Schweißdrüsen: Schweiß verdunstet, wodurch dem Körper Wärme entzogen wird („Verdunstungskälte“).
Unterhautfettgewebe: ist ein schlechter Wärmeleiter und wirkt daher wärmeisolierend (magere Menschen frieren leichter).
Mehrschichtiges verhorntes Plattenepithel mit wasserabstoßen- der Fettschicht hemmt den Flüssigkeitsdurchtritt.
Größere Wasserverluste sind lebensbedrohlich.
Melanin: schützt die Zellen vor schädlichen UV-Strahlen.
Schweißdrüsen: produzieren ein saures Sekret (= Schweiß), sodass ein Säuremantel auf der Haut entsteht, durch den das Wachstum der Bakterien gehemmt wird.
Unterhautfettgewebe: besteht überwiegend aus Fettgewebe mit eingelagerten Kohlenhydraten, Eiweißen und Mineralstoffen; es dient auch als Energiereserve.
Merkel-Zellen in den untersten Schichten der Epidermis undRuffini-Körperchen der Lederhaut.
Meissner’sche Tastkörperchen in den Lederhautpapillen; Nervengeflechte um die Haarwurzeln.
Lamellenkörperchen (Vater-Pacini-Körperchen) in der Unterhaut.
Freie Nervenendungen. Kälterezeptoren unmittelbar unter der Epidermis, reagieren hauptsächlich im Bereich 17 � – 36 �C;
Wärmerezeptoren liegen in der Lederhaut und reagieren maxi-mal im Bereich 40 � – 47 �C.
Freie Nervenendungen im Corium, der Subcutis und in den unverhornten Schichten der Epidermis.
Funktion Strukturen
❑P
❑P
Übersicht über die Funktionen der äußeren Haut. Tab. 4.1
4 Häute und Drüsen82
4.1.4 Altersveränderung der Haut
Mit zunehmendem Alter treten typische Haut-veränderungen auf. So nimmt zum Beispiel dieElastizität der Haut infolge Verringerung der elas-tischen und Zunahme der kollagenen Fasern ab.Ebenso nimmt die Wasserbindungsfähigkeit ab;durch den sinkenden Wassergehalt lässt derHauttugor nach. Die Sekretion der Schweiß- undTalgdrüsen verringert sich. Dadurch wird dieHaut trockener und neigt zu verstärkter Schup-penbildung verbunden mit Juckreiz.Besonders im Gesicht, an Unterarmen undHandrücken entstehen sog. Altersflecken, weilhier die Tätigkeit der Melanozyten zunimmt. DieOberhaut wird dünner und die Rezeptoren neh-men ab.
Immobilität (z. B. infolge eines Schlaganfalls)und schlechte Nährstoff- und Sauerstoffversor-gung der Gewebe führen bei älteren Menschenhäufig zu Druckgeschwüren (Dekubitus). Dabeihandelt es sich um eine Hautentzündung verbun-den mit lokalem Gewebsverlust.
4.2 Anhangsorgane der Haut
Bestimmte Teile der Haut stellen Einzelorganedar. Dazu gehören die Hautdrüsen (Talg-,Schweiß-, Duft- und Brustdrüsen), die Haaresowie die Nägel. Darüber hinaus gibt es imäußeren Gehörgang Drüsen, die Ohrenschmalzproduzieren. Zusammenfassend werden sie alsAnhangsorgane bezeichnet.
4.2.1 Hautdrüsen
Talgdrüsen (= Haarbalgdrüsen)Talgdrüsen sind einfache Drüsen, welche denHauttalg produzieren. Ihr Ausführgang endetvorrangig am Haartrichter. Der Talg fettet Hautund Haare so ein, dass sie geschmeidig und was-serabweisend werden. Von Haaren unabhängigeTalgdrüsen kommen an folgenden Stellen vor:
– Lippenrot,– Augenlider,– Warzenvorhof,– Anus,– kleine Schamlippen und– Peniseichel.
Schweißdrüsen Schweißdrüsen sind Knäueldrüsen, die denSchweiß produzieren. Es gibt sie nahezu in dergesamten Haut. Besonders zahlreich sind sie– in der Achselhöhle, – am Handteller, – an der Stirn, – an der Fußsohle und – am Rücken.Die Schweißdrüsen münden mit einer Pore aufder Haut. Sie dienen der Wärmeregulation undin geringem Maße der Ausscheidung von Stoff-wechselendprodukten. Der Schweiß besteht zu99 % aus Wasser. Darüber hinaus enthält er u. a.Kochsalz, flüchtige Fettsäuren, Harnstoff, Harn-säure. Außerdem wirkt der Schweiß aufgrundseines Säuregehaltes (pH = 4,5) antibakteriell.
Länger stehen bleibende abgehobene Haut-falten lassen Rückschlüsse auf den reduziertenFlüssigkeitsgehalt des Körpers zu. Besondersim Alter ist deshalb auf ausreichende Flüssig-keitszufuhr zu achten.
❑PHautdrüsen. Abb. 4.4
Der natürliche Fettfilm schützt die Haut.Wird durch zu vieles Waschen mit Seife dasFett beseitigt, können wasserlösliche Schad-stoffe und Bakterien leichter in die Haut ein-dringen. Die Verstopfung ihres Ausführgangesführt zur Anschwellung, und es bildet sich ein „Mitesser“ (Comedo).
❑P
HaarHaartrichter
Pore
Talgdrüse
Schweiß-drüse
4.2 Anhangsorgane der Haut 83
DuftdrüsenDieser Drüsentyp kommt beim Menschen nur inspeziellen Hautarealen vor: Achselhaut, Genital-und Afterbereich, Brustwarzen und Warzen-vorhof. Die Duftdrüsen münden ebenfalls in denHaartrichter. Ihr Sekret reagiert alkalisch undenthält individuelle Duftstoffe. Das Sekret derDuft- und Schweißdrüsen kann durch Bakterienleicht zersetzt werden, wodurch ein unangeneh-mer Geruch entsteht. Außerdem zerstört es denSäureschutzmantel, sodass die Duftdrüsen leichtvon Bakterien infiziert werden können („Drü-senabszess“).
Brustdrüsen (= Milchdrüsen)Die 2 Brustdrüsen sind die größten Hautdrüsen.Sie produzieren die Muttermilch, die als einzigesDrüsensekret nicht dem eigenen Körper, sondernder Ernährung des Säuglings dient.Die Brustdrüse (= Mamma) entwickelt sich inder Pubertät beim Mädchen. Sie ist kein Ge-schlechtsorgan, sondern ein sekundäres weibli-ches Geschlechtsmerkmal. Beim Mann bleibtdie Brustdrüse normalerweise in der kindlichenForm bestehen.
Der Drüsenkörper liegt in der Unterhaut norma-lerweise gut verschiebbar auf der Faszie des großen Brustmuskels. Er besteht aus 12 bis
15 Einzeldrüsen, die mit selbständigen Ausführ-gängen (= Milchgänge) an der Brustwarze mün-den. Äußere Form und Größe der Brustdrüsensind sehr variabel. Sie werden in erster Liniedurch eingelagertes Bindegewebe (größtenteilsFettgewebe) bestimmt. Der Busen ist im anato-mischen Sprachgebrauch die Vertiefung zwi-schen den beiden Brüsten.Die Brustwarze wird vom deutlich stärker pig-mentierten Warzenvorhof umgeben.
OhrenschmalzdrüsenIn der Haut des äußeren Gehörganges befindensich neben Talg- und Schweißdrüsen sog. Ohr-schmalzdrüsen. Letztere produzieren ein hellgel-bes Sekret, das gemeinsam mit dem Talg undSchweiß sowie abgeschilferten Epithelzellenund Staub das Ohrenschmalz (Cerumen) bildet.
LymphabflusswegeEs gibt zwei Hauptabflussrichtungen:– außerhalb des Brustkorbes zum Achselbe-
reich und– in das Brustkorbinnere.
4.2.2 Haare (Pili)
Das Haarkleid des Menschen ist im Vergleich zudem anderer Säugetiere stark reduziert. Haaredienen als Wärmeschutz, zur Reibungsminderung(z. B. Achselhöhle) und der Berührungsempfin-dung. Man unterscheidet beim Menschen zweiHaararten: Woll- und Terminalhaare.
Wollhaare (= Lanugohaare)Wollhaare sind zarte, kurze und nicht pigmen-tierte Haare. Sie kommen fast am gesamten Körper des Neugeborenen und an großen Haut-gebieten des Erwachsenen vor.
Brustdrüse (Mamma).Abb. 4.5
Durch Gabe weiblicher Geschlechtshormonezur Behandlung des Prostatakrebses kann sichauch beim Mann die Brustdrüse entwickeln.
❑P
großer Brustmuskel
(M. pectoralis major)
MilchgangBrustwarzen-
vorhof(Areola mammae)
Brustwarze(Mamilla,
Papilla mammaria)
MilchsäckchenEinzeldrüseFettgewebe
Die Berührung der Brustwarze löst den Auf-richterreflex aus. Muskelkontraktionen führenzu ihrer Verlängerung, wodurch das Saugenerleichtert wird. Der Brustkrebs ist der häufigste Krebs derFrau. Da bei Früherkennung gute Heilungs-chancen bestehen, sollte eine regelmäßigeSelbstuntersuchung vorgenommen werden.
❑P
Durch Quellung kann das Ohrenschmalz zueinem Ohrschmalzpfropf werden und denGehörgang völlig verlegen.
❑P
TerminalhaareDas sind die längeren, kräftigeren und pigmen-tierten Haare wie Kopf-, Bart-, Achsel- undSchamhaare. Auch Augenbrauen, Augenwim-pern und Haare des äußeren Gehörgangesgehören dazu. Die Terminalbehaarung erfolgtzum Teil erst in der Pubertät unter dem Einflussder Geschlechtshormone.
Bau (✑ Abb. 4.6)Haare sind schräg in der Haut steckende bieg-same und zugfeste Hornfäden aus Keratin(Hornstoff). Sie bestehen aus 2 Hauptteilen, der Haarwurzel (steckt in der Haut) und dem Haar-schaft (ragt aus der Haut heraus).
HaarwurzelSie beginnt meist in der Unterhaut mit einerAnschwellung, der Haarzwiebel (Bulbus). Vonbasal liegenden Epithelzellen der Haarzwiebel(= Wachstumszone) geht das Haarwachstumaus. Der in der Haarzwiebel vorhandene Raumheißt Haarpapille. In ihr befinden sich dieBlutgefäße für die Versorgung der Wachs-tumszone (Matrix).Haarzwiebel und Haarpapille bilden mit dem
umgebenden Bindegewebe den Haarfollikel.
Die Haarwurzel wird von einer epithelialen undbindegewebigen Wurzelscheide umgeben. Letz-tere entspricht der Lederhaut und bildet denHaarbalg. In die Wurzelscheide mündet unter-halb des Haartrichters der Ausführgang einerTalgdrüse. Darunter setzt der Haaraufrichter-muskel (M. arrector pili) an, der das Aufrichtendes Haares bewirkt und dabei die so genannteGänsehaut verursacht.
HaarschaftDer Haarschaft ragt aus der Haut heraus. SeineTeile bestehen aus verhornten Epithelzellen.
HaarwachstumHaar wächst von der Haarwurzel aus pro Monatca. 1 cm. Die Lebensdauer der Terminalhaarebeträgt ca. 3 – 5 Jahre, die der Wimpern dagegennur 3 – 6 Monate. Das Ergrauen der Haare beruhtauf Einlagerung von Luftbläschen, das Weiß-werden auf Erlöschen der Pigmentbildung.
4 Häute und Drüsen84
Haa
rzw
iebe
l (B
ulbu
s pi
li)
Haarwurzel
Haarschaft
Haar
Haartrichter
Talgdrüse
Haaraufrichter-muskel
(Musculus arrector pili)mit Matrix
Haarzwiebel(Bulbus pili)
Haarpapillemit Blutgefäßen
Haar.Abb. 4.6
Die Glatzenbildung beruht auf einer Atrophieder Haarpapille.❑P
Haarrinde
Haarmark(bei dünnem Harrfehlend)
Oberhäutchen(Cuticula)
innere epithelialeWurzelscheideäußere epithelialeWurzelscheideGlashautbindegewebigeWurzelscheide(=̂ Lederhaut)
Haar-papillemit Blut-gefäßen
4.2.3 Nägel
Die Nägel bedecken als Hornplatten die End-glieder der Finger und Zehen und dienen alsSchutz und als Widerlager für die Tastballen undgewähren dadurch eine Verbesserung der Tast-empfindung.
Bau Der sichtbare Teil des Nagels ist die aus ver-hornten Epithelzellen bestehende Nagelplatte.Sie ist durchscheinend und sieht nur deshalb rosaaus, weil sie auf dem gut durchbluteten Nagel-bett liegt. Die Nagelplatte wird von einer Haut-falte, dem Nagelwall, umgeben. Proximal be-deckt der Nagelwall die Nagelwurzel, die in dieca. 5 mm tiefe Nageltasche eingeschoben ist.Ein schmaler Epithelsaum (Eponychium) derNageltasche geht auf die Nagelplatte über.Unmittelbar unter der Nagelplatte befindet sichzuerst ein Epithel (Hyponochium). Danach folgtdas bindegewebige Nagelbett, das mit der Kno-chenhaut des Fingerendgliedes verwachsen ist.Das Hyponochium wird unter der Nagelwurzel(in der Nageltasche) zur Nagelmatrix. Von ihrgeht das Nagelwachstum aus. Es beträgt pro Tag0,1 bis 0,3 mm. Die Nagelmatrix ragt mit ihremkonvexen Rand immer etwas aus der Nagel-tasche heraus. Dieser halbmondförmige hellereTeil heißt Lunula („Möndchen“).
4.3 Schleimhaut (Tunica mucosa)
Schleimhäute sind feucht und schleimig. DerSchleim wird in Schleimdrüsen (Becherzellen)produziert. Wir finden die Schleimhäute alsinnere Auskleidung solcher Hohlorgane, derenLichtung mit der Umwelt in Verbindung steht,dies sind: – Verdauungskanal, – Atemwege, – Harnwege, – Geschlechtsorgane,– Augenlider-Bindehaut, – Mittelohr.
Jede Schleimhaut besteht aus mindestens zweiSchichten:1. Epithelium,2. Schleimhautbindegewebe.
Aufgaben:Die Schleimhäute sind in ihrem Bau der speziel-len Funktion angepasst. Ihre Aufgaben sind inder Tabelle 4.2 erläutert.
4.3 Schleimhaut 85
Die verhornten Zellen der Nagelplatte sowiejene des Hyponochiums entsprechen derEpidermis, das aus Bindegewebe bestehendeNagelbett dem Corium.
Merke
NagelplatteNagelbett
Nagelfalz
Lunula(= Teil derNagelmatrix)
Nagelwall
Fingernagel.Abb. 4.7
Sauerstoffmangel oder Kälte führen zurBlaufärbung der Nägel, Durchblutungsstörun-gen zur Beeinträchtigung des Nagelwachstums (erkennbar an Querlinien). Häufige Erkrankun-gen sind Entzündungen von Nagelwall und -bettsowie Pilzerkrankungen (Nagelmykosen).
❑P
Schutzaufgabe• hohe mechanischeBeanspruchung
• Abtransport vonstaubigem Schleim
• Schutz der Harnwege
Stoffaufnahme(Resorption)
Stoffabgabe(Sekretion)
Stofftransport
Abwehr
Unverhorntes mehrschichti-ges Plattenepithel, z. B. Mundhöhle, Speiseröhre, Harnröhre, Scheide.Flimmerepithel, z. B. Atemwege.
Urothel, z. B. Harnblase.
Falten, Zotten und Mikrovilli zur Vergrößerung der Ober-fläche, z. B. Dünndarm. Abgabe von Schleim zum Schutz der Schleimhaut, z. B. Magen.Blut- und Lymphgefäße des Schleimhautbindegewebes. Weiße Blutzellen des Schleimhautbindegewebes.
Funktion Struktur
Funktion der Schleimhaut. Tab. 4.2
4.4 Seröse Haut (Tunica serosa)und seröse Höhlen
Seröse Häute sind spiegelglatt und feucht. Siebestehen (wie die Schleimhäute) ebenfalls ausmindestens zwei Schichten.1. Serosaepithel: Es ist im Unterschied zur
Schleimhaut immer ein einschichtiges, drüsen-loses Plattenepithel, welches auch als Mesothelbezeichnet wird.
2. Serosabindegewebe.
Aufgabe:Die Serosa ermöglicht einerseits eine äußerst reibungsarme Verschiebbarkeit der innerenOrgane. Das wird durch einen Flüssigkeitsfilmerreicht, der durch Transsudation (= Übertrittvon Flüssigkeit aus dem Blut) und Resorption(= Übertritt von Flüssigkeit in das Blut) konstantgehalten wird. Andererseits verbindet sie die Organe miteinan-der. Die Realisierung dieser Aufgabe wirdermöglicht, indem die Serosa die einzelnenOrgane doppelwandig umgibt.
Eine seröse Höhle besteht aus zwei Blättern: • dem visceralen Blatt, das dem jeweiligen
Organ anliegt und • dem parietalen Blatt, das sich mit der Um-
gebung verbindet.
Zwischen den beiden Blättern liegt die eigentli-che „Höhle“, die in Wirklichkeit nur einemkapillaren Spaltraum (= Serosaspalt), in demsich etwas Flüssigkeit befindet, entspricht. Zuden serösen Höhlen gehören das Brustfell(Pleura), der Herzbeutel (Perikard) und dasBauchfell (Peritoneum).
4.5 Drüsen (Überblick)
Drüsen sind Organe, die aus spezialisiertenEpithelzellen bestehen. Die spezielle Funktionist die Bildung von Wirkstoffen (= Sekrete) miteiner bestimmten chemischen Zusammenset-zung und physiologischen Bedeutung. Die Abgabe der Sekrete heißt Sekretion. Sieerfolgt entweder nach außen (Körperoberfläche)oder in das Blut. Sekrete sind z. B. Schleim,Talg, Schweiß, Gallenflüssigkeit, Hormone.
4 Häute und Drüsen86
Schleimhautentzündungen sind häufig vor-kommende akute und chronische Erkrankungender Atemwege (Bronchitis), des Verdauungs-traktes (Gastritis) und der ableitenden Harn-wege (Cystitis, Pyelonephritis).Die Endung „-itis“ weist immer auf eine Ent-zündung hin.
❑P
einzelligeDrüse im
mehrreihigenFlimmerepithel
Ausführungsgang
SekretBecherzelle
mehrzelligeDrüse
Exokrine Drüsen.Abb. 4.8
Eiter in solchen Höhlen nennt man Empyem(z. B. Pleuraempyem).Eine Vermehrung der Flüssigkeit im Serosaspaltführt zur Bildung eines Ergusses (z. B. Pleura-erguss), welcher durch Punktion beseitigt wer-den kann.
❑P
Klassifizierung der Drüsen1. Nach ihrer Lage zum Oberflächenepithel:a) im Oberflächenepithel
• einzellige schleimproduzierende Becher-zellen der Darmschleimhaut,
• mehrzellige schleimproduzierende Drüsenim Schleimhautepithel der Atemwege;
b) unter dem Oberflächenepithel im Bindegewebe• es handelt sich immer um mehrzellige
Drüsen, die von einer bindegewebigen Kapsel begrenzt werden.
2. Nach der Form:a) schlauchförmige (tubulöse) Drüsen
• Darmkrypten; Magendrüsen; Schweiß-drüsen; Lieberkühn-Drüsen,
b) beerenförmige (acinöse) Drüsen• Talg-, Bauchspeichel-, Ohrspeicheldrüse,
c) bläschenförmige (alveoläre) Drüsen.
Nach dem Sekretionsziel unterscheidet man: – exokrine Drüsen (= Drüsen mit äußerer
Sekretion) und– endokrine Drüsen (= Drüsen mit innerer
Sekretion).
In exokrinen Drüsen befindet sich ein Gang-system, welches das Sekret (z. B. Mundspeichel, Gallensaft, Bauchspeichel, Schweiß, Talg,Tränenflüssigkeit) aufnimmt und an die Ober-fläche leitet. Die Sekrete der endokrinen Drüsenwerden Hormone (= Inkrete) genannt (z. B.Adrenalin, Thyroxin, Insulin). Die in den Zellengebildeten Hormone gelangen entweder direktins Blut oder werden in sog. Follikel sezerniert,
um von diesen ebenfalls ins Blut zu gelangen.Mit dem Blutstrom erreichen sie den Wirkungsort.
4.5 Drüsen (Überblick) 87
Endokrine Drüsen. Abb. 4.9
Die endokrinen Drüsen (= Hormondrüsen)besitzen im Unterschied zu den exokrinenDrüsen keine Ausführgänge.
Merke
HormoneBlutkapillaren
HormoneBlutkapillaren
Drüsenzellen
Drüsen-zellen
Blutkapillaren Hormone
ohne Follikelbildungmit Follikelbildung
Lage der endokrinen Drüsen (Schema). Abb. 4.10
Zirbeldrüse(Epiphyse)
Hirnanhangdrüse(Hypophyse)
Schilddrüse(Gl. thyroidea)
Nebenschilddrüsen oder
Epithelkörperchen(Gl. parathyroidea)
Nebenniere(Gl. suprarenalis)
Langerhans- Inseln der
Bauchspeichel-drüse
Eierstöcke
Hoden
Keimdrüsen(Gonaden)
4 Häute und Drüsen88
1. Vergleichen Sie den Aufbau von äußerer Haut, Schleimhaut und seröser Haut. 2. Welche Beziehung besteht zwischen seröser Haut und seröser Höhle?3. Stellen Sie in einer Übersicht die hauptsächlichen Funktionen der verschiedenen Häute
zusammen.4. Stimmt es, dass die Haut atmen muss? Begründen Sie Ihre Antwort.5. Wo kommen
a) Schleimhäute und b) seröse Häute (seröse Höhlen) vor?
6. Definieren Sie: Transsudation und Resorption.7. Geben Sie einen Überblick über die Anhangsgebilde der Haut.8. Welche Aufgaben erfüllen
a) der Talg und b) der Schweiß?
9. Beschreiben Sie den Aufbau der Brustdrüse. Erläutern Sie die Bedeutung der Selbstunter-suchung durch Abtasten.
10. Nennen und begründen Sie einige Maßnahmen, die zum Erhalt der Funktionstüchtigkeit der äußeren Haut beitragen.
11. Welche Rolle spielt die äußere Haut im Rahmen der Krankenbeobachtung und Diagnostik?12. Erklären Sie die Begriffe:
a) Drüse, b) Sekretion, c) Sekret, d) Hormon.
13. Unterscheiden Sie exokrine und endokrine Drüsen. 14. Nennen Sie die exokrinen und endokrinen Drüsen und die von ihnen gebildeten Sekrete.
Beschreiben Sie kurz die Lage dieser Drüsen.
Fragen zur Wiederholung
Das Bewegungssystem ist die Gesamtheit der ander Fortbewegung des Menschen beteiligten Orga-ne. Man unterscheidet den passiven Bewegungs-apparat (= Knochen, Gelenke und Bänder) undden aktiven Bewegungsapparat (= Muskulatur).
5.1 Allgemeine Knochenlehre
Die allgemeine Knochenlehre befasst sich imWesentlichen mit der Knochenstruktur und denKnochenverbindungen.
5.1.1 Aufgaben der Knochen
Knochen sind Organe, bei denen das Knochen-gewebe den Hauptanteil darstellt. Die Knochenerfüllen die folgenden Aufgaben.1. Stützfunktion: Alle Knochen bilden das Skelett
(Stützwerk), das maßgeblich die Körpergestaltbestimmt.
2. Schutzfunktion: Das Skelett schützt lebens-wichtige Organe, z. B. Gehirn in der Schädel-höhle, Rückenmark im Wirbelkanal, Herz und Lunge im Brustkorb, Harn- und Geschlechts-organe im kleinen Becken.
3. Bewegungsfunktion: Knochenverbindungen bewirken zusammen mit den Muskeln Bewe-gungen.
4. Bildung der Blutzellen: Das rote Knochenmarkist die wichtigste Bildungsstätte der Blutzellen.
Der Knochen ist kein totes Gebilde, er hat einenintensiven Stoffwechsel.
5.1.2 Knochentypen
Der Mensch besteht aus einer Vielzahl unter-schiedlicher Knochen. Man teilt sie entspre-chend ihrer Form und Funktion ein.• Röhrenknochen (z. B. Oberarmknochen, Fin-
gerknochen, Oberschenkelknochen) sind läng-liche Knochen mit einem röhrenförmigen Schaft, außen einer dichten Knochenschicht (Kompakta) und innen einer aufgelockerten Struktur mit Knochenmark;
• platte Knochen (z. B. Schulterblatt, Scheitel-bein, Darmbeinschaufel)sind flache, kompakte Knochen mit zwei festen Außenschichten und einer inneren aufgelockerten Knochenschicht;
• unregelmäßige Knochen – auch kurze Knochengenannt – (z. B. Nasenbein, Jochbein, Unter-kiefer, Oberkiefer, Wirbel, Handwurzelknochen,Fußwurzelknochen) sind größtenteils würfel- oder quaderförmig mit einer dünneren Außen-schicht.
5.1.3 Bau eines Knochens
Knochen bestehen aus der Knochenrinde (= Sub-stantia corticalis, kurz: Kortikalis – äußere kom-pakte Knochenschicht) und den Knochenbälk-chen (= Substantia spongiosa, kurz: Spongiosa –aufgelockerte Knochenschicht im Inneren).
Den Schaft eines Röhrenknochens (✑ Abb. 5.1,S. 90) nennt man Diaphyse, das proximale unddistale Gelenkende Epiphyse. Der dazwischenliegende Abschnitt ist die Wachstumszone(Metaphyse oder Epiphysenfuge).
Bei den Röhrenknochen befindet sich Substantiaspongiosa nur in den Epiphysen, während sie beiallen anderen Knochen überall zu finden ist.
Knochenhaut (= Periost)Jeder Knochen wird mit Ausnahme der Gelenk-flächen von einer Knochenhaut umgeben. Sie istdurch zugfeste Fasern im Knochen verankert.Die Knochenhaut ist gefäß- und nervenreich.Von ihr aus dringen Blutgefäße und Nerven indas Knocheninnere und versorgen den Knochen(✑ Abb. 3.7, S. 66).
Knochenmark Man unterscheidet • das rote Knochenmark im Bereich der Sub-
stantia spongiosa, es ist das Gewebe der Blut-zellbildung, und
• das gelbe Knochenmark (= Fettmark) in den Markhöhlen der Röhrenknochen bei Erwach-senen.
89
5 Stütz- und Bewegungssystem
5.1.4 Knochenwachstum
Beim Wachstum der Röhren-knochen unterscheidet man Län-gen- und Dickenwachstum.Das Längenwachstum erfolgtunter dem Einfluss verschiede-ner Hormone von der Epiphy-senfuge aus, die bis zum Wachs-tumsende aus Knorpelgewebebesteht. Nach beiden Seiten wirdKnorpelgewebe abgebaut unddurch Knochengewebe ersetzt.Gleichzeitig wird das Knorpel-gewebe der Epiphysenfuge stän-dig nachgebildet. Die Verknöche-rung der Wachstumszone be-ginnt zwischen dem 15. und 17. Lebensjahr und endet bei derFrau mit dem 18. und beimMann mit dem 20. Lebensjahr.Zu diesem Zeitpunkt ist dasLängenwachstum abgeschlossen.
Verletzungen (z. B. Fraktur durchdie Epiphysenfuge) und Kno-chenmarkserkrankungen könnenzu einem vorzeitigen Schluss derEpiphysenfugen führen, was z.B. ungleiche Beinlängen zurFolge haben kann. Durch Hormonwirkungen (z. B.Keimdrüsenhormone) kann dieVerknöcherung der Epiphysen-fuge beschleunigt oder verzögertwerden. Folgen sind dann Zwerg- bzw.Riesenwuchs.
Das Dickenwachstum geht vonder Knochenhaut aus, die zeit-lebens funktionstüchtig bleibt.
5 Stütz- und Bewegungssystem90
schwammartigesGerüstwerk feinerKnochenbälkchen
mit rotemKnochenmark
(Substanctia spongiosa)
Muskel-ansatzhöcker
(Apophyse)
kompakteKnochenrinde
(Substantia compacta)nur im Diaphysen-
bereich der Röhrenknochen
Knochenhaut(Periost)
Markhöhlemit gelbem
Fettmark
Wachstumszone(Metaphyse oder
Epiphysenfuge)
proximalesGelenkende(proximaleEpiphyse)
Schaft(Diaphyse)
distalesGelenkende(distaleEpiphyse)
Knochenrinde(Substantia corticalis)
Bau eines Röhrenknochens (Oberschenkelknochen).Abb. 5.1
Das Fettmark kann unterbesonderen Umständen (z. B.bei großen Blutverlusten oderLeukämien) in rotes Knochen-mark umgewandelt werden.
❑P
Knochenumbau Einmal gebildete Knochen können sich verän-dern, indem sie sich z. B. in Masse und Strukturunterschiedlichen Belastungen anpassen.Die Knochenstruktur unterliegt einem ständigenAuf- und Abbau. Die Knochensynthese erfolgtüber spezielle Zellen, wobei für den Aufbau dieOsteoblasten, für den Knochenabbau die Osteo-klasten verantwortlich sind.Bei Störung des Gleichgewichtes von Auf- undAbbau (Ursache z. B. Mangelernährung, Zell-erkrankungen) kann es zu schwersten Schäden inder Knochensubstanz führen (z. B. Glas-knochenkrankheit).
Ist der Mineralstoffgehalt der Knochen vermin-dert, entsteht eine Osteomalazie (Knochener-weichung). Wird im Alter vermehrt Knochensub-stanz abgebaut, entsteht eine Osteoporose. Durchdie „Entkalkung“ werden die Knochen brüchiger.Es kann schon bei geringen Belastungen zuFrakturen, besonders Schenkelhalsfrakturen,kommen. Frauen sind häufiger betroffen, da beiihnen durch die verminderte Östrogenbildung(nach der Menopause) der Knochenabbau gegen-über dem Knochenaufbau überwiegen kann.
5.1.5 Knochenverbindungen
Der Grad der Beweglichkeit von zwei oder mehrKnochen gegeneinander muss funktionsbedingtsehr unterschiedlich sein.
Dementsprechend gibt es verschiedene Artenvon Knochenverbindungen (✑ Tab. 5.1):1. Bandgelenke (Articulationes fibrosae).
Knochen werden durch Bindegewebe mitein-ander verbunden:a) Bandhaft (Syndesmosis)
Zwischenknochenmembran zwischen Elle und Speiche bzw. Schien- und Wadenbein.
b) Naht (Sutura) Nähte zwischen den Schädelknochen.
c) Einzapfung (Gomphosis) Federnde Befestigung der Zähne im Zahn-fach.
2. Knorpelgelenke (Articulationes cartilagineae)Knochen werden durch Knorpelgewebe mit-einander verbunden. Beispiele:Schambeinfuge, Bandscheiben und Rippen-knorpel.
Band- und Knorpelgelenke haben nur sehrgeringe Bewegungsausmaße.
3. Synoviale Gelenke (Articulationes synoviales)Wenn man vom Gelenk spricht, ist praktisch immer das synoviale Gelenk gemeint.
Synoviale Gelenke sind gekennzeichnet durch:a) mindestens 2 Gelenkkörper mit von Gelenk-
knorpel überzogenen Gelenkflächen;b) einen Gelenkspalt (gewebefreier Raum
zwischen den Gelenkflächen);c) die Gelenkschmiere (Synovia) im Gelenk-
spalt – sie wird von der inneren Schicht der Gelenkkapsel produziert, hat Ernährungs-funktion und dient gemeinsam mit dem Gelenkknorpel der Reibungsminderung;
5.1 Allgemeine Knochenlehre 91
Bruchheilung erfolgt durch die so genannteKallusbildung, die größtenteils vom Periostausgeht (✑ S. 68).
❑P
Knochenverbindungen
Bandgelenke synoviale GelenkeKnorpelgelenke
• Zwischen den Knochenteilen befindet sich ein Gewebeals Verbindungsmaterial.
• Band- und Knorpelgelenke werden als Haften bzw. un-echte Gelenke (Fugen) bezeichnet.
• zwischen den Knochenteilen befindet sich einGelenkspalt.
Knochenverbindungen. Tab. 5.1
d) die Gelenkkapsel zur Abgrenzung des Ge-lenkraumes, bestehend aus der Außen-schicht (Membrana fibrosa) aus straffem Bindegewebe, die den Gelenkzusammenhaltsichert, und der Innenschicht (Membrana synovialis), bestehend aus lockerem Binde-
gewebe sowie Fettgewebe, die zahlreiche Nerven, Blut- und Lymphgefäße enthält und die Synovia sezerniert und resorbiert;
e) die Gelenkbänder aus straffem Bindege-webe, die dem Zusammenhalt des Gelenkes dienen.
Darüber hinaus können bei bestimmten synovia-len Gelenken Besonderheiten auftreten, die dieKongruenzverhältnisse der Gelenkkörper ver-bessern bzw. die Bewegungsmöglichkeiten be-einflussen. Dies sind:1. Gelenkzwischenscheibe (= Discus, Pl: Disci)
aus Faserknorpel zur Verbesserung der Kon-gruenz und Vergrößerung der Kontaktfläche; Beispiel: proximales Handgelenk.
2. Halbmondförmiger Faserknorpel (= Meniscus,Pl: Menisci). Der Meniscus hat im Prinzip die gleichen Aufgaben wie der Discus; Beispiel: Kniegelenk.
3. Gelenklippe (= Labium articulare) zur Ver-größerung der Gelenkpfanne; Beispiel: Hüftgelenk.
5 Stütz- und Bewegungssystem92
Synoviales Gelenk (Kniegelenk).Abb. 5.2
Kniescheibe(Patella)
MeniscusOberschenkel-knochen(Femur)
Gelenkknorpel(Cartilago articularis)
Gelenkkapsel(Capsula articularis)
Gelenkknorpel(Cartilago articularis)
Kniescheiben-band(Lig. patellae)
Schleimbeutel(Bursa synovialis)
Schienbein(Tibia)
Disci und Menisci.Abb. 5.3
DiscusRadiusUlna
Handwurzelknochen
rechtes proximales Handgelenk (Art. radiocarpalis) von palmar
rechtes Kniegelenk (Art. genus) von dorsal
Außenband(Lig. collaterale fibulare)
Meniscus lateralis
Gelenkknorpel
Innenband(Lig.collaterale tibiale)
Meniscus lateralis
Querband(Lig. transversum
genus)
Kreuzbänder (angeschnitten)
Meniscus medialis
Menisken
Das synoviale Gelenk wird zusammenge-halten durch• die Gelenkkapsel, • die Bänder, • die Muskeln, • die Adhäsion und• den Luftdruck.
Merke
4. Schleimbeutel (= Bursa synovialis) als Aus-stülpung der Gelenkkapsel und damit Reser-veraum für die Gelenkschmiere.
Die Bewegungsausmaße und Stabilität der Gelen-ke werden durch drei Komponenten beeinflusst:• Knochenführung (beim Hüftgelenk z. B. bes-
ser ausgeprägt als beim Schultergelenk);• Muskelführung (besonders ausgeprägt beim
Schultergelenk, z. B. durch den Deltamuskel, M. deltoideus);
• Bänderführung (besonders ausgeprägt beim Kniegelenk).
Bei Störungen oder Schwächung einer dieserKomponenten kann eine Gelenkführung durcheine andere teilweise kompensiert werden. ZumBeispiel wird trotz einer Kreuzbandruptur dieFunktion des Kniegelenkes aufgrund einer gutausgebildeten Oberschenkelmuskulatur kaumbeeinträchtigt.
Einteilung der synovialen Gelenke Nach der Form der Gelenkflächen und den sich daraus ergebenden Bewegungsmöglichkeiten sind6 Gelenktypen zu unterscheiden (✑ auch Abb.5.4 bis 5.6):• Scharniergelenk (einachsig), • Radgelenk (einachsig),• Eigelenk (zweiachsig), • straffes Gelenk (Amphiarthrose), • Sattelgelenk (zweiachsig) und • Kugelgelenk (dreiachsig).
5.1 Allgemeine Knochenlehre 93
Gelenk zwischen dem 1. und 2. Halswirbel
Atlasquerband(Lig. transversum atlantis)
Atlas
Axis
Querfortsatz
RippeWirbel-Rippen-GelenkeWirbelkörper
Radgelenk (einachsig). Beispiel: Wirbel-Rippen-Gelenk; Gelenk zwischen Altas und Abb. 5.5
Oberarm-Ellen-Gelenk(Art. humeroulnaris)
Fingergelenke
Oberarmrolle(Trochlea humeri)
Ellenbogen(Olecranon)
Fingerendgelenk(Art. interphalangealis
distalis)
Fingermittelgelenk(Art. interphalangealis
proximalis)
Fingergrundgelenk(Art. interphalangealis
medialis)
Scharniergelenk (einachsig). Beispiel: Ellenbogengelenk, Fingermittel- und endgelenke. Abb. 5.4
Disci trennen den Gelenkraum vollständig;Menisci nur teilweise.
Merke
5 Stütz- und Bewegungssystem94
Häufige Gelenkverletzungen sind • Prellung (= Kontusion), • Zerrung (= Distorsion),
• Bänderriss (= Ligamentruptur) und • Verrenkung (= Luxation).
❑P
Handwurzelknochen Trapezbein(Os trapezium)
Elle(Ulna)
Speiche(Radius)
Mittelhandknochen des Daumens(Os metacarpale I)
Handwurzelgelenk(Art. metacarpalis)
Daumensattelgelenk(Art. carpometacarpalis pollicis)
Handwurzel-Mittelhandgelenke II + III
(Carpometacarpalgelenke II + III)
Handgelenk(Art. radiocarpalis)
Schultergelenk(Art. humeri)
Hüftgelenk(Art. coxae)
Hüftgelenkpfanne(Acetabulum)
Oberschenkelkopf(Caput femoris)
Schultergelenkpfanne(Cavitas glenoidalis)
Oberarmkopf(Caput humeri)
Eigelenk (zweiachsig). Beispiel: rechtes proximales Handgelenk von palmar.Straffes Gelenk (Amphiarthrose). Beispiel: Handwurzel-Mittelhandgelenk II und III.Sattelgelenk (zweiachsig). Beispiel: Daumensattelgelenk.Abb. 5.6
Kugelgelenk (dreiachsig). Beispiel: Schulter- und Hüftgelenk.Abb. 5.7
5.2 Allgemeine Muskellehre
5.2.1 Bau und Hilfseinrichtungen des Skelettmuskels
Muskeln sind Organe, die hauptsächlich ausMuskelgewebe bestehen (✑ S. 68). Daneben fin-den wir straffes und lockeres Bindegewebesowie Blutgefäße und Nerven.
An einem Skelettmuskel lassen sich in der Regelfolgende Teile unterscheiden:• Ursprung
Der cranial bzw. proximal befestigte Teil des Muskels besteht aus einem oder mehreren Köpfen.
• AnsatzDer caudal bzw. distal befestigte Teil des Mus-kels.
• MuskelbauchDer zwischen den Sehnen bzw. Ansatz und Ursprung gelegene Teil.
• Muskelfaszie (= Muskelbinde)Hülle aus straffem Bindegewebe um einzelne Muskeln oder Muskelgruppen. Muskelfaszien bilden gewissermaßen Führungsröhren für die Muskeln.
SkelettmuskelformenNach Lage und Aufgabe sind die Muskeln inunterschiedlichen Muskelformen organisiert.Hierdurch wird eine optimale Wirkungsweiseaufgrund der unterschiedlichen anatomischenErfordernissen bei den einzelnen Muskelfunk-tionen erreicht. So kann zum Beispiel der Kau-muskel (M. masseter) durch seine kurze undplatte Form die zum Kauen erforderliche Kraftentwickeln. Der für die Beugung des Armes zu-ständige zweiköpfige Armbeuger (M. bicepsbrachii) muss dagegen eine große Strecke zurück-legen und ist deshalb lang und spindelförmig.
Hilfseinrichtungen der MuskelnZu den Hilfseinrichtungen der Muskeln gehörenSehnen, Sehnenscheiden, Schleimbeutel undSesambeine. • Sehnen
bestehen aus straffem Bindegewebe undbefestigen die Muskeln direkt am Knochenoder Periost. Die parallel angeordneten kolla-genen Fasern verleihen ihnen eine sehr hohe Zugfestigkeit. Sehnen sind verschieden geformt.
5.2 Allgemeine Muskellehre 95
Muskelfasern
Muskelfaser-bündel
Faszie
Muskelbauch
Sehne
Ansatz
Muskelbauch
Ursprung
Bau eines Skelettmuskels. Abb. 5.8
spindel-förmiger einbäuchiger Muskel mit einem Kopf(M. palmaris longus)
Skelettmuskelformen. Abb. 5.9
einseitiggefiederterMuskel(M. semi-membranous)
beidseitiggefiederterMuskel(M. tibialisanterior)
Muskel mitZwischen-sehnen(M. rectus abdominis)
zwei-köpfiger Muskel(M. bicepsbrachii)
platter Muskel(M. trapezi-us)
runder Muskel(M. orbicularisoculi)
Breite, flache Sehnen werden als Aponeurosenbezeichnet, wie z. B. die Sehnen der Bauch-muskeln und die sehnigen Platten unter der Haut der Hohlhand (Aponeurosis palmaris) sowie der Fußsohle (Aponeurosis plantaris).
• Sehnenscheidensind Gleit- und Schutzhüllen für Sehnen. Sie werden durch Haltebänder (Retinacula) fixiert und befinden sich im Bereich der Hand- und Sprunggelenke.
• Schleimbeutelsind bindegewebige Säckchen mit Flüssigkeit, die der Druckverteilung und Reibungsminde-rung zwischen Knochen, Muskeln und Sehnen dienen. Man findet sie dort, wo Muskeln um einen Knochen biegen.
• Sesambeinesind meist kleinere Knochen, die in eine Sehne eingebaut sind, um sie umzulenken. Dadurch bildet sich mit dem darunter liegenden Knochen ein synoviales Gelenk. Das größte Sesambein ist die Kniescheibe.
Bei der Beschreibung der Muskel-mechanik werden u. a. folgende Be-griffe verwendet:– Synergisten
Muskeln, die bei einer Bewegung zusammenarbeiten.
– Agonist (= Spieler, sich kontrahie-render Muskel) und Antagonist(= Gegenspieler). Je nach Rich-tungssinn einer beabsichtigten Be-wegung wirkt ein Muskel entweder als Agonist oder Antagonist.
– BewegungsmuskelnMuskeln, die überwiegend schnelleBewegungen ausführen;Beispiel: Muskeln der Extremitäten.
– HaltemuskelnMuskeln, die überwiegend Halteauf-gaben ausüben;Beispiel: tiefe Rückenmuskulatur.
5.2.2 Kontraktion des Skelettmuskels
Fast die Hälfte der Körpermasse, nämlich ca. 45 %, besteht aus Skelettmuskulatur. Die Mus-kelfasern, die eine Länge bis zu 15 Zentimeternerreichen können, verleihen dem Skelettmuskel4 grundlegende Eigenschaften:– Er kann sich aktiv verkürzen (= kontrahieren),– er kann passiv gedehnt werden, – er ist elastisch, d. h., er nimmt nach Kontrak-
tion oder Dehnung seine Ursprungslage wieder ein,
– er ist erregbar.
5 Stütz- und Bewegungssystem96
Haltebänder(Retinacula)
Sehnenscheiden
Sehnenscheiden
Haltebänder(Retinacula)
Beachte: Die Sehnenscheiden der Hand sind an Daumen und kleinem Finger durchgängig, an den restlichen Fingern unterbrochen.
Sehnenscheiden.Abb. 5.10
Wichtige Sehnen für Reflex-prüfungen sind: Kniescheibensehne, Achillessehne,Bicepssehne und Tricepssehne.Übermäßige Beanspruchung vonSehnenscheiden und Schleimbeutelnkönnen zu deren aseptischer Ent-zündung führen (Bursitis = Schleim-beutelentzündung, Tendovaginitis =Sehnenscheidenentzündung).
❑P
Muskeln haben Halte- und Bewegungs-funktion.
Merke
Die Skelettmuskulatur erfüllt drei Aufgaben: – Haltung des Körpers in sitzender oder stehen-
der Position, – Bewegung des Körpers und – Wärmeproduktion.
Der Kontraktionsvorgang eines Muskels wirdstets durch Nervenimpulse von Motoneuronengesteuert, setzt also Erregung voraus (✑ S. 72).
Die Erregungsübertragung auf den Muskelerfolgt in spezifischen Synapsen, den motori-schen Endplatten (✑ Abb. 5.11, S. 98 und Kap.3.4.2, ab S. 71).
Der Neurit (= Axon, ✑ S. 70) eines motorischenNeurons versorgt mit seinen Verzweigungen 5 bis 200 Muskelfasern. Die von einem Moto-neuron versorgten Muskelfasern bilden einemotorische Einheit. Je weniger Muskelfasern durch einen Neurit ver-sorgt werden, desto feiner abgestimmte Be-wegungen des entsprechenden Muskels sindmöglich (z. B. bessere Feinmotorik der Augen-und Fingermuskeln gegenüber der Beinmuskula-tur, ✑ auch Kap. 17.9, S. 352).
Erregungsumwandlung in BewegungKontraktion:– Nervenaktionspotentiale setzen in der motori-
schen Endplatte Acetylcholin frei.– Acetylcholin löst die Entstehung von Muskel-
aktionspotentialen aus, die sich in der Muskel-fasermembran ausbreiten und über Tubuli in die Tiefe gelangen.
– Dort bewirken sie die Freisetzung von Ca2+
aus dem sarkoplasmatischen Retikulum, welchezusammen mit den Regulatoreiweißen Tropo-nin und Tropomyosin für eine Energiefrei-setzung aus ATP sorgen (✑ Kap. 2.4.2, S. 36). ATP ADP + � + Kontraktionsenergie.
– Dadurch kommt es zur Muskelzuckung, die Muskelfasern werden verkürzt, indem die Aktinfilamente (bilden zusammen mit den Myosinfilamenten die Myofibrillen) zwischen die Myosinfilamente gleiten und sich mit ihnenverbinden. Es entsteht ein Aktomyosinkomplex.
Erschlaffung:– Die Ca2+ werden aktiv in das sarkoplasmati-
sche Retikulum zurückgepumpt.– Die Verbindungsstellen zwischen Aktin und
Myosin werden durch ATP besetzt, der Akto-myosinkomplex wird gelöst. Die Muskelfasern werden wieder schlaff und weich (✑ Kap. 2.4).
Die Abstufung der Muskelkraft geschieht durchdie Erregung unterschiedlicher Anzahlen moto-rischer Einheiten und die Änderung der Aktions-potentialfrequenz.
Eine Dauerkontraktion (= Tetanus) kommt zu-stande, wenn die Frequenz der Nervenaktions-potentiale 50 bis 150 Impulse je Sekunde be-trägt. Der Ruhetonus (= Ruhespannung) wirddurch geringere Aktionspotentialfrequenzen aneinzelnen motorischen Endplatten verursacht.
Kontraktionsarten• Isotonische Kontraktion:
Verkürzung des Muskels und Erzeugung einer Bewegung bei annähernd gleich bleibender Spannung.Beispiel: Bewegungen der Gliedmaßen.
• Isometrische Kontraktion: Keine Verkürzung, aber Kraftentwicklung.Beispiel: Haltearbeit vieler Rückenmuskeln.
Meistens wirken beide Kontraktionsarten zu-sammen, d. h., der Muskel verkürzt sich und ent-wickelt gleichzeitig Kraft.
Energiequellen für die Muskelkontraktion Bei der Muskelkontraktion wird chemischeEnergie des ATP in mechanische umgewandelt(Wirkungsgrad: 20 – 30 %). Das ATP als einzigeunmittelbare Energiequelle wird durch dreiProzesse regeneriert:1. Bildung von ATP aus Kreatininphosphat (= be-
sonderer Energiespeicher der Muskeln).Kreatininphosphat (KP) + ADP
Kreatinin (K) + ATP.2. Anaerobe Glykolyse
Glykogen Glucose Milchsäure + 2 ATP (✑ S. 40).
3. AtmungsketteGlykogen Glucose CO2 + H2O + 38 ATP (✑ S. 40).
5.2 Allgemeine Muskellehre 97
Frauen haben geringere Skelettmuskel-massen als Männer (Männer ca. 30 kg, Frauenca. 24 kg). Frauen können deshalb nur 65 %der Kraft eines Mannes entwickeln.
❑P
P
ATP-Mangel verhindert die Erschlaffung.Das ist auch die Ursache der Totenstarre.❑P
5 Stütz- und Bewegungssystem98
Muskelkontraktion und -erschlaffung.Abb. 5.11
Motorische Einheit
Durch die Kippbewegung der Myosinköpfe rudern diese die Aktinfilamente in RichtungSarkomermitte. Weil die Myosinköpfe elastisch sind, können die Sarkomere, auch ohnedass die Filamente ineinander gleiten, Kraft entwickeln. Der Muskel verkürzt sich in die-sem Fall nicht.Bei Dehnung des Muskels werden die dünnen Aktinfilamente wieder aus den dickenMyosinfilamenten herausgezogen.
Markscheidemotorisches Axon
Muskelfaser-membrantransversaler Tubulus
Aktin
Kontraktion= Verkürzung
der Sarkomere
motorische Endplatte
Aktin-Myosin- Gleiten Lösen Aktin-Myosin- GleitenBindung Bindung
Z Myosin Z
+ + + + +– – – – –
+ + +– – –
Z-Scheibe
Z-Scheibe
Kontraktion
Erschlaffung
Myosin-filament
Myosin-köpfe
longitudinaler Tubulus mit Ca2+
Myosin
Myosin
Myosinschaft
Aktin-filament
Aktin
Aktin
Z Z
Sarkomer
➞➞
➞➞
Der ATP-Vorrat eines Muskels wird bei Dauer-leistungen in dem Maße aerob1) regeneriert, wieer verbraucht wird. Es herrscht also ein Fließ-gleichgewicht vor. Dabei kann die Muskel-durchblutung auf das 20fache zunehmen, waswiederum eine entsprechende Erhöhung vonHerz- und Atemzeitvolumen voraussetzt. Diebegrenzenden Faktoren sind das Herz-Kreislauf-System und die Enzymkapazitäten.Sowohl bei Tätigkeitsbeginn, wenn der Muskel-stoffwechsel noch auf Ruhe eingestellt ist, alsauch bei kurzzeitigen Höchstleistungen wirdzusätzlich Energie benötigt. Diese Energie-menge wird anaerob2) durch Glykolyse bereitge-stellt, was zwei- bis dreimal schneller erfolgt.Allerdings wird dieser Vorgang relativ raschbegrenzt. Es kommt durch die Anhäufung vonMilchsäure und die damit verbundene Senkungdes pH-Wertes (= metabolische Azidose) sowiedie Anhäufung von ADP und Phosphat zurErmüdung.
Die ATP-Bildung aus Kreatininphosphat undADP erfolgt ebenfalls zügig. Bei der Kreatininphosphatspaltung und der anae-roben Glykolyse geht der Organismus eineSauerstoffschuld ein. In der anschließendenRuhephase muss diese wieder abgetragen wer-den. Die angesammelte Milchsäure wird untererhöhtem O2-Verbrauch (trotz körperlicherRuhe) in Leber und Herz verstoffwechselt, und
die erschöpften ATP- und KP-Speicher werdenauf diese Weise wieder aufgefüllt. Skelett- und Herzmuskulatur besitzen imMyoglobin3) einen besonderen Sauerstoffspei-cher, wodurch kurzfristiger O2-Mangel währendder Kontraktion überbrückt wird.
Bewegungsbezeichnungen der MuskulaturJe nach Lage und Ausgangsposition könnenMuskeln unterschiedliche Bewegungen aus-führen. Oftmals lässt bereits die Bezeichnungdes Muskels Rückschlüsse auf seine Funktion zu (z. B. M. flexor digitorum manus, M. pronatorteres, M. supinator, M. extensor hallucis).
Muskelbewegungsmöglichkeiten• Flexion = Beugen, • Extension = Strecken, • Anteversion = Bewegung nach vorn• Retroversion = Bewegung nach hinten• Abduktion = Wegführen, • Adduktion = Heranführen, • Innenrotation = Innendrehung,• Außenrotation = Außendrehung,• Pronation = Einwärtsdrehung
(Hand: Handrücken nach oben; ✑ Abb. 5.27, S. 114),
• Supination = Auswärtsdrehung.
5.2 Allgemeine Muskellehre 99
1) aerob = unter Sauerstoffverbrauch2) anaerob = ohne Sauerstoffverbrauch3) roter Muskelfarbstoff, dem Hämoglobin ähnlich
Muskelbewegungen. Abb. 5.12
➝➝➝
Flexion
AdduktionExtension
➝
➝ Abduktion Adduktion
großer Brustmuskel(M. pectoralis major)
dreiköpfiger Oberarmmuskel(M. triceps brachii)
zweiköpfiger Oberarmmuskel
(M. biceps brachii)
Trapezmuskel(M. trapezius)
breiter Rückenmuskel(M. latissimus dorsi)
Deltamuskel(M. deltoideus)
5 Stütz- und Bewegungssystem100
Oberschenkelknochen(Femur)
Kniescheibe(Patella)
Schienbein(Tibia)
Wadenbein(Fibula)
Fußwurzelknochen(Ossa tarsi)
Mittelfußknochen(Ossa metatarsi)
Zehenknochen(Ossa digitorum = Phalanges)
Schädel(Cranium)
Halswirbel(Vertebrae cervicales)
Brustbein(Sternum)
Rippen(Costae)
Lendenwirbel(Vertebrae lumbales)
Kreuzbein(Os sacrum)
Hüftbein(Os coxae)
Schambein(Os pubis)
Schlüsselbein(Clavicula)
Schulterblatt(Scapula)
Oberarmknochen(Humerus)
Speiche(Radius)
Elle(Ulna)
Fingerknochen(Ossa digitorum = Phalanges)
Mittelhandknochen(Ossa metacarpi)
Handwurzelknochen(Ossa carpi)
Skelett (Vorderansicht).Abb. 5.13
Allgemeine Knochen- und Muskellehre 101
Oberschenkelknochen(Femur)
Schienbein(Tibia)
Wadenbein(Fibula)
Schädel(Cranium)
Halswirbel(Vertebrae cervicales)
Brustwirbel(Vertebrae thoracicae)
Lendenwirbel(Vertebrae lumbales)
Kreuzbein(Os sacrum)
Steißbein(Os coccygis)
Schulterblatt(Scapula)
Oberarmknochen(Humerus)
Speiche(Radius)
Elle(Ulna)
Skelett (Rückansicht). Abb. 5.14
5 Stütz- und Bewegungssystem102
vorderer Sägemuskel(M. serratus anterior)
gerader Bauchmuskel(M. rectus abdominis)
äußerer schrägerBauchmuskel
(M. obliquus externus abdominis)
Leistenband(Lig. inguinale)
Kammmuskel(M. pectineus)
langer Anzieher(M. adductor longus)
schlanker Muskel(M. gracilis)
Schneidermuskel(M. sartorius)
Kniescheibe(Patella)
vordererSchienbeinmuskel
(M. tibialis anterior)
Kopfwendemuskel(M. sternocleidomastoideus)
Deltamuskel(M. deltoideus)
großer Brustmuskel(M. pectoralis major)
zweiköpfigerOberarmmuskel(M. biceps brachii)
dreiköpfiger Armstrecker(M. triceps brachii)
Unterarmmuskeln(Beuger)
Hohlhandsehne(Aponeurosis palmaris)
gerader Oberschenkelmuskel(M. rectus femoris)
äußerer Oberschenkelmuskel(M. vastus lateralis)
innerer Oberschenkelmuskel(M. vastus medialis)
vierköpfiger Oberschenkelmuskel(M. quadriceps femoris)
Muskeln des Menschen (Vorderansicht).Abb. 5.15
Allgemeine Knochen- und Muskellehre 103
breiter Rückenmuskel(M. latissimus dorsi)
äußerer schräger Bauchmuskel
(M. obliquus externus abdominis)
Unterarmmuskeln(Strecker)
zweiköpfiger Oberschenkelmuskel
(M. biceps femoris)
halbsehniger Muskel(M. semitendinosus)
halbmembranöserMuskel
(M. semimembranosus)
Achillessehne(Tendo calnaneus)
Untergrätenmuskel(M. infraspinalus)
kleiner runderMuskel
(M. teres minor)
großer runderMuskel
(M. teres major)
Trapezmuskel =Kapuzenmuskel(M. trapezius)
Deltamuskel(M. deltoideus)
Caput longum
Caput laterale
Caput mediale
dreiköpfigerArmstrecker(M. triceps brachii)
großer Gesäßmuskel(M. gluteus maximus)
Darmbein-Schienbein-Sehne(Tractus iliotibialis)
schlanker Muskel(M. gracilis)
Wadenmuskel(M. gastrocnemius)
Muskeln des Menschen (Rückansicht). Abb. 5.16
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre
In diesem Kapitel werden Wirbelsäule (Columnavertebralis), Brustkorb (Thorax), der Schulter-gürtel mit den oberen Extremitäten, derBeckengürtel mit den unteren Extremitätensowie der Kopf (Caput) behandelt.
5.3.1 Wirbelsäule (Columna vertebralis)
Die Wirbelsäule verleiht dem Körper zusammenmit einer Vielzahl von Bändern und MuskelnStabilität und Beweglichkeit. Sie erfüllt folgendeHauptaufgaben:• Stützung des Rumpfes durch die von cranial
nach caudal größer werdenden Wirbelkörper; • Schutz des Rückenmarkes durch den Wir-
belkanal, der von den Wirbelbögen gebildet wird und • Federung und vielseitige Beweglich-
keit durch Doppel-s-Form und zahl-reiche einzelne Wirbel, die durch Bandscheiben und synoviale Ge-lenke gegeneinander beweglich sind.
Form (✑ Abb. 5.17)Die normal gebaute menschlicheWirbelsäule ist doppel-s-förmig inder Medianebene gekrümmt. Die phy-siologisch bedingten Krümmungenheißen – Lordose: konvexe Seite der Krüm-
mung liegt ventral;– Kyphose: konvexe Seite der Krüm-
mung liegt dorsal.Physiologisch sind Halslordose,Brustkyphose und Lendenlordose.Neben der Doppel-s-Form ist dasPromontorium (= ventrale, gegen den5. Lendenwirbel abgewinkelte Kantedes Kreuzbeins) charakteristisch fürdie menschliche Wirbelsäule. Siegliedert sich in fünf Abschnitte.
BauelementeDie Bauelemente der Wirbelsäulesind• 24 bewegliche Wirbel; sie bilden
den mehr oder weniger beweglichen Teil der Wirbelsäule,
• 8 bis 10 miteinander verwachsene Wirbel (Kreuz- und Steißbein) und
• 23 Bandscheiben (= Zwischenwirbel-scheiben) zwischen den beweglichenWirbeln (außer zwischen C1 und C2).
5 Stütz- und Bewegungssystem104
Halswirbelsäule (HWS)7 Halswirbel = C1 – C7(Vertebrae cervicales)– gegeneinander beweglich –
Brustwirbelsäule (BWS)12 Brustwirbel = Th1 – Th12(Vertebrae thoracicae)– gegeneinander beweglich –
Lendenwirbelsäule (LWS)5 Lendenwirbel = L1 – L5(Vertebrae lumbales)– gegeneinander beweglich –
Kreuzbein (Os sacrum)5 verwachsene Kreuzwirbel = S1 – S5– miteinander verwachsen –
Steißbein (Os coccygis)3 – 5 verwachsene Steißwirbel = Co1 – Co3–5– miteinander verwachsen –
▲▲
▲▲
▲
Gliederung der Wirbelsäule und physiologische Krümmung.Abb. 5.17
Es gibt viele zum Teil krankhaf-te Verbiegungen, z. B. Flach- undRundrücken, Buckel, Skoliosen (= Krümmung in der Frontalebene).
❑PLordoseKyphose
Bis auf die ersten beiden Halswirbel weisen dieWirbel folgenden Bau auf.
– Wirbelkörper (Corpus vertebrae) Ventral gelegenes massives Tragstück. (Manbeachte die Größenzunahme von cranial nachcaudal.)
– Wirbelbogen (Arcus vertebrae) mit 7 Fortsätzen:1 Dornfortsatz (Processus spinosus), 2 Querfortsätze (Processus transversi), 2 obere Gelenkfortsätze, 2 untere Gelenkfortsätze.
– Wirbelloch (Foramen vertebrale)Die Wirbellöcher aller Wirbel bilden zusam-men den Wirbelkanal (Canalis vertebralis).
Besonderheiten der Wirbelarten Die einzelnen Wirbeltypen zeichnen sich durchunterschiedliche Erkennungsmerkmale aus.
Halswirbel– Wirbelkörper klein und sattelförmig,– Querfortsätze mit Löchern für die Wirbelgefäße,– Dornfortsatz häufig gegabelt. 1. Halswirbel (= Atlas)
• ohne Wirbelkörper und Dornfortsatz,• mit vorderem und hinterem Bogen sowie
zwei seitlichen Tragstücken für den Schädel.2. Halswirbel (= Axis)
• mit Dens (= Zahn), der als Fortsetzung des Wirbelkörpers nach oben in den vorderen Bogen des Atlas ragt.
7. Halswirbel (= Vertebra prominens)• mit besonders langem Dornfortsatz als Tast-
punkt.
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 105
1. Halswirbel (Atlas = Träger)Ansicht von oben
2. Halswirbel (Axis = Dreher)Ansicht von hinten oben
Verbindung zwischen Atlas und Axis
Zahn(Dens axis)
Atlasband(Lig. transversum
atlantis)
linkes, seitlichesAtlantoaxialgelenk
Gelenkfläche für den Schädel hinterer
Wirbelbogen
vordererWirbelbogen
Wirbelloch(Foramen vertebrale)
Wirbelkörper(Corpus vertebrae)
Zahn(Dens)
obererGelenkfortsatz
Wirbelbogen(Arcus vertebrae)
Dornfortsatz(Proc. spinosus)
Querfortsatzloch(Foramen
transversale)
Halswirbel. Abb. 5.18
Die sattelförmigen Wirbelkörper der Hals-wirbel können sich seitlich gelenkig verbinden(= Unkovertebralgelenke). Diese Verbindungensind besonders verschleißanfällig.
❑P
Brustwirbel– Lange schräg nach unten zeigende Dornfort-
sätze, – Gelenkflächen für die Rippen am Körper und
Querfortsatz.
Lendenwirbel – Sind die größten Wirbel, – Dornfortsatz ist breit und steht horizontal.
Kreuzbein (Os sacrum)Die fünf Kreuzbeinwirbel sind beim Erwach-senen zu einem einheitlichen Knochen verwach-sen. An Wirbel erinnern – Knochenkämme auf der Rückseite als Reste
der Wirbelfortsätze, – Kreuzbeinkanal als Fortsetzung des Wirbel-
kanals,– Kreuzbeinlöcher.
Steißbein (Os coccygis)Die ebenfalls verwachsenen Steißwirbel sindstark zurückgebildet. Der Wirbelbogen fehlt.
KnochenverbindungenDie Verbindung der Wirbel geschieht durch die Bandscheiben zwischen den Wirbelkörpern undden Wirbelbogengelenken zwischen den Ge-lenkfortsätzen der Wirbelbögen sowie durchBänder. Den der Bewegung dienende Raum zwi-schen zwei Wirbeln bezeichnet man als Bewe-gungselement. Es wird gebildet von:
• einer Bandscheibe (= Zwischenwirbelscheibe),• zwei Wirbelbogengelenken,• zwei Zwischenwirbellöchern und • verschiedenen Bändern.
Bandscheiben (Disci intervertebrales)Bandscheiben bestehen aus einem Gallertkern(Nucleus pulposus), der von einem faserknorpe-ligen Ring (Anulus fibrosus) umgeben ist. Sieverbinden die Wirbelkörper nach Art der Knor-pelgelenke und erlauben Bewegungen. Ähnlicheiner „Wasserkissenfunktion“ ermöglichen siedarüber hinaus eine Dämpfung zwischen denWirbelkörpern.
5 Stütz- und Bewegungssystem106
Ansicht von der rechten Seite Ansicht von oben
Querfortsatz(Proc. transversus)
Gelenkflächenfür die Rippen
Gelenkflächenfür die Rippen
untererGelenkfortsatz(Proc. articularis inferior)
Wirbelkörper(Corpus vertebrae)
Dornfortsatz(Proc. spinosus)
Querfortsatz(Proc. transversus)
Wirbelloch(Foramen vertebrale)
Wirbelbogen(Arcus vertebrae)
obererGelenk-fortsatz(Proc. articularis superior)
oberer Gelenkfortsatz(Proc. articularis superior)
Brustwirbel.Abb. 5.19
Mit zunehmendem Alter kann es zu Abnut-zungen (degenerative Veränderungen in Formeiner Höhenveränderung der Bandscheiben = Osteochondrose) – besonders wegen des ge-ringeren Wasseraufnahmevermögens – unddamit abnehmender Elastizität kommen. Über-lastung der Bandscheiben kann zum Band-scheibenvorfall führen (Prolaps des Nucleuspulposus). Der faserknorpelige Ring reißt,Gallertmasse gelangt in die Zwischenwirbel-löcher oder in den Wirbelkanal und kann dortdie Nervenfunktion behindern (Schmerz, Sen-sibilitätsausfälle, Lähmung). Abnutzungser-scheinungen der Bandscheiben sind besondershäufig im Lendenwirbelsäulenbereich zu beob-achten, da hier die Belastung durch dieKörpermasse am größten ist.
❑P
BänderDie menschliche Wirbelsäule wird durch zahl-reiche Bänder stabilisiert. Im Einzelnen sind eslange bzw. Längsbänder und kurze Bänder.– 3 Längsbänder (lange Bänder), die fast über
die gesamte Wirbelsäule ziehen und wie folgtbezeichnet werden:• Vorderes Längsband (Lig. longitudinale an-
terius) an der Vorderseite der Wirbelkörpervom Hinterhauptbein bis zum Kreuzbein,
• hinteres Längsband (Lig. longitudinale posterius) an der Hinterseite der Wirbel-körper, also im Wirbelkanal und
• Dornspitzenband (Lig. supraspinale) an denDornfortsätzen vom Kreuzbein bis zum 7. Halswirbel. Das Lig. supraspinale ver-breitert sich im Halsbereich zum Nacken-band (Lig. nuchae).
– Kurze Bänder:• Gelbe Bänder (Ligg. flava), elastische Bän-
der zwischen den Wirbelbögen,• Ligg. interspinalia, Bänder zwischen den
Dornfortsätzen benachbarter Wirbel und• Ligg. intertransversaria, Bänder zwischen
den Querfortsätzen benachbarter Wirbel.
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 107
von vorn
Medianschnitt
von rechts
Vorgebirge(Promontorium)
Vorgebirge(Promontorium)
Kreuzbeinlöcher(Foramina sacraliapelvina)
Kreuzbeinkanal(Canalis sacralis)
Kreuzbein(Os sacrum)
Steißbein(Os coccygis)
5 verwachseneKreuzwirbel
Darmbeingelenkfläche(Facies auricularis)
Kreuz- und Steißbein. Abb. 5.20
Knochenverbindungen zwischen Wirbelsäuleund Kopf (Kopfgelenke)Bei den Kopfgelenken handelt es sich um 5 synoviale Gelenke zwischen Hinterhauptbein,Atlas und Axis. Sie erlauben Bewegungen wie ineinem Kugelgelenk, sodass im Zusammenwir-ken mit den übrigen Halswirbeln die großeBeweglichkeit des Kopfes als Träger wichtigerSinnesorgane ermöglicht wird. Dies ist einewichtige Voraussetzung für die Orientierung undFortbewegung, aber auch für das individuelleAusdrucksvermögen des Menschen.Man unterscheidet– die paarigen oberen Kopfgelenke (Artt. atlan-
tooccipitales) zwischen Atlas und Hinter-hauptbein. Sie ermöglichen Vor-, Rück- und Seitneigung des Kopfes;
– das unpaarige mediale Kopfgelenk (Art. at-lantoaxialis mediana) zwischen Dens, vorde-rem Atlasbogen und dem überknorpelten Atlasquerband (Lig. transversum atlantis);
– die paarigen unteren Kopfgelenke (Artt. atlantoaxiales laterales) zwischen Atlas und Axis.
Mediales Kopfgelenk und untere Kopfgelenkeermöglichen die Drehbewegungen des Kopfes.
Muskulatur und ihre FunktionDie Bewegungen der Wirbelsäule werden durchdas Zusammenwirken von Rücken- und Bauch-muskulatur ermöglicht (Bauchmuskulatur ✑ S.137). Die Rückenmuskulatur besteht aus einemkomplexen System sich überlappender Muskel-
züge entlang der Wirbelsäule. Sie ist das mäch-tigste Muskelsystem des Menschen und ermög-licht im Zusammenwirken mit der Bauchmus-kulatur das Vorneigen, Strecken, Seitneigen undDrehen. Weitere wichtige Aufgaben der Rückenmusku-latur im Zusammenwirken mit dem Bandapparatsind Stabilisierung der Wirbelsäule und For-mung ihrer physiologischen Krümmungen.Für die äußerst fein abgestuften Kopfbewegun-gen sorgt ein vielgliedriger und komplizierterMuskelapparat, der aus Hals-, Nacken- undZungenbeinmuskeln besteht.
Tastbare Knochenpunkte sind die Dornfortsätzeab 7. Halswirbel.
5 Stütz- und Bewegungssystem108
Zwischenwirbelscheibe, Bandscheibe(Discus intervertebralis)
Zwischenwirbelloch(Foramen intervertebrale)
Wirbelbogen-gelenk
Zwischenwirbel-scheibe
(Discus intervertebralis)
Gallertkern(Nucleus pulposus)
Faserring(Anulus fibrosus)
Wirbelkanal(Canalis vertebralis)
Bewegungselement (Lendenwirbelsäule).Abb. 5.21
Es ist darauf Wert zu legen, dass die Wirbel-säule nicht einseitig, vorwiegend statisch be-ansprucht wird. Vielmehr kommt es darauf an,Stabilität und Mobilität gleichmäßig zu ent-wickeln. Das bedeutet vor allem, auf eine all-seitige Kräftigung der Muskulatur mit derEntwicklung einer aufrechten Haltung zu ach-ten, sodass der passive Bewegungsapparat ent-lastet wird. Nur eine aufrechte Haltung gewährleistet eineoptimale Belüftung der Lunge. Mit den Patien-ten sollten nach Möglichkeit täglich leichtegymnastische Übungen zur Stärkung vonBauch- und Rückenmuskulatur durchgeführtwerden.
❑P
5.3.2 Brustkorb (Thorax)
Der Brustkorb ist Bestand-teil des Rumpfskelettes undumschließt die Brusthöhle(Cavitas thoracis). Er dientdem Schutz wichtiger Or-gane wie Herz, Lunge,Leber, Magen und ermög-licht die Atembewegungenund damit die Belüftung derLunge. Außerdem ist derThorax eine „Durchgangs-straße“ für viele Organe,wie z. B. Speiseröhre, Ge-fäße und Nerven.
KnochenDie Knochen des Brust-korbes setzen sich aus derBrustwirbelsäule, demBrustbein (Sternum), be-stehend aus Handgriff (Ma-nubrium), Brustbeinkörper(Corpus sterni) und Schwert-fortsatz (Proc. xiphoideus)sowie 12 Paar Rippen zu-sammen.Die drei Teile des Sternumssind anfangs durch Knor-pelzonen getrennt, die mitzunehmendem Alter all-mählich verknöchern. Rotes Knochenmark ausdem Sternum wird durchSternalpunktion gewonnen.
Beziehung der Rippen zumSternumNach ihrer Beziehung zum Sternum lassen sichdie Rippen in zwei Gruppen unterteilen:– Echte Rippen, sie sind direkt mit dem Ster-
num verbunden (Rippenpaare 1 – 7).– Falsche Rippen, die Rippenpaare 8 – 10 errei-
chen das Sternum indirekt über den Knorpelder 7. Rippe. Dadurch entstehen der rechte und linke Rippenbogen. Die Rippenpaare 11und 12 erreichen das Sternum gar nicht. Sie enden als freie Rippen in der Muskulatur.
Knochenverbindungen Die Knochen des Thorax sind elastisch verbun-
den durch Wirbel-Rippen-Gelenke (= synovialeDrehgelenke), die durch die gebogenen Rippendas Heben und Senken des Thorax ermöglichen(✑ Abb. 5.5 links, S. 93) sowie Brustbein-Rippen-Gelenke (= teils synoviale, teils Knor-pelgelenke).
Brustkorb-Muskulatur und ihre Funktion(✑ Kap. Atembewegungen 11.3.1, S. 224).
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 109
Halbdornmuskel(M. semispinalis)
Riemenmuskel(M. splenius capitis)
hinterer, obererSägemuskel(M. serratus posterior superior)
Wirbelsäulen-aufrichter(Mm. erector spinae)
Darmbein-Rippen-Muskel(M. iliocostalis)
hinterer, untererSägemuskel(M. serratus posterior inferior)
gerader Bauchmuskel(M. rectus abdominis)
Halte- und Bewegungsmuskeln der Wirbelsäule. Abb. 5.22
Die Ansatzstelle der 1. Rippe ist nicht tast-bar. Die 2. Rippe setzt am Brustbeinwinkel an. Diese Stelle ist tastbar und eine Orientierungs-hilfe am Thorax.
❑P
Brustkorböffnungen (Thoraxaperturen) Der Thorax besitzt zwei Öffnungen:– Obere Thoraxapertur, gebildet von
• 1. Brustwirbelkörper, • 1. Rippenpaar, • Handgriff des Brustbeins.
– Untere Thoraxapertur, gebildet von• 12. Brustwirbel,• Schwertfortsatz, • Rippenbögen, • 11. und 12. Rippenpaar.
Tastbare Knochenpunkte sind Sternum, die Ansatzstelle der 2. Rippe, der Rippen5 – 7 sowie die Rippenkörper.
5 Stütz- und Bewegungssystem110
Brustkorb (Thorax).Abb. 5.24
obere Thoraxöffnung(Apertura thoracis superior)
Rippenknorpel(Cartilago costalis)
Rippenknochen
Rippen(Costae)
Brustbein(Sternum)
Rippenbogen(Arcus costalis)
untere Thoraxöffnung(Apertura thoracis inferior)
Ansicht von hintenAnsicht von vorn
Schlüsselbein(Clavicula)
Schulterblatt(Scapula)
12 Brustwirbel
Sternum (Brustbein).Abb. 5.23
Handgriff des Brustbeins(Manubrium sterni)
Brustbeinwinkel(Angulus sterni)
Brustbeinkörper(Corpus sterni)
Einschnitte zurGelenkverbindung
mit den Rippen(Incisurae costales)
Schwertfortsatz(Processus xiphoideus)
Einschnitt zurGelenkverbindungmit dem Schlüsselbein(Incisura clavicularis)
Ansicht von ventral Ansicht von rechts
Die Thoraxform ändert sich inAbhängigkeit vom Alter. Beim Neu-geborenen stehen die Rippen nahezuhorizontal. Im Laufe des Lebens senkensie sich, und der Thorax wird flacherund auch starrer. Die elastische Verspannung vomThorax wird in der Ersten Hilfe bei derexternen Herzmassage genutzt.
❑P
5.3.3 Schultergürtel und obere Extremität
Schultergürtel und obere Extremität bilden eineEinheit. Lagemäßig gehört der Schultergürtelzum Rumpf.
SchultergürtelDer Schultergürtel bildet im Unterschied zumBeckengürtel einen vorn und hinten offenenRing, der vorn durch das Brustbein verschlossenwird. Auf jeder Seite besteht der Schultergürteljeweils aus Schlüsselbein (Clavicula, Pl. Clavi-culae) und Schulterblatt (Scapula, Pl. Scapulae).Er liegt dem Thorax locker auf, wodurch dieArme viel beweglicher als die Beine sind.
Knochenverbindungen Das Schlüsselbein, ein relativ dünner Knochen,hat an beiden Enden Gelenkflächen.
– Die inneren Schlüsselbeingelenke verbinden die Schlüsselbeine mit dem Brustbein,
– die äußeren die Schlüsselbeine mit dem Schulterblatt.
Einzelheiten sind der Abbildung 5.25 auf Seite112 zu entnehmen. Alle Armknochen, mit Ausnahme der Hand-wurzelknochen, gehören zu den Röhrenknochen(Einzelheiten ✑ Abbildung 5.26, Seite 113).
Knochenverbindungen,Bewegungsmöglichkeiten, MuskelnSchultergürtel und Arm sind durch drei große Gelenke verbunden: – Schultergelenk (Art. humeri),– Ellenbogengelenk (Art. cubiti), – Handgelenk (Art. radiocarpalis).
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 111
Oberarm Unterarm Hand (Manus)
Obere Extremität
Mittelhand (Metacarpus)5 Mittelhandknochen(Ossa metacarpi = Metacarpalia I bis V;I = Mittelhandknochen des Daumens)
Finger (Digiti)14 Fingerknochen(Ossa digitorum= Phalanges)
Handwurzel (Carpus)8 Handwurzelknochenproximale Reihe (von radial nach ulnar)• Kahnbein (Os scaphoideum)• Mondbein (Os lunatum)• Dreieckbein (Os triquetrum)• Erbsenbein (Os pisiforme)
distale Reihe (von radial nach ulnar)• großes Vieleckbein (Os trapezium)• kleines Vieleckbein (Os trapezoideum)• Kopfbein (Os capitatum)• Hakenbein (Os hamatum)
2 Unterarmknochen• Speiche (Radius)• Elle (Ulna)
1 Oberarmknochen(Humerus)
Der Schultergürtel verbindet die Arme mitdem Rumpf. Außerdem ist er Ansatz- und Ur-sprungsstelle vieler Muskeln.
Merke
Obere Extremität – Gliederung der Knochen. Tab. 5.2
Die Elle (Ulna) liegt kleinfingerwärts, dieSpeiche (Radius) daumenwärts.
Merke
Schultergelenk (Art. humeri)Beteiligte Knochen bzw. Knochenteile sind– die Gelenkfläche des Schulterblattes (liegt un-
terhalb des Schulterecks) und – der Oberarmkopf (Caput humeri).
Merkmale des SchultergelenkesDa das Schultergelenk ein Kugelgelenk ist, bie-tet es sehr großen Bewegungsspielraum durch– relativ kleine Kontaktflächen (großer Gelenk-
kopf, kleine Gelenkpfanne, d. h. kaum Kno-
chenführung), – sehr weite Gelenkkapsel, – überwiegend Muskelführung, – Zusammenwirken mit den Schlüsselbein-
gelenken und dem Schulterblatt; dadurch wirdeine beträchtliche Erweiterung des Bewegungs-umfanges ermöglicht.
In der Nähe des Schultergelenkes liegt zurMinderung der Reibung eine große Zahl vonSchleimbeuteln.
5 Stütz- und Bewegungssystem112
Schlüsselbein(Clavicula)
äußeres Schlüsselbeingelenk
(Articulatio acromioclavicularis)
Schultereck(Acromion)
Schultergelenk(Articulatio humeri)
Oberarmknochen(Humerus)
Schlüsselbein(Clavicula)
Schultereck(Acromion)
Schultergelenk(Articulatio humeri)
Schulterblatt(Scapula)
Oberarmknochen(Humerus)
Elle(Ulna)
Speiche(Radius)
inneresSchlüsselbeingelenk(Articulatio sternoclavicularis)
Handgriff des Brustbeins(Manubrium sterni)
Ansicht von vorn
Ansicht von hinten
Schultergürtel.Abb. 5.25
Ellenbogengelenk (Art. cubiti)Das Ellenbogengelenk wird aus drei Teilgelen-ken gebildet, die von einer gemeinsamen Ge-
lenkkapsel umschlossen werden. – Oberarm-Ellen-Gelenk (Art. humeroulnaris)
mit Oberarmrolle und Ellenhaken (Scharnier-gelenk),
– Oberarm-Speichen-Gelenk (Art. humeroradia-lis) mit Speichenkopf und Oberarmköpfchen (Kugelgelenk) und
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 113
Oberarmknochen(Humerus)
Oberarmköpfchen(Capitulum humeri)
Oberarmrolle(Trochlea humeri)
äußerer Obergelenkknorren(Epicondylus lateralis)
Ellenbogengelenk(Articulatio cubiti)
Radiuskopf(Caput radii)
Elle(Ulna)
Ellenkopf(Caput ulnae)
Handwurzel(Carpus)
Mittelhand(Metacarpus)
Fingerglieder(Phalanges)
Grundglied(Phalanx proximalis)
Mittelglied(Phalanx media)
Endglied(Phalanx distalis)
Speiche(Radius)
distales Ellen-Speichen-Gelenk(Art. radioulnaris distalis)
anatomischer Hals(Collum anatonicum)
chirurgischer Hals(Collum chirurgicum)
Obergrätengrube(Fossa supraspinata)
Rabenschnabelfortsatz(Processus coracoideus)
Schultereck(Acromion)
Schulterblattgräte(Spina scapulae)
Untergrätengrube(Fossa infraspinata)
Oberarmkopf(Caput humeri)
Vorder- bzw. Rippenseite desSchulterblattes(Facies costalis)
Obere Extremität und Schulterblatt. Abb. 5.26
Die geringe Knochenführung, die schlaffeKapsel sowie die fehlende Bänderführung sindUrsachen häufiger Luxationen.
❑P
– proximales Ellen-Speichen-Gelenk (Dreh-Scharniergelenk – funktionell)mit Speichenkopf und Einschnitt der Elle.
Das proximale Ellen-Speichen-Gelenk bildetmit dem distalen Ellen-Speichen-Gelenk einDrehgelenk.
Handgelenke– Handgelenk (Art. radiocarpalis)
Beteiligte Knochen bzw. Knochenteile sind• Radius, • proximale Handwurzelknochenreihe, • Ulna (durch einen Discus von den Hand-
wurzelknochen getrennt).Gelenktyp:Eigelenk.Bewegungen:Palmarflexion (Beugung der Hand hand-flächenwärts) – Dorsalextension (Bewegungder Hand handrückenwärts), Radialabduktion (Bewegung der Hand zurSpeiche) – Ulnarabduktion (Bewegung der Hand zur Elle).
– Handwurzelgelenk (Art. metacarpalis) zwi-schen proximaler und distaler Handwurzel-knochenreihe.Gelenktyp:Scharniergelenk.Bewegungungen:Palmarflexion – Dorsalextension.
Handwurzel-Mittelhand-Gelenke (Carpo-metacarpalgelenke), Daumensattelgelenk.Die Carpometacarpalgelenke liegen zwischender distalen Handwurzelknochenreihe und denBasen der Mittelhandknochen. Das Carpometacarpalgelenk I ist das Dau-mensattelgelenk und liegt zwischen Os trape-zium und Os metacarpale I. Bewegungen im Daumensattelgelenk:Abduktion – Adduktion (Daumen wird vomZeigefinger abgespreizt und wieder herange-führt), Opposition – Reposition (Daumenwird aus der Abduktionsstellung dem kleinenFinger gegenübergestellt und wieder in Nor-malstellung zurückgeführt).
5 Stütz- und Bewegungssystem114
Auswärtsdrehung(Supination)
Einwärtsdrehung(Pronation)
zweiköpfigerOberarmmuskel(M. biceps brachii)
Auswärtsdreher(M. supinator)
ElleSpeiche
SpeicheElle
runderEinwärtsdreher(M. pronator teres)
viereckiger Einwärtsdreher(M. pronator quadratus)
Ein- und Auswärtsdrehung der Hand.Abb. 5.27
Beim Sturz auf die Hand bricht meistensder Radius. Die distale Radiusfraktur isteine der häufigsten Frakturen überhaupt.
❑P
Die Carpometacarpalgelenke II bis IV sind Amphiarthrosen (bänderstraf-fe Gelenke). Das Gelenk V lässtgeringe Oppositionsbewegungen deskleinen Fingers zu.
Fingergelenke– Fingergrundgelenke (Metacarpo-
phalangealgelenke).Die Fingergrundgelenke II bis V sind anatomisch gesehen Kugelge-lenke. Das Daumengrundgelenk ist ein Scharniergelenk.
– Fingermittelgelenke und Finger-endgelenke (proximale und distale Interphalangealgelenke)Die Fingermittel- und -endgelenke sind Scharniergelenke.
Achselhöhle Einbuchtung der Körperoberflächezwischen Rumpf und Arm. Inhalt: Bindegewebskörper mit Gefäßen undNerven (Armgefäße, Armnerven)und regionäre Achsellymphknoten.
Ellenbeuge Liegt zwischen Flexoren des Ober-armes und Flexoren sowie Exten-soren des Unterarmes. Inhalt: – Venen der Ellenbeuge (Cubital-
venen; häufig genutzt zur Blut-entnahme und i.v.-Injektion),
– Aufzweigung der Oberarmarterie (A. brachialis) in Speichenarterie (A. radialis) und Ellenarterie (A. ulnaris) (✑ Abb. 9.27, S. 181 und Abb. 9.28, S. 182).
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 115
Elle(Ulna)
Mondbein(Os lunatum)
Erbsenbein(Os pisiforme)
Dreieckbein(Os triquetrum)
Hakenbein(Os hamatum)
Speiche(Radius)
Mondbein(Os lunatum)
Kahnbein(Os scaphoideum)
großesVieleckbein(Os trapezium)
kleines Vieleckbein(Os trapezoideum)
Speiche(Radius)
Kahnbein(Os scaphoideum)
großesVieleckbein(Os trapezium)
kleines Vieleckbein
(Os trapezoideum)
Kopfbein(Os capitatum)
Elle(Ulna)
Dreieckbein(Os triquetrum)
Kopfbein(Os capitatum)
Hakenbein(Os hamatum)
Fingergrund-gelenk
Fingermittel-gelenk
Fingerend- gelenk
Dorsalansicht■ proximale Reihe■ distale Reihe
Palmaransicht
Knochen der Hand. Abb. 5.28
Alle Scharniergelenke werdendurch Seitenbänder (= Kollateral-bänder) gesichert.
Merke
5 Stütz- und Bewegungssystem116
Muskeln Verlauf Funktion
Großer Brustmuskel(M. pectoralis major)
Kleiner Brustmuskel(M. pectoralis minor)
Kapuzenmuskel(M. trapezius)
Breiter Rückenmuskel(M. latissimus dorsi)
Schulterblattheber(M. levator scapulae)
Deltamuskel(M. deltoideus)
Adduktion, Anteversion,Innenrotation im Schultergelenk
Senkung des Schultergürtels,Hebung der Rippen (= Einatemhilfsmuskel)
Bewegungen des Schulter-gürtels
Adduktion, Retroversion,Innenrotation im Schultergelenk
hebt Schultergürtel
Abduktion, Adduktion,Anteversion, Retroversion,Innen- und Außenrotation imSchultergelenk
Clavicula, Sternum– Humerus
unter M. pectoralis major
Hinterhauptbein, Brustwirbel– Clavicula, Scapula
Brust- und Lendenwirbel– Humerus
unter M. trapezius, 1. – 4. Halswirbel – Scapula
Clavicula, Scapula– Humerus
Muskeln des Schultergürtels.Abb. 5.29
Verlauf und Funktion der Muskulatur des SchultergürtelsTab. 5.3
Schulterblatt-heber
(M. levator scapulae)
Trapezmuskel(M. trapezius)
Deltamuskel(M. deltoideus)
Untergräten-muskel
(M. infraspinatus)
großer/kleiner runder Muskel
(M. teresmajor/minor)
dreiköpfigerArmstrecker
(M. triceps brachii)
breiter Rückenmuskel
(M. latissimus dorsi)
Rückansicht Vorderansicht
Schulterblatt-heber(M. levator scapulae)
Treppen-muskeln(Mm. scaleni)
Deltamuskel(M. deltoideus)
großer Brustmuskel(M. pectoralis major)
zweiköpfiger Armmuskel(M. biceps brachii)
vorderer Sägemuskel(M. serratus anterior)
breiter Rückenmuskel(M. latissimus dorsi)
Muskulatur des SchultergürtelsDen Schultergürtel erreichen zahlreiche Muskelnvon allen Seiten. Dadurch ist er sehr beweglich.Einige Muskeln setzen am Humerus (Oberarm-knochen) an, wodurch das funktionelle Zusam-menwirken zwischen Schlüsselbeingelenkenund Schultergelenk ermöglicht wird.
Muskulatur des ArmesDie Muskulatur des Armes wird in Ober- undUnterarmmuskulatur unterteilt.
OberarmmuskulaturDie Oberarmmuskulatur wird aus Beugern(Flexoren) und Streckern (Extensoren) gebildet.Wichtigster Beugemuskel ist der zweiköpfigeOberarmmuskel (M. biceps brachii). SeineFunktionen sind Flexion und Fixation des Ellen-bogengelenkes sowie Supination des Unterarmes.Der Gegenspieler (Antagonist) des M. biceps
brachii ist der dreiköpfige Oberarmmuskel(M. triceps brachii) – Strecker genannt. Erbewirkt die Extension des Unterarmes sowie dieFixation des Ellenbogengelenkes.
UnterarmmuskulaturDie Unterarmmuskeln lassen sich entsprechendihrer Funktion in vier Gruppen einteilen:PronatorenSie bewirken die Innenrotation von Hand undUnterarm, also die Drehung von Elle und Speichein der Längsrichtung nach innen (Pronation).SupinatorenSie ermöglichen die Außenrotation von Handund Unterarm, also die entgegengesetzte Dre-hung von Elle und Speiche in der Längsrichtung nach außen (Supination).FlexorenDie Flexoren liegen ulnar und palmar. Sie bewir-ken die Palmarflexion im Handgelenk undFlexion der Finger. ExtensorenDie Extensoren liegen radial und dorsal. Siebewirken die Dorsalextension im Handgelenkund Extension der Finger.
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 117
Die Schultergürtelmuskulatur dient • der Bewegung von Schultergürtel und Arm,• der Haltung und Fixation des Schultergürtels(✑ Tab. 5.3).
Merke
Flexorengruppefür Handgelenk
und Finger
Halteband derBeugersehnen
(Retinaculum flexorum)
Hohlhandsehne(Aponeurosis palmaris)
Extensorengruppefür Handgelenkund Finger
Halteband derStreckersehnen(Retinaculum extensorum)
Sehnenscheiden(Vaginae tendines)
Palmaransicht Dorsalansicht
Palmaransicht
Muskeln und Bänder von Unterarm und Hand. Abb. 5.30
Handmuskulatur Die herausragende Fähigkeit der menschlichenHand ist die Greiffunktion. Sie wird durch dieOppositionsfähigkeit des Daumens möglich, d. h., der Daumen kann den übrigen Fingerngegenübergestellt werden.Für diese Greiffunktion steht ein komplizierterMuskelapparat der Hand zur Verfügung:– 4 Muskeln des Daumenballens und– 4 Muskeln des Kleinfingerballens.
Innervation Die Muskulatur der oberen Extremitäten wirdvon Nerven versorgt, die aus dem Armgeflecht(Plexus brachialis) hervorgehen (N. radialis, N.ulnaris, N. medianus; ✑ Abb. 17.21, S. 358).
5.3.4 Beckengürtel und untere Extremität
Beckengürtel und untere Extremität haben Halte-und Stützfunktion. Deshalb sind hier die Kno-chen und Gelenke viel kräftiger ausgebildet alsbei Schultergürtel und der oberen Extremität.
Beckengürtel Der Beckengürtel stellt im Unterschied zumSchultergürtel einen geschlossenen Ring dar.Aufgaben– Verbindung der Beine mit dem Rumpf.– Übertragung der Körpermasse von der Wirbel-
säule auf die beiden Oberschenkelknochen, die
5 Stütz- und Bewegungssystem118
Unterarmmuskulatur.Abb. 5.31
Die im Unterarm liegenden Flexoren und Ex-tensoren (= lange Fingermuskeln) sind überlange Sehnen mit den Fingergrund-, Finger-mittel- und Fingerendgliedern verbunden. Dieseverlaufen im Bereich der Hand- und Finger-gelenke in Sehnenscheiden (= Gleitschutz).Haltebänder (Retinacula) fixieren die Sehnen-scheiden.
Merke
langer radialerHandstrecker(M. extensor carpiradialis longus)
kurzer radialerHandstrecker(M. extensor carpiradialis brevis)
langer Daumenabzieher(M. abductor pollicislongus)
kurzer Daumenstrecker(M. extensor pollicisbrevis)
Oberarm-speichenmuskel
(M. brachioradialis)
runder Einwärtsdreher(M. pronator teres)
langer Hohlhandmuskel(M. palmaris longus)
oberflächlicher Fingerbeuger
(M. flexor digitorumsuperficialis)
Knorrenmuskel(M. anconeus)
ulnarer Handstrecker(M. flexor carpi ulnaris)
radialer Handstrecker(M. flexor carpi radialis)
Kleinfingerstrecker(M. extensor digiti minimi)
Fingerstrecker(M. extensor digitorum)
ulnarer Handstrecker(M. flexor carpi ulnaris)
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 119
Vorgebirge(Promontorium)
Darmbeinkamm(Crista iliaca)
Kreuzbein(Os sacrum)
vorderer oberer Darmbeinstachel(Spina iliaca anterior superior)
vorderer unterer Darmbeinstachel(Spina iliaca anterior inferior)
Hüftgelenkpfanne(Acetabulum)
Hüftloch(Foramen obturatum)
Hüftbein(Os coxae)
Schambeinwinkel(Angulus pubis: 70°–75°)
Schambeinbogen(Arcus pubis: 90°–100°)
Hüftbein(Os coxae)
männliches Becken(Pelvis masculinum)
weibliches Becken(Pelvis femininum)
Darmbeinkamm(Crista iliaca)
vorderer oberer Darmbeinstachel(Spina iliaca anterior superior)
vorderer unterer Darmbeinstachel(Spina iliaca anterior inferior)
Hüftgelenkpfanne(Acetabulum)
Schambein(Os pubis)
hinterer obererDarmbeinstachel(Spina iliaca posteriorsuperior)
hinterer unterer Darmbeinstachel(Spina iliaca posteriorinferior)
Sitzbeinstachel(Spina ischiadica)
Darmbein(Os ilium)
Sitzbeinhöcker(Tuber ischiadicum)
Sitzbein(Os ischii)
Darmbeingrube(Fossa iliaca)
Darmbein-Kreuzbein-Gelenk(Articulatio sacroiliaca)
Schambeinhöcker(Tuberculum pubicum)
Hüftgelenkpfanne(Acetabulum)
Schambeinfuge(Symphysis pubica)
Bei den Darmbein-Kreuzbein-Gelenken sinddie Gelenkflächen unregelmäßig und inein-ander verkeilt. Die Gelenkkapsel ist sehreng, fest und durch Gelenkbänder vielfältigverstärkt. Eigentliche Bewegungen sindnicht möglich. Sie wirken federnd.
Hüftloch(Foramen obturatum)
Becken und Hüftbein. Abb. 5.32
(im Unterschied zum Schultergürtel) als stabi-ler Ring fest mit der Wirbelsäule verbunden sind.
– Gebärkanal. – Ansatz- und Ursprungsstelle von Bauch-,
Rücken- und Gesäßmuskeln.– Schutz der Beckenorgane.
KnochenDer Beckengürtel besteht aus 1 Kreuzbein (Os sacrum), 2 Hüftbeinen (Ossa coxae) sowie l Steißbein (Os coccygis). Jedes Hüftbein wiederum setzt sich aus drei mit-einander verwachsenen Knochen zusammen: – dem Darmbein (Os ilium), – dem Schambein (Os pubis) und – dem Sitzbein (Os ischii).
Knochenverbindungen • Darmbein-Kreuzbein-Gelenke (Iliosacralge-
lenke) verbinden die Hüftbeine im Bereich der Darmbeinschaufeln mit dem Kreuzbein. Wegen der sehr straffen, knappen Gelenkkap-sel sind praktisch keine Bewegungen möglich.Die Gelenke sind wichtig für die Elastizität des Beckens und die Federung der Wirbelsäule.
• Schambeinfuge (Symphysis pubica) verbindetdie beiden Hüftbeine im Bereich der Scham-beine mittels Faserknorpel.
Gestalt Das Becken ist trichterförmig gebaut. Der Innen-raum wird durch die Grenzlinie (Linea termina-lis), die vom Promontorium bogenförmig zumOberrand der Symphyse verläuft, gegliedert in– großes Becken oberhalb der Grenzlinie zwi-
schen den beiden Darmbeinschaufeln, – kleines Becken (= Beckenkanal) mit Becken-
eingang und Beckenausgang unterhalb der Grenzlinie und
– die Beckeneingangsebene (ist im Stand vorn nach unten geneigt).
Verbindet man die beiden Sitzbeinhöcker unddie beiden Bodenaustrittsöffnungen (After undHarnöffnung) durch eine Linie miteinander, ent-stehen zwei Dreiecke:– ventral das Trigonum urogenitale für den
Durchtritt der Harn- und Geschlechtsorgane;– dorsal das Trigonum rectale für den Durch-
tritt des Rectums.
Geschlechtsunterschiede – Männliches Becken: Untere Schambeinäste
bilden spitzen Winkel. Das männliche Becken ist hoch, schmal und eng.
– Weibliches Becken: Untere Schambeinäste bilden stumpfwinkligen Bogen. Das weibliche Becken ist flach, breit und weit.
Untere Extremität (✑ Tab. 5.4 und Abb. 5.34)
Alle Beinknochen sindRöhren-knochen. Der Oberschenkelkno-chen (Femur) ist dergrößte Knochen desMenschen. Sein Kopf(Caput femoris) istdurch den Schenkelhalsvom Schaft abgespreizt,wodurch der Schenkel-halswinkel (= Kollodia-physenwinkel) von ca.125 ° entsteht.
5 Stütz- und Bewegungssystem120
Beckenmaßprinzip.Abb. 5.33
großes Becken
kleines BeckenDurchtritt des Rectums(Trigonum rectale)
Durchtritt der Harn- und Geschlechtsorgane(Trigonum urogenitale)
Die Hüftgelenkpfanne (Acetabulum) wirdvon Teilen der Körper aller drei Teilknochendes Hüftbeines gebildet und besitzt einenhalbmondförmigen Gelenkknorpel.
Merke
Das stärkere Schienbein (Tibia) liegt medial,das schwächere Wadenbein (Fibula) lateral imUnterschenkel.
Merke
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 121
Oberschenkelkopf(Caput femoris)
Oberschenkelhals(Collum femoris)
kleiner Rollhügel(Trochanter minor)
Schaft des Oberschenkelknochens
(Corpus femoris)
innerer Gelenkknorren(Condylus medialis femoris)
innerer Gelenkknorren des Schienbeins
(Condylus medialis tibiae)
mittlerer Knöchel(Malleolus medialis)
großer Rollhügel(Trochanter major)
äußererObergelenkknorren(Epicondylus lateralisfemoris)
äußererGelenkknorren(Condylus lateralis femoris)
Gelenkknorren-grube(Fossa intercondylaris)
Schienbeinkörper(Corpus tibiae)
seitlicher Knöchel(Malleolus lateralis)
Malleolengabel
großer Rollhügel(Trochanter major)
Kniescheibe(Patella)
äußererGelenkknorren
des Schienbeins(Condylus lateralis tibiae)
Wadenbeinkopf(Caput fibulae)
Ansatzstelle desKniescheiben-
bandes(Tuberositas tibiae)
Wadenbeinkörper(Corpus fibulae)
Fußwurzelknochen(Ossa tarsalia)
Mittelfußknochen(Ossa metatarsi)
Zehenknochen(Ossa digitorum pedis)
Ventralansicht Dorsalansicht
Knochen der unteren Extremität. Abb. 5.34
5 Stütz- und Bewegungssystem122
Untere Extremität – Gliederung und Knochen.Tab. 5.4
Oberschenkel Unterschenkel Fuß (Pes)
Untere Extremität
Mittelfuß (Metatarsus)5 Mittelfußknochen(Ossa metatarsi = Metatarsalia I – V; I = Mittelfußknochen der Großzehe)
Zehen (Digiti)14 Zehenknochen(Ossa digitorum = Phalanges)
Fußwurzel (Tarsus)7 Fußwurzelknochenproximale Reihe• Sprungbein (Talus)• Fersenbein (Calcaneus)• Kahnbein (Os naviculare)
distale Reihe• mediales Keilbein (I)
(Os cuneiforme mediale)• mittleres Keilbein (II)
(Os cuneiforme intermedium)• laterales Keilbein (III)
(Os cuneiforme laterale)• Würfelbein (Os cuboideum)
2 Unterschenkelknochen• Schienbein (Tibia)• Wadenbein (Fibula)
1 Oberschenkelknochen(Femur)
Fersenbein(Calcaneus)
Sprungbein(Talus)
Würfelbein(Os cuboideum)
Längsgewölbe des Fußes
Zehengrundglied(Phalanx proximalis)
Zehenmittelglied(Phalanx media)
Zehenendglied(Phalanx distalis)
Kahnbein(Os naviculare)
Keilbeine(Os cuneiforme mediale, intermedium, laterale)
Mittelfußknochen(Ossa metatarsi I – V)
Zehenknochen(Phalanges)
Wadenmuskel(M. gastrocnemius)
Schienbein(Tibia)
Sprungbein(Talus)
Achillessehne(Tendo calcaneus)
Fersenbein(Calcaneus)
Fußknochen von cranial
Fußknochen von medial
Knochen des Fußes.Abb. 5.35
Malleolengabel (= Knöchelgabel) Sie wird vom inneren Knöchel derTibia und vom äußeren Knöchel derFibula gebildet. Aufgrund der Beteili-gung von zwei Knochen sind zusätzli-che Federwege eingebaut.
Knochenverbindungen, Bewegungs-möglichkeiten, Muskeln Am Beckengürtel und Bein befindensich drei große Gelenke: – Hüftgelenk (Art. coxae), – Kniegelenk (Art. genus) und – oberes Sprunggelenk (Art. talocru-
ralis).
Hüftgelenk (Art. coxae)Beteiligte Knochen bzw. Knochenteiledes Hüftgelenks sind Hüftgelenkpfannemit ausgeprägter Gelenklippe undkugelförmigem Oberschenkelkopf (= Hüftkopf).
Merkmale• Kugelgelenk mit eingeschränkter Beweglich-
keit (Nussgelenk), weil der Hüftkopf von der Hüftpfanne zu zwei Dritteln umschlossen wird. Daher geringe Luxationsgefahr und guteKnochenführung.
• Weite, derbe Kapsel, die auch den Oberschen-kelhals teilweise mit einschließt.
• Verstärkung durch sehr kräftige Bandstruk-turen (= Ligg. articulatio coxae – das stärksteBand des Menschen).
Kniegelenk (Art. genus)Das Knieglenk ist das größte Gelenk des Men-schen. Es erlaubt Bewegungen um zwei Haupt-achsen. Beteiligte Knochen bzw. Knochenteilesind Femur-Condylen und Tibia-Condylen sowiedie Patella.
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 123
Gelenklippe(Labrum acetabulare)
Hüftbein(Os coxae)
Hüftgelenkpfanne(Acetabulum)
Oberschenkelkopf(Caput femoris)
Gelenkkapsel(Capsula articularis)
Hüftgelenkbänder(Ligg. articulatio coxae)
Rechtes Kniegelenk. Abb. 5.37
Hüftgelenk. Abb. 5.36
vierköpfigerOberschenkelmuskel
(M. quadriceps femoris)
Sehne desM. quadricepsGelenkkapsel
(Capsula articularis)
Kniescheibe(Patella)
innerer MeniscusSynovialmembran
Schleimbeutel(Bursa synovialis)
Oberschenkelknochen(Femur)
Gelenkkapsel(Cavitas articularis)
vorderes Kreuzband(Lig. cruciatum anterior)
hinteres Kreuzband(Lig. cruciatum posterior)
innerer Meniscus(Meniscus medialis)
Außenband(Lig. collaterale fibulare)äußerer Meniscus
(Meniscus lateralis)Innenband
(Lig. collaterale tibiale)Kniekehlenmuskel
(M. popliteus)Schienbein
(Tibia)Wadenbein
(Fibula)
Rückansichtsagittal, medial
Merkmale• Drehscharniergelenk. • 4 Hauptbewegungen: Extension und Flexion,
Außen- und Innenrotation (nur in Beuge-stellung).
• Ungleichheiten der Gelenkflächen werden durch zwei halbmond- und keilförmigeMenisci (Innen- und Außenmeniscus) ausge-glichen. Jeder Meniscus ist durch kräftige Bänder mit der Gelenkkapsel verankert.
• Stabile Bandführung (z. B. vorderes und hinte-res Kreuzband zwischen den Femurcondylen, inneres und äußeres Seitenband).
• Sehr weite Kapsel.
Oberes Sprunggelenk (Art. talocruralis)Beteiligte Knochen bzw. Knochenteile des obe-ren Sprunggelenkes sind Sprungbein und Malle-olengabel. Ein aus 3 Teilen bestehendes Außen-und Innenband (Lig. deltoideum) sichert dieScharnierbewegung.Weitere Knochenverbindungen der Fußwurzelund des Fußes sind– unteres Sprunggelenk zwischen Sprung-,
Fersen- und Kahnbein (ermöglicht Ein- und Auswärtsdrehen des Fußes),
– Fußwurzel-Mittelfuß-Gelenke zwischen Fuß-wurzel und proximalen Enden der Mittelfuß-knochen,
– Zehengrundgelenke, – Zehenmittelgelenke (außer Groß-
zehe = Hallux, die kein Mittel-gelenk besitzt),
– Zehenendgelenke.Der Fuß besitzt je ein Quer- undLängsgewölbe, die durch Muskelnund Bänder gehalten werden.
Muskulatur und ihre FunktionenDie Muskeln im Bereich der Hüftregion ermög-lichen die verschiedensten Bewegungen desBeines wie Beugen, Strecken, Heranziehen,Spreizen und Rotationen. Der überwiegende Teilvon ihnen zieht über das Hüftgelenk direkt zumOberschenkel. Andere wiederum verlaufen überdas Kniegelenk zum Unterschenkel und ermög-lichen so die Bewegung von Hüft- als auch Knie-gelenk (z. B. Schneidermuskel).
Hüftmuskulatur1. Vordere Muskelgruppe
• Darmbein-Lenden-Muskel (M. iliopsoas). Funktion: Flexion im Hüftgelenk.
5 Stütz- und Bewegungssystem124
Das Kniegelenk erleidet häufig Verletzungen,da es am wenigsten durch Muskelmassen ge-schützt ist. Drehungen am Knie bei fixiertemUnterschenkel (Ski- und Fußballsport) lösenBandschäden aus. Sturz in senkrechter Rich-tung (Absprung) führen zu Tibiakopfbrüchen;direkte Gewalt (Autoarmaturenaufprall) zuPatella- oder supracondylären Femurfrakturen.
❑P
Durch schlaffe Bänder, durchMuskellähmungen und aufgrundschlechten Schuhwerks könnenGefügestörungen (= Deformitäten)auftreten, wie z. B.
Senkfuß: Längswölbung abgeflacht (als Extremform Plattfuß),
Hohlfuß: Längswölbung verstärkt, Spreizfuß: Querwölbung abgeflacht.
❑P
vorderes Kreuzband(Lig. cruciatum anterior)
Gelenkflächen des Schienbeinsäußerer Meniscus(Meniscus lateralis)
innerer Meniscus(Meniscus medialis)
hinteres Kreuzband(Lig. cruciatum posterior)
Kniegelenk (proximale Gelenkfläche – Schienbein).Abb. 5.38
Tiefe Hüftmuskeln. Abb. 5.39
kleiner Lendenmuskel1)
(M. psoas minor)
großer Lendenmuskel1)
(M. psoas major)
Darmbeinmuskel1)
(M. iliacus)
Leistenband(Lig. inguinale)
Kammmuskel(M. pectineus)
1) = Darmbein-Lenden-Muskel(M. iliopsoas)
2. Hintere Muskelgruppe• Großer Gesäßmuskel (M. gluteus maximus),• mittlerer Gesäßmuskel (M. gluteus medius), • kleiner Gesäßmuskel (M. gluteus minimus).Funktion: Extension, Abduktion, Adduktion im Hüftgelenk.
Oberschenkelmuskulatur1. Extensorengruppe
– Vierköpfiger Oberschenkelmuskel (M. qua-driceps femoris), besteht aus vier Teilmus-keln (für intramuskuläre Injektionen ist der M. vastus lateralis wichtig). Die gemeinsame
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 125
2) Diese Strecker (Extensoren) und der verdeckte mittlere Schenkelmuskel (M. vastus intermedius) werden unter dem Begriff vierköpfiger Oberschenkelmuskel (M. quadriceps femoris) zusammengefasst.
kleiner Lendenmuskel1)
(M. psoas minor)
großer Lendenmuskel1)
(M. psoas major)
Darmbeinmuskel1)
(M. iliacus)
Leistenband(Lig. inguinale)
Kammmuskel(M. pectineus)
langer Anzieher(M. adductor longus)
schlanker Muskel(M. gracilis)
Schneidermuskel(M. sartorius)
gerader Oberschenkel-
muskel2)
(M. rectus femoris)
äußerer Oberschenkel-
muskel2)
(M. vastus lateralis)
innerer Oberschenkel-
muskel2)
(M. vastus medialis)
vorderer Schienbeinmuskel
(M. tibialis anterior)
viereckigerLendenmuskel(M. gluteus medius)
großer Gesäßmuskel(M. gluteus maximus)
zweiköpfiger Oberschenkelmuskel(M. biceps femoris)
halbsehniger Muskel(M. semitendinosus)
halbmembranöser Muskel(M. semimembranosus)
Zwillings-wadenmuskel(M. gastrocnemius)
Achillessehne(Tendo calnaneus)
Kniescheibe(Patella)
langer Wadenbein-muskel(M. peroneus longus)
dreiköpfiger Wadenmuskel(M. triceps surae)
1) Diese Muskeln bilden denDarmbein-Lenden-Muskel(M. iliopsoas).
Untere Extremität – wichtige Muskeln. Abb. 5.40
5 Stütz- und Bewegungssystem126
Untere Extremität – Bewegungsmöglichkeiten.Abb. 5.41
Flexionim Hüftgelenk
Adduktionim Hüftgelenk
Extensionim Kniegelenk
Dorsal- undPlantarflexion
Streckbewegungim Hüft- undKniegelenk
Flexionim Kniegelenk
Adduktorenvorderer Schienbeinmuskel(M. tibialis anterior)
Zwillingswadenmuskel(M. gastrocneminus)
großer Gesäßmuskel(M. gluteus maximus)
vierköpfigerOberschenkelmuskel(M. quadriceps femoris)
zweiköpfigerOberschenkel-
muskel(M. biceps femoris)
Darmbein-Lenden-Muskel
(M. iliopsoas)
vierköpfigerOberschenkelmuskel(M. quadriceps femoris)
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 127
Deltoideus-Injektion
Einstichstelle:oberes mittleres Drittel
intragluteale Injektion
Einstichstelle(Crista-Methode nach
Sachtleben):beim Erwachsenen
3 Querfinger breit caudalder gedachten Linie
Mitte desDarmbeinkammes unddem großen Rollhügel
intragluteale Injektion
Einstichstelle(Methode nach von Hochstetter):ventraler Muskelbereich zwischen dem höchsten
Punkt des Darmbeinkammes, demgroßen Rollhügel und dem vorderen oberen
Darmbeinstachel
laterale Vastus-Injektion
Einstichstelle:Mitte des seitlichen
Oberschenkels
Deltamuskel(M. deltoideus)
höchster Punkt desDarmbeinkammes
(Crista iliaca)
vorderer obererDarmbeinstachel(Spina iliaca anterior
superior)
großer Rollhügel(Trochanter major)
Darmbeinkamm(Crista iliaca)
großer Rollhügel(Trochanter major)
äußerer Obergelenkknorren(Epicondylus lateralisfemoris)
großer Rollhügel(Trochanter major)
Intramuskuläre Injektionen – häufigste Verabreichungsorte. Abb. 5.42
Endsehne des Muskels, in die die Patella als Umlenkrolle vor dem Kniegelenkspalt ein-gelagert ist, setzt an der Tuberositas tibiae an.
– Schneidermuskel (M. sartorius) Funktion: Bewegung und Haltung im Hüft- und Kniegelenk.
2. Flexorengruppe– Zweiköpfiger Oberschenkelmuskel (M. bi-
ceps femoris) begrenzt die Kniekehle lateral.– Halbsehniger Muskel (M. semitendinosus)
begrenzt die Kniekehle medial. – Halbmembranöser Muskel (M. semimem-
branosus) begrenzt die Kniekehle medial. Funktion: Extension im Hüftgelenk und Flexion im Kniegelenk.
3. Adduktorengruppe – Schlanker Muskel (M. gracilis). – Kammmuskel (M. pectineus). – Langer Adduktor (M. adductor longus).
Funktion: Adduktion im Hüftgelenk.
Unterschenkelmuskulatur1. Extensorengruppe (vorn)
– Vorderer Schienbeinmuskel (M. tibialis anterior).Funktion: Dorsalflexion (Fußbewegung nachoben), Anheben der Zehen.
2. Flexorengruppe (hinten)– Dreiköpfiger Wadenmuskel (M. triceps
surae) über Achillessehne am Fersenbein-höcker befestigt. Er gliedert sich in Zwil-lingswadenmuskel (M. gastrocnemius), Schollenmuskel (M. soleus) und Fußsohlen-muskel (M. plantaris).Funktion: Plantarflexion, Supination des Fußes, Flexion im Kniegelenk (nur M. gastrocnemus).
Häufige Weichteilverletzungen des Beines sind:– Muskelzerrungen und Muskelfaserrisse. Oft
betroffen sind M. gastrocnemius und M. qua- driceps femoris.
– Achillessehnenverletzungen (Teil- oder kom-plette Risse).
Typisch für diese Verletzungen sind plötzlichauftretende akute Schmerzen und Funktions-störungen. Durch lockeres Aufwärmen vorsportlicher Betätigung wird der Stoffwechsel derMuskulatur aktiviert und die Dehnbarkeit derMuskelfasern verbessert, sodass das Verlet-zungsrisiko vermindert wird.
5.3.5 Kopf (Caput)
Der Kopf (Caput) ist durch den Hals gut beweg-lich mit dem Rumpf verbunden. Er befindet sichmit den wichtigsten Sinnesorganen an obersterStelle des menschlichen Organismus und hat soaußerordentlich große Bedeutung beim Er-kennen der Umwelt.
Schädel (Cranium)Der Schädel ist das Knochengerüst des Kopfes.Er dient als Schutz des Gehirns und wichtigerSinnesorgane. Hier beginnt auch der Verdau-ungs- und Atmungstrakt. Der Schädel gliedertsich in Gehirnschädel und Gesichtsschädel.
Gehirnschädel (Neurocranium)Am Gehirnschädel unterscheidet man dasSchädeldach, die innere und äußere Schädel-basis und die Schädelhöhle mit dem Gehirn. BeiSäuglingen ist der Gesichtsschädel durch diefehlende Kaufunktion (dadurch unvollständigausgebildete Kiefer) geringer ausgeprägt.
Knochen des Schädeldaches (Calvaria):– Scheitelbein (Os parietale), – Stirnbein (Os frontale), – Hinterhauptbein (Os occipitale).
Knochenverbindungen Die Knochen des Schädeldaches werden durchKnochennähte miteinander verbunden. Diewichtigsten sind: – Kranznaht (Sutura coronalis) zwischen Stirn-
bein und Scheitelbeinen, – Pfeilnaht (Sutura sagittalis) zwischen den
Scheitelbeinen,
5 Stütz- und Bewegungssystem128
Intramuskuläre Injektionen sind tiefe Injek-tionen in einen Muskel. Dafür gibt es im Wesent-lichen drei Verabreichungsorte (✑ Abb. 5.42):• Deltamuskel (M. deltoideus) an der Außen-
seite des Schultergelenks,• mittlerer Gesäßmuskel (M. gluteus medius)
im Bereich zwischen Darmbeinkamm und der Verbindungslinie zwischen vorderem und hinterem oberem Darmbeinstachel,
• seitlicher Oberschenkelmuskel (M. vastus lateralis) auf der Mitte einer gedachten Liniezwischen großem Rollhügel und äußerem Obergelenkknorren.
❑P
– Lambdanaht (Sutura lamb-doidea) zwischen Hinter-hauptbein und Scheitel-beinen,
– Stirnnaht zwischen den Stirnbeinen (beim Erwach-senen nicht mehr zu erken-nen).
Fontanellen Fontanellen sind straffe Binde-gewebsverbindungen, die nurbeim Neugeborenen vorhan-den sind. Sie verbinden dieSchädeldachknochen und er-möglichen eine Verschiebungder Knochen gegeneinander.Dies ist bedeutend für denGeburtsvorgang und das Schä-delwachstum. Das menschlicheNeugeborene hat 2 unpaarigeund 2 paarige Fontanellen.
Unpaarige Fontanellen– Vordere, große oder Stirn-
fontanelle an der Vereinigung
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 129
Scheitelbein(Os parietale)
Lambdanaht(Sutura lambdoidea)
Hinterhauptbein(Os occipitale)
Schläfenbein(Os temporale)
äußerer Gehörgang(Meatus accusticus externus)
Warzenfortsatz(Processus mastoideus)
Griffelfortsatz(Processus styloideus)
Kranznaht(Sutura coronalis)
Stirnbein(Os frontale)
Tränenbein(Os lacrimale)
Nasenbein(Os nasale)
Jochbein(Os zygomaticum)
Oberkiefer(Maxilla)
Unterkiefer(Mandibula)
Schädel. Abb. 5.43
Schädel (Ansicht von ventral). Abb. 5.44
Stirnbein(Os frontale)
Scheitelbein(Os parietale)
Schläfenbein(Os temporale)
Keilbein(Os sphenoidale)
Tränenbein(Os lacrimale)
Jochbein(Os zygomaticum)
Nasenbein(Os nasale)
Oberkiefer(Maxilla)
Unterkiefer(Mandibula)
von Kranz-, Pfeil- und Stirnnaht. Die rhom-benförmige Fontanelle schließt sich bis zum Ende des 2. Lebensjahres.
– Kleine oder Hinterhauptfontanelle an der Vereinigung von Pfeil- und Lambdanaht. Sie ist dreieckig geformt und schließt sich bis zumEnde des 1. Lebensjahres.
Paarige Fontanellen– Vordere Seitenfontanelle zwischen Stirnbein,
Scheitelbein und großem Keilbeinflügel.– Hintere Seitenfontanelle zwischen Scheitel-
bein, Hinterhauptsbein und Warzenfortsatz.
Schichten des SchädeldachesDas obere Schädeldach (Calvaria) besteht ausfünf Schichten (✑ Abb. 5.46): der äußerenKnochenhaut (Periost), der äußeren kompakten,der aufgelockerten und der inneren kompaktenKnochenschicht sowie der harten Hirnhaut. Mit dem äußeren Periost ist die Kopfschwarte (= funktionelle Einheit von Haut, Unterhaut undSehnenhaube) durch Bindegewebe verschiebbarverbunden.
Knochen der SchädelbasisDie Schädelbasis wird aus vier unpaarigen und einem paarigen Knochen gebildet.
Unpaarige Knochen • Stirnbein (Os frontale),• Keilbein (Os sphenoidale), • Siebbein (Os ethmoidale), • Hinterhauptbein (Os occipitale).
Paariger Knochen• Schläfenbein (Os temporale).Im Felsenbein des Schläfenbeines befinden sichGehör- und Gleichgewichtsorgan.
Innenrelief Die innere Schädelbasis weist eine Dreiteilungauf. – Die vordere Schädelgrube wird hauptsächlich
von Stirn- und Keilbein gebildet, liegt am höchsten undbeinhaltet Stirnlappen des Groß-hirns.
– Die mittlere Schädelgrube wird hauptsächlich vom Keilbein gebildet. Im Türkensattel des Keilbeines liegt die Hypophyse. Außerdem befinden sich im Bereich der mittleren Schä-
5 Stütz- und Bewegungssystem130
hintere kleine Fontanelle vordere große Fontanelle
vordere Seitenfontanelle
Stirnbein
Scheitelbein
Schläfenbeinhintere Seitenfontanelle
Hinterhauptbein
ScheitelbeinPfeilnahtHinterhauptbein
Fontanellen.Abb. 5.45
Beim Geburtsvorgang sind die beiden un-paarigen Fontanellen wichtig. Sie ermöglichen während der Geburt eine Verformung desSchädels beim Durchtritt durch den knöcher-nen Beckenring der Mutter.
❑P
Blutungen unter der Kopfschwarte könnenoberhalb oder unterhalb der Knochenhaut lie-gen.
❑P
delgrube Durchtritts-stellen für Hirnnerven sowie seitliche Teile der Schläfenlappen desGroßhirns und Teile des Mittelhirns.
– Die hintere Schädel-grube wird hauptsäch-lich vom Hinterhaupt-bein gebildet; liegt am tiefsten, beinhaltet Hirn-stamm und Kleinhirn.
Die Grenze zwischen vor-derer und mittlerer Schä-delgrube bilden die Hinter-kanten der beiden kleinenKeilbeinflügel. Mittlereund hintere Schädelgrubewerden durch das Felsenbein getrennt.
Gesichtsschädel (Viscerocranium) Der Gesichtsschädel besteht aus 3 großen und 11 kleinen Knochen.
Die drei großen Knochen sind – die paarigen Oberkieferknochen (Maxilla),– der Unterkiefer (Mandibula) und– das Stirnbein (Os frontale).
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 131
Schichten des Schädeldaches. Abb. 5.46
Kopfhautäußere
Knochenhaut(Pericranium)
äußere kompakte Knochenschicht
(Lamina externa)
aufgelockerte Knochenschicht
(Diploe)
innere kompakteKnochenschicht
(Lamina interna) harte Hirnhaut(Dura mater encephali)
venöser Blutleiter
vordereSchädelgrube(Fossa cranii anterior)
mittlereSchädelgrube(Fossa cranii media)
hintereSchädelgrube(Fossa cranii posterior)
Hahnenkamm(Crista galli)
Stirnbein(Os frontale)
Siebbein(Os ethmoidale)
Keilbein(Os sphenoidale)
Türkensattel(Sella turcica)
Schläfenbein(Os temporale)
Felsenbein(Pars petrosa)
großesHinterhauptloch(Foramen occipitale
magnum)
Hinterhauptbein(Os occipitale)
Schädelbasis. Abb. 5.47
Der Oberkiefer (Maxilla) steht als größterKnochen des Gesichtsschädels über zahlreicheFortsätze mit fast allen anderen Gesichtsschä-delknochen in Verbindung. Er ist an der Bildungvon Mund-, Nasen- und Augenhöhlen beteiligt.
Der Unterkiefer (Mandibula) besteht aus einemu-förmigen Körper, der an den Kieferwinkelnjeweils in einen Ast übergeht. Diese Äste endenmit zwei Fortsätzen, die als Muskelansatz dienenbzw. an der Bildung des Kiefergelenkes beteiligtsind.
Die 11 kleinen Knochen des Gesichtsschädelssetzen sich zusammen aus • 2 Jochbeinen (Ossa zygomatica),• 2 Tränenbeinen (Ossa lacrimalia),
• 2 Nasenbeinen (Ossa nasalia), • 1 Pflugscharbein (Vomer), • 1 Gaumenbein (Os palatinum),• 2 unteren Nasenmuscheln (die
mittleren und oberen gehören zum Siebbein) und
• 1 Siebbein (Os ethmoidale).
SchädelhöhlenZu den Schädelhöhlen gehören dieNasenhöhle (Cavitas nasi), dieAugenhöhlen (Orbitae) und dieMundhöhle (Cavitas oris).
Als Nasennebenhöhlen (Sinus para-nasales; ✑ Tab. 5.5) werden luftge-füllte Hohlräume in einigen Schä-delknochen bezeichnet. Sie dienender Masseverminderung und alsResonanzorgan, liegen in unmittel-barer Nähe der Nasenhöhle und ste-
hen mit ihr in Verbindung.
Kiefergelenk (Art. temporomandibularis)Die Gelenkpartner des Kiefergelenkes sind:– Unterkiefergrube (Fossa mandibularis) des
Schläfenbeins,– Gelenkkopf (Caput mandibulare) am Gelenk-
fortsatz (Proc. condylaris) des Unterkiefers,– dazwischen die Gelenkscheibe (Discus arti-
cularis), die das Gelenk in zwei Teilgelenke gliedert.
Die beiden Kiefergelenke wirken bei allen Kieferbewegungen zusammen. – Scharnierbewegung: Öffnen und Schließen
des Mundes,– Schlittenbewegung: Gleiten des Unterkiefers
nach vorn und wieder zurück,– Mahlbewegung (Rotation): Seitwärtsbe-
wegungen.
5 Stütz- und Bewegungssystem132
Schläfenbein(Os temporale)
Unterkiefergrube(Fossa mandibularis)
Gelenkscheibe(Discus articularis)
Gelenkkopf(Caput mandibulae)
Gelenkkapsel(Capsula articularis)
Warzenfortsatz(Proc. mastoideus)
Griffelfortsatz(Proc. styloideus)
Unterkieferast(Ramus mandibulae)
Kronenfortsatz(Proc. coronoideus)
Kiefergelenk.Abb. 5.48
Nasennebenhöhle Verbindung zur Nasenhöhle
Stirnhöhle (Sinus frontalis) im Stirnbein mittlerer Nasengang Kieferhöhle (Sinus maxillaris) im Oberkiefer mittlerer NasengangKeilbeinhöhle (Sinus sphenoidalis) im Keilbein über der oberen NasenmuschelSiebbeinzellen (Cellulae ethmoidales) im Siebbein mittlerer und oberer Nasengang
Verbindungen der Nasennebenhöhlen zur Nasenhöhle.Tab. 5.5
Der Gesichtsschädel ist über Stirn- und Sieb-bein mit der Schädelbasis verbunden.
Merke
Missbildungen des Gehirns führen auch zu Missbildungen des Schädels.❑P
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 133
Stirnmuskel(M. epicranius)
ringförmigerAugenmuskel
(M. orbicularis oculi)
Oberlippenheber(M. levator labii
superioris)
Nasenmuskel(M. nasalis)
Mundringmuskel(M. orbicularis oris)
Unterlippen-herabzieher
(M. depressor labiiinferioris)
Kinnmuskel(M. mentalis)
Mundwinkel-herabzieher
(M. depressor anguli oris)
Schläfenmuskel(M. temporalis)
hinterer Sehnen-haubenmuskel(M. epicranius)
großer Jochbein-muskel(M. zygomaticusmajor)
Kaumuskel(M. masseter)
Wangenmuskel(M. buccinator)
zweibäuchigerMuskel(M. digastricus)
Kopfwende-muskel(M. sternocleidoma-stoideus)
Kopfmuskulatur. Abb. 5.49
ringförmigerAugenmuskel
(M. orbicularis oculi)
kleiner Joch-beinmuskel
(M. zygomaticusminor)
großer Joch-beinmuskel
(M. zygomaticusmajor)
Lachmuskel(M. risorius)
Unterlippen-herabzieher
(M. depressor labiiinferioris)
Sehnenhaube(Galea aponeurotica)
Stirnmuskel(M. epicranius)
Nasenmuskel(M. nasalis)
Oberlippenheber(M. levator labii superioris)
Mundring-muskel(M. orbicularis oris)
Kinnmuskel(M. mentalis)
Mundwinkel-herabzieher(M. depressor anguli oris)
Gesichts- oder mimische Muskulatur. Abb. 5.50
Kopfmuskeln Als eigentliche Kopfmuskeln werden die Ge-sichts- oder mimischen Muskeln sowie dieKaumuskeln bezeichnet.
Gesichts- oder mimische MuskelnDie zahlreichen mimischen Muskeln liegen unterder Gesichtshaut, teils um die Körperöffnungen(Mund- und Lidspalte bzw. Nasen- und Ohröff-nung) und bilden die Grundlage der Wangen. Siesind meist mit dem einen Ende am Schädel undmit dem anderen in der Gesichtshaut befestigt.Diese Besonderheit ermöglicht neben ihrerprimären Funktion, die im Erweitern undVerengen der Körperöffnungen besteht, sekun-där die Bewegung der Gesichtshaut. Dadurchkönnen Falten und Grübchen hervorgerufen wer-den, die die Mimik (individueller Gesichtsaus-druck) ausmachen.Wichtige ringförmige mimische Muskeln im
Bereich der Körperöffnungen sind:– der ringförmige Augenmuskel (M. orbicularis
oculi) und – der Mundringmuskel (M. orbicularis oris).Alle Gesichtsmuskeln werden durch den Gesichts-nerv (N. facialis) innerviert.
KaumuskelnZu den Kaumuskeln im engeren Sinne gehören 4 Paar große Muskeln:– der Kaumuskel (M. masseter),– der Schläfenmuskel (M. temporalis),– der mittlere Flügelmuskel (M. pterygoideus
medialis) und– der seitliche Flügelmuskel (M. pterygoideus
lateralis).Diese Muskeln verlaufen vom Schädel zumUnterkiefer und wirken unmittelbar auf das
5 Stütz- und Bewegungssystem134
Schläfenmuskel(M. temporalis)• Kieferschließer –
zieht Unterkiefer zurück
Kaumuskel(M. masseter)• Kieferschließer
äußerer Flügelmuskel(M. pterygoideus lateralis)• Kieferöffner – zieht Unterkiefer nach vorn
mittlerer Flügelmuskel(M. pterygoideus medialis)• Kieferschließer
➠ ➠
➠
➠Kaumuskulatur.Abb. 5.51
Wegen der schlaffen Gelenkkapsel bestehtam Kiefergelenk die Gefahr der Verrenkung.❑P
Das Mienenspiel (= unwillkürliche Bewe-gungen der Gesichtsmuskeln) ist oft Ausdruckder Stimmungslage und Gemütsverfassung. Beizentraler und peripherer Lähmung der Gesichts-nerven treten charakteristische Ausfälle auf.
❑P
Kiefergelenk ein. Daneben gibt es noch weitere Muskeln (z. B. die Mundboden- und Halsmus-keln), die indirekt auf das Kiefergelenk wirken. Die Kaumuskeln werden durch den dreiteiligenNerv (N. trigeminus) innerviert.Funktion:Die Kaumuskeln dienen der Zerkleinerung derNahrung.
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 135
Beim Kauen wirken alle genannten Bewe-gungen in komplexer Weise zusammen. DasKiefergelenk wird deshalb als Dreh-Gleit-Schiebe-Gelenk bezeichnet.
Merke
1. Unterscheiden Sie aktiven und passiven Bewegungsapparat.2. Warum sind Knochen Organe?3. Welche Knochentypen gibt es? – Nennen Sie Beispiele.4. Beschreiben Sie den Feinbau eines Knochens.5. Welche Aufgaben hat die Knochenhaut?6. Wie erfolgt
a) das Längenwachstum, b) das Dickenwachstum eines Knochens?
7. Charakterisieren Sie kurz die verschiedenen Knochenverbindungen.Gehen Sie dabei auf das synoviale Gelenk näher ein.
8. Erklären Sie folgende Begriffe: a) Discus,b) Gelenklippe,c) Meniscus,d) Muskelfascie,e) Sehne,f) Sehnenscheide,g) Schleimbeutel,h) Sesambein.
9. Beschreiben Sie den makroskopischen und mikroskopischen Bau eines Skelettmuskels.10. Beschreiben Sie Kontraktion und Erschlaffung eines Skelettmuskels.11. Wie kommt die Totenstarre zustande?12. Unterscheiden Sie isotonische und isometrische Kontraktion.13. Wie kommt eine Dauerkontraktion (Tetanus) zustande?14. Was bedeutet, der Muskel geht eine „Sauerstoffschuld“ ein?15. Nennen Sie die Hauptaufgaben der Wirbelsäule.16. Nehmen Sie eine Gliederung der menschlichen Wirbelsäule vor.17. Beschreiben Sie die physiologischen Krümmungen der Wirbelsäule. Welche Bedeutung
haben sie?18. Fertigen Sie eine Skizze von einem Brust- oder Lendenwirbel an und beschriften Sie diese.19. Wo liegen die Bandscheiben und welche Funktion erfüllen sie?20. Welche Aufgaben hat der Brustkorb? Beschreiben Sie, wie er in seinem Bau diesen Auf-
gaben gerecht wird.21. Beschreiben Sie den Aufbau des Schultergürtels.22. Nehmen Sie eine Gliederung des Armes vor und ordnen Sie die entsprechenden Knochen zu.23. Beschreiben Sie kurz
a) Schultergelenk,b) Ellenbogengelenk,c) proximales Handgelenk.
Fragen zur Wiederholung
5 Stütz- und Bewegungssystem136
24. Führen Sie mit Ihrem Arm folgende Bewegungen aus, und benennen Sie die beteiligten Muskeln:a) Flexion und Extension. b) Abduktion und Adduktion.
25. Begründen Sie, warum das Schultergelenk relativ häufig auskugelt.26. Welche Gebilde befinden sich
a) in der Achselhöhle, b) in der Ellenbeuge?
27. Skizzieren Sie mit Hilfe von Strichen (= Knochen) und kleinen Kreisen (= Gelenke) ein Schema vom Handskelett.
28. Begründen Sie die Sonderstellung des Daumens.29. Nennen Sie die Aufgaben des Beckengürtels.30. Beschreiben Sie den Aufbau des Beckens als Ganzes.
Unterscheiden Sie männliches und weibliches Becken.31. Nehmen Sie eine Gliederung des Beines vor und ordnen Sie die entsprechenden Knochen
zu.32. Vergleichen Sie den Aufbau von Arm- und Beinskelett. Formulieren Sie eine Schluss-
folgerung.33. Beschreiben Sie kurz
a) Hüftgelenk,b) Kniegelenk,c) oberes Sprunggelenk.
34. Wo befinden sich a) Schenkelhals, b) Malleolengabel?
35. Erkunden Sie am eigenen Arm und Bein die Lage und die Funktion vona) Flexoren und Extensoren, b) Abduktoren und Adduktoren.
36. Wo befindet sich die Achillessehne, und welche Aufgabe hat sie?37. Prägen Sie sich genau die Stellen für intramuskuläre Injektionen ein und beschreiben Sie
sie.38. Unterscheiden Sie Kopf und Schädel.39. Beschreiben Sie den Aufbau des Hirnschädels.40. Unterscheiden Sie Nähte und Fontanellen. – Nennen Sie deren Aufgaben.41. Beschreiben Sie den Aufbau des Gesichtsschädels.42. In welchen Schädelknochen befinden sich Nasennebenhöhlen, und wie heißen diese?43. Welche mimischen Muskeln kennen Sie?
Welche Bedeutung haben die mimischen Muskeln für die Krankenbeobachtung?44. Erkunden Sie an sich selbst die in diesem Kapitel genannten tastbaren Knochenpunkte.
Fragen zur Wiederholung
Als Leibeswand wird die Begrenzung der Brust-,Bauch- und Beckenhöhle bezeichnet. Im Einzel-nen werden besprochen:• Brustwand, • Bauchwand,• Leistenregion, • Beckenboden.
6.1 Brustwand
Die Brustwand umschließt die Brusthöhle alseine steife Wand. Dies ist die Voraussetzung fürden rhythmischen Wechsel von Unterdruck (zurEinatmung) und Überdruck (zur Ausatmung) inder Brusthöhle. Die Skelettelemente sind inAbschnitt 5.3.2, S. 109 ff. beschrieben.
MuskelnZwischen den Rippen, also im Bereich der Zwi-schenrippenräume (Interkostalräume), liegen dieäußeren (Musculi intercostales externi) und dieinneren Zwischenrippenmuskeln (Musculi inter-costales interni). Sie haben die Aufgabe, bei der Ein- und Aus-atmung mitzuwirken.
6.2 Bauchwand
Die Bauchwand umschließt Bauch- und Becken-höhle. Man unterscheidet vordere-seitliche, hin-tere, obere und untere Bauchwand.
Vordere-seitliche BauchwandDie vordere und seitliche Bauchwand wird inneun Regionen unterteilt (✑ Abb. 7.4, S. 146).Sie besteht aus drei Schichten: – oberflächliche Schicht; Cutis und Subcutis, – mittlere Schicht; 4 paarige Bauchmuskeln und
ihre Aponeurosen (breite, flache Sehnen), – innere Schicht; Fascia transversalis1) und
Bauchfell.Zu den 4 paarigen Bauchmuskeln zählen dergerade Bauchmuskel (M. rectus abdominis), deräußere schräge Bauchmuskel (M. obliquus exter-nus abdominis), der innere schräge Bauchmuskel(M. obliquus internus abdominis) und der quereBauchmuskel (M. transversus abdominis).
137
6 Leibeswand und Beckenboden
1) Faszie zwischen der Innenfläche der Bauchwand und dem Bauchfell
Kopfwendemuskel(M. sternocleidomastoideus)
großerBrustmuskel(M. pectoralis major)
vorderer Sägemuskel(M. serratus anterior)
kleiner Brustmuskel
(M. pectoralis minor)
Brustbein(Sternum)
äußere Zwischenrippen-
muskeln(Mm. intercostales
externi)
innereZwischenrippen-
muskeln(Mm. intercostales
interni)
Brustwand.Abb. 6.1
Rektusscheide Die Aponeurosen der queren und schrägenBauchmuskeln bilden für die geraden Bauch-muskeln eine Führungs- und Gleithülle, die Rek-tusscheide genannt wird.
Aufgaben – Begrenzung der Bauchhöhle und Anpassung
an unterschiedliche Volumina der Bauchorgane,– Bauchpresse zur Druckerhöhung bei Stuhl-
gang, Husten, Entbindung, – Ausatemhilfsmuskel,– Rumpfhaltung und -bewegung,– Schutz der Bauchorgane.
Hintere BauchwandDie hintere Bauchwand wird ge-bildet von der Lendenwirbelsäule,dem äußeren schrägen Bauchmus-kel (M. obliquus externus abdomi-nis), dem viereckigen Lendenmuskel(M. quadratus lumborum), der tie-fen Rückenmuskulatur (M. erectorspinae) und dem unteren Teil desbreiten Rückenmuskels (M. latissi-mus dorsi).
Obere BauchwandDie obere Bauchwand ist dasZwerchfell (Diaphragma), das sichkuppelförmig zwischen Brustbein,den unteren sechs Rippen und derLendenwirbelsäule erstreckt. Estrennt die Brust- von der Bauch-höhle (✑ S. 145).
Untere BauchwandDer Beckenboden ist die untere Be-grenzung des Bauchraumes. Diestraffen Muskeln des Beckenbodenshalten die Eingeweide (✑ Kap. 6.4).
6.3 Leistenregion (Regio inguinalis)
Die Leistenregion befindet sich imWinkel zwischen geradem Bauch-muskel und Leistenband. Zu ihrgehören das Leistenband (Lig.inguinale), der Leistenkanal (Cana-lis inguinalis) und zwei Lücken inder Bauchwand (Lacuna vasorumund musculorum).
6 Leibeswand und Beckenboden138
gerade Bauchmuskeln
geradeBauchmuskeln
schrägeBauchmuskeln
Rumpfdrehen
Vorneigen
Anheben des Beckens
Muskelfunktionen in der Bauchregion.Abb. 6.2
Bauchdeckenreflexe sind wich-tige Schutzreflexe.❑P
Muskeln der vorderen und seitlichenBauchwand und Leistenregion.Abb. 6.3
gerader Bauchmuskel
(M. rectus abdominis)
querer Bauchmuskel
(M. transversus abdominis)
innerer schrägerBauchmuskel
(M. obliquus internus abdominis)
äußerer schrägerBauchmuskel
(M. obliquus externusabdominis)
Leistenband(Lig. inguinale)
Leistenband (Ligamentum inguinale)Das Leistenband erstreckt sich vomvorderen oberen Darmbeinstachel(Spina iliaca anterior superior) zumSchambeinhöcker (Tuberculum pu-bicum) neben der Symphyse. Es begrenzt somit die Leisten-gegend gegen den Oberschenkelund bietet eine zusätzliche Ansatz-stelle für die Bauchmuskeln.
Leistenkanal (Canalis inguinalis) Die beiden ca. 4 cm langen Leisten-kanäle sind schräge Durchtritt-stellen in der Bauchwand für wich-tige Gefäße oberhalb des Leisten-bandes neben der Symphyse (✑Abb. 6.5, S. 140).
FunktionBeim Mann verlagert sich kurz vorder Geburt der Hoden aus derBauchhöhle durch den Leistenkanalin den Hodensack (Descensustestis). Die geringere Temperaturaußerhalb des Körpers ist für diespätere Funktionsaufnahme eine unabdingbareVoraussetzung. Im männlichen Leistenkanal befindet sich derSamenstrang mit Samenleiter, Hodengefäßenund -nerven. Der weibliche Leistenkanal enthältdas runde Mutterband mit Gefäßen, welchesvom Uterus kommend durch den Leistenkanalzu den großen Schamlippen zieht.
Lacuna vasorum und musculorumBeide Lücken (oder Fächer) befinden sich unterhalb des Leistenbandes. Lacuna vasorum: liegt medial, Durchtritt von A. und V. femoralis, Lymphgefäßen und Nerven.Lacuna musculorum: liegt lateral, Durchtrittdes Hüftlendenmuskels (M. iliopsoas), N. femo-ralis und N. cutaneus femoris lateralis.
Schwachstellen der Leibeswand Besonders empfindlich ist die Bauchwand in derLeistengegend oberhalb und unterhalb des Leis-tenbandes, in der Nabelregion und am Zwerch-fell.
6.3 Leistenregion 139
geradeBauchmuskeln
äußere schrägeBauchmuskeln
innere schrägeBauchmuskeln
quereBauchmuskeln
weiße Linie(Linea alba)
Schematischer Verlauf der Bauchmuskeln. Abb. 6.4
Bei fehlender (= Bauchhöhlenhoden) oderunvollständiger (= Leistenhoden) Hodenwan-derung in den Hodensack muss dies bis zum 2. Lebensjahr medikamentös oder operativ behandelt werden.Wird das unterlassen, kann später die Spermio-genese (Entwicklung der Samenzelle) gestörtsein, und es besteht ein erhöhtes Krebsrisiko.
❑P
An den Schwachstellen der Bauchwandkönnen Brüche (= Hernien) entstehen. Untereinem Bruch versteht man den Vorfall vonEingeweideteilen, wie Darm, Harnblase, Netz,Ovarien (= Bruchinhalt), in eine Vorbuchtungdes Peritoneum parietale (= Bruchsack) durcheine Lücke der Bauchwand (= Bruchpforte). DasPeritoneum wird noch von der Haut (= Bruch-hülle) umgeben.Hernien können angeboren oder erworben sein.Von den vielfältigen Formen der Hernien sinddie Leistenhernien mit ca. 75 % die häufigsten.Hier tritt der Bruchsack mit Bruchinhalt durchden Leistenkanal und kann bis zum Hoden rei-chen.Die angeborene Leistenhernie tritt bei Jungenachtmal häufiger als bei Mädchen auf.
❑P
6.4 Beckenboden
Das Zwerchfell begrenzt den Bauchraum nachoben, und der Beckenboden schließt ihn nachunten ab. Dieser besteht aus den Dammmuskeln(Mm. perinei) und den dazugehörigen Fascien,die zwei Muskelplatten bilden:
– Eine 1 cm dicke Bindegewebs-Muskelplatte(Diaphragma urogenitale) zwischen den Scham-beinästen, gebildet von den queren Damm-muskeln und dem Harnröhrenschließmuskel;
– eine innere nach unten gewölbte trichter-förmige Muskelplatte (Diaphragma pelvis) desBeckenausgangs, gebildet vom Afterheber
6 Leibeswand und Beckenboden140
äußerer schrägerBauchmuskel
(M. obliquus externusabdominis)
äußerer Leistenring(Anulus inguinalis super-
ficialis)= äußere Öffnungdes Leistenkanals
Samenstrang(Funiculus spermaticus)
Oberschenkelarterie(A. femoralis)
Oberschenkelvene(V. femoralis)
Oberschenkelvene(V. femoralis)
Oberschenkelarterie(A. femoralis)
Muskelfach unter dem Leistenband(Lacuna musculorum)
Gefäßfach unter dem Leistenband
(Lacuna vasorum)
viereckigerLendenmuskel(M. quadratus lumborum)
Darmbeinmuskel(M. iliacus)
Leistenband(Lig. inguinale)
Oberschenkelnerv(N. femoralis)
Hüftnerv(N. obturatorius)
Leistenband(Lig. inguinale)
innerer Leistenring(Anulus inguinalis pro-fundus)= innere Öffnungdes Leistenkanals
Samenstrang(Funiculus spermaticus)
Äußere und innere Leistenregion beim Mann.Abb. 6.5
(M. levator ani) und äu-ßerem Afterschließmuskel.
Damm (Perineum)Als Damm wird die Gegendzwischen den äußeren Genital-organen und dem After(Anus) bezeichnet. Er liegtbei der Frau als schmalerHautbereich zwischen Scheide(Vagina) und Anus und beimMann als viel breiterer Be-reich zwischen dem dorsalenAnsatz des Hodensackes(Scrotum) und dem Anus.
Aufgaben derBeckenbodenmuskeln • Schließen den Beckenbodenraum ab und
tragen die inneren Organe.• Wirken bei der Bauchpresse und beim Husten
mit.• Sind Teil des Geburtskanals.• Sichern die Lage der Beckenorgane im
Beckenraum.• Wirken beim Verschluss von Harnröhre und
After mit. Teile der Beckenbodenmuskulatur bilden die äußeren willkürlichen Schließmus-keln von Harnröhre und After.
• Wirken bei der Verengung der Scheide mit.
6.4 Beckenboden 141
Scheide(Vagina)
Dammmuskeln(M. transversus perinei)
Damm (Perineum)
After(Anus)
Afterheber(M. levator ani)
äußerer willkürlicher
Afterschließmuskel(M. sphincter ani externus)
Steißbeinmuskel(M. coccygeus)
Kitzler(Clitoris)
äußereHarnröhrenöffnung(Ostum urethrae externum)
Beckenboden der Frau. Abb. 6.6
Durch den Beckenbodentreten von vorn nach hin-ten die folgenden Organe.Bei der Frau:Harnröhre, Scheide undMastdarm.Beim Mann:Harnröhre und Mastdarm.
Merke
Auf den Damm wirkenwährend der Geburt starkeKräfte, sodass es zu Ver-letzungen vor allem desAfterhebers (M. levator ani)kommen kann und später zuBeckenbodenschwäche mitden möglichen Folgen einesGebärmutter- oder Mast-darmvorfalls (Prolapsusuteri, Prolapsus recti). Umdem vorzubeugen, wird beiErstgebärenden und Früh-geburten bei Bedarf einDammschnitt (= Episio-tomie) durchgeführt.
❑PPenis
Hodensack(Scrotum)
Dammmuskeln(Mm. transversus perinei)
Damm (Perineum)
äußerer willkürlicherAfterschließmuskel
(M. sphincter ani externus)
After(Anus)
Afterheber(M. levator ani)
Steißbeinmuskel(M. coccygeus)
Beckenboden des Mannes. Abb. 6.7
6 Leibeswand und Beckenboden142
1. Beschreiben Sie den Aufbau der Brustwand.2. Benennen Sie die wichtigsten Brustmuskeln (mithilfe der Abbildung 6.1) und erklären Sie
ihre Aufgaben.3. Welche Bauchwandabschnitte sind zu unterscheiden, und woraus bestehen sie?4. Nennen Sie in der richtigen Reihenfolge die Schichten der vorderen Bauchwand. 5. Bestimmen Sie in den Abbildungen 69/S. 102, 6.3/S. 140 und 6.5/S. 142 die Bauch-
muskeln und nennen Sie ihre Aufgaben.6. Erkunden Sie in der Abb. 76 die Rückenmuskeln und nennen Sie deren Aufgaben. 7. Was verstehen Sie unter Rektusscheide? – Begründen Sie ihre Notwendigkeit.8. Was gehört zur Leistenregion?9. Wo verlaufen
a) Leistenband und b) Leistenkanal? 10. Was befindet sich
a) im männlichen und b) im weiblichen Leistenkanal? 11. Was bedeutet „Descensus testis“?12. Nennen Sie Schwachstellen der Bauchwand und bestimmen Sie diese in der Abb. 6.3/
S. 140 bzw. 6.5/142. 13. Beschreiben Sie den Aufbau des Beckenbodens.
Welche Organe treten in welcher Reihenfolge hindurch?14. Was versteht man unter dem Damm? – Beschreiben Sie seine Lage.15. Nennen und vergleichen Sie die Funktionen von Zwischenrippen-, Bauch-, Rücken- und
Beckenbodenmuskeln.
Fragen zur Wiederholung
Der von der Leibeswand umschlossene Innen-raum ist die Leibeshöhle. Diese wird durch dasZwerchfell scharf in Brust- und Bauchhöhlegetrennt. Im Allgemeinen ist es jedoch üblich,von drei großen Körperhöhlen zu sprechen: – der Brusthöhle, – der Bauchhöhle und – der Beckenhöhle (kleines Becken). Zwischen Bauch- und Beckenhöhle gibt es keinescharfe Grenze. Letztere ist anatomisch gesehenein Teil der Bauchhöhle.
Zwerchfell (Diaphragma)Das Zwerchfell trennt als kuppelförmige mus-kulös-sehnige Platte die Brusthöhle von derBauchhöhle. Es gliedert sich in einen sehnigenTeil (Centrum tendineum) und in drei muskulö-se Teile (Brustbein-, Rippen- und Lendenteil). Der sehnige Teil liegt zentral und bildet die rech-te etwas höher stehende und linke Zwerchfell-kuppel mit dem dazwischen liegenden Herzsat-tel. Alles zusammen bildet den horizontalen Teildes Zwerchfelles.
Die Zwerchfellmuskeln entspringen peripher ander Innenfläche des Schwertfortsatzes und der 7. – 12. Rippe sowie am 1. – 3. Lendenwirbelund verlaufen nach oben zum Centrum tendine-um. Dadurch stülpt sich das Zwerchfell weit inden Brustraum hinein, und die ihm anliegendenBauchorgane (Leber, Magen, Milz, Nebennieren,Nieren) müssen den Auf- und Abbewegungenbei der Atmung folgen. Folgende Durchtrittstellen sind wichtig: – Aortenschlitz (Hiatus aorticus) im Lenden-
teil für die Aorta und den Milchbrustgang (Ductus thoracicus),
– Speiseröhrenöffnung (Hiatus oesophageus) im Lendenteil für Speiseröhre und Vagus-nerven,
– Hohlvenenöffnung (Foramen venae cavae) im Centrum tendineum für die V. cava inferior.
7.1 Brusthöhle (Cavitas thoracis)
Die Brusthöhle liegt innerhalb des Brustkorbesund beherbergt die Brustorgane. Sie wird vonaußen wie folgt begrenzt:• vorn: Brustbein, Rippen, • seitlich: Rippen, • hinten: Rippen und Brustwirbelsäule,• unten: Zwerchfell, • oben: obere Thoraxöffnung.
Gliederung und Lage der Brustorgane Die Brusthöhle wird durch einen Bindegewebs-raum, Mediastinum (Mittelfellraum), in die rech-te und linke Pleurahöhle unterteilt. Jede Pleura-höhle enthält eine Lunge (✑ S. 83 und 220). ImMediastinum liegt als 3. Höhle der Herzbeutel(Perikardhöhle) mit dem Herzen.
Mittelfellraum (Mediastinum)Das Mediastinum ist der mittlere Brustraum. Eserstreckt sich vom Sternum bis zu den Brust-wirbelkörpern und wird seitlich von den Pleu-rahöhlen begrenzt. Caudal endet es am Zwerch-fell und cranial geht es ohne scharfe Grenze inden Bindegewebsraum des Halses über.
Gliederung und OrganeDas Mediastinum gliedert man in:Oberes Mediastinum – zwischen Luftröhren-gabel (Bifucatio tracheae) und Hals.Organe:• Thymus,• große Venen (V. cava superior, Vv. brachio-
cephalicae),• große Arterien (Truncus pulmonalis, Aorten-
bogen mit seinen Abgängen),
143
7 Die großen Körperhöhlen
Bei Zwerchfellbrüchen (Hiatushernien) tre-ten Magen- und Darmteile in den Brustraum.❑P
Das Mediastinum ist in erster Linie eineDurchgangsregion für die Luft- und Speise-röhre sowie Nerven, Blut- und Lymphgefäße.Es enthält nur 2 eigenständige Organe: dasHerz und den Thymus (bildet sich nach derPubertät zum thymischen Fettkörper zurück).
Merke
• Vagusnerven,• Endabschnitt der Luftröhre,• Lymphknoten,• Teil der Speiseröhre.Unteres Mediastinum – zwischen Bifucatio tracheae und Zwerchfell. Es wird weiter unter-teilt in• vorderes Mediastinum: zwischen Brustbein und
Herzbeutel (= schmaler bindegewebiger Spalt),• mittleres Mediastinum: es enthält das Herz mit
dem Herzbeutel sowie den Zwerchfellnerv (N. phrenicus),
• hinteres Mediastinum: es enthält die Speise-röhre und zahlreiche Leitungsbahnen (u. a. Vagusnerven, Brustaorta, Brustlymphgang,Sympathicus).
7.2 Bauchhöhle (Cavitas abdominalis)
Als Bauchhöhle wird der Hohlraum bezeichnet,in dem sich die Bauch- und Beckenorgane be-finden.Sie wird folgendermaßen begrenzt:• vorn: vordere Bauchwand, Rippenbögen, • seitlich: seitliche Bauchwand, Rippenbögen,
Darmbeinschaufeln, • hinten: Lendenwirbelsäule, hintere Bauch-
wand,• unten: Beckeneingangsebene (keine schar-
fe Grenze), • oben: Zwerchfell.
Die Bauchhöhle ragt weit in den knöchernenThorax hinein, sodass z. B. die Leber unter demrechten und der Magen unter dem linkenRippenbogen liegen.
7.2.1 Bauchfell (Peritoneum, ✑ Abb. 7.3)
Das Bauchfell mit einer Gesamtoberfläche vonca. 1,6 m2 bildet die innere Begrenzung derBauchhöhle. Als seröse Höhle (✑ S. 86) gliedertsie sich in:– wandständiges Bauchfell (Peritoneum parieta-
le), welches Bauch- und Beckenwand sowie die Unterseite des Zwerchfelles bedeckt;
– eingeweideseitiges Bauchfell (Peritoneum viscerale), welches einen großen Teil der Bauch- und Beckenorgane überzieht.
Zwischen dem Peritoneum parietale und viscera-le können sich die Organe verschieben.
Um die einzelnen Organe verschiebbar mitein-ander zu verbinden und zu fixieren, bildet dasBauchfell Falten, Taschen, Nischen und Auf-hängebänder.
1. BauchfellduplikaturenDas sind dünne Bindegewebsplatten mit Blut-gefäßen, die mit Bauchfell überzogen sind. Sieverbinden Leber, Magen, Milz und quer verlau-fenden Dickdarm untereinander und mit derBauchwand.– Das kleine Netz (Omentum minus) verbindet
Magen, Duodenum und Leberpforte.– Das große Netz (Omentum majus) ist am quer
verlaufenden Dickdarm und der großen Magenkrümmung befestigt und bedeckt schürzenartig die im Unterbauch liegendenDarmabschnitte. Es erfüllt Abwehr-, Resorp-tions- und Speicherfunktion.
7 Die großen Körperhöhlen144
Entzündungen des Bauchfells (Peritonitis) sind sehr schmerzhaft und heben die Gleitfunk-tion auf.
❑P
Kleines Netz (Omentum minus), dorsal. Abb. 7.1
Magen(Gaster)
kleines Netz(Omentum minus)
Leber(Hepar)
Zwölffingerdarm(Duodeum)
Teil desMesenteriums mit Blutgefäßen und
LymphknotenDünndarm
(Intestinum tenue)
Lymphknoten
2. BauchfelltaschenZu den Bauchfelltaschen gehören– der Netzbeutel (Bursa omenta-
lis) hinter Magen und kleinem Netz; einziger Zugang ist das Foramen omentale unten rechts,
– die Excavatio rectouterina(= Douglas’scher Raum) als dertiefste Punkt des Bauchfellszwischen Mastdarm und Ge-bärmutter bei der Frau,
– die Excavatio vesicouterinazwischen Gebärmutter und Harnblase (Frau),
– die Excavatio rectovesicaliszwischen Mastdarm und Harn-blase (Mann).
3. Gekröse Gekröse sind Bauchfellduplika-turen, die durch das Umschlagendes Peritoneum parietale von derKörperhöhlenwand auf das Organentstehen. Sie werden mit „Mes“plus dem Fachnamen des Organsbezeichnet, z. B. Magen: Mesogastricum, Dickdarm: Mesocolon, Dünndarm: Mesenterium,Eileiter: Mesosalpinx.
7.2 Bauchhöhle (Cavitas abdominalis) 145
großes Netz(nach oben gelegt)
quer verlaufenderGrimmdarm
(Colon transversum)
absteigender Grimmdarm
(Colon descendens)
Dünndarmgekröse(Mesenterium)Dünndarm
(Intestinum tenue)
s-förmiger Grimmdarm
(Colon sigmoideum)
Dünndarmgekröse (Mesenterium). Abb. 7.2In den Bauchfelltaschen kann
sich bei Entzündungen undinneren Blutungen Eiter bzw.Blut ansammeln (z. B. Douglas-Abszesse).
❑P
Medianschnitt durch den weiblichen Bauchraummit Verlauf des Bauchfells (grün). Abb. 7.3
kleines Netz(Omentum minus)
Netzbeutel(Bursa omentalis)
Bauchspeicheldrüse(Pankreas)
Magen(Gaster)
Gekrösewurzel(Radix mesenterii)
quer verlaufender Grimmdarm
(Colon transversum)
Peritoneum parietale
Dünndarmgekröse(Mesenterium)
großes Netz(Omentum majus)
Gebärmutter(Uterus)
Douglas’scher Raum
(Excavatio rectouterina)
Harnblase(Vesica urinaria)
Excavatio vesicouteria
Leber(Hepar)
Zwerchfell(Diaphragma)
Mastdarm(Rektum)
Scheide(Vagina)
Die Gekröse haben 2 Haupt-aufgaben:• Sie enthalten die Blut- und
Lymphgefäße sowie vege-tative Nerven zur Versor-gung des Organs.
• Sie dienen der Fixierung bzw. Aufhängung der sack-artig umhüllten Organe.
Merke
7.2.2 Lage der Bauchorgane
Die Lage der Bauchorgane lässt sich einerseitsdurch ihre Beziehung zum Peritoneum und ande-rerseits aus räumlichen Gesichtspunkten be-schreiben.
Je nachdem, ob das Organ innerhalb oder au-ßerhalb des Peritoneums liegt, unterscheidet man:
Intraperitoneale LageDie Organe sind vom Peritoneum bis auf ihreMesos umhüllt und somit gut gegeneinanderverschiebbar.Beispiel: Leber, Magen, Milz, Darm (ausgenommen:Duodenum, Colon ascendens und descendens,Rektum), Uteruskörper, Eileiter und Eierstöcke.
Retroperitoneale LageDie Organe sind nur auf einer Seite vom Perito-neum bedeckt, d. h., sie liegen zwischen Perito-neum und hinterer Bauchwand im Retroperito-nealraum.Beispiele:Nieren, Harnblase, Bauchspeicheldrüse, Duo-denum, Colon ascendens und descendens.
Extraperitoneale LageDie Organe haben keine Beziehung zum Perito-neum.Beispiele:Vorsteherdrüse, Samenblasen.
Nach räumlichen Gesichtspunkten wird die Bauchhöhle durch den quer verlaufenden Dick-darm in Ober- oder Drüsenbauch und Unter- oder Darmbauch gegliedert.
Der Raum zwischen Peritoneum parietale und hinterer Bauchwand wird als Retroperitoneal-raum bezeichnet. Die Beckenhöhle liegt als Teil der Bauchhöhle unterhalb der Beckenein-gangsebene und erstreckt sich bis zum Becken-ausgang.
Oberbauch (= Drüsenbauch)Die Oberbauchorgane liegen oberhalb des querverlaufenden Dickdarms (✑ Tab. 7.1).
Unterbauch (= Darmbauch)Die Organe des Unterbauches liegen unterhalbdes quer verlaufenden Dickdarms. Zu ihnengehören der Leerdarm (Jejunum), der Krumm-darm (Ileum) und Dickdarmabschnitte.
7 Die großen Körperhöhlen146
Regionen der vorderen und seitlichen Bauchwand.Abb. 7.4
rechteRippenbogenregion
(Regio hypochondriaca dextra)
rechte Lendenregion(Regio lateralis dextra)
Nabelregion(Regio umbilicalis)
rechte Leisten- oderDarmbeinregion
(Regio inguinalis dextra)
Schambeinregion(Regio pubica)
linkeRippenbogenregion(Regio hypochondriaca sinistra)
Magengrube(Regio epigastrica)
linke Lendenregion(Regio lateralis sinistra)
Nabel(Umbilicus)
linke Leisten- oder Darmbeinregion(Regio inguinalis sinistra)
RetroperitonealraumDer Retroperitonealraum liegt zwischen Perito-neum parietale und hinterer Bauchwand. Nachcaudal reicht er bis zum Beckeneingang. Er istwie das Mediastinum, die seitliche Halsgegendund die Achselhöhlen eine wichtige Durchgangs-und Verteilungsregion für Gefäße und Nerven.
Seine Begrenzungen sind• vorn: Peritoneum parietale, • hinten: hintere Bauchwand, • oben: Zwerchfell, • unten: Beckeneingang.
Organe Der Retroperitonealraum beherbergt folgendeOrgane:– Nieren (Renes) zwischen 12. Brust- und 3. Len-
denwirbel beidseits der Lendenwirbelsäule;– Harnleiter (Ureter) links und rechts der Len-
denwirbelsäule; – Nebennieren (Glandulae suprarenales) auf den
oberen Nierenpolen; – Bauchaorta (Pars abdominalis aortae) links
von der Lendenwirbelsäule;
7.2 Bauchhöhle (Cavitas abdominalis) 147
Oberbauchorgane Lage
Magen (Ventriculus, Gaster)
Zwölffingerdarm (Duodenum)Bauchspeicheldrüse (Pankreas)Milz (Lien) Leber (Hepar)
3/4 unter dem linken Rippenbogen,1/4 in der Magengrube (Regio epigastrica)oberhalb der Nabelgegendzwischen Magen- und Nabelgegendlinke Rippenbogengegend (durch Magen und Darm verdeckt)rechte Rippenbogengegend (rechter Lappen) und in der Magengrube (linker Lappen)
Lage der Bauchorgane. Tab. 7.1
Organe im Retroperitonealraum. Abb. 7.6
Intraperitoneale Organe. Abb. 7.5
Unter einem „akuten Bauch“, wie er in der Klinik genannt wird, werden akute und oftlebensbedrohliche Erkrankungen der Bauch-höhle verstanden, die umgehend ärztlichesEingreifen erfordern. Als Ursachen kommen z. B. infrage: Darmverschluss (Ileus), Blutun-gen, Organperforationen und Infektionen.
Typische Leitsymptome sind – harte Bauchdecke, – starke Schmerzen, – Erbrechen, Übelkeit, – evtl. Fieber.
❑P
Leber(Hepar)
Magen(Gaster)
Grimmdarm(Colon)
Leerdarm(Jejunum)
Krummdarm(Jleum)
Bauch-speicheldrüse
(Pankreas)
Niere(Ren)
Zwölffinger-darm
(Duodenum)
untere Hohlvene
(V. cava inferior)
Bauchaorta(Pars abdominalis
aortae)
Harnleiter(Ureter)
Harnblase(Vesica urinaria)
– untere Hohlvene (V. cava inferior) rechts der Lendenwirbelsäule;
– Lymphstämme beidseits der Bauchaorta;– Lymphknotengruppen längs der großen Ge-
fäße und– Nervengeflechte vom Hiatus aortae bis zur
Aortengabel.
7.3 Beckenhöhle
Der Raum im kleinen Becken wird als Becken-höhle bezeichnet. Sie liegt zwischen Beckenein-gangsebene und Beckenboden.
Begrenzung • seitlich und vorn: Hüftbeine, • hinten: Kreuz- und Steißbein, • unten: Beckenboden, • oben: Beckeneingangsebene.
Organe (= Beckenorgane)Mann/Frau: Harnblase (hinter Symphyse), Mast-
darm (vor Kreuz- und Steißbein), Frau: Eierstöcke, Eileiter, Gebärmutter,
Scheide, Mann: Samenleiter, Samenblasen, Vor-
steherdrüse.
7 Die großen Körperhöhlen148
Retroperitonealraum und Mediastinum sindwichtige Durchgangs- und Verzweigungs-regionen für Gefäße und Nerven.
Merke
1. Welche Körperhöhlen werden von der Leibeswand umschlossen?2. Wie heißt die Grenze zwischen Brust- und Bauchhöhle?3. Wie wird die Brusthöhle begrenzt?4. Nehmen Sie eine Gliederung der Brusthöhle vor, und ordnen Sie die entsprechenden
Organe zu.5. Was verstehen Sie unter dem Mediastinum? Wie wird es gegliedert?6. Wie wird die Bauchhöhle begrenzt?7. Beschreiben Sie Bau und Aufgaben des Bauchfells.
Nennen Sie die wichtigen Bildungen des Bauchfells und deren Bedeutung.8. Wo befindet sich der Douglas’sche Raum und welche Bedeutung hat er?9. Was verstehen Sie unter dem Mesenterium?
10. Was ist der Retroperitonealraum? Wo liegt er?
11. Nennen und erläutern Sie die Lagebeziehung der Organe zum Bauchfell.12. Wie wird die Beckenhöhle begrenzt?13. Nehmen Sie eine Gliederung in Oberbauch-, Unterbauch- und Beckenorgane vor.14. Auf welche Regionen der vorderen Bauchwand projizieren sich die Bauch- und Becken-
organe? – Fertigen Sie eine Skizze an.
Fragen zur Wiederholung
Der Hals (Collum) verbindet den Kopf mit demRumpf. Er gewährleistet die relativ freie Be-weglichkeit des Kopfes als eine wichtige Vor-aussetzung für die Orientierung im Raum.
8.1 Bau (✑ Abb. 8.1)
Der Hals besteht aus der dorsal gelegenen, sehrgut beweglichen Halswirbelsäule, den Hals-muskeln, den Halseingeweiden mit Luftröhre(✑ S. 219), Speiseröhre (✑ S. 239), Rachen (✑ S. 214), Kehlkopf (✑ S. 216), Schilddrüseund Nebenschilddrüsen (✑ S. 301) sowie denbeiden Gefäß-Nerven-Strängen.
Am Hals sind folgende Teile äußerlich zu erken-nen bzw. zu tasten:• Vordere Halsgegend– Zungenbein (Os hyoideum), – Drosselgrube (über dem Manubrium sterni),– Schildknorpel („Adamsapfel“), – Ringknorpel, – Schilddrüse,– Hauthalsmuskel (Platysma), eine breite, dünne
Muskelplatte, die die Gesichtshaut mit deroberen Brusthaut verbindet und die Haut des Halses spannt.
• Seitliche Halsgegend– Halsschlagader-Dreieck (Trigonum caroticum)
→ Puls der A. carotis communis, – Kopfwendemuskel (M. sternocleidomastoideus),– äußere Drosselvene (V. jugularis externa).
• Hintere Halsgegend (= Nackengegend)– Dornfortsätze der Halswirbel, wichtig:
C7 als Tastpunkt (Zählwirbel ✑ S. 105),
– Trapezmuskel (M. trapezius) als oberflächli-cher Halsmuskel.
Darunter liegt eine Vielzahl tiefer Halsmuskeln,die teilweise auf den Kopf bzw. Rumpf überge-hen. Speise- und Luftröhre bilden die Grenzezwischen vorderen und hinteren Halsmuskeln.Zu den vorderen Halsmuskeln zählen z. B. derflächige Hautmuskel (Platysma), der Kopfwen-demuskel (M. sternocleidomastoideus) und derSchlüsselbein-Zungenbein-Muskel (M. sterno-hyoideus). Zu den hinteren Halsmuskeln ge-hören u. a. die Gruppe der Treppenmuskeln (Mm.scaleni), die auch als Atemhilfsmuskeln fungie-ren, und der Trapezmuskel (M. trapezius).
Die Halsmuskeln ermöglichen– Hautbewegungen (Hauthalsmuskel), – Hals- und Kopfbewegungen
(Kopfwender, Treppenmuskeln),– Kauen und Schlucken,– Kehlkopfbewegungen.
8.2 Leitungsbahnen
1. ArterienVom Aortenbogen kommend durchqueren linksund rechts zwei große Arterien den Hals.– Die rechte und linke gemeinsame Halsarterie
(A. carotis communis dextra und sinistra), welche sich jeweils in eine innere und äußere Kopfarterie (A. carotis interna und externa) teilen, und
– die rechte und linke Schlüsselbeinarterie(A. subclavia dextra und sinistra).
Beachte: Hals- und Schlüsselbeinarterie ent-springen links getrennt aus dem Aortenbogen,rechts mit einem gemeinsamen Stamm, demTruncus brachiocephalicus (✑ Abb. 9.27 – 9.29,S. 181 – 183).Die rechte und linke Wirbelarterie (A. vertebra-lis) entspringen aus der rechten bzw. linkenSchlüsselbeinarterie, verlaufen in den Querfort-satzlöchern der Halswirbel und gelangen durchdas große Hinterhauptloch in die Schädelhöhle(✑ Abb. 9.28, S. 182).
149
8 Hals (Collum)
Die V. jugularis externa ist für intravenöseInjektionen gut geeignet.
Alle Hautvenen stehen unter dem Sog des Brust-raumes, sodass bei ihrer Öffnung die Gefahrder Luftembolie besteht.
❑P
In der Wand der A. carotis communis befindensich zwei Stellen mit Sinneszellen.• Sinus caroticus mit Pressorezeptoren zur
Blutdruckmessung (= kleine Erweiterung nahe der Teilungsstelle in A. carotis interna und externa).
• Glomus caroticum mit Chemorezeptoren zur Messung von pO2, pCO2, pH-Wert (Körper-chen im Teilungswinkel der A. carotis com-munis).
2. VenenAußer den Hautvenen durchziehen den Hals alsBegleitvenen der großen Arterien die V. subcla-via und V. jugularis interna (gehört zu denstärksten Venen des Menschen). Beide Venenbilden die sog. Venenwinkel, in die die Lymph-stämme einmünden (✑ Abb. 9.33, S. 185).
3. Lymphgefäße und Lymphknoten (✑ Abb. 9.37, S. 189)
Im Hals treffen die Lymphbahnen von Kopf,Hals und Rücken sowie der Arme und Brust-wand zusammen. Deshalb sind der vordere undseitliche Halsbereich regelrecht mit Lymph-knoten durchsetzt.
Die Halslymphknoten werden in oberflächlicheund tiefe unterteilt. Aus den tiefen Halslymph-knoten gelangt die Lymphe rechts in den Ductuslymphaticus dexter und links in den Ductus thoracicus.
4. NervenFür Nerven ist der Hals ebenfalls Durchgangs-und Verteilerregion. Sie bilden mit den Gefäßenden Gefäß-Nerven-Strang, bestehend aus A. carotis communis, V. jugularis interna und N. vagus.
Im Hals liegen:– 4 Hirnnervenpaare (Hirnnerven IX bis XII,
✑ S. 356 – 357 und Abb. 17.20, S. 355), – Halsnervengeflecht (✑ S. 357), – Armnervengeflecht (✑ S. 357), – Halssympathicus (liegt hinter dem Gefäß-
Nerven-Strang; ✑ S. 365).
8 Hals (Collum)150
Bei degenerativen Veränderungen der Hals-wirbelsäule mit Einengung der Querfortsatz-löcher können infolge Minderdurchblutung des Innenohres Gleichgewichts- (Schwindel)und Hörstörungen auftreten.
Bei Schlag gegen den Hals oder überempfind-lichem Karotissinus1) kann es durch Reizungder Pressorezeptoren zu plötzlichem Blut-druckabfall mit Ohnmachtsanfall (Synkopen)kommen.
❑P
V. subclavia und V. jugularis interna eignen sich sehr gut für intravenöse Infusionen (zent-raler Venenkatheter), da es kaum Strömungs-hindernisse gibt, der Weg zum Herzen nur kurzund ein Katheter hier gut verschiebbar ist.
❑P
Der Hals ist neben Achselhöhle und Leisten-gegend eine weitere wichtige Lymphknoten-station.
Merke
1) Erweiterung der A. carotis communis an ihrer Teilungsstelle
Im Halsbereich verlaufen viele wichtigeStrukturen, sodass Veränderungen sich aufden ganzen Körper auswirken können (Blut-versorgung des Gehirns, Nervenversorgung,Atmung, Nahrungsaufnahme, Lymphabflussu. a.).
Merke
8.2 Leitungsbahnen 151
Hauthalsmuskel(Platysma)
Luftröhre(Trachea)
rechte gemeinsame Halsarterie
(A. carotis communis dextra)
rechte Wirbelarterie(A. vertebralis dextra)
innere Drosselvene(V. jugularis interna)
äußere Drosselvene(V. jugularis externa)
Schlüsselbeinvene(V. subclavia)
obere Hohlvene(V. cava superior)
Griffel-Zungenbein-muskel
(M. stylohyoideus)
Zungenbein(Os hyoideum)
Schlüsselbein-Zungenbein-Muskel
(M. sternohyoideus)
Kopfwendemuskel(M. sternocleidomastoideus)
Gefäß- und Nervenlücke(Hiatus scaleni)
Zungenbein(Os hyoideum)
Schildknorpel
Ringknorpel
mittlerer Treppenmuskel(M. scalenus medius)
Armgeflecht(Plexus brachialis)
linkeSchlüsselbeinarterie(A. subclavia sinistra)
Schlüsselbeinvene(V. subclavia)
vorderer Treppenmuskel(M. scalenus anterior)
1. RippeArm-Kopf-Vene(V. brachiocephalica)
zweibäuchiger Muskel(M. digastricus)
Trapezmuskel(M. trapezius)
hinterer Treppenmuskel(M. scalenus posterior)
mittlerer Treppenmuskel(M. scalenus medius)
vorderer Treppenmuskel(M. scalenus anterior)
Hals (Gefäße, Muskeln). Abb. 8.1
8 Hals (Collum)152
1. Welche Teile sind am Hals äußerlich zu erkennen? Ertasten Sie diese an sich selbst.
2. Was gehört zum Gefäß-Nerven-Strang des Halses?3. Welche praktische Bedeutung haben V. jugularis externa und V. subclavia?4. Was versteht man unter den Venenwinkeln?5. Begründen Sie, warum viele Bestandteile des Halses übergreifende Aufgaben haben.6. Fertigen Sie eine Schwarzweißzeichnung vom Gefäß-Nerven-Strang des Halses. 7. Wo kann man am Hals den Puls am zuverlässigsten tasten?
Fragen zur Wiederholung
Das Herz-Kreislaufsystem, auch kardiovaskulä-res System genannt, ist als Einheit von dreiSystemen aufzufassen: dem Blut als Transport-mittel, dem Herzen als Pumpe und den Gefäßen(Arterien, Venen, Lymphgefäße, Kapillaren) alsLeitungsröhren bzw. Stätten des Stoffaus-tausches.
9.1 Aufgaben (Überblick)
Das Kreislaufsystem hat folgende Funktionen:1. Transportfunktion – Versorgung der Zellen mit lebensnotwendi-
gen Stoffen (z. B. Sauerstoff, Kohlenhydrate,Fette, Eiweiße, Vitamine, Wasser, Mineralien),
– Entsorgung der Zellen von Stoffwechsel-endprodukten (z. B. CO2, Harnstoff).
2. Koordinationsfunktion – Transport von Botenstoffen (z. B. Hormonen)
vom Bildungs- zum Wirkungsort.3. Temperaturregulation – Wärmetransport von den stoffwechselakti-
ven Organen zur Haut.4. Blutverteilung – Bedarfsgerechte Verteilung des vorhande-
nen Blutvolumens auf die einzelnen Kreislauf-abschnitte.
5. Vermittlung des Stoffaustausches – Vermittlung des Stoffaustausches zwischen
Zelle und Umwelt und der damit verbundenen Homöostase des inneren Milieus (✑ S. 28).
6. Schutzfunktion– Blutstillung zur Vermeidung von Infektionen
und Blutverlusten.7. Abwehrfunktion– Abwehr von Krankheitserregern.
9.2 Das Blut
Menge und ZusammensetzungDas Blut ist ein flüssiges Gewebe und besteht zuca. 45 % aus Blutkörperchen (= Blutzellen, ge-formte Bestandteile) und zu ca. 55 % aus Blut-plasma (= gelbliche, klare Flüssigkeit). Der Erwachsene besitzt 4 – 6 Liter Blut, das ent-spricht 6 – 8 Prozent der Körpermasse.
9.2.1 Blutzellen (Blutkörperchen)
Blut enthält beim Mann 46 % und bei der Frau41 % Blutkörperchen. Dieser Wert wird Häma-tokrit genannt (= Volumenanteil der Blutzellenam Gesamtblutvolumen).
153
9 Kreislaufsystem
Durch das Kreislaufsystem werden alleOrgane des Organismus miteinander ver-bunden.
Merke
• rote Blutzellen(Erythrozyten)
• weiße Blutzellen(Leukozyten)
• Blutplättchen(Thrombozyten)
• Blutwasser• Plasmaeiweiße• Plasmaelektrolyte
Blutzellen (45 %;Blutkörperchen,feste Bestandteile)
Blutplasma (55 %;flüssigerBestandteil)
Blut
Prozentualer Anteil der Blutzellen. Abb. 9.1
1 mm3 Blut des Gesunden enthält: • 4,5 – 5 Mio. rote Blutkörperchen
(Erythrozyten),• 4.000 – 10.000 weiße Blut-
körperchen (Leukozyten). Davon sind
ca. 67 % Granulozyten, ca. 27 % Lymphozyten, ca. 6 % Monozyten und
• 150.000 – 300.000 Blutplättchen (Thrombozyten).
94%
1 %
5%=̂
=̂
=̂
Bildung und AbbauDie Blutzellen werden im roten Knochenmarkgebildet (beim Fetus zunächst in Milz, Leber,Mesenchym und Knochenmark). Aus den dort befindlichen Stammzellen ent-wickeln sich über verschiedene Zwischenstufendie reifen Zellen, wie wir sie im strömenden Blutvorfinden. Der Abbau erfolgt vor allem in derLeber und Milz.
Rote Blutzellen (Erythrozyten)Die roten Blutzellen sind bikonkave Scheiben(d = 7,5 �m), die von einer hauchdünnen Zell-membran begrenzt werden. Dadurch ist eine Ober-flächenvergrößerung und eine bessere Verform-barkeit gegeben. Durch die Verformung in denengen Kapillaren wird wiederum die O2-Abgabeerleichtert (✑ S. 229 ff.). Es fehlen Zellkern undZellorganellen. Der Erwachsene besitzt etwa 30.000 Milliarden rote Blutzellen. Diese beste-hen zu ca. 1/3 aus Hämoglobin (= roter Blut-farbstoff) zur reversiblen O2-Bindung, enthaltenEnzyme, z. B. Karboanhydrase, und sind Trägervon Blutgruppensubstanzen (= hochmolekulareVerbindungen aus Aminosäuren und Kohlen-hydraten). Hämoglobingehalt des Blutes:• Frauen: 7,45 – 10,1 mmol/l = 120 – 160 g/l,• Männer: 8,70 – 11,2 mmol/l = 130 – 180 g/l.
Wegen der fehlenden Zellorganellen können sichErythrozyten nicht teilen und nur anaerobEnergie freisetzen.
Die Lebensdauer der Erythrozyten beträgt 100bis 120 Tage. Mit zunehmendem Alter nimmtihre Elastizität ab. Sie werden dann in Leber,Milz und Knochenmark abgebaut. In nur 1 Sekunde müssen 2.400 Erythrozyten neugebildet werden. Ihre Hauptfunktion ist derSauer-stoff- und Kohlendioxidtransport.
Weiße Blutzellen (Leukozyten)Die Leukozyten erfüllen hauptsächlich Abwehr-aufgaben. Ihre Zahl im Blut wechselt in Abhän-gigkeit von der Tageszeit und dem Funktions-zustand des Organismus sehr stark. Im Blut befinden sich ca. 5 % der Leukozyten,95 % sind auf die übrigen Gewebe verteilt. Eingroßer Teil hält sich im Knochenmark (ca. 33 %)und in den lymphatischen Organen (Thymus,Milz, Lymphknoten, Mandeln) auf.Die kernhaltigen Leukozyten sind vielgestaltigeZellen. Ihre Lebensdauer beträgt wenige Stun-den (Granulozyten) bis Jahre (Lymphozyten;✑ auch Kap. 9.3.4, S. 158).
9 Kreislaufsystem154
Stammzellen derGranulozyten
Stammzellender Erythrozyten
Retikulumzelle
Knochenmark-riesenzellen
(Megakaryozyten) Knochen-bälkchen
Rotes KnochenmarkAbb. 9.2
Bei Anämien sind Erythrozytenzahl, Hämo-globinkonzentration und/oder Hämatokrit ver-mindert.
❑P
Draufsicht
Querschnitt
Rote Blutzellen (Erythrozyten). Abb. 9.3
Bei bestimmten Erkrankungen kommt es zu einem deutlichen Anstieg (= Leukozytose) bzw. einer Verminderung (= Leukopenie) der Leukozyten. Das Differentialblutbild gibt die Häufigkeit der einzelnen Leukozyten-formen an. Das Verteilungsmuster lässt Rück-schlüsse auf Diagnose und Verlauf von Krank-heiten zu.
❑P
Blutplättchen (Thrombozyten)Die kernlosen Thrombozyten (d = 2 – 4 µm)gehen aus dem Zytoplasma der Knochenmark-riesenzellen (Megakaryozyten) des rotenKnochenmarks hervor. Sie verbleiben 7 bis 14Tage im Blut und werden dann meist in der Milzabgebaut. Die Thrombozyten enthalten zahlreiche Zell-organellen, z. B.:• Mitochondrien,
• endoplasmatisches Retikulum, Serotoninspeichergranula und Enzyme zur Blutstillung,
• Mikrotubuli zur Stabilisierung ihrer Form, • Aktomyosinsystem zur Kontraktilität und da-
mit Haftung am Endothel.
Die Thrombozyten sind maßgeblich an der Blut-stillung beteiligt.
9.2 Das Blut 155
Monozyten Granulozyten Lymphozyten
großer Lymphozyt
kleiner Lymphozyt
Leukozyten
eosinophiler basophiler
neutrophiler
stabkerniger segment-kerniger
Weißes Blutbild (gefärbt). Abb. 9.4
basophiler Granulozyt
Thrombozyten
segmentkerniger,neutrophiler Granulozyt
Monozyt
großer Lymphozyt
kleiner Lymphozyt
Erythrozyt
eosinophiler Granulozyt
stabkerniger,neutrophiler Granulozyt
Differentialblutbild unter dem Mikroskop. Abb. 9.5
9.2.2 Blutplasma
Das Blutplasma ist eine Lösung mit ausgezeich-neten Fließeigenschaften. Es erfüllt überwiegendTransportaufgaben. Die gelbliche Farbe ist vorallem auf den Gehalt von Bilirubin zurückzu-führen, ein Abbauprodukt des Hämoglobins. Fürdie Zusammensetzung sind in erster Linie dieLeber als Bildungsort der Plasmaeiweiße und dieNiere als Effektorgan zur Regulation des innerenMilieus verantwortlich.
Zusammensetzung• Wasser (90 %). Der hohe Wasseranteil ermög-
licht z. B. den Transport der mit der Nahrung im Darm aufgenommenen Nährstoffe, Vitamineund Salze zu den Körperzellen.
• Plasmaproteine– Albumine (ca. 59 % der Plasmaproteine). Sie
spielen eine wichtige Rolle als Transport-proteine. So werden z. B. Eisen, Calcium, Thyroxin und Penicillin an Albumine gebun-den und im Blut transportiert. Außerdem sind sie wichtig bei der Aufrechterhaltung des kolloid-osmotischen Druckes (s. S. 33).
– Immunglobuline (ca. 40 % der Plasmapro-teine). Es handelt sich um die wichtigste Gruppe der Globuline. Man unterscheidet IgG (sprich Immunglobulin G), IgA, IgM, IgD, IgE. Die Immunglobuine werden auch alsAntikörper bezeichnet. Sie spielen eine wich-tige Rolle im Abwehrsystem des Menschen.
– Fibrinogen und Prothrombin sind an derBlutgerinnung beteiligt.
• Plasmaelektrolyte: z. B. Na+, K+, Ca2+, Mg2+, Cl-, HPO4
2-.
• Nährstoffe– Glucose als Transportform der Kohlen-
hydrate, – freie Fettsäuren als Transportform der Fette, – freie Aminosäuren als Transportform der Ei-
weiße. • Stoffwechselprodukte wie
– Cholesterol, – Bilirubin, – Fructose, – Milchsäure, – Pyruvat, – Harnstoff,– Harnsäure.
• Wirkstoffe wie– Hormone, – Vitamine,– Enzyme, – Medikamente.
9.3 Physiologie des Blutes
Die Hauptaufgabe des Blutes ist die Vermittlungdes Stoffaustausches zwischen Umwelt undZelle zur Konstanthaltung des inneren Milieus(✑ S. 28).
9.3.1 Transportfunktion
Die Transportfunktion ist eine der wichtigstenFunktionen des Blutes (✑ auch 11.3.3, S. 229).Die Aufgaben im Einzelnen sind:– Transport von Glucose, Fett- und Aminosäu-
ren, Vitaminen und Elektrolyten vom Darm in die einzelnen Organe,
– Transport von Sauerstoff von der Lunge zu den Zellen,
– Transport von Stoffwechselendprodukten (z. B. Kohlendioxid, Harnstoff, Harnsäure) zu den Ausscheidungsorganen Lunge, Niere undHaut,
9 Kreislaufsystem156
ErythrozytenLeukozytenThrombozyten
ProthrombinFibrinogenBlutserum
Blutzellen
Blutplasma
Blut
Plasmaeiweiße und Plasmaelektrolyte sinddie Funktionsstoffe des Blutplasmas.
Merke
Normalwerte im Blutplasma• Glucose: 3,5 – 5,5 mmol/l
= 80 – 100 mg/100 ml• Cholesterol: 4,7 – 6,5 mmol/l • Eiweiß: 66 – 87 g/l
Merke
Die quantitative Bestimmung der einzelnen Komponenten des Blutplasmas ermöglicht wesentliche Einsichten bei vielen Krankhei-ten (z. B. Zuckerkrankheit und Schilddrüsen-funktionsstörungen).
❑P
Bestandteile des Blutes (Übersicht).Tab. 9.1
– Transportmittel im Dienste der Wärmeregula-tion,
– Transport von Hormonen und anderen Wirk-stoffen vom Bildungs- zum Wirkungsort zur chemischen Steuerung des Organismus und
– Transport von Arzneiwirkstoffen.
9.3.2 Blutstillung (Hämostase)
Die Blutstillung umfasst alle Vorgänge, die zwi-schen dem Entstehen und dem Verschluss einerWunde ablaufen. Sie erfolgt nur in mittleren undkleinen Gefäßen. In größeren Gefäßen wird derentstehende Thrombus (= Blutpfropf) immer wie-der weggespült.
Die Blutstillung verläuft in zwei Schritten.1. Vorläufiger Wundverschluss (primäre Hämo-
stase)Nach Verletzung eines Gefäßes laufen fol-gende Vorgänge ab:– Thrombozyten lagern sich an der defekten
Stelle an und verkleben. Sie bilden einen Thrombozytenpfropf (= weißer Thrombus).
– Gleichzeitig setzen die Thrombozyten ge- fäßverengende Stoffe (z. B. Serotonin) frei.
– Außerdem rollt sich die Innenschicht des verletzten Gefäßes ein.
Die letzten beiden Vorgänge begünstigen die Verschlussfähigkeit. Daher kann die Blutungbereits gestillt sein (Blutungszeit), obwohl dieGerinnung noch nicht abgeschlossen ist(Gerinnungszeit).
2. Endgültiger Wundverschluss (= eigentliche Blutgerinnung, sekundäre Hämostase)Die Blutgerinnung beginnt etwa zur gleichenZeit wie die primäre Hämostase.Vorphase: Gewebeverletzung und/oder Ober-
flächenkontakt führen zur Bildung von Throm-boplastin (= Thrombokinase).
1. Phase: Das in der Leber mithilfe von Vit-amin K gebildete inaktive Prothrombin wird in wenigen Sekunden durch Thromboplastin, Ca2+ und weitere Faktoren in aktives Throm-bin überführt.
2. Phase: Das Thrombin wandelt das lösliche ebenfalls in der Leber gebildete Fibrinogen in unlösliches fadenförmiges Fibrin um.
Nachphase: Fibrinfäden ziehen sich zusam-men (Retraktion), sodass sich die Wundrändereinander nähern. Gleichzeitig entsteht aus allen geformten Bestandteilen der Blut-kuchen (= roter Thrombus). Dabei wird Serumabgepresst.
Unter dem Schutz des Blutkuchens können sich die zerstörten Gewebe regenerieren. Die Blut-gerinnung erfolgt normalerweise nur im Wund-bereich, weil im strömenden Blut die Konzen-tration der gerinnungsaktiven Stoffe zu niedrigist und Antithrombin die Gerinnung stoppt.
9.3 Physiologie des Blutes 157
Die Blutungszeit beträgt 1 bis 3 Minuten, dieGerinnungszeit 3 bis 5 Minuten.
Merke
Gewebeverletzung
Thromboplastin(Thrombokinase)
Prothrombin Thrombin
Fibrinogen Fibrin
Blutkuchen(roter Thrombus)
Vorphase
1. Phase
2. Phase
Nachphase
Serum ist Plasma minus Fibrinogen.
Merke
Heparin steigert die Antithrombinwirkung und wirkt deshalb gerinnungshemmend. Die extravasale Blutgerinnung bei Blutentnahme wird durch Stoffe verhindert, die die auf vielen Stufen des Gerinnungsprozesses not-wendigen Ca2+ binden, wie z. B. Lösungen von Na-Citrat.Normalerweise gerinnt das Blut in unverletztenGefäßen nicht.
❑P
Phasen der Blutgerinnung bei kleineren und mittleren Gefäßen. Tab. 9.2
Nur unter bestimmten Bedingungen (z. B.Veränderungen der Intima1), verminderte Strö-mungsgeschwindigkeit des Blutes, abnormeBlutzusammensetzung) bilden sich ausnahms-weise Gerinnsel in den Gefäßen.Bewirken können diese Gerinnsel z. B. – Thrombose, – Embolie, – Herzinfarkt – Schlaganfall. Die häufigste Veränderung der Intima der Arte-rien ist die Arteriosklerose. Sie ist gekennzeich-net durch unphysiologische Fett- und Kalk-einlagerungen. Dies führt zu Elastizitätsverlustund Einengungen, im Extremfall bis zum völli-gen Gefäßverschluss (arterielle Verschluss-krankheit). Trotz der weiten Verbreitung sind die Ursachenbis heute nicht genau bekannt. Risikofaktorensind auf jeden Fall Rauchen, hoher Blutdruck,hoher Cholesterinspiegel und Diabetes mellitus.
9.3.3 Fibrinolyse
Unter Fibrinolyse versteht man die enzymatischeAuflösung eines Thrombus. Unter Einwirkungvon Blut- und Gewebsaktivatoren entsteht ausinaktivem Plasminogen aktives Plasmin. DasFibrin wird durch Plasmin zu löslichen Peptidenund Aminosäuren abgebaut.
9.3.4 Blut und Immunsystem2)
1. Abwehrmechanismen (Überblick)Jeder Organismus ist normalerweise in der Lage, mithilfe seines Immunsystems körper-fremde Stoffe (z. B. Krankheitserreger oder andere Schadstoffe) zu erkennen und abzu-wehren.
Der Organismus besitzt verschiedene unspezifi-sche und spezifische Abwehrmechanismen, wo-bei die Abwehr aus mehreren Stufen besteht (✑Tab. 9.4).
2. Anatomische GrundlagenZu den anatomischen Grundlagen der Abwehr gehören die Organe des äußeren Schutzwalls(Haut, Schleimhaut), die verschiedenen Leuko-zyten des Blutes, die lymphatischen Organesowie der Blut- und Lymphkreislauf.
a) Äußerer SchutzwallDer äußere Schutzwall wird gebildet von– der äußeren Haut. Besonders ihr mehr-
schichtiges verhorntes Plattenepithel sowie die säurehaltigen Sekrete der Schweiß- und Talgdrüsen stellen eine wirksame Barriere für Bakterien und Viren dar;
– den Schleimhäuten. Eingedrungene Krank-heitserreger und andere Schadstoffe kleben am Schleim fest und werden für Verdauungs-enzyme zugänglich (Verdauungstrakt) oder mithilfe des Flimmerepithels und Husten-reflexes in den Rachen transportiert;
– den Säuren. Säuren wirken keimhemmend oder keimtötend,• Magensäure im Magen,• Fettsäuren im Talg,• Milchsäure in der Scheide und im Schweiß.
9 Kreislaufsystem158
Verschiedene Aktivatoren(z. B. Urokinase, Streptokinase)
Plasminogen Plasmin
Fibrin lösliche Peptide
Blutgerinnung und Fibrinolyse stehen norma-lerweise im Gleichgewicht.
Merke
Im Uterus sorgt eine hohe Konzentration an Gewebsaktivatoren für Verflüssigung des Menstrualblutes. Blutungsneigung entsteht bei verminderter Gerinnung und/oder gesteigerter Fibrinolyse, Thromboseneigung bei umgekehrten Ver-hältnissen.
❑P
Unspezifische Abwehrmechanismen sindgegen alle Erregerarten gerichtet, spezifischenur gegen eine einzige. Beide besitzen je-weils eine humorale3) und zelluläre Kompo-nente.
Merke
1) Intima = Innenschicht der Blutgefäße2) immun = unempfindlich3) humoral = an Flüssigkeit gebunden
Fibrinolyse.Tab. 9.3
b) Leukozytenarten und ihre Bedeutung im Abwehrsystem
– Granulozyten. Die Granulozyten haben ihrenNamen aufgrund der vorhandenen Körnchen(= Granula = Lysosomen). Nach der Färbbar-keit der Granula werden sie in drei Gruppen eingeteilt (✑ Tab. 9.5).
– Monozyten. Monozyten sind die größten Blutzellen (d = 20 �m). Sie stellen 4 – 6 % der Leukozyten dar. Wie die neutrophilen Granulozyten sind sie sehr gut amöboid be-
weglich und zur Phagozytose relativ großer Partikel im Gewebe fähig. Aus den Mono-zyten entstehen die Gewebsmakrophagen (z. B. Histiozyten, Kupffer’sche Sternzellen der Leber).
– Lymphozyten. Die Lymphozyten nehmen eine Schlüsselstellung im Abwehrsystem (spezifi-sche Abwehr) ein. Etwa 25 – 40 % der Leuko-zyten sind Lymphozyten. Davon befinden sich ca. 99 % in den lymphatischen Organen und Geweben. Lymphozyten besitzen zahlrei-che Ribosomen für die Eiweißsynthese. Tabelle 9.6 gibt einen Überblick über die wichtigsten Formen der Lymphozyten.
9.3 Physiologie des Blutes 159
Abwehrmechanismen
unspezifische (allgemeine) Abwehr spezifische (erlernte) Abwehr
humoraleAbwehr
zelluläreAbwehr
zelluläreAbwehr
humorale1)
Abwehräußerer
Schutzwall
• äußere Haut• Schleimhäute• Magensäure• Milchsäure
der Vagina
• Komplement-system
• Lysozym• Interferone• Inhibine
(Hemmstoffe)
• Phagozyten • Antikörper • T-Effektor-zellen
Der äußere Schutzwall ist die erste Barriere,die von einem Krankheitserreger überwun-den werden muss. Seine Wirksamkeit wirdentscheidend bestimmt von der Intaktheit deräußeren und inneren Körperoberflächen(Häute und dazu gehörende Drüsen). Ergehört zum unspezifischen Abwehrsystem.
Merke
Granulozyten Anteil amöboide eiweiß- FunktionBeweglichkeit: abbauendePhagozytose Enzyme
1. Eosinophile(große Granula)
2. Basophile (kleinste Granulozyten)
3. Neutrophile
ja
–
sehr gut
ja
–
ja
Phagozytose von Antigen-Antikörper-Komplexen; Ver- dauung körperfremder Eiweiße.
Wenig bekannt, enthaltenHeparin, Histamin, Serotonin.
Zur Diapedese befähigt (Wan-derung vom Blut ins Gewebe);unspezifische Abwehr.
2 – 4%
0,5 – 1%
55 – 70%
Neutrophile Granulozyten werden als Mikro-phagen, Monozyten und ihre Abkömmlingeals Makrophagen bezeichnet.
Merke
Einteilung der Abwehrmechanismen Tab. 9.4
Granulozyten. Tab. 9.5
1) humoral = an Flüssigkeit gebunden
Zunächst werden 2 Arten von Lymphozytenunterschieden, die T-Lymphozyten und die B-Lymphozyten. Beide Lymphozytenarten gehenaus sog. Vorläuferzellen hervor, die in der fetalenund frühkindlichen Entwicklung im roten Kno-chenmark gebildet werden. Ein Teil dieser Zellengelangt mit dem Blut in den Thymus und wirdhier zu T-Lymphozyten geprägt.
Ein weiterer Teil erhält seine Prägung vermutlichim roten Knochenmark bzw. dem lymphatischenGewebe des Darmtraktes. Später werden die B-und T-Lymphozyten vor allem in der Milz und inden Lymphknoten gebildet und gelangen von daaus in das Blut und die Lymphe.
c) Lymphatisches SystemDas lymphatische System ist der hauptsäch-liche Träger der spezifischen Abwehr.Es wird gebildet – vom Lymphgefäßsystem (✑ S. 187) und– den lymphatischen Organen.
9 Kreislaufsystem160
Stammzelle
Lymphozyt
B-Lymphozyten T-Lymphozyten
T-EffektorzellenT-Regulatorzellen
T-Helferzellen T-Suppressorzellen
z. B. zytotoxische Zellen(= T-Killerzellen); vernichten Fremdzellenohne Beteiligung vonAntikörpern
regulierenImmunreaktion
Rotes KnochenmarkThymusLymphozyt
Lymphozyten
lymphatischesGewebe des Darmes
Blutgefäß
Lymphozyten
weiße Milz(Pulpa)
Lymphknoten
Blutgefäß
Prägung der T- und B-Lymphozyten im Kindesalter (oben) und Erwachsenenalter (unten).Abb. 9.6
Entwicklung der einzelnen Lymphozytenformen.Tab. 9.6
Zu den lymphatischen Organengehören:• Thymus, • Milz, • Lymphknoten,• Mandeln, • Lymphknötchenansamm-
lungen im Darm, • lymphatisches Gewebe in den
Bronchien, • Lymphozytenansammlungen
in den Schleimhäuten.
ThymusBau Der Thymus besteht aus zweiLappen (jeweils 2 x 5 cm), diewiederum in Läppchen gegliedert sind. Er wirdvon einer bindegewebigen Kapsel begrenzt.
Bei Kindern ist der Thymus relativ am größten(Masse 30 bis 40 Gramm). Nach der Pubertätbildet er sich zum thymischen Fettkörper zurück.Der mikroskopische Bau ist aus der Abb. 9.7ersichtlich.
LageDer Thymus liegt im oberen Mediastinum direkthinter dem Brustbein. Nachbarorgane sind vorndas Brustbein, seitlich die Pleura mediastinalisund hinten die V. cava superior, V. brachiocepha-lica sowie der Aortenbogen.
AufgabenDer Thymus ist das primäre lymphatische Organ.In der Fetalzeit und frühen Kindheit wandern ausdem roten Knochenmark sog. Nullzellen bzw. Vorläuferzellen in die Thymusrinde. Dort teilen sie sich mitotisch und gelangen allmählich in dasMark. Dabei werden sie verändert (z. B. bezüg-lich Enzymausstattung); das bedeutet, sie erhal-ten ihre Immunkompetenz. Die so geprägten rei-fen Thymus-Lymphozyten (= T-Lymphozyten)verlassen auf dem Blutweg den Thymus und sie-deln sich sekundär in den T-Lymphozyten-Regionen der anderen lymphatischen Organe an.
Der Thymus bildet das Hormon Thymosin, dasdie zelluläre Immunabwehr aktiviert.
Milz (Lien, Splen) BauDie Milz ist von einer derben bindegewebigenKapsel umgeben, von der aus ein – ebenfalls ausstraffem Bindegewebe bestehendes – Balken-werk das Organ durchzieht. Das zwischen denBalken liegende Milzgewebe heißt Pulpa. Manunterscheidet:– Weiße Pulpa (ca. 15 %); Sie wird gebildet aus
retikulärem Bindegewebe mit reichlich Lymphozyten (= lymphatisches Gewebe).Letzteres finden wir in Gestalt der lymphati-schen Begleitscheide um die Zentralarterie mit hauptsächlich T-Lymphozyten und der Milz-knötchen (= Lymphknötchen) mit B-Lympho-zyten. Es handelt sich hier um rundliche An-sammlungen der Lymphozyten;
– rote Pulpa; sie wird gebildet von erweiterten Blutkapillaren, den sog. Milzsinus, mit zahl-reichen Erythrozyten.
Form, Größe, Masse Die Milz hat die Gestalt einer großen Kaffee-bohne. Sie ist etwa 12 cm lang, 7 cm breit und 4 cm dick. Ihre Masse beträgt 150 bis 200 Gramm.
9.3 Physiologie des Blutes 161
Thymus bei einem Neugeborenen. Abb. 9.7
ThymusLungeHerz
retikuläresBindegewebe
mit Lymphozyten
In dem Umfang, wie sich der Thymus zu-rückbildet, werden die Prägungen von Null-zellen in T-Lymphozyten von den sekundären lymphatischen Organen (Milz und Lymph-knoten) übernommen.
❑P
Lage Die faustgroße Milz liegt intraperitoneal tief imlinken Hypochondrium, eingeschmiegt in dieZwerchfellwölbung. Die Längsachse verläuftparallel zur 10. Rippe.Nachbarorgane: Magen, Bauchspeicheldrüse undlinke Niere.
Aufgaben Als lymphatisches Organ (weiße Pulpa) hat dieMilz folgende Aufgaben: • Sie bildet Lymphozyten und Abwehrstoffe
(prägt in hohem Maße T-Lymphozyten),
• ist wichtigstes Speicherorgan für Lymphozyten,• wichtiges Immunorgan.
Die rote Pulpa steht im Dienst des Blutkreislau-fes. In ihr werden gealterte unelastische Erythro-zyten und Thrombozyten von Makrophagen ab-gebaut (= Blutmauserung). Das dabei frei wer-dende Hämoglobin gelangt über die Pfortader indie Leber. Dort wird es zu Gallenfarbstoffen ab-gebaut. Außerdem werden von den Uferzellen in den Milzsinus Bakterien und andere Schadstoffephagozytiert.
Die Aufgaben der roten Pulpa können bei Aus-fall der Milz von der Leber und vom Knochen-mark übernommen werden.
9 Kreislaufsystem162
Bei Erkrankungen des lymphatischen Sys-tems kann sich die Masse der Milz auf mehre-re Kilogramm erhöhen. Sie ist dann unter demlinken Rippenbogen tastbar. Eine normal große Milz ist in der Regel nicht palpabel.
❑P
hinterer Pol(Extremitas posterior)
Magenfläche(Fascies gastrica)
Schnittrand des Lig.
gastrolienaleMilzvene
(V. splenica)
Milzarterie(A. splenica)
Bauchspeichel-drüsenfläche
(Fascies pancreatica)
Schnittrand des Lig.
phrenicolienalevorderer Pol
(Extremitas anterior)
Grimmdarmfläche(Fascies colica)
rote Pulpa(Milzsinus)
weiße Pulpa1)
BindegewebskapselMilzbalkenrote Pulpa(Milzsinus)
BalkenveneBalkenarterie
PulpavenePulpaarterie
1) Pulpaarterie mit Lymphscheide (T-Lymphozyten)und Milzfollikel (B-Lymphozyten) bilden dieweiße Pulpa
Milz.Abb. 9.8
Die Milz ist in ihrer Abwehrtätigkeit für diegesamte Blutbahn zuständig.
Merke
Lymphknoten (Nodus lymphaticus)Bau (Abb. 9.9)Die rundlich bis bohnenförmigen Lymphknotenhaben einen Durchmesser von 1 mm bis 2,5 cm.Sie werden, wie die Milz, außen von einer ausstraffem Bindegewebe bestehenden Kapsel be-grenzt. Von dieser Kapsel verlaufen Bindege-websstränge in das Innere und bilden ein grobesGerüstwerk.Mehrere zuführende Lymphgefäße treten in denLymphknoten ein. Über sie gelangt die Lymphein die erweiterten spaltförmigen Bahnen, Rand-,Rinden- und Marksinus des Lymphknotens.
Ein abführendes Lymphgefäß am Hilus 1) leitet dieLymphe wieder heraus. In der Randzone (Rinde)befinden sich Anhäufungen von B-Lympho-zyten. Diese rundlichen Strukturen werden alsLymphknötchen (= Lymphfollikel) bezeichnet.An der Grenze zum Mark liegen Ansammlungenvon T-Lymphozyten.
Lage Die Lymphknoten sind in das Lymphgefäßsys-tem eingeschaltet (✑ Abschnitt 9.5.3, S. 187). Sie liegen in Gruppen. Jede Lymphknotengruppewird von der Lymphe aus ganz bestimmtenKörperregionen durchströmt. Klinisch bedeu-tungsvoll sind vor allem die regionären Lymph-knoten, weil sie die erste Filterstation derLymphe aus einer bestimmten Körperregionsind.
Wichtige regionäre Lymphknoten sind: • Achsellymphknoten für Arm, Brustwand
und Rücken;• Leistenlymphknoten für Bein, Bauchwand
und Gesäß;• Halslymphknoten für den Kopf.
Meistens durchströmt die Lymphe auf ihrem Wegzum Blut nach den regionären Lymphknotennoch ein oder mehrere Gruppen von Sammel-lymphknoten. Wichtige Sammellymphknotenliegen im Hals für Kopf, Hals, Arme, Brustwandund Rücken sowie an der hinteren Bauchwandfür Beine, Bauchwand, Gesäß, Becken- undBauchorgane.
9.3 Physiologie des Blutes 163
1) Hilus (Pl. Hili) = Vertiefung an der Oberfläche eines Organs, verursacht durch Gefäßein- und -austritte
zuführende Lymphgefäße
RandsinusBindegewebsstrangBindegewebskapsel
Rindensinus
Lymphknötchen= Lymphfollikel
Mark mit Marksinus
abführendesLymphgefäß
Vene
Arterie
Hilus
Rinde mitLymphfollikeln
Bindegewebs-stränge
Lymphgefäßklappenmarknahe Abschnitte der Rindenschicht (= parakortikale Zone)mit T-Lymphozyten
(=̂ B-Lymphozyten)
Lymphknoten. Abb. 9.9
Aufgaben• Lymphknoten sind die „Filterstation“ der
Lymphe. Im Lymphsinus ist die Strömungsge-schwindigkeit der Lymphe vermindert. Da-durch haben die dort vorhandenen Uferzellen ausgiebigen Kontakt und können zusammen mit den Retikulumzellen Zelltrümmer, Bakte-rien, Staub- und Rußteilchen phagozytieren. Auch Krebszellen werden zurückgehalten, so können Lymphknotenmetastasen entstehen.
• Prägung von B- und vor allem T-Lymphozytenfür die spezifische Immunabwehr (✑ S. 166).
• Speicherung von Lymphozyten. Die Lympho-zyten halten sich in der Regel mehrere Stun-den in einem lymphatischen Organ auf. Danachbegeben sie sich für 30 bis 45 Minuten ins strömende Blut und gelangen dann erneut in ein lymphatisches Organ zurück.
Lymphfollikel (= Lymphknötchen)Als Lymphfollikel werden größere Ansammlun-gen von B-Lymphozyten bezeichnet. Sie kom-men in allen lymphatischen Organen – außerThymus – und im Darm (= Peyer-Platten) vor.
Tonsillen (Mandeln)Unter Tonsillen versteht man das lymphatischeGewebe im Bereich des Mund- und Nasen-höhlenübergangs in den Rachen sowie imRachen selbst.Alle Tonsillen bilden den lymphatischen Ra-chenring (Waldeyer’scher Rachenring). Er stellteinen vorgeschalteten Immunapparat dar, der dasAbwehrsystem gewissermaßen ökonomisiert. Inder Schleimhaut sitzen Makrophagen und versu-chen, die Antigene abzufangen. Anschließendwandern sie in das Innere der Tonsille zu dendort vorwiegend vorhandenen B-Lymphozyten.
9 Kreislaufsystem164
Die Kenntnis der Abflussgebiete zu bestimm-ten regionalen Lymphknoten hat klinische Bedeutung für die Diagnostik und Therapie-kontrolle von Tumoren und Entzündungen. Aus den entsprechenden Gebieten gelangen Entzündungszellen bzw. Tumorzellen in die Lymphbahnen und werden in den Lymph-knoten zurückgehalten. Infiltrierte Lymph-knoten sind vergrößert und oft tastbar. Als Lymphographie bezeichnet man die röntgenologische Darstellung der Lymphgefä-ße und Lymphknoten mittels Kontrastmittel.
❑P
Einzugsgebiet des lymphatischen Rachenringes.Abb. 9.10
Tubenmandel(Tonsilla tubaria)
Rachenmandel(Tonsilla pharyngea)
Öffnung derOhrtrompeteSeitenstrangZunge(Lingua)
vordererGaumenbogenhinterer GaumenbogenGaumenmandel(Tonsilla palatina)
Zunge (Lingua)
Zungenmandel(Tonsilla lingualis)
Gaumenmandel(Tonsilla palatina)
Zu den Tonsillen gehören– die paarigen Gaumenmandeln (Tonsilla pala-
tina) zwischen vorderem und hinterem Gau-menbogen,
– die paarigen Ohrtrompetenmandeln (Tonsilla tubaria) um die Öffnungen der Ohrtrompeten,
– die unpaarige Rachenmandel (Tonsilla pha-ryngea) am Rachendach,
– die unpaarige Zungenmandel (Tonsilla lin-gualis) am Zungengrund,
– die „Seitenstränge“ – lymphatisches Gewebe in einer Schleimhautfalte, die vom jeweiligen Tubenwulst abwärts verläuft.
Die Lymphknötchen der Tonsillen stehen meistin enger Beziehung zum Deckepithel derSchleimhaut.
9.3.5 Unspezifische und spezifische humorale und zelluläre Abwehrmechanismen
1. Unspezifische humorale AbwehrDieser Abwehrmechanismus basiert auf Stoffen,die entweder im Blut enthalten sind oder von ge-schädigten Zellen (z. B. virusinfizierten Zellen)gebildet werden.a) KomplementsystemHierbei handelt es sich um ca. 20 verschiedeneGlykoproteine, die in einer ganz bestimmtenReihenfolge nacheinander reagieren. Ihre Akti-vierung erfolgt z. B. durch Antigen-Antikörper-Komplexe, Viren oder Bakterien. Danach kommtes zu verschiedenen Abwehrreaktionen:– Zerstörung der Biomembranen von Erregern,– Anregung der Makrophagen zur Phagozytose,– Lyse von Antigen-Antikörper-Komplexen u. a.
b) Lysozym (= Muramidase)Lysozym ist ein bakterizid (Bakterien abtötend)wirkendes Enzym (löst die Zellwände vonBakterien auf). Es ist in Phagozyten (bei ihremZerfall wird es freigesetzt) und allen Körper-sekreten (vor allem Tränenflüssigkeit, Bron-chialschleim) enthalten.c) InterferoneInterferone werden von virusinfizierten Zellengebildet. Sie verhindern die Vermehrung derViren in der Wirtszelle.
2. Unspezifische zelluläre AbwehrDie unspezifische zelluläre Abwehr erfolgtdurch Phagozyten (Freßzellen). Sie nehmen dieFremdstoffe in sich auf und bauen sie mithilfeihrer Enzyme ab. Zu den Phagozyten gehören– Mikrophagen, vor allem neutrophile Granulo-
zyten: Sie versuchen, jeden körperfremden Stoff zu eliminieren;
– Makrophagen: Monozyten und alle phagozy-tierenden Zellen, die sich aus ihnen rekrutie-ren, nämlich• Histiozyten im lockeren Bindegewebe;• Uferzellen in Lymphknoten, Milz, Knochen-
mark;• Sternzellen in den Lebersinus;• Osteoklasten im Knochen;• Langerhans-Zellen der Haut;• Mesangiumzellen der Nieren und• Alveolarmakrophagen der Lunge.
9.3 Physiologie des Blutes 165
Da sich der lymphatische Rachenring am Eingang des Luft- und Verdauungsweges be-findet, wird er mit Antigenen überladen. Deshalb sind bei Kindern die Tonsillen oftvergrößert (hypertrophiert), da gegen viele Antigene erst eine Abwehr aufgebaut werdenmuss, die bei Erwachsenen schon vorhandenist. Die Tonsillen sind häufig entzündet (Angina).
❑P
neutrophiler Granulozyt
Antigen
Erkennung + Bindung
Aufnahme
Fusion mit Lysosomen
Tötung + Abbau
Phagozytose. Abb. 9.11Das Komplementsystem ist das wichtigste un-spezifische humorale Abwehrsystem.
Merke
Die Makrophagen phagozytieren am lebhaftes-ten. Darüber hinaus geben sie wichtige Infor-mationen über die Zusammensetzung des Erre-gereiweißes an die Lymphozyten weiter bzw. sti-mulieren diese.
3. Spezifische humorale AbwehrGegen eine ganze Reihe von Erregern (z. B.bestimmte Streptokokken, Staphylokokken,Viren) sind die beschriebenen unspezifischenAbwehrmechanismen unwirksam. Diese Krank-heitserreger können nur durch spezifische Ab-wehrmechanismen bekämpft werden. Die spezi-fische Abwehr beginnt mit der Phagozytose derErreger durch Makrophagen, z. B. in der Milzoder den Lymphknoten.Im Ergebnis der Auseinandersetzung des Makro-phagen mit dem Erreger lagert er die Antigene1)
an seine Zelloberfläche. Man sagt: Der Makro-phage präsentiert die Antigene den Lympho-zyten. Die Antigenpräsentation bewirkt je nachBeschaffenheit des Antigens entweder eineBeteiligung der B- oder T-Lymphozyten.
Im Fall der spezifischen humoralen Abwehrspielen die B-Lymphozyten die zentrale Rolle.
Folgende Vorgänge spielen sich ab:– T-Helferzellen heften sich an die Antigene und
stimulieren die B-Lymphozyten;– die aktivierten B-Lymphozyten teilen sich in
• B-Plasmazellen und • B-Gedächtniszellen;
– die B-Plasmazellen produzieren antigenspezi-fische Antikörper2) (= Immunglobuline);
– die spezifischen Antikörper reagieren mit den Antigenen, gegen die sie gebildet wurden(= Antigen-Antikörper-Reaktion). Es entstehen
Antigen-Antikörper-Komplexe (= Immunkom-plexe);
– im Antigen-Antikörper-Komplex sind bereits viele Antigene wirkungslos. Die Komplexe werden in der Regel rasch beseitigt, z. B. durchPhagozytose oder das Komplementsystem.
4. Spezifische zelluläre AbwehrFür die spezifische zelluläre Abwehr sind dieT-Lymphozyten verantwortlich.
Folgende Vorgänge spielen sich ab:– Die vom Makrophagen präsentierten Antigene
des Erregers aktivieren die T-Lymphozyten;– die aktivierten T-Lymphozyten teilen sich in
• T-Helferzellen,• T-Suppressorzellen (= T-Unterdrückerzellen),• T-Effektorzellen (= T-Killerzellen);
– die spezifischen T-Effektorzellen lagern sich an die infizierten Zellen und zerstören sie mithilfeihrer Enzyme. Gleichzeitig produzieren sieLymphokin, das die Makrophagen aktiviert,
sodass diese jetzt die Erreger abtötenkönnen.
9 Kreislaufsystem166
Antigen-Antikörper-
Komplex
Antigen-
Antikörper-Reaktion
Antigen(z. B. Masernvirus)
+
+ Antikörper gegen
Masernvirus
Antigen-Antikörper-Reaktion.Abb. 9.12
Kernpunkt der spezifischen humoralen Ab-wehr ist die Bildung spezifischer Antikörper,die zu einer Antigen-Antikörper-Reaktionführen und die Antigene durch Agglutination(Verklumpung), Lyse (Auflösen) oder Präzi-pitation (Ausfällen) unschädlich machen.
Merke
In einigen Fällen können die Immunkom-plexe nicht abgebaut werden. Sie setzen sichdann in bestimmten Organen (z. B. Niere, Ge-lenke) fest und rufen dort Entzündungen her-vor.
❑P
1) Antigene = körperfremde Substanzen, die ineinem bestimmten Organismus eine Immun-antwort auslösen können
2) Antikörper = Immunglobuline, die mit dem Antigen spezifisch reagieren, dasihre Bildung verursacht hat
9.3 Physiologie des Blutes 167
Spezifische humorale Abwehr
Spezifische zelluläre Abwehr
AntigenKrankheitserreger
Makrophage Makrophage
Makrophage
T-Helferzelle
T-Lymphozyt
T-Suppressorzelle
Antigen-Antikörper–Reaktion
Antikörper
Lymphokinspezifische Antikörper produzierendePlasmazelle Lymphokin
befähigt Makrophagen,
Erreger abzutöten
LymphokinproduzierendeT-Zelle
B-Gedächt-niszelle
T-Gedächtniszelle
B-Lymphozyt
T-Helferzelle
AntigenKrankheitserreger
1. Phagozytoseder Erreger durch
Makrophagen
2. Antigenpräsentation(Verlagerung der Antigene
an die Zelloberfläche)
4. Vermehrungder B- bzw.
T-Lymphozyten (klonale Expansion)
3. Anlockung undrezeptive Anheftungvon B-Lymphozyten, T-Helferzellen und Kooperation der beiden Zellarten
3. Anlockung und rezeptive Anheftungvon T-Lymphozyten,
T-Helferzellen, T-Suppressorzellenund Kooperation der
drei Zellarten
��
��
��
� �
�
�
�
�
��
Spezifische Abwehrmechanismen. Abb. 9.13
Die bei den spezifischen Abwehrvorgängen ge-bildeten langlebigen B- und T-Gedächtniszellen„erkennen“ bei erneutem Kontakt mit „ihrem“Antigen dieses sofort und bewirken in der Regeleine sehr schnelle immunologische Reaktion.
Eine optimale Immunantwort hängt entschieden von ihrer Regulation ab. Makrophagen, T-Regu-latorzellen und humorale Einflüsse (Katechola-mine, Nebennierenrindenhormone, ✑ S. 303)sind dafür verantwortlich. Sie stimulieren dieLymphozyten, stimmen die verschiedenenAbwehrmechanismen optimal aufeinander abund sorgen für die rechtzeitige Beendigung derImmunantwort.
9.3.6 Verschiedene Immunreaktionen
AllergieVon einer Allergie (Überempfindlichkeit) sprichtman, wenn nach Rekontakt mit einem bestimm-ten Antigen abnorm starke Immunreaktionenauftreten.
Immunologische ToleranzImmunologische Toleranz liegt vor, wenn derOrganismus nach Antigenkontakt immunolo-gisch reaktionslos bleibt (z. B. immunologischeToleranz der Mutter gegenüber dem Feten).
9.3.7 Immunisierung
Durch Immunisierung (Impfung) kann künstlichImmunität erlangt werden.
Man unterscheidet– aktive Immunisierung. Hier wird die Primär-
reaktion vorweggenommen, indem man dem Organismus abgeschwächte lebende oder ab-getötete Erreger oder abgeschwächte Erreger-toxine zuführt;
– passive Immunisierung. Dem Organismus werden therapeutisch oder auch prophylak-tisch spezifische Antikörper zugeführt.
9.3.8 Blutgruppen des Menschen
Die Blutgruppen sind auf Stoffe zurückzu-führen, die sich an der Oberfläche der Erythro-zytenmembranen befinden und antigene Eigen-schaften besitzen.
Jeder Mensch besitzt eine dieser Blutgruppen. Dadurch werden dem Menschen bestimmteimmunologische Eigenschaften zugeordnet, dieüber die gesamte Lebensdauer vorhanden blei-ben und nach festen Gesetzmäßigkeiten vererbtwerden (✑ Kap. 2.5.4, S. 50).
Vermischt man Blut von zwei Menschen, sobeobachtet man entweder eine Zusammenbal-lung (Agglutination) der Erythrozyten, mögli-cherweise mit ihrer nachfolgenden Auflösung(Hämolyse), oder keine Reaktion.
Das erste Phänomen würde bei einer Bluttrans-fusion zur Verstopfung der Kapillaren führen.Ursache der Agglutination ist eine Antigen-Antikörper-Reaktion: – Die Erythrozytenmembranen tragen spezifi-
sche Stoffe, die Agglutinogene (= agglutinable Substanzen), die als Antigene wirken.
– Im Blutplasma sind spezifische Antikörper (Agglutinine) gelöst, die mit den Antigenen reagieren.
9 Kreislaufsystem168
Die spezifischen Abwehrvorgänge werdenmaßgeblich durch die Tätigkeit der Regulator-zellen gesichert. Dabei üben die T-Helferzelleneine stimulierende und die T-Suppressorzelleneine hemmende Wirkung aus.
Merke
Die Dauer des immunologischen Gedächt-nisses ist unterschiedlich: lebenslang bei Röteln, Windpocken und Masern, einige Jahre bei Tetanus und Polyomyelitis.
❑P
Wirkungen von Antigenen können sein:normale Immunreaktion
Antigen keine Immunreaktionübermäßige Immunreaktion = Allergie
Merke
Das wichtigste Blutgruppensystem ist dasAB0-System mit 4 Blutgruppen: A, B, ABund 0.
Merke
Eine besondere Bedeutung für die Medizin be-sitzen das AB0-System und das Rh-System.
AB0-SystemMit der Entdeckung der AB0-Blutgruppen imJahre 1901 durch Landsteiner begannen diesystematischen Untersuchungen der Blut-gruppeneigenschaften. Entscheidend für dasAB0-System sind:– zwei verschiedene Agglutinogene (= Anti-
gene) der Erythrozytenmembran: A und B sowie– zwei spezifische Antikörper im Serum:
Anti A und Anti B.Die Antikörper werden im Laufe des erstenLebensjahres gegen diejenigen Antigene gebil-det, die die eigenen Erythrozyten nicht besitzen.
Aus dieser Konstellation ergeben sich vierBlutgruppen des AB0-Systems (siehe Abb. 9.14).
Rhesussystem (= Rh-System; ✑ Abb. 9.15, S. 171)Das Rhesussystem ist ein weiteres Blutgruppen-system und beruht auf dem Vorhandensein oderNichtvorhandensein von Rh-Agglutinogenenauf der Erythrozytenmembran. Die wichtigstensind C, D, E, c und e, wobei D die größte anti-gene Wirksamkeit besitzt.
Im Rh-System treten im Unterschied zum AB0-System erst nach Sensibilisierung Antikörperauf. Das bedeutet, die Bildung von Rh-Antikör-pern wird nur bei rh-negativen Menschen aus-gelöst. Dies kann geschehen bei– Bluttransfusionen: Empfänger d, Spender D. – Schwangerschaft: Mutter d, Fetus D.
Bei ca. 10 % der Schwangerschaften wird eineUnverträglichkeit hinsichtlich des Rhesusfaktorsbeobachtet. Die Agglutinogene (D) gelangenwährend des Geburtsvorganges vom kindlichenKreislauf in den mütterlichen. Dort bewirken siedie Bildung von Antikörpern (Anti D), die bei
weiteren Schwangerschaften zu Schädigungeneines Rh-positiven Kindes führen können. Dieslässt sich durch eine Serodiagnostik feststellen.
Um Verwechslungen, Fehlbestimmungen undUnverträglichkeiten auszuschließen, werden vorjeder Blutübertragung folgende Tests durchge-führt:• die so genannte Kreuzprobe im Labor.
– Spendererythrozyten plus Empfängerserum (Majortest),
– Spenderserum plus Empfängererythrozyten (Minortest).
Bei Übereinstimmung der Blutgruppen kommtes in beiden Fällen nicht zu einer Agglutina-tion;
• der Bed-side-Test am Patientenbett. Unmittelbar vor der Transfusion wird am Pa-tientenbett nochmals die Verträglichkeit von Empfänger- und Spenderblut festgestellt.
Nur wenn beide Tests negativ verlaufen, darftransfundiert werden. Trotz übereinstimmenderBlutgruppe besteht bei jeder Bluttransfusion für
9.3 Physiologie des Blutes 169
Man kennt heute ca. 400 Merkmale der Ery-throzytenmembran, von denen die meistenbei Bluttransfusionen bedeutungslos sind.
❑P
In Europa sind 85 % der Menschen Rh-positiv.
Merke
Eine Serodiagnostik sollte deshalb ab der 16. Schwangerschaftswoche klären, ob eine Blutgruppenunverträglichkeit vorliegt. Ist diesder Fall, muss unmittelbar nach der Geburt eine Immunisierung mit Human-Immunglo-bulin Anti D durchgeführt werden. Dieses Immunglobulin zerstört die fetalen Erythro-zyten mit dem D-Agglutinogen, die in den mütterlichen Kreislauf übergetreten sind; somit kommt es auch nicht zur Bildung von Anti D. Durch diese mögliche Immunisie-rung der Frauen nach der ersten Schwanger-schaft, aber auch nach Schwangerschafts-unterbrechung (Interruptio) und Fehlgeburt (Abort), spielen heute derartige Störungen keine nennenswerte Rolle mehr.
❑P
Die erste Schwangerschaft führt trotz un-günstiger Rh-Konstellation nicht zu fetalenSchädigungen. Unbedenklich sind auchSchwangerschaften mit rh-negativen Feten.Bei Bluttransfusionen verwendet man prak-tisch immer AB0-gruppengleiches Blut. Beim Rh-System wird in der Regel nur dasD-Antigen berücksichtigt.
Merke
9 Kreislaufsystem170
Agglutination
A+
Anti A
B+
Anti B
AgglutinatverschließtBlutgefäß
Blutgruppe A B AB 0
Agglutinogene= Antigene derErythrozyten-
membran
Antikörper imSerum
Anti B Anti A Anti A
Anti B
Blutgruppen
Blutgruppentest
Blut-gruppe
TT est
seru
me
stse
rum
Anti A
Anti B
Anti Aund
Anti B
A B AB 0
keineAgglutination
starkeAgglutination
Kreuzprobe
SpenderSerum Erythrozyten
EmpfängerErythrozyten Serum
minor major
A A, BB
schwacheAgglutination
Blutgruppen des AB0-Systems.Abb. 9.14
den Empfänger ein Restrisiko. Das Blut jedesMenschen enthält ein individuell einmaligesGemisch verschiedener Eiweiße, und da prinzi-piell jedes körperfremde Eiweiß als Antigen wir-ken kann, ist eine allergische Reaktion nie aus-geschlossen. Außerdem können Krankheits-erreger übertragen werden. Die Antikörper-bildung nach einer Infektion dauert eine gewisse
Zeit, oftmals Wochen bis Monate, sodass beikurz nach einer Infektion entnommenen Blut-konserve die Antikörperbildung zwar noch nichtnachgewiesen werden kann, sie aber dennochinfektiös ist. Aus diesen Gründen wird dieIndikation für eine Vollblutkonserve sehr strenggestellt.
9.3 Physiologie des Blutes 171
1. Transfusion 2. Transfusion
Bluttransfusion
Mutter rh– (d)
langsame BildungspezifischerAntikörper (Anti D)
keine Komplikation
rh– (d)
Vater Rh+ (D)
1. Schwangerschaft
keine Komplikation
2. Schwangerschaft
Rh+ (D)Rh+ (D)
Kind Rh+ (D)Antigen
Mutter bildet nach der Geburt
Anti D
Mutter bildet während der Schwangerschaft
Anti D
Zygote
(Blut des Kindes wirdhämolysiert)
Komplikation
schnelle BildungspezifischerAntikörper (Anti D)
Komplikation
rh– (d)
EmpfängerEmpfänger
SpenderblutSpenderblut
Unverträglichkeit im Rhesussystem. Abb. 9.15
9.4 Das Herz (Cor)
Das Herz, ein muskuläres Hohlorgan, ist der„Motor“ des Blutkreislaufes. Es befindet sichzwischen den Brustfellhöhlen und wird vollstän-dig vom Herzbeutel (Perikard) umhüllt.
Bau Das Herz wird durch die Herzscheidewand(Septum) in eine rechte und linke Herzhälftegeteilt. Es besitzt vier Innenräume (✑ Abb. 9.16):• rechter Vorhof (Atrium dextrum), • linker Vorhof (Atrium sinistrum), • rechte Herzkammer (Ventriculus dexter), • linke Herzkammer (Ventriculus sinister).Vorhöfe und Kammern werden durch das binde-gewebige Herzskelett getrennt. Es besteht imPrinzip aus vier Faserringen als Ansatzstelle fürdie Herzklappen (= Herzventile). Man bezeich-net die Ebene, in der das Herzskelett mit denHerzventilen liegt, deshalb auch als Ventilebene.
Anschluss der Herzräume an das Gefäßsystem Einflussbahnen (= Venen, die an den Vorhöfenmünden):
– rechter Vorhof = obere Hohlvene (V. cava superior), untere Hohlvene (V. cava inferior), Herzvene (Sinus coronarius);
– linker Vorhof = vier Lungenvenen (Vv. pul-monales).
Ausflussbahnen (= Arterien, die an den Herz-kammern beginnen): – rechte Herzkammer = Stamm der Lungen-
arterien (Truncus pulmonalis);– linke Herzkammer = große Körperarterie
(Aorta).
Form, Masse, Größe Das Herz ist kegelförmig. An der Oberflächekann man folgende Einzelheiten erkennen: Herz-spitze, Herzbasis, Herzkranzfurche und Zwischen-kammerfurchen mit Herzkranzgefäßen sowieHerzohren. Die Größe entspricht etwa der Faustdes Trägers. Seine Masse beträgt bei Männernca. 300 Gramm und bei Frauen ca. 220 Gramm.
9 Kreislaufsystem172
Herzinnenräume.Abb. 9.16
große Körperarterie(Aorta)
Stamm derLungenarterien
(Truncus pulmonalis)
obere Hohlvene(V. cava superior)
rechter Vorhof(Atrium dextrum)
Lungenarterienklappe/Pulmonalklappe
(Valva trunci pulmonalis)
dreizipfligeSegelklappe
(Valva tricuspidalis)
Papillarmuskeluntere Hohlvene
(V. cava inferior)
rechte Herzkammer(Ventriculus dexter)
linker Vorhof(Atrium sinistrum)
Lungenvenen(Vv. pulmonales)
zweizipfligeSegelklappe/Mitralklappe(Valva bicusspidalis, Valva mitralis)
Aortenklappe(Valva aortae)
linke Herzkammer(Ventriculus sinister)
Herzinnenhaut(Endokard)
Herzmuskel-schicht(Myokard)
Herzaußenhaut(Epikard)
Herzscheide-wand(Septum cardiale)
Kinder haben ein relativ großes Herz. Bei Leistungssportlern ist das Herz ebenfalls ver-größert.
❑P
9.4 Das Herz 173
rechteSchlüsselbeinarterie
(A. subclavia dextra)
Stamm der Kopf-Arm-Arterie
(Truncus brachiocephalicus)
obere Hohlvene(V. cava superior)
große Körperarterie(Aorta)
rechte Lungenarterie(A. pulmonalis detra)
rechtes Herzohr(Auricula dextra)
rechteHerzkranzarterie(A. coronaria dextra)
rechte Herzkammer(Ventriculus dexter)
Aortenbogen(Arcus aortae)
Lungenarterie(Aa. pulmonalis)
linkes Herzohr(Auricula sinistra)
linke Lungenvenen(Vv. pulmonales sinistrae)
linke Herzkammer(Ventriculus sinister)
Sammelvene(Sinus coronarius)
hintererZwischenkammerast
(Ramus interventricularisposterior)
rechte gemeinsameKopfarterie(A. carotis communis dextra)
linke gemeinsameKopfarterie(A. carotis communis sinistra)
linkeSchlüsselbeinarterie(A. subclavia sinstra)
Lungenvenen(Vv. pulmonales)
linkes Herzohr(Auricula sinistra)
linke Lungenarterie(A. pulmonalis sinistra)
Stamm der Lungenarterie(Truncus pulmonalis)
vordererZwischenkammerast(Ramus interventricularisanterior)
linke Herzkammer(Ventriculus sinister)
obere Hohlvene(V. cava superior)
rechte Lungenvenen(Vv. pulmonales dextrae)
linker Vorhof(Atrium sinistrum)
rechter Vorhof(Atrium dextrum)
linke Herzkranzvene(V. coronaria sinistra)
untere Hohlvene(V. cava inferior)
Herz, dorsal
Herzbasis Herzspitze
Herz, ventral
Bau des Herzens (Vorder- und Rückansicht). Abb. 9.17
LageDas Herz liegt im mittleren Mediastinum, 2/3 links und 1/3 rechts der Medianebene. Die Längsachse verläuft von rechts hinten oben nachlinks vorne unten.
Herzwand Der Wandaufbau des Herzens ist wie bei den mei-
sten Hohlororganendreischichtig: Herzinnenhaut (Endo-kard), Muskelschicht(Myokard) und Herz-außenhaut (Epikard).Das Myokard ist einkräftiger Hohlmuskelaus Herzmuskelge-webe (✑ S. 68). Seine Dicke ist derBelastung angepasst;so ist das Vorhofmyo-kard schwächer als dasKammermyokard (ein-schließlich Vorhof-und Kammerseptum)und das linke Kammer-myokard deutlich stär-ker als das rechte.
Herzklappen (Herzventile)Die Herzklappen sind Duplikaturen des Endo-kards. Sie besitzen, wie Ventile, eine Durchlass-und eine Sperrrichtung; das Öffnen und Schlie-ßen wird also durch die Druckverhältnisse bei-derseits der Klappe bestimmt. Jede Herzkammerwird von zwei Herzklappen begrenzt, einerSegelklappe zwischen Kammer und Vorhof und
einer Taschenklappezwischen Kammer undAusflussbahn.
Segelklappen (Atrio-ventrikularklappen) Die Segelklappen be-stehen aus einer Dop-pellage Herzinnenhaut(Endokard). Durch fei-ne Sehnenfäden sindsie mit den Papillar-muskeln verbunden.Steigt der Kammer-druck über den Vorhof-druck, kontrahierendiese Muskeln, sodassdie Klappen nicht (wieeine Pendeltür) in denVorhof zurückschla-gen können.
9 Kreislaufsystem174
linke LungeHerzäußeres Herzbeutelblatt(Perikard)
Herzspitze(5. Zwischen-rippenraum)
Zwerchfell(Diaphragma)
Leber(Hepar)
Magen(Gaster,Ventriculus)
Herzbasis(2. Zwischenrippenraum)
Lage des Herzens.Abb. 9.18
Herzskelett, Ventilebene – von oben.Abb. 9.19
dreizipflige Segelklappe/
Tricuspidalklappe(Valva tricuspidalis)
linke Herzkranzarterie(A. coronaria sinistra)
Pulmonalklappe(Valva trunci pulmonalis)
Öffnung für His’sches
Bündel
zweizipflige Segelklappe/Mitralklappe(Valva bicuspidalis/Valva mitralis)
rechte Herzkranzarterie(A. coronaria dextra)
Aortenklappe(Valva aortae)
Bei den Segelklappen unterscheiden wir – Tricuspidalklappe (Valva tricuspidalis – drei
„Segel“) zwischen rechtem Vorhof und rechter Herzkammer und
– Mitralklappe (Valva mitralis – zwei „Segel“) zwischen linkem Vorhof und linker Herz-kammer.
Taschenklappen (Semilunarklappen)Die dünnen Membranen der Taschenklappen be-stehen aus einer Doppellage der Arterieninnen-haut (Intima) und haben die Form von Schwal-bennestern. Sie sind so angeordnet, dass sie vomzurückströmenden Blut gefüllt werden, sich da-durch aufblähen und somit die Öffnung ver-schließen. Jede Klappe besteht aus drei Taschen.
Die Taschenklappen unterteilen wir in– Pulmonalklappe (Valva trunci pulmonalis)
zwischen rechter Herzkammer und Truncus pulmonalis sowie
– Aortenklappe (Valva aortae) zwischen linker Herzkammer und Aorta.
BlutversorgungDie Blutversorgung des Herzens erfolgt durch dieHerzkranzgefäße (Koronargefäße). Zwei Herz-kranzarterien entspringen aus der Aorta dichthinter der Aortenklappe. • Rechte Herzkranzarterie (A. coronaria dextra),
sie verläuft in der rechten Kranzfurche nach hinten. Ihr Endast, der hintere Zwischenkam-merast (Ramus interventricularis posterior), steigt in der hinteren Zwischenkammerfurche ab;
• linke Herzkranzarterie (A. coronaria sinistra).Sie teilt sich nach l cm in zwei Endäste:– den vorderen Zwischenkammerast (Ramus
interventricularis anterior), der in der vorde-ren Zwischenkammerfurche herzspitzen-wärts verläuft und
– den umbiegenden Ast (Ramus circumflexus),der in der linken Herzkranzfurche nach hin-ten verläuft.
9.4 Das Herz 175
Systole (Austreibungsphase) Diastole (Füllungsphase)
– Vorhofdruck niedrig hoch– Herzkammerdruck hoch niedrigTricusspidalklappe geschlossen offenPulmonalklappe offen geschlossenBlutbewegung Blutauswurf in den Truncus Blut fließt vom Vorhof in die
pulmonalis und Vorhoffüllung Herzkammer
Ventilfunktion der Herzklappen in der rechten Herzhälfte. Abb. 9.20
Entzündungen des Endokards (Endokarditis)zeigen sich insbesondere an den Klappen. AlsFolge können Herzklappenfehler entstehen.
❑P
Tricuspidalklappe(Valva tricuspidalis)
Pulmonalklappe(Valva trunci pulmonalis)
rechter Vorhof(Atrium dextrum)
Papillarmuskeln
rechte Herzkammer(Ventriculus dexter)
Tricuspidal-klappe(Valva
tricuspidalis)
NervenversorgungDas Herz wird vom vegetativen Nervensystem(sympathische und parasymphatische Herznerven)versorgt. Bei sympathischer Erregung steigenHerzfrequenz und Schlagkraft, der Parasympa-thikus hemmt beides.
Herzbeutel (Perikardhöhle) Der Herzbeutel ermöglicht die Beweglichkeit desHerzens. Das innere viscerale Blatt wird vomEpikard, das äußere parietale Blatt vom Perikardgebildet. Die Umschlagseite befindet sich an denEin- und Ausflussbahnen der Herzbasis.
Plötzliche Herzbeutelergüsse sind lebensgefähr-lich, weil der Herzbeutel nicht schnell erweite-rungsfähig ist – das Herz wird somit von außen„abgedrückt“.
9.5 Gefäßsystem
Das Gefäßsystem bildet in Verbindung mit demHerzen ein Transportsystem, in dem das Trans-portmittel „Blut“ in einem geschlossenen Kreis-lauf bewegt wird. Auf diese Weise werden denZellen die zum Leben notwendigen Stoffe zu-und die Stoffwechselprodukte abgeleitet. Manunterscheidet das Blutgefäßsystem und dasLymphgefäßsystem.
9.5.1 Blutgefäßarten
Das Blutgefäßsystem ist ein geschlossenesSystem, d. h., der Inhalt (Blut) bewegt sich aus-schließlich in den Gefäßen. Es werden folgendeBlutgefäßarten unterschieden:1. Arterien. Gefäße, die das Blut vom Herzen
weg transportieren. Die kleinsten Arterien heißen Arteriolen.
2. Venen. Gefäße, die das Blut zum Herzen hintransportieren. Die kleinsten Venen heißen Venolen (oder Venulen).
3. Kapillaren. Kleinste Haargefäße zwischen Arteriolen und Venolen, die dem Stoffaus-tausch zwischen Blut und Zelle dienen.
Die Ver- und Entsorgung der Zellen erfolgt indi-rekt über die interstitielle Flüssigkeit.
Arteriovenöse Anastomosen sind Gefäßverbin-dungen zur Umgehung der Kapillaren. Sie die-nen der Durchblutungsregulation (z. B. Verän-derung der Hautdurchblutung zur Steuerung desWärmehaushaltes.
9 Kreislaufsystem176
Durchblutungsstörungen des Herzens sind relativ häufig.Begründung: Das Herz wird durch zwei Arte- rien versorgt. Dies sind funktionelle End-arterien, die kaum über Anastomosen in Ver-bindung stehen. Durch die ständige Energieverbrauchende Pumptätigkeit hat das Herz einen großen Durchblutungsbedarf.Bei unvollständigem oder kurzzeitigem Ver-schluss kleinerer Gefäße kommt es zu hefti-gem Thoraxschmerz, der oft in den linken Arm ausstrahlt (Angina pectoris). Einige Tropfen oder Spraystöße Nitroglyzerin (überdie Mundschleimhaut resorbiert) lindernprompt die Beschwerden, weil dadurch eineErweiterung der Herzkranzgefäße erfolgt. Dervollständige Verschluss eines Gefäßes (meistdurch einen Thrombus) verursacht extrem star-ke Brustschmerzen (Herzinfarkt). Das Überle-ben des Patienten hängt hauptsächlich davonab, wie schnell er in eine Klinik kommt unddort der Thrombus durch künstliche Fibrino-lyse mit Medikamenten (z. B. Streptokinase,Urokinase) aufgelöst wird. Auch heute nochsterben viele Menschen am Herzinfarkt, da beieinem größeren Gefäßverschluss das dahinterliegende Herzmuskelgewebe irreversibel ge-schädigt wird und der Pumpvorgang nicht auf-rechterhalten werden kann.
❑P
Viele Herzmedikamente wirken über dieBeeinflussung des vegetativen Nervensystems (z. B. Betablocker).
❑PArteriole
Kapillaren
interstitielle Flüssigkeit
Venole
Gewebe
Kapillargebiet. Abb. 9.21
Bau der Gefäße Alle Hohlorgane haben ein gemeinsames Bau-prinzip: Die Wände bestehen meist aus dreiHauptschichten. Bei den Gefäßen werden dreiSchichten unterschieden; der von ihnen umgebe-ne Hohlraum heißt Gefäßlumen.Intima (Innenschicht). Sie wird gebildet aus• dem Endothel und einem • bindegewebigen Anteil.Media (Mittelschicht). Sie ist die stärkste Schicht und besteht aus• elastischen und kollagenen Fasern sowie • glatten Muskelzellen.Adventitia (Außenschicht). Sie setzt sich auskollagenen und elastischen Fasernetzen zusammen,die mit der Umgebung in Verbindung stehen.
ArterienArterien zeigen den klassischen Dreischichten-aufbau. Man unterscheidet:– Arterien elastischen Typs, bei denen die elasti-
schen Elemente in der Media überwiegen. Da-zu gehören die Aorta und ihre Äste (herznahe Arterien). Sie ermöglichen die so genannte Windkesselfunktion (✑ Kap. 9.6.3, S. 196).
– Arterien muskulären Typs, die in der Media reichlich glatte Muskelzellen besitzen. Dazu gehören die herzfernen kleineren Arterien und Arteriolen, über die die Regulation der Organ-durchblutung erfolgt.
– Endarterien haben keine Anastomosen, sodassbei Verschluss keine Umgehung (= Kollateral-kreislauf) möglich ist und das nicht mehr ver-sorgte Gewebe abstirbt. Endarterien besitzenz. B. Herz, Lunge, Niere, Leber, Milz, Gehirn.
Die Blutversorgung der Arterienwand bei Arte-rien bis etwa 1 mm Durchmesser erfolgt durchDiffusion aus dem durchströmenden Blut. GroßeArterien wie z. B. die Aorta werden durch eige-ne Blutgefäße (Vasa vasorum) mit Sauerstoffversorgt.
9.5 Gefäßsystem 177
Arteriole
Venole
Brückenanastomose
Kapillaren
Anastomosen.Abb. 9.22
Hauptgefäß
Nebengefäß
Gewebe
interstitielleFlüssigkeit
Bei Unterbrechung des Blutstromes imHauptgefäß erfolgt die Blutversorgung desbetreffenden Gewebeabschnittes über dieNebengefäße.
Kollateral- oderUmgehungskreislauf. Abb. 9.23
Häufigste Erkrankung der Arterien ist die Arteriosklerose (Arterienverkalkung).❑P
Arterie –elastischer Typ
Arterie –muskulöser Typ
Vene
elastischeMembran
Media
Externa mit ver-
sorgendenBlutgefäßenund Nerven
Gefäßendothel
größere Arterie
Gefäßlumen
Interna
GefäßlumenGefäßendothel
Intima(Tunica interna)
Externa(Tunica externa)
Media(Tunica media)
Bau von Arterie und Vene. Abb. 9.24
VenenDer Bau der Venenwand entspricht im Prinzipdem der muskulären Arterien. Im Unterschied zudiesen ist aber die Venenwand dünner. Am stärk-sten sind die Wände (Media) der Beinvenen. ZurVerhinderung des Blutrückstromes dienen dieVenenklappen (= Taschenklappen).
KapillarenDie Kapillarwand ist einschichtig und bestehtnur aus der Intima, die von einem Gitterfaser-häutchen umhüllt wird. Der Durchmesser derkleinsten Kapillaren ist geringer als der einesErythrozyten, sodass diese sich nur aufgrundihrer Elastizität hindurchbewegen können.
9.5.2 Blutkreislauf
Als Blutkreislauf wird der durch die Herztätigkeitbewirkte Blutumlauf im Blutgefäßsystem be-zeichnet. Der Blutkreislauf als funktionelle Ein-heit von Herz und Gefäßen sichert den Stoff-und Wärmetransport im Körper über größereStrecken. Beim Menschen strömt das Blut ineiner doppelt kreisförmigen Bahn. Der Blutkreis-lauf besteht aus zwei hintereinander (in Reihe)geschalteten Abschnitten.
1. Kleiner Blut- oder LungenkreislaufDas ist der Weg des O2-armen und CO2-reichenBlutes aus dem rechten Ventrikel durch die
Pulmonalklappe über die Lungenarterien in dieKapillaren der Lunge. Nach erfolgtem Gasaus-tausch wird das O2-reiche und CO2-arme Blut über die Lungenvenen in den linken Vorhoftransportiert. Vom linken Vorhof fließt das Blutdurch die Mitralis in den linken Ventrikel.
2. Großer Blut- oder KörperkreislaufDen Weg des O2-reichen und CO2-armen Blutesaus dem linken Ventrikel durch die Aortenklappeüber die Aorta und ihre Äste in die Kapillarender parallel geschalteten Organ- bzw. Teilkreis-läufe (Herz, Milz, Magen, Muskulatur, Niereusw.) nennt man den großen oder Körperkreis-lauf. Nach erfolgtem Stoffaustausch sammeltsich das O2-arme und CO2-reiche Blut in denVenen, die schließlich als V. cava superior undinferior in den rechten Vorhof münden. Vomrechten Vorhof fließt das Blut durch dieTricuspidalis in den rechten Ventrikel.
Die einzelnen Organkreisläufe (z. B. Nierenkreis-lauf) des Körperkreislaufes sind parallel geschal-tet, d. h., jedes Organ erhält einen bestimmten Teildes Gesamtblutvolumens. Jeder Organkreislauf zeigt eine bestimmteGefäßfolge:
9 Kreislaufsystem178
Venenklappen
Venenklappen.Abb. 9.25
Häufige Erkrankungen der Venen sind Krampfadern (Varizen) als Folge schwacher Venenwände: Die Klappen schließen nur noch unvollkommen.
❑P Das Blut gelangt über Venen immer zuerst indie Vorhöfe. Im Herzen fließt das Blut dannvom rechten Vorhof in die rechte und vom linken Vorhof in die linke Herzkammer. Inder rechten Herzhälfte befindet sich O2-armes, in der linken Herzhälfte O2-reichesBlut.
Merke
große Arterien
mittlere Arterien
kleine Arterien
ArteriolenKapillaren
Venolen
kleine Venen
mittlere Venen
große Venen
9.5 Gefäßsystem 179
Blutkreislauf. Abb. 9.26
linke Lungenarterie(A. pulmonalis sinstra)
linke Lungenvenen(Vv. pulmonales sinistrae)
Lungenstamm-arterie(Truncus pulmonalis)
linker Vorhof(Atrium sinistrum)
linke Herzkammer(Ventriculus sinister)
Aorta
Oberschenkel-schlagader(A. femoralis)
gemeinsameHalsschlagader
(A. carotis communis)
obere Hohlvene
(V. cava superior)
rechter Vorhof
(Atrium dextrum)
rechte Herzkammer
(Ventriculus dexter)
Leber(Hepar)
Pfortader(V. portae)
Grimmdarm(Colon)
untere Hohlvene
(V. cava inferior)
Bauch-aorta
gemeinsameDarmbein-schlagader
(A. iliaca communis)
Die Arterien verzweigen sich bis zu den Kapilla-ren ständig weiter auf. Dabei nimmt der Gesamt-querschnitt zu, Durchmesser und Wandstärke ab.Ebenso verringert sich die Strömungsgeschwin-digkeit des Blutes. Die Organdurchblutung wird vom vegetativenNervensystem und durch Hormone dem jeweili-gen Funktionszustand angepasst.
Arterien des Körperkreislaufes und ihreVersorgungsgebieteAlle großen Arterien des Körperkreislaufes ent-springen aus der Aorta. Die Aorta beginnt im lin-ken Ventrikel und wird ihrem Verlauf entspre-chend in folgende Abschnitte gegliedert: – Aufsteigende Aorta (Pars ascendens aortae) im
oberen Mediastinum. – Aortenbogen (Arcus aortae) verläuft im obe-
ren Mediastinum zur Hinterwand.
9 Kreislaufsystem180
Aufsteigende Aorta Rechte und linke Herzkranzarterie Herzwand(Pars ascendens aortae) (A. coronaria dextra et sinistra)
Aortenbogen – Truncus brachiocephalicus mit (Arcus aortae) rechter gemeinsamer Halsarterie
(A. carotis communis dextra) undrechter Schlüsselbeinarterie (A. subclavia dextra) Hals, Kopf, Arm.
– linke gemeinsame Halsarterie (A. carotis communis sinistra)
– linke Schlüsselbeinarterie (A. subclavia sinistra)
Brustaorta Bronchialarterien und (Pars thoracica aortae) Speiseröhrenarterien, Brusteingeweide,
obere Zwerchfellarterien, Zwerchfelloberseite, Zwischenrippenarterien. Brustwand.
Bauchaorta Unpaarige Äste: (Pars abdominalis aortae) – Bauchhöhlenstamm
(Truncus coeliacus) mit • linker Magenarterie, Magen, Duodenum, • gemeinsamer Leberarterie, Leber, Milz,• Milzarterie (A. splenica); Bauchspeicheldrüse.
– obere Gekrösearterie Darm ab Jejunum bis(A. mesenterica superior), Quercolon (2. Drittel).
– untere Gekrösearterie Letztes Drittel Quer- (A. mesenterica inferior). colon bis zum oberen
Teil des Mastdarms.
Paarige Äste – Nebennierenarterien, Nebennieren,– Nierenarterien (Aa. renales), Nieren, – Hoden- bzw. Eierstockarterien, Hoden bzw. Eierstöcke, – Zwerchfellarterien, Zwerchfellunterseite,– Lendenarterien. Bauchwand.
Gemeinsame Hüftarterie (A. iliaca communis) mit
– innerer Hüftarterie (A. iliaca interna), Beckenorgane
– äußerer Hüftarterie (A. iliaca externa). Bein
Aortenabschnitt abgehende Äste Versorgungsgebiete
Aorta und ihre Äste.Tab. 9.7
9.5 Gefäßsystem 181
Schläfenarterie(A. temporalis)
Gesichtsarterie(A. facialis)
Schlüsselbeinarterie(A. subclavia)
Achselarterie(A. axillaris)
Oberarmarterie(A. brachialis)
Nierenarterie(A. renalis)
gemeinsame Hüftarterie
(A. iliaca communis)
Speichenarterie(A. radialis)
Ellenarterie(A. ulnaris)
tiefer Hohlhandbogen
(Arcus palmaris profundus)
oberflächlicher Hohlhandbogen
(Arcus palmaris superficialis)
Kniekehlenarterie(A. poplitea)
vordere Schienbeinarterie
(A. tibialis anterior)
Wadenbeinarterie(A. fibularis)
Fußrückenarterie(A. dorsalis pedis)
äußere Kopfarterie(A. carotis externa)
innere Kopfarterie(A. carotis interna)
gemeinsame Kopfarterie(A. carotis communis)
Stamm der Kopf-Arm-Arterie(Truncus brachiocephalicus)
AortaBauchhöhlenstamm(Truncus coeliacus)
obere Gekrösearterie(A. mesenterica superior)
untere Gekrösearterie(A. mesenterica inferior)
äußere Hüftarterie(A. iliaca externa)
innere Hüftarterie(A. iliaca interna)
Oberschenkelarterie(A. femoralis)
hintere Schienbeinarterien(Aa. tibiales posterior)
Arterien des Körpers – Gesamtübersicht. Abb. 9.27
9 Kreislaufsystem182
Schläfenarterie(A. temporalis superficialis)
rechte gemeinsame Halsarterie(A. carotis communis dextra)
rechte Schlüsselbeinarterie(A. subclavia dextra)
vordere Schienbeinarterie(A. tibialis anterior)
Fußrückenarterie(A. dorsalis pedis)
Achselarterie(A. axillaris)
Oberarmarterie(A. brachialis)
Speichenarterie(A. radialis)
Ellenarterie(A. ulnaris)
Hinterhauptarterie(A. occipitalis)
äußere Halsarterie(A. carotis externa)
innere Halsarterie(A. carotis interna)
linke gemeinsame Halsarterie(A. carotis communis sinistra)
Wirbelarterie(A. vertebralis)
linke Schlüsselbeinarterie(A. subclavia sinistra)
Stamm der Kopf-Arm-Arterie(Truncus brachiocephalicus)
Aortenbogen(Arcus aortae)
Bauchaorta(Pars abdominalis aortae)
äußere Hüftarterie(A. iliaca externa)
Oberschenkelarterie(A. femoralis)
Kniekehlenarterie(A. poplitea)
Wadenbeinarterie(A. fibularis)
hintere Schienbeinarterie
(A. tibialis posterior)
Arterielle Versorgung von Kopf, Arm und Bein.Abb. 9.28
9.5 Gefäßsystem 183
Versorgungsgebiet des oberen Bauchhöhlenstammes (Truncus coeliacus). Abb. 9.30
Leber(Hepar)
Bauchspeicheldrüse(Pankreas)
Zwölffingerdarm(Duodeum)
Milz(Splen, Lien)
Milzarterie(A. lienalis)
linke Magenarterie(A. gastrica sinistra)
gemeinsame Leberarterie(A. hepatica communis)
Ast der A. hepatica communis(A. gastroduodenalis)
Ast der A. lienalis(A. gastroepiploica)
rechte Magenarterie(A. gastrica dextra)
obererBauchhöhlenstamm
(Truncus coeliacus)
Magen(Gaster)
rechte gemeinsameKopfarterie
(A. carotis communis dextra)
rechte Schlüsselbeinarterie
(A. subclavia dextra)
Stamm der rechtenKopf- und
Schlüsselbeinarterie(Truncus brachiocephalicus)
aufsteigende Aorta(Pars ascendens aortae)
Bauchhöhlenstamm(Truncus coeliacus)
obere Gekrösearterie(A. mesenterica superior)
Bauchaorta •(Pars abdominalis aortae)
gemeinsame Hüftarterie
(A. iliaca communis)
äußere Hüftarterie(A. iliaca externa)
linke gemeinsameKopfarterie(A. carotis communis sinistra)
linkeSchlüssel-beinarterie(A. subclavia sinstra)
Aortenbogen(Arcus aortae)
Brustaorta •(Pars thoracica aortae)
linke Nierenarterie(A. renalis sinistra)
Keimdrüsenarterie(Hoden- bzw.Eierstockarterie)
untere Gekrösearterie(A. mesenterica inferior)
Aortengabel(Bifurcatio aortae)
innere Hüftarterie(A. iliaca interna)
• absteigende Aorta(Pars descendens aortae)
Abschnitte der Aorta und ihre Hauptäste. Abb. 9.29
– Absteigende Aorta (Pars descendens aortae) mit • Brustaorta (Pars thoracica aortae) im hinte-
ren Mediastinum, • Bauchaorta (Pars abdominalis aortae) im
Retroperitonealraum.Die Aorta endet mit der Aufgabelung (Bifurcatio aortae) in die beiden gemeinsamen Hüftarterien.
Wichtige Arterien des Körpers ✑ Abb. 9.29,9.30, 9.31 und 9.34.
Venen des Körperkreislaufes und ihreEinzugsgebiete Bei den Venen des Körperkreislaufes unter-scheiden wir – tiefe Venen, die in der Regel als Begleitvenen
der Arterien verlaufen und auch die gleiche Bezeichnung haben, Beispiel: A. radialis und V. radialis,
A. renalis und V. renalis;– oberflächliche oder Hautvenen, die als bläu-
liche Stränge besonders gut an Hand- und Fußrücken sowie in der Ellenbeuge zu sehen sind (Abb. 9.33, S. 185).
Alle Venen sammeln sich in zwei großen Venen-stämmen, der oberen Hohlvene (V. cava superi-or) und der unteren Hohlvene (V. cava inferior).
• Einzugsgebiet der oberen Hohlvene (V. cava superior): Sammelt das Blut aus der oberen Körperhälfte (oberhalb des Zwerchfelles). Sieliegt im oberen Mediastinum.
• Einzugsgebiet der unteren Hohlvene (V. cava inferior): Sammelt das Blut aus der unteren Körperhälfte (unterhalb des Zwerchfelles). Sie liegt im Retroperitonealraum rechts der Bauch-aorta und beginnt mit der Vereinigung der bei-den gemeinsamen Hüftvenen.
Arterien und Venen des Lungenkreislaufes Aus dem rechten Ventrikel entspringt der Lun-genarterienstamm (Truncus pulmonalis), der sich aufteilt in rechte (A. pulmonalis dextra) undlinke Lungenarterie (A. pulmonalis sinistra) (✑Abb. 9.34, S. 186).Beide Arterien treten am Lungenhilus1) in dieLunge ein und zweigen sich dort weiter auf.
Zum Lungenkreislauf gehören 2 rechte und 2 linke Lungenvenen (Vv. pulmonales), die dassauerstoffreiche Blut von den Lungen in den lin-ken Vorhof transportieren.
9 Kreislaufsystem184
Oberflächliche und tiefe Venen stehen durchAnastomosen miteinander in Verbindung.Das venöse Blut fließt von den Oberflächen-venen in die tiefen Venen.
Merke
großes Netz(Omentum majus)
Grimmdarm(Colon)
untereGekrösearterie
(A. mesenterica inferior)
obere Gekrösearterie
(A. mesenterica superior)
Dünndarn(Intestinum tenue)
Versorgungsgebiete derGekrösearterien.Abb. 9.31
Ästchen der Lungenarterie
Bronchiole
Ästchen derLungenvene
Kapillarnetz
Lungen-bläschen(Alveolen)
Übergang der Lungenarteriezu den Lungenvenen. Abb. 9.32
1) Hilus = Hilum
9.5 Gefäßsystem 185
1) Hautvenen
Sinus sagittalis superior
Venengeflecht(Plexus pterygoideus)
Gesichtsvene(V. facialis)
rechteSchlüsselbeinvene
(V. subclavia dextra)
obere Hohlvene(V. cava superior)
Achselvene(V. axillaris)
V. cephalica1)
V. basilica1)
Nierenvene(V. renalis)
V. mediana cubiti1)
rechte Hoden- bzw.Eierstockvene
(V. testicularis dextra,V. ovarica dextra)
gemeinsame Hüftvene
(V. iliaca communis)
Oberschenkelvene(V. femoralis)
große Hautvene (V. saphena magna)
Kniekehlenvene1)
(V. poplitea)
kleine Hautvene (V. saphena parva) –
beginnt im Breich desWadenbeinknöchels,
verläuft an der dorsalenSeite des Unter-
schenkels zur Kniekehle und
mündet hier in die V. poplitea
Venennetz des Fußrückens
(Rete venosum dorsalepedis)
Über die mit • markierten Venen bestehen Verbindungen (Anastomosen) zum Pfort-aderkreislauf
Schläfenvene(V. temporalis)
Sinus transversusHinterhauptvene(V. occipitalis)
äußere Drosselvene(V. jugularis externa)
innere Drosselvene(V. jugularis interna)
linkeSchlüsselbeinvene(V. subclavia sinistra)
Arm-Kopf-Vene(V. brachiocephalica)
linke Längsvene •(V. hemiacygos)
rechte Längsvene •(V. acygos)
Lebervenen(Vv. hepaticae)
untere Hohlvene(V. cava inferior)
aufsteigende Lendenvene •(V. lumbalis ascendens)
linke Hoden- bzw.Eierstockvene
(V. testicularis sinistra,V. ovarica sinistra)
äußere Hüftvene(V. iliaca externa)
innere Hüftvene(V. iliaca interna)
große Hautvene1)
(V. saphena magna) –entsteht im Bereichdes Schienbeinknöchelsund zieht medial amUnter- und Oberschenkelnach proximal
Venen des Körpers – Gesamtübersicht. Abb. 9.33
PfortaderkreislaufUnter den Organkreisläufen des Körperkreis-laufes nimmt der Pfortaderkreislauf eine Sonder-stellung ein. Abbildung 9.35 verdeutlicht dieswie folgt: Das Blut kommt von der Bauchaorta über dieOrganarterien in die Kapillargebiete der unpaari-gen Bauchorgane (Magen, Darm, Bauchspei-cheldrüse, Milz).
Hier finden folgende wichtige Vorgänge statt:– Im Magen- und Darmkapillargebiet erfolgt die
Resorption der Nahrungsstoffe,– im Milzkapillargebiet die Aufnahme von Ab-
bauprodukten des Blutes und– im Bauchspeicheldrüsenkapillargebiet die Auf-
nahme der Hormone Insulin und Glukagon.
Das in seiner Zusammensetzung so veränderteBlut fließt danach über die Venen der unpaarigenBauchorgane in die Pfortader (V. portae), alsonicht wie üblich in die untere Hohlvene. Überdie Pfortader gelangt es in das 2. Kapillargebiet, das der Leber. Von da strömt es schließlich überdie Lebervenen zur unteren Hohlvene.
Die Leber ist das wichtigste Stoffwechselorgan(✑ Kap. 12.6, S. 246), d. h., die im Pfortader-
blut befindlichen Stoffe werden einer Kontrolle unterzogen, bevor sie in die anderen Organegelangen. Die Leber verändert also das Blut deutlich, indem sie u. a. – die resorbierten Nahrungsstoffe abbaut oder
ineinander umwandelt, – toxische Stoffe (Alkohol, Medikamente) ent-
giftet,
9 Kreislaufsystem186
linkeLungenarterie(A. pulmonalis sinistra)
Lungenvenen(Vv. pulmonales)
linker Vorhof(Atrium sinistrum)
Lungenarte-rienstamm(Truncus pulmonalis)
rechte Herzkammer(Ventriculus dexter)
rechteLungenarterie
(A. pulmonalis dextra)
Lungenvenen(Vv. pulmonales)
Arterien und Venen des Lungenkreislaufs.Abb. 9.34
Unter dem Pfortaderkreislauf versteht manfolgenden Weg des Blutes:
Bauchaorta▼
Organarterien der unpaarigen Bauchorgane▼
Kapillaren der unpaarigen Bauchorgane(1. Kapillargebiet)
▼Pfortader (= Sammelvene)
▼Leberkapillaren
(2. Kapillargebiet)▼
Lebervenen▼
untere Hohlvene
Merke
– Hämoglobin in Gallenfarbstoffe umwandelt, – unter Einwirkung von Hormonen den Blut-
zuckerspiegel reguliert.Zwei Besonderheiten des Pfortaderkreislaufessind hervorzuheben.1. Das Blut durchströmt zwei Kapillargebiete.2. Im Venenblut befinden sich nicht nur Stoff-
wechselendprodukte, sondern auch die resor-bierten Nahrungsstoffe.
9.5.3 Lymphgefäßsystem
Das Lymphgefäßsystem stellt ein zusätzlichesAbflusssystem dar, durch das die überschüssigeinterstitielle Flüssigkeit in das Blutgefäßsystemzurückgeführt wird. Blut- und Lymphgefäß-system stehen also in enger Beziehung. DieLymphgefäße durchziehen den gesamten Kör-per, sodass jede Zelle angeschlossen ist. Im Bereich der Blutkapillaren beginnt dasLymphgefäßsystem mit zahlreichen blindver-schlossenen Lymphkapillaren. Die Lymphkapil-laren vereinigen sich zu ableitenden, oft mitKlappen ausgestatteten Lymphgefäßen, die überden Milchbrustgang (Ductus thoracicus) und denrechten Lymphstamm (Ductus lymphaticus dex-ter) in das Venensystem einmünden. An den
9.5 Gefäßsystem 187
linke Magenvene
(V. gastrica sinistra)
Milzvene(V. splenica)
rechteMagenvene
(V. gastrica dextra)
Bauchspeicheldrüsenvenen(Vv. pancreaticae)
obere Gekrösevene(V. mesenterica superior)
untere Gekrösevene(V. mesenterica inferior)
untere Hohlvene(V. cava inferior)
Pfortader(V. portae)
Leberpforte(Porta hepatis)
Venen des Pfortaderkreislaufes (Organe von dorsal). Abb. 9.35
Bei Verstopfung der Pfortader nimmt dasBlut einen Umweg (Kollateralkreislauf) überAnastomosen, die zu Venen der vorderenBauchwand führen. Deren Erweiterung führtzum sog. Medusenhaupt. Eine weitere Um-gehung erfolgt über Speiseröhrenvenen unddamit verbundener Varizenbildung.
❑P
Extremitäten verlaufen die mittleren Lymphge-fäße häufig in unmittelbarer Nachbarschaft dergrößeren Hautvenen.
Der Ductus thoracicus ist der größte Lymph-stamm. Er beginnt in Höhe des 1. Lendenwirbelsmit einer bläschenförmigen Erweiterung (= Cisterna chyli) und tritt mit der Aorta durchdas Zwerchfell. Danach verläuft er im hinterenMediastinum und mündet in den linken Venen-winkel (= Vereinigung von V. subclavia sinistraund V. jugularis interna sinistra). Er sammelt dieLymphe aus allen Körperteilen unterhalb desZwerchfelles, dem linken Arm und der linkenBrust-, Hals- und Kopfseite. Der nur ca. 1 cm lange Ductus lymphaticus dex-ter mündet in den rechten Venenwinkel (Ver-einigung von V. subclavia dextra und V. jugularisinterna dextra) und sammelt die Lymphe ausdem rechten Arm und der rechten Hals- undKopfseite. Bevor die Lymphe in die großenLymphgefäße gelangt, passiert sie zahlreichezwischengeschaltete Lymphknoten. Diese kom-men an bestimmten Stellen gehäuft vor (z. B.regionäre Lymphknoten) und besitzen Filter-und Abwehrfunktion.
Zusammensetzung der Lymphe Die Lymphe besteht aus interstitieller Flüssigkeitund ist ähnlich dem Blutplasma zusammenge-setzt. Wichtige Unterschiede zum Blutplasmasind höherer Wasseranteil, geringerer Eiweiß-anteil (ca. 20 g/l), geringerer Glucoseanteil. Außer-dem enthält sie keine Erythrozyten. Es gibt aller-dings erhebliche regionale Unterschiede.
LymphmengeSie beträgt unter normalen Bedingungen ca. 2 l/d (= 1/10 des kapillären Filtrats).
Lymphtransport Das Lymphsystem hat im Unterschied zumBlutgefäßsystem kein Pumporgan. Der Trans-port der Lymphe erfolgt durch Kontraktion derglatten Gefäßmuskulatur und durch vorüber-gehende Drucksteigerung in der Umgebung derLymphgefäße. Die mittlere Strömungsgeschwin-digkeit ist dementsprechend sehr langsam.
Aufgabe Das Lymphgefäßsystem dient dem Stofftrans-port in Richtung Herz, wobei gleichzeitigKontroll- und Abwehraufgaben erfüllt werden.Transportiert werden solche Stoffe, die die Wandder Blutkapillaren nicht passieren können underst „gefiltert“ werden müssen. Beispiele: Bakterien, Ruß, Krebszellen undFettstoffe (werden im Dünndarm resorbiert).
9 Kreislaufsystem188
Blutkapillare
Arteriole
Interzellularraum
Venole
Lymphgefäß
Gewebe
blindgeschlosseneLymphkapillare
Blut- und Lymphkapillaren.Abb. 9.36
Die Flüssigkeit in den Lymphgefäßen wirdals Lymphe bezeichnet. Sie fließt nur in eineRichtung.
Merke
Die Darmlymphe heißt Chylus und ist vor al-lem für den Abtransport von Fettstoffen ver-antwortlich (Ursache für das milchige Aus-sehen).
Merke
Verschluss von Lymphgefäßen führt zuLymphödemen. Entzündungen der Hautlymph-gefäße (z. B. nach Insektenstich) erkennt manan deren roter Verfärbung („roter Strich“ – imVolksmund fälschlich als „Blutvergiftung“ be-zeichnet).
❑P
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems
Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit der Herz-tätigkeit und den speziellen Aufgaben der einzel-nen Gefäßarten.
Funktion des Herzens Die Pumptätigkeit des Herzens gewährleistet diestetige Strömung des Blutes durch das Gefäß-system. Das Aussetzen der Herztätigkeit bedeu-tet bereits nach wenigen Minuten den Tod. Um
weitestgehend selbständig zu sein, bildet das Herzdeshalb die Erregungen selbst. Bei der Tätigkeitdes Herzens sind demnach das elektrischeGeschehen (Erregung) und das mechanischeGeschehen (Pumptätigkeit) zu unterscheiden.
9.6.1 Erregung des Herzens
Die Pumptätigkeit des Herzens wird durchAktionspotentiale ausgelöst, die vom Herzmus-kelgewebe selbst und spontan gebildet werden.
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 189
Lymphknoten hinter dem Ohr
Unterkieferlymphknoten
rechter Lymphstamm(Ductus lymphaticus dexter)
Achsellymphknoten
Ellenbogen-lymphknoten
AchsellymphknotenLungenhiluslymphknotenBrustmilchgang(Ductus thoracicus)
Cisterna chyli
Gekröselymphknoten
Beckenlymphknoten
Leistenlymphknoten
Lymphgefäßsystem. Abb. 9.37
Man nennt dies Autorhythmie oder Autonomie(für alle anderen Muskeln des Körpers werdendie Aktionspotentiale im Zentralnervensystemerzeugt). Das Myokard besteht demnach aus zwei Typenvon Herzmuskelzellen: • Zellen, die sich verkürzen können, sie bilden
die Arbeitsmuskulatur;• Zellen, die rhythmisch Aktionspotentiale pro-
duzieren und weiterleiten, sie bilden das Er-regungsbildungs- und Erregungsleitungs-system (Reizleitungssystem) des Herzens.
Da die Herzmuskelzellen nicht gegeneinanderisoliert sind, breitet sich eine Erregung, die imHerzmuskel entsteht, immer über das gesamteHerz aus (Alles-oder-Nichts-Gesetz, ✑ S. 74).
Erregungsbildung und -weiterleitungDas Erregungsbildungs- und Erregungsleitungs-system wird von verschiedenen Strukturen ge-bildet.
1. SinusknotenVom Sinusknoten geht normalerweise derAnstoß zu einem Herzschlag aus, weshalb erauch als Schrittmacher des Herzens bezeich-net wird. Er liegt im rechten Vorhof zwischender Einmündung der V. cava superior und demrechten Herzohr. Der Sinusknoten treibt bei Körperruhe das Herz mit einer Frequenz von ca. 70 Aktions-potentialen (= elektrische Impulse) pro Minu-te an (=Sinusrhythmus).
2. VorhofmyokardVom Sinusknoten breitet sich die Erregunggleichmäßig über das Myokard beider Vorhöfe aus, sodass diese gleichzeitig kontrahieren. Anschließend wird der AV-Knoten erregt. Wegen der Isolationseigenschaft des Herzske-lettes kann die Erregung nicht unmittelbar vomVorhof- auf das Kammermyokard übergehen.
9 Kreislaufsystem190
Herzskelett –bestehend aus4 bindegewebigen Ringen(Anuli fibrosi)
linke Herzkammer(Ventriculus sinister)
Papillarmuskeln
Purkinje’sche Fasern
linker Kammer-schenkelrechte Herzkammer(Ventriculus dexter)
linker Vorhof(Atrium sinistrum)
Sinusknoten
His-Bündel
Atrioventrikular-knoten1)
(AV-Knoten)
rechter Vorhof(Atrium dextrum)
rechter Kammer-schenkel
1) AV-Knoten = Vorhof-Kammer-Knoten, früher auch Aschoff-Tawara-Knoten genannt
Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystem des Herzens.Abb. 9.38
3. Vorhof-Kammer-Knoten, Atrioventrikular-knoten, AV-Knoten, Aschoff-Tawara-Knoten.Er liegt in der Vorhofscheidewand unter dem Endokard zwischen der Mündung des Sinus coronarius und der Tricuspidalis.Der AV-Knoten bildet die Überleitungsstellezwischen den Vorhöfen und Ventrikeln. Er verzögert die Erregungsleitung etwas.
4. His-BündelVom AV-Knoten läuft die Erregung auf einer vorgeschriebenen Bahn in Richtung Herz-spitze weiter. Unmittelbar an ihn schließt sich das His-Bündel an und zieht zur Kammer- scheidewand. Es liegt in einer Lücke des Herzskelettes.
5. KammerschenkelDas His-Bündel teilt sich in die beiden Kammerschenkel, die zur Herzspitze ziehen und sich dabei aufzweigen. Sie liegen links und rechts des Kammerseptums.
6. Purkinje’sche FasernAls Purkinje’sche Fasern bezeichnet man die Aufzweigungen der beiden Kammerschenkel, die die Erregung auf die Kammer- und die Papillarmuskulatur übertragen. Dies geschieht
ebenfalls gleichmäßig, sodass auch beide Kam-mern zur gleichen Zeit kontrahieren. Die Kontraktion der Herzkammern setzt un-mittelbar nach Beendigung der Vorhofkon-traktion ein.
Das Elektrokardiogramm (EKG, ✑ Abb. 9.40, S. 192) Das EKG registriert die mit dem Erregungs-geschehen des Herzens verbundenen Spannungs-schwankungen. Es kann Auskunft geben über: • Herzfrequenz, • Erregungsrhythmus und -ursprung,• Impulsausbreitung,• Erregungsrückbildung,• Herzlage.
9.6.2 Mechanik der Herztätigkeit
Die Herztätigkeit verläuft in Form einer Pump-arbeit (Herz als Saug-Druck-Pumpe), die sich ineinem dauernden Wechsel von Systole (Kontrak-tion) mit Anspannungs- und Austreibungsphaseund Diastole (Erschlaffung) mit Entspannungs-und Füllungsphase vollzieht.
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 191
• Der Sinusknoten bildet die Erregungen für das Herz automatisch. Die Sinusfrequenz beträgt in Ruhe ca. 70 Impulse pro Minute.
• Zuerst werden beide Vorhöfe gleichmäßig erregt, sodass sie auch gleichzeitig kontra-hieren.
• Etwas später werden beide Kammern gleich-mäßig erregt, sodass auch sie gleichzeitig kontrahieren.
• Diese geordnete Erregungsbildung und -ausbreitung ist Voraussetzung für die Be-wegung des Blutes in einem vorgegebenen Richtungssinn.
• Grundsätzlich kann die automatische Erre-gungsbildung im gesamten Herzen erfolgen,sodass ein Ausfall des Sinusknotens nicht zum Herzstillstand führt. Die Impulsfre-quenz anderer Teile ist aber immer niedriger,z. B. AV-Rhythmus: 30 – 40 Impulse/min.
• Beim gesunden Herzen bildet der Sinus-knoten die Erregungen am schnellsten undunterdrückt dadurch die anderen Teile(Sinusknoten als Schrittmacher).
Merke
Das Erregungsgeschehen kann durch ver-schiedene Schädigungen gestört werden. Manspricht von Herzrhythmusstörungen.Beispiele:– Störung der Erregungsbildung (Sinustachy-
kardie, Sinusbradykardie, Sinusarrhythmie, Extrasystolen u. a.),
– Störung der Erregungsleitung (Herzblock).
Bei Ausfall des Sinusknotens kann dessenFunktion durch einen künstlichen „Herzschritt-macher“ ersetzt werden.
❑P
Das EKG leistet hauptsächlich einen Bei-trag zur Diagnosefindung von Herzrhythmus-störungen und Herzdurchblutungsstörungen(Angina pectoris, Herzinfarkt). Es hat nur einebedingte Aussagekraft zur Herzleistung.
Die gebräuchlichsten Ableitungen sind stan-dardisiert, um vergleichbare Aufzeichnungen zu erhalten (✑ Abb. 9.39, S. 192).
❑P
9 Kreislaufsystem192
nach Einthoven nach Goldberger nach Wilson
+
–
+
–
+–
+ –
+–
EKG-Ableitungen.Abb. 9.39
P = VorhoferregungQR = KammererregungST = Erregungsrückbildung
in der Kammer-muskulatur
Elektrokardiogramm (EKG).Abb. 9.40
Der Herzzyklus erzeugt fortlaufende Druck- undVolumenveränderungen, die ein entsprechendesSpiel der Herzklappen und damit die Blutströ-mung gewährleisten.
Ablauf eines HerzschlagesFolgende ursächliche Zusammenhänge sind zubeachten:
Begleiterscheinungen der HerzaktionDurch den Klappenschluss erzeugte Schwingun-gen führen zu diagnostisch verwertbaren Schall-erscheinungen. Man unterscheidet den 1. Herz-ton, der beim Schluss der Segelklappen amSystolenbeginn auftritt, und den 2. Herzton, derbeim Schluss der Taschenklappen am Diastolen-beginn auftritt.
HerzleistungDie Förderleistung des Herzens wird als Herz-minutenvolumen (= Herzzeitvolumen) berechnet.
Herzminutenvolumen (HMV) = Herzfrequenz • Schlagvolumen.
Beispiel:Herzfrequenz: 72 Schläge pro MinuteSchlagvolumen: 70 ml pro KontraktionHMV 72 Schläge • 70 ml
= 4,9 Liter pro Minute
Regelung der Herzleistung (✑ Abb. 9.41)Die Eigenrhythmik (Autonomie) des Herzenskann vom vegetativen Nervensystem (✑ S. 364)modifiziert werden. Dadurch erfolgt die funk-tionsgerechte Einstellung der Herztätigkeit ent-sprechend der Belastungssituation.
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 193
Nur während der Diastole fließt das Blut vonder Aorta in die Herzkranzgefäße, sodass derhohe Blutbedarf des Herzmuskels gedecktwird. Während der Systole werden die Herz-kranzgefäße durch die Muskelkontraktionen„abgedrückt“.
Merke
Wie die Vorgänge imEinzelnen ablaufen,ist aus der Tabelle 9.8,Seite 194 und derAbb. 9.42, Seite 195zu ersehen.
Das Herzminutenvolumen gibt an, welcheBlutmenge pro Minute in das Gefäßsystemgepumpt wird.
Merke
Herzfrequenz(Herzschlag pro Minute)
Regelung der Herzleistung. Abb. 9.41
N. vagusreduziert
Sympathicussteigert
Störungen der Klappenfunktion (Klappen-fehler), z. B. eine Stenose (Klappen können sichnicht mehr richtig öffnen) oder eine Insuffizienz(Klappen schließen sich nicht mehr vollständig)beeinträchtigen die Pumpfunktion. Funktionsun-tüchtige Herzklappen können durch künstlicheKlappen ersetzt werden. Stenosen (Verengun-gen) und Insuffizienzen verursachen Schall-erscheinungen. Sie (Töne = physiologisch, Ge-räusche = meist pathologisch) können vom Arztmit dem Stethoskop abgehört werden, wobeider Schall jeder Klappe an bestimmten Stellender Brustwand am besten zu hören und dadurchmeist einer bestimmten Klappe zuzuordnen ist.Objektiviert werden können die Schallereignissemittels der Phonokardiographie.
❑P
Elektrischer Impuls�
Muskeltätigkeit�
Druckverhältnisse�
Klappenstellung�
Blutbewegung
Bei körperlicher Anstrengung kann das Herz-minutenvolumen bis auf 20 l/min ansteigen.❑P
9 Kreislaufsystem194
Sinusknotenimpuls breitet sich im Vorhofmyokard aus�
Kontraktion des Vorhofmyokards(Vorhöfe sind zu diesem Zeitpunkt gefüllt; Segelklappen offen und
Taschenklappen geschlossen)�
geringer Anstieg des Vorhofdruckes�
wenig Blut strömt von den Vorhöfen in die Kammern�
Erregungsübertragung auf das Kammermyokard�
Kontraktionsbeginn des Kammermyokards�
Kammerdruck steigt über Vorhofdruck�
Segelklappen werden geschlossen�
Kammermyokard kontrahiert weiter�
Kammerdruck steigt über den Arteriendruck�
Taschenklappen werden geöffnet
� �
Erregungsrückbildung�
Erschlaffung des Kammermyokards�
Kammerdruck fällt –zunächst unter den Arteriendruck
�Taschenklappen werden geschlossen,
sodass der Rückfluss des Blutes in die Kammern verhindert wird –Kammerdruck fällt unter den Vorhofdruck
�Segelklappen werden geöffnet
�Ventilebene verlagert sich wieder herzbasiswärts
�Blut fließt von den Vorhöfen in die Kammern –
anfangs schnell, dann langsamer –gleichzeitig kann Blut über die Einflussbahnen in die Vorhöfe nachfließen
Vorhöfe und Kammern befinden sich während dieser Zeit in einer kurzenRuhephase (= Erholungszeit)
Schlagvolumen von ca. 70 ml
wird aus jeder Kammerin die Ausflussbahnen gedrückt;
Restvolumenvon ca. 70 ml
verbleibt in den Kammern
Gleichzeitig verlagert sich die Ventilebene herzspitzenwärts
�Entstehung eines Soges in den
Vorhöfen�
Füllung der Vorhöfe
BeginnKammersystole– Anspannungs-
phase
– Austreibungs-phase
Ende Kammersystole
BeginnKammerdiastole– Entspannungs-
phase
– Kammer- füllungsphase
EndeKammerdiastole
Herzaktion.Tab. 9.8
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 195
Aortenklappe und Pulmonalklappe geöffnet – Mitralis und
Tricuspidalis geschlossen
Aortenklappe und Pulmonal- klappe geschlossen –
Mitralis und Tricuspidalis geöffnet
Kammern gefüllt,Segelklappen offen,Taschenklappen zu,Kammerdruck fast 0 mmHg
isometrischeKontraktion desKammermyokards,Segelklappen werden geschlossen
isotonische Kontraktiondes Kammermyokards,Taschenklappen werdengeöffnet, Schlagvolumenwird ausgestoßen,Vorhöfe werden gefüllt
Entspannung des Kammermyokards,Segelklappen werden geöffnet,Kammern werden gefüllt
Hauptphasen der Herzaktion
Anspannungsphase
Austreibungsphase
Entspannungs- und Füllungsphase
Ausgangs-situation
zu Beginn der Systole
Systole Diastole
Ventilebene
Unter-druck
Unter-druck
10 mmHg
10 mmHg
80 mmHg
80 mmHg
80 mmHg
130 mmHg
25 mmHg
130 mmHg
40 mmHg
40 mmHg
25 mmHg
25 mmHg
fast0 mmHg
fast0 mmHg
fast0 mmHg
fast0 mmHg
Ventilebene
Ablauf des Herzschlages. Abb. 9.42
9.6.3 Funktion der Gefäße
Der Transport des Blutes unterliegt bestimmtenphysikalischen Gesetzmäßigkeiten, von denenhier einige genannt werden.a) Das Blut strömt entlang des herrschenden
Druckgefälles im Kreislaufsystem.b) Die Durchflussmenge ist umso größer, je grö-
ßer die Druckdifferenz und je geringer der Strömungswiderstand ist.
c) Der Strömungswiderstand ist umso geringer, je kürzer und je weiter die Gefäße sind (durch
9 Kreislaufsystem196
Querschnitt
Strömungs-geschwindigkeit
Blutdruck
70
60
50
40
30
20
10
80
10
20
30
40
50
60
10
20
30
40
50
60
70
63
1273
15
Volumen
34
27
47
19
Widerstand
1,5
29
59
10
0,5
Oberfläche
20
40
60
80
100
120
140
5
10
15
500
1000
1500
2000
2500
3000
3500
4000
[cm ]2
[cm/s]
[mmHg]
[%]
[%]
[%]
Art
erie
n
Art
erio
len
Kap
illar
enV
enol
en
Ven
en
Art
erie
n
Art
erio
len
Kap
illar
enV
enol
en
Ven
en
Hoch- und Niederdrucksystem.Abb. 9.43
Parallelschaltung der vielen Kapillaren ist der Strömungs-widerstand trotz des geringen Durchmessers der einzelnen Kapillare geringer als in den Arteriolen).
d) Die Strömungsgeschwindig-keit ist in den Kapillaren am geringsten und in der Aorta am höchsten (✑ Abb. 9.43).
Arteriensystem Die Arterien erfüllen zwei Auf-gaben. Sie verteilen das Blut aufdie Körperperipherie und ver-wandeln die stoßweise Blutströ-mung am Aortenanfang in eineannähernd kontinuierliche Strö-mung (Windkesselfunktion).
BlutdruckDer in den Blutgefäßen und Herzinnenräumenherrschende Druck heißt Blutdruck.
Beim Blutdruckmessen werden 2 arterielle Blut-druckwerte ermittelt; der systolische arterielleBlutdruckwert, der während der Austreibungs-phase der Kammersystole entsteht, und der dias-tolische arterielle Blutdruckwert, der währendder Kammerdiastole vorherrscht.
Im Pars ascendens aortae eines jungen, gesundenErwachsenen betragen die Werte durchschnittlich:• systolisch 120 mmHg1) (= 120 Torr),• diastolisch 80 mmHg (= 80 Torr).Der mittlere arterielle Blutdruck beträgt mithin100 mmHg.Die Höhe des Blutdruckes hängt vor allem von 3 Faktoren ab:– von der Pumpkraft des Herzens,– von der Größe des Schlagvolumens und– vom peripheren Widerstand (Gefäßquerschnitt,
Elastizität und „Glattheit“ der Gefäßwand).
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 197
Austreibungsphase derKammersystoleEin Teil des Schlagvolumensfließt als systolisches Ab-flussvolumen sofort weiter,ein anderer Teil wird kurz-fristig in dem sich dehnen-den Aortenabschnitt gespei-chert. Es entsteht der systoli-sche arterielle Blutdruckwert.
DiastoleIn der Phase des Druckabfalls zieht sich diegedehnte Aortenwand elastisch zusammenund bewirkt das Weiterfließen des Blutes inRichtung Kapillaren. Es entsteht der diastoli-sche arterielle Blutdruckwert.
vorübergehende Speicherung von Blut
weiterfließendes Blut
Systole (Austreibungsphase)
Systole (Austreibungsphase)
Diastole weiterfließendes Blut
Entspeicherung
Pulswelle
linker Ventrikel
Aortenklappe auf
Aortenklappe auf
Aortenklappe zu
Windkesselfunktion. Abb. 9.44
Merke
1) mmHg = Millimeter Quecksilbersäule
Der systolische arterielle Blutdruck hängthauptsächlich vom Herzminutenvolumen undder diastolische arterielle Blutdruck vomperipheren Widerstand in den Arteriolen ab.
Merke
BlutdruckamplitudeDie Blutdruckamplitude ist die Differenz zwi-schen systolischem und diastolischem arteriellenBlutdruck. Sie beträgt in dem angegebenenBeispiel 40 mmHg (= 40 Torr).
BlutdruckmessungenDer Blutdruck kann direkt oder indirekt gemes-sen werden. Die direkte oder blutige Blutdruck-messung erfolgt im Blutgefäß. Sie ist sehr genauund kommt nur in der Klinik zum Einsatz.Die bekannteste und am häufigsten angewandteMethode ist die indirekte oder unblutige Blut-druckmessung nach Riva Rocci (RR). Sie erfolgtan der Oberarmarterie (A. brachialis) mithilfeeiner aufblasbaren Gummimanschette, die miteinem Druckmesser (Manometer) verbunden ist.Genutzt werden die Strömungsgeräusche (sog.Korotkoff-Geräusche) des Blutes.Darüber hinaus gibt es eine Reihe automatischerBlutdruckmessgeräte zur individuellen Blut-druckkontrolle, die meistens nicht auf den Korot-koff-Geräuschen basieren und zum Teil zurMessung an den Handgelenken befestigt werden.
Puls (Stoß, Schlag)Als Puls wird die rhythmische Erweiterung dergroßen elastischen Arterien bezeichnet. DieseErweiterung entsteht durch den Anschlag dervom Herzen erzeugten Druckwelle an den Ge-fäßwandungen und ist als Erhebung mit demFinger tastbar.
Verteilungsfunktion der Arteriolen (✑ Abb. 9.45)Die Verteilung des Herzminutenvolumens auf dieeinzelnen parallel geschalteten Organkreisläufe ge-schieht durch die Arteriolen. Unter dem Einflussdes vegetativen Nervensystems bzw. von bestimm-ten Hormonen werden diese Gefäße verengt odererweitert, somit auch der periphere Widerstandverändert und die Durchblutung gesteuert.
KapillarsystemIn den Kapillargebieten findet der Austauschaller transportierten Stoffe zwischen demTransportmittel Blut und dem Gewebe über dieinterstitielle Flüssigkeit statt.
Im Bereich der Kapillargebiete erfolgt dieVersorgung und die Entsorgung der Zellen, diehormonelle Informationsübertragung sowie derAusgleich der Wasser- und Elektrolytbilanz. DieKapillargebiete sind durch folgende Eigen-schaften diesen Funktionen bestens angepasst:• Gesamtquerschnitt ⇒ langsame Strömung,• Oberflächenvergrößerung infolge starker Ge-
fäßverzweigung ⇒ große Austauschfläche,• sehr dünne durchlässige Gefäßwände
⇒ kurze Transportwege,• kleine Versorgungsgebiete, kleiner Radius
⇒ ausreichender Druck.Der Flüssigkeitsaustausch zwischen Blut, inter-stitieller Flüssigkeit und Zellen wird durch fol-gende Mechanismen gewährleistet:• Diffusion (✑ S. 32). Hat die größte Bedeutung.
Frei diffundieren können kleine Teilchen. Dazugehören H2O, O2, CO2, lipidlösliche Substanzenwie Alkohol, Elektrolyte, Harnstoff. Mit zu-nehmender Teilchengröße wird die Diffusion immer stärker behindert (z. B. für Glucose)bzw. unmöglich (z. B. für Albumine).
• Filtration (✑ S. 33). Durch die Filtration kön- nen schnelle Flüssigkeitsverschiebungenzwischen Blutplasma und Zwischenzellraum (Interstitium) realisiert werden. Die treibende Kraft ist der effektive Filtrations- bzw. Re-absorptionsdruck (= Druckdifferenz zwischen Blut und Gewebe). Aus Abbildung 9.46 ist zu
9 Kreislaufsystem198
Die Pulsfrequenz ist die Anzahl der Puls-schläge pro Minute. Es gilt: Sinusfrequenz = Herzfrequenz = Pulsfrequenz(normal: 60 – 80 pro Minute)
Merke
Eine Pulsfrequenz unter 60 Schlägen pro Minute heißt Bradykardie. Über 100 Schläge pro Minute werden als Tachykardie bezeich-net. Unter der Pulsqualität versteht man den Füllungszustand der Arterien. Als Pulsrhyth-mus wird die Regelmäßigkeit bzw. Unregel-mäßigkeit des Pulses bezeichnet. Arrhyth-mien können krankhaft sein. Durch Palpationder Pulswelle können wichtige Informationenüber den Funktionszustand des kardiovas-kulären Systems gewonnen werden.
❑P
Die Arteriolen sind die wirksamsten Wider-standsregler des Kreislaufes und hauptsäch-lich für die Durchblutungsgröße der Kapil-largebiete verantwortlich.
Merke
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 199
Organdurchblutung richtet sich 1. nach dem Bedarf an Sauerstoff,
2. nach der Menge der abzutransportierenden Stoffwechselprodukte.
Bewegungssystem aktiv
Daraus folgt:Organdurchblutung muss optimiert werden
Erreichung des optimalen Zustandes durch folgende Mechanismen
Verdauungssystem aktiv
• Bedarf an Sauerstoff in Skelettmuskulatur: hoch
• Bedarf an Sauerstoff im Verdauungs-system: niedrig
• Anfallende Stoffwechselprodukte in Skelettmuskulatur: hoch
• optimale Durchblutung der Skelett-muskulatur
• optimale Durchblutung der Organe desVerdauungssystems
• Erhaltung der Mindestdurchblutung des Verdauungssystems
Weitstellung der Arteriolen in derSkelettmuskulatur
Weitstellung der Arteriolen in denOrganen des Verdauungssystems
Hervorgerufen 1. durch Wirkung des Sympathicus2. durch Wirkung von Hormonen wie z. B.
Noradrenalin
Hervorgerufen 1. durch Wirkung des Parasympathicus2. durch Wirkung von gefäßaktiven
Substanzen wie Bradykinin und Kallidin
• Erhaltung der Mindestdurchblutung der Skelettmuskulatur
• Bedarf an Sauerstoff in Skelettmuskulatur: niedrig
• Bedarf an Sauerstoff im Verdauungs-system: hoch
• Anfallende Nährstoffe, die in das Blut resorbiert werden: hoch
Vereinfachte Darstellung der Regulation der Organdurchblutung. Abb. 9.45
erkennen, dass der effektive Filtrationsdruck 9 mmHg und der effektive Reabsorptionsdruck 6 mmHg betragen. Somit werden aus den Kör-perkapillaren pro Tag ca. 20 Liter Flüssigkeit in das Interstitium filtriert und umgekehrt ca. 18 Liter reabsorbiert. Die restlichen 2 Liter erreichen die Blutbahn als Lymphe.
• Pinozytose (✑ S. 34). Aktiver Transport vor allem von Eiweißen.
VenensystemDas Venensystem erfüllt im Kreislaufsystem 2 Aufgaben:• Rücktransport des Blutes zum Herzen nach
erfolgtem Stoffaustausch in den Kapillaren (= venöser Rückstrom);
• Blutspeicher (ca. 60 % des Blutvolumens be-finden sich im Venensystem).
Transportfunktion Der venöse Rückstrom des Blutes in den rechtenVorhof wird durch folgende Mechanismen gesi-chert (✑ Abb. auf S. 201):– Restblutdruck, der von der Herzarbeit im
Venensystem noch wirkt;– Schwerkraft oberhalb des Herzens; – Sogwirkung der Vorhöfe durch die Verlage-
rung der Ventilebene herzspitzenwärts (✑ S. 194 und 195);
– Sogwirkung des Thorax während der Inspira-tion (✑ S. 225);
– Muskelpumpe – durchdie Kontraktion derMuskeln werden dieVenen zusammenge-drückt, die Wirksam-keit der Muskelpumpewird durch die Venen-klappen unterstützt,
9 Kreislaufsystem200
Interstitium
= Flüssigkeitsbewegung
Arteriole Venole
= effektiver Filtrationsdruck: 37 mmHg – 28 mmHg = 9 mmHg
Folge: Filtration 20 l/d
= effektiverReabsorptionsdruck:28 mmHg – 22 mmHg = 6 mmHg
Folge: Reabsorption 18/d (Auswärtsfiltration)
2 l/d
37 mmHg 22 mmHg
28 mmHg28 mmHg
Lymphe
Lymphkapillare
Blutkapillare
Filtration im Körperkapillargebiet (Druckangaben in mmHg bzw. in Torr).Abb. 9.46
Normalerweise herrscht zwischen der aus-wärts strömenden und der einwärts strömen-den Flüssigkeitsmenge, einschließlich Lymph-strom, ein Gleichgewicht. Störungen diesesGleichgewichtes können zu Flüssigkeitsver-schiebungen zwischen den drei großen Flüs-sigkeitsräumen führen (✑ S. 28), so z. B. zuÖdemen.
Merke
Herz-minuten-volumen
Venen-system
steigt Entspeicherung(Arbeit)
fällt Speicherung(Ruhe)
Stabilisierung des Kreislaufes durch das Venensystem.Tab. 9.9
die als Ventile ein Rückströmen verhindern;– Arterien-Venen-Kopplung – die Pulsation der
Arterie überträgt sich auf die Vene und wirkt wie die Muskelpumpe.
Speicherfunktion Im Venensystem befinden sich aufgrund seinerDehnbarkeit ca. 60 % des Blutvolumens. Je nachzu erbringender Körperleistung wird, ohne dasssich der zentrale Venendruck wesentlich verän-dert, das Blut mobilisiert. Dadurch trägt dasVenensystem entscheidend zur Stabilisierungdes Kreislaufes bei und eignet sich besonders gutfür Punktionen, Infusionen und Transfusionen.
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 201
1) aufrechte Körperhaltung
Inspiration Exspiration
Inspiration(Einatmung)
Druck fällt
Venenerweitert
Druck aufVenen
gesenkt
Thoraxinnen-raum erweitert
Druck steigt
Venenverengt
Druck aufVenenerhöht
Thoraxinnen-raum verengt
Exspiration(Ausatmung)
Sogwirkung bei der Inspiration und Exspiration. Abb. 9.47
obere HohlveneSogwirkung der VorhöfeLungenvenen
Kammersystole
untere Hohlvene
Ventilebene
bewegt sich
herzspitz
en-
wärts
Sogwirkung der Vorhöfewährend der Kammersystole. Abb. 9.50Arterien-Venen-Kopplung.Abb. 9.48
Muskelpumpe.Abb. 9.49Beim Wechsel vom Liegen zum Stehen(Orthostase1)) kann ein Teil des Blutes – vorallem aus dem Lungenkreislauf – in denBeinvenen „versacken“ und unter Umständenzum orthostatischen Kollaps führen.
Merke
Vene
Venenklappengeöffnet
Venen verengtVenenklappen
geschlossenArterie
Veneerweitert
Veneverengt
Erschlaffungder Muskeln
MuskelpumpeBewegung
Kontraktionder Muskeln
9.6.4 Regulation des Blutkreislaufes
Aufgabe der Kreislaufregulation ist es, das Herz-minutenvolumen (HMV) ständig an die augen-blicklichen Bedürfnisse des Organismus bzw. be-stimmter Organe anzupassen. Diese Anpassunggeschieht in Kombination von lokalen (regiona-len) und zentralen (überregionalen) Regula-tionsmechanismen.
Regulation der OrgandurchblutungDie Verteilung des Herzminutenvolumens ist denunterschiedlichen Bedingungen angepasst. Orga-ne mit gleich bleibend hohen Anforderungen (z. B. Gehirn) werden konstant gut durchblutet,während Organe mit wechselnden funktionel-len Anforderungen (z. B. Muskulatur, Gastro-intestinaltrakt) unterschiedlich stark durchblutetwerden.
Die Regulation der Organdurchblutung erfolgtdurch die Änderung des Strömungswiderstandesinfolge Gefäßverengung (Vasokonstriktion)
bzw. Gefäßerweiterung (Vasodilatation; ✑ Tab.9.10).
Die Veränderung des Gefäßquerschnittes zumZweck der Leistungsanpassung wird erreichtdurch die lokale, die nervale und die humoral-hormonelle Durchblutungsregulation.
Lokale Durchblutungsregulation (auch Auto-regulation)Diese Regulationsmöglichkeit beruht einerseitsauf der Eigenschaft vieler Gefäße, bei Blutdruck-anstieg mit Kontraktion und bei Blutdruckabfallmit Erschlaffung zu reagieren; auf diese Weisebleibt trotz Blutdruckschwankungen die Durch-blutung der lebenswichtigen Organe weitgehendkonstant (z. B. Niere).Andererseits bewirken eine Reihe von Stoffen, z. B. ADP, ATP, Pyruvat, Adenosin, Kohlen-dioxid, bei Konzentrationsanstieg eine sofortigelokale Vasodilatation.
9 Kreislaufsystem202
Erhöhung des DurchblutungStrömungswiderstandes gemindert
Gefäß
Verringerung des DurchblutungStrömungswiderstandes verbessert
Verengung
Erweiterung
Einflüsse von übergeordneten Zentren
Sympathische und parasympathischeKreislaufzentren in der Medulla oblongata
Chemo- undPressorezeptorenim Aortenbogenund Karotissinus„messen“ CO2-und O2-Konzen-trationen sowieden arteriellenBlutdruck
Schmerz
Arteriolen– Vasokonstriktion– Vasodilatation
HerzfrequenzHerzkraft
peripherer Widerstand Blutdruck Herzminutenvolumen
psychischeEinwirkungen
Atemzentrum
Zentrale Kreislaufregulation durch das Kreislaufzentrum.Tab. 9.11
Regulation der Organdurchblutung.Tab. 9.10 Durch lokaleRegulation istder Organismusin der Lage, dieOrgandurchblu-tung schnell,aber nur bis zueinem gewissenGrade zu verän-dern.
Merke
Nervale Durchblutungsregulation Die nervale Regulation der Durchblutung kannsowohl lokal als auch zentral erfolgen. Die loka-le Regulation erfolgt überwiegend durch denSympathicus im Bereich der Arteriolen. Das anden sympathischen Nervenendungen freigesetz-te Noradrenalin bewirkt je nach Quantum einemehr oder weniger starke Gefäßwandkontraktion(✑ Tab. 9.12).
Zentrale Kreislaufregulation (stark vereinfacht) Für die richtige Durchblutung der einzelnenOrgane ist vor allem die Aufrechterhaltung einesbestimmten Blutdruckes notwendig.
Blutdruck und Herzminutenvolumen hängen abvon der treibenden Kraft, die durch das Herz ver-ursacht wird, und dem Strömungswiderstand imGefäßsystem.
Neben den lokalen Regulationsmöglichkeitenerfolgt unter Kontrolle des Kreislaufzentrums inder Medulla oblongata über das vegetativeNervensystem eine zentrale Regulation des
Kreislaufes (✑ Tab. 9.11). Darüber hinaus wirddurch sog. Kreislaufreflexe eine ständige Stabi-lisierung des Blutdruckes gewährleistet.
Humoral-hormonelle DurchblutungsregulationDiese Durchblutungsregulation erfolgt vor allemdurch die Hormone Adrenalin und Noradrenalinsowie weitere gefäßaktive Substanzen.– Adrenalin wirkt in niedriger Konzentration
gefäßerweiternd und in hoher Konzentration gefäßverengend, Noradrenalin wirkt gefäßver-engend (✑ vegetatives Nervensystem, Kap. 17).
– Angiotensin II ist die Substanz, die die stärks-te Vasokonstriktion direkt an den Arteriolen hervorruft.
– Kallidin, Bradykinin und Histamin wirken vasodilatatorisch.
Renin-Angiotensin-Aldosteron-Mechanismus Dieser Regulationsmechanismus setzt hauptsäch-lich bei einer Verminderung der Nierendurchblu-tung ein und führt letztendlich durch die Bil-dung von Angiotensin II zu einer starken Vasokon-striktion (✑ Tab. 9.13).
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 203
arterieller Blutdruck arterieller Blutdruck
afferente Nervenfasern derHirnnerven IX und X
Druckrezeptoren (Pressorezeptoren)(in Aorta, A. carotis, Ventriculus sinister)
Vasomotorisches Zentrum im verlängerten Mark(Medulla oblongata)
Hemmung desSympathicus
Erregung desParasympathicus
Gefäßerweiterung(Vasodilatation)
HerzfrequenzSchlagvolumen
arterieller Blutdruck
Erregung desSympathicus
Hemmung desParasympathicus
Gefäßverengung(Vasokonstriktion)
HerzfrequnzSchlagvolumen
arterieller Blutdruck
➞
➞➞
➞
➞
➞
➞➞
Reflektorische Regulation des arteriellen Blutdruckes. Tab. 9.12
Bei den beschriebenen Regulationsmöglichkei-ten sind die schnelle Regelung über das vegetati-ve Nervensystem und die langsame Regelungmithilfe von Hormonen und anderen Wirkstoffenzu unterscheiden (✑ Tab 9.14).
9 Kreislaufsystem204
Blutdruck �
Renin�
Angiotensinogen
Aldosteron �
Angiotensin II
Angiotensin I
Adrenalin
Noradrenalin
Plasmavolumen �
Na+ �
Nebennierenrinde
Converting-Enzym
Vasokonstriktion überStimulation desKreislaufzentrums
Durstgefühl
Null-Appetit
Vasokonstriktion in der NiereGlomeruläre Filtrationsrate(GFR)Vasokonstriktion
der Arteriolen
Blutdruck � Niere
Na+-Rückresorption �
Kreislauf- und Atemre-gulationen sind immergekoppelt, weil mit demveränderten Herzminu-tenvolumen auch ver-änderte O2- und CO2-Mengen transportiertwerden müssen, um derveränderten biologi-schen Oxidation ge-recht zu werden.
Merke
Versagen der Kreislaufregulation bedeutet, dass lebenswichtige Organe zu wenig durch-blutet werden. Dies kann nach Blutverlust und bei orthostatischem Kreislaufversagen auftreten.
❑P➞
➞
➞
➞
Renin-Angiotensin-Aldosteron-Mechanismus Tab. 9.13
Sympathicus
Herz Arteriolen
Blutvolumen, Blutdruck
Renin Angio- Aldosteron Adrenalin tensin II
langsameRegulation
schnelleRegulation
Zusammenwirken von Nerven- und Hormonsystem. Tab. 9.14
9 Kreislaufsystem 205
l. Definieren Sie den Begriff Kreislaufsystem und geben Sie einen Überblick über dessen Funktionen.
2. Geben Sie einen Überblick über die Zusammensetzung des menschlichen Blutes.3. Beschreiben Sie den Bau eines Erythrozyten und nennen Sie die Hauptfunktion.
Was ist der Hämatokrit?4. Welche Arten von Leukozyten kennen Sie?5. Wie ist ein Thrombozyt gebaut?6. Wo werden die Blutzellen gebildet bzw. abgebaut?7. Geben Sie die Normalwerte der Blutzellen an.8. Nennen Sie die Bestandteile des Blutplasmas und erläutern Sie deren Funktion.9. Welche Funktionen hat das Blut?
10. Beschreiben Sie die Vorgänge, die zum Verschluss eines verletzten kleineren Blutgefäßes führen.
11. Warum kann es wegen einer Gerinnungsstörung zu einer Verschiebung des OP-Termines kommen?
12. Wie kann man die Blutgerinnung bei Blutentnahmen am günstigsten verhindern?13. Was versteht man unter der Fibrinolyse und wie läuft sie ab?14. Welche Beziehungen bestehen zwischen Blut und Immunsystem?15. Nehmen Sie eine Einteilung der verschiedenen Abwehrmechanismen vor.
Begründen Sie den Zusammenhang zwischen äußerem Schutzwall und persönlicher Hygiene.
16. Welche Aufgaben erfüllen die verschiedenen Leukozytenarten?17. Was gehört zum lymphatischen System und welche Aufgabe hat es zu erfüllen?18. Beschreiben Sie Bau, Lage und Aufgaben von
a) Thymus,b) Milz,c) Lymphknoten.
19. Kann der Mensch ohne Milz leben? – Begründen Sie Ihre Antwort.20. Was sind regionäre Lymphknoten und welche Bedeutung haben sie?21. Was versteht man unter dem Waldeyer’schen lymphatischen Rachenring?22. Was verstehen Sie
a) unter unspezifischer undb) unter spezifischer Abwehr?
23. Unterscheiden Sie Allergie und immunologische Toleranz.24. Was versteht man unter Immunisierung und welche praktische Bedeutung hat sie?25. Charakterisieren Sie
a) das AB0-System, b) das Rhesussystem.26. Erläutern Sie die Problematik von Organtransplantationen.27. Beschreiben Sie Lage und Bau des Herzens.28. Welche Gefäßarten bilden das Gefäßsystem?29. Beschreiben Sie den Wandaufbau der Gefäßarten.30. Was sind Anastomosen und welche Bedeutung haben sie?31. Erläutern Sie den Blutstrom durch das Herz.32. Beschreiben Sie Lungen- und Körperkreislauf.33. Wie erfolgt die Blutversorgung
a) des Kopfes, b) der Arme, c) der Bauchorgane, d) der Beckenorgane, e) der Beine?
Fragen zur Wiederholung
9 Kreislaufsystem206
34. Nennen Sie die Einzugsgebiete a) der V. cava superior, b) der V. cava inferior.
35. Suchen Sie am eigenen Körper folgende Arterien:• A. radialis, • A. carotis communis, • A. temporalis, • A. dorsalis pedis.
36. Erläutern Sie den Pfortaderkreislauf.37. Beschreiben Sie den Weg des Blutes mithilfe folgender Beispiele:
a) Nährstofftransport vom Darm zur Leber,b) Arzneimitteltransport von der Armvene zum Herzmuskel,c) Harnstofftransport von der Leber zur Niere,d) Arzneimitteltransport vom M. gluteus medius zum Herzmuskel.
38. Beschreiben Sie den Aufbau und die Funktion des Lymphgefäßsystems.39. Wie entsteht die Lymphe?40. Beschreiben Sie den Erregungsablauf im Herzen.41. Erkunden Sie in der Praxis die EKG-Abnahme und erbitten Sie die Befunderklärung durch
einen Arzt.42. Beschreiben Sie den Ablauf eines Herzschlages! Beginnen Sie mit dem Sinusknoten-
impuls.43. Definieren Sie: Sinusfrequenz, Herzfrequenz, Schlagvolumen, Restvolumen, Herzminuten-
volumen, Phonokardiogramm.44. Warum herrscht in der linken Herzkammer ein höherer Druck als in der rechten?45. Wie erfolgt die Anpassung der Herzleistung an unterschiedliche Belastungen?46. Was verstehen Sie unter der Windkesselfunktion und welche Bedeutung hat sie?47. Definieren Sie:
a) Puls (wodurch kann die Pulsqualität verändert werden?), b) arterieller Blutdruck, c) Hoch- und Niederdrucksystem.
48. Erläutern Sie die Aufgaben der Arteriolen.49. Erklären Sie die Mechanismen des Stoffaustausches.50. Erläutern Sie die Mechanismen, die den venösen Rückstrom bewirken.51. Worin liegt die Bedeutung des venösen Systems als Blutspeicher?52. Begründen Sie die Eignung des Venensystems für Blutentnahmen, Injektionen, Infusionen
und Transfusionen.53. Begründen Sie, warum man nach einer reichlichen Mahlzeit nicht gleich schwimmen soll.54. Begründen Sie die Notwendigkeit der Kreislaufregulation. Was sind die grundsätzli chen
Ziele?55. Was wissen Sie über die Organdurchblutung und wie erfolgt diese?56. Wie wird auf lokaler Ebene die Durchblutung der Niere konstant gehalten?57. Erläutern Sie die zentrale Kreislaufregulation.58. Erläutern Sie die reflektorische Regulation des arteriellen Blutdruckes.59. Welche Bedeutung haben Adrenalin, Noradrenalin und Angiotensin II bei der Durch-
blutungsregulation?60. Beschreiben Sie den Renin-Angiotensin-Aldosteron-Mechanismus und seine Bedeutung.61. Unterscheiden Sie zwischen schnellen und langsamen Regulationsmechanismen im Kreis-
lauf.62. Begründen Sie, warum Kreislauf- und Atmungsregulation gekoppelt sein müssen. 63. Warum heißen die Lungenarterien Arterien, obwohl sie venöses Blut führen?
Fragen zur Wiederholung
Die Temperatur hat einen entscheidendenEinfluss auf alle Funktionsabläufe im Organis-mus (✑ 2.4.3, S. 37). Gleichwarme (homoio-therme) Lebewesen, zu denen auch der Menschgehört, halten ihre Körpertemperatur durchzusätzliche Wärmeproduktion und Regelmecha-nismen, unabhängig von der Umgebungstempe-ratur, konstant.
10.1 Körpertemperatur des Menschen
Die inneren Körperteile weisen eine höhereTemperatur als die oberflächlichen auf. Esbesteht also ein Temperaturgefälle von innennach außen (in den Extremitäten zusätzlich vonproximal nach distal). Dementsprechend werden2 Temperaturbereiche unterschieden:– die relativ konstante Körperkerntemperatur
von ca. 37 °C im gleichwarmen (homoiother-men) Körperkern (=̂ Körperhöhlen) und
– die mehr oder weniger schwankende Körper-schalentemperatur in der wechselwarmen (poikilothermen) Körperschale (=̂ Haut und Gliedmaßen).
Messung der KörpertemperaturDie Körpertemperatur wird einigermaßen genaudort gemessen, wo größere Blutgefäße dichtunter der äußeren Haut bzw. Schleimhaut verlau-fen oder Haut auf Haut liegt und der Einfluss derUmgebungstemperatur weitestgehend ausge-schlossen werden kann. Hierfür sind drei Stellengut geeignet:• Mastdarm (Rektum),• Mundhöhle und• Achselhöhle.
Die nähere Bestimmung der Körperschalen-temperatur erfolgt durch Messung der Haut-temperatur an mehreren Hautstellen (z. B. Stirn,Leibeswand, Arm, Bein). Aus den Messwertenkönnen dann Mittelwerte sowohl für den gesam-ten Körper als auch einzelne Körperteile gebil-det werden.
Mittlere Hauttemperatur • Gesamtkörper 33 – 34 °C• Bein 27 – 29 °C• Arm 30 – 32 °C
Die Körpertemperatur des Menschen zeigt eine Tages-periodik, die auf einem endogenen Rhythmus („in-nere Uhr“) beruht. DasTemperaturminimum trittfrüh und das -maximumabends auf.
207
10 Wärmehaushalt und Temperaturregulation
rektal (im Rektum)oral (unter der Zunge)axillar (in der geschlossenen
Achselhöhle)
2 – 45
8 – 10
36,5 37,836,2 37,536,0 37,2
Messdauer (in Minuten)
Messmethode Normaltemperatur ˚Cmorgens nachmittags
Temperaturmessungen.Tab. 10.1
Die genauesten Werte liefert die rektaleMessung am Morgen sofort nach dem Er-wachen (Morgen- oder Aufwachtemperatur).
Merke
Bei einer Entzündung im Unterbauch (z. B.Appendizitis) liegt die Rektaltemperatur umca. 1 °C über der Axillartemperatur.
❑P
Die Messung der Hauttemperatur erfolgtinsbesondere bei peripheren Durchblutungs-störungen. Hier kann die Temperatur der kran-ken Extremität 2 bis 3 °C niedriger liegen.
❑P
37,5
37,0
36,5
[˚C]
[Uhrzeit] 6 12 18 24 6
Darüber hinaus treten Temperaturschwankun-gen auch über längere Zeiträume auf, wie dies z. B. im Zusammenhang mit dem Menstrua-tionszyklus zu beobachten ist.
10.2 Wärmeproduktion und Wärmeabgabe
Voraussetzung für eine konstante Körpertempe-ratur ist ein Gleichgewicht zwischen Wärme-produktion, Wärmeaufnahme (nur wenn Um-gebungstemperatur über der Körpertemperaturliegt) und Wärmeabgabe.
WärmeproduktionDie Wärmeproduktion ist an den Energiestoff-wechsel gekoppelt. Bei allen Energieumwand-lungen im Körper wird ein bestimmter Teil inWärmeenergie umgewandelt, der, soweit not-wendig, für die Aufrechterhaltung der Körper-temperatur genutzt wird.
Welchen Anteil die Körperorgane an der Wärme-bildung in Ruhe und bei körperlicher Arbeithaben, ist aus Abbildung 10.1 ersichtlich.
In bestimmten Situationen kann es erforderlichwerden, zusätzlich Wärme zu produzieren.
Dies erfolgt durch:– Kältezittern als Ausdruck unwillkürlicher
Muskelaktivität,– willkürliche Körperbewegungen und– zitterfreie Wärmeproduktion beim Neugebo-
renen im mitochondrienreichen braunen Fett-gewebe, das zwischen Schulterblatt und Ach-selhöhle liegt.
WärmeabgabeAufgrund des im Körper vorherrschenden Tem-peraturgefälles nimmt das Blut die im Körper-kern produzierte Wärme auf und transportiert siedurch Konvektion (= Wärmestrom) zur Haut (= innerer Wärmestrom).
Der Wärmetransport von der Haut in die umge-bende Luft (= äußerer Wärmestrom) erfolgt inRuhe und bei einer Umgebungstemperatur von20 °C zu ca. 70 % durch Wärmestrahlung (be-nötigt keinen Wärmeträger und wird durch dieLufttemperatur kaum beieinflusst). Der Rest ent-fällt zu ca. 10 % auf Wärmeleitung (ist an Luftgebunden und funktioniert nur, wenn die umge-bende Luft kühler als die Haut ist) und zu ca. 20 % auf die Verdunstung von Wasser. Bei fehlendem Temperaturgefälle zwischen Haut-oberfläche und umgebender Luft (Umgebungs-temperatur oberhalb der Körpertemperatur)
10 Wärmehaushalt und Temperaturregulation208
8 %
90 %
2 %10 % 16 %
18 %
56 %
Organe der Brust- und Bauchhöhle
Gehirn
Haut, MuskulaturRest
Organe der Brust- und BauchhöhleMuskulaturRest
Anteil der Körperorgane an der Wärmebildung.Abb. 10.1
... in Ruhe ... bei körperlicher Arbeit
Bei schwerer körperlicher Arbeit erhöht sich die Wärmebildung um ein Vielfaches gegen-über dem Ruhezustand.
❑P
Die Hautdurchblutung ist für die Wärme-regulation von entscheidender Bedeutung.
Merke
10.2 Wärmeproduktion und Wärmeabgabe 209
Gehirn
Thoraxorgane
Bauchorgane
Körperkern-temperatur 37 ˚C
Körperschalen-temperatur
Hypothalamus –Temperaturregulationszentrum
Haut
Rückenmark
Schweißdrüse
Schweiß Schweiß ➠➠
Information
Blutgefäße
Haut
weiteng
28 ˚C
31 ˚C
ATP
ADP + P
Wärmeregulation. Abb. 10.2
kann Wärme nur noch durch Verdunstung abge-geben werden.Die Wasserabgabe erfolgt durch Diffusion,wobei man 2 Formen unterscheidet:1. Perspiratio insensibilis (= extraglanduläre
Wasserabgabe), die nicht steuerbare tempera-turabhängige Wasserabgabe durch Haut und Atmung (normal: 0,5 – 1 l/d).
2. Perspiratio sensibilis (= glanduläre Wasser-abgabe), die durch das vegetative Nerven-system steuerbare Wasserabgabe – Schwitzen (normal: 0,5 l/d).
Regulation der Körpertemperatur Die Thermoregulation erfolgt über einen biologi-schen Regelkreis. Das Temperaturregulations-zentrum liegt im Hypothalamus des Zwischen-hirns und speichert den Sollwert (normal 37 °C). Durch Thermorezeptoren in der Haut, imRückenmark und im Hypothalamus erfolgt dieMessung des Istwertes, der dem Zentrum zumVergleich mit dem Sollwert zugeleitet wird.
Vorgänge bei Temperaturanstieg über denSollwert:Die Wärmeabgabe wird erhöht durch– Erweiterung der Hautblutgefäße und damit
Forcierung des inneren Wärmestroms sowie– vermehrte Schweißbildung.
Vorgänge bei Temperaturabfall unter denSollwert: Die Regulation erfolgt hauptsächlich durch zweiMechanismen.– Drosselung der Wärmeabgabe durch Engstel-
lung der Hautblutgefäße und damit Vermin-derung des inneren Wärmestroms.
– Erhöhung der Wärmeproduktion durch Muskel-zittern („Zittern vor Kälte“) und willkürliche Muskelbewegungen.
Wie bereits erwähnt, besitzt das Neugeborene inForm der zitterfreien Wärmebildung im braunenFettgewebe eine zusätzliche Regulationsmög-lichkeit.
Neben den beschriebenen schnellen Anpassungs-vorgängen gibt es auch langfristige. Diese phy-siologischen Adaptationen werden als Akkli-matisation bezeichnet.
10 Wärmehaushalt und Temperaturregulation210
Die Wasserverdunstung ist ein stark Energieverbrauchender Vorgang, d. h., dass beim Ver-dunsten relativ geringer Wassermengen dem Körper relativ viel Wärme entzogen wird. Da die Wärme vorwiegend über die Haut abge-geben wird, hat das Verhältnis zwischen Körperoberfläche und -volumen große Be-deutung. Beim Säugling ist die Körperoberfläche imVerhältnis zum Körpervolumen größer alsbeim Erwachsenen, folglich kühlt er sehr leichtaus.
❑P
Die Mechanismen zur Regulation der Körper-temperatur sind Verengung (Vasokonstrik-tion) und Erweiterung (Vasodilatation) derHautblutgefäße, Schweißsekretion und Ver-änderung der Wärmebildung.Diese Mechanismen können sehr schnell aus-gelöst werden, d. h. innerhalb von Sekundenoder Minuten.
Merke
HautblutgefäßeSchweißsekretionWärmebildungVerhalten
KörperkerntemperaturWärme- und Kälte-rezeptoren in Körperschale und -kern
Wärmeregulationszentrum
35 36 37 38 39 40 41
Sollwert Fieber
Regelkreis zur Regulation der Körpertemperatur.Tab. 10.2
Am bedeutsamsten ist die Hitzeadaptation beischwerer körperlicher Arbeit und hohen Um-gebungstemperaturen bzw. bei in den Tropenlebenden Menschen. Die Anpassung beruht vorallem auf einer Verdreifachung der Schweiß-sekretion, die aufgrund der nach unten verscho-benen Reizschwelle schon bei niedrigeren Kör-pertemperaturen einsetzt. Außerdem nimmt derElektrolytgehalt des Schweißes ab. Hitzeadaptation bedeutet, dass der Betroffenemehr trinken muss, um seinen Flüssigkeits-haushalt auszugleichen.
Die Hitzeadaptation bewahrt den Menschen voreinem Hitzekollaps, d. h. einer Überlastung desKreislaufes (kritischer Anstieg von Herzfre-quenz und Hautdurchblutung).
FieberAls Fieber bezeichnet man eine Erhöhung derKörpertemperatur, z. B. bei Infektionen. So ge-nannte fiebererregende (pyrogene) Stoffe bewir-ken im Temperaturregulationszentrum, dass derSollwert der Körpertemperatur höher gestelltwird.
Fieberanstieg (= Anstieg der Körpertemperatur,bis der neue Sollwert erreicht ist). Die Vorgängesind die gleichen wie bei Temperaturabfall unterden Sollwert.
Fieberabfall (= Abfall der Körpertemperatur, nachdem der normale Sollwert im Temperatur-regulationszentrum wieder eingestellt worden ist). Die Vorgänge entsprechen denen beimTemperaturanstieg über den Sollwert.
Hyperthermie und HypothermieWenn bei extremer Hitzebelastung die Wärme-abgabemechanismen überfordert werden, kannes ebenfalls zu einem Temperaturanstieg kom-men (Hyperthermie). Man spricht von Hitz-schlag oder Sonnenstich. Hält sie bei Tempera-turen um 41 °C länger an, kommt es zur Zer-störung von Nervenzellen im Gehirn und evtl.
zum Tod. Ein Absinken der Körpertemperaturinfolge Überlastung der Wärmeproduktion unternormal wird als Hypothermie bezeichnet. BeiKörper-temperaturen um 25 °C erlöschen dieReflexe des Nervensystems und es tritt der Toddurch Herzflimmern ein.
Bei älteren Menschen kann es dazu kommen,dass ihre Körpertemperatur infolge Senkung desSollwertes im Temperaturregulationszentrum(Gegenteil von Fieber) niedriger (z. B. auf 35 °C)eingeregelt wird.
10.2 Wärmeproduktion und Wärmeabgabe 211
Tritt die Differenz zwischen Ist- und neuem Sollwert (= Fieberwert) plötzlich auf, kommt es zum Schüttelfrost.
❑P
Fieberabfall kann zu Schweißausbrüchen führen.❑P
Hypothermie kann als medizinischesVerfahren auch künstlich herbeigeführt werdenmit dem Ziel, die Stoffwechselvorgänge herab-zusetzen und die Reflexe zu dämpfen. Dadurchwerden tiefgreifende operative Eingriffe z. B.in der Herzchirurgie ermöglicht.
❑P
10 Wärmehaushalt und Temperaturregulation212
1. Welche Bedeutung hat die Temperatur für den Ablauf der Körperfunktionen?2. Unterscheiden Sie Körperkerntemperatur und Schalentemperatur. 3. Welchen Wert hat die normale Körpertemperatur des Menschen? 4. Welche Möglickeiten der Temperaturmessung kennen Sie?
Nennen Sie Vor- und Nachteile der verschiedenen Messmethoden. 5. Welche Bedeutung haben Wärmeproduktion und Wärmeabgabe bei der Konstanthaltung
der Körpertemperatur? 6. Erklären Sie die Regulation der Körpertemperatur. 7. Begründen Sie, warum Fieber mit Frieren beginnt.
Fragen zur Wiederholung
Das Atmungssystem dient der Aufnahme vonSauerstoff und der Abgabe von Kohlendioxid.Diesen Gasaustausch, bei dem die Lunge einezentrale Funktion übernimmt, bezeichnet manals äußere Atmung. Diese ist die Voraussetzungfür den oxidativen Abbau energiereicher Stoffe (z. B. Glucose) zum Zweck der Energiebereit-stellung und somit für die innere Atmung, derenVorgänge in den Zellen ablaufen.
11.1 Gliederung
Das Atmungssytem besteht aus den oberen undunteren Luftwegen.
11.2 Bau der Atmungsorgane
11.2.1 Nase (Nasus)
Die Nase erfüllt neben der Riechfunktion wich-tige Aufgaben im Bereich der Atmung. In der Nase wird die Luft für die unteren Luft-wege vorbereitet, d. h., die Luft wird angewärmt,angefeuchtet, von Staubteilchen und Bakteriengereinigt und auf ihre chemische Beschaffenheitgeprüft.Der Naseninnenraum wird durch die Nasen-scheidewand (Septum nasi) in einen rechten undlinken Abschnitt geteilt. Die Nase ist im Bereichdes Nasenvorhofes (= unmittelbar an die Nasen-löcher grenzender Raum) knorpelig, dahinter imBereich der eigentlichen Nasenhöhle knöchern.
Begrenzung der Nasenhöhle (✑ Abb. 11.4,S.215)• Oben: Siebbeinplatte. • Seitlich: Weitere Teile des Siebbeins mit obe-
rer und mittlerer Nasenmuschel; untere Nasenmuschel (= selbständi-ger Knochen). Die Nasenmuscheln dienen der Oberflächenvergröße-rung.
• Boden: Gaumen (Palatum), der gleichzeitig Dach der Mundhöhle ist.
Unter jeder Nasenmuschel befindet sich einNasengang. Die Grenze zwischen Nasenhöhleund Rachen bilden die beiden Choanae (hintereÖffnungen der Nase). Durch feine Kanäle ist dieNasenhöhle mit den Nasennebenhöhlen (Sinusparanasales) verbunden (✑ Abb. 11.3, S. 214 undAbb. 11.4, S. 215). Die Belüftung dieser Höhlenerfolgt mit der Atmung. Eine weitere Verbindungbesteht vom unteren Nasengang zur Augenhöhledurch den Tränennasengang (Ductus nasolacri-malis). Auf diesem Weg wird die Tränenflüssig-keit in die Nasenhöhle abgeleitet.
213
11 Atmungssystem
Nase obere Luftwege
Kehlkopf LuftröhreBronchialbaumLunge
untere Luftwege
Nasenwurzel
Nasenrücken
Nasenspitze
Nasenloch
Nasenflügel
Die Nase in ihrer äußeren Struktur. Abb. 11.1
Der Naseninnenraum gliedert sich in denNasenvorhof (Vestibulum nasi) und dieNasenhöhle (Cavum nasi) mit Nasen-muscheln und Nasengängen.
Merke
NasenschleimhautDie die Nasenhöhle auskleidende Schleimhautteilt sich in 2 Bereiche:1. respiratorische Schleimhaut (Regio respiratoria)
Sie bedeckt den größten Teil der Nasenhöhleund ist gekennzeichnet durch • mehrreihiges
Flimmerepithel,• zahlreiche
Becherzellen • Venengeflechte
2. Riechschleimhaut (Regio olfactoria)Sie befindet sich oberhalb der oberen Nasen-muscheln und enthält die • Riechzellen, von denen fadenförmige Ner-
ven durch die Siebbeinplatte zum Gehirn ziehen (N. olfactorius = I. Hirnnerv; ✑ S. 354).
11.2.2 Rachen (Pharynx)
Der schlauchförmige Rachenraum (✑ Abb. 11.4und 11.5) verbindet die Nasenhöhle mit dem
Kehlkopf und die Mundhöhle mit der Speise-röhre. Damit kreuzen sich in ihm Luft- undSpeiseweg. Der Rachenraum wird ohne scharfeGrenzen in drei übereinander liegende Abschnittegegliedert (✑ Tab. 11.1).
Rachenschleimhaut Entsprechend der unterschiedlichenBeanspruchung enthält sie Flimmer-epithel mit Becherzellen im Nasen-abschnitt und mehrschichtiges unver-horntes Plattenepithel im Mund- undKehlkopfabschnitt.
11 Atmungssystem214
➝ Anfeuchtung➝ Reinigung
➝ Erwärmung
Nasenhöhle(Cavitas nasi)
Nasenvorhof(Vestibulum nasi)
Rachenraum(Pharynx)
Kehlkopf(Larynx)
Luftröhre(Trachea)
Mittelfellraum(Mediastinum)
Lungen(Pulmones)
Zwerchfell(Diaphragma)
Atmungssystem.Abb. 11.2
Stirnhöhle(Sinus frontalis)
Siebbeinzellen(Sinus ethmoidales)
Kieferhöhle(Sinus maxillaris)
Lage der Nasennebenhöhlen(Sinus paranasales). Abb. 11.3
Der Rachen hat 7 Öffnungen: • 2 Choanen
→ Nasenhöhle,• 2 Öffnungen
der Ohrtrompeten → Mittelohr,
• Schlundenge→ Mundhöhle,
• Kehlkopfeingang→ Kehlkopf,
• Speiseröhrenöffnung→ Speiseröhre.
Merke
11.2 Bau der Atmungsorgane 215
Abschnitt Merkmale
– Rachenmandel (Tonsilla pharyngea) am Rachendach derSchädelbasis.
Bei Kindern ist diese Tonsille häufig vergrößert und behin-dert dadurch die Nasenatmung.
– Öffnungen der Ohrtrompeten oder Eustachi’schen Röhren (Tuba auditiva) an den Seitenwänden. Um die Tubenöff-nung befinden sich die Tubenmandeln und von dort nach unten die Seitenstränge.
Die Tuben verbinden die Paukenhöhle des Mittelohres mit dem Rachen zum Zwecke des Luftdruckausgleiches.
– Kreuzung von Luft- und Speiseweg. – Ringförmige Muskeln (Schlundschnürer) befördern die
Nahrung in die Speiseröhre.
– Kehldeckel ragt wie ein Wellenbrecher in den Speisewegund leitet den Speisebrei rechts und links in die hintenliegende Speiseröhre.
Nasenrachenraum(Pars nasalis pharyngis):hinter den Choanen
Mundrachenraum(Pars oralis pharyngis): hinter der Mundhöhle
Unterrachenraum(Pars laryngea pharyngis): seitlich und hinter dem Kehlkopf
❑P
❑P
Abschnitte des Rachens. Tab. 11.1
Nasenhöhle, Rachen und Mundhöhle (Medianschnitt). Abb. 11.4
Stirnhöhle(Sinus frontalis)
obere Nasenmuschel(Concha nasalis superior)
mittlere Nasenmuschel(Concha nasalis media)
untere Nasenmuschel(Concha nasalis inferior)
Oberkiefer(Maxilla)
Mundhöhle(Cavitas oris)
Zunge(Lingua)
Unterkiefer(Mandibula)
Zungenbein(Os hyoideum)
Kehldeckel(Epiglottis)
KehlkopfeingangSchildknorpel
(Cartilago thyroidea)
Luftröhre(Trachea)
Keilbeinhöhle(Sinus sphenoidalis)
oberer Nasengang(Meatus nasi superior)
mittlerer Nasengang(Meatus nasi media)
Rachenmandel(Tonsilla pharyngea)
unterer Nasengang(Meatus nasi inferior)
Nasenrachen(Pars nasalis pharyngis)
Mundrachen(Pars oralis pharyngis)
Zungenwurzel(Radix linguae)
Unterrachenraum(Pars laryngea pharyngis)
Speiseröhre(Ösophagus)
11.2.3 Kehlkopf (Larynx)
Mit dem Kehlkopf beginnen die unterenAtemwege. Er dient primär dem Verschluss desAtemweges beim Schlucken, Husten und bei derBauchpresse. Außerdem werden im Kehlkopfdie Töne beim Sprechen erzeugt.
LageDer Kehlkopf liegt im vorderen oberen Hals-bereich (Neugeborenes: in Höhe des 3./4. Hals-wirbels; Erwachsener: in Höhe des 5./6. Hals-wirbels). Seitlich verlaufen die Gefäß-Nerven-Stränge des Halses.
BauDas Grundgerüst des Kehlkopfes wird aus 5 Knorpeln gebildet (✑ Abb. 11.7).– 1 Ringknorpel: Bildet die Basis des Kehl-
kopfes. – 1 Schildknorpel: Liegt über dem Ringknorpel
und ist durch je 1 Membranmit ihm und dem Zungenbeinbefestigt.
– 2 Stellknorpel: Sie sind auf der hinteren Platte des Ringknorpels dreh-bar gelagert.
– 1 Kehldeckel Dieser rennsattelförmige Knor-(Epiglottis): pel erstreckt sich bis unter die
Zungenwurzel. Er ist durch ein Band an der Innenseite des Schild-knorpels befestigt.
Der Kehlkopfinnenraumwird durch zwei Falten,Taschenfalten (oben) undStimmfalten (unten), ein-geengt. Er bekommt da-durch die Form einer Sand-uhr. Die Stimmfalten ent-halten die Stimmband-muskeln (Mm.vocales) unddie Stimmbänder (Ligg.vocalia). Durch die beidenEngstellen entstehen dreiübereinander liegende Ab-schnitte (✑ Abb. 11.6):• Oberer Abschnitt –
Vorhof (Vestibulum laryngies) zwischen Kehlkopfeingang undTaschenfalten.
• Mittlerer Abschnitt – mittlerer Kehlkopfab-schnitt (Cavitas laryngis intermedia) zwi-schen Taschen- und Stimmfalten. Die seitliche Erweiterung dieses Raumes wird als Kehl-kopftasche (Morgagni-Tasche) bezeichnet.
11 Atmungssystem216
Rachenmandel(Tonsilla pharyngea)
hintere Nasenöffnungen (Choanen)
Ohrspeicheldrüse(Glandula parotis)
Nasenscheidewand(Septum nasi)
weicher Gaumen(Palatum molle) oderGaumensegel(Velum palatinum)
Zungenmandel(Tonsilla lingualis)
Kehlkopfvorhof(Vestibulum laryngies)
Luftröhre(Trachea)
Rachenmandel(Tonsilla palatina)
Zäpfchen(Uvula palatina)
Kehldeckel(Epiglottis)
Speiseröhre(Ösophagus)
Rachenraum (von dorsal geöffnet).Abb. 11.5
Kehlkopfinnenraum (von dorsal). Abb. 11.6
Zungenbein(Os hyoideum)
Kehldeckel(Epiglottis)
Kehlkopfvorhof(Vestibulum laryngis)
TaschenfalteSchildknorpel
Kehlkopftaschemittlerer
KehlkopfabschnittStimmfalte mit
StimmbandRingknorpel
Stimmritze(Rima glottidis)
subglottischer RaumLuftröhre
(Trachea)
Luftröhrenknorpel
• Unterer Abschnitt – subglottischer Raum (Cavitas infraglottica) zwischen Stimmfalten und Luftröhrenbeginn.
Der Kehlkopfinnenraum wird durch die Kehl-kopfschleimhaut ausgekleidet. Sie besteht ausmehrschichtigem unverhornten Plattenepithel imVorhof, an den Stimmbändern und mehrreihi-gem Flimmerepithel in den übrigen Bereichen.
Stimmritze (Rima glottidis)Von jedem Stellknorpel zieht ein Stimmband(Lig. vocale) als oberer freier Rand der Stimm-
falten zur Innenseite des Schildknorpels. DieÖffnung zwischen Stimmbändern (vorn) undStellknorpeln (hinten) ist die Stimmritze.
KehlkopfmuskelnDie Kehlkopfmuskeln haben die Aufgabe, dieStimmritze zu erweitern und zu verschließensowie die Spannung der Stimmbänder zu verän-dern.Dementsprechend unterscheidet man Stell- undSpannmuskeln. Die Stellmuskeln setzen an denStellknorpeln an und bewegen diese, sodass dieStimmritze verengt bzw. erweitert wird.
11.2 Bau der Atmungsorgane 217
Beim Schlucken wird der Kehlkopf durchMuskeln gehoben. Dabei drückt sich derKehldeckel unter die Zungenwurzel undverschließt den Eingang zum Kehlkopf (✑S. 253, Schluckvorgang).
Merke
Die Stimmritze besteht aus– dem Stimmbandanteil zwischen den Stimm-
bändern (vordere zwei Drittel) und– dem Stellknorpelanteil, einem dreieckigen
Spalt zwischen den Stellknorpeln (sog. Flüsterdreieck), hinteres Drittel.
Merke
Zungenbein(Os hyoideum)
Kehldeckel(Epiglottis)
Schildknorpel-Zungenbein-Membran(Membrana thyrohyoidea)
SchildknorpelStellknorpel
Ringknorpel
Luftröhre(Trachea)
Dorsalansicht
Schildknorpel
Zungenbein(Os hyoideum)
Kehldeckel(Epiglottis)
Schildknorpel(eröffnet)
Stellknorpel Stimmbänder
Ringknorpel
Lateralansicht
Stellknorpel
Ringknorpel
Kehlkopf. Abb. 11.7
Die Erweiterung erfolgt nur durch einenMuskel, den hinteren Ringknorpel-Stell-knorpel-Muskel (M. cricoarytenoideusposterior, kurz: Posticus).Die Verengung bzw. der komplette Ver-schluss erfolgt u. a. durch den seitlichenRingknorpel-Stellknorpel-Muskel (M.cricoarytenoideus lateralis, kurz: Late-ralis) im Stimmbereich und den queren(M. arytenoideus) und schrägen (M. ary-tenoideus obliquus) Stellknorpelmuskelim Stellknorpelbereich.
Durch die Spannmuskeln werden die Stimmbänder mehr oder weniger ge-spannt, sodass sich ihre Länge und Dickeverändern. Zu diesen Muskeln gehören z. B. der Ringknorpel-Schildknorpel-Muskel (M. cricothyroideus, kurz:Externus) und der Stimmmuskel (M.vocalis, kurz: Vocalis).Die Innervation der inneren Kehlkopf-muskeln erfolgt durch den rückläufigen Kehl-kopfnerv (N. laryngeus recurrens), einem Astdes N. vagus.
Stimmbildung und ArtikulationBei der Stimmbildung befinden sich die Stimm-bänder in Phonationsstellung. Durch „Anblasen“wird der Stimmritzenverschluss gesprengt unddie Stimmbänder in Schwingung versetzt. Da-durch, dass der Schwingungsrhythmus ständigden aus der Lunge und Luftröhre (= Anblasrohr)kommenden Luftstrom unterbricht, entsteht die
Stimme. Der Spannungszustand der Stimm-bänder sowie ihre Länge und Dicke bestimmendie Stimmhöhe (je kürzer, dünner und gespann-ter, desto höher die Stimme). Für die Lautstärkeist die Stärke des Luftstromes verantwortlich.Durch Formveränderung des sog. Ansatzrohres(= Resonanzraum), bestehend aus Rachen-,Nasen- und Mundraum, werden die verschiede-nen Laute gebildet. Dies nennt man Artikulation.Der Resonanzraum bedingt auch die individuelleKlangfarbe. Die Flüsterstimme entsteht, wenndie Luft bei nichtschwingenden Stimmbändernnur durch das Flüsterdreieck strömt.
11 Atmungssystem218
Die Stimme wird als Lautäußerung desMenschen durch die in Schwingung versetz-ten Stimmbänder im Zusammenwirken mitResonanzerscheinungen im Ansatzrohr er-zeugt.
Merke
Ruheatmung forcierte Atmung
Phonation(Stimmbildung)
Stimmritze(Rima glottidis)
Stellknorpel(Cartilago arytaenoidea)
elastischer Konus1)
(Conus elasticus)
Stimmband(Ligamentum vocale)
Schildknorpel(Cartilago thyroidea)
Pressen
1) Teil der sog. fibroelastischen Membran, die unter der Kehlkopf-schleimhaut zwischen Ringknorpel und Stimmbändern liegt
Stellung der Stimmbänder (Blick von vorn). Abb. 11.8
Der Posticus ist der einzige Stimm-ritzenerweiterer. Die Stimmritze istbeim Atmen erweitert (= Respirations-stellung), beim Sprechen und Singengeschlossen oder stark verengt (= Pho-nationsstellung) und beim Pressenvollständig verschlossen.
Merke
Eine Lähmung der Kehlkopfmuskulaturwird als Kehlkopflähmung bezeichnet. AlsUrsache kommen z. B. Erkrankungen des N.vagus bzw. dessen Äste, die die Kehlkopfmus-keln innervieren, Gehirnentzündung oder mul-tiple Sklerose infrage. Bei doppelseitiger Lähmung des Posticus ent-steht Atemnot, die zur Erstickung führen kann.
❑P
Unter der Einwirkung derGeschlechtshormone kommtes während der Pubertätvor allem beim Jungen zueiner Vergrößerung desKehlkopfes einschließlichder Verlängerung der Stimm-bänder. Die Folge ist derWechsel von der höherenKinderstimme zur tieferenStimme des Erwachsenen (= Stimmbruch). Die Män-nerstimme ist um acht Tönetiefer als die Frauenstimme.
Für den Schutz der unterenAtemwege ist der Husten-reflex wichtig. Hier kommtes nach Einatmung zumVerschluss der Stimmritzeund kurz danach wird siebeim Ausatmen wiederschlagartig geöffnet, sodassder entstehende LuftstossSchleim oder Fremdkörperin den Rachen befördert.
11.2.4 Luftröhre (Trachea)
Die Luftröhre eines Erwach-senen ist ca. 12 Zentimeterlang.
Lage und Nachbarschafts-beziehungen Die Trachea verbindet denKehlkopf mit dem Bron-chialbaum. Sie schließt sichdem Ringknorpel des Kehl-kopfes an und endet in Höhe
11.2 Bau der Atmungsorgane 219
Bei Entzündungen derStimmfalten entsteht Hei-serkeit. Auch das Kehlkopfkarzi-nom (Kehlkopfkrebs) be-ginnt häufig an denStimmfalten. Bei längerbestehender Heiserkeitsollte deshalb immer einArzt aufgesucht werden.
❑P
Zungenbein(Os hyoideum)
Membrana thyrohyoideaSchildknorpel(Cartilago thyroidea)
Ringknorpel(Cartilago cricoidea)
Knorpelspangen
Ringbänder(Ligg. anularia)aus elastischem undkollagenem Bindegewebe
Luftröhrengabel(Bifurcatio tracheae)
linkerHauptbronchus(Bronchus principalis sini-ster)
Kehlkopf(Larynx)
Luftröhre(Trachea)
Bronchial-baum
(Anfang)
rechterHauptbronchus
(Bronchus principalis dexter)
äußere lockereBindegewebe-schicht(Adventitia)
hufeisenförmige Knorpelspange(Cartilago trachealis)
Hinterwand(bindegewebig-muskuläre Membran)
lichte Weite(Lumen)
Schleimhaut(Tunica mucosa
respiratoria)
Speiseröhre(Ösophagus)
Wandschichten
Luftröhre. Abb. 11.9
des 4. Brustwirbels mit der Teilung in die beidenHauptbronchien. Die Teilungsstelle ist die Luft-röhrengabel (Bifurcatio tracheae). Nach derLage unterscheiden wir 2 Hauptabschnitte:– Halsteil
Der Halsteil befindet sich vor der Speiseröhre.Davor und seitlich liegt die Schilddrüse.
– Brustteil Hier verläuft die Luftröhre im oberen Medias-tinum zwischen den großen Blutgefäßen undvor der Speiseröhre.
Bau Die Wände der luftleitenden Wege sind versteift,damit sie durch den bei der Einatmung entste-henden Sog nicht zusammengepresst werden. Dies geschieht bei der Trachea durch 16 bis 20hufeisenförmige Knorpelspangen. An derHinterwand wird sie durch eine bindegewebig-muskuläre Membran verschlossen. Ringbänder verbinden die Knorpelspangen elas-tisch miteinander.
Die Schleimhaut enthält mehrreihiges Flimmer-epithel und im tieferen Bereich (Submucosa)zahlreiche Schleimdrüsen.
11.2.5 Lungen (Pulmones)
In den Lungen findet der Gasaustausch statt.Dies wird durch die Lungenbläschen (Alveolen)ermöglicht, die eine hinreichend große Aus-tauschfläche (ca. 100 m2) garantieren. Das mus-kelfreie Lungengewebe der rechten und linken
Lunge ist weich, elastisch und schwammig. DieLungen sind die relativ leichtesten Organe. DieFarbe der Lungenoberfläche ist beim Neugebo-renen rosa, später wird sie durch die Ablagerungvon Rußteilchen zunehmend fleckig (rötlich,grau bis schwarz). Die Lungen erhalten ihreForm durch die Anlagerung über die Pleura andie Innenwände des Thorax und das Zwerchfell.
An jeder Lunge erkennt man • Lungenbasis: liegt auf der Zwerchfell-
kuppel (= Zwerchfellseite);• Lungenspitze: überragt die 1. Rippe;• Lungenhilus: an der medialen Seite zum
Mediastinum hin gelegen, Eintritts- bzw. Austrittsstelle von Hauptbronchus (Bronchusprincipalis), Lungenarterie (A. pulmonalis),Lungenvenen (Vv. pulmonales), Lymph-gefäßen und Nerven; hier liegen auch die Hiluslymphknoten;
• Rippenseite: liegt den Rippen an.
Gliederung der LungenEntsprechend der Gliederung des Bronchial-baumes (✑ Abb. 11.11, S. 222) ergibt sich dieGliederung der Lungen in Lappen, Segmenteund Läppchen.
BronchialbaumAls Bronchialbaum bezeichnet man die Ge-samtheit der Bronchien und Bronchiolen. Er bil-det die Fortsetzung der Luftröhre. Im Einzelnensind folgende Abschnitte zu unterscheiden: – linker und rechter Stamm- oder Haupt-
bronchus (Bronchus principalis sinister und dexter) als Aufzweigung der Trachea;
– Lappenbronchien – der rechte Stammbronchuszweigt sich in 3 und der linke in 2 Lappen-bronchien auf;
11 Atmungssystem220
Beim Transport der Nahrung dehnt sich dieSpeiseröhre, sodass die Luftröhre eingedrücktwird.
❑P
rechte Lunge linke Lunge
Lungenläppchen
Oberlappen
3 Segmente 2 Segmente 5 Segmente 5 Segmente 4 Segmente
UnterlappenOberlappenUnterlappenMittellappen
Gliederung der Lunge.Tab. 11.2
11.2 Bau der Atmungsorgane 221
Lunge. Abb. 11.10
Lungenläppchen
Lungensegmente
rechte Lunge linke Lunge
rechte Lunge linke Lunge
Kapillarnetz der Alveolen
Trennwand(Septum interalveolare)
Lungenbläschen(Alveole) Kapillarnetz
Segmente (3) des Oberlappens
Oberlappen(Lobus superior)
Mittellappen(Lobus medius)
Unterlappen(Lobus inferior)
Oberlappen(Lobus superior)
Unterlappen(Lobus inferior)
Segmente (2) des Mittellappens
Segmente (5) des Oberlappens
Segmente (4 – 5) des UnterlappensSegmente (5) des Unterlappens
Ästchen der Lungenvene
respi-ratorische
Bronchiole(Bronchiolus
respiratoris – Abzweigung
zumAlveolargang)
Endbronchiole(Bronchiolus terminalis)
Ästchen der Lungenarterie
Lungenbläschen(Alveole)
1
2
63
4
5 8 9 10
12
6
10 8
9
5
3
4
12
3
57
98
10
63
1
2
6
5
109 8
4
– Segmentbronchien – jeder Lappenbronchus zweigt sich in mehrere Segmentbronchien auf;
– Bronchiolen – die Segmentbronchien verästelnsich; ab einem Durchmesser von 1 mm spricht man von Bronchiolen.
Die Endverzweigungen des Bronchialbaumessind die Lungenläppchen, von denen jedes miteiner Endbronchiole (Bronchiolus terminalis)verbunden ist. Der Bronchiolus terminalis zweigtsich in mehrere Bronchioli respiratorii auf(besitzen bereits vereinzelt Lungenbläschen), diejeweils in einen blindverschlossenen Alveolar-gang übergehen. Um jeden Alveolargang sindzahlreiche Lungenbläschen (Alveolen) angeord-net, zwischen denen sich Trennwände, dieAlveolarsepten, befinden.
Feinbau des BronchialbaumesDie Bronchien werden mit zunehmender Auf-zweigung immer kleiner und enger.Größere Bronchien. Sie sind im Prinzip wie dieTrachea gebaut; der Knorpel tritt jedoch in Formvon unregelmäßig geformten zusammenhängen-den Knorpelplatten auf.Kleinere Bronchien. Die Knorpeleinlagerungenwerden immer spärlicher, und das Epithel wirdfortschreitend flacher. Es ist eine ringförmigangeordnete glatte Muskulatur zur Regulationder Belüftung vorhanden.Bronchiolen. Sie sind knorpelfrei, besitzen kräf-tige Spiralmuskeln zur Steuerung der Beatmung.Lungenbläschen (Alveolen). Die Alveolarwandbesteht aus einem sehr dünnen Alveolarendothelund korbgeflechtartig eingelagerten elastischenFasern, die Blut und Luft voneinander trennen.Hier findet der eigentliche Gasaustausch zwi-schen Organismus und Umwelt statt. Sauerstoffaus der Alveolarluft tritt in das Kapillarblut über,
11 Atmungssystem222
Bronchialbaum.Abb. 11.11
Der rechte Hauptbronchus verläuft steiler nach unten und hat einen größeren Durch-messer als der linke. Daher befinden sich aspirierte Fremdkörper meistens rechts.
❑P
linker Oberlappen(Lobus superior sinister)
linker obererLappenbrochus(Bronchus lobarissuperior sinister)
Segment-bronchien(Bronchi segmentales)
linker Unterlappen(Lobus inferior sinister)
rechterOberlappen(Lobus superior
dexter)
rechter oberer Lappenbronchus
(Bronchus lobarissuperior dexter)
rechter Mittellappen
(Lobus medius dexter)
rechter mittlererLappenbronchus
(Bronchus lobaris medius dexter)
rechter Unterlappen
(Lobus inferior dexter)
rechter unterer Lappenbronchus(Bronchus lobaris inferior dexter)
linker unterer Lappenbronchus(Bronchus lobaris inferior sinister)
rechter Hauptbronchus(Bronchus principalis dexter)
Luftröhre(Trachea)
Luftröhrengabel(Bifurcatio tracheae)
linker Hauptbronchus(Bronchus principalis sinister)
linke Lunge(Pulmo sinister)
rechte Lunge(Pulmo dexter)
während das Kohlendioxid in die Gegenrichtungdiffundiert. Die kleinen Äste der Lungenarteriegehen in filzartige Kapillarnetze an der Außen-fläche der Alveolen über. Diese schließen sichwieder zu Lungenvenen zusammen.
11.2.6 Brustfell (Pleura)
Die Pleura umhüllt die Lungen (✑ Abb. 11.12).Sie ermöglicht ihre Verschiebbarkeit bei denAtembewegungen und die Kopplung an dieBrustinnenwand sowie an das Zwerchfell. IhreForm entspricht etwa der der Lungen. Sie besteht aus einem inneren visceralen undeinem äußeren parietalen Blatt.
Pleura visceralis (Lungenfell) Die Pleura visceralis bedeckt die Lungenober-fläche und ist mit ihr verwachsen. Am Lungen-hilus schlägt sie in die Pleura parietalis um.
Pleura parietalis (Rippenfell)Die Pleura parietalis ist mit ihrer Umgebung ver-wachsen und wird in 3 Abschnitte gegliedert:– Pleura costalis an der Innenseite der Brust-
wand,– Pleura diaphragmatica als Überzug der
Zwerchfelloberfläche, – Pleura mediastinalis an den Seitenflächen des
Mediastinums.
Pleurahöhle (Cavitas pleuralis)Der kapillare Spalt zwischen den beiden Pleura-blättern heißt Pleurahöhle. In ihm befindet sichetwas seröse Flüssigkeit, und es herrscht eingeringer Unterdruck. Unterdruck, Kohäsions-und Adhäsionskräfte halten die beiden Pleura-blätter und damit die Lungen fest an derInnenwand der Brusthöhle und der Oberflächedes Zwerchfells. Somit folgen die Lungen den
während das Kohlendioxid in die Gegenrichtungdiffundiert. Die kleinen Äste der Lungenarteriegehen in filzartige Kapillarnetze an der Außen-fläche der Alveolen über. Diese schließen sichwieder zu Lungenvenen zusammen.
11.2.6 Brustfell (Pleura)
Die Pleura umhüllt die Lungen (✑ Abb. 11.12).Sie ermöglicht ihre Verschiebbarkeit bei denAtembewegungen und die Kopplung an dieBrustinnenwand sowie an das Zwerchfell. IhreForm entspricht etwa der der Lungen. Sie besteht aus einem inneren visceralen undeinem äußeren parietalen Blatt.
Pleura visceralis (Lungenfell) Die Pleura visceralis bedeckt die Lungenober-fläche und ist mit ihr verwachsen. Am Lungen-hilus schlägt sie in die Pleura parietalis um.
Pleura parietalis (Rippenfell)Die Pleura parietalis ist mit ihrer Umgebung ver-wachsen und wird in 3 Abschnitte gegliedert:– Pleura costalis an der Innenseite der Brust-
wand,– Pleura diaphragmatica als Überzug der
Zwerchfelloberfläche, – Pleura mediastinalis an den Seitenflächen des
Mediastinums.
Pleurahöhle (Cavitas pleuralis)Der kapillare Spalt zwischen den beiden Pleura-blättern heißt Pleurahöhle. In ihm befindet sichetwas seröse Flüssigkeit, und es herrscht eingeringer Unterdruck. Unterdruck, Kohäsions-und Adhäsionskräfte halten die beiden Pleura-blätter und damit die Lungen fest an derInnenwand der Brusthöhle und der Oberflächedes Zwerchfells. Somit folgen die Lungen den
11.2 Bau der Atmungsorgane 223
In der Lunge werden auf kleinstem Raumgroße Oberflächen (= Austauschflächen fürO2 und CO2) geschaffen. Mit den Alveolenvergrößert sich die Oberfläche für den Gas-austausch auf ca. 100 Quadratmeter.
Merke
Teile des Brustfelles und Lagebezeichnungen. Abb. 11.12
Eingeweide-teil der Pleura(Pleura
visceralis)
Pleurahöhle(Cavitas
pleuralis)
Rippenfell(Pleura parietalis)
Pleura costalis Pleura diaphragmatica Pleura mediastinalis
Umschlagfalte der Pleura visceralis in die Pleura parietalis am Hilum pulmonis
Eingeweide-teil der Pleura
(Pleura visceralis)
Wandteil derPleura(Pleura
parietalis)
Rippen(Costae)
Pleurahöhle(Cavitas pleuralis)
mikroskopische Darstellung
Bewegungen von Thorax und Zwerchfell undgleiten fast reibungslos im Brustraum.
Reserve- oder Komplementärräume der Pleura-höhle (Recessus pleurales)Damit sich die Lungen erweitern können, befin-den sich im Bereich der Lungenbasis Erwei-terungsbereiche. In diese gleiten die Lungen beiInspiration hinein.
11.3 Physiologie der Atmung
Jede Zelle unseres Körpers benötigt für die Auf-rechterhaltung ihrer Lebensvorgänge ständigEnergie, für deren Bereitstellung sie selbst ver-antwortlich ist. In der Regel erfolgt die Energie-bereitstellung (oder -freisetzung) in den Zellendurch biologische Oxidation energiereicherorganischer Stoffe (vor allem Kohlenhydrate).Die Zelle verbraucht dazu einerseits Sauerstoffund produziert andererseits Kohlendioxid alsStoffwechselendprodukt (✑ Kap. 2, S. 17)
Der gesamte Prozess der Atmung lässt sichuntergliedern in:– Atembewegungen,– Gasaustausch,– Atemgastransport und– Regulation der Atmung.
11.3.1 Atembewegungen
Voraussetzung für den Gasaustausch ist die stän-dige Belüftung der Alveolen. Diese wird durchden rhythmischen Wechsel von Einatmung(Inspiration) – verbunden mit einer Erweiterungdes Brustraumes – und Ausatmung (Exspiration)– verbunden mit einer Brustraumverengung –bewirkt.
Einatmung (Inspiration) und Ausatmung (Exspiration)
Die wechselnden Druckdifferenzen werdenfolgendermaßen erreicht.– Bei der Inspiration wird der Brustraum erwei-
tert und das Lungenvolumen vergrößert. In der Lunge entsteht ein Unterdruck (Sog).
– Bei der Exspiration wird der Brustraum ver-engt und das Lungenvolumen verkleinert. In der Lunge entsteht ein Überdruck.
Die Atemmuskulatur gliedert sich in Ein- undAusatemmuskeln.
Einatemmuskeln (Inspirationsmuskeln)a. Zwerchfell (Diaphragma)
Das Zwerchfell ist der Haupteinatemmuskel. Bei seiner Kontraktion flacht es ab und bewegt sich wie ein Zylinderkolben im Thorax nach caudal. Dabei kommt es auch zu einer Ver-lagerung der Bauchorgane.
11 Atmungssystem224
Im Gegensatz zum Alveolargewebe derLungen enthält die Pleura zahlreiche sensibleNervenfasern. Bei einer trockenen Rippenfellentzündung (Pleuritis sicca) verursachen die Atembewe-gungen wegen der Reibung zwischen den beiden Pleurablättern starke Schmerzen.Bei verschiedenen Erkrankungen (z. B. Pneu-monie, Pleuritis) kann es zum Pleuraergusskommen (= verstärkte Flüssigkeitssammlungim Pleuraspalt).
❑P
Der im Zusammenhang mit der Energiefrei-setzung bzw. biologischen Oxidation notwen-dige O2- und CO2-Transport (auch Gaswech-sel genannt) zwischen Umwelt und Zellenwird als Atmung bezeichnet.
Merke
Bei der Inspiration wird O2-reiche und CO2-arme Luft (Frischluft) in die Alveolen trans-portiert und bei der Exspiration O2-arme undCO2-reiche Luft (verbrauchte Luft) an dieUmwelt abgegeben.
Merke
Bei der Inspiration muss der intrapulmonaleDruck niedriger und bei der Exspirationhöher sein als der Druck der Umweltluft.
Merke
Brustraumerweiterung und -verengung ent-stehen durch das Wirken der Atemmusku-latur.
Merke
b. Äußere Zwischenrippenmuskeln (Mm. inter-costales externi)Sie heben bei ihrer Kontraktion die Rippen-bögen, wodurch sich der Thorax erweitert.
Vorgänge bei der Einatmung (Inspiration):1. Kontraktion der Einatmungsmuskeln.
�2. Vergrößerung des Thoraxinnenraumes
und der Lunge gegen die elastischen Rück-stellkräfte von Lunge, Thorax, Bauchein-geweiden und Schwerkraft.
�3. Entstehung eines Unterdruckes im Thorax-
raum und der Lunge.�
4. Lufteinstrom in die Lunge bis zum Druck-ausgleich.
Ausatemmuskeln (Exspirationsmuskeln)Die Exspirationsmuskeln sind wesentlich schwä-cher ausgebildet als die Inspirationsmuskeln,weil die Exspiration durch zusätzliche Kräfte (= elastische Rückstellkräfte von Lunge, Thoraxund Baucheingeweiden) unterstützt wird. Als„echte“ Ausatemmuskeln kommen eigentlichnur die Bauchmuskeln (M. rectus abdominis, M.obliquus abdominis) in Betracht.
Vorgänge bei der Ausatmung (Exspiration) Die Ausatmung in Ruhe ist im Allgemeinen einpassiver Vorgang:1. Erschlaffung der Einatmungsmuskeln.
�2. Verkleinerung des Thoraxinnenraumes und
der Lunge, bedingt durch die elastischen Rückstellkräfte von Lunge, Thorax undBaucheingeweide sowie der Schwerkraft.
�3. Entstehung eines Überdruckes im Thorax-
innenraum und in der Lunge.�
4. Luftausstrom aus der Lunge bis zum Druck-ausgleich.
11.3 Physiologie der Atmung 225
Dehnung derLunge
Kontraktion
Zwerchfell Zwerchfell
Erschlaffung
äußereZwischen-
rippenmuskeln
äußereZwischen-
rippenmuskeln
Lunge ziehtsich zusammen
Unterdruck Überdruck
Lufteinstrom bisDruckausgleich
Luftausstrom bisDruckausgleich
Inspiration Exspiration
Atemtechnik (Inspiration und Exspiration). Abb. 11.13
Durch Messung des Brustumfanges dichtunter den Brustwarzen in maximaler In- undExspirationsstellung lässt sich die Erweiterungs-fähigkeit des Thorax prüfen. Sie ist z. B. beiVerkalkung der Rippenknorpel, Veränderungder Wirbel-Rippen-Gelenke und Wirbelsäulen-verkrümmung herabgesetzt, wodurch die Leis-tungsfähigkeit des Atmungssystems abnimmt.Die Differenz der beiden Werte sollte bei jun-gen Männern 7 bis 10 cm, bei jungen Frauen 5 bis 8 cm betragen.
❑P
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�
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�
AtmungstypenWie bereits beschrieben, erfolgt die Erweiterungdes Brustraumes einerseits durch Senkung desZwerchfells und andererseits durch Hebung derRippenbögen. Dementsprechend werden zweiAtmungstypen unterschieden.
Atemhilfsmuskeln Bei erhöhtem Sauerstoffbedarf (Arbeit) oderAtembehinderungen (z. B. Asthma bronchiale)werden zusätzlich Atemhilfsmuskeln eingesetzt.
Einatemhilfsmuskeln– Treppenmuskeln (Mm. scaleni)– Kopfwendemuskel (M. sternocleidomastoide-
us) bei fixiertem Kopf– Vorderer Sägemuskel (M. serratus anterior)
und kleiner Brustmuskel (M. pectoralis minor) bei fixiertem Schulterblatt
– Großer Brustmuskel (M. pectoralis major) bei aufgstützten Armen
Ausatemhilfsmuskeln– Alle Bauchmuskeln bei fixiertem Becken.– Hinterer Sägemuskel (M. serratus posterior).– Breiter Rückenmuskel (M. latissimus dorsi).
Aufgabe der Pleura Das Bauprinzip der Pleura gewährleistet, dassdie Lungen passiv den Atembewegungen desThorax und des Zwerchfells folgen. Gleichzeitigsind die Lungen mit ihrer Umgebung gegenein-ander verschiebbar. Diese mechanische Kopp-lung kann man sich einfach veranschaulichen:Bringt man zwischen zwei Objektträger einigeTropfen Wasser, so sind sie fast reibungslosgegeneinander verschiebbar, jedoch nicht von-einander zu trennen. Von Bedeutung für dieseKopplung ist weiterhin, dass die gedehnte Lungeaufgrund ihrer Elastizität bestrebt ist, sich wie-der zusammenzuziehen. Die Folge ist ein negati-ver intrapleuraler Druck (= Druckdifferenzzwischen Pleuraspalt und Außenraum), der amEnde der Inspiration am größten ist.
11 Atmungssystem226
... Heben der Rippenbögen
... Zwerchfellsenkung
Bauchatmung Brustatmung
Kopfwender(M. sternocleido-
mastoideus)
kleiner Brustmuskel
(M. pectoralis minor)
vordererSägemuskel
(M. serratus anterior)
Bei Atemnot: Die Arme angewinkelt hinterden Kopf heben. Hierdurch wird eine zusätzli-che Zugwirkung auf den Brustkorb durch dieAtemhilfsmuskeln erreicht.
❑P
Die Pleura gewährleistet die Übertragung derThorax- und Zwerchfellbewegung auf dieLunge.
Merke
Wird durch Verletzung oder Krankheit die Pleurahöhle geöffnet, sodass Luft einströmt, zieht sich die Lunge infolge eigener Elasti- zität zusammen. Es entsteht ein Pneumo-thorax (✑ Abb. 11.15) und Atemnot.
❑P
Brustraumvergrößerung erfolgt hauptsächlich durch ...
abdominalerAtmungstyp
thorakalerAtmungstyp
Einatemhilfsmuskeln.Abb. 11.14
Lungenbelüftung (Ventilation)Die treibende Kraft für den Gasaustausch in derLunge sind entsprechende Druckgefälle derAtemgase (✑ Abb. 11.17, S. 228). Die Aufrecht-erhaltung dieser Druckgefälle während derInspiration und Exspiration wird u. a. durch denständigen Luftwechsel in der Lunge gesichert.
Lungenvolumina und -kapazitätenDas Volumen der Atemzüge kann unterschied-lich sein, weshalb man verschiedene Volumen-einteilungen unterscheidet. Zusammengesetzte
Volumina werden zu Kapazitäten zusammen-gefaßt (✑ Abb. 11.16).
Lungenvoluminaa. Atemruhevolumen: Luftmenge, die in Ruhe
ein- und wieder ausgeatmet wird. Nach norma-ler Atmung befinden sich Thorax und Lunge in der Atemruhelage. Hier handelt es sich um eine stabile Mittelstellung, bei der sich zwei passive Kräfte aufheben.
b. Inspiratorisches Reservevolumen: Luftmenge,die bei maximaler Einatmung noch zusätzlich aufgenommen werden kann. Es wird vor allembei körperlicher Belastung in Anspruch ge-nommen, wenn das Atemruhevolumen nicht mehr ausreicht.
11.3 Physiologie der Atmung 227
Lunge kollabiertLufteinstrom
Öffnung der Pleurahöhle(Pneumothorax).Abb. 11.15
6
5
4
3
2
1
0
Vita
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azitä
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5 l)
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Tota
lkap
azitä
t (6,
0 l)
InspiratorischesReservevolumen (2,5 l)
Atemruhevolumen (0,5 l)
ExspiratorischesReservevolumen (1,5 l)
Residualvolumen (1,5 l)Restluft (0,8 l)
Kollapsluft (0,7 l)
[ Liter ]
Lungenvolumina und -kapazität eines 25-jährigen Mannes1). Abb. 11.16
1) Die Werte können in Abhängigkeit von Körpergröße, Geschlecht, Konstitution und Trainingszustand stark schwanken.
Die Ventilation hängt vom Atemzugvolumen(= Atemtiefe) und von der Atemfrequenz(Anzahl der Atemzüge pro Minute) ab. Das Produkt aus beiden Größen heißt Atem-minutenvolumen.
Beispiel:16 Atemzüge pro Minute x 500 ml Atemzug-volumen ergeben = 8 Liter � min-1 als Atemminutenvolumen.
Merke
c. Exspiratorisches Reservevolumen: Luftmenge,die bei maximaler Ausatmung noch zusätzlich abgegeben werden kann.
d. Residualvolumen: Luftmenge, die nach maxi-maler Ausatmung in der Lunge verbleibt (Kollapsluft und Restluft).
Lungenkapazitätene. Inspirationskapazität: Luftmenge, die maxi-
mal eingeatmet werden kann (Summe aus a und b).
f. Funktionelle Residualkapazität: Luftmenge, die nach normaler Ausatmung noch in der Lunge verbleibt (Summe aus c und d). Durch sie ist es möglich, dass es ständig zu einer Mischung der vorhandenen Luft mit der zuge-führten Frischluft kommt und die Zusammen-setzung der Alveolarluft nur geringfügig schwankt; das heißt, inspiratorische und exspiratorische O2- und CO2-Konzentrationen im Alveolarraum werden ausgeglichen.
g. Vitalkapazität: Luftmenge, die nach maxima-ler Einatmung ausgeatmet werden kann (Sum-me aus a, b und c). Die Vitalkapazität ist ein Maß für die Ausdehnungsfähigkeit von Lunge und Thorax.
h. Totalkapazität: Luftmenge, die nach maxima-ler Einatmung in der Lunge enthalten ist (Sum-me aus d und g).
AtemwiderständeDen Atembewegungen und dem Atemluftstromstellen sich Widerstände entgegen, die durchMuskelarbeit überwunden werden müssen.
Zu den Atemwiderständen gehören– elastische Atemwiderstände von Lunge und
Thorax. Von Bedeutung sind die elastischen Fasern des Lungengewebes und die Ober-flächenspannung der Alveolen. Letztere wird bei inspiratorischer Dehnung der Lunge durch oberflächenaktive Substanzen (Surfactants) vermindert,
– Reibungswiderstände von Lunge und Thorax,– Strömungswiderstände in den Atemwegen.
Funktion des TotraumesDie luftleitenden Wege (von der Nase bis zu denBronchiolen) bilden den Totraum, weil hier keinGasaustausch erfolgt.
Der Totraum hat die Funktionen, die Ein-atmungsluft zu erwärmen, zu reinigen und zubefeuchten. Gleichzeitig fördert er die Ventila-tion der Atmung durch Erweiterung (bei Ein-atmung) bzw. Verengung (bei Ausatmung) derBronchiolen.
11.3.2 Gasaustausch (✑ Abb. 11.17; 11.18)
Der Gasaustausch zwischen Organismus undUmwelt in den Lungen wird als Atmung imengeren Sinn oder „äußere“ Atmung bezeichnet.Unter „innerer“ Atmung versteht man dieOxidation der energiereichen Stoffe in denZellen zum Zwecke der Energiebereitstellung (✑ S. 41).
11 Atmungssystem228
Die Belüftung des Totraumes ist eine kon-stante Größe (0,15 l). Eine Verminderung derGesamtventilation bedeutet also immer eineVerringerung der alveolären Ventilation.
Merke
pCO46
mmHg
pO100
mmHg
2
pCO40
mmHg
2
pO100
mmHg
2
pCO40
mmHg
2
pO240 mmHg
pCO46
mmHg
2
pCO = 6 mmHgpO = 60 mmHg2
2
Druckdifferenzen(Partialdruckgefälle)
A. pulmonalis V. pulmonalis
Alveole Lungenkapillare Blut-Luft-Schranke(Alveolar- und
Kapillarmembran,dazwischen
Basalmembran)
O -arme und CO -reiche Luft / Blut = blauO -reiche und CO -arme Luft / Blut = rot
22
22
Gasaustausch in der Lunge. Abb. 11.17
Die Lungenbläschen (Alveolen) sind umgebenvon netzartig angeordneten Blutkapillaren (✑ Abb. 11.10, S. 221).
Nur im Bereich der Alveolen werden die Atem-gase Sauerstoff und Kohlendioxid durch Diffu-sion ausgetauscht. Das heißt: Sauerstoff gelangtaus der Luft der Alveolen in das Blut derLungenkapillaren und das Kohlendioxid aus demLungenkapillarblut in die Alveolarluft. Voraus-setzung ist die Ventilation.
Die Zusammensetzung von Ein- und Ausat-mungsluft sowie der Luft in den Lungenbläschenist demnach unterschiedlich (✑ Tab 11.3).
Die treibende Kraft der Diffusion als einem zen-tralen Vorgang beim Gasaustausch ist das jewei-lige Partialdruckgefälle des Gases. Der Umfangdes Gasaustausches pro Zeiteinheit ist umsointensiver, je größer Partialdruckgefälle undAustauschfläche, je kürzer der Diffusionswegund je besser die Durchblutung sind.
Nach dem gleichen Prinzip wie in der Lunge (= alveolärer Gasaustausch) findet der Gasaus-tausch im Gewebe statt. O2 gelangt entsprechendseines Partialdruckgefälles aus dem Kapillarblutdes Gewebes über das Interstitium in die Zellenund CO2 aus den Zellen über das Interstitium indas Gewebskapillarblut.
Ventilation und Lungendurchblutung (= Lungen-perfusion)Wie bereits bekannt, werden O2 und CO2 imAlveolarraum ausgetauscht. Zu diesem Zweckmüssen sie vom Blutstrom an- bzw. abtranspor-tiert werden.
Das Belüftungs-Durchblutungs-Verhältnis beträgtbeim gesunden Menschen in Ruhe 4 Liter Luftpro Minute zu 5 Liter Blut pro Minute, also 0,9.
11.3.3 Atemgastransport
Dem Atemgastransport im menschlichen Körperdienen verschiedene Transportformen (✑ S. 31ff.). Kurze Wege werden durch Diffusion undlängere Distanzen durch Konvektion überbrückt.
Atemgastransport durch das BlutDas Blut transportiert die Atemgase zwischenLungen und Zellen. Die treibende Kraft wirdvom Herzen erzeugt.
11.3 Physiologie der Atmung 229
Einatmungs-luft ca.
Ausatmungs-luft ca.
Sauerstoff
Kohlendioxid
Stickstoff, Wasser, Edelgase
21 %
0,03 %
79 – 80 %
15 %
4 %
79 – 80 %
Zusammensetzung von Ein- undAusatmungsluft.
Tab. 11.3
O2-Aufnahme und CO2-Abgabe sind mit derLungendurchblutung gekoppelt.
Merke
Krankheitsbedingte Einschränkungen derAustauschfläche, z. B. Lungenemphysem, Lun-genentzündung, vermindern den Gasaustausch;es entstehen Atemnot und Zyanose.
❑P
Transport der Atemgasedurch das Blut. Abb. 11.18
HCO3-
HCO3-
HbO2
HbO2HHb
HHb
CO2
CO2CO2
CO2
O2
O2
[Blut]
[Blut][Blut]
[Blut]
[Luft]
[Luft]
H2CO3
H2CO3 H2O+ Gew
ebe
Lu
ng
e
O2-arm
O2-reich
CO2-reich
CO2-arm
H+
H+
H2O
Sauerstofftransport (Lunge → Körperzellen)Vorgänge in den Lungen:Der Sauerstoff wird im Lungenkapillarblut nachphysikalischer Lösung an das desoxygenierteHämoglobin (Hb) gebunden. Es entsteht oxyge-niertes Hb. Dieser Vorgang heißt Oxygenation.
Vorgänge im Gewebe:Im Gewebe wird der Sauerstoff wieder vom Hbgelöst (= Desoxygenation). Nach erneuter physi-kalischer Lösung diffundiert er in die Zellen.Der Sauerstofftransport erfolgt in chemischerBindung an Hämoglobin, das sich in den Ery-throzyten befindet.
Kohlendioxidtransport (Körperzellen → Lunge)Das von den Zellen abgegebene Kohlendioxid(CO2) wird hauptsächlich in Form von Bicar-bonat (= Hydrogencarbonat, HCO3
-) im Blutzur Lunge transportiert. Nach physikalischerLösung wird im Gewebskapillarblut unterVermittlung des Enzyms Carboanhydrase CO2
wie folgt in HCO3- überführt.
Vorgänge im Gewebe:1. Kohlendioxid verbindet sich mit Wasser zu
Kohlensäure:
Carboanhydrase
CO2 + H2O H2CO3
2. Ein Teil der Kohlensäure dissoziert in Wasser-stoff- und Bikarbonationen: H2CO3 → H+ + HCO3
-
Die freien Wasserstoffionen werden an das des-oxygenierte Hb gebunden (= Pufferung; ✑ S. 30).
Vorgänge in der Lunge:In der Lunge wird das HCO3
- unter Vermittlungvon Carboanhydrase wieder in CO2 umgewan-delt.l. Das Bicarbonation verbindet sich mit Wasser-
stoff (wird vom oxygenierten Hb zur Verfü-gung gestellt) zu Kohlensäure: HCO3
- + H+ → H2CO3
2. Die Kohlensäure zerfällt in Wasser und CO2. Letzteres löst sich physikalisch und diffundiertaus dem Blut in die Alveolarluft:
Carboanhydrase
H2CO3 H2O + CO2
Das Kohlendioxid wird zum überwiegenden Teilals Bicarbonat im Blutplasma transportiert. Eingeringer Teil des CO2-Transportes erfolgt durchdas Hämoglobin der Erythrozyten (Carbomino-Hämoglobin).
11.3.4 Regulation der Atmung
Durch die Atmungsregulation wird die Aufnah-me von Sauerstoff sowie die Abgabe vonKohlendioxid den Erfordernissen unseres Kör-pers angepasst. Das geschieht durch die Verän-derung von Atemfrequenz und Atemtiefe (Atem-minutenvolumen). In Ruhe beträgt die Atemfre-quenz 16 bis 20 Atemzüge pro Minute. Bei kör-perlicher Belastung erhöht sie sich um das Drei-bis Vierfache. Gleichzeitig nimmt auch dieAtemtiefe zu.
11 Atmungssystem230
Hb + O2 HbO2
desoxygeniert, oxygeniert, stärkere Säure, schwächere Säure, dunkelrot. hellrot.
l g Hb bindet 1,34 ml O2. 100 ml Blut ent-halten 16 g Hb. Also: 16 g Hb • 1,34 ml O2 = 21 ml O2. Demnach können 100 ml Blut 21 ml O2 binden.
❑P
Eine bedeutend größere Affinität zum Hbals der Sauerstoff hat das Kohlenmonoxid (CO).Bereits in geringen Konzentrationen verdrängtes den Sauerstoff aus der Hb-Bindung (Giftig-keit). Eine starke CO-Vergiftung erkennt manan der kirschroten Farbe der Haut.
❑P
➞
Bei Atemstillstand oder behinderter Atmungerhöht sich die Wasserstoffionenkonzentration.Es entsteht eine Übersäuerung des Blutes, derpH-Wert (normal 7,37 – 7,43) sinkt. Manspricht von einer respiratorischen Azidose.
❑P
Im Einzelnen bedeutet dies:– die Atemfrequenz und Atemtiefe ökonomisch
aufeinander abzustimmen,– die Atmungsform beim Schluck-, Nies- und
Hustenreflex bzw. Sprechen und Singen abzu-wandeln,
– den Säure-Basen-Haushalt konstant zu halten.Die optimale Anpassung der Atmung wird durchverschiedene mehrfach kontrollierte Regel-mechanismen erreicht, von denen die wichtig-sten kurz beschrieben werden.
Zentrale AtmungsregulationDie rhythmische Folge von In- und Exspirationwird durch wechselnde Erregung und Hemmunginspiratorischer und exspiratorischer Neuroneim verlängerten Mark (Medulla oblongata)erreicht. Diese Neurone bilden das Atem-zentrum.
Mechanisch-reflektorische Atmungsregulation(Hering-Breuer-Reflex)Durch den Hering-Breuer-Reflex werden In- undExspiration den aktuellen Bedingungen des
Organismus angepasst und eine Überdehnungder Lunge verhindert (✑ Tab. 11.4).
Chemische AtmungsregulationDie chemische Atmungsregulation gewährleistetdie Anpassung des Atemminutenvolumens andie Stoffwechselbedürfnisse des Organimus. Zudiesem Zweck erfolgt eine ständige Kontrolledes pCO2, pO2 und der [H+] im arteriellen Blut.
Die chemische Atmungsregulation arbeitet nachdem Prinzip eines biologischen Regelkreises.
Im Folgenden sind die wichtigsten Faktoren zu-sammengestellt, die die Atmung (Ventilation)beeinflussen.
Ventilationssteigernd wirken:pCO2 (= stärkster Atemreiz), pO2 ,[H+] , Warm- und Kaltreize, Verände-rungen der Körpertemperatur (Fieber, Hypothermie), Schmerz, Adrenalin , Progesteron , Erregung.
Ventilationsverringernd wirken:pCO2 , pO2 , [H+] , RR .
11.3 Physiologie der Atmung 231
Das Ziel der Atmungsregulation ist die An-passung der äußeren Atmung an die Erfor-dernisse des Gesamtorganismus. Im Zentrumstehen die ausreichende O2-Versorgung derZellen und die Konstanthaltung des pH-Wertes.
Merke
Reiz(Veränderung desLungenvolumens)
Reaktion(Veränderung der Atemtiefe
zur Ökonomisierung der Atemarbeit)
Atemzentrum
Dehnungsrezeptorenin der Lunge
Atemmuskulatur
afferente Bahnen(im N. Vagus)
efferente Bahnen(in motorischen Nerven
für Atemmuskeln)
Hering-Breuer-Reflex (Reflexbogen).Tab. 11.4
Chemische Atemregulation. Tab. 11.5
Atemzentrum
Chemo-rezeptoren
Atemmuskulatur
Stoffwechsel
•
Atem-minutenvolumen
pCO2, pO2, [H+]im arteriellen Blut
Im Gegensatz zur Herztätigkeit sind Atem-frequenz und Atemtiefe über die Großhirnrindewillkürlich beeinflussbar. Atmet der Mensch ohne körperliche Belastung– vielleicht aus Angst – sehr schnell und tief,sinkt die Wasserstoffionenkonzentration imBlut. Es entsteht eine respiratorische Hyper-ventilations-Alkalose mit Krampferscheinun-gen und vorübergehendem Atemstillstand.
❑P
➞
➞ ➞
➞➞
➞
➞➞ ➞
11 Atmungssystem232
1. Nehmen Sie eine Gliederung des Atmungssystems vor.2. Beschreiben Sie Bau und Funktion der Nase.3. Beschreiben Sie den Rachen als Teil des Atmungs- und Verdauungstraktes.4. Beschreiben Sie den Kehlkopf als luftleitendes und stimmbildendes Organ.5. Beschreiben Sie Lage, makroskopischen und mikroskopischen Bau der Trachea.6. Vergleichen Sie die Schleimhautepithelien von Nase, Rachen, Kehlkopf und Luftröhre!
Ziehen Sie eine Schlussfolgerung.7. Warum steigt bei Mundatmung die Infektionsgefahr?8. Beschreiben Sie den Bronchialbaum.9. Beschreiben Sie Lage und Aufbau der Lungen.
10. Stellen Sie den Aufbau eines Lungenläppchens unter Berücksichtigung seiner Funktion dar.
11. Beschreiben Sie Bau und Funktion der Pleura.12. Erklären Sie die Vorgänge
a) bei der Einatmung, b) bei der Ausatmung.
13. Erläutern Sie die Belüftung der Lunge einschließlich wichtiger a) Lungenvolumina,b) Lungenkapazitäten.
14. Was ist der Totraum und welche Funktionen hat er?Unterscheiden Sie alveoläre und Totraumventilation.
15. Vergleichen Sie die Zusammensetzung von Einatmungsluft, Ausatmungsluft und Alveolar-luft hinsichtlich des Sauerstoff- und Kohlendioxidgehaltes.
16. Beschreiben Sie den Gasaustausch.17. Vergleichen Sie die Partialdrücke von O2 und CO2 im arteriellen und venösen Blut sowie
in der Alveolarluft! – Begründen Sie die Unterschiede.18. Begründen Sie, warum Belüftung und Durchblutung der Lunge gleich wichtig sind.19. Erklären Sie den Gastransport zwischen Lunge und Gewebe.20. Wodurch wird der Gastransport maßgeblich beeinflusst?21. Begründen Sie die Notwendigkeit der Atmungsregulation.22. Wie erfolgt die Regulation der Atmung?23. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Atmung und pH-Wert der Körperflüssigkeiten?
Fragen zur Wiederholung
Im Verdauungssystem wird die Nahrung so ver-arbeitet, dass die in ihr enthaltenen lebensnot-wendigen Stoffe in Blut und Lymphe gelangenkönnen.
Zum Verdauungssystem gehören Mundhöhle,Speiseröhre, Magen, Dünndarm, Dickdarm,Leber und Gallenblase sowie Bauchspeichel-drüse.
233
12 Verdauungssystem
Mundhöhle(Cavitas oris)
Zunge(Lingua)
Leber(Hepar)
Grimmdarm(Colon)
Blinddarm(Caecum)
Wurmfortsatz(Appendix vermiformis)
Rachenraum(Pharynx)
Speiseröhre(Ösophagus)
Magen(Gaster, Ventriculus)
Bauchspeicheldrüse(Pankreas)
Zwölffingerdarm(Duodenum)
Leerdarm(Jejunum)
Krummdarm(Ileum)
Dünndarm(Intestinum tenue)
Mastdarm(Rektum)
Verdauungssystem (Übersicht). Abb. 12.1
12.1 Mundhöhle (Cavitas oris)
In der Mundhöhle beginnt der Verdauungstrakt.Sie dient in erster Linie der Nahrungsaufnahme,aber auch der Atmung und wird eingeteilt in dieeigentliche Mundhöhle und den Mundvorhof.
Die Mundhöhle (Cavitas oris) ist der Raum zwi-schen Zähnen, Gaumen, muskulösem Mund-boden einschließlich Zunge und Schlundenge(Isthmus faucium). Der Mundhöhlenvorhof(Vestibulum oris) liegt zwischen den Zähnen,Wangen und Lippen.Die Mundschleimhaut besitzt ein mehrschichti-ges unverhorntes Plattenepithel und zahlreichekleine Speicheldrüsen. Letztere sind an derLippeninnenseite tastbar.
Zum Mundhöhlenbereich gehören: • die Lippen (Labia), • die Wangen (Buccae), • die Zähne (Dentes), • die Zunge (Glossa, Lingua), • der Gaumen (Palatum) und • 3 Paar große Mundspeicheldrüsen.
12.1.1 Lippen und Wangen
Der Mundschließmuskel (M. orbicularis oris) bil-det die Basis der Lippen und schließt den Mund;die Öffnung des Mundes erfolgt u. a. durch denzweibäuchigen Muskel (M. digastricus). DerWangenmuskel (M. buccinator) bildet die Wan-genwand und sorgt im Zusammenspiel mit derZunge dafür, dass die Nahrung immer wiederzwischen die Zähne gelangt. Beim Kauen wirdzwischen Schneid- und Mahlbewegungen unter-schieden. Die Schneidbewegung (Kieferschluss)erfolgt durch den Kaumuskel (M. masseter) undden Schläfenmuskel (M. temporalis). Die Mahl-bewegung (seitliche Verschiebung des Unterkie-fers) wird durch die Flügelmuskeln (Mm. ptery-goideus medialis/lateralis) ausgeführt (✑ Abb.5.51, S. 134).
12.1.2 Zähne, Gebiss
Die Zähne sind für das Abbeißen und die mecha-nische Zerkleinerung der Nahrung zuständig.Zwischen dem 6. Monat und dem 2. Lebensjahr
entwickelt sich zunächst dasMilchgebiss, bestehend aus20 Zähnen. Etwa ab dem 6. Lebensjahr verdrängen diebereits vorgebildeten bleiben-den Zähne nach und nach dieMilchzähne. Das endgültigeGebiss besteht aus 32 Zähnen.
Zahnarten Entsprechend ihrer Funktion,Form und Stellung im Gebisswerden die Zähne bezeichnet:• Schneidezahn (Dens incisi-
vus), • Eckzahn (Dens caninus), • Backenzahn (Dens prae-
molaris),• Mahlzahn (Dens molaris),• hinterster Mahlzahn (Weis-
heitszahn).
Die Zahnformel dient dergenauen Bestimmung jedesZahnes im Gebiss. Zu die-sem Zweck erhalten die vierKieferhälften und die Zahn-arten Nummern.
12 Verdauungssystem234
Mundvorhof(Vestibulum oris)
harter Gaumen(Palatum durum)
weicher Gaumen(Palatum molle)
Mundschließmuskel(M. orbicularis oris)
vorderer u. hinterer Gaumenbogen
Zäpfchen(Uvula)
Gaumenmandel(Tonsilla palatina)
Zunge(Lingua)
Rachenenge(Isthmus faucium)
Mundhöhle.Abb. 12.2
Erste Ziffer bedeutet– rechte Oberkieferhälfte: 1– linke Oberkieferhälfte: 2– linke Unterkieferhälfte: 3– rechte Unterkieferhälfte: 4
Zweite Ziffer bedeutet– Schneidezähne: 1 und 2 – Eckzahn: 3 – Backenzähne: 4 und 5 – Mahlzähne: 6, 7 und 8
Beispiel11 bis 18 (sprich: eins-eins bis eins-acht) sinddie Zähne der rechten Oberkieferhälfte usw.
Bau eines Zahnes Drei Teile lassen sich unterscheiden:1. Zahnkrone (Corona)
Sie ist der sichtbare, aus dem Zahnfleisch ragende Teil des Zahns und ist vom Zahn-schmelz (Enamelum) überzogen. Der Zahn-schmelz ist die härteste Substanz unseres Körpers und kann bei Defekten nicht mehr nachgebildet werden.
2. Zahnhals (Collum)Er stellt den Übergang zwischen Krone und Zahnwurzel dar und ist vom Zahnfleisch um-schlossen.
3. Zahnwurzel (Radix)Sie liegt im knöchernen Zahnfach (Alveole) und ist vom Zahnzement (Cementum) überzo-gen. Die Wurzelhaut umhüllt die Zahnwurzel. Durch elastische Bindegewebsfasern in der Wurzelhaut wird der Zahn federnd in der Alveole fixiert.
Als Stützgerüst liegt in allen 3 Abschnitten des Zahnes das Zahnbein (Dentin). In seinem Inneren befindet sich die Zahnhöhle (Pulpa-höhle) als durchgehender Hohlraum von der Wurzelspitze bis in die Zahnkrone. Im Bereichder Wurzel heißt sie Wurzelkanal. Die Zahnhöhle beinhaltet das Zahnmark (Pulpadentis), bestehend aus lockerem Bindegewebeund über den Wurzelkanal eintretende Gefäße und Nerven.
Zahnhalteapparat Er wird gebildet vom Zahnfleisch (Gingiva), dem Zahnfach (Alveole), Zement (Cementum)sowie der Wurzelhaut (Periodontium), die zwi-schen Zement und Zahnfach liegt. Zugfeste Fasern der Wurzelhaut sind einer-seits im Zement und andererseits im Kiefer-knochen verankert und halten den Zahn elastisch im Zahnfach.
235
rechte Oberkieferhälfte linke Oberkieferhälfte
18 17 16 15 14 13 12 11 21 22 23 24 25 26 27 28
48 47 46 45 44 43 42 41 31 32 33 34 35 36 37 38
rechte Unterkieferhälfte linke Unterkieferhälfte
12.1 Mundhöhle
Tab. 12.1Zahnformel.
Bestimmte Bakterien bauen Nahrungsbe-standteile in der Mundhöhle zu organischenSäuren ab. Diese lösen bei längerer Einwir-kung den Zahnschmelz auf. Es entsteht Karies(Zahnfäule = Zerstörung des Zahnschmelzes). Sachgerechte Mundpflege kann diesen Prozessweitgehend verhindern.
❑P
Bei Entzündungen des Zahnhalteapparates (Paradontitis) können durch Rückgang des Zahnfleisches die Zahnhälse frei liegen. Sie können dadurch schmerzempfindlich werden.
Versteckte Zahnerkrankungen, ausgelöst durchmangelhafte Zahnhygiene, können Ursache fürschwere entzündliche Allgemeinerkrankungensein, die oftmals nicht sofort mit den Zähnen inZusammenhang gebracht werden. Daher ist dieZahnhygiene bei der Patientenbetreuung einwichtiger Aspekt.
❑P
12 Verdauungssystem236
Zahnschmelz(Enamelum)
Zahnbein (Dentin)
Zahnhöhle(Cavum pulpae)
Zahn-fleisch
(Gingiva)
Zahn-zement
(Cementum)
Wurzel-haut
(Perio-dontium)
Zahnkrone(Corona)
Zahnhals(Collum)
Zahnwurzel(Radix)
Blutgefäßeund Nerv
Alveolarnerven(Nn. alveolares)
Mahlzähne (Molaren)
12345
6
7
8
Zahnarten
bleibendes Gebiss (Durchbruchzeiten)
Milchgebiss (Durchbruchzeiten)
Stellung der Zähne im Gebiss
Schneidezähne Eckzahn Prämolaren (Backenzähne)
1 2 3 4 5
6 7 8
6. – 8. J.
7. – 9. J.
11. – 13. J.
9. – 11. J.
10. – 15. J.
7. J.
13. – 16. J.
13. – 18. J.
6. – 8. M.7. – 9. M.
16. – 20. M.
12. – 15. M.
20. – 24. M.
123
4
5
Gebiss.Abb. 12.3
12.1 Mundhöhle 237
12.1.3 Zunge (Lingua, Glossa)
Die Zunge ist ein mit Schleimhaut überzogenesmuskulöses Organ. Ihre Muskulatur wird ausquer gestreiftem Muskelgewebe gebildet, dessenFasern die Zungen in Längs-, Breit- undTiefenrichtung durchziehen. Diese Anordnungermöglicht außerordentlich differenzierte Bewe-gungen.
BauAn der Zunge kann man die raue Zungenober-seite (= Zungenrücken) mit Zungenspitze, Zun-genrändern, Zungenwurzel (= Zungengrund) und die glatte Zungenunterseite mit dem mediangelegenen Zungenbändchen unterscheiden.Die Schleimhaut des Zungenrückens ist durchzahlreiche Zungenpapillen gekennzeichnet, waszu einer Vergrößerung ihrer Oberfläche führt.
In den Geschmacksknospen der wall-, blatt- undpilzförmigen Papillen sind die Geschmackssin-neszellen (Chemorezeptoren) konzentriert, dieden Geschmackssinn vermitteln (✑ S. 313).
Die höckrige Oberfläche der Zungenwurzel ent-steht durch zahlreiche Lymphfollikel, die dieZungenmandel (Tonsilla lingualis) bilden.Die Blutversorgung erfolgt über die Zungen-arterie (A. lingualis), die bis zur Zungenspitzereicht.
Zungenpapillen Lage Besonderheit
Dienen der Tastempfindung.
Enthalten Geschmacksknospen, in ihrer Nähe liegen Spüldrüsen.
Enthalten Geschmacksknospen.
Auf dem ganzen Zungenrücken verteilt (am häufigsten auftreten-de Papillen).v-förmig am Beginn der Zungenwurzel.Zungenrand.
Zungenrand, Zungenspitze.
Fadenpapillen (Papillae filiformes)
Wallpapillen (Papillae vallatae)Blattpapillen (Papillae foliatae)Pilzpapillen (Papillae fungiformes)
Die Zungenmuskulatur wird durch zahlreichesensible und motorische Nervenfasern ver-sorgt.
Merke
Die A. lingualis ist ein kräftiger Endast der A. carotis externa: Bei Verletzung besteht akuteVerblutungsgefahr (z. B. Biss bei epileptischenKrampfanfällen).
❑P
Aufgabe der Zunge Anatomische Zungenstrukturen
Mitwirken beim Saugen, Zungenmuskulatur Kauen und SchluckenLautbildung Zungenmuskulatur
formt ZungeTast- und Berührungs- Zungenspitzeempfindung FadenpapillenGeschmacksempfindung GeschmacksknospenAbwehrfunktion Zungenmandel
Merke
Mundhöhle. Tab. 12.2
Zungenpapillen. Abb. 12.4
Wallpapillen (Papillae vallatae)
Blattpapillen (Papillae foliatae)
Pilzpapillen (Papillae
fungiformes)
Fadenpapillen (Papillae filiformes)
12.1.4 Gaumen (Palatum)Der Gaumen bildet einerseits das Mundhöhlen-dach und andererseits den Boden der Nasen-höhle.Man unterscheidet 2 Abschnitte:– den harten Gaumen = Kaudruckbereich.– den weichen Gaumen = Gaumensegel.
Er schließt sich nach hinten dem harten Gau-men an. In der Mitte befindet sich das Gaumen-zäpfchen (Uvula), von dessen Basis links und rechts zwei Schleimhautfalten bogenförmigseitlich nach unten verlaufen. Es handelt sichum die vorderen und hinteren Gaumenbögen. Rechts und links liegt in einer Nische zwi-schen vorderem und hinterem Gaumenbogenjeweils 1 Gaumenmandel (Tonsilla palatina).
Aufgaben des weichen Gaumens– Die muskuläre Grundlage ermöglicht während
des Schluckens das Verschließen des Rachen-raumes zur Nasenhöhle.
– Muskelzüge öffnen beim Schlucken die Ohr-trompete, sodass ein Druckausgleich im Mittel-ohr erfolgen kann.
Rachenenge (Isthmus faucium; ✑ Abb. 12.2, S. 234)Die Rachenenge liegt zwischen der Zungen-wurzel und dem weichen Gaumen und ist derÜbergang von der Mundhöhle in den Rachen-raum.
12.1.5 Große Mundspeicheldrüsen
Die 3 großen Mundspeicheldrüsen (✑ Abb.12.6) dienen neben vielen kleinen Drüsen in derMundschleimhaut der Speichelbildung. Sie sindpaarig angeordnet. Der Mundspeichel wird überAusführungsgänge direkt in den Mundraumabgegeben.
Ohrspeicheldrüse (Glandula parotis)Sie ist mit einer Masse von 20 – 30 Gramm diegrößte. Sie liegt außerhalb der Mundhöhle. I h rAusführungsgang mündet im Mundvorhofgegenüber dem 2. oberen Mahlzahn.
12 Verdauungssystem238
Zungenwurzel(Radix linguae)
Zungenmandel(Tonsilla lingualis)
Kehldeckel(Epiglottis)
Rachen(Pharynx)
Speiseröhre(Ösophagus)
Fadenpapillen(Papillae filiformes)
Wallpapillen(Papillae vallatae)
Blattpapillen(Papillae foliatae)
Zungenbein(Os hyoideum)
Schildknorpel(Cartilago thyroidea)
Ringknorpel(Cartilago cricoidea)
Luftröhre(Trachea)
Zunge- und Kehlkopfbereich.Abb. 12.5
Bei einer Entzündung der Ohrspeicheldrüse(Mumps) steht in der Regel das Ohrläppchenab (Schwellung vor dem Ohr).
❑P
Unterkieferspeicheldrüse (Glandula submandi-bularis). Sie liegt an der Innenseite des Unter-kiefers (ist tastbar).Unterzungenspeicheldrüse (Glandula sublingu-alis). Sie liegt im Mundhöhlenboden.
Die Ausführungsgänge von Unterkiefer- undUnterzungendrüse münden unter der Zungeneben dem Zungenbändchen.Der alkalische Mundspeichel ermöglicht dasWirken des Ptyalins (�-Amylase des Speichels),dient der Erhaltung des Zahnschmelzes und wehrtmithilfe Immunglobulin A und Lysozym Krank-heitserreger ab.
12.2 Speiseröhre (Ösophagus)
Die Speiseröhre ist ein mit Schleimhaut ausge-kleideter muskulöser Schlauch. Sie ist beimErwachsenen ca. 24 Zentimeter lang und verbin-det den Rachenraum mit dem Magen.Verlauf und Lagebeziehungen
Nach ihrem Verlauf vom Hals über die Brust- indie Bauchhöhle unterscheidet man 3 Abschnitte:
• Halsteil. Er liegt hinter der Trachea. Seitlich befinden sich Teile der Schilddrüse sowie die Gefäß-Nerven-Stränge des Halses, dahinter die Halswirbelsäule.
• Brustteil. Er verläuft vor der Brustwirbelsäule neben der Brustaorta zwischen den beiden Lungen. Diagnostisch wichtig ist die Anlage-rung an den linken Vorhof.
• Bauchteil. Nach dem Durchtritt durch das Zwerchfell sind es noch 0 – 3 Zentimeter bis zum Mageneingang.
Beginn und Ende der Speiseröhre werden durcheinen Ringmuskel verschlossen. Der untereSchließmuskel verhindert den Rückfluss vonMageninhalt.
In ihrem Verlauf hat die Speiseröhre 3 Engen:• Ringknorpelenge – in Höhe des Ringknorpels
hinter dem Kehlkopf, • Aortenenge – in Höhe des Aortenbogens, • Zwerchfellenge – beim Durchtritt der Speise-
röhre durch das Zwerchfell.
12.2 Speiseröhre 239
Ausführungsgangder
Ohrspeicheldrüse(Ductus parotideus)
kleine Unterzungen-
speichelgängeUnterkiefer-
speichelgang1)
(Ductus submandibularis)
Ohrspeicheldrüse(Glandula parotis)
Unterzungen-speicheldrüse(Glandula sublingualis)
Unterkiefer- speicheldrüse(Glandula submandibularis)
1) Er mündet meist gemeinsam mit dem großen Unterzungenspeichelgang neben dem Zungenbändchen auf der Unter-zungenkarunkel.
Mundspeicheldrüsen. Abb. 12.6
Von den Schneidezähnen bis zum Beginnder Speiseröhre sind es ca. 15 Zentimeter.Diese Strecke ist bei der Magensondierung zubeachten.
❑P
Bei Versagen des Schließmuskels kann durchRückfluss von Mageninhalt eine Refluxöso-phagitis (Speiseröhrenentzündung) entstehen,die zu Sodbrennen führt.
❑P
Die Speiseröhre ist relativ locker in das Zwerchfell eingebaut. Dadurch kann es u. U. zuZwerchfellbrüchen (Hernien) kommen.
❑P
Durch das Zusammenwirken vonRing- und Längsmuskulatur ent-steht die Peristaltik (wellenförmigfortschreitende Kontraktionsvor-gänge), durch die die Speise in denMagen befördert wird.
12.3 Magen (Gaster, Ventriculus)
Der Magen (✑ Abb. 12.9) schließtsich der Speiseröhre an. Er ist eingroßer Speicher am Anfang desDarmkanals. Nach der Nahrungs-aufnahme speichert der Magen dieNahrung vorübergehend, um siespäter in kleinen Mengen an denZwölffingerdarm abzugeben. DerMagen dient der Verdauung derNahrung.
FormDer gebogenen Form entsprechendliegt links die kleine Magenkrüm-mung (Curvatura gastrica minor)und rechts die große Magenkrüm-mung (Curvatura gastrica major).Im Übrigen ist die Form des Magensabhängig von– der Füllung: Der im leeren Zu-
stand schlangenförmige Magen weitet sich mit zunehmender Füllung nach links zur großen Magenkrümmung hin aus. An der kleinen Magenkrümmung bleibt die Magenstraße für den Durchlauf von Flüssigkeiten frei;
– der Körperhaltung: Im Stehen „hängt“ der Magen weiter nach unten.
12 Verdauungssystem240
Speiseröhre – Brustabschnitt(Ösophagus – Pars thoracica)
Luftröhre(Trachea)
Aortenbogen(Arcus aortae)
Luftröhrengabel(Bifurcatio tracheae)
Brustaorta(Pars thoracica aortae)
Speiseröhrenarterien(Aa. oesophageae)
Durchtrittsöffnung für die Speiseröhre(Hiatus oesophageus)
Zwerchfell(Diaphragma)
Speiseröhre – Bauchabschnitt(Ösophagus – Pars abdominalis)
Aortenschlitz(Hiatus aorticus)
Magen(Gaster/Ventriculus)
Muskelschicht(Tunica muscularis)
Schleimhaut(Tunica mucosa)
Außenschicht(Tunica adventitia)
LängsmuskelschichtRingmuskelschicht
Unterschleimhaut(Tela submucosa)
Lumen
Schleimhautepithel(mehrschichtiges unver-horntes Plattenepithel)
Muskelschicht der Schleimhaut
Aorten-enge
Zwerch-fellenge
Verlauf der Speiseröhre.Abb. 12.7
Schichtaufbau der Speiseröhre.Abb. 12.8
Wandschichten (✑ Abb. 12.8)Die Wand der Speiseröhre ist wie die meisten Hohlorgane ausdrei Hauptschichten aufgebaut: • Bindegewebige Hülle – zum Einbau und zur Verschiebung
in der Umgebung.• Muskelwand – zum Transport.• Schleimhaut – als glatte Gleitfläche.
Bei Blutstauung im Pfortader-kreislauf (z. B. bei Leberzirrhose)wird ein Teil des Blutes überVenen des Ösophagus zur V. cavasuperior geleitet. Es entstehenÖsophagusvarizen, die zu massi-ven Blutungen führen können.
❑P
GliederungDer Mageneingang (Kardia) liegt auf der rech-ten Seite, der Ausgang – Pförtner (Pylorus) –befindet sich von der Leber bedeckt ebenfallsrechts. Unter die linke Zwerchfellkuppel wölbtsich der Magengrund (Fundus gastricus). Aufden Magengrund folgt der Magenkörper (Corpusgastricum) und diesem schließt sich der Pfört-nervorraum (Pars pylorica oder Antrum) an.
Lage Der Magen liegt intraperitoneal zu 3/4 im linkenOberbauch (unter linker Zwerchfellkuppel undlinkem Rippenbogen) und 1/4 im rechtenOberbauch (✑ Abb. 7.5. S. 147).
WandschichtenDie Magenwand besteht aus den 3 Haupt-schichten:– Bauchfell (Peritoneum),
– Muskelschicht (Tunica mucosa) mit äußerer Längsmuskelschicht, mittlerer Ringmuskel-schicht und innerer schräger Muskelschicht sowie der
– Magenschleimhaut.
Die Magenschleimhaut zeigt ein ausgeprägtesLängsfaltenrelief (besonders im Bereich derMagenstraße). Sie besitzt einschichtiges Zylin-derepithel. Die Schleimhautoberfläche ist durchMagenfelder mit einem Durchmesser von 1 bis 6Millimeter gekennzeichnet. In jedem Feld befin-den sich zahlreiche kleine Magengrübchen, indenen die Mündungen der Magendrüsen liegen.
Die Magendrüsen bestehen aus Hauptzellen (bil-den das Pepsinogen), Belegzellen (bilden Salz-säure) und Nebenzellen (bilden Schleim, Intrin-sic-Factor). Diese Sekrete gehören zu den haupt-sächlichen Bestandteilen des Magensaftes.
12.3 Magen 241
Speiseröhre(Ösophagus)
Mageneingang(Kardia/Ostium
cardiacum)
Magenstraßekleine
Magenkrümmung(Curvatura gastrica
minor)
Zwölffingerdarm(Duodenum)
Schleimhaut(Mucosa)
Magengrund(Fundus gastricus)
Magenkörper(Corpus gastricum)
großeMagenkrümmung(Curvatura gastricamajor)
Pförtnerabschnitt(Pars pylorica, Antrum)
Magenpförtner(Pylorus/Ostium pyloricum)
Muskelschicht(Tunica muscularis)
Magengrübchen(Voveolae gastricae)
BelegzelleNebenzelleHauptzelle
MagenschleimhautAußenschicht
(Peritoneum)
Magen. Abb. 12.9
Blutversorgung Arterien. Alle 3 Äste des Truncuscoeliacus (✑ Abb. 9.29 und 9.30, S. 183) sind an der Versorgung desMagens beteiligt. Venen. Das Blut des Magens fließtüber 4 große Magenvenen zur V.portae ab (✑ Abb. 9.26, S. 179).
Nervenversorgung Die Innervation der Magentätigkeiterfolgt über den N. vagus, der auchdie Säureproduktion stimuliert (✑Abb. 17.20, S. 355 und S. 356).
12.4 Dünndarm (Intestinum tenue)
Der Dünndarm schließt an den Magen an undmündet in den Blinddarm. Er hat eine Länge von2,5 – 3,5 Metern. Im Dünndarm erfolgt derwesentliche Teil der Verdauung. Als Teil des ge-samten Darms gehört er zum das größten Ab-wehrorgan des menschlichen Körpers: Über 80Prozent der Zellen unseres Immunsystems sindin und um den Verdauungstrakt konzentriert.
Gliederung Der Dünndarm wird in 3 unterschiedlich langeAbschnitte gegliedert.
• Zwölffingerdarm (Duodenum): Der ca. 30 Zen-timeter lange c-förmige Zwölffingerdarm be- ginnt am Magenpförtner und endet an der Zwölffingerdarm-Leerdarm-Krümmung (Fle- xura duodenojejunalis). Er liegt im Oberbauch retroperitoneal (✑ Abb. 7.6, S. 147 und 9.30, S. 183);
• Leerdarm (Jejunum) und • Krummdarm (Ileum) liegen intraperitoneal im
Unterbauch, eingegrenzt vom Dickdarm. Die Grenzen zwischen diesen beiden Dünndarm-abschnitten sind fließend.
SchleimhautDie Dünndarmschleimhaut ist gekennzeichnetdurch – feststehende Ringfalten (Kerckring-Falten,
Plicae circulares);– Zotten (Villi intestinales). Das sind kleine
Fortsätze der Ringfalten. Innerhalb dieser Zotten befinden sich Blutkapillaren und ein zentral gelegenes Lymphgefäß. Längs ange-ordnete glatte Muskelzellen verkürzen die Zotte, wodurch Blut und Lymphflüssigkeit mit den resorbierten Nahrungsstoffen ausgepresst werden. Die Anzahl der Kerkring’schen Falten und der Zotten nimmt im Verlauf des Dünn-darms ab. Im letzten Teil des Ileums fehlen sie völlig;
12 Verdauungssystem242
Zwerchfell(Diaphragma)
Leber(Hepar)
Magen(Gaster)
Gallenblase(Vesica billaris)
Dickdarm(Intestinum
crassum)
Dünndarm(Intestinum tenue)
Harnblase(Vesica urinaria)
Lage der Verdauungsorgane im Bauch. Abb. 12.10
Bei Störungen des Gleichge-wichtes zwischen schützenden Fak-toren (Schleim, gute Durchblu-tung) und schädigenden Faktoren(Säure, Stress, Gallenreflux, Stase,Bakterien) kann es zu Entzün-dungen der Magenschleimhaut(Gastritis) bis zum Magengeschwür(Ulcus ventriculi) kommen.
❑P
– Lieberkühn’sche Krypten. Das sind Vertiefun-gen zwischen den Zotten, in denen sich die Ausführgänge der Drüsen der Dünndarm-schleimhaut befinden;
– Lymphfollikel. Sie liegen in den tieferen Be-reichen der Schleimhaut und erfüllen Abwehr-aufgaben;
– große Zwölffingerdarmpapille (Papilla duo-deni major, Vater-Papille). Sie liegt im abstei-genden Teil des Duodenums. Hier befinden sich die Mündungen des Hauptgallenganges(Ductus choledochus) und des Bauchspei-cheldrüsenganges (Ductus pancreaticus).
Gefäßversorgung Sie erfolgt durch– Arterien. Obere und untere Gekrösearterie
(A. mesenterica superior und inferior, ✑ Abb. 9.27, S. 181).
– Venen. Mesenterialvenen leiten das Blut in die Pfortader (✑ Abb. 9.28, S. 182).
Nervenversorgung Die Funktionen des Dünndarms werden haupt-sächlich von 2 Geflechten des Parasympathicus(= Teil des vegetativen Nervensystems), die inder Darmwand liegen, reguliert, dem Plexussubmucosus (Meissner’scher Plexus) in der Sub-mucosa und dem Plexus myentericus (Auer-bach’scher Plexus) zwischen äußerer Längs- undinnerer Ringmuskulatur.
Wie auf Seite 146 beschrieben, ist der Dünndarmmittels Mesenterium an der hinteren Bauchwandbefestigt, über dessen Wurzel sämtliche Versor-gungsbahnen laufen.
12.4 Dünndarm 243
Mikroskopischer Bau des Dünndarms. Abb. 12.11
Dünndarmzotten(Villi intestinales)
Kerckring’sche Falte(Plica circularis)
Ring-muskulatur
Längs-muskulatur
Blutgefäße
Außenschicht
Zottenmuskel
zentralesLymphgefäß
Zylinderepithel
Blutgefäße
Becherzelle
Lieberkühn’sche Krypten
Die sezernierende und resorbierende Ober-fläche des Dünndarmes (ca. 100 m2) wird 3fach vergrößert: – durch die Ringfalten, – durch die Zotten an den Ringfalten, – durch die Mikrovilli (= Bürstensaum) der
einschichtig angeordneten Zylinderepithel-zellen.
Merke
12.5 Dickdarm (Intestinum crassum)
Der Dickdarm umgibt wie ein Rahmen die zen-tral gelegenen Dünndarmschlingen des Unter-bauches. Seine Gesamtlängebeträgt 1,20 bis 1,50 Meter.Er schließt an den Dünn-darm an. Wie den Dünndarmgliedert man auch den Dick-darm in 3 Abschnitte; denBlinddarm mit Wurmfort-satz, den Grimmdarm undden End- oder Mastdarm.
1. Blinddarm (Caecum)Das blind endende Caecumist der ca. 7 cm lange ersteHauptabschnitt des Dick-darms. Er liegt im rechtenUnterbauch unterhalb derEinmündung des Ileums. Ander Einmündungsstelle desIleums in den Dickdarmliegt ein „Ventil“, Krumm-darm-Blinddarm-Klappe(Valva ileocaecalis) oderBauhin’sche Klappe. Sieverhindert einerseits denRückfluss des Nahrungs-breis und andererseits denÜbertritt von Bakterien inden Dünndarm.
Wurmfortsatz (Appendix vermiformis)Er ist ein Anhang des Blinddarms, ca. 8 cm langund hat keinerlei Verdauungsfunktion, son-dern gehört zu den lymphatischen Organen.
2. Grimmdarm (Colon)Das Colon ist mit ca. 1 m der längste Abschnittdes Dickdarms und liegt zwischen Blinddarmund Mastdarm. Es umgibt den intraperitonealenTeil des Dünndarms rahmenförmig. Das Colonwird in 4 Abschnitte gegliedert (✑ Abb. 12.14),aus denen sich die Lage ergibt:– aufsteigender Grimmdarm (Colon ascendens),– quer verlaufender Grimmdarm (Colon trans-
versum),– absteigender Grimmdarm (Colon descendens),– s-förmiger Grimmdarm (Colon sigmoideum).
12 Verdauungssystem244
Lage des Blinddarms mit Wurmfortsatz. Abb. 12.12
Zwerchfell(Diaphragma)
aufsteigenderGrimmdarm
(Colon ascendens)
Nabel(Umbilicus)
Krummdarm(Ileum)
Blinddarm(Caecum)
vorderer obererDarmbeinstachel(Spina iliaca anterior
superior)
Mac-Burney-PunktWurmfortsatz
(Appendix vermiformis)
X
Blinddarm mit Bauhin’scher Klappe.Abb. 12.13
Bei Entzündung des Wurmfortsatzes (Appen-dicitis) entstehen starke Druckschmerzen. Einen typischen Druckschmerzpunkt (= Mac- Burney-Punkt) finden Sie in der Abb. 12.12oben.
❑PaufsteigenderGrimmdarm(Colon ascendens)
Krummdarm(Ileum)
Bauhin’sche Klappe(Valva ileocaecalis)
Blinddarm(Caecum)
Abgangsstelle des WurmfortsatzesWurmfortsatz(Appendix vermiformis)
Das Colon erkennt man äußerlich an – den Taenien (Taeniae coli):
Das sind 3 ca. 1 cm breite deut-lich sichtbare Längsmuskel-bündel;
– den Haustra: Das sind die zwischen den Taenien liegenden Aussackun-gen („Schöpfeimer“);
– den Fettanhängseln: Hier handelt es sich um unter-schiedlich große mit Fett gefüll-te Säckchen an der Darmaußen-wand.
3. Mastdarm (Rektum)Der 10 bis 15 cm lange Mastdarmfolgt in seinem Verlauf der Kreuz-bein-Steißbein-Krümmung. Er liegtals einziges Verdauungsorgan imdorsalen Beckenbereich und be-steht aus 2 Abschnitten:– Mastdarmampulle (Ampulla
recti). Dieser Abschnitt ist stark erwei-
terungsfähig und dient als Speicherorgan. Er enthält 3 quere feststehende Schleimhautfalten
12.5 Dickdarm 245
linkeGrimmdarm-krümmung(Flexura coli sinistra)
absteigenderGrimmdarm(Colon descendens)
s-förmiger Grimmdarm(Colon sigmoideum)
Mastdarm(Rektum)
„Aussackungen“(Haustra)
Längs-muskel-bündel
(Taenien)
Krummdarm(Ileum)
rechteGrimmdarm-
krümmung(Flexura coli dextra)
aufsteigenderGrimmdarm
(Colon ascendens)
Blinddarm(Caecum)
Aufhängeband des Wurmfortsatzes
Wurmfortsatz(Appendix vermiformis)
quer verlaufender Grimmdarm(Colon transversum)
Dickdarmabschnitte. Abb. 12.14
Querfalten
Längsfalteninnerer Afterschließmuskel(M. sphincter ani internus)
äußerer Afterschließmuskel(M. sphincter ani externus)
SchwellkörperAfter(Anus)
s-förmiger Grimmdarm
(Colon sigmoideum)
Mastdarm-ampulle
(Ampulla recti)
Analkanal(Canalis analis)
Mastdarm und After. Abb. 12.15
(zwei rechts und eine links). Die linke heißt Kohlrausch-Falte und liegt ca. 6 cm vom Anus entfernt.
– Analkanal (Canalis analis). Der Analkanal schließt sich ohne scharfe Gren-ze ab der Biegung des Rektums nach vorn an die Ampulla recti an und endet mit dem After, Anus (= Öffnung an der Haut). Die Schleim-haut besitzt 8 bis 10 Längsfalten (Columnae anales). Zwischen ihnen liegen die After-buchten (Sinus anales). Außerdem ist sie nahe dem Anus in der so genannten Hämorrhoidal-zone mit Venengeflechten unterpolstert (Plexusvenosus rectalis = Plexus haemorrhoidalis).
AfterverschlussDer Verschluss des Afters geschieht durch 2 ring-förmige Schließmuskeln und einen Schwell-körper.• Muskeln– Innerer unwillkürlicher Afterschließmuskel
(M. sphincter ani internus) aus glattem Mus-kelgewebe;
– äußerer willkürlicher Afterschließmuskel (M. sphincter ani externus) aus quer gestreif-tem Muskelgewebe.
• SchwellkörperDer wie ein Ring unmittelbar vor dem After lie-gende Schwellkörper wird von dem zuvorbeschriebenen Venenplexus gebildet. Bei Kon-traktion der Schließmuskeln wird der Blutabflussüber die Venen behindert. Die Längsfalten legensich aneinander und verschließen den After-kanal.
WandschichtenDer Wandaufbau entspricht grundsätzlich demdes Dünndarms. Die Schleimhaut ist glatt undbesitzt Krypten für Schleimdrüsen. Im Bereich
des Colons sind die Längsmuskeln (= Taenien)gerafft.
12.6 Leber (Hepar)
Die Leber ist die Stoffwechsel- und Entgiftungs-zentrale des menschlichen Körpers und bildet u. a. die Gallenflüssigkeit. Für ihre umfangrei-che Tätigkeit verfügt sie über eine außerge-wöhnliche Regenerationsfähigkeit.
Form, Farbe und Größe Die braunrote Leber ist mit einer Masse von ca.1,5 Kilo nicht nur die größte Drüse, sondernüberhaupt das größte innere Organ des mensch-lichen Körpers. Ihre Form wird im Wesentlichenvon den Nachbarorganen bestimmt. Deutlich zuunterscheiden sind zwei Hauptflächen, dieZwerchfellfläche (Facies diaphragmatica) unddie Eingeweidefläche (Facies visceralis). DieZwerchfellfläche liegt in der Rundung der rech-ten Zwerchfellkuppel, die Eingeweidefläche liegtauf Teilen des Magens, des Duodenums und desDickdarms. Im vorderen Bereich sind beide Flä-chen durch eine spitzwinklige Kante (= Leber-unterrand) getrennt.
Lage und Nachbarorgane Die Leber liegt im rechten Oberbauch unter demrechten Rippenbogen (im rechten Hypochondri-um) und reicht nach links bis in die Magengrube(Epigastrium). Wichtige Nachbarorgane sindrechte Niere, Colon transversum, Magen undDuodenum (✑ Abb. 7.5; 7.6, S. 147).
Grobe Gliederung Der rechte Leberlappen (Lobus dexter) wirddurch ein Band vom linken (Lobus sinister)getrennt. An der Eingeweidefläche liegen– die Leberpforte (Porta hepatis) mit Leberarte-
rie (A. hepatica; bringt sauerstoffreiches Blut= 25 %) und die Pfortader (V. portae; führt sauerstoffarmes, mit Nahrungsstoffen aus demDarm angereichertes Blut = 75 % in die Leber;
12 Verdauungssystem246
Das Rektum besitzt im Unterschied zumColon keine Taenien, Haustren und Fettan-hängsel, dafür aber reichlich schleimprodu-zierende Becherzellen.
Merke
Hämorrhoiden sind knotigenartige Vergrö-ßerungen bestimmter Schwellkörperabschnitte.Leitsymptom sind hellrote Sickerblutungen ausdem After.
❑P
Über die Mastdarmschleimhaut können Wirk-stoffe resorbiert werden, z. B. Narkotika, Nähr-klistiere, Analgetika. Diese gelangen über das Blut, ohne Leberpassage (möglicher Ab-bau), direkt zu den Wirkorten.
❑P
– der gemeinsame Lebergallengang (Ductus hepaticus communis): Er transportiert die Gallenflüssigkeit aus der Leber heraus;
– die Gallenblase (Vesica biliaris): Sie spei-chert die Gallenflüssigkeit.
Blutabfluss Im oberen hinteren Bereich der Leber, un-mittelbar unter dem Zwerchfell, münden 3 Lebervenen in die V. cava inferior (die V.cava inferior ist hier mit der Leber verwach-sen, sodass die Lebervenen äußerlich nichtsichtbar sind).
Mikroskopische Struktur der LeberDas Lebergewebe gliedert sich in vieleLeberläppchen (d = 1 – 2 mm). Im Zentrumjedes Läppchens befindet sich die Zentral-vene, von der strahlenförmig die polygonalenLeberzellen (Hepatozyten) als Leberzellbal-ken zur Peripherie verlaufen. Auf diese Weiseentsteht ein dreidimensionales labyrintharti-ges System aus 1 bis 2 Zellschichten dickenZellplatten. Zwischen den Leberzellbalkenbzw. -platten liegen die Leberkapillaren, diebesonders weit sind und deshalb als Leber-sinusoide bezeichnet werden. Ihre Wand be-steht aus Endothelzellen und Kupffer-Stern-zellen, die zur Phagozytose befähigt sind. Inden Leberzellbalken bzw. -platten befindensich die Gallenkapillaren.
Blut- und Gallenkapillarsystem sind voneinandervöllig getrennt.Zwischen Kapillarendothel und Leberzellenliegt anstelle der Basalmembran ein besondererVerteiler-Raum, der sog. Disse-Raum, in den dieMikrovilli der Hepatozyten hineinragen. Durchdiesen Raum wird eine größere und damit lei-stungsfähigere Austauschfläche zwischen demBlut in den Lebersinusoiden und den Leberzel-len geschaffen.
LeberkreislaufDie Speisung der Lebersinusoide mit Blut erfolgtvon der Peripherie des Leberläppchens durch je-weils ein Ästchen der Leberarterie und der Pfort-
ader. In den Sinusoiden mischt sich das Blut vonLeberarterie und Pfortader.
Im folgenden Schema ist der gesamte Blutflussdurch die Leber zusammengefasst.
12.6 Leber 247
Mikroskopische Struktur der Leber. Abb. 12.16
Die Leber erhält Blut aus der Leberarterieund der Pfortader.
Merke
LeberkreislaufPfortader Leberarterie
Zwischen- Zwischen-läppchenvene läppchenarterie
Lebersinus
Zentralvene
Lebervenen
untere Hohlvene
Merke
▼ ▼
▼
▼▼
▼
▼
Zwischenläppchen-arterieZwischenläppchen-gallengang
Glisson’sche Trias Gallenkapillaren Sammelvene
Gallenkapillare
Glisson’sche Trias
Leberzellbalken Zentralvene Lebersinus
Leber-sinus
Leber-zellen
Zwischenläppchen-vene
Zentralvene
Die beiden zuführenden Blutgefäße – Zwischen-läppchenarterie und Zwischenläppchenvene – ver-laufen immer gemeinsam mit dem Zwischenläpp-chengallengang (= Trias heaptica oder Glisson’ -sche Trias) und etwas lockerem Bindegewebe imPortalkanal (Canalis portalis).
Galle und GallengängeVon den Leberzellen wird pro Tag ca. 1 LiterGallensaft gebildet, der über das Gallengang-system in das Duodenum geleitet wird. Der Gal-lensaft besitzt einen pH-Wert von 7,4 – 8,5 undist dem Blut isoton. Wichtigste Bestandteile desGallensaftes sind:• Wasser (95 %), • Gallensäuren,• Gallenfarbstoffe (Bilirubin),• Hormone (Steroidhormone, Insulin),• Cholesterol, • evtl. Medikamente.
12 Verdauungssystem248
Hepar, ventral
Unterfläche von dorsal
rechter Leberlappen
(Lobus dexter)
Gallenblase(Vesica biliaris)
linker Leberlappen(Lobus sinister)
Pfortader(V. portae)
Leberpforte(Porta hepatis)
Leberarterie(A. hepatica)
Haupt-gallengang
(Ductus choledochus)
Schweiflappen(Lobus caudatus)
Lig. coronarium sinistrum1)
Lig. coronarium dextrum1)
linkerLeberlappen(Lobus sinister)
sichelförmiges Band1)
(Ligamentum falciforme)
untereHohlvene(V. cava inferior)
Lebervene(Vv. hepaticae)
Schweif-lappen(Lobus caudalus)
rechter Leberlappen(Lobus dexter)
Gallenblase(Vesica biliaris)
quadratischerLappen(Lobus quadratus)1) Bildung des Peritoneums
Leber.Abb. 12.17
Die Fließrichtung des Blutes und die derGallenflüssigkeit im und zwischen denLeberläppchen ist entgegengesetzt.
Merke
Intrahepatische und extrahepatische GallengängeDer Gallensaft wird von Gallenkapillaren aufge-nommen und über die Gallengänge in das Duo-denum geleitet. Dieses Gallengangsystem glie-dert sich in – Gallenwege innerhalb der Leber (intrahepati-
sche Gallengänge) und– Gallenwege außerhalb der Leber (extrahepati-
sche Gallengänge).Die Gallenkapillaren liegen zwischen 2 Leber-zellen, haben also keine eigene Wand. Sie neh-men die Gallenflüssigkeit auf. Von den Gallen-kapillaren wird die Gallenflüssigkeit innerhalbder Leberlappen von winzig kleinen Gallengän-gen in die Zwischenläppchengallengänge gelei-tet. Diese vereinigen sich zu immer größer wer-denden intrahepatischen Gallengängen, die dannschließlich an der Leberpforte in die extra-hepatischen übergehen.In Abb. 12.18 ist der Weg der Gallenflüssigkeitüber die extrahepatischen Gallenwege gut zuverfolgen.
Das extrahepatische Gallengangsystem beginntmit dem linken und rechten Lebergallengang(Ductus hepaticus sinister et dexter). Beide ver-einigen sich zum gemeinsamen Lebergallengang
(Ductus hepaticus communis). Von dort verläuftder Gallenblasengang (Ductus cysticus) zurGallenblase. Ab dem Abzweig des Gallenblasen-ganges setzt sich der gemeinsame Lebergallen-gang als Hauptgallengang (Ductus choledochus)zum Duodenum fort. Die besondere Funktionder Gallenblase besteht darin, eine bestimmteMenge an Gallensaft zu speichern (40 – 100 ml)und bei Bedarf abzugeben. Während desSpeichervorganges wird die hellgelbe Leber-galle durch Wasserentzug zur grünlichenBlasengalle eingedickt. Bei 2/3 der Menschenvereinigen sich Ductus choledochus und Ductuspancreaticus innerhalb des Pankreaskopfes undmünden über ein gemeinsames Endstück in diegroße Zwölffingerdarmpapille (= Papilla duo-deni major = Vater-Papille), die in der Hinter-wand des absteigenden Teils des Duodenumsliegt. Bei 1/3 münden beide Gänge getrennt.
12.6 Leber 249
Gallenblasen-gang
(Ductus cysticus)
gemeinsamer Lebergallengang
(Ductus hepaticuscommunis)
Hauptgallengang(Ductus choledochus)
Bauchspeichel-gang
(Ductus pancreaticus)
Zwölffingerdarm-papille
(Papilla duodenimajor)
Zwölffingerdarm(Duodenum)
linker Lebergallengang(Ductus hepaticus sinister)
rechter Lebergallengang(Ductus hepaticus dexter)
Gallen-blasen-
gang
Haupt-gallengang(Ductus choledochus)
Weg der Gallenflüssigkeit
Extrahepatische Gallengänge. Abb. 12.18
Die extrahepatischen Gallengänge sind mitAusnahme des Ductus cysticus „Einbahn-straßen“.
Merke
12.7 Bauchspeicheldrüse (Pankreas)
Die Bauchspeicheldrüse hat eine Doppelfunk-tion: Einerseits bildet sie den Bauchspeichel,der wichtige Verdauungsenzyme und Elektrolyteenthält, andererseits produziert sie Hormone zurBlutzuckerregulation.
Form, Größe Das Pankreas ist eine ca. 15 cm lange, 3 – 4 cmbreite und 1 – 2 cm dicke Drüse mit einer Massevon ca. 85 Gramm. Die Läppchenstruktur istdeutlich an der Oberfläche zu erkennen.
Gliederung, Lage – Kopf (Caput pancreatis). Liegt in der inneren
Krümmung des Duodenums. – Körper (Corpus pancreatis). – Schwanz (Cauda pancreatis).
Körper und Schwanz liegen dorsal des Magens. Der Schwanz endet am Milz-hilus.
Mikroskopische Struktur Die Bauchspeicheldrüse be-steht aus 2 unterschiedlichenAnteilen. – Exokriner Anteil: Er ist der
größte Lieferant von Verdau-ungsenzymen. Hier werden pro Tag ca. 1 – 2 Liter Bauch-speichel (= Verdauungssekret)
12 Verdauungssystem250
Gallenblasen-gang
(Ductus cysticus)
Hals derGallenblase
(Collum vesicaebiliaris)
Hauptgallen-gang
(Ductus choledochus)
Körper derGallenblase
(Corpus vesicaebiliaris)
Grund derGallenblase
(Fundus vesicae biliaris)
gemeinsamer Lebergallengang(Ductus hepaticus communis)
Mikrovilliein-
schichtiges Zylinder-
epithelder
Schleimhaut(Tunica mucosa)
Gallenblase und ihre Schleimhaut.Abb. 12.19
exokriner Teil mitDrüsenendstück(Acini)und Ausführungs-gang
Blutkapillare
A-Zellen
B-Zellen
endokriner Teil(Langerhans'sche
Inseln)
Mikroskopische Struktur der Bauchspeicheldrüse.Abb. 12.20
Häufige Erkrankungen der Gallenblase sind Entzündungen und Steinleiden. Sind die Nachbarorgane mit der Gallenblase verwach-sen, können bei Perforation Steine in den Darm gelangen und zu Darmverschluss (Ileus)führen. Gallenkoliken entstehen, wenn ein Stein im Ductus cysticus oder choledochus einge-klemmt wird.
❑P
Das Pankreas liegt retroperi-toneal auf der linken Seiteder hinteren Bauchwand.
Merke
gebildet, der über den Bauchspeicheldrüsen-gang (Ductus pancreaticus) auf der Papilla duodeni major (Papilla Vateri) in das Duode-num gelangt.
– Endokriner Teil (= Lan-gerhans’sche Inseln): Das sind Zellanhäufun-gen, die besonders zahl-reich in der Schwanz- und Körperregion vor-kommen und Hormone produzieren. Die Lan-gerhans’schen Inseln be-stehen hauptsächlich aus zwei Zellarten:
• A-Zellen; sie produzieren das blutzuckerspie-gelhebende Glukagon und
• B-Zellen; sie bilden die Hauptmasse und pro-duzieren das blutzuckerspiegelsenkende Insu-lin (✑ auch Kap. 15.4.1, S. 307).
12.7 Bauchspeicheldrüse 251
Anfangsteil desZwölffingerdarms
(Bulbus duodeni)
oberer Abschnitt(Pars superior)
Hauptgallengang(Ductus choledochus)
absteigender Abschnitt(Pars descendens)
kleine Zwölffingerdarmpapille
(Papilla duodeni minor)
große Zwölffingerdarmpapille
(Papilla duodeni major –Papilla Vateri)
horizontaler Abschnitt(Pars horizontalis)
Ausführungsgang derBauchspeicheldrüse(Ductus pancreaticus)
aufsteigender Abschnitt(Pars ascendens)
Übergang des Zwölffingerdarms in den Leerdarm(Flexura duodenojejunalis)
Leerdarm(Jejunum)
Bauchspeicheldrüse(Pankreas)
Zwölffingerdarm(Duodenum)
Kopf(Caput)
Körper(Corpus)
Schwanz(Cauda)
Makroskopischer Bau von Zwölffingerdarm und Bauchspeicheldrüse. Abb. 12.21
Lage der oberen Bauchorgane von dorsal. Abb. 12.22
untere Hohlvene(V. cava inferior)
Magen(Gaster)
kleines Netz(Omentum minus)
Leber(Hepar)
Bauchspeichel-drüse
(Pankreas)
Zwölffingerdarm(Duodenum)
Die Verdauungsenzy-me des Bauchspeichels können bei akuter Pan-kreatitis wegen fehlenderSelbstschutzmechanis-men die Drüse zerstören.
❑P
12.8 Physiologie der Verdauung
Die Verdauung ist die mechanische und chemi-sche Aufbereitung der Nahrung, sodass dielebensnotwendigen Stoffe in Blut und Lympheaufgenommen (resorbiert) werden können.
Mechanische Verdauungsvorgänge (Motorik)sind Zerkleinern, Mischen, Transportieren,Füllen, Speichern und Entleeren der Nahrung.
Chemische Verdauungsvorgänge (Sekretorik)sind Vorgänge, bei denen große Teilchen durchsog. Aufschlussmittel (Salzsäure, Gallensäuren)und Verdauungsenzyme in resorbierbare kleine-re Teilchen zerlegt werden.
VerdauungssekreteVerdauungssekrete setzen sich zusammen aus: – Wasser als Lösungsmittel, – Schleim als Gleit- und Schutzmittel,– Verdauungsenzyme als Spaltmittel, – Aufschlussmittel.Die Verdauungsvorgänge werden durch dasvegetative Nervensystem und durch Gewebs-hormone gesteuert.
12.8.1 Verdauungsvorgänge in der Mundhöhle
Die Funktion der Mundhöhle wird durch dasZusammenwirken ihrer Wände mit der Zunge,den Speicheldrüsen und den Zähnen ermöglicht.
MotorikDurch Schneid- und Mahlbewegungen der Zähneund mithilfe der Zunge wird die feste Nahrungzerkleinert, mit Mundspeichel vermischt unddamit gleitfähig. Danach schiebt die Zunge denBissen (Bolus) vom Gaumen zur Rachenenge,und der Schluckreflex wird ausgelöst.
Bildungsort, Zusammensetzung und Aufgaben des Mundspeichels
Bildungsort:Der eigentliche Bildungsort des Mundspeichelssind die Azini (= Drüsenendstücke) der Mund-speicheldrüsen. In ihnen entsteht der Primärspei-chel, der bei der Passage durch die Ausführgängedurch Resorptions- und Sekretionsvorgänge jenach Bedarf verändert wird.
Zusammensetzung AufgabenWasser Lösungs- und Transport-
mittelMuzine machen den Bissen gleit- (Schleimstoffe) und schluckfähig, erleich-
tern Kau- und Sprechbe-wegungen
�-Amylase Einleitung der Kohlenhydrat-(= Ptyalin) (Stärke-)verdauung beim
KauenImmunglobulin A, Abwehr von Krankheits-Lysozym und erregernRhodanid-IonenHCO3
- Alkalisierung und Pufferungauf pH 7 – 8
Fluoridionen Schutz des Zahnschmelzes
12 Verdauungssystem252
Nicht resorbierbar resorbierbar Kohlenhydrate (Di-, Polysaccharide) ➝ Monosaccharide Eiweiße ➝ Aminosäuren Fette ➝ Glycerol und Fettsäuren
Vitamine anorganische Ionen (Mineralien) Wasser
Ptyalin
Stärke Maltose
H2O
Nahrungsstoffe.Tab. 12.3Stärkeverdauung in der
Mundhöhle. Tab. 12.4
Alle Verdauungsenzyme gehören zu denHydrolasen. Bei den chemischen Reaktionen wird immerWasser angelagert (= Hydrolyse).
Merke
Ungenügendes Kauen, z. B. durch einschadhaftes Gebiss, ist nicht selten Ursache für Verdauungsstörungen.
❑P
SchluckvorgangDer Schluckvorgang ist ein angeborener Reflex.Er kann willkürlich eingeleitet werden. Im Be-reich des weichen Gaumens und an der Zungen-wurzel befinden sich Druckrezeptoren. Werdendiese durch Speisen, Speichel oder durch einenSpatel berührt, wird der Schluckreflex ausgelöst.
– Durch Muskelzug wird das Gaumensegel an-gehoben und so die Mundhöhle gegen denNasenrachenraum abgeschlossen.
– Gleichzeitig kontrahiert die Mundbodenmus-kulatur und zieht das Zungenbein mit Kehl-kopf und Trachea nach vorn und oben.
– Wird der schluckfähige Bissen (Bolus) bei ge-schlossenem Mund mit der Zunge gegen das Gaumensegel und/oder die hintere Rachen-wand gedrückt, erfolgen die weiteren Vorgän-ge reflektorisch.
– Die Zungenwurzel wird ruckartig nach hinten
12.8 Physiologie der Verdauung 253
MechanischeVerdauung
Mundzerkleinern, mischen,
schlucken
SpeiseröhreTransport (Peristaltik)
Magenfüllen, mischen,
Transport, entleeren
Dünndarmmischen, resorbieren,
Transport
Dickdarmmischen, resorbieren,
Transport
Mastdarmschließen, entleeren
Enzym: Amylase spaltet Stärke.
Gallensäure emulgiertFette.
Enzyme: Maltase Maltosespaltung.
PeptidasenEiweißspaltung
ca. 7 LiterVerdauungssaft täglich
Enzyme:Lipase Fettspaltung.
Amylase Kohlen-hydratspaltung.
Proteinasen, Peptidasen Eiweißspaltung.
HCL denaturiert Eiweiße.
Pepsinogen Pepsinspaltet Eiweiß.
Schleim: Schutz vorSelbstverdauung.
Chemische Verdauung
�
�
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�
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��
�
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Mundspeichel 1,5 Liter/Tag
Magensaft2 Liter/Tag
Gallensaft 0,5 Liter/Tag
Bauchspeichel1,5 Liter/Tag
Darmsaft1,5 Liter/Tag
�
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�
�
�
�
Verdauung. Abb. 12.23
Trockene Speisen und Mundatmung erfor-dern größere Speichelmengen. Bei psychi-scher Erregung (z. B. Angst, Ärger) kann die Speichelsekretion herabgesetzt werden.
❑P
bewegt. Dadurch stößt sie den Bolus in den Mundrachen und drückt den Kehldeckel nach unten. Gleichzeitig zieht der Schildknorpel-Zungenbein-Muskel (M. thyrohyoideum) den Kehlkopf näher an das Zungenbein (Os hyoi-deum), damit der Kehldeckel (Epiglottis) den Kehlkopfeingang schützen kann.
– Zungenbewegung und Kontraktion der Ra-chenmuskulatur transportieren schließlich den Bissen in den Ösophagus, dessen Peristal-tik dann den Weitertransport in den Magen übernimmt.
12.8.2 Verdauungsvorgänge im Magen
MotorikDer Magen nimmt die geschluckte Speise auf(Füllung), durchmischt sie mit Magensaft undleitet sie portionsweise in das Duodenum. Dabeifindet eine weitere Zerkleinerung und damitOberflächenvergrößerung statt.
SekretorikIm Magen beginnt die Eiweißverdauung. Durchdie Salzsäure werden die Eiweiße denaturiert1)
und das inaktive Pepsinogen zu Pepsin aktiviert.Letzteres spaltet ca. 10 % der Eiweiße in kleine-re Polypeptidketten (✑ Kap. 2, S. 17).
12 Verdauungssystem254
Luft- und Nahrungsweg (links), Schluckvorgang (rechts).Abb. 12.24
GaumensegelverschließtMundhöhlegegen denNasenrachen
ZungenwurzelNahrungsfluss
Kehlkopfdeckelwird überKehlkopfeinganggedrückt
SpeiseröhreLuftröhre
Luftweg
Nahrungsweg
kreuzen sichim
Rachenraum(Pharynx)
Der Schluckakt wird durch verschiedeneHirnnerven (V, VII, IX, X) gesteuert. Störun-gen des Schluckvorganges weisen deshalb häu-fig auf eine Läsion einer dieser Hirnnervenhin.Im Zustand der Bewusstlosigkeit erlischt derSchluckreflex, und es besteht die Gefahr, dassErbrochenes in die Atemwege gelangt (Aspira-tion). Deshalb müssen Bewusstlose in die sta-bile Seitenlage gebracht werden.
❑P
Die Verweildauer der Speisen im Magenhängt von deren Zusammensetzung ab. Geträn-ke gelangen nach wenigen Minuten entlang derMagenstraße in das Duodenum. Kohlenhydratebleiben 1 – 2, Eiweiße 2 und Fette 4 – 5Stunden im Magen.
❑P
HCl Proteinase des Magensaftes (Pepsin)
Eiweiße Peptidbruchstücke
H2O
Beginn der Eiweißverdauung imMagen. Tab. 12.5
1) Denaturierung: Meist irreversible Strukturveränderung der Prote-ine mit Verlust ihrer biologischen Eigenschaften (z. B. Enzymwir-kung) und Veränderung ihrer physikalischen Eigenschaften (z. B. Gerinnung)
Die Salzsäure wirkt durch den niedrigen pH-Wert desinfizierend, d. h., die meisten mit derNahrung aufgenommenen Bakterien und Virenwerden abgetötet. Der von den Nebenzellen ge-bildete alkalische Schleim schützt die Magen-schleimhaut vor Selbstverdauung.
Intrinsic-FactorDieses Glykoproteid wird wie die Salzsäure inden Belegzellen synthetisiert. Der Intrinsic-Faktor ist für die Resorption von Vitamin B12(Cyanocobalamin) unbedingt erforderlich.
12.8.3 Verdauungsvorgänge im Dünndarm
Die durch Langstreckung und Faltung beträcht-lich vergrößerte Oberfläche des Dünndarms er-klärt seine große Bedeutung für die Verdauung.
MotorikDie Dünndarmmotorik bewirkt: – Mischung des Speisebreis (Chymus) durch
Segmentier- und Pendelbewegungen, – Weitertransport durch Peristaltik über die
Bauhin’sche Klappe in den Dickdarm, – „Pumpen“ der Zotten zum besseren Transport
von Blut und Lymphe.
SekretorikIm Dünndarm findet die endgültige Zerlegungder Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette in ihreGrundmoleküle und deren Resorption statt.
Verdauung und Resorption der Kohlenhydrate Die Kohlenhydratverdauung in der Mundhöhlehat wenig Bedeutung, weil die Amylasemengeim Mundspeichel nur gering ist. Das wichtigste
Nahrungskohlenhydrat „Stärke“ wird im Dünn-darm zunächst durch die Amylase des Bauch-speichels in das Disaccharid Maltose zerlegt.Letzteres gelangt in die Darmzellen und wirddort durch das Enzym Maltase in das Mono-saccharid Glucose gespalten.
Verdauung und Resorption der Eiweiße Nach der Denaturierung durch die Magensalz-säure werden die Eiweiße durch mehrere Enzy-me über Peptidbruchstücke bis zu den einzelnenAminosäuren aufgespalten. Im Dünndarm spal-ten die Proteinasen (z. B. Trypsin und Chymo-trypsin) des Bauchspeichels die Peptidkettenmehr oder weniger spezifisch in Peptidbruch-stücke. Diese werden von Peptidasen (z. B. Car-boxypeptidasen) des Pankreas- und Darmsaftes inkleinste Peptide aufgespalten, welche von denDarmzellen resorbiert werden. In den Darmzellenerfolgt durch die reichlich vorhandenen Peptida-sen die weitere Spaltung bis zu den Aminosäuren.
12.8 Physiologie der Verdauung 255
Die Salzsäure erfüllt 4 Funktionen:• Aufschlussmittel für Eiweiße, • Aktivierung des Pepsinogens, • Desinfektion, • pH-Einstellung von 1 – 2.Das Pepsin leitet die Eiweißverdauung ein.Der Schleim schützt den Magen vor Selbst-verdauung.
Merke
Fehlt der Intrinsic-Faktor, entstehen Vitamin-B-Mangel-Anämien (perniziöse Anämie).❑P
Amylase des Maltase der Bauchspeichels Darmzellen
Poly- Di- Mono-saccharide saccharide saccharide (Stärke) (Maltose) (Glucose)
H2O H2O
Resorption: Die Glucose wird aktiv in das Blut transportiert (Blutzucker).
Merke
In der Enzymdiagnostik hat die Amylase insofern Bedeutung, da bei Pankreasentzün-dungen ihre Konzentration im Blut ansteigt.
❑P
Proteinasen des Peptidasen desPankreassaftes Pankreas- und
(z. B. Trypsin und Darmsaftes sowieChymotrypsin) der Darmzellen
Ei- Peptid- Amino-weiße bruchstücke säuren
H2O H2O
Resorption: Die Aminosäuren werden aktiv indas Blut transportiert.
Merke
Verdauung und Resorption der FetteDie hydrolytische Spaltung der Nahrungsglyce-ride geschieht komplett im Dünndarm durch dasEnzym Lipase.
Zunächst sorgen die Gallensäuren dafür, dass diewasserunlöslichen Triglyceride in feinste Tröpf-chen zerlegt und dadurch in wässriger Lösungtransportiert werden können (= Emulgierung).Die Oberfläche der Fette wird so vergrößert,dass die enzymatische Spaltung erfolgen kann.Außerdem aktivieren sie die Pankreaslipase undhemmen die Magensaftsekretion.
Die Triglyceride werden durch Lipase in Glycerolund Fettsäuren zerlegt.
Die Spaltprodukte gelangen in die Darmzellen,können aber – bis auf einige kurzkettige Fettsäu-ren – nicht vom Blut aufgenommen werden, dasie wasserunlöslich sind. In den Darmzellenerfolgt deshalb schrittweise eine Resynthese vonTriglyceriden und deren Kopplung an bestimmteProteine. Es entstehen wasserlösliche Komplexe,die Lipoproteine (✑ Kap. 2). Die in den Darm-zellen gebildeten resorbierbaren Lipoproteineheißen Chylomikronen und werden mit derLymphe abtransportiert.
12.8.4 Verdauungsvorgänge im Dickdarm
Die Hauptfunktionen des Dickdarms sind:– die Bildung der Faeces (Stuhl) und– die Stuhlentleerung (Defäkation).
Die Faeces entstehen durch weiteren Wasserent-zug. So werden die pro Tag vom Ileum in dasCaecum kommenden ca. 1.000 Milliliter Darm-inhalt auf ca. 150 Milliliter reduziert. Gleich-zeitig werden wasserlösliche Vitamine undElektrolyte resorbiert.
Der Dickdarm ist mit Bakterien besiedelt(Escherichia coli, Aerobacter aerogenes, nicht-pathogene Kokken). Man bezeichnet diese alsDarmflora. Wichtige Verdauungsfunktionen die-ser Bakterien sind:– Weiterer Abbau der Kohlenhydrate durch Gä-
rung. Dabei entstehen als Gärungsprodukte Milchsäure, Essigsäure, Alkohol, Kohlendioxidund Wasser.
– Weiterer Abbau der Eiweiße durch Fäulnis. Als Fäulnisprodukte entstehen biogene Amine(z. B. Histamin, aber auch das giftige Indol),Wasserstoff, Schwefelwasserstoff und Methan.
– Weiterer Abbau der Gallenfarbstoffe.
Menge, Zusammensetzung und Eigenschaftender FaecesDie ausgeschiedene Menge beträgt bei ausgewo-gener Ernährung ca. 150 Gramm pro Tag.Zusammensetzung:• 75 – 80 % Wasser,• 20 – 25 % feste, unverdauliche Bestandteile
(Zellulose, Bakterien, unlösliche Calcium- undEisensalze, abgeschilferte Epithelien, Schleim,Fett).
12 Verdauungssystem256
FettverdauungLipase des
Bauchspeichels
Glycerol Triglyceride + Fettsäuren
Gallensäuren H2O
Resorption:Wenige kurzkettige Fettsäuren ins Blut, derRest als resynthetisierte Triglyceride in Chylo-mikronen in die Lymphe.
Merke
Bei Störungen der Fettresorption (z. B. ver-minderte Gallenproduktion bei Lebererkran-kungen, Darmentzündungen) wird auch die Aufnahme fettlöslicher Vitamine beeinträch-tigt. So kann es durch Vitamin-K-Mangel im Blut, das normalerweise durch die Darmfloraimmer ausreichend gebildet wird, zu einer erhöhten Blutungsneigung kommen.
❑P
Die Resorptionsfähigkeit des Dickdarms ist imVergleich zum Dünndarm gering (Wasser-resorption im Dünndarm ca. 8.500 ml, im Dick-darm ca. 850 ml). In den Dickdarm gelangteFette werden unverändert ausgeschieden.
Merke
Normalerweise besteht zwischen Gärung und Fäulnis ein Gleichgewicht. Ist dies gestört,kommt es zur Ausscheidung faulender odergärender Stühle.
❑P
Die Farbe wird durch die Gallenfarbstoffe be-stimmt, der Geruch durch den Schwefelwasser-stoff, organische Säuren, Indol sowie Scatol undder pH-Wert durch die Gärungsprodukte.
MotorikDie Dickdarmmotorik bewirkt:– die weitere Durchmischung des Darminhaltes
durch langsames Fortschreiten von Ringmus-kelkontraktionen (sog. Haustrenfließen) und rhythmische Segmentierung;
– den Weitertransport des Darminhaltes in das Rektum. Zu diesem Zweck laufen 2- bis 3-malam Tag, gewöhnlich nach der Nahrungsauf-nahme, starke peristaltische Kontraktionenvom Caecum über das gesamte Colon;
– die Stuhlentleerung (Defäkation). Hier han-delt es sich um einen willkürlich beeinflussba-ren reflektorischen Vorgang. Mit zunehmen-der Füllung des Rektums werden durch erhöh-ten Druck die Dehnungsrezeptoren der Darm-wand gereizt. Die Aktionspotentiale gelangen in das zuständige Reflexzentrum im Sakral-mark, das etwa ab dem 2. Lebensjahr von der Großhirnrinde kontrolliert werden kann. Bei der Darmentleerung wird der äußere Schließ- muskel willkürlich entspannt und die Bauch-presse erzeugt. Gleichzeitig führen parasym-pathische Efferenzen zur Erschlaffung desinneren Schließmuskels. Daraufhin kommt es zur Kontraktion der Ring- und Längsmuskulaturdes Darmes, und es erfolgt die Entleerung.
Resorption von Vitaminen, Wasser und Mineralstoffen Die Resorption der fettlöslichen Vitamine (A, D,E, K) erfolgt in gleicher Weise wie die Fett-resorption. Die wasserlöslichen Vitamine gelan-gen wie folgt in das Blut: Vitamin C und B2
durch Diffusion und Vitamin Bl2 mit Intrinsic-
Faktor aktiv im Ileum. Wasser und Natrium wer-den vorwiegend im Duodenum und Jejunum auf-genommen.
Calcium und Magnesium werden hauptsächlichaktiv resorbiert. Die Resorption wird durch 2 Hormone (Calcitonin, Parathormon, ✑ Tab.15.8, S. 309) gesteuert.
Eisen wird ebenfalls aktiv im oberen Dünndarmaufgenommen.
12.8.5 Regulation der Verdauung
Die Regulation der einzelnen Verdauungsvor-gänge ist recht kompliziert. Hier werden nureinige grundsätzliche Möglichkeiten dargestellt.
Das vegetative Nervensystem steuert sowohlMotorik als auch Sekretorik der Verdauung(Sympathicus hemmt, Parasympathicus fördert).
12.8 Physiologie der Verdauung 257
Im Vergleich zum Dünndarm erfolgt derTransport im Dickdarm relativ langsam (10 bis 18 Stunden).
Merke
In der Regel findet der Stuhlgang einmaltäglich statt, oft nach der Einnahme von Mahl-zeiten (Gastrokolonreflex).
❑P
Die Calciumresorption setzt die Anwesenheit von Vitamin D voraus, dessen aktive Form unterMitwirkung von Niere und Haut bei Lichtein-wirkung entsteht (bei Mangel: Rachitis).
❑P
Die Resorption der Verdauungsprodukte er-folgt passiv durch Diffusion oder aktiv mit-hilfe von Trägersubstanzen bzw. durch Pino-zytose. Der Hauptresorptionsort ist der obere Dünn-darm (Duodenum, Jejunum). Er hat eine sehrgroße Oberfläche, und alle lebensnotwendigenNahrungsbestandteile sind resorptionsfähig.Grundsätzlich ist die gesamte Schleimhautdes Verdauungstraktes zur Resorption fähig.So besteht auch die Möglichkeit der künstli-chen Ernährung durch Nährklistier über dieDickdarmschleimhaut.
Merke
Psychische Einflüsse, bestimmte Stoffe(Coffein, Nikotin) und der Grad der körper-lichen Aktivität können nachhaltig die Wirkun-gen des vegetativen Nervensystems beeinflus-sen.
❑P
Die Regulation erfolgt– über angeborene Fremdreflexe, deren Aus-
löser hauptsächlich mechanische Reize (z. B. Druckanstieg) sowie die Geruchs- und Geschmacksreize sind. Beispiel: Sekretion der Verdauungssekrete,
Peristaltik und Defäkation;– über erlernte Reflexe, deren Auslöser Gehör-
oder Sehreize, aber auch Vorstellungen sind. Beispiel: Mundspeichel und Magensaftsekre-
tion (= nervale Phase – Regulation durch Vorstellung von Nahrung);
– hormonal durch Gewebshormone, die durch bestimmte Verdauungsprodukte freigesetzt werden.
Regulation der SpeichelproduktionDie Bildung und Freisetzung des Mundspeichelswird reflektorisch gesteuert.
Regulation der MagensaftsekretionIn den Magendrüsen werden pro Tag ca. 3 LiterMagensaft gebildet (✑ S. 240).Zusammensetzung des Magensaftes:– Wasser– eiweißspaltende Enzyme (Pepsin)– Schleim (Muzin)– Salzsäure– Intrinsic-factor
Die physiologische Magensaftsekretion wird vorallem durch die Nahrungsaufnahme gesteuert.Man unterscheidet 3 Phasen.
1. Kephale Phase (psychisch-nervale Einflüsse)
2. Gastritische Phase (lokale Einflüsse)Die Sekretion von Magensaft wird durch dendirekten Kontakt der Nahrung mit der Magen-wand ausgelöst.
3. Intestinale PhaseDer Übertritt des Nahrungsbreis vom Magen indas Duodenum beeinflusst rückwirkend dieMagensaftsekretion in folgender Weise:
12 Verdauungssystem258
Großhirnrinde
Hypothalamus
Speichelzentrum
Reize(Sehen, Hören, Vorstellen)
Reize(Geruch)
Speichelsekretion
Reize(Berührung, Geschmack)
Mundspeichel-drüsen
GeruchGeschmack
AnblickVorstellung
PepsinHCLGastrin
Erregung N. vagus
➞
➞➞
Aggressionen können sekretionssteigernd und Angst sekretionshemmend wirken.❑P
Nahrungim
Antrum
Freisetzung von
Gastrin
Corpus ventriculi
Magensaftsekretion(ein sehr geringer
pH-Wert des Magensafteshemmt die Gastrinsekretion= negative Rückkopplung)
Dehnungsreiz
chemische Reize(z. B. Produkte der Eiweißver-
dauung, Alkohol,Kaffee,
Arzneimittel)
➞
Blutweg
Dehnung derDarmwand
absorbierteAminosäuren
niedrigerpH-Wert
Fett
Magensaft-sekretion
Magensaft-sekretion
Freisetzungvon
Gewebs-hormonen
Freisetzungvon
Gewebs-hormonen
Blut ➞
➞
12.8.6 Funktionen der Leber (Überblick)
Der größte Teil der resorbierten Hydrolysepro-dukte der Nahrung dient zunächst dem Aufbau„körpereigener“ Stoffe (z. B. Glykogen, Proteine,Triglyceride, Phosphatide). Die meisten dieseranabolen Stoffwechselvorgänge vollziehen sichin der Leber.
Im Folgenden gehen wir auf die wichtigsten Funktionen der Leber ein. Mit dem Pfortaderblutgelangen nachstehende Produkte direkt in dieLeber:– aus dem Dünndarm: Kohlenhydrate, Eiweiße,
Fette, Vitamine, Minera-lien, Medikamente etc.;
– aus dem Magen: Alkohol, Medikamente;– aus dem Pankreas: Hormone (Insulin) der
Langerhans’schen Inseln;– aus der Milz: Abbauprodukte des Hä-
moglobins.Daraus ergibt sich eine ihrer wesentlichsten Auf-gaben, nämlich wichtige Stoffkonzentrationen inden extrazellulären Flüssigkeiten, insbesondereim Blut, konstant zu halten und damit eine kon-tinuierliche Versorgung der Zellen zu sichern.Häufig geschieht dies durch wechselseitigeUmwandlung von Speicher- und Transportformeines Stoffes:
Aufgaben im Kohlenhydratstoffwechsel Die Leber erfüllt hier vor allem die eben beschrie-bene Aufgabe, wodurch sie den Blutglucosespie-gel konstant hält.Nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit gelangtviel Glucose, aber auch Insulin, mit dem Pfort-aderblut in die Leber. Durch das Hormon stimu-liert, wird die überschüssige Glucose in Glyko-gen und wenn dessen Speicherkapazität er-schöpft ist, in Fettsäuren umgewandelt. Sinkt da-
nach der Blutglucosespiegel, werden die Glyko-genvorräte wieder in Glucose umgebaut und andas Blut abgegeben. Bei Erschöpfung derGlykogenvorräte setzt schließlich die Glukoneo-genese ein (✑ S. 40).
Aufgaben im Fettstoffwechsel Bei reicher Glucosezufuhr synthetisiert dieLeber reichlich höhere Fettsäuren und weiterhinTriglyceride sowie Phosphatide.Mit der Synthese der Plasmalipoproteine schafftsie die Grundstoffe für den Aufbau von Transport-micellen.1) Diese benötigt der Organismus fürden Transport der wasserunlöslichen Stoffe wieTriglyceride, Phosphatide und Cholesterol in denwässrigen Körperflüssigkeiten.
Die Leber wandelt überschüssige Kohlenhydratein Triglyceride um und ist für die Synthese derPlasmalipoproteine unterschiedlicher Dichte ver-antwortlich.
Aufgaben im CholesterolstoffwechselDie Leber ist der Hauptort der Cholesterol-Bio-synthese. Sie nimmt aber auch Cholesterol, dasin anderen Körperzellen gebildet bzw. mit derNahrung aufgenommen wurde, in ihren Vorratauf.
Der Cholesterolvorrat wird vor allem zur Bil-dung der Gallensäure verwendet und zum Teil inForm von Lipoproteinen wieder an den Kreislaufabgegeben, um andere an Cholesterolmangel lei-dende Organe zu versorgen.
Aufgaben im Äthanolstoffwechsel Alkohol (Äthanol, C5H5OH) wird überwiegendin der Leber abgebaut. Die Leber konzentriert
12.8 Physiologie der Verdauung 259
1) Plasmalipoproteine (Bestandteile: Cholesterol, Phospha-tide, Triglycerid, Eiweiß), die dem Lipidtransport dienen
Die Leber ist das wichtigste Stoffwechsel-organ unseres Körpers („Zentrallabor“).
Merke
Konstanter Blutglucosespiegel
Speicherform(z. B. Glykogen)
Transportform(z. B. Glucose)
Überschuss
Mangel
Die Leber spielt eine wichtige Rolle bei derKonstanthaltung des Blutglucosespiegels.
Merke
Die Leber ist maßgeblich für den Cholesterol-haushalt des Körpers verantwortlich.
Merke
ihn aber nicht, sondern der Alkohol wird mitAusnahme von Fett- und Knochengewebe imganzen Körper verteilt.
Abbau von Hämoglobin, Produktion und Sekretion des GallensaftesMit dieser Spezialleistung erfüllt die Leber 2 Funktionen: – Mitwirkung bei der Fettverdauung durch die
Gallensäuresynthese; – Abbau überalterter Blutzellen. Beim Abbau von Hämoglobin in der Leber ent-stehen die Gallenfarbstoffe. Zuerst bildet sich dasgrüne Biliverdin, das dann zum wichtigstenGallenfarbstoff, dem Bilirubin, umgewandeltwird. Das Bilirubin ist wasserunlöslich und zell-schädigend. Deshalb wird es in den Leberzellenan Glucuronsäure gebunden und dadurch wasser-
löslich und unschädlich. In dieser Form wird dasBilirubin aktiv in die Gallenkapillaren transpor-tiert und gelangt mit dem Gallensaft in denDarm. Im Colon wird es durch die Tätigkeit derDarmbakterien vor allem in Urobilinogen undandere Farbstoffe (Sterkobilinogen, Urobilin,Sterkobilin) umgewandelt. Diese Abbauproduktebewirken die braune Farbe des Stuhls. Dergrößte Teil wird mit dem Stuhl ausgeschieden(ca. 85 %). Der Rest wird wieder resorbiert undgelangt entweder über die Pfortader in die Leber zurück oder bei Resorption im Rektum unterUmgehung der Leber in die Niere. Dieser Teil wird mit dem Harn ausgeschieden und bestimmtdie bernsteingelbe Harnfarbe mit.
Bestandteile des Gallensaftes und Bedeutungder GallensäurenDer Gallensaft besteht im Wesentlichen ausCholesterol, Gallensäure, Bilirubin und Kalk-salze. Die Salze der Gallensäure sind für dieVerdauung und Resorption der Fette von großerphysiologischer Bedeutung. Sie setzen die Ober-
flächenspannung herab und wirkendadurch emulgierend (verteilend) unddispergierend (verkleinernd). Außer-dem aktivieren sie die Lipasen undhemmen die Magensaftsekretion.
12 Verdauungssystem260
Cholesterol
Cholesterol im Blut
Leber(Hepar)
Haupt-gallengang(Ductus choledochus)
Pfortader(V. portae)
Leberarterie(A. hepatica)
ca. 0,6 g/d werden mit dem
Stuhl ausgeschieden
Dünndarm(Intestinum tenue)
ca. 90 % der Gallensäure werdenhier aktiv resorbiert
ca. 3 g Gallensäure zirkulieren
4- bis 12-malpro Tag
Gallensäure (0,6 g/d)
Enterohepatischer Kreislauf(Beispiel: Gallensäuren).Abb. 12.25
Die Blut-Alkohol-Konzentration ist einguter Indikator für die Konzentration desAlkohols im Gehirn.
❑P
Gallensteine entstehen, wenn dasGleichgewicht der Bestandteile desGallensaftes gestört ist. Am häufig-sten sind Cholesterol-Pigment-Kalk-Steine.
Gelbsucht (Ikterus) entsteht, wennzu viel Gallenfarbstoffe ins Blut ge-langen. Die Ursachen hierfür sindvielfältig.
❑P
Der Gallensaft spielt einerseits beider Verdauung und Resorption derFette eine wichtige Rolle, anderer-seits beim Transport verschiedeneStoffe (Bilirubin, überschüssigesCholesterol, abgebaute Arznei-stoffe) in den Darm und für dieAusscheidung.
Merke
Enterohepatischer KreislaufUnter dem enterohepatischen Kreislauf verstehtman die Ausscheidung von Stoffen (z. B. Gallen-säuren und Gallenfarbstoffe) mit dem Gallen-sekret aus der Leber in den Darm und derenRückresorption und Rücktransport mit demPfortaderblut in die Leber. Hier gelangen dieStoffe dann erneut in die Gallenflüssigkeit underfahren den gleichen Kreislauf. Dieser Vorgang ist in erster Linie eine Ökonomi-sierung bestimmter Stoffwechselprozesse. ImFalle der für die Fettverdauung so wichtigenGallensäuren bedeutet dies einen täglichenVerlust von ca. 10 %, ca. 90 % werden rück-resorbiert.Bei fettreicher Ernährung ist der Bedarf anGallensäuren erhöht, deshalb zirkulieren dieGallensäuren 4- bis 12-mal pro Tag.
Aufgabe im EiweißstoffwechselIn der Leber werden die mit dem Pfortaderblutankommenden Aminosäuren verstoffwechselt.Sie dienen zum einen der Synthese der Plasma-proteine (Albumine, Gerinnungsfaktoren, einigeGlobuline), die an das Blut abgegeben werden.Ein weiterer Teil wird abgebaut und der dabeifrei werdende Stickstoff in Harnstoff überführt.Der Harnstoff gelangt mit dem Blutkreislauf zurNiere. Der Rest der Aminosäuren wird benutzt,um intrazelluläre Proteine der Leber aufzubauen.
Biotransformation und „Entgiftung“Unter Biotransformation versteht man alle enzy-matisch gesteuerten chemischen Reaktionen inder Leber. Das Ziel ist die Bildung von wasser-löslichen, harnfähigen Stoffen, die über die Niere(renal) mit dem Harn ausgeschieden werden.
12.8 Physiologie der Verdauung 261
In der Leber findet die Synthese der Plasma-proteine und des Harnstoffes statt.
Merke
Biotransformationen führen häufig zur „Ent-giftung“ von Stoffen. Entgiftung bedeutetdemnach, dass körperfremde und körpereige-ne Stoffe durch Abbau, Umbau oder Kopp-lung an andere Stoffe (z. B. Glucoronsäure)in biologisch inaktive und für den Organis-mus unschädliche oder harnfähige Ver-bindungen überführt werden.
Merke
Die Biotransformationen in der Leber kön-nen die Konzentration von Arzneistoffenbeeinflussen. Man spricht vom sog. „First passeffect“ (Einfluss der ersten Leberpassage).Leber- oder Nierenfunktionsstörungen könnenzur Retention von „Giftstoffen“ führen unddadurch ein Coma hepaticum oder eine Urämiehervorrufen.
❑P
12 Verdauungssystem262
1. Geben Sie einen Überblick über die Verdauungsorgane und deren Lage.2. Beschreiben Sie den Bau der Mundhöhle und deren Organe (Zunge, Zähne, große
Speicheldrüsen).3. Beschreiben Sie die Lage sowie den makroskopischen und mikroskopischen Bau der
Speiseröhre.4. Beschreiben Sie die Lage, den makroskopischen und mikroskopischen Bau sowie die Blut-
und nervale Versorgung des Magens.5. Nennen Sie die Abschnitte des Dünndarms.
Beschreiben Sie deren bauliche Besonderheiten und Lage.6. Nehmen Sie eine Gliederung des Dickdarms vor.7. Beschreiben Sie die Lage des Blinddarms.8. Nennen Sie charakteristische Merkmale des Colons.9. Wie wird das Rektum verschlossen?
10. Beschreiben Sie Lage und Aufbau der Leber.11. Beschreiben Sie den Verlauf der intra- und extrahepatischen Gallenwege.12. Beschreiben Sie Lage und Bau des Pankreas.13. Definieren Sie:
a) Verdauung, b) Motorik, c) Sekretorik, d) Resorption.
14. Beschreiben Sie die Verdauung und Resorption:a) der Kohlenhydrate,b) der Fette,c) der Eiweiße.
15. Interpretieren Sie die Redensart „Gut gekaut ist halb verdaut“.16. Nennen Sie die Aufgaben:
a) der Salzsäure,b) der Gallensäuren.
17. Begründen Sie, warum der Dünndarm für die Resorption am besten geeignet ist.18. Wie erfolgt die Regulation der Verdauung?19. Nennen und erläutern Sie die wichtigsten Funktionen der Leber.
Fragen zur Wiederholung
Die Harnorgane entwickeln sich gemeinsam mitden Geschlechtsorganen aus der gleichen An-lage. So erklären sich auch die engen nachbar-schaftlichen Beziehungen.Das Harnsystem besteht aus den paarigen Nierenals harnbildende Organe sowie den paarigen
Harnleitern, der Harnblase und der Harnröhreals harnableitende Organe. Mit der Harnproduk-tion und -ausscheidung erfüllt das Harnsystemdie für die Aufrechterhaltung des inneren Milieusentscheidenden Regulierungsaufgaben. Wich-tigstes Organ hierbei ist die Niere.
263
13 Harnsystem, Funktionen der Niere
Harnsystem – Lage der Harnorgane. Abb. 13.1
rechte Niere(Ren dexter)
Harnleiter(Ureter)
großer Lendenmuskel
(M. psoas major)
rechte Niere(Ren dexter)
Harnleiter(Ureter)
untere Hohlvene(V. cava inferior)
Harnblase(Vesica urinaria)
linke Niere(Ren sinister)
Harnleiter(Ureter)
Harnblase(Vesica urinaria)Harnröhre(Urethra)
Zwerchfell(Diaphragma)
linke Niere(Ren sinister)
Harnleiter(Ureter)
Aorta
Mastdarm(Rektum)
13.1 Niere (Ren, Nephron)
Die Niere ist, wie auch der Harnleiter, paarig an-gelegt.
Größe, Farbe und FormDie rotbraun aussehende bohnenförmige Nierehat eine Masse von 120 – 220 Gramm und ist 10 – 12 cm lang, 5 cm breit und 4 cm dick. DieForm der Niere wird bestimmt durch – den konvexen lateralen Rand, – den konkaven medialen Rand, an der
• die Nierenbucht mit • dem Nierenhilus liegt,
– den oberen Nierenpol und – den unteren Nierenpol.
Angeborene Fehlbildungen sind z. B. Einnierig-keit und Hufeisennieren.
Lage Die Nieren liegen hinter dem Bauchfell (retrope-ritoneal) lateral der Wirbelsäule (Th12 – L3) mit
ihrem oberen Pol dicht unter dem Zwerchfell undventral der 12. Rippen. Die rechte Niere liegtwegen ihrer Nachbarschaft zur Leber etwas tiefer.
Die Nachbarschaftsbeziehungen der Nieren zei-gen die Abb. 7.6, S. 147 und Abb. 13.1, S. 263.
Die Nieren werden in ihrer Lage gehalten und geschützt durch– die Blutgefäße (✑ Abb. 13.2), – die Fettkapsel (Capsula adiposa) – das Fett ist
bei Körpertemperatur halbflüssig, sodass eine gewisse Beweglichkeit gegeben ist,
– die Nierenfaszie (Fascia renalis) als Begren-zung der Capsula adiposa.
13 Harnsystem, Funktionen der Niere264
Nierenarterie(A. renalis)
linke Nebenniere(Glandula supra-renalis sinistra)
lateraler Randmedialer Rand
Nierenbucht mit Nierenhilus(Hilus renalis)
AortaHarnleiter(Ureter)
Nierenvene(V. renalis)
rechteNebenniere
(Glandula supra-renalis dextra)
oberer Nierenpol
untere Hohlvene
(V. cava inferior)
Fettkapsel(Capsula adiposa)
Bindegewebs-kapsel
(Capsula fibrosa)
Nierenfaszie(Fascia renalis)
unterer Nierenpol
Nierenkapseln und Nierenpforte.Abb. 13.2
Der Nierenhilus ist die Eintrittsstelle der Nie-renarterie (A. renalis) und die Austrittsstelleder Nierenvene (V. renalis) sowie des Harn-leiters (Ureter).
Merke
Die unteren Nierenpole stehen ca. 3 Fingerbreit oberhalb des Darmbeinkammes.
Merke
Veränderungen der Nieren können beim lie-genden Menschen beidhändig tastbar sein.❑P
Wird Fettgewebe der Capsula adiposa abge-baut, z. B. durch massive Abmagerung, kanndie Niere ihren Halt verlieren und nach untensinken. Man spricht von einer Wanderniere(Ren mobilis).
❑P
Makroskopischer Bau An einem Frontalschnitt (Abb. 13.3) erkenntman mit bloßem Auge – das Mark: Es ist die streifige
Innenschicht und bildet die ca. 10 Markpyramiden. Auf deren Spitze, der Markpapille(Papilla renalis), befinden sich die 15 – 20 Öffnungen der Papillargänge (Ductus papillares), die in kleine Hohlräume, Nierenkelche, münden;
– die Nierenkelche: Sie umge-ben die Markpyramidenspit-zen. In den Kelchen wird der fertige Urin aufgefangen undzum Nierenbecken weiterge-leitet;
– das Nierenbecken: Es entstehtdurch den Zusammenschluss der Kelche;
– die Rinde: Es ist die an der Peripherie durchlaufende kör-nige Außenschicht, die von einer Bindegewebskapsel (Capsula fibrosa) überzogen
ist. Ausläufer der Nierenrinde zwischen den Markpyramiden werden als Nierensäulen (Columnae renales) bezeichnet.
13.1 Niere 265
Frontalschnitt durch die Niere. Abb. 13.3
Bindegewebskapsel(Capsula fibrosa)
medialer Rand
Nierenarterie(A. renalis)
Nierenvene(V. renalis)
Nierensäule(Columna renalis)
Nierenkelch(Calix renalis)
Harnleiter(Ureter)
oberer Nierenpol
Nierenrinde(Cortex renalis)
lateraler Rand
Nierenbecken(Pelvis renalis)
Markpyramiden(Pyramides renales)
Nierensäule(Columna renalis)
Markpapille(Papilla renalis)
unterer Nierenpol
Nierenparenchym. Abb. 13.4
Bindegewebskapsel(Capsula fibrosa)
Nierenrinde(Cortex renalis)
Zwischen-läppchenarterie
(A. interlobularis)
Bogenarterie(A. arcuata)
Zwischen-lappenarterie
(A. interlobaris)
Markpyramiden(Pyramides renales)
Papillengang(Ductus papillaris)
Markpapille(Papilla renalis)
Nierenkelch(Calix renalis)
Mikroskopischer BauDie Funktionseinheit der Niereim Sinne der Harnbildung istdas Nephron, von dem es injeder Niere ca. 1 Million gibt. Inihm wird der Harn gebildet.Jedes Nephron besteht aus demNierenkörperchen und dem Tubu-lusapparat.1. Das Nierenkörperchen
(= Malpighi’sches Körperchen).Die Nierenkörperchen befin-den sich im Rindengewebe. Sie bestehen aus – dem Glomerulus (innen),
einem Knäuel von Blutka-pillaren. Dem Glomerulus wird das Blut über eine Arteriole, das Vas afferens, zugeführt. In dessen Wand liegt das sog. Polkissen, ein Teil des juxtaglomerulären
Apparates.1) Hier wird bei Blutdruck-abfall das Hormon Renin produziert (✑ S. 203/4). Aus dem Glomerulus heraus führt wiederum eine Arteriole, das Vas efferens. Die Ein- und Aus-trittsstelle der beiden Arteriolen heißt Gefäßpol;
– der Bowman’schen Kapsel. Sie um-gibt als doppelwandige Epithelhülle das Glomerulus. Ihre innere Schicht liegt direkt auf den Blutkapillaren.
2. Tubulusapparat (Nierenkanälchen). Der Tubulusapparat gliedert sich in drei Hauptabschnitte:
– den proximalen Tubulus. Am Harn-pol geht der Raum der Bowman’ schenKapsel in das Nierenkanälchen über;
– den intermediären Tubulus (Nephron-schleife, Henle’sche Schleife) mit dün-nem absteigendem und aufsteigendemSchleifenschenkel;
– den distalen Tubulus. Er mündet inein Sammelrohr. Dort, wo er das Pol-kissen berührt, befindet sich ein wei-terer Teil des juxtaglomerulären Appa-rates, die Macula densa (= „dichter
13 Harnsystem, Funktionen der Niere266
Tubuluskapillargebiet
Nephronschleife,Henle’sche Schleife
distaler Tubulus
Vas efferensVas afferensGlomerulus
Bowman’sche Kapsel
Nierenkörperchen
proximaler Tubulus
Sammelrohr
Mikroskopischer Bau der Niere – Nephron.Abb. 13.5
Bau des Nierenkörperchens(Corpusculum renale). Abb. 13.6
abführende Arteriole(Vas efferens)
zuführende Arteriole(Vas afferens)
Gefäßpol
Gefäßknäuel(Glomerulus)
äußeres Blatt(parietales Blatt)
inneres Blatt(viscerales Blatt)
Bowman’sche Kapsel(Capsula glomeruli)
Harnpol
proximaler Tubulus(Tubulus proximalis)
➝
➝
1) Dient der Regulation von Blutdruck und Nierendurchblutung
Fleck“). Sie besteht aus Chemorezeptoren zur Messung der Natriumkonzentration. Um die Harnkanälchen befindet sich das Tubu-luskapillargebiet.
SammelrohrsystemMit dem System der Sammelrohre beginnen dieableitenden Harnwege innerhalb der Niere. Injedes Sammelrohr münden etwa 10 Nierenkanäl-chen. Kleinere Sammelrohre schließen sich zuimmer größeren zusammen. Die Endstücke liegen in den Nierenpapillen undheißen Papillargänge (Ductus papillares).
Nierenbecken (Pelvis renalis, Pyelon)Das Nierenbecken, als Auffangbehälter für denHarn, entsteht durch den Zusammenschluß von 8 – 10 Nierenkelchen. Es kann recht unter-schiedlich geformt sein. Im Nierenbecken be-ginnt das Übergangsepithel als Charakteristikumfür die ableitenden Harnwege (✑ S. 63).
Blutversorgung der NiereDie Blutzufuhr erfolgt durch die unmittelbar ausder Bauchaorta entspringende A. renalis. Dieblutabführenden Vv. renales münden direkt indie V. cava inferior.
13.2 Harnleiter (Ureter)
Die paarigen Harnleiter gehen kontinuierlich ausdem Nierenbecken hervor. Es handelt sich umdünne muskulöse Schläuche. Die Harnleiter, ca.30 cm lang mit einem Durchmesser von 4 bis
13.2 Harnleiter 267
Eine häufige Erkrankung der Niere ist die Nierenbecken-/Nierenentzündung (Pyelonephr-itis), deren Hauptrisiken Schrumpfniere,Bluthochdruck und Nierenvereiterung sind.
❑P
Nierenkreislauf.Tab. 13.1
Das Blut durchströmt in der Niere 2 Kapillar-gebiete:– das Glomerulum und danach – das Tubuluskapillargebiet.
Merke
Harnfluss Rückfluss verhindert
Harnblasenwand
Ureter Ureter
außen
innen außen innen
Eintritt des Ureters in dieHarnblase. Abb. 13.7
Pars abdominalis aortae�
A. renalis�
Zwischenlappenarterien (ziehen zur Basis der Pyramiden)
�
Bogenarterien (verlaufen zwischen Rinde und Pyramidenbasis bogenartig)
�
Läppchenarterien (an ihnen hängen wie Beeren die Nierenkörperchen)
�
Vas afferens�
Glomerulus�
Vas efferens �
Venen innerhalb der Niere�
V. renalis�
V. cava inferior
Tubuluskapillargebiet�
7 mm, leiten den Harn durch Peristaltik vomNierenbecken in die Harnblase. Beide Harnleiterliegen wie die Nieren retroperitoneal.
Ureterengen Der Harnleiter hat 3 enge Stellen: – am Übergang vom Nierenbecken in den Harn-
leiter, – beim Übergang in das kleine Becken und – in der Harnblasenwand.
WandschichtenDie Wandschichten zeigen den klassischen Drei-schichtenaufbau der Hohlorgane. Das Urothel desNierenbeckens geht kontinuierlich auf den Harn-leiter über.
13.3 Harnblase (Vesica urinaria)
Die Harnblase ist ein muskulöses Hohlorgan,dessen Form und Größe vom unterschiedlichenFüllungszustand abhängen. Ihre Aufgaben sinddie Speicherung und periodische Entleerungdes von den Nieren ständig produzierten Urins.Das mittlere Fassungsvermögen der Harnblasebeträgt ungefähr 1 Liter.
GliederungAn der Harnblase unterscheidet man folgendeTeile: – Harnblasenscheitel (Apex vesicae) – oben ge-
legen, – Harnblasenkörper (Corpus vesicae) – darunter, – Harnblasengrund (Fundus vesicae) – unten, – Harnblasenhals (Cervix vesicae) – Übergang
in die Harnröhre.
Lage und Nachbarschaftsbeziehungen Die Harnblase liegt im kleinen Becken hinter derSymphyse. Beim Mann schiebt sich zwischenHarnblasengrund und Beckenboden die Vorste-herdrüse (Prostata). Außerdem liegen hintenunten die Bläschendrüsen an. Die obere und hin-
tere Seite der Harnblase ist vom Bauchfell über-zogen. An der hinteren Blasenwand verläuft dasBauchfell tief nach unten, um danach entwederauf das Rektum (Mann) oder auf den Uterus(Frau) überzugehen.Beim Mann liegt an diesem Übergang der tiefstePunkt der Bauchhöhle (Excavatio rectovesica-lis), bei der Frau liegt der tiefste Punkt zwischendem Uterus und dem Rektum (Excavatio recto-uterina = Douglas’scher Raum, ✑ auch S. 145).
HarnblasenwandDie Schleimhaut ist mit mehrreihigem Über-gangsepithel (Urothel) besetzt und liegt im lee-ren Zustand in Falten. Eine Ausnahme bildet dasam Blasengrund liegende immer faltenfreieHarnblasendreieck (Trigonum vesicae). SeineEckpunkte werden von 3 Öffnungen markiert,der inneren Harnröhrenöffnung (Ostium ure-thrae internum) vorn und den 2 Ureteröffnungenhinten.
Die Muskulatur der Harnblasenwand ist drei-schichtig und so angeordnet, dass sich bei ihrerKontraktion die Harnblase vollständig entleerenkann. Der Harnblasenwandmuskel heißt M.detrusor vesicae.
13 Harnsystem, Funktionen der Niere268
In der Niere gebildete kleinere Nierensteine können in den Harnleiter abgehen. Häufig verklemmen sie sich in einer der Harnleiter-engen. Dies führt zu starken Kontraktionen derUreterwandmuskulatur (Nierenkolik) mit hefti-gen Schmerzen.
❑P Ist die Harnblase gefüllt, liegt sie an der vor-deren Bauchwand (ohne Zwischenschaltungdes Bauchfells) und kann oberhalb der Symphy-se punktiert werden (Abb. 13.10, S. 270).
Bei entzündlichen Prozessen im kleinen Be-cken sammelt sich Eiter in den Bauchfell-taschen bzw. nach Verletzungen Blut.
❑P
Die Ureter durchsetzen die Harnblasenwandschräg. Dadurch entsteht ein „Ventil“, undder Harn kann bei gefüllter Blase nichtzurückfließen (✑ Abb. 13.7).
Merke
Beim vesikoureteralen Reflux ist das Ver-schlusssystem geschwächt. Dadurch werdenHarnleiter- und Nierenbeckeninfektionen be-günstigt.
❑P
Verschluss von Harnblase und HarnröhreDer Verschluss erfolgt durch eine aus glattemMuskelgewebe bestehende Muskelschlinge, denunwillkürlichen Schließmuskel der Harnblase(M. sphincter vesicae) um die innere Harn-röhrenöffnung und den willkürlichen quer ge-streiften Harnröhrenschließmuskel (M. sphincterurethrae) im Beckenboden.
13.3 Harnblase 269
Harnleiter(Ureter)
Samenleiter(Ductus deferens)
Ureter-öffnungen
(Ostia ureterum)
Harnblasen-dreieck
(Trigonum vesicae)
Bläschendrüsen(Glandula vesiculosa)
innere Harnröhrenöffnung
(Ostium urethrae internum)
Vorsteherdrüse(Prostata)
Cowper’sche Drüse(Glandula
bulbourethralis)
Scheitel derHarnblase(Apex vesicae)
Körper der Harnblase(Corpus vesicae)
Grund derHarnblase(Fundus vesicae)
Samenhügel(Colliculus seminalis)
Harnröhre(Urethra)
Harnblase (männlich) von ventral eröffnet. Abb. 13.8
Die Entleerung der Harnblase heißt Miktion(✑ S. 274).
Merke
Die Regulation der Miktion unterliegt kom-plizierten nervalen Mechanismen. Ist sie gestört(z. B. bei Querschnittslähmung, Gewebsschwä-che), kommt es, meist vorübergehend, zu stän-digem unwillkürlichen Harnträufeln (Harn-inkontinenz). Die Blasenschleimhaut kann mit-tels einer Zystoskopie (Harnblasenspiegelung)untersucht werden.
❑P
Harnblase (männlich) von dorsal. Abb. 13.9
Körper der Harnblase
(Corpus vesicae)
Harnleiter(Ureter)
Samenleiter(Ductus
deferentis)
Bläschen-drüsen
(Glandula vesiculosa)
Vorsteher-drüse
(Prostata)
Harnröhre(Urethra)
Scheitel der Harnblase(Apex vesicae)
13.4 Harnröhre (Urethra)
Die Harnröhre ist der letzte Teil der harnablei-tenden Organe.
Verlauf und Mündung der Harnröhre Die Harnröhre leitet den Harn von der Harnblaseschubweise nach außen. Sie beginnt am Harn-blasenfundus mit der inneren Harnröhrenöff-nung (Ostium urethrae internum) und endet mitder äußeren Harnröhrenöffnung (Ostium ure-thrae externum).
Weibliche Harnröhre (Urethra feminina)Die weibliche Harnröhre liegt vor der Scheide.Ihre äußere Öffnung befindet sich im Scheiden-vorhof. In ihrem oberen Bereich geht das Über-gangsepithel, wie es im Nierenbecken, in denHarnleitern und der Harnblase vorkommt, inmehrschichtiges unverhorntes Plattenepithel über.Die weibliche Harnröhre ist etwa 4 cm lang.
Männliche Harnröhre (Urethra masculina)Die männliche Harnröhre endet spaltförmig aufder Eichel des männlichen Gliedes (✑ S. Abb.14.1, S. 277). Sie hat eine Länge von 20 – 25 cmund einen Durchmesser von 5 – 7 mm.
Man unterscheidet die folgenden 3 Abschnitte:– Vorsteherdrüsenabschnitt (Pars prostatica)
Er durchzieht die Prostata, ist ca. 3 cm lang und enthält den Samenhügel mit den Öffnun-gen der beiden Spritzkanäle.
– Beckenbodenabschnitt (Pars membranacea) Am Übergang zu diesem Abschnitt befindet sich der willkürliche Harnröhrenschließmuskel.
– Schwellkörperabschnitt (Pars spongiosa) Hier verläuft die Harnröhre im Harnröhren-schwellkörper bis zum Ausgang an der Eichel.
KrümmungenDie männliche Harnröhre hat 2 Krümmungen (✑S. 277). Sie liegen hinter der Symphyse undbeim Eintritt in den Harnröhrenschwellkörper.
13 Harnsystem, Funktionen der Niere270
gerader Bauchmuskel
(M. rectus abdominis)
Punktionskanüle
Schambeinfuge(Symphysis pubica)
Harnröhre(Urethra)
Kitzler(Clitoris)
Scheidenvorhof(Vestibulum vaginae)
Bauchfell(Peritoneum)
bauchfellfreier Raum über der Schambeinfuge
Harnblasenwandmuskel(M. detrusor)
innere Harnröhrenöffnung(Ostium urethrae internum)
Scheide(Vagina)
äußere Harnröhrenöffnung(Ostium urethrae externum)
Weibliche Harnblase (Blasenpunktion) – Medianschnitt.Abb. 13.10
Die sehr kurze weibliche Harnröhre machtdas Zystoskopieren und Katheterisieren leich-ter. Nachteilig: Da für Krankheitserreger derWeg vom After bis zur Harnröhre sehr kurz ist,ist die Gefahr einer Entzündung der ableiten-den Harnwege, die über Blase und Harnleiterbis zur Niere aufsteigen kann, bei Frauengrößer als bei Männern.
❑P
Die männliche Harnröhre ist ab Samenhügeleigentlich eine Harn-Samen-Röhre.
Merke
Beide Krümmungen können in einen Bogen verwandelt werden, wenn das männliche Glied nach oben auf die Bauchwand gelegt wird (wichtig z. B. beim Katheterisieren).
In der Prostata wird das Übergangsepithel der Harn-blase vom Zylinderepithel (zuerst einschichtig,dann mehrschichtig) abgelöst. Ab Schiffergrube(= Erweiterung der Urethra in der Eichel) folgtunverhorntes mehrschichtiges Plattenepithel.
13.5 Physiologie der Niere
Damit die Zellen unseres Körpers ihre Aufgabenerfüllen können und so die Existenz des Orga-nismus sichern, benötigen sie eine möglichstkonstante Umgebung (= inneres Milieu, ✑ S. 28).Das wichtigste Organ für die Erhaltung derHomöostase des inneren Milieus ist die Niere.Sie sichert durch die Harnbildung das innereGleichgewicht trotz diskontinuierlicher Auf-nahme und Abgabe von Stoffen.
Im Einzelnen erfüllt die Niere mit der Harnpro-duktion folgende lebenswichtige Aufgaben.l. Ausscheidungsfunktion
– Ausscheiden der harnpflichtigen SubstanzenHarnstoff, Harnsäure, Kreatinin (harn-
pflichtig deshalb, weil sie nur von der Niere ausgeschieden werden können und ihr Ver-bleiben im Körper zur allmählichen Selbst-vergiftung führt).
– Differenzierte Ausscheidung von Stoffen (z. B. Ionen).
– Ausscheidung von Fremdsubstanzen bzw. deren Stoffwechselprodukten (z. B. Medika-mente).
2. Regulationsfunktion– Einstellung des osmotischen Drucks (Isoto-
nie) und des Flüssigkeitsvolumens im extra-zellulären Raum (Isovolämie).
– Einstellung der Ionenkonzentration (Isoio-nie).
– Einstellung des pH-Wertes (Isohydrie).3. HormonbildungDie Niere bildet 2 Hormone: Renin, das mittel-bar an der Blutdruckregulation beteiligt ist, undErythropoetin, das die Bildung der Erythrozytenim roten Knochenmark stimuliert.
Harnbildung Der Prozess der Harnbildung durch das Nephronwird in 2 Teilfunktionen vollzogen: – Filtration in den Nierenkörperchen (Primär-
harnbildung), – Resorption und Sekretion im Tubulusapparat
(Sekundär- oder Endharnbildung).
Bildung des Primärharns durch Filtration imNierenkörperchenWährend das Blut durch die Kapillarschlingendes Glomerulus fließt, wird es filtriert und derPrimärharn gebildet. Dabei werden bei einemrenalen Plasmafluss von ca. 600 ml (HK 0,5) proMinute 120 ml Plasmabestandteile in denKapselraum filtriert (= glomeruläre Filtrations-rate – GFR). Das entspricht einer Tagesmengevon ca. 170 Litern. Um diese Menge zu erhalten,wird das Blutplasma (ca. 3 Liter) etwa 60-malpro Tag dem Filtrationsvorgang unterzogen.
13.5 Physiologie der Niere 271
Durch viele sensible Nervenendungen ist die Harnröhre sehr berührungs-, schmerz- undtemperaturempfindlich.
❑P
Die männliche Harnröhre weist in ihremVerlauf sowohl 3 enge Stellen als auch 3 weiteStellen auf. Enge Stellen: Innere Harnröhrenöffnung(Harnblasenwand), Beckenboden (willkürli-cher Schließmuskel), äußere Harnröhrenöff-nung (Eichel). Weite Stellen: Prostatabereich, Harnröhren-schwellkörper, Eichel (Schiffergrube).
Merke
Die Umwelt der Zellen ist die interstitielleFlüssigkeit (✑ S. 28).
Merke
Bei chronischen Nierenerkrankungen (z. B. Glomerulonephritis) spielen neben der Gefahr der Selbstvergiftung (Urämie) die Entstehung des Bluthochdrucks (nephrogener Hyperto-nus) und der Blutarmut (Anämie) eine Rolle.
❑P
Die ca. 1 m2 große Filtermembran wird aus 3 Schichten (Kapillarendothel, Deckzellen [Pro-dozyten] des inneren Blattes der Baumann’schenKapsel, gemeinsame Basalmembran der Pro-dozyten und Kapillarendothelzellen) gebildetund lässt außer Blutzellen und Plasmaproteinenalle Blutbestandteile hindurch. Weil nur kleineTeilchen des Blutes im Glomerulusfiltrat enthal-ten sind, wird es als Ultrafiltrat und der gesamteVorgang als Ultrafiltration bezeichnet.
Effektiver FiltrationsdruckDer glomeruläre Blutdruck (= Bruttofiltrations-druck) beträgt ca. 50 mmHg. Diesem wirken der
kolloidosmotische Druck des Blutplasmas von25 mmHg und der Kapseldruck von 15 mmHgentgegen. Als Ergebnis entsteht der effektiveFiltrationsdruck von 10 mmHg (50–25–15=10)als treibende Kraft der Filtration.
Selbstregulation der NierendurchblutungDamit die Niere ihre Funktionen kontinuierlicherfüllen kann, muss sie möglichst konstantdurchblutet werden. (Die renale Durchblutungbeträgt 25 % des Herzminutenvolumens.) Dieserfolgt vor allem durch das Vas afferens, indemes bei einer arteriellen Druckveränderung selb-ständig die Gefäßlichtung so verändert, dass dieDurchblutung konstant bleibt (✑ S. 202). Aufdiese Weise können Blutdruckschwankungenzwischen 80 und 180 mmHg ausgeglichen werden.
Bildung des Endharns durch Resorption und Sekretion im Tubulus – Resorption: Stofftransport (aktiv oder passiv)
aus dem Tubulus in den Blutkreislauf.– Sekretion: Stofftransport (aktiv oder passiv)
aus dem Blutkreislauf in den Tubulus.
ResorptionDurch die Resorption werden alle Stoffe, auchWasser, die der Körper zur Erhaltung derHomöostase des inneren Milieus benötigt, ausdem Tubulus in das Blut zurückgeführt; das sind98 % der gereinigten Blutflüssigkeit. Die aktiveResorption ist eine Leistung der Tubuluszellen.Würde bei einem 70 Kilo schweren Mann dieResorption für 5 Stunden versagen, betrügedanach die Masse des Mannes nur noch 28 Kilo.
GlucoseresorptionGlucose wird (wie auch die Aminosäuren) nor-malerweise vollständig aktiv rückresorbiert. Über-
13 Harnsystem, Funktionen der Niere272
In den Nierenkörperchen entstehen durchFiltration pro Tag ca. 170 Liter Primärharn. Erenthält alle Stoffe des Blutplasmas mit Aus-nahme der großen Eiweißmoleküle und derBlutzellen. Die Konzentration der filtrierbarenTeilchen ist im Blutplasma und Primärharngleich.
Merke
Durch akute und chronische Nierenkrank-heiten kann es zur Filtration von Erythrozyten (blutiger Harn – Hämaturie), Leukozyten (eitriger Harn – Leukozyturie) und Eiweißen (Proteinurie) kommen.
❑P
Bei einem arteriellen Systemblutdruck unter 70 mmHg besteht Anurie, bei einem arteriel-len Systemblutdruck über 220 mmHg eine Druckdiurese.
❑P
Bei starkem Absinken des zentralen Blut-druckes, z. B. bei Schock, versagt auch die Nierendurchblutung und damit die Filtration des Primärharns. Es kommt zu akutem Nierenversagen, d. h.keine Harnbildung (= Anurie).
❑P
Vas efferensVas afferens
Glomerulus
Bowman’sche Kapsel
Primärharn
glomeruläre Filtratiosrate(GFR) 120 ml/min
Glomeruläre Filtration.Abb. 13.11
steigt jedoch die Blutglucose 1,8 g/l = 10 mmol/1,dann erscheint sie im Urin (= Glucosurie).
SekretionDurch die Sekretion können zusätzlich Stoffe ausdem Eiweißabbau (Harnstoff, Harnsäure), aberauch Medikamente (z. B. Penicillin) aus dem Blutin den Tubulus transportiert werden.
Diese Normwerte ändern sich bei einer Erkran-kung häufig.
Hormonelle Regulation der Nierentätigkeit Bei der Einstellung der endgültigen Harnmenge, einschließlich der Kompensation normaler Ver-änderungen der osmotischen Konzentration, sind2 Hormone wichtig:
1. Antidiuretisches Hormon, (Adiuretin, ADH)Das ADH wird im Hypothalamus gebildet, ge-langt über den Hypophysenstiel in den Hypo-physenhinterlappen und von dort in das Blut. ImTubulus steuert es die Wasserrückresorption, in-dem es die Wasserdurchlässigkeit der Zellen ver-ändert.
13.5 Physiologie der Niere 273
Da Glucose nur in gelöster Form ausgeschie-den werden kann, wird die Urinmenge erhöht (Polyurie), und der Mensch hat größeren Durst (= Symptome der Zuckerkrankheit).
❑P Bei vielen Erkrankungen (z. B. Pyelonephri-tis, Stoffwechselerkrankungen) lassen sich auf-grund der Veränderungen dieser Werte Rück-schlüsse für die genauere Diagnose ziehen.
❑P
Die Hauptmasse der Stoffe wird im proxima-len Tubulus resorbiert. Die auszuscheidendeEndharnmenge pro Tag beläuft sich auf ca. 1,5 Liter. Die Dichte des Endharns beträgt1 005 bis 1 025 g/l, der pH-Wert liegt imMittel bei 5,5.
Merke
➽ GlucoseAminosäuren
➽ HCO3-, Na+
➽ K+, Ca2+, Mg2+
H2OHarnstoff, CI-
➽ H2O
➽ CI-
➽ Na+
➽ Na+, K+, Ca2+
➽ CI-, H2O
➽ = aktiv➽ = passiv
➽
Penicilin ➽
NH3 ➽
Na+, CI- ➽Harnstoff ➽
NH3 ➽H+ ➽
K+ ➽
Sekretion Resorption
Tubulus-Apparat
Malpighi’sches Körperchen
Blutkapillaren
Osmorezeptor
Zwischenhirn
Informatio
n
ADH
Hypophysenhinterlappen
BlutkapillarenTubulus
H2O
H2O osmotischer Druck
H2O
Harnkonzentration
Durst
Tubuläre Resorption, Sekretion und Harnkonzentrierung. Abb. 13.12
➞
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Beispiel: Wassermangel (z. B. infolge starken Schwitzens).
2. AldosteronEs wird in der Nebennierenrinde gebildet unddort in das Blut abgegeben. Über die Natrium-resorption im Tubulus reguliert es die Isotonie.
Bei Natriummangel bewirkt Aldosteron imTubulus eine verstärkte Natrium- und Wasser-rückresorption, allerdings auf Kosten gleichzei-tiger Kalium- bzw. Wasserstoffionensekretion.
Harnausscheidung Von den Nierenpapillen gelangt der Endharnüber die Nierenkelche in das Nierenbecken. An-schließend befördern ihn die Harnleiter durchperistaltische Wellen ihrer Wandmuskulatur indie Harnblase.
Blasenentleerung (Miktion)Bei der Harnblase wechseln lange Sammelpha-sen und kurze Entleerungsphasen einander ab.Beide Phasen stehen unter der Kontrolle vorallem des vegetativen Nervensystems, daswährend der Sammelphasen über den glattenHarnblasenschließmuskel (M. vesicae) eineEntleerung verhindert bzw. hemmt (= Kontinenz der Harnblase). Bei der Entleerung der Harnblase (= Miktion)greifen unwillkürliche und willkürliche Vorgän-ge ineinander. Pro Stunde werden ca. 50 ml Urin
13 Harnsystem, Funktionen der Niere274
Erkrankungen im Bereich des Zwischenhirns bzw. der Hypophyse können zum Verlust der ADH-Bildung führen. Folge ist die Wasser-harnruhr (Diabetes insipidus) mit einer Urinmenge von täglich 20 – 25 Liter (aus-gleichend müsste die entsprechende Flüssig-keit wieder zugeführt werden).
❑P
Osmorezeptor
osmotischer Druck
Plasmavolumen
innere Kopfarterie(A. carotis interna)
Nierenkörperchen(Malphigi’sches Körperchen)
Harnkanälchen(�Tubulus)
Nebennierenrinde Blutkapillaren
Aldosteron
Information
Plasma-volumen
H+
K+
Tubulus
Na+
H2O
Hormonelle Regulation der Na+-Resorption.Abb. 13.13
Osmotischer Druck steigt
ADH-Sekretion steigt
vermehrte Auslösung des Wasserrückresorption Durstgefühls
➞➞
➞
➞➞
in die Harnblase transportiert, sodass derBlaseninnendruck stetig steigt. Kurze Druck-anstiege lösen bei 150 bis 200 ml bereits kurz anhaltenden Harndrang aus. Bei 250 – 300 mlwird er der Harndrang so intensiv, dass dieEntleerungsphase eingeleitet wird.Parasympathisch wird Folgendes bewirkt:– Kontraktion des M. detrusor bei – gleichzeitiger Erschlaffung des M. sphincter
vesicae und– Verschluss der Ureteröffnungen.Wird nun der willkürliche Schließmuskel zurErschlaffung gebracht, fließt der Harn unter Ein-satz der Bauchpresse restlos ab.
Vereinfacht dargestellt, laufen dabei folgendeVorgänge ab:
Zusammensetzung des Endharns• Wasser ca. 97 %, • Stoffwechselendprodukte des Eiweißstoff-
wechsels (Harnstoff, Kreatinin) ca. 40 g/d, • anorganische Substanzen (Kochsalz, Kalium,
Calcium, Ammoniak, Magnesium) ca. 18 g/d, • Harnfarbstoffe (Urobilin, Urochrom), • Hormone, Enzyme, Vitamine, evtl. Arzneimittel
und Fremdstoffe.
13.5 Physiologie der Niere 275
Durch die Verknüpfung des sakralen Mik-tionszentrums mit der Großhirnrinde kanndie weitgehend reflektorisch und automatischablaufende Blasenentleerung kontrolliert, d. h. eingeleitet oder unterdrückt, werden.Dieser Vorgang wird in den ersten Lebens-jahren erlernt.
Merke
Druckanstieg (= Reiz)�
Dehnungsrezeptoren in der Blasenwand�
Sakrales Miktionszentrum(Dieses Reflexzentrum steuert
– für uns unbewusst – Sammel- und Entleerungsphase.)
�
Miktionszentrum im Stammhirn�
Großhirnrinde(Der Harndrang wird bewusst.
Nun gibt es 2 Möglichkeiten: willkürlicheUnterdrückung oder Blasenentleerung.)
Durch den willkürlichen Schließmuskel kann die Blasenentleerung eine begrenzte Zeit auf-gehalten werden. Liegt die abgegebene Harn-menge unter 20 ml/s, sollte an ein Abfluss-hindernis gedacht werden.Inkontinenz bedeutet, der Mensch ist auf-grund von Organveränderungen oder Funk-tionsstörungen unfähig, die Blasenentleerungwillkürlich zu steuern.
❑P
Bei gesunden Menschen enthält der Urinweder Eiweiß noch Zucker, höchstens einigeabgestoßene Epithelzellen der ableitendenHarn-wege und einige Leukozyten.
Merke
13 Harnsystem, Funktionen der Niere276
l. Nennen Sie die Harnorgane und beschreiben Sie deren Lage.2. Beschreiben Sie den makroskopischen und mikroskopischen Bau der Niere.3. Wodurch werden die Nieren in ihrer Lage gehalten?
Was ist eine Wanderniere?4. Beschreiben Sie das Sammelrohrsystem.5. Beschreiben Sie den Blutfluss durch die Niere.
Welche Besonderheit gibt es? 6. Auf welchem Weg gelangt der Urin vom Bildungsort nach außen?7. Beschreiben Sie die anatomischen Besonderheiten der ableitenden Harnwege.8. Vergleichen Sie männliche und weibliche Harnröhre und ziehen Sie praktische
Schlussfolgerungen.9. Nennen Sie die Aufgaben der Niere.
10. Erläutern Sie die Harnbildung als Mittel der Regulations- und Ausscheidungs-funktion.
11. Definieren Sie:a) Primärharn,b) Endharn,c) effektiver Filtrationsdruck, d) Selbstregulation der Nierendurchblutung.
12. Wie erfolgt die hormonelle Regulation der Nierentätigkeit? 13. Beschreiben Sie die Miktion. 14. Wie ist der Endharn zusammengesetzt?
Fragen zur Wiederholung
Im Zusammenhang mit dem Geschlechtssystemwerden primäre und sekundäre Geschlechts-merkmale unterschieden. Die primären Ge-schlechtsmerkmale sind bereits zum Zeitpunktder Geburt vorhanden (z. B. Hoden, Eierstöckeetc.), die sekundären entwickeln sich währendder Pubertät (z. B. weibliche Brustdrüsen,Schambehaarung etc.).
14.1 Männliche Geschlechtsorgane
Die primären Geschlechtsorgane werden ent-sprechend ihrer Lage in innere und äußere unter-gliedert. Sie stehen in enger Beziehung zu denHarnorganen (z. B. männliche Harnröhre alsHarnsamenröhre).
277
14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)
Männliche Beckenorgane. Abb. 14.1
gerader Bauchmuskel
(M. rectus abdominis)
Harnblase(Vesica urinaria)
Samenleiter(Ductus deferens)
Vorsteherdrüse(Prostata)
Gliedschwellkörper(Corpus cavernosum
penis)
Hoden(Testis)
Eichel(Glans penis)
Harnblase(Vesica urinaria)
innere Harnröhrenöffnung
(Ostium urethrae internum)
SymphyseHarnröhre
(Urethra)
Gliedschwellkörper(Corpus cavernosum
penis)
Schiffergrube(Fossa navicularis
urethrae)
äußere Harnröhrenöffnung
(Ostium urethrae externum)
linker Harnleiter(Ureter sinister)
Bläschendrüse(Glandula seminalis)
Mastdarm(Rektum)
Cowper’sche Drüse(Glandula bulbourethalis)
After(Anus)
Harnröhre(Urethra)
Nebenhoden(Epididymis)
Hodensack(Scrotum)
Harnleiter(Ureter)
Bläschendrüse(Glandula seminalis)
Mastdarm(Rektum)
Vorsteherdrüse(Prostata)
Spritzkanal(Ductus ejaculatorius)
Hodensack(Scrotum)
Hoden(Testis)
14.1.1 Innere männliche Geschlechtsorgane
Zu den inneren männlichen Geschlechtsorganengehören • die paarigen Hoden, • die paarigen Nebenhoden, • die paarigen Samenleiter, • die Vorsteherdrüse und• die paarigen Bläschendrüsen (= Samen-
blasen).
Hoden (Testis, Orchis)Form, Größe, LageDie Hoden entwickeln sich im Bauchraum undwandern am Ende der Embryonalzeit (Descensustestis, descensus = absteigen) durch den Leisten-kanal (✑ S. 139) in den Hodensack. Dabei ge-langen auch Bauchfellanteile in den Hodensack.
Beim erwachsenen Mann sind die Hoden wal-nussgroß.
Mikroskopische StrukturDer Hoden wird von einer bindegewebigen Hülleumschlossen. Von dieser ziehen kleine Binde-gewebssepten nach innen, dadurch kommt es zueiner Aufteilung in ca. 250 Hodenläppchen. In
jedem Hodenläppchen befinden sich2 – 4 Hodenkanälchen, die zusam-men eine Länge von ca. 300 Meternerreichen.
Funktionen• SamenzellbildungDie Bildung der Samenzellen (Sper-mien) erfolgt im gewundenen Teilder Hodenkanälchen; diesen Vorgangbezeichnet man als Spermiogenese.Über den gestreckten Teil gelangendie Spermien in das Hodennetz.
• HormonbildungIn den Leydig’schen Zwischenzellen,die zwischen den Hodenkanälchenim Bindegewebe liegen, wird dasAndrogen Testosteron gebildet. MitBeginn der Pubertät schüttet derHypophysenvorderlappen (✑ Kap.15.3.3, S. 304) Hormone aus, die dieSpermienreifung und die Ausschüt-tung von Testosteron anregen. DasTestosteron ist mit den weiblichenSexualhormonen Östrogen und Pro-gesteron verwandt.
14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)278
Hoden (Testis) und Nebenhoden (Epididymis).Abb. 14.2
Bleiben die Hoden im Bauchraum oder imLeistenkanal hängen (Kryptorchismus), ist eineoperative Verlagerung in den Hodensack not-wendig, da für die Bildung der Samenzellen(Spermiogenese) eine etwas niedrigere Tempe-ratur als die Körpertemperatur Voraussetzungist. Außerdem neigen im Bauchraum verbliebeneHoden zu krankhaften Entartungen (Tumoren).
❑P
Nebenhodenkopf(Caput epididymidis)
Bindegewebslager mit Hodennetz(Rete testis)
Hodenläppchen(Lobuli testis)mit Hodenkanälchen(Tubuli seminiferi)
Bindegewebssepten(Septula testis)
Bindegewebshülle(Tunica albuginea)
NebenhodenkörperNebenhodenschweif
mit 4 – 5 m langemNebenhodengang
A. testicularisSamenleiter(Ductus deferens)
V. testicularis
Samenstrang(Funiculus spermaticus)
In der Scheide sind die Spermienca. 2 Stunden, in der Gebärmutterbis zu 48 Stunden befruchtungs-fähig.
❑P
BlutversorgungDie Blutversorgung der Hoden erfolgt durch dieArteria und Vena testicularis.
Nebenhoden (Epididymis) Der Nebenhoden liegt an der Hinterfläche desHodens, also ebenfalls im Hodensack. Vom Hoden-netz ziehen Kanälchen in den Nebenhodenkopfund münden hier in den 4 – 5 m langen auf ca. 5 cm zusammengeknäulten Nebenhodengang.Dieser durchzieht den Nebenhoden und geht amNebenhodenschweif in den Samenleiter über.
FunktionIm Nebenhoden reifen die Samenzellen aus. Erist der wichtigste Speicher für die Spermien.
Samenleiter (Ductus deferens)Länge und LageDie Samenleiter sind 50 – 60 cm lang und habeneinen Durchmesser von 3 mm. Sie ziehen zu-nächst aus dem Hodensack heraus bis vor dieSchambeinäste und von da aus durch denLeistenkanal in das kleine Becken. Anschließendverlaufen die Samenleiter seitlich der Harnblasein enger Nachbarschaft der Bläschendrüsen zumFundus der Harnblase. Hier durchbohren sie vonbeiden Seiten die Vorsteherdrüse und mündeninnerhalb dieser auf dem Samenhügel in dieHarnröhre. Der in der Vorsteherdrüse verlaufen-de Endabschnitt der Samenleiter heißt Spritz-kanal (Ductus ejaculatorius).
FunktionIm Samenleiter erfolgt der Transport der Samen-zellen von den Nebenhoden in die Harnsamen-röhre.
Samenstrang (Funiculus spermaticus)Der Samenstrang liegt im Leistenkanal. Er ent-hält außer dem Samenleiter die A. und V. testicu-laris, Lymphgefäße und Nerven des Hodens.
Bläschendrüsen (Glandula seminalis)Die beiden Bläschendrüsen liegen beidseitig amHarnblasengrund und grenzen dorsal an dasRektum. Ihr Ausführgang verbindet sich mitdem Ductus ejaculatorius.
Funktion Die Bläschendrüsen produzieren für die Beweg-lichkeit der Spermien ein alkalisches Sekret. Esbildet den Hauptteil der Samenflüssigkeit.
Vorsteherdrüse (Prostata)Die kastaniengroße Prostata umschließt denersten Abschnitt der Harnröhre, liegt also zwi-schen Harnblasenfundus, Beckenboden undRektum.
In etwa 30 Einzeldrüsen wird ebenfalls ein alka-lisches Sekret gebildet, das beim Samenerguss(Ejakulation) durch die reichlich vorhandeneglatte Muskulatur rasch in die Harnröhre abge-geben wird. Diese Muskulatur verleiht derProstata eine im Vergleich zu anderen Drüsenfeste Konsistenz. Außen hat sie eine unelastischeKapsel aus straffem Bindegewebe und glatterMuskulatur.
14.1 Männliche Geschlechtsorgane 279
Spermatozyt 2
Spermatozyt 1Ursamenzelle(Spermatogonie)
Sperma-tiden
Sertoli-Zelle
Spermien
1)
Reifung der Samenzellen. Abb. 14.3
1) Stützzellen, die der Ernährung der reifenden Samen-zellen dienen
Die Prostata ist vom Mastdarm aus gut ab-zutasten.❑P
Bei älteren Männern kann sich die Prostata vergrößern (Benigne Prostatahypertrophie –BPH). Die Harnröhre wird eingeengt und derHarn in der Blase zurückgestaut (Retentiourinae).
Der Prostatakrebs ist ein typischer Alterskrebs.
Durch rektale digitale Untersuchung beiMännern über 50 Jahre kann eine vergrößerteProstata (BPH, Krebs) rechtzeitig erkannt unddamit u. U. ein mögliches Prostatakarzinomoder eine Nierenschädigung durch Harnstauverhindert werden.
❑P
Samenflüssigkeit (Sperma)Als Sperma bezeichnet man die bei einemSamenerguss (Ejakulation) über die Harnsamen-röhre ausgestoßene gallertartige weißliche Flüs-sigkeit. Es setzt sich im Wesentlichen aus den inden Hoden gebildeten Spermien und denSekreten von Bläschendrüsen und Prostata zu-sammen.Das Sperma besteht aus ca. 0,5 – 10 mlFlüssigkeit mit 30 – 150 Millionen Spermien proMilliliter. Die Spermien bestehen aus Kopf,Hals, Mittelstück und Schwanz (✑ Abb. 14.10,S. 287).
14.1.2 Äußere männliche Geschlechtsorgane
Zu den äußeren männlichen Geschlechtsorganengehören das männliche Glied sowie der Hoden-sack.
Männliches Glied (Penis)Am Penis unterscheidet man äußerlich drei Ab-schnitte:– Wurzel. Dieser Teil befestigt den Penis an
den Schambeinästen und dem Beckenboden;– Schaft. Das ist der bewegliche Teil ohne Eichel;– Eichel (Glans penis). Die Eichel wird von
einem Doppelblatt der Penishaut (Vorhaut = Präputium) bedeckt.
14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)280
Männliche Harnblase und Penis eröffnet.Abb. 14.4
Harnleiter(Ureter)
Samenleiter(Ductus deferens)
Harnblase(Vesica urinaria)
Mündung des Harnleiters(Osteum ureteris)
Bläschendrüse(Glandula seminalis)
innere Harnröhrenöffnung(Ostium urethrae internum)
Vorsteherdrüse(Prostata)Cowper’sche Drüse(Glandula bulbourethralis)Gliedschenkel(Crura penis)
paarige Gliedschwellkörper(Corpora cavernosa penis)
Schwellkörper derHarnsamenröhre(Corpus spongiosum penis)
Schiffergrube(Fossa navicularis urethrae)
Eichel des Penis(Glans penis)
äußere Harnröhrenöffnung(Ostium urethrae externum)
Samenhügel(Colliculus seminalis)
Mündung des linken Spritzkanals
(Ductus ejaculatorius sinister)
Vorsteherdrüsenabschnittder Harnröhre
(Pars prostatica urethrae)
Beckenbodenabschnittder Harnröhre
(Pars membranacea urethrae)im Diaphragma urogenitale,
vom quer gestreiften Harnröhrenschließmuskel
umgeben
Schwellkörperabschnittder Harnröhre
(Pars spongiosa urethrae)
Im Inneren des Penis liegen dreilang gestreckte Schwellkörper.– Die paarigen Gliedschwell-
körper: Sie liegen im obe-ren Bereich am Penisrücken.
– Der Schwellkörper der Harn-samenröhre: Er umfasst die Harnröhre und trägt an sei-nem vorderen Ende die Ei-chel. Am hinteren Ende ist er zwiebelförmig verdickt. Hier in der Beckenboden-muskulatur liegen auch die beiden erbsengroßen Cowper’schen Drüsen(Glandulae bulbourethrales). Ihr schleimiges Sekret, das kurz vor der eigentlichen Ejakula-tion abgegeben wird, soll die Urinreste der Harnröhre neutralisieren. Die Schwellkörper bestehen aus zahlreichen kleinen Hohlräumen und werden von einer derben Hülle umgeben.
Versteifung bzw. Aufrichtung des GliedesDie Erektion (Aufrichtung) des Gliedes zumZwecke des Geschlechtsverkehrs wird erreicht,indem durch nervale Regulation eine Erweite-rung der zuführenden Arterien bei gleichzeitigerVerengung der abführenden Venen erfolgt. DieSchwellkörper werden prall mit Blut gefüllt,ohne dass jedoch der Blutstrom völlig zum Erlie-gen kommt.
Hodensack (Scrotum)Der Hodensack ist eine Hauttasche, in derHoden, Nebenhoden und die Anfänge derSamenleiter liegen. Die Haut ist pigmentiert undweist als Besonderheit reichlich glattes Muskel-gewebe anstelle von Fettgewebe auf, daher derName Fleischhaut. Dieses Muskelgewebe er-möglicht ein Zusammenziehen der Fleischhautbei niedrigen und Erschlaffen bei höherenTemperaturen im Sinne eines Wärmeregulatorsfür die empfindlichen Keimdrüsen.
14.2 Weibliche Geschlechtsorgane
14.2.1 Innere weibliche Geschlechtsorgane
Zu den inneren weiblichen Geschlechtsorganengehören die paarigen Eierstöcke, die paarigenEileiter, die Gebärmutter und die Scheide.
Eierstock (Ovarium) Größe und LageDie bei der geschlechtsreifen Frau ca. pflaumen-großen (4 cm x 2 cm x l cm) Ovarien liegen anden Seitenwänden des kleinen Beckens, in dersog. Eierstockgrube, zwischen den inneren undäußeren Beckengefäßen.
Mikroskopischer BauVon außen nach innen gibt es 4 Schichten:– Bauchfellüberzug.– Organkapsel aus Bindegewebe.– Eierstockrinde: Sie enthält schon beim Neu-
geborenen ca. 200.000 Follikel mit ebenso vielen Eizellen. Nach der Geburt bilden sich keine neuen Eizellen mehr.
– Eierstockmark: Es besteht aus lockerem Binde-gewebe mit Gefäßen und Nerven.
Funktion 1. Follikelreifung Follikel sind Bläschen aus Follikelepithel, wel-che jeweils eine Eizelle umhüllen. Bereits vor derGeburt beginnen die Reifeteilungen (✑ S. 50).Aber erst mit Beginn der ersten Regelblutung(Menarche) reift in ca. 28 Tagen ein Follikel heran.
14.2 Weibliche Geschlechtsorgane 281
Penisquerschnitt. Abb. 14.5
Haut(Cutis)
Fascia penisScheidewand
(Septum penis)
Gliedschwellkörper(Corpus cavernosum penis)
Bindegewebshülle(Tunica albuginae)
Schwellkörper derHarnsamenröhre
(Corpus spongiosum penis)
Harnröhre(Urethra)
Häufige Entwicklungsstö-rung ist eine zu enge Vorhaut(Phimose).
❑P
Der Penis hat eine Doppelfunktion. Er ist Ge-schlechts- und Ausscheidungsorgan.
Merke
Dabei sind drei Stadien zu beobachten:• Primärfollikel. Die Eizelle ist meist von einer
Schicht Follikelepithelzellen umgeben.• Sekundärfollikel. Durch Teilung der Follikel-
epithelzellen schon in den ersten Lebenstagenwird die Hülle dicker.
• Tertiärfollikel (= Graaf’scher Follikel). Erentwickelt sich zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr. Das Follikelepithel teilt sich schnell. Es entsteht ein mit Flüssigkeit gefüll-ter Hohlraum. Der sprungreife Follikel ist kirschkerngroß und hebt sich bis zum Eisprung(Ovulation) deutlich von der Oberfläche ab.
2. Hormonbildung Im Eierstock werden in bestimmten Zellen Sexual-hormone gebildet. • Ostrogene (Follikelhormone), • Gestagene (Gelbkörperhormon = Progesteron).
Eileiter (Tuba uterina, Salpinx uterina) Der Eileiter ist ein 10 – 15 cm langer Schlauchund dient dem Transport der Eizelle vom Eier-stock in die Gebärmutter. Die äußere trichterför-mige Eileiteröffnung umfasst mit fingerartigenFortsätzen (Fimbrien) den Graaf’schen Follikel,fängt die Eizelle beim Eisprung auf und trans-portiert sie mithilfe von Flimmerbewegungender Flimmerepithelzellen sowie peristaltischenMuskelkontraktionen in die Gebärmutter. DerTransport dauert ca. 4 Tage.
Gebärmutter (Uterus)Form und Größe Die Gebärmutter ist birnenförmig, etwa 7 bis 10 cm lang und wiegt 60 bis 70 Gramm. BeiFrauen, die mehrere Kinder geboren haben(Multipara), ist sie etwas größer als bei Frauen,
die noch keine Kinder geboren haben (Nulli-para).
Gliederung Bei der äußeren Betrachtung der Gebärmuttererkennt man die folgenden Abschnitte. – Gebärmuttergrund (Fundus uteri): Dies ist die
Wölbung über den Eintrittsstellen der Tuben in den Uteruskörper.
– Gebärmutterkörper (Corpus uteri): Im Innerendieses breiten, abgeflachten Teiles liegt die Gebärmutterhöhle (Cavitas uteri) als Entwick-lungsraum für den Keimling. Ihre Form ist im Frontalschnitt dreieckig und im Längsschnitt spaltförmig. Nach unten verengt sich die Gebärmutterhöhle zum Gebärmutterhalskanal = Cervixkanal (Canalis cervicis uteri).
– Gebärmutterhals (Cervix uteri): Zwischen Körper und Hals liegt eine Engstelle als Ver-bindung, der Isthmus uteri. Der obere Teil des Gebärmutterhalses liegt über der Scheide, der untere Halsteil ragt als Mutterkegel (Portio vaginalis) in die Scheide hinein.
Lage Der Uterus liegt im kleinen Becken zwischen der Blase und dem Rektum. Normalerweise ist derKörper nach vorn über die Blase gebeugt(Anteflexio uteri).
Bauchfellbeziehung und BänderDer Bauchfellüberzug des Uterus zieht alsDoppelblatt seitwärts zur Beckenwand. So ent-steht von der Gebärmutter ausgehend das breiteMutterband (Lig. latum uteri) als Aufhängungfür Eileiter und Eierstock. Das Gewebe zwischendem Bauchfelldoppelblatt heißt Parametrium undenthält in Bindegewebe eingebettet Gefäße undNerven. Vom Fundus der Gebärmutter ziehen die
14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)282
Im Eierstock kommen häufig Zysten1) vor.❑P
Über die Eileiter besteht die direkte Verbin-dung von der freien Bauchhöhle über Gebärmut-ter und Scheide nach außen (Infektionsgefahr).Bei gestörtem Auffang- und Transportmechanis-mus kann sich eine befruchtete Eizelle sowohl inder Bauchhöhle als auch im Eileiter einnisten.Im ersten Fall spricht man von einer Bauch-höhlen-, im zweiten von einer Eileiterschwan-gerschaft. Beide sind lebensbedrohlich (Ver-blutungsgefahr) und müssen behandelt werden.
❑P
Der äußere Muttermund ist bei der Nullipara rund und bei der Multipara lippenartig quergestellt. Er kann vom Arzt bei einer gynäkolo-gischen Untersuchung betrachtet werden.
❑P
1) geschwulstartiger Hohlraum mit flüssigem oder breiigem Inhalt
Bei einer Krümmung des Körpers nach hin-ten (Retroflexio uteri) auf den Mastdarm könnte der Weg für die Spermien versperrt werden, weil der äußere Muttermund gegen die vordere Scheidenwand gedrückt wird.
❑P
beiden runden Mutterbänder (Lig.teres uteri) durch den Leisten-kanal zu den großen Schamlippen(✑ Abb. 14.6).
Mikroskopischer Bau der UteruswandDie Uteruswand ist dreischichtig. Von innen nachaußen sind zu unterscheiden: 1. Gebärmutterschleimhaut (Endometrium)
Diese gefäß- u. drüsenreiche Schicht besteht aus– der Basalschicht (direkt an die Muskulatur
grenzend) und
14.2 Weibliche Geschlechtsorgane 283
Gebärmutter(Uterus)
Douglas’scher Raum(Excavatio rectouterina)
Mastdarm(Rektum)
Scheiden-gewölbe(Fornix vaginae)
Scheide(Vagina)
kleine Schamlippe(Labium minuspudendi)
große Schamlippe(Labium majuspudendi)
SymphyseHarnröhre
(Urethra)
Kitzler(Clitoris)
äußere Harnröhrenöffnung
(Ostium urethrae externum)
Eierstock(Ovarium)
Eileiter(Tuba uterina)
Bauchfelltasche zwischen Uterus
und Blase(Excavatio
vesicouterina)
Harnblase(Vesica urinaria)
Weibliche Beckenorgane – Medianschnitt. Abb. 14.7
In der Gynäkologie werdendie dem Uterus „anhängenden“Organe (Eileiter, Eierstock,breites Mutterband) als Adnexe(= Anhangsgebilde) bezeichnet.Dementsprechend heißen Ent-zündungen der Gebärmutteran-hänge Adnexitis. Wegen ähnli-chen Symptomen ist auf eineexakte Unterscheidung zwi-schen Adnexitis und Appen-dizitis (Entzündung des Wurm-fortsatzes) – auch im Hinblickauf therapeutische Maßnahmen– unbedingt zu achten. Der Halteapparat des Uterus wird bei jeder Schwangerschaft gedehnt. Bei manchen Frauen verliert er seinen Halt, und es kommt zum Gebärmuttervorfall (Prolapsus uteri) mit erheblicher Infektionsgefahr.
❑P
Mastdarm(Rektum)
Eierstock(Ovarium)
Gebärmutter(Uterus)
Eileiter(Tuba uterina)
rundesMutterband
(Lig. teres uteri)
Harnblase(Vesica urinaria)
Weibliche Beckenorgane (Frontalschnitt). Abb. 14.6
– der Funktionsschicht, welche während der monatlichen Regelblutung (Menstruation) abgestoßen und in den darauf folgenden Tagen wieder aufgebaut wird.
Die Schleimhaut im Gebärmutterhalskanal enthält palmenblattartige Falten. Hier bilden die Zellen einen Schleimpfropf, der das Ein-dringen von Krankheitserregern von der Scheide her verhindert.
2. Gebärmuttermuskulatur (Myometrium)Diese glatte Muskulatur ist in Spiralzügen an-geordnet und wirkt vor allem als austreibende Kraft während der Geburt des Kindes durch Gebärmutterhalskanal und Scheide.
3. Bauchfellüberzug (Perimetrium)Das Peritoneum überzieht vom Scheitel der Harnblase kommend die Gebärmutterober-fläche. Der Uterus liegt also intraperitoneal und ist entsprechend beweglich (Größen-zunahme bei Schwangerschaft). Von der hin-
teren Seite des Gebärmutterhalses zieht dann das Bauchfell zur Vorderfläche des Rektums.
Scheide (Vagina)Die Scheide ist ein ca. 10 cm langer elastischerSchlauch zwischen Harnröhre und Mastdarm.Vorder- und Hinterwand liegen aufeinander, so-dass ein Querspalt entsteht. Die Wand besitztReservefalten für den Geburtsvorgang, aberauch als Reibefläche für den Penis beimGeschlechtsverkehr (Koitus).Der obere Scheidenteil ist gewölbeartig erweitert(man spricht vom Scheidengewölbe) und umfasstden äußeren Muttermund (Portio vaginalis). Dasuntere Ende der Scheide (Scheideneingang,Scheidenmund) mündet in den Scheidenvorhof.
ScheidenschleimhautDie Schleimhaut der Scheide trägt mehrschichti-ges unverhorntes Plattenepithel. Die Zellen ent-halten sehr viel Glykogen. Nach ihrem Abster-ben bilden Milchsäurebakterien, auch Döder-lein’sche Scheidenbakterien genannt, aus demanfallenden Glykogen Milchsäure. Dadurchwird das Scheidensekret sauer (pH-Wert = 4) undbildet einen wichtigen Infektionsschutz.
14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)284
Fransen/Fimbrien(Fimbriae tubae)
Tubentrichter(Infundibulum tubae uterinae)
Ampulle des Eileiters(Ampulla tubae uterinae)
Eileiterenge(Isthmus tubae uterinae)
Gebärmuttergrund(Fundus uteri)
Gebärmutterkörper(Corpus uteri)
Gebärmutterhals(Cervix uteri)
Muttermund(Ostium uteri)
Scheide(Vagina)Mutterkegel(Portio vaginalis)
Eierstock(Ovarium)
Gebärmutterhöhle(Cavitas uteri)
Gebärmutterenge(Isthmus uteri)
Innere weibliche Geschlechtsorgane von vorn.Abb. 14.8
Das Myometrium neigt zur Bildung gut-artiger Gewächse (Myome).❑P
FunktionDie Scheide hat 3 Aufgaben: Sie– ist das weibliche Geschlechtsorgan,– nimmt das ejakulierte Sperma auf (Speiche-
rung im hinteren Scheidengewölbe) und– dient als Geburtskanal.Diesen Funktionen entsprechend ist die Scheideelastisch, dehn- und verformbar.
14.2.2 Äußere weibliche Geschlechtsorgane
Das äußere Genitale der Frau wird als Vulva (= weibliche Scham) bezeichnet. Es besteht aus: • Schamberg (= Venushügel), • paarige große Schamlippen, • paarige kleine Schamlippen, • Scheidenvorhof und• Kitzler.
Schamberg (Mons pubis)Der Schamberg ist ein Fettpolster. Er liegt über
dem vorderen Zusammenschluss der großen Schamlippen und ist behaart. Die Behaarung schließt nach oben horizonta1 ab.
Große Schamlippen (Labia majora pudendi)Die großen Schamlippen werden aus 2 breitenbehaarten Hautwülsten gebildet und umschließendie Schamspalte (Rima pudendi). Sie enthaltenTalg-, Schweiß- und Duftdrüsen.
Kleine Schamlippen (Labia minora pudendi) Die kleinen Schamlippen sind fettfreie, mit Talg-drüsen versehene dünne unbehaarte Hautfalten,die an der Innenseite der großen Schamlippenliegen.
Scheidenvorhof (Vestibulum vaginae)Der Scheidenvorhof ist der Raum zwischen denkleinen Schamlippen. In ihm liegen von vornnach hinten– die äußere Harnröhrenöffnung (Ostium urthrae
externum) und – der Scheideneingang (Ostium vaginae).
Kitzler (Clitoris)Der Kitzler besteht aus Schwellkörpergewebe.Er ähnelt in seinem Bau dem Penis und erigiertbei sexueller Stimulation. Die Clitoris ist von derKitzlervorhaut (Preputium clitoris) umgeben,und seine Schleimhaut ist reichlich mit sensiblenNervenendungen versorgt.
14.2 Weibliche Geschlechtsorgane 285
Scheidenspülungen sollten wegen Beein-trächtigung der Scheidenflora nicht zu häufigvorgenommen werden. Beim Scheidenabstrich wird die hintere Wand der Scheide im oberen Bereich abge-tupft und so Zellen für die mikroskopische Untersuchung gewonnen.
❑P
Äußere weibliche Geschlechtsorgane. Abb. 14.9
vorderer Zusammenschluss der
großen Schamlippen(Commissura
labiorum anterior)
Kitzlervorhaut(Preputium clitoris)
Kitzler(Clitoris)
äußere Harnröhrenöffnung(Ostium urethrae externum)
Scheideneingang(Ostium vaginae)
Reste desJungfernhäutchens(Carunculae hymenales)
Damm(Perineum)
Schamberg(Mons pubis)
große Schamlippe(Labium majus pudendi)
kleine Schamlippe(Labium minus pudendi)
Scheidenvorhof(Vestibulum vaginae)
hinterer Zusammen-schluss der großen Schamlippen(Commissuralabiorum posterior)
After(Anus)
Jungfernhäutchen (Hymen)Der Hymen ist eine dünne Schleimhautplatte amScheideneingang und engt dessen Öffnung ein.Es trennt mithin äußere und innere weiblicheGeschlechtsorgane. Beim Kind stellt er einen zusätzlichen Infektionsschutz dar. Beim erstenGeschlechtsverkehr wird das Jungfernhäutchenzerstört (= Defloration). Dieser Vorgang kannschmerzhaft sein und zu einer geringfügigenBlutung führen.
14.3 Fortpflanzung und Individual-entwicklung des Menschen bis zur Geburt (Überblick)
Fortpflanzung bedeutet Reproduktion artgleicherNachkommen, wobei die Erbinformationen vonden Eltern auf die Nachkommen übertragen wer-den (✑ Kap. 2.5, ab S. 43). Der Mensch pflanztsich geschlechtlich (sexuell) fort, d. h. mit Hilfevon Geschlechtszellen.
Die Individualentwicklung (Ontogenese) desMenschen läßt sich in 4 Entwicklungsperiodengliedern (✑ Tab 14.1).
Geschlechtsverkehr (Coitus, Kohabitation, Bei-schlaf)Der Geschlechtsverkehr ist normalerweise dieVoraussetzung für die Befruchtung. Hierbei wirddas männliche Glied (Penis) in die weibliche Schei-de (Vagina) eingeführt und die Samenflüssigkeit(Sperma, Ejakulat) entleert. Der Geschlechtsaktkann in 4 Phasen eingeteilt werden, die vomvegetativen Nervensystem gesteuert werden (✑ Tab. 14.2 auf Seite 288).
Weg der Eizelle In einem Eierstock eines Mädchens befindensich bereits bei der Geburt ca. 200.000 Ureizel-len, eingeschlossen von sog. Follikelzellen
14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)286
Entwicklungsperiode wichtige Wachstums- und Entwicklungsprozesse (bzw. Merkmale)
1. BefruchtungEmbryonal-/ undFetalentwicklung
2. Säuglings-, Kindes- und Jugendentwicklung
3. Erwachsenenstadium(adulde Periode)
4. Altern (Seneszenz)Tod
– Furchung (Blastogenese)– Keimblätterbildung (Gastrulation)– Bildung der Organanlagen und Organe (Organogenese)Diese Periode ist durch ein intensives Zellteilungswachstum undvielfältige Zelldifferenzierungen gekennzeichnet.
– Wachstum und weitere Organausbildung, insbesondere der Geschlechtsorgane und sekundären Geschlechtsmerkmale
In dieser Periode wird die Fortpflanzungsfähigkeit erreicht und dasWachstum abgeschlossen.
– Zellen, Gewebe und Organe sind voll leistungsfähig– Bildung und Reifung der Geschlechtszellen– FortpflanzungHier erreicht der Mensch seine optimale körperliche und geistigeLeistungsfähigkeit.
– Abbauprozesse, Gewebsrückbildung– Nachlassen der StoffwechselintensitätIn der 4. Periode kommt es zum Nachlassen der Leistungsfähigkeit.Die Individualentwicklung endet mit dem Tod.
Entwicklungsperioden der Individualentwicklung.Tab. 14.1
Die individuelle Entwicklung des Menschenbeginnt mit der Befruchtung und endet mitdem Tod. Man unterscheidet die vorgeburt-liche (pränatale) und nachgeburtliche (post-natale) Entwicklung. Die menschlichen Ent-wicklungsperioden werden von biologischen,psychischen und sozialen Faktoren beein-flusst.
Merke
14.3 Fortpflanzung und Individualentwicklung 287
Befruchtung
haploide Eizelle
Beginn der Zellteilung
haploide Samenzelle
� und � Vorkerne ver-schmelzen zu diploider Zygote
22 Autochromosomenpaare + X, X = weiblichoder
22 Autochromosomenpaare + X, Y = männlich
Eizelle
Hüllenzellen
Follikelflüssigkeit
Eizelle
Follikelzellen
Eileiter(Tuba uterina)
Eierstock(Ovarium)
Eileiter(Tuba uterina)
Eierstock(Ovarium)
Scheide(Vagina)
Gebärmutter(Uterus)
äußerer Muttermund(Ostium externum uteri)
Kopf mit Kopfkappe(Akrosom)
Hals mit ZentriolMittelstück mit Mitochondrien
Achsenfaden aus Mikrotubuli
Schwanz
sprungreifer Follikel(Tertiärfollikel =
Graaf’scher Follikel)
Weg der Samen- und Eizelle zum Ort der Befruchtung. Abb. 14.10
(Eizelle plus Follikelzellen gleich Primordialfol-likel). Mit Beginn der Pubertät reift in jedemZyklus ein Follikel und wird sprungfähig.
Der sprungreife Follikel heißt Tertiär- oderGraaf’scher Follikel.
Eisprung (= Follikelsprung = Ovulation)Der reife Follikel erreicht einen Durchmesservon 1 – 2 cm. Er reißt schließlich ein. Eizelleund Hüllzellen gelangen mit der Follikelflüssig-keit in den Eileiter. Der Eisprung erfolgt beieinem 28-tägigen Zyklus in der Regel zwischendem 12. und 15. Tag. In dieser Zeit ist eine Be-fruchtung am wahrscheinlichsten. Die Eizelle istnur 12 Stunden befruchtungsfähig.
Weg der Samenzellen (= Spermien) Beim Geschlechtsverkehr (Coitus) gelangen mitder Samenflüssigkeit ca. 200 bis 300 Mill. Samen-zellen vom Hoden über Nebenhoden, Samenlei-ter und Harnsamenröhre in die Scheide. Von daaus wandern sie aufgrund ihrer Eigenbeweglich-keit über die Gebärmutter ebenfalls in den Eilei-ter (Zeitdauer: 45 – 60 Min.). Die Samenzellensind höchstens 72 Stunden befruchtungsfähig.
Befruchtung (Fertilisation)Unter Befruchtung versteht man die Verschmel-zung einer haploiden Samenzelle mit einer haploiden Eizelle zu einer diploiden Zygote = befruchtete Eizelle). Die Zygote ist die erste Körperzelle des neuen Organismus. Die Be-fruchtung findet in der Regel im Eileiter statt.
FurchungUnter Furchung versteht man die ersten mitoti-schen Zellteilungen der Zygote auf ihrem Wegdurch den Eileiter in die Gebärmutter. Sie be-ginnt ca. 30 Stunden nach der Befruchtung. Nachca. 72 Stunden ist die Gebärmutter erreicht undein stecknadelkopfgroßer Zellhaufen aus 32 Zel-len entstanden – die Morula (= maulbeerförmigerKeim). Anschließend bildet sich durch Verlage-rung der Zellen aus der Morula die Blastozyste(= bläschenförmiger Keim). Die Zellen werden nun-mehr als Blastomeren bezeichnet. In Abb. 14.11
14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)288
Die vier Phasen des Geschlechtsaktes.Tab. 14.2
Phase Mann Frau
Erregungsphase
Plateauphase
Orgasmusphase(= Höhepunkt desGeschlechtsver-kehrs)
Rückbildungs-phase
Schwellkörper entleeren sich; Erschlaf-fung und Verkleinerung des Penis.
Schwellkörper entleeren sich; Muskel-tonus von Uterus, Vagina und Becken-boden normalisieren sich.
Ausstoßen der Samenflüssigkeit (= Eja-kulation) durch rhythmische Kontraktio-nen der Beckenboden- und Samenleiter-muskulatur.
Entstehung der sog. orgastischen Man-schette in der Vaginawand; rhythmischeKontraktionen der Vaginal-, Uterus- undBeckenbodenmuskulatur.
Sekret der Cowper’schen-Drüsen wird zur Neutralisierung von Harnresten indie Harnröhre ausgestoßen.
Optimales Anschwellen der Schwell-körper des Kitzlers (Clitoris).
Versteifung (Erektion) und Vergröße-rung des Penis.
Erweiterung und Befeuchtung der Vagina.
Beim Menschen bestimmen die Geschlechts-chromosomen das Geschlecht. XX-Zygotenergeben weibliche und XY-Zygoten männli-che Individuen. Entscheidend für das Ge-schlecht des Kindes ist somit die Samenzelle.
Merke
Ursachen für Unfruchtbarkeit können sein:Beim Mann – zu geringe Spermienzahl, – missgebildete Spermien, – zu geringe Beweglichkeit der Spermien, – nicht durchgängige Samenleiter; bei der Frau – Missbildungen der inneren Geschlechts-
organe, – Funktionsstörungen der Eierstöcke oder
der Gebärmutter, – nicht durchgängige Eileiter.
❑P
sind die Teile der Blastozyste zu erkennen:– innen die Blastozystenhöhle mit Flüssigkeit,– die äußeren Blastomeren als einschichtige
Hülle und– die inneren Blastomeren als kleiner Zellhaufen.
Einnistung (Nidation)Im zuvor beschriebenen Entwicklungszustandbeginnt in der 2. Entwicklungswoche die Ein-nistung in die jetzt besonders saftreiche Gebär-mutterschleimhaut. Die Blastozyste dringt in dieSchleimhaut ein und verwächst mit ihr. Diesgeschieht mithilfe von Enzymen der Trophoblast-zellen.Schon zu diesem Zeitpunkt produziert derTrophoblast auch das SchwangerschaftshormonChoriongonadotropin, das den Gelbkörper zurweiteren Progesteronsynthese anregt. Das Pro-gesteron verhindert den Abbau der Gebärmutter-schleimhaut.
Keimblattbildung (= Gastrulation)Nach der Nidation der Blastozyste differenzierensich die Zellen des Embryoblasten in 3 Schichten(Keimblätter): Ektoderm (= äußeres Keimblatt),das auch das Amnion bildet, Mesoderm (= mitt-leres Keimblatt), Entoderm (= inneres Keimblatt).
14.3 Fortpflanzung und Individualentwicklung 289
Einnistung (Nidation)
Gebärmutterschleimhaut(Endometrium)
innere Blastomeren
äußere Blastomeren
2-Zellen-Stadium
4-Zellen-Stadium
8-Zellen-Stadium
Morula Blastozyste
➞
➞
➞➞
➞
Die Stadien der Furchung. Abb. 14.11
Aus den äußeren Blastomeren entwickelt sichder Trophoblast, der sich mit Teilen der Gebär-mutterschleimhaut zum Mutterkuchen (Pla-centa) umbildet, und aus den inneren derEmbryoblast, aus dem die eigentliche Keim-und Fruchtanlage entsteht.
Merke
Zygote
Morula
Blastozyste
TrophoblastEmbryoblast
Furchung
Zellumlagerung
äußere Blastomereninnere Blastomeren
Bereits 1 Woche nach der Befruchtung kann das Choriongonadotropin im Blut bzw. Urin nachgewiesen und eine Schwangerschaft fest-gestellt werden (immunologischer Schwanger-schaftstest).
❑P
Furchung. Tab. 14.3
OrganbildungAus den Keimblättern bilden sich durch weitereZellverlagerungen und Zelldifferenzierungen dieeinzelnen Organanlagen für die späteren Organe.
In der Tabelle 14.4 sind die wichtigsten Merk-male der einzelnen Entwicklungsphasen zusam-mengestellt.
Versorgung des KeimlingsUnmittelbar nach der Einnistung wird der Keim-ling mit Stoffen aus dem mütterlichen Gewebe zunächst über den Trophoblasten versorgt. NachBildung der Placenta (Mutterkuchen, Nachge-burt) übernimmt diese die Ver- und Entsorgung.Die scheibenförmige Placenta (Durchmesser =15 – 20 cm, Masse = ca. 500 g) besteht auseinem mütterlichen Anteil (stammt von derGebärmutterschleimhaut) und einem kindlichenAnteil (stammt vom Trophoblasten). Sie sitzt
normalerweise im oberen Teil der Uterushöhlean der Vorder- oder Hinterseite. Die ca. 50 cmlange Nabelschnur verbindet Placenta und Kind.Sie enthält 3 Blutgefäße: 1 Nabelvene (V. umbi-licalis) leitet das Blut von der Placenta zum Kind,und 2 Nabelarterien (Aa. umbilicales) leiten dasBlut vom Kind zur Placenta zurück.Eine Vermischung von kindlichem und mütter-lichem Blut findet nicht statt.
14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)290
Überblick über wichtige Phasen der Embryonalentwicklung.Tab. 14.4
Monat Länge Masse Merkmale Bemerkungen(in cm) (in g)
1. 0,5 Typische Körpergliederung; Anlagen für Nerven- Keimling system, Augen, Ohren; einfacher Blutkreislauf. (= Embryo).
2. 2 1 Knorpelskelett.
3. 9 35 Alle Organanlagen, Geschlecht feststellbar. Von nun an heißtder Keimling Fetus.
4./5. 25 500 Beginn der Verknöcherung, Lanugobehaarung, Mutter spürtHerzschlag hörbar. Bewegungen.
6. Zahnanlagen, Öffnen der Augen.
7. 40 1.300 Alle Organe ausgebildet. Frühgeburt – eingeschränkteLeistungsfähigkeit.
8. 50 3.000 Starke Massezunahme. Reifezeichen–3.500 vollständig.
In den ersten drei Schwangerschaftsmonatenist der Embryo aufgrund der Organbildung be-sonders stark gefährdet. Schädigende Einflüsseüben z. B. bestimmte Medikamente, Viren,radioaktive Strahlen, Röntgenstrahlen, Alkoholund Nikotin aus.
❑P
Medikamente, Alkohol, Nikotin, Drogen,Toxine, Viren und Bakterien können die Pla-centaschranke überwinden und dem Embryoschwerwiegende Schäden zufügen.
❑P
Neben der Versorgung des Kindes mit allenlebensnotwendigen Stoffen und der Entsor-gung von Stoffwechselprodukten sichert diePlacenta durch die Produktion von Hormo-nen (Choriongonadotropin = HCG und Pla-centalaktogen = HPL als schwangerschaftsspe-zifische Hormone; Östrogene, Progesteron)und Enzymen den Erhalt der Schwanger-schaft.
Merke
14.3 Fortpflanzung und Individualentwicklung 291
Der Blutkreislauf des Keimlings (Fetalkreislauf). Abb. 14.12
Vor Abtrennung der Nabelschnur Nach Abtrennung der Nabelschnur
Aortenbogen(Arcus aortae)
linker Vorhof(Atrium sinistrum)
Bauchaorta(Pars abdominalis
aortae)
Leber(Hepar)
untere Hohlvene
(V. cava inferior)
Nabel(Umbilicus)
Nabelschnur(Chorda umbilicalis)
Mutterkuchen(Placenta)
Fruchtblase mit FruchtwasserGebärmutterschleimhaut
(Endometrium)
Scheide(Vagina)■ arterielles Blut
■ venöses Blut■ Mischblut
Gebärmutter(Uterus)
rechter Vorhof(Atrium dextrum)
Ductus arteriosus
Ductus venosusovales Loch(Foramen ovale)
geschlossenoffen
Der Blutkreislauf des Keimlings (Fetalkreislauf)In der 2. Schwangerschaftshälfte bildet sich derKreislauf des Fetus heraus. Seine Besonderheitbesteht darin, dass mit Ausnahme der Nabel-schnurvene alle anderen Gefäße Mischblut füh-ren. Der Stoffaustausch erfolgt in der Placenta,in der mütterlicher und fetaler Kreislauf völliggetrennt sind. Das Blut des Keimlings wirddurch die Arbeit seines Herzens bewegt.
Dadurch gelangt in Lunge und Leber relativwenig Blut. Dies ist aber ausreichend, da durchdie fehlende äußere Atmung und die von derMutter fertig aufbereiteten Nährstoffe beideOrgane ihre volle Funktion noch nicht erfüllenmüssen. Kurz nach der Geburt werden dieShunts geschlossen.
Umbildungen im Kreislauf nach der Geburt Beim ersten Atemzug des Neugeborenen vollzie-hen sich folgende Umbildungen: – Durch Entfaltung der Lungen wird das Blut
aus dem Truncus pulmonalis angesaugt, durchströmt die Lungen und fließt über die Lungenvenen in den linken Vorhof.
– Der im linken Vorhof entstehende Druck schließt das Foramen ovale.
– Nabelschnurgefäße, Ductus arteriosus und Ductus venosus veröden in den ersten Lebens-monaten zu bindegewebigen Strängen.
Schutz des KeimlingsDer Keimling wird durch das Fruchtwasser unddie aus den Eihüllen bestehenden Fruchthüllenwirksam geschützt. Bereits 6 Wochen nach derBefruchtung schwimmt der Embryo im Frucht-wasser der Amnionhöhle, die später zur Frucht-blase wird.
Das Fruchtwasser wird ständig von den Epithelzellen der Fruchthöhlen produziert undauch wieder resorbiert, es wird also laufenderneuert. Dabei halten sich Produktion undResorption im Gleichgewicht. In der spätenSchwangerschaft beträgt die normale Menge ca. 1 Liter.
GeburtDie Schwangerschaft des Menschen dauert ca. 40 Wochen (280 Tage). Der voraussichtlicheGeburtstermin wird wie folgt bestimmt:1. Tag der letzten Regelblutung minus 3 Monateplus 7 Tage plus 1 Jahr.
Beispiel:1. Tag der letzten Regel = 1. 3. minus 3 Monate plus 7 Tage plus 1 Jahr ergibt den 8. 12. als voraussichtlichen Geburtstermin.
GeburtsverlaufDer Verlauf der normalen Geburt wird in 3 Perioden eingeteilt.– Eröffnungsperiode
Beginnt mit der regelmäßigen Wehentätigkeit
14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)292
Die Nabelschnur enthält 3 Gefäße:– 1 Nabelschnurvene, die das sauerstoff- und
nährstoffreiche Blut von der Placenta in den Keimling leitet;
– 2 Nabelschnurarterien, die das verbrauchte Blut aus dem Keimling in die Placenta zu-rückführen.
Der fetale Kreislauf ist gekennzeichnet durch 3 physiologische Shunts (Kurzschlussver-bindungen)– Umgehung der Leber: Ductus venosus
Arantii (zwischen Nabel- und unterer Hohlvene);
– Umgehung der Lunge: • Foramen ovale (im Vorhofseptum); • Ductus arteriosus Botalli (zwischen Trun-
cus pulmonalis und Aorta).
Merke
Nicht selten wird das Foramen ovale, alsodie Öffnung im Vorhofseptum, nicht vollstän-dig geschlossen. Bei nur geringer Restöffnung ergeben sich kaum nachteilige Folgen; bei voll-ständig persistierender Öffnung muss dieseoperativ geschlossen werden.
❑P
In Flüssigkeiten breitet sich der Druckgleichmäßig nach allen Seiten aus, sodass einoptimaler Schutz des Kindes – vor allem vorDruck – besteht. Gleichzeitig schützt dasFruchtwasser vor Temperaturveränderungenund äußeren Einflüssen.
Merke
und endet mit der vollständigen Eröffnung desMuttermundes und normalerweise dem Plat- zen der Fruchtblase. Der Kopf des Kindes hat sich bis zum Beckenboden geschoben. Dauer bei Erstgebärenden: ca. 12 Stunden.
– AustreibungsperiodeSie beginnt, wenn der Muttermund vollständig
eröffnet ist und endet mit der Geburt des Kindes.Dauer bei Erstgebärenden: ca. 30 Minuten.
– NachgeburtsperiodeDas ist der Zeitraum von der Geburt des Kindesbis zum Abstoßen der Placenta (= Nachge-burt). Der Geburtsvorgang ist damit beendet.Dauer: 15 – 20 Minuten.
14.3 Fortpflanzung und Individualentwicklung 293
Die drei Perioden des Geburtsverlaufes. Abb. 14.13
Eröffnungsperioderegelmäßige
WehentätigkeitÖffnung des
MuttermundesPlatzen der Fruchtblase
Austreibungsperiodevollständige Öffnung des MuttermundesGeburt des Kindes
NachgeburtsperiodeAbstoßen der Placenta
PlacentaNabelschnur
Muttermund
14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)294
1. Geben Sie einen Überblick über die männlichen Geschlechtsorgane und deren Lage.2. Welche Aufgaben erfüllen die inneren männlichen Genitalorgane? 3. Wie ist das Sperma zusammengesetzt? 4. Beschreiben Sie den Weg der Spermien vom Bildungsort zum Ort der Befruchtung. 5. Geben Sie einen Überblick über die weiblichen Geschlechtsorgane und deren Lage. 6. Beschreiben Sie die Follikelreifung im Eierstock. 7. Welche Aufgabe hat der Eileiter, und wie erfüllt er sie? 8. Beschreiben Sie den Aufbau des Uterus. 9. Was bedeutet der Begriff „Adnexe“?
10. Begründen Sie, warum eine gesunde Scheidenflora der wichtigste Schutz gegenInfektionen der inneren weiblichen Geschlechtsorgane ist.
11. Was versteht man unter dem Scheidenvorhof?Welche Gebilde liegen in ihm?
12. Nennen und beschreiben Sie die Entwicklungsperioden in der menschlichen Individual-entwicklung.
13. Was versteht man unter der Befruchtung, und welches sind die wichtigsten Ergebnisse? 14. Was geschieht während der Furchung? 15. Unterscheiden Sie Trophoblast und Embryoblast. 16. Was versteht man unter Nidation? 17. Wie erfolgen Versorgung und Schutz des Embryos bzw. des Fetus? 18. Welche Besonderheiten kennzeichnen den fetalen Kreislauf, und welche Umstellungen
vollziehen sich nach der Geburt? 19. Überlegen Sie, welche Folgen ein sich nicht schließendes Foramen ovale für den Organis-
mus hat. 20. Wie wird der Geburtstermin bestimmt? 21. In welche Perioden wird der Geburtsverlauf eingeteilt, und wodurch sind diese gekenn-
zeichnet?
Fragen zur Wiederholung
Hormonsystem und Nervensystem koordinierenim engen Zusammenwirken aller Organfunk-tionen. Sie werden deshalb auch als Koordina-tionssysteme bezeichnet. Dementsprechend wer-den hormonelles und nervales Regulations-system unterschieden. Beide Systeme beeinflussen sich wechselseitig.So können Aktionspotentiale Hormonfreiset-zung und umgekehrt Hormone Aktionspotential-bildung bewirken. Vorrangig hormonell reguliertwerden langsam ablaufende Lebensprozesse(z. B. Wachstums- und Entwicklungsprozesse,Energiestoffwechsel). Vorrangig nerval reguliertwerden Lebensprozesse, die schnell ablaufenmüssen (z. B. Pupillenadaptation, Anpassung derHerzfrequenz).
15.1 Regulationsfunktionen der Hormone
Das Hormonsystem reguliert durch Hormone: – die Nahrungsaufnahme,– den Stoffwechsel,– die Homöostase des inneren Milieus (z. B.
Wasser-Salz-Haushalt, Säure-Basen-Haushalt,Kreislauf, Wärmehaushalt),
– das Wachstum sowie die körperliche, sexuelle und geistige Entwicklung,
– die Leistungsanpassung (z. B. Blutdruck),– die Fortpflanzungsmechanismen (Bildung und
Reifung der Samen- und Eizellen, Schwanger-schaft, Geburt).
Die Hormon- oder endokrinen Drüsen sind eigenständige Organe (z. B. Schilddrüse), die imUnterschied zu den exokrinen Drüsen keinenAusführgang besitzen (✑ S. 87).Ansammlungen hormonbildender Zellen sind z. B. die Langerhans’schen Inseln des Pankreasund die Leydig’schen Zwischenzellen in denHoden.
HormoneDie Hormone gehören wie die Vitamine undEnzyme zu den Wirkstoffen. Diese meist organi-schen Verbindungen besitzen eine hohe und spe-zifische biologische Wirkung, d. h., geringsteMengen lösen bereits spezifische biologischeReaktionen aus. Die Hormone sind chemischeSignal- und Regulatorstoffe. Sie werden deshalbin treffender Weise als Botenstoffe bezeichnet.
EinteilungWegen der fließenden Übergänge von Hormonenund hormonähnlichen Stoffen ist es zweck-mäßig, diesbezüglich von 4 Stoffklassen zu spre-chen:1. Glanduläre Hormone (= Drüsenhormone)
Die Bildung erfolgt in Drüsen. Die Hormone diffundieren über die interstitielle Flüssigkeit in das Blut oder die Lymphe. Mit dem Blutstrom werden sie rasch im Körper verteilt (Fern-wirkung) und erreichen so ihren Wirkungsort – entweder eine untergeordnete endokrine Drüse oder nichtendokrine Zellen (✑ Tab 15.1).
2. Aglanduläre Hormone (Gewebshormone)Diese Hormone werden nicht in Drüsen, son-dern in spezialisierten Zellgruppen bestimmteranderer Gewebe bzw. Organe gebildet, daher der Name Gewebshormon. Meist gelangen sie durch Diffusion in die interstitielle Flüssig-keit zum Erfolgsorgan, in einigen Fällen aber auch über den Blutweg.
295
15 Hormonsystem (Endokrines System)
Das Hormonsystem realisiert seine Funktionmithilfe von Hormonen (= Inkrete).
Merke
Hormone sind biochemische Regulatorstoffe.Sie werden entweder in Hormondrüsen oderzerstreut verteilten endokrinen Zellen gebil-det und gelangen meist mit dem Blutstrom zuihren Erfolgsorganen.
Merke
Die glandulären Hormone werden in Drüsengebildet und gelangen durch den Blutkreis-lauf zum Wirkungsort. Bildungs- und Wir-kungsort liegen meist weit entfernt.
Merke
3. Neurosekretorische HormoneDiese Hormone werden in Nervenzellen ge-bildet (Neurosekretion) und gelangen über die Blutbahn zum Erfolgsorgan. Zu ihnen gehören die Hormone des Hypothalamus: Releasing- und Inhibitinghormone, Oxytocin und Adi-uretin.
4. Mediatorstoffe (Mediatoren, Ver-mittler)Diese Wirkstoffe werden in vielen Zellen (häufig bei Erkrankungen wie Allergien, Entzündungen) ge-bildet. Sie diffundieren nur inner-halb des Gewebes, wirken also lokal.Typische Mediatorstoffe sind Hista-min, Serotonin und die Protaglan-dine.Die Zuordnung von Wirkstoffen ist manchmal schwierig. So sind Adre-nalin und Noradrenalin einerseits glanduläre Hormone, wenn sie vom
Nebennierenmark an das Blut abgegeben wer-den. Sie gelten aber auch als neurosekretorischeHormone (Neurotransmitter, chemische Über-trägerstoffe).
Alle schlecht wasserlöslichen Steroidhormone,aber auch verschiedene wasserlösliche Hormonewerden im Blut an zum Teil spezifische
Transportproteinegebunden und sozu ihrem Zielorttransportiert.Beispiel:Transcortin für Cor-tisol und Progeste-ron, Sexualhormon-Bindungs-Globulinfür Testosteron unddie Östrogene, thyroxinbindendesGlobulin (TBG)für Thyroxin.
Die meisten Hor-mone gehören zuden Peptiden bzw.Proteinen sowieden Steroiden.
15 Hormonsystem (Endokrines System)296
Hormon Bildungsort
Thyroxin, Trijodthyronin,Calcitonin
Parathormon (= Parathyrin)
Aldosteron, Cortisol
Adrenalin, Noradrenalin
Östrogene, Progesteron
Testosteron
Insulin, Glukagon
Schildrüse
Nebenschilddrüse
Nebennierenrinde (NNR)
Nebennierenmark (NNM)
Eierstöcke
Hoden
Bauchspeicheldrüse
Glanduläre Hormone.Tab. 15.1
Die aglandulären Hormone wirken in derRegel in unmittelbarer Nähe ihrer Bildungs-stellen, also lokal (Nahwirkung). Zu denaglandulären Hormonen gehören die Hormonedes Magen-Darm-Traktes (z. B. Gastrin) undder Niere (Renin, Erythropoetin).
Merke
Hormongruppen
Hauptgruppen kleine Gruppen
Steroidhormone Peptid- und Glykoproteinhormone
• leitet sich vomCholesterol ab
• fettlöslich(lipophil)
VertreterAldosteron
CortisolTestosteronÖstrogene
Progesteron
• aus Aminosäurenaufgebaut
• wasserlöslich(hydrophil)
Vertreter alle Hormone mitAusnahme der
Steroidhormone und Hormone
der kleinen Gruppe
• Hormone, die sich von einer Aminosäure ableiten
Vertreter Adrenalin
NoradrenalinThyroxin
Trijodthyronin
Chemische Struktur der Hormone.Tab. 15.2
Bei der Einteilung der biochemischen Regu-latorstoffe ist es wegen der fließenden Über-gänge zweckmäßig, glanduläre, aglanduläreund neurosekretorische Hormone einerseitsund Mediatorstoffe andererseits zu unter-scheiden.
Merke
HormonalesRegulationssystemDas hormonale Regulations-system besteht aus folgendenHauptteilen:– Hormonproduzierende Zellen
(Bildungsort des Hormons),– Blut als Transportmittel,– Erfolgsorgan (Wirkungsort
des Hormons),– Organe, in denen über-
schüssige Hormone inakti-viert und eliminiert werden.Auf diese Weise werden zu hohe Hormonspiegel ver-hindert. Die meisten Hor-mone werden in der Leber inaktiviert und die Abbau-produkte über die Niere ausgeschieden.
Biologischer Regelkreis als Regulator derHormonproduktionDie Hormonkonzentrationenim Blutplasma werden in vie-len Fällen nach dem Prinzipder negativen Rückkopplungkonstant gehalten: Ein Anstiegder Hormonkonzentration imPlasma wirkt hemmend auf seine Freisetzung,ein Abfall dagegen fördernd.
Hormonrezeptoren und ErfolgsorganeHormonrezeptoren gehören zu den molekularenRezeptoren (biochemische Definition). Aufmolekularer Ebene versteht man unter einemRezeptor ein Molekül (meist sind es Glykolipideoder Glykoproteine), das Reaktionspartner für
ein anderes Molekül oder Ion (= Ligand, Agonist)mit Reiz- bzw. Signalwirkung ist.Durch den Kontakt in der Zelle werden be-stimmte Effekte (z. B. die Synthese einesEnzymeiweißes) ausgelöst. Den Mechanismuskann man sich als Schlüssel(Ligand)-Schloss-(Rezeptor)-Prinzip vorstellen. Stoffe, die diemolekularen Rezeptoren hemmen bzw. blockie-ren, werden als Antagonisten bezeichnet.
Die Rezeptoren für die wasserlösli-chen Hormone befinden sich auf derZellmembran, jene für die Steroid-hormone sitzen am Zellkern oderanderen Zellorganellen, also innerhalbder Zellen.
15.1 Regulationsfunktionen der Hormone 297
Hypothalamus
Hypophysenvorderlappen
periphere endokrine Drüse
Erfolgsorgan
Übergeordnete Zentren des ZNS
effektorische Hormone
glandotrope Hormone+
Releasinghormone+
+
Inhibitinghormone–
–
+ = fördern– = hemmen
–
–
nega
tive
Rüc
kkop
plun
g
Hierarchie der Hormone. Tab. 15.3
Effekt(z. B. Synthese
eines bestimmten Enzymeiweißes)
„Schlüssel“
„Schloss“
Schlüssel-Schloss-PrinzipTab. 15.4
Ligand, Agonist(z. B. Hormon, Bakterientoxin, Opiat, Antigen)
Rezeptor(Glykolipid,
Glykoprotein)
Die Rezeptoren für Hormone sindspezifische Moleküle, die die Hor-mone binden und dadurch ihreWirkung vermitteln.
Merke
Wirkungsweise der HormoneJedes Hormon hat spezifische chemische Wir-kungen (d. h., es beeinflusst ganz bestimmtechemische Vorgänge), die in der Regel durchkeinen anderen chemischen Stoff hervorgerufenwerden können. Man unterscheidet 2 Primärreaktionen:1. Die Steroid- und Schilddrüsenhormone diffun-
dieren durch die Zellmembran in die Zelle und binden sich an einen intrazellulären Rezeptor. Anschließend wird der Hormon-Rezeptor-Komplex in den Zellkern transportiert und die Transkription beeinflusst.
2. Alle übrigen Hormone verbinden sich mit einem Zellmembranrezeptor. Dadurch bewir-ken sie die Bildung eines 2. Boten (second messenger) in der Zelle, der dann die typische Wirkung vermittelt. Dieser 2. Bote ist häu-fig das cyclische Adenosinmonophosphat (cAMP).
15.2 Hormongruppen
Bezüglich ihrer Funktionsweise lassen sich 3 Hormongruppen unterscheiden:• Releasinghormone und Inhibitinghormone
Sie werden in der hypophysiotropen Zone des Hypothalamus gebildet und regulierendie Bildung und Freisetzung der Hormone des Hypophysenvorderlappens.
• Glandotrope HormoneSie werden im Hypophysenvorderlappen ge-bildet und regulieren die Tätigkeit von Schild-drüse, Nebennieren und Keimdrüsen.
• Effektorische HormoneDas sind alle Hormone, die unabhängig von ihrem Bildungsort unmittelbar auf das Er-folgsorgan wirken.
15.2.1 Hormone des Hypothalamus und der Hypophyse
In Kerngebieten des Hypothalamus liegen dieübergeordneten vegetativen Zentren. Von hierwerden sowohl die Aktivitäten des vegetativenNervensystems als auch die Bildung undFreisetzung der Hypophysenhormone gesteuert.
Hormone des HypothalamusReleasing- und Inhibitinghormone Im Hypothalamus werden Releasinghormorne,Inhibitinghormone und effektorische Hormonegebildet. 1. Releasinghormone (= Liberine):
Sie steuern die Bildung und Freisetzung der 4 glandotropen1) Hormone (thyreotropes Hor-mon, luteinisierendes Hormon, follikelstimu-lierendes Hormon, adrenocorticotropes Hor-mon) sowie der 3 effektorischen Hormone des Hypophysenvorderlappens (Wachstumshormon,Prolactin, melanocytenstimulierendes Hormon).
2. Inhibitinghormone (= Statine):Sie hemmen die Freisetzung der 3 effektori-schen Hormone des Hypophysenvorderlappens (Wachstumshormon, Prolactin, melanocyten-stimulierendes Hormon).
15 Hormonsystem (Endokrines System)298
Hormone, die in die Zellen eindringen, wir-ken hauptsächlich durch die Kontrolle derGenaktivität.
Merke
Die meisten Peptid- und Glykoprotein-hormone sowie Aminosäureabkömmlinge(kleine Gruppe, ✑ Tab. 15.2) können dieZellmembran nicht passieren und wirken des-halb über einen 2. Boten. Die Wirkungen derHormone beruht im Wesentlichen auf derBeeinflussung von Enzymen in den Zellender Erfolgsorgane. Dabei gibt es drei Möglichkeiten:1. Aktivierung oder Hemmung vorhandener
Enzyme,2. Steigerung der Enzymsynthese über eine
Genaktivierung,3. Veränderung der Zellmembranaktivität
und damit Einflussnahme auf die Substrat-bereitstellung.
Merke
Wachstumshormon, Prolactin und melano-cytenstimulierendes Hormon werden sowohlvon Releasing- als auch von Inhibitinghormo-nen gesteuert.
Merke
1) auf eine periphere Hormondrüse einwirkend
3. Effektorische Hormone:Es handelt sich um2 Hormone. Sie werden nach ihrer Bildung auf dem Nervenweg in den Hypophysenhinterlappen transportiert, dort gespei-chert und bei Bedarf an das Blut abgegeben.
a) Adiuretin, antidiuretischesHormon (ADH) oderVasopressin:Das ADH erhöht die Wasserresorption aus dendistalen Tubuli der Nie-ren in das Blut und ver-mindert damit die Harn-menge; es ist also an der Aufrechterhaltung der Isotonie beteiligt (✑S. 271 und 274).
b) Oxytocin. Das Oxytocin erhöht die Spannung derglatten Muskulatur. Durch dieses Hormon wird die Geburt eingeleitet (deshalb derName „Wehenhormon“). Nach der Geburt be-wirkt es die Kontraktion der Milchgänge, so- dass die Milchejektion zustande kommt.
Hormone der HypophyseDie Hypophyse ist ein kleines, bohnenförmigesOrgan.Masse: 0,5 bis 1 Gramm, Lage: Türkensattel des Keilbeins, Bau: Die Hypophyse besteht aus:
– einem Vorderlappen (= Adenohypo-physe). Dieser wird von Drüsenge-webe gebildet;
– einem Hinterlappen (= Neurohypo-physe). Er enthält spezifische Neu-roglia und markscheidenlose Ner-venfasern.
Durch den Hypophysenstiel (Infundibulum) istdie Hypophyse mit dem Hypothalamus verbun-den. Dieser ist ein Teil des Zwischenhirns (✑ S.341). Im Bereich des Infundibulums liegt dashypophysäre Pfortadersystem. Über diese Blut-gefäße gelangen die im Hypothalamus gebilde-ten Releasing- und Inhibitinghormone in denHypophysenvorderlappen.
15.2.2 Hormone des Hypophysenvorderlappens
Im Hypophysenvorderlappen werden glando-trope und effektorische Hormone gebildet.
1. Glandotrope HormoneGemeinsam mit den Releasinghormonen wirdnach dem Regelkreisprinzip gewährleistet, dassdie abzugebende Hormonmenge der Schild-drüse, Nebennieren und Keimdrüsen den diffe-renzierten Erfordernissen angepasst wird.– Thyrotropin – thyreotropes Hormon (TSH).
Stimuliert das Wachstum der Schilddrüse und reguliert die Freisetzung von Thyroxin und Trijodthyronin.
– Corticotropin – adrenocorticotropes Hormon(ACTH). Bewirkt das Wachstum der Neben-nierenrinde und reguliert die Bildung und Freisetzung der Glucocorticoide.
– Follitropin – follikelstimulierendes Hormon(FSH) und luteinisierendes Hormon (LH).Beide Hormone werden auch als gonadotrope Hormone bezeichnet. Sie regulieren die Ent-wicklung der Keimdrüsen (Gonaden) sowie die Bildung und Freisetzung der Sexual-hormone (z. B. Östrogen, Progesteron, Testosteron).
15.2 Hormongruppen 299
Releasing- und Inhibitinghormone des Hypothalamus und Hypophysenvorderlappenhormone Tab. 15.5
Releasinghormone (Liberine) Hormone des Hypophysenvorderlappens,deren Bildung und Freisetzung von denReleasinghormonen gesteuert werden
TRH
CRH
GnRH
GH-RHPRHMRH
GH-IHPIHMIH
Kurzbez.
Thyreotropin-ReleasinghormonCorticotropin-ReleasinghormonGonadoliberin
SomatoliberinProlactoliberinMelanoliberin
SomatostatinProlactostatinMelanostatin
TSH
ACTH
FSH und LH
STHPRLMSH
STHPRLMSH
thyreotropes Hormon
adrenocorticotropes Hormonfollikelstimulierendes Hormon luteinisierendes HormonWachstumshormonProlactinMelanotropin
WachstumshormonProlactinMelanotropin
Kurzbez.ausführliche Bez. ausführliche Bez.
Inhibitinghormone (Statine) Hormone des Hypophysenvorderlappens,deren Bildung und Freisetzung von denInhibitinghormonen gehemmt werden
2. Effektorische Hormone– Somatotropin – Wachstumshormon (STH).
Wichtige Wirkungen sind die Förderung des Längenwachstums, die Anregung der Protein-synthese und Steigerung der Fettoxidationsowie die Beeinflussung des Blutzucker-spiegels, indem es den Glucoseabbau hemmt.STH-Überschuss hat bei Kindern Riesenwuchs(Gigantismus) bis 2,50 Meter zur Folge. Im Erwachsenenalter entsteht die Akromegalie (Wachstum der gipfelnden Körperteile Nase, Kinn, Zunge, Hände, Füße), da wegen der ge-schlossenen Epiphysenfugen ein Längenwachs-tum nicht mehr möglich ist. STH-Mangel führt zum hypophysären Zwergwuchs (Liliputis-mus). Körperproportionen und Intelligenz sind normal entwickelt.
– Melanotropin – melanocytenstimulierendes Hormon (MSH). Das MSH beeinflusst die
Pigmentbildung in der Haut.– Prolactin (PRL). Das Prolactin löst die Milch-
produktion (= Laktation) nach der Geburt aus.
Epiphyse (Epiphysis cerebri) oder Zirbeldrüse(Glandula pienalis)Die 0,1 – 0,2 Gramm wiegende Drüse liegt anden oberen Hügeln des Mittelhirns an. Sie bildetund sondert in Abhängigkeit vom Lichtfaktor(mehr Licht hemmt) das neurosekretorischeHormon Melatonin ab. Seine Wirkungen beimMenschen sind noch nicht geklärt.
Geforscht wird nach folgenden Effekten:– Hemmung der Freisetzung von FSH und LH
bis zur Pubertät und damit Verhinderung einer vorzeitigen Geschlechtsreife.
– Abstimmung von Körperfunktionen auf Tag- und Nacht-Rhythmus.
15 Hormonsystem (Endokrines System)300
HypothalamusHypophysen-stielHypophysen-hinterlappenHypophyse
glandotrope Hormone
Releasinghormone
BlutHormonkonzentration
ACTHadrenocortico-tropes Hormon
FSHfollikelstimulie-rendes Hormon
LHluteinisierendes
Hormon
TSHthyreotropes
Hormon
Schilddrüse Nebennierenrinde Eierstöcke
Hemmung
Hypophysenvorderlappen
Funktion der Hypophyse.Abb. 15.1
effektorische Hormone
15.3 Periphere Hormondrüsen, die durch die glandotropen Hormone gesteuert werden
Zu den Hormondrüsen, die durch glandotropeHormone gesteuert werden, gehören Schild-drüse, Nebennierenrinde und die Keimdrüsen(Gonaden).
15.3.1 Schilddrüse und die Hormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3)
Die Schilddrüse ist die größte Hormondrüse. Siehat eine Masse von 30 – 40 Gramm und liegt inder Halsregion vor der Luftröhre unterhalb desSchildknorpels. Die Schilddrüse (Glandula thy-reoidea) besteht aus einem rechten und linken
Lappen, die durch eine Brücke (Isthmus) mitein-ander verbunden sind. Außen befindet sich eineBindegewebskapsel, von der kleine Septen in dasDrüsengewebe ziehen. Dadurch entstehen dieSchilddrüsenläppchen. Das Drüsengewebe selbstbesteht aus kleinen Bläschen, den Follikeln.
Die Hormone Thyroxin und Trijodthyronin wer-den in den Follikelepithelzellen gebildet und inden Follikeln gespeichert. Entscheidend für die Wirkung ist ihr Jodgehalt.
Neben den Follikelzellen liegen C-Zellen, indenen ein Hormon (Calcitonin) gebildet wird,das den Calciumstoffwechsel mit reguliert.
Die beiden Schilddrüsenlappen liegen seitlichder Luftröhre und reichen nach oben bis zumRingknorpel des Kehlkopfes, nach hinten bis zurSpeiseröhre.
15.3 Periphere Hormondrüsen 301
mikroskopische Struktur der Schilddrüse
von ventral von dorsal
Zungenbein(Os hyoideum)
Schildknorpel-Zungenbein-Membran(Membrana thyrohyoidea)
Schildknorpel(Cartilago thyroidea)
rechter und linkerSchilddrüsenlappen
Schilddrüsenenge(Isthmus glandulae thyroideae)
Luftröhre(Trachea)
Rachenwandvon dorsalrechter und linkerSchilddrüsenlappen
Nebenschilddrüsen(Glandula parathyroidea)
Speiseröhre(Ösophagus)
Kolloid
Epithel Blutkapillaren
C-Zellen Drüsenfollikel lockeres Bindegewebe
Schilddrüse (Glandula thyroidea). Abb. 15.2
Hauptsächliche Wirkungen von T4 und T3Die von den Follikelzellen produzierten Schild-drüsenhormone Thyroxin (T4) und Trijodthyro-nin (T3) werden aus der Aminosäure Tyrosindurch Anreicherung von Jod gebildet. Der Zahlentsprechend enthält Thyroxin (T4) vier undTrijodthyronin (T3) drei Jodatome. Thyroxin isttrotz seiner 10fach höheren Konzentration imBlut biologisch nicht so wirksam wie Trijodthy-ronin. Ein Großteil von Thyroxin geht nach derSekretion in Trijodthyronin über. Beide wirkenhauptsächlich– auf den Stoffwechsel: Die Hormone stimu-
lieren vor allem den Energiestoffwechsel. Sie sind gewissermaßen das „Gaspedal“ für den Stoffwechsel.
– auf Wachstum und Entwicklung: T4 und T3fördern die Eiweißsynthese, das Längen-wachstum der Knochen und die Entwicklung des Nervensystems.
Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) Ein TSH-ähnlicher Stoff regt die Bildung von T4und T3 wegen der nicht funktionierenden negati-ven Rückkopplung ungehemmt an (Basedow-Krankheit). Kennzeichen einer Schilddrüsen-überfunktion sind u. a.
• erhöhter Energieverbrauch, • häufiges Schwitzen, • starkes Herzklopfen, • hervortretende Augäpfel
(Exophthalmus = Glotzauge) und• Abmagerung.Darüber hinaus gibt es noch andere Ursachen füreine Hyperthyreose, z. B. hormonproduzierendeSchilddrüsentumoren.
Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) Ursachen können Jodmangel in der Nahrung,aber auch erblich bedingte Faktoren sein. Kenn-zeichen bzw. Folgen sind u. a. • niedriger Stoffumsatz, • geistige und körperliche Trägheit, • niedriger Blutdruck,• teigiges Aussehen der Haut (Myxödem). Im Kindesalter kann es aufgrund des gehemmtenStoffwechsels zur unproportionierten Klein-wüchsigkeit kommen. Meist ist dies mitSchwachsinn verbunden, weil auch die Ent-wicklung des Nervensystems gestört ist.
15.3.2 Nebennieren und ihre Hormone
Die zusammen ca. 10 Gramm schweren paarigenNebennieren (Glandulae suprarenales) besteheneigentlich aus 2 Organen, der dreischichtigenNebennierenrinde und dem Nebennierenmark.Bei den Wirbeltieren bilden sie ein kompaktesOrgan.
15 Hormonsystem (Endokrines System)302
Krankhafte Vergrößerungen der Schilddrüse(Struma) können Atem- und Schluckbeschwer-den hervorrufen. Eine Struma kann mit einerÜber-, Unter- oder normalen Hormonproduk-tion einhergehen.
❑P
Nebenniere.Abb. 15.3
Nebennierenkapsel
Nebennierenmark(NNM)
Nebennierenrinde(NNR)
Zentralvene
äußere Knäuelzone(Zona glomerulosa)
mittlere Zone, Bündelzone(Zona fasciculata)
innere Zone, Netzzone(Zona reticularis)
Form und LageDie halbmondförmigen Nebennieren liegen je-weils auf dem oberen Pol der Nieren und sindeinerseits von deren Fettkapsel umgeben undandererseits durch eine dünne Fettschicht vonihnen getrennt. Die Nebenniere (Glandula supra-renalis) besteht aus der außen gelegenen Neben-nierenrinde und dem innen liegenden Neben-nierenmark.
Nebennierenrinde und ihre HormoneUnter ACTH-Einfluss werden in den Schichtender Nebennierenrinde die folgenden Hormonegebildet:1. Glucocorticoide (Corticosteron, Cortisol)
Sie beeinflussen den Kohlenhydratstoffwech-sel, indem sie die Glukoneogenese fördern und den Glucoseabbau hemmen – also blut-zuckerspiegelsteigernd wirken.
2. Mineralcorticoide (wichtigstes = Aldosteron)Das Aldosteron beeinflusst den Elektrolyt-haushalt. Im Tubulusapparat der Nieren för-dert es die Rückresorption von Na+, „zwangs-weise“ muss passiv Wasser folgen. Das Plasmavolumen wird erhöht und die Urinmenge vermindertt. Gleichzeitig werden K+- und H+-Ausscheidung gefördert, sodass der pH-Wert des Urins sinkt.
NebennierenmarkhormoneIm Nebennierenmark werden die HormoneAdrenalin und Noradrenalin gebildet (geschiehtauch in sympathischen Nervenendungen). Beide Hormone gehören zu den Katecholaminen.Der Wirkungskomplex dieser Hormone (beson-ders Adrenalin) ergänzt die ergotropen Funk-tionen des Sympathicus (= sympathico-adrenalesSystem), damit erhöht sich der Energieverbrauchim Körper.Im Einzelnen tragen dazu folgende Wirkungenbei:– Beeinflussung des Herz-Kreislauf-Systems
• Steigerung des Herzminutenvolumens,• Erhöhung des peripheren Widerstandes
⇒ Blutdruckanstieg.– Beeinflussung des Stoffwechsels durch Förde-
rung der Glykogenolyse und Lipolyse⇒ Erhöhung des Blutzuckerspiegels.
Beispiel:Adrenalin bewirkt gleichzeitig eine Erweiterung(Vasodilatation) der Herzkranzgefäße und Gefäßeder Skelettmuskulatur und Verengung (Vasokon-striktion) der Arteriolen im Verdauungssystem.Die gegensätzliche Wirkung auf unterschiedlicheGefäße beruht auf dem unterschiedlichen Besatzmit verschiedenen Rezeptortypen.
StressEine ganze Reihe von Reizen, wie starke Kälte-und Hitzebelastung, Infektionen, Atemnot,Unterzuckerung, Operationen, Verletzungen,Ärger, Leistungsdruck und auch Freude könnenden Körper in einen sog. Stresszustand (= Belastungs-, Spannungszustand) versetzen.Deshalb nennt man solche Reize Stressoren.In einem derartigen Zustand werden alle hormo-nellen und vegetativen Funktionen vom Hypo-thalamus so gesteuert, dass es zu Alarmreak-tionen der Körpers kommt. Dies sind Reaktionen, die ihn optimal auf einekurz andauernde körperliche Hochleistung ein-stellen. In einer solchen Situation kommt es übereine erhöhte Sympathicusaktivität zur verstärk-ten Ausschüttung von Adrenalin und Noradrena-lin, die ihrerseits ACTH-Freisetzung und damit
15.3 Periphere Hormondrüsen 303
Wichtige therapeutische Effekte sind:• Entzündungshemmung
(indem sie die Lymphozytenbildung hemmen),• antiallergische Wirkung.Die Überproduktion des Cortisols kann das sogenannte Cushing-Syndrom zur Folge habenmit den typischen Zeichen: Stammfettsucht,Vollmondgesicht, Muskelschwund, Hypertonieund erhöhter Blutzuckerspiegel.
❑P
Eine aus unterschiedlichen Gründen hervor-gerufene Unterfunktion der Nebennierenrinde,bei der besonders ein Aldosteronmangel vor-herrscht, bezeichnet man als Addison'scheKrankheit.
❑P
Hormon Schicht
Aldosteron Zona glomerulosa
Cortisol und Zona fasciculata und Corticosteron reticularis
Androgene Zona reticularis
Die Catecholamine aus dem Nebennieren-mark sind hauptsächlich Stoffwechselhormone.
Merke
auch die Glucocorticoide erhöhen. Adrenalin,Noradrenalin und Glucocorticoide sorgen füreine optimale Durchblutung jener Organe, diefür eine körperliche Höchstleistung in ersterLinie verantwortlich sind, allerdings auf Kosteneiner geringeren Durchblutung anderer nichtunmittelbar beteiligter Organe.Im Einzelnen sind es folgende Vorgänge, dieeine Stresssituation kennzeichnen:– Erhöhung des Herz- und Atemminutenvolu-
mens verbunden mit einer Erweiterung derBronchien,
– optimale Durchblutung von Skelett- und Herz-muskulatur sowie der Lunge bei gleichzeitiger Durchblutungsverminderung der inneren Or-gane (z. B. Verdauungsorgane) und Haut,
– Förderung der Glucosebildung bei gleichzeiti-ger Hemmung der Insulinfreisetzung und dadurch Erhöhung des Blutglucosespiegels,
– vermehrte Schweißsekretion,– Pupillenerweiterung und schließlich– Herabsetzung der Schmerzschwelle.
Folgt auf diese Alarmreaktionen wirklich diekörperliche Belastung, sind diese physiologischsinnvoll. Nur wenn solche Alarmreaktionen übereinen längeren Zeitraum immer und immer wie-der vergeblich (also ohne unmittelbar folgendekörperliche Belastung) in Gang gesetzt werden,können gesundheitliche Schäden auftreten (sog.negativer Stress). So begünstigt ein ständig zuhoher Blutglucosespiegel die Entstehung einergeneralisierten Arteriosklerose und deren Folge-krankheiten.
15.3.3 Keimdrüsen, Sexualhormone und Menstruationszyklus
Die zu den Steroiden gehörenden Sexualhormonewerden hauptsächlich in den Keimdrüsen (Gonaden) gebildet und in 3 Gruppen eingeteilt:
Hauptsächliche WirkungenDie Sexualhormone steuern1. die embryonale Geschlechtsdifferenzierung;
2. die pubertäre Entwicklung und die Ausbil-dung der sekundären Geschlechtsmerkmale.Dazu gehören:• Wachstum und Reifung der Geschlechts-
organe bis zu ihrer Funktionstüchtigkeit.• Ausbildung der Schambehaarung. • Herausbildung des typischen Körperbaus
mit der geschlechtsspezifischen Fettvertei-lung sowie Hüft- und Schulterbreite.
• Ausbildung der weiblichen Brustdrüsen; 3. den zyklischen Auf- und Abbau der Uterus-
schleimhaut;4. Schwangerschaft und Geburt;5. bzw. beeinflussen das Sexualverhalten, z. B.
Entwicklung der Libido (= Bedürfnisnach sexueller Betätigung);6. das Knochenwachstum.
15 Hormonsystem (Endokrines System)304
Adrenalin, Noradrenalin und Glucocorticoidewerden auch als „Stresshormone“ bezeichnet,und man muss „positiven“ und „negativen“Stress unterscheiden.
Merke
Releasinghormon ➧ Hypothalamus
FSH LH ➧ Hypophysen-vorderlappen
Östrogen Progesteron ➧ Eierstock
negative Rück-
kopplung
Zusammenwirken der denMenstruationszyklus steuernden Hormone.Tab. 15.6
Haupt- Bildungsort vertreter
Östrogene Östradiol Ovar, Placenta, Hoden.
Gestagene Progesteron Ovar, Placenta, Hoden.
Androgene Testosteron Hoden, Ovar, Nebennierenrinde.
Störungen der Hormonproduktion im Embryokönnen zu Pseudohermaphroditismus (Zwitter-bildung) führen.
❑P
Bei Mangel an Sexualhormonenkann durch ausbleibende Verknöche-rung der Epiphysenfugen ein hypogo-nadaler Riesenwuchs auftreten, weildas STH weiterwirkt.
❑P
Der Menstruationszyklus und seine hormonelleSteuerungDer Menstruationszyklus beginnt mit dem l. Tagder Regelblutung und erstreckt sich regulär über28 Tage (� 3 Tage). Parallel dazu sind die zykli-schen Vorgänge im Eierstock und Uterus zuberücksichtigen.
Ablauf des Menstruationszyklus, wenn keineBefruchtung stattfindetJeder Zyklus verläuft in folgenden 3 Phasen: 1. Phase: Menstruation (1. bis 4. Tag)
In dieser Phase wird die Functionalis (Funk-tionsschicht) der Uterusschleimhaut abge-stoßen. Damit ist die Regelblutung verbun-den (Blutverlust ca. 20 bis 60 ml).
2. Phase: Proliferationsphase (5. bis 14. Tag)Durch zahlreiche Zellteilungen in der Basalis wird die Funktionalis wieder aufgebaut und auf eine Schwangerschaft vorbereitet.
Steuerung Angeregt durch das Releasinghormon kommt eszu einem FSH-Anstieg. Das FSH bewirkt, dassein Follikel heranreift. Dieser produziert zuneh-mend mehr Östrogen, unter dessen Wirkung derAufbau der Uterusschleimhaut erfolgt.Die Östrogensekretion wird durch das Mi-schungsverhältnis von FSH und LH bestimmt.
Follikelsprung (Ovulation)Am Ende der Proliferationsphase, um den 14. Tag, erfolgt die Ovulation. Der reifeGraaf’sche Follikel platzt, und die Eizelle wirdvom Eileiter aufgenommen.
SteuerungEbenfalls angeregt durch das Releasinghormonkommt es in der Zyklusmitte zu einem steilenLH-Anstieg. Dieser bewirkt die Ovulation sowiedie Umwandlung des Follikels in den Gelbkör-per (Corpus luteum menstruationis), der vorallem Progesteron bildet. Das Hormon ist an derRegulation fast aller Vorgänge der weiblichenReproduktion beteiligt (z. B. Befruchtung, Nida-tion, Bildung der Drüsensekrete in der Eileiter-,Uterus- und Vaginalschleimhaut u. a. m.).
15.3 Periphere Hormondrüsen 305
Die Proliferationsphase wird effektorischhauptsächlich durch Östrogen gesteuert.
Merke
Die Bildung und Freisetzung des Releasing-hormons wird nicht nur durch negative Rück-kopplung gesteuert, sondern auch durch über-geordnete Zentren im ZNS. Dadurch kann derMenstruationszyklus durch zahlreiche Faktoren,nicht zuletzt psychisch, beeinflusst werden.
❑P
Vorgängein derGebär-mutter
VorgängeimEierstock
Gelbkörperbildungund -rückbildungFollikelstadien
Follikelsprung(Ovulation)
Schleimhaut(Endometrium)
Eileiter
Menstruation Proliferationsphase Sekretionsphase
Funktions-schicht
(Functionalis)
Basalschicht(Basalis)
Muskelschicht(Myometrium) 28 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 1
Menstruationszyklus (ohne Befruchtung). Abb. 15.4
Der LH-Gipfel ist die unmittelbare Ursache desFollikelsprungs. Zwischen beiden verstreichteine Latenzzeit von 24 – 36 Stunden.
3. Phase: Sekretionsphase (15. bis 28. Tag) Blutgefäße und Drüsen der Functionalis wer-den reichlicher. Dies dient der unmittelbaren Vorbereitung für die Einnistung (Nidation) des Keimes.
Steuerung Der Gelbkörper (hier: Corpus luteum gravidita-tis) bildet zunehmend Progesteron. Der Anstiegdes Progesterons reguliert die Vorgänge imUterus während der Sekretionsphase.
Die Sekretionsphase wird effektorisch haupt-sächlich durch Progesteron gesteuert.
15 Hormonsystem (Endokrines System)306
Ovulationshemmung: Werden zu Zyklusbe-ginn Östrogene und Gestagene (beides in derAntibabypille enthalten) zugeführt, wird infol-ge der negativen Rückkopplung der LH-Gipfelund damit die Ovulation gehemmt.
❑P
Hormonelle Regulation des Menstruationszyklus.Abb. 15.5
follikelstimulierendesHormon(FSH)
Östrogen Progesteron
Follikelreifung
luteinisierendesHormon
(LH)
Gelbkörperbildungund Gelbkörperrückbildung
GnRHGonadoliberin Hypothalamus
Hypophysen-vorderlappen
Ovar
Uterus
regt an
hemmt
Gelbkörper
Gebärmutter-schleimhaut(Endometrium)
Eizelle EileiterFollikel
neg
ativ
e R
ück
kop
plu
ng
neg
ativ
e R
ück
kop
plu
ng
Menstruation Proliferationsphase Sekretionsphase
28 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 1
Der hohe Progesteronspiegel in der 2. Zyk-lushälfte führt zu einem Anstieg der Körper-temperatur um 0,5 °C. Dies kann (z. B. zumZwecke einer Schwangerschaftsverhütung)durch Messung bestätigt werden.
❑P
Ein steiler Abfall der Sexualhormone am Endeder Sekretionsphase löst die nächste Menstrua-tionsblutung aus.
Hormonelle Steuerung der Schwangerschaft Erfolgt eine Kopulation in der Zeit um die Ovu-lation, kann eine Befruchtung stattfinden unddamit eine Schwangerschaft eintreten. Ist diesder Fall, nistet sich am 7. Tag nach der Befruch-tung die Morula in die Uterusschleimhaut ein.Nun bildet der Trophoblast (= Hüllzellen, die derErnährung dienen) 2 Hormone: HCG (Chorion-gonadotropin) und HPL (Human PlacentalLactogen). Diese Hormone bewirken, dass der Gelb-körper zunächst erhalten bleibt. Außerdem regensie ihn zur verstärkten Progesteronproduktion an.
Die Aufrechterhaltung des hohen Progesteron-spiegels verhindert die Abstoßung der Uterus-schleimhaut. Gegen Ende des 1. Schwanger-schaftsmonats produziert der entstandene Mutter-kuchen (Placenta) jene Mengen von Progesteronund Östrogen, die für die Erhaltung der Schwan-gerschaft notwendig sind. Der Gelbkörper (Cor-pus luteum) bildet sich nun zurück.
15.4 Periphere Hormondrüsen, dienicht durch die glandotropen Hormone gesteuert werden
Die Regulation der infrage kommenden Hormon-drüsen und deren Hormone erfolgt in ersterLinie durch die Veränderungen der von ihnenkonstant zu haltenden Stoffkonzentrationen (z. B. Glucose, Calcium, Natrium) im Körper. Soführt eine Erhöhung oder Verminderung desBlutzucker- oder Blutcalciumspiegels zu einerunmittelbaren Stimulierung der Hormonsekre-tion. Eine Steigerung der Aldosteronsekretionwiederum kann durch eine Verminderung desPlasmavolumens erreicht werden.
15.4.1 Pankreashormone und Blutzuckerregulation
Die in den Langerhans’schen Inseln gebildetenHormone Insulin und Glukagon beeinflussenden Blutglucosespiegel.
Insulin wirkt als einziges Hormon blutzucker-spiegelsenkend, indem es– die Glucosepermeabilität der Zellmembranen
erhöht, sodass Glucose verstärkt in die Zellen gelangen und verbraucht werden kann,
– die Umwandlung von Glucose in Glykogensowie die Eiweiß- und Fettbildung aus Koh-lenhydraten fördert,
– die Glukoneogenese hemmt.
15.4 Periphere Hormondrüsen 307
Die Menstruationsblutung steht nicht mit derOvulation im Zusammenhang.
Merke
HCG wird in hohen Konzentrationen imUrin ausgeschieden: deshalb die Urinprobe fürdie Schwangerschaftsdiagnose.
❑P
Hypothalamus
Insulin Glukagon Adrenalin Wachstums-hormon
kontrolliert
S e n k u n g S t e i g e r u n g
glucoseliefernde Prozesse(z. B. Kohlenhydrataufnahme mit der Nahrung)
glucoseverbrauchende Prozesse(z. B. biologische Oxidation)
Blutzucker
Regulation des Blutzuckerspiegels. Tab. 15.7
Glukagon wirkt blutzuckerspiegelsteigernd durch:– Steigerung der Glykogenolyse in der Leber
(Umwandlung von Glykogen in Glucose), – Förderung der Glukoneogenese (Neubildung
von Glucose) und des Fettabbaus.
Regulation des Blutzuckerspiegels Der normale Nüchternwert des Blutzuckers liegtzwischen 4,4 – 6,6 mmol/l = 80 – 100 (als Grenz-wert bis 120) mg/dl. Da Abweichungen von derNorm zu schwerwiegenden Erkrankungenführen, gehört die Konstanthaltung des Blut-glucosespiegels zu den wichtigsten Regula-tionsaufgaben des Hormonsystems. Die wech-selnde Aufnahme von Kohlenhydraten mit derNahrung und die unterschiedliche körperlicheBelastung und folglich auch unterschiedlichebiologische Oxidationsrate verändern ständigden Blutglucosespiegel.
Ein Anstieg des Blutzuckerspiegels wird vonGlucoserezeptoren im Pankreas registriert. Dar-aufhin wird verstärkt Insulin freigesetzt, bis sichder Blutzuckerspiegel wieder normalisiert hat.
Ein Abfall des Blutzuckerspiegels wird von Glu-coserezeptoren (sog. Glukostate) im Hypothala-mus registriert. Zur Normalisierung werden 3 Antagonisten des Insulins vermehrt freigesetzt:Glukagon, Adrenalin und Wachstumshormon.
Die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) ist eineStörung insbesondere des Kohlenhydratstoff-wechsels durch relativen oder absoluten Insulin-mangel.Die wichtigsten Formen sind der Typ-1-Diabetes(10 %), der meist in der Jugend beginnt undinsulinabhängig ist, und der Diabetes vom Typ 2(90 %), der oft nach dem 40. Lebensjahr auftrittund nicht unbedingt Insulinspritzen benötigt.
Hauptursache beim Typ 2 ist eine genetisch be-dingte Störung am Insulinrezeptor der Zellen,sodass die Glucose nicht in die Zellen gelangt.Folge:Zuckermangel in den Körperzellen und Zucker-überschuss im Blut.
Häufig auftretende Symptome der schwerenZuckerkrankheit sind großer Durst, Polyurie (= krankhafte Vermehrung der Harnmenge),trockene juckende Haut und Leistungsschwäche.In vielen Fällen kann durch sorgfältige Ab-stimmung der Ernährung und körperliche Akti-vität der Blutglucosespiegel ohne Medikamenteim Normbereich gehalten werden.Gefürchtete Komplikationen der Zuckerkrank-heit sind:– Blutzuckerentgleisungen (Hyper- und Hypo-
glykämie, die ins Koma übergehen können) und
– diabetische Spätfolgen wie Arteriosklerose, erhöhte Infektanfälligkeit, schlechte Wund-heilung, Erblindung, Nierenversagen und Neuropathien.
Ein wichtiger Risikofaktor für die Krankheits-entstehung (Typ 2) ist das Übergewicht.
15.4.2 Hormonelle Regulation des Mineralhaushaltes (Überblick)
Die Regulation des Mineralhaushaltes erfolgtdurch mehrere Hormone, die in verschiedenenHormondrüsen gebildet werden. Man unterschiedet 2 Gruppen:Hormone zur Regulation der Natrium-, Kalium-und WasserkonzentrationDie Regulation erfolgt durch Aldosteron im Zusammenwirken mit Renin und Angiotensin(✑ S. 203 und 274). Dabei wird der Wasserhaus-halt zwangsläufig mit beeinflusst.
15 Hormonsystem (Endokrines System)308
Insulinmangel führt zur Zuckerkrankheit(Diabetes mellitus). Dabei kommt es zum An-stieg des Blutzuckerspiegels (Hyperglykämie)und infolgedessen zur Ausscheidung desZuckers im Urin (Glucosurie) bei gleichzeiti-ger Erhöhung der Urinmenge (Polyurie). Außerdem wird stärker Fett zu Fettsäuren ab-gebaut. Es entstehen vermehrt Ketonkörper, z. B. Aceton. Diese Säuren im Blut bedingeneine metabolische Azidose, die in den Zustandtiefer Bewusstlosigkeit (Coma diabeticum)führen kann.
❑P
Da der Blutglucosespiegel von mehrerenHormonen beeinflusst wird, können Verände-rungen Rückschlüsse auf den Hormonhaushaltdes Körpers geben. Deshalb kommt derMessung des Blutzuckergehaltes große Be-deutung zu.
❑P
Hormone zur Regulation des Calciumhaus-haltesDie Regulation umfasst: • die Konstanthaltung des Blutcalciumspiegels,• die Calciumresorption aus dem Darm, • die Calciumein- bzw. -auslagerung im Kno-
chensystem, • die Calciumausscheidung durch die Niere.
15.4 Periphere Hormonsdrüsen 309
Hormone zur Regulation des Calciumhaushaltes. Tab. 15.8
Parathormon Nebenschilddrüse Steigert Blutcalciumspiegel durch:(Epithelkörperchen). – Förderung der Ca2+-Resorption aus dem Die 4 erbsengroßen Darm,Körperchen liegen an – Herauslösung von Ca2+ aus dem Knochen,der hinteren Fläche – verstärkte Ca2+-Rückresorption in der Niere.des rechten und linkenSchilddrüsenlappens(s. Abb. 15.2, S. 301).
Calcitonin Schilddrüse Senkt Blutcalciumspiegel durch:(s. S. 301). – Hemmung der Ca2+-Freisetzung aus dem
Knochen,– Förderung der Ca2+-Ausscheidung.
Vitamin-D3-Hormon In Leber und Niere aus Steigert Blutcalciumspiegel durch:(Cholecalciferol) Vitamin D. – Förderung der Ca2+-Resorption aus dem
Darm.
Senkt Blutcalciumspiegel durch:– Förderung der Einlagerung von Ca2+ in die
Knochen.
Hormon Bildungsort Wirkung
15 Hormonsystem (Endokrines System)310
l. Nennen Sie die Hormondrüsen und beschreiben Sie ihre Lage.2. Welche allgemeinen Funktionen erfüllen die Hormone?3. Erläutern Sie den Begriff „Hormon“.4. Nehmen Sie eine Einteilung der Hormone vor.
Welche Schwierigkeiten treten dabei auf?5. Begründen Sie, warum Hormondrüsen reich kapillarisiert sind.6. Nennen und erläutern Sie die Hauptteile des hormonellen Regulationssystems.7. Erläutern Sie das Zusammenwirken von Releasing-/Inhibitinghormonen, glandotropen
und effektorischen Hormonen.8. Erklären Sie das Prinzip der negativen Rückkopplung.9. Was sind Hormonrezeptoren und welche Bedeutung haben sie?
10. Erklären Sie die Wirkungsweise von Hormonen.11. Nennen Sie die Hormone der Adenohypophyse und beschreiben Sie deren Wirkungen.12. Welche hauptsächlichen Wirkungen haben T4 und T3?
Nennen Sie einige Symptome a) einer Schilddrüsenüberfunktion, b) einer Schilddrüsenunterfunktion.
13. Unterscheiden Sie Nebennierenmark- und -rindenhormone.Nennen Sie einige Wirkungen!
14. Was versteht man unter Stress?Diskutieren Sie Möglichkeiten, negativem Stress entgegenzuwirken.
15. Nehmen Sie eine Einteilung der Sexualhormone vor, und nennen Sie deren hauptsächliche Wirkungen.
16. Beschreiben Sie die Regulation des Blutzuckerspiegels.17. Beschreiben Sie die hormonelle Regulation des Menstruationszyklus.18. Wie erfolgt die hormonelle Steuerung der Schwangerschaft?19. Erklären Sie folgende Begriffe:
a) Diabetes mellitus, b) Hyperglykämie, c) Glucosurie, d) Polyurie, e) Coma diabeticum.
20. Geben Sie einen Überblick über die Regulation des Mineralhaushaltes.
Fragen zur Wiederholung
Die Koordinationsfunktion des Nervensystemssetzt unter anderem die ständige Aufnahme vonInformationen sowohl aus der Umwelt desMenschen als auch von den Organen selbst vor-aus. Die Träger dieser Informationen sind Reize,die Empfangs- oder Aufnahmestrukturen sindSinnes- oder Nervenzellen, die als Rezeptorenbezeichnet werden.
Reiz Ein Reiz ist ein Ereignis (= energetische Ver-änderung) in der Umgebung lebender Systeme,das eine Erregung auslöst. Reize treffen in unter-schiedlichen Energieformen auf den Körper. Siekönnen nach verschiedenen Gesichtspunkteneingeteilt werden, z. B.– nach der Art ihrer Einwirkung: mechanische,
thermische, chemische, optische und akustischeReize;
– nach ihrer Herkunft: exterozeptive (aus der Umwelt kommende) und interozeptive (aus den Organen kommende) Reize.
RezeptorIm Allgemeinen sind Rezeptoren Messfühleroder -glieder, die bei Reizeinwirkung eine Reak-tion auslösen. Dies kann sowohl auf molekularerals auch zellulärer Ebene geschehen. Dement-sprechend ist eine biochemische Definition für molekulare und eine physiologische für zelluläreRezeptoren notwendig.
Physiologische DefinitionZelluläre Rezeptoren sind Zellen, in denen durcheinen Reiz Rezeptor- und in der Folge Aktions-potentiale (AP) ausgelöst werden. Die AP wer-den über sensible Nervenzellen in des Zentral-nervensystem geleitet.Die Rezeptoren sind entweder über die Körper-oberfläche (Hautsinneszellen) oder im Körper-inneren (z. B. Drucksinneszellen) verstreut bzw.in Sinnesorganen (z. B. Auge) mit anderen Zel-len zusammengefasst.
Einteilung der Rezeptoren nach Bau– Freie Nervenendungen:
(Schmerz- und Temperaturempfindung),– primäre Sinneszellen:
modifizierte, bipolare Nervenzellen (Licht-sinneszellen, Riechzellen),
– sekundäre Sinneszellen:von Nervenfasern umgeben, an die sie die Er-regung weiterleiten (Hör- und Gleichgewichts-, Geschmackssinneszellen).
Einteilung der Rezeptoren nach Funktion– Exterozeptoren:
Nehmen Reize aus der Umwelt auf (Sehen, Hören, Temperatur, Druck),
– Enterozeptoren:Nehmen Reize aus den Eingeweiden auf (Deh-nung von Hohlorganen, Blutdruck, pH-Wert, osmotischer Druck),
311
16 Sinnesorgane
Hörsinneszellen
ZNSHörzentrum
Analyse
adäquaterüber-
schwelligerReiz
akustischeWahr-
nehmung
Verbiegung der Sinneshärchen
Hörzentrum derEndhirnrinde
bipolare Nervenzellen
Schallwellen
Informationsaustausch – Beispiel Hören. Abb. 16.1
– Propriozeptoren:Nehmen Reize von den Muskeln auf (Dehnung,Spannung).
Adäquater Reiz und Reizschwelle Rezeptoren sind normalerweise auf eine be-stimmte Reizart spezialisiert, z. B. Lichtsinnes-zellen auf optische, Geruchssinneszellen aufchemische Reize. Diese Reizart wird als adäqua-ter Reiz bezeichnet. Für den adäquaten Reiz besitzt der Rezeptor die niedrigste Reizschwelle.Unter Reizschwelle versteht man die Mindest-intensität eines Reizes, um eine Rezeptorzelle zuerregen.
Informationsaufnahme Zur Aufnahme einer Information sind notwendig:– ein überschwelliger Reiz, – intakte Sinneszellen, – intakte Leitungsbahn (= sensible Nervenzellen),– intaktes ZNS (= Analysator).
Vorgänge (vereinfacht)– Der überschwellige Reiz führt zur Entstehung
eines Rezeptor- bzw. Generatorpotentials.– Wird ein bestimmter Schwellenwert des Rezep-
torpotentials erreicht, kommt es zur Auslösungvon Aktionspotentialen, die durch sensible Nervenzellen in das zugehörige Verarbeitungs-zentrum im Gehirn weitergeleitet und ver-arbeitet werden.
16.1 Oberflächen- und Tiefensensibilität
OberflächensensibilitätDie Oberflächensensibilität umfasst die Sinnes-bereiche der Haut: Tastsinn (Druck, Berührung,Vibration) und Temperatursinn.
Tast- und Temperatursinn sind wegen der un-gleichmäßigen Verteilung der ca. 500.000 Druck-
punkte bzw. ca. 250.000 Kalt- und ca. 30.000Warmpunkte an verschiedenen Stellen des Kör-pers unterschiedlich ausgeprägt. Besonders gutmit Rezeptoren ausgestattet sind Lippen, Zungeund Fingerspitzen.
Tiefensensibilität Unter Tiefensensibilität verstehen wir die Fähig-keit, Informationen aus dem Körperinneren zuerhalten.Als Qualitäten der Tiefensensibilität gelten– Stellungssinn: Ohne visuelle Hilfe können wir
sagen, in welcher Stellung (Winkelstellung) bzw. Lage sich die einzelnen Extremitäten-abschnitte befinden;
– Bewegungssinn: die Fähigkeit, auch ohne visuelle Kontrolle Geschwindigkeit und Rich-tung einer aktiven oder passiven Bewegung wahrzunehmen;
– Kraftsinn: Er ermöglicht, die unterschiedlich notwendigen Muskelkräfte einzuschätzen, die z. B. beim Heben von Gegenständen verschie-denen Gewichts angewendet werden müssen. Man spricht auch vom Kraftunterscheidungs-vermögen;
– Eingeweidesinn: Er überwacht in den Einge-weiden wichtige Regulationsgrößen des Stoff-wechsels und seiner Versorgung (dazu ge-hören Chemo-, Osmo- und Pressorezeptoren im Blut, Dehnungsrezeptoren in der Lunge und in den Wänden von Hohlorganen).
16 Sinnesorgane312
Die Sinnesfunktion ist eine wichtige Voraus-setzung für den Erwerb von Kenntnissen. Sieliefert die ursprüngliche Information für diesubjektive Verarbeitung im Gehirn.
Merke
Tastsinn: Meißner’sche Tast-körperchen,Haarwurzelrezep-toren BerührungMerkel-Zellen DruckVater-Pacini’sche Lamellenkörperchen Vibration
Tempe- Kaltrezeptoren ratursinn: (unter 36 °C),
Warmrezeptoren Temperatur-(über 36 °C) veränderungen
Sinn Rezeptoren adäquater Reiz
Tast- und Temperatursinn. Tab. 16.1
Für das Heranwachsen von Säuglingen und Kleinkindern ist Körperkontakt besonderswichtig. Dies gilt auch für viele schwer krankePatienten.
❑P
Die Rezeptoren befinden sich in den Muskeln(= Muskelspindeln), den Sehnen (= Sehnenspin-deln) und den Gelenkkapseln (Gelenkrezeptoren).
SchmerzAkuter Schmerz ist ein lebensnotwendigesWarnsignal mit Schutzfunktion. Als Schmerz-rezeptoren kommen in fast allen Körpergewebenfreie Nervenendungen infrage. Diese reagierenauf bestimmte chemische Stoffe (z. B. Histamin,Serotonin, Wasserstoffionen ab pH 6), die beiSchädigung von Geweben freigesetzt werden.Ursache für die Bildung dieser Stoffe sindmechanische, chemische oder thermische Reize(die eine bestimmte Intensität überschreiten),aber auch krankhafte Veränderungen (z. B.Entzündungen). Die durch Schmerzreize aus-gelösten Aktionspotentiale werden durch sensi-ble Neurone in das entsprechende Verarbeitungs-zentrum der Großhirnrinde geleitet. Hier wirdder Schmerz bewusst wahrgenommen.
SchmerzqualitätenOberflächenschmerz: Kommt von der Haut undläßt sich differenzieren in– einen hellen 1. Schmerz, der vorwiegend
Fluchtreflexe auslöst, sowie– einen nachfolgenden dumpfen 2. Schmerz,
der vor allem zu Schonhaltungen führt.Tiefenschmerz: dumpfer Schmerz, z. B. Kopf-,Muskel-, Gelenk-, Bindegewebsschmerzen.Eingeweideschmerz: dumpfer Schmerz, der z. B.auftritt bei Mangeldurchblutungen, starker Deh-nung von Hohlorganen oder Spasmen (Menstrua-tionsschmerz).
Von übertragenem Schmerz spricht man, wennEingeweideschmerzen an bestimmten Stellender Körperoberfläche empfunden werden (✑S. 365).
16.2 Chemische Sinne (Geschmack und Geruch)
Zu den chemischen Sinnen gehören Geschmacks-und Geruchssinn. Ihre Bedeutung liegt imWahrnehmen von Umwelteinflüssen, die ihrer-seits lebenswichtige Nahrungsreflexe auslösen,das Wohlbefinden des Menschen entscheidendmitbestimmen und ihn vor schädigenden Ein-wirkungen schützen.
Geschmackssinn Die zahlreichen Mikrovilli tragenden sekundärenGeschmackssinneszellen bilden ca. 4.000 Ge-schmacksknospen, die in den Zungenpapillen liegen (✑ S. 237). Die Geschmacksstoffe der Nahrung lagern sich nach ihrer Lösung an dieZellmembranen der Geschmacksrezeptoren underzeugen Aktionspotentiale. Diese werden überafferente Nervenfasern, die sich in den Hirn-nerven VII, IX und X (✑ S. 356) befinden, insZentralnervensystem geleitet.
Der Geschmackssinn ist mit dem Geruchssinnverbunden. Wenn dieser z. B. durch Erkältunggestört ist, wird auch der Geschmackssinn beein-trächtigt. Es können 4 Grundqualitäten des Geschmacksunterschieden werden: süß, salzig, sauer und bitter.
GeruchssinnDie bipolaren primären Geruchsrezeptoren sindim Riechfeld (Regio olfactoria) der Nase lokali-siert und von Stützzellen umgeben. IhreRiechhärchen sind in Schleim eingebettet. Diemit dem Luftstrom antkommenden Riech-stoffe(= organische Substanzen) reichern sich in derZellmembran an und lösen Generator- undAktionspotentiale aus, die über den Riechnerven(N. olfactorius) zum ZNS geleitet werden.
16.2 Chemische Sinne 313
Die Sinne der Oberflächen- und Tiefensensibi-lität ermöglichen zusammen mit dem Gleich-gewichtssinn die Regulation der Körperhal-tung und die Ausführung von sensiblenBewegungsprogrammen, indem sie entspre-chende Reflexhandlungen auslösen.
Merke
Schmerzrezeptoren adaptieren nicht (Bei-spiel: stundenlange Kopfschmerzen).❑P
Analgetika (z. B. Morphin) sind Substanzen, die Schmerzen unterdrücken.❑P
16 Sinnesorgane314
Wallpapillen(Papillae vallatae)
plattförmigePapillen
(Papillae foliatae)
pilzförmigePapillen
(Papillae fungiformes)
Zungenpapillen
Speichel mit Geschmacksstoffen
Geschmacks-rezeptoren
afferenteNervenfasern
bittersauer
süß und salzig
Geschmacksknospe
Geschmacksempfindungen auf der Zunge
Geschmackssinn – Zungenpapillen.Abb. 16.2
Riechfeld(Regio olfactoria)
Riechzentrum
Geruchsrezeptoren Stützzelle
NervenfasernSchleim
Luft
RiechbahnRiechnerven
Geruchssinn.Abb. 16.3
Gewöhnlich überlagern sich Geruchs- undGeschmacksempfindungen zu Mischempfin-dungen. Im Vergleich zu anderen Sinnen zeigen sie eine besonders ausgeprägte Adaptation.
Merke Mit zunehmendem Alter nimmt die Leis-tungsfähigkeit der chemischen Sinne ab.Bestimmte Krankheiten und Rauchen beein-trächtigen diese ebenfalls.
❑P
16.3 Hör- und Gleichgewichtssinn
Hör- und Gleichgewichtsorgan liegen im Ohr.Das Ohr befindet sich im Felsenbein, einem Teildes Schläfenbeins. Die beiden Sinne vermittelnSchall-, Lage- sowie Bewegungsempfindungen.Die Sinneszellen besitzen haarartige Fortsätze(Cilien) und werden deshalb auch Haarsinnes-zellen genannt.
Gliederung des OhresDas Ohr wird in 3 Abschnitte gegliedert.Äußeres Ohr Zum äußeren Ohr gehören Ohrmuschel undäußerer Gehörgang, der am Trommelfell endet.Das Trommelfell ist eine etwa kreisförmige bin-degewebige Membran mit einem Durchmesservon ca. 1 Zentimeter.
MittelohrHinter dem Trommelfell liegt die Paukenhöhle,ein luftgefüllter Hohlraum mit der Gehörknöchel-chenkette, bestehend aus:• Hammer – mit Handgriff am Trommelfell
verwachsen, • Amboss – gelenkig mit Hammer und Steig-
bügel verbunden, • Steigbügel – passt sich mit seiner Fußplatte
dem ovalen Fenster (= Grenze zum Innenohr) an.
Die Paukenhöhle ist durch die Ohrtrompete(Tuba auditiva) mit dem Nasenrachen verbun-den. Bei jedem Schluckvorgang wird dieOhrtrompete kurz geöffnet, damit der Druckzwischen Mittelohr und Außenwelt ausgeglichenwird.
16.3 Hör- und Gleichgewichtssinn 315
ovales FensterSchnecke
(Cochlea)
Steigbügel(Stapes)
Amboss(Incus)
Trommelfell(Membrana tympani)
Bogengänge
Schnecke(Cochlea)
Hör- und Gleich-gewichtsnerv
(N. vestibulocochlearis)
Ohrtrompete(Tuba auditiva)
Bogengänge
Vorhof
Hammer(Malleus)mit HandgriffäußererGehörgang(Meatus acusticusexternus)
Trommelfell(Membrana tympani)
Ohrmuschel(Auricula)
äußerer Gehörgang(Meatus acusticus externus)
Paukenhöhle(Cavitas tympanica)
Abschnitte des Ohres. Abb. 16.4
Innenohr (= Labyrinth)Das Innenohr wird von einem knöchernenKanalsystem, dem knöchernen Labyrinth, ge-bildet.
Im knöchernen Labyrinth befindet sich, vonPerilymphe (s. u.) getrennt, ein analoges häutigesKanalsystem, das häutige Labyrinth. Es enthältdie Sinneszellen des Hör- und Gleichgewichts-organs.
Das Innenohr (knöchernes und häutiges Laby-rinth) gliedert sich in 3 Abschnitte:– knöcherne Schnecke mit häutigem Hörorgan,– knöcherner Vorhof mit den beiden häutigen
Vorhofsäckchen und– knöcherne Kanäle der Bogengänge mit häuti-
gen Bogengängen.
Die knöchernen Anteile des Labyrinths um-geben die Weichgewebe des Hör- und Gleich-gewichtsorgans wie eine Gießform.
Flüssigkeitsräume und InnenohrflüssigkeitenDas häutige Labyrinth liegt dem knöchernen
nicht unmittelbar an. Auf diese Weise sind 2 Flüssigkeitsräume vorhanden:– Flüssigkeitsraum zwischen häutigem und knö-
chernem Labyrinth. Hier befindet sich die Peri-lymphe als schützendes Flüssigkeitspolster.
– Flüssigkeitsraum innerhalb des häutigen Laby-rinths mit der Endolymphe, die das jeweilige Sinnesepithel umspült.
16.3.1 Gleichgewichtssinn
Der Gleichgewichtssinn löst wichtige Reflexezur Gleichgewichtserhaltung des Körpers aus.
GliederungDas Gleichgewichtsorgan (Vestibularorgan) istgemeinsam mit dem Hörorgan im Innenohrlokalisiert. Es besteht aus 2 Untereinheiten: 1.) den 2 Vorhofsäckchen Utriculus und Saccu-
lus, mit den Lagesinneszellen und2.) den 3 Bogengängen (seitlicher, vorderer häu-
tiger und hinterer häutiger Bogengang) mit den Drehsinneszellen.
16 Sinnesorgane316
Schleimhautschwellungen bei Nasen-Ra-chen-Infekten können den Druckausgleich ver-hindern und somit vorübergehend das Hörenbeeinträchtigen.
❑P
vorderer häutigerBogengang
(Ductus semicircularis anterior)
Blindsack(Saccus endolymphaticus)
Endolymphgang(Ductus endolymphaticus)
hinteres Vorhofsäckchen(Utriculus)
seitlicher Bogengang(Ductus semicircularis lateralis)
hinterer häutiger Bogengang
(Ductus semicircularis posterior)
vorderes Vorhofsäckchen(Sacculus)
Hörnerv(N. cochlearis)
Schnecke(Cochlea)Nervenfasern vom
Sinnesepithel kommend
Gleichgewichtsnerv(N. vestibularis)
Ganglion vestibulare mit bipolaren Nervenzellen
Die Sinneszellen des Gleichgewichtgsorganssind Haarsinneszellen, d. h., sie besitzen Cilien.
Merke
Gleichgewichtsorgan.Abb. 16.5
Sacculus (vorderes Vorhofsäckchen) undUtriculus (hinteres Vorhofsäckchen)In den Vorhofsäckchen liegen die Lagesinnes-zellen zum Registrieren geradliniger Beschleuni-gungen. Der „Fleck“, an dem sich das Sinnes-epithel befindet, heißt Macula.
Die Haarsinneszellen mit den Sinneshärchensind in eine gallertartige Masse eingebettet, diedurch winzige Kalksteinchen beschwert wird.Diese Masse wird als Statolithenmembranbezeichnet und ist schwerer als die Endolymphe.Das Gewicht der Statolithenmembran verbiegtdie Sinneshärchen bereits in Ruhe. Bei jederpositiven oder negativen Linearbeschleunigung(= adäquater Reiz) bewirkt sie infolge derTrägheit eine zusätzliche Verbiegung derSinneshärchen, welche dann Erregung auslöst.Die vertikal angeordneten Sinneszellen desSacculus werden durch Vertikalbeschleunigungenerregt, z. B. durch rasches Anfahren oderStoppen eines Fahrstuhls. Die horizontal ange-ordneten Sinneszellen des Utriculus werdendurch Horizontalbeschleunigungen erregt, z. B.plötzliches Anfahren oder Bremsen eines Autos.
In den Bogengängen befinden sich die Dreh-sinneszellen zum Registrieren von Winkel-(Dreh-) beschleunigungen.
Dies wird ermöglicht, weil die 3 Bogengänge inden 3 Hauptebenen des Raumes senkrecht auf-einander stehen. Die Bogengänge haben ihrenUrsprung am Utriculus, über den sie auch inVerbindung stehen. Jeweils ein Schenkel derhalbkreisförmig gebogenen Röhren erweitertsich an der Basis zu einer Ampulle, in der aufeiner kaminartigen Erhebung (Crista ampulla-ris) die Sinneszellen lokalisiert sind. Die Sinnes-härchen tauchen ebenfalls in eine Gallerte, diewie ein Hut (Cupula) auf den Sinneszellen liegt.Dreht sich der Kopf (= adäquater Reiz), dannkann die Endolymphe infolge ihrer Trägheit derBewegung nicht gleich folgen, sie bleibt stehen.Dadurch wird die Cupula (Gallertkappe) in dieGegenrichtung gedrückt, und die Sinneshärchenwerden verbogen. Die Verbiegung der Sinnes-härchen führt zur Erregung der Haarsinnes-zellen.
Zentrale VerarbeitungDie Erregungen vom Gleichgewichtsorgan ge-langen über den Gehör- und Gleichgewichtsnerven (N. vestibulocochlearis) zu den Vestibu-lariskernen im verlängerten Mark (Medullaoblongata).
16.3 Hör- und Gleichgewichtssinn 317
Ciliarbewegung
Erregung
Gehirn
Utriculus Sacculus
Endolymphe
Statolithen-membran
Haarsinnes-zellen
Nervenzellen
VertikalbeschleunigungHorizontalbeschleunigung
Funktion der Vorhofsäckchen. Abb. 16.6
Die Folgen übermäßiger Reizung des Vesti-bularapparates sind Kinetosen (See- oderReisekrankheit) und Schwindelgefühl.
❑P
Die Vestibulariskerne stehen in Verbindung mit– den Augenmuskelkernen,– dem Kleinhirn,– den Muskelspindeln der Skelettmuskulatur
(insbesondere der Halsmuskulatur) und– der hinteren Zentralwindung der Großhirn-
rinde (dadurch wird die bewusste Raumorien-tierung möglich).
16.3.2 Gehörsinn
Bau des Hörorgans Das Hörorgan wird seiner Form wegen Schnecke(Cochlea) genannt. Die Schnecke besteht aus 3 übereinander liegenden Kanälen, die spiralför-mig aufgerollt sind.Um ein besseres Verständnis für den Bau derSchnecke zu bekommen, stelle man sich anhandder Abb. 16.8 Folgendes vor: Als „Minimensch“ steigt man von der Pauken-höhle durch das ovale Fenster (= Vorhoffenster)in die Scala vestibuli und gelangt über 2 1/2 Windungen im immer enger werdendenKanal zur Schneckenspitze. Dort, am Helico-trema, kommt man über eine Öffnung in dieScala tympani und erreicht wiederum über 2 1/2 Windungen im wieder weiter werdendenKanal durch das runde Fenster (= Schnecken-fenster) die Paukenhöhle. Das runde und dasovale Fenster sind durch Membranen abgedich-tet, damit die Perilymphe nicht aus den Scalenentweichen kann.
Corti’sches OrganIn der Scala media liegt auf der Basilarmembrandas Cortische Organ. Es enthält die Gehör-sinneszellen, die ebenfalls zu den Haarsinnes-zellen gehören. Die gallertartige Masse, in diedie Cilien eintauchen, heißt Tektorialmembran.An der äußeren Seite der Scala media befindetsich eine blutgefäßreiche Region (= Stria vascu-laris) zur Versorgung des Hörorgans.
16 Sinnesorgane318
HaarsinneszellenAmpulle
(Crista ampullaris)
Gallertkappe(Cupula)
Endolymphe
Erregung
Verbiegung der Cilien
Lymphströmung
Winkelbeschleunigung
Funktion der Bogengänge.Abb. 16.7
Die wichtigsten Aufgaben des Gleichge-wichtsorgans sind– die Auslösung von Reflexen zur
• Aufrechterhaltung des Gleichgewichts(Stützmotorik) und
• Einstellung des Kopfes und der Augentrotz Kopf- und Körperbewegungen sowie
– die Teilnahme an der Aktivierung der Formatio reticularis und des vegetativen Nervensystems.
Merke
16.3.3 Physiologie des Hörens
Der adäquate Reiz für das Hörorgan sind Schall-wellen der Frequenzen 16 Hz bis ca. 20.000 Hz.Außerdem müssen die Schallwellen eine be-stimmte Intensität (Mindestschalldruck) besit-zen, damit die Reizschwelle (= Hörschwelle) er-reicht bzw. überschritten wird. Die Hörschwelleist nicht für alle Frequenzen gleich, sie liegt für
den Frequenzbereich 2.000 – 5.000 Hz am nied-rigsten; diese Töne können also bei relativ nied-rigem Schalldruck gehört werden.
16.3 Hör- und Gleichgewichtssinn 319
Innenohr. Abb. 16.8
Der Hauptbereich für das Hören im mensch-lichen Ohr liegt bei Frequenzen zwischen 1. 000 – 4.000 Hz.
Merke
Schnecke(Cochlea)
Schneckenlochzwischen Vorhofund Paukentreppe(Helicotrema)
SchneckenachseVorhoftreppe(Scala vesibuli)
Schneckengang(Ductus cochlearis,Scala media – endet an der Schneckenspitze blind)
Paukentreppe(Scala tympani)
Vorhoftreppe(Scala vestibuli)
Paukentreppe(Scala tympani)
Vorhofovales Fenster(= Vorhoffenster)
rundes Fenster(= Schneckenfentser)
Vorhoftreppe(Scala vestibuli)
Schneckengang(Ductus cochlearis,
Scala media)mit Endolymphe
Reissner’sche Membran(Membrana vestibularis)
Tektorialmembran(Membrana tectoria)
äußere Sinneszellen •innerer Tunnel
innere Sinneszellen •
Basilarmembran(Lamina basilaris)
Paukentreppe(Scala tympani)
Stützzellen
• Haarzellen
Schnecke(Cochlea)
Corti’sches Organ
Die Schallwellen gelangen hauptsächlich überdas äußere Ohr zum Trommelfell und versetzenes in Schwingungen. Diese werden über die 3 Gehörknöchelchen auf die Membran des ovalenFensters übertragen, welche dadurch ebenfallszu schwingen beginnt. Dieser Weg der Schall-übertragung heißt Luftleitung.Wird der ganze Schädel, z. B. durch das Aufset-zen einer Stimmgabel, in Schwingungen ver-setzt, entsteht ebenfalls eine Hörwahrnehmung –man spricht von Knochenleitung. Sie spielt phy-siologisch nur eine geringe Rolle.
Erregung der Gehörsinneszellen Die Schwingungen der Membran des ovalenFensters erzeugen in der Perilymphe der Scalavestibuli fortlaufende Druckwellen. Diese pflan-zen sich zur Schneckenspitze fort und gelangenüber die Scala tympani wieder zurück. Das run-de Fenster am Ende der Scala tympani dient demDruckausgleich.Durch die gegenläufigen Flüssigkeitsströmun-gen in der Scala vestibuli und tympani geratendie beweglichen Strukturen in der Scala media,Reissner-Membran und Basilarmembran in einewellenförmige Bewegung. Sie wird als Wander-welle bezeichnet und breitet sich zur Schnecken-spitze hin aus; das Helicotrema wird allerdingsaufgrund bestimmter Dämpfungsvorgänge nichterreicht. Das heißt, jede Wanderwelle endet aneinem bestimmten Punkt und erzeugt hier einAmplitudenmaximum (stärkste Auslenkung derBasilarmembran). Da die Basilarmembran zur Schneckenspitze hinbreiter und schlaffer wird, entsteht das Ampli-tudenmaximun der hohen Töne (hohe Frequenz)in der Nähe des ovalen Fensters und das niedri-ger Töne (niedrige Frequenz) weiter hinten inder Schnecke. So ist es möglich, dass das Gehirnjeder Stelle der Scala media eine bestimmteTonhöhe zuordnen kann.
Die Verformung des Endolymphkanals bewirkteine Verschiebung der Tektorialmembran gegen-über den Haarsinneszellen (Hörzellen) und damiteine Verbiegung ihrer Cilien. Diese Verbiegungführt zur Erregung, die über den Hörnerv in dasGehirn (Hörrinde) geleitet und dort verarbeitetwird: Das Gehörte wird uns bewusst.
Leistungen des Gehörsinns Zu den Leistungen des Gehörsinns gehören vorallem – die Unterscheidung von Tonhöhen und Schall-
intensitäten sowie – die Feststellung der Schallrichtung und Ent-
fernung der Schallquelle.
16 Sinnesorgane320
Der Schalldruckpegel ist ein Maß für den Schalldruck. Die Maßeinheit ist das Dezibel (dB). Der Schalldruck, der gerade noch eine Hörempfindung auslöst, wird mit 0 dB ange-geben. Bei jeder Verzehnfachung des Schall-druckes erhöht sich der Schalldruckpegel um 20 dB.
❑P
Mittelohrerkrankungen können zu Schwer-hörigkeit führen, Versteifung des ovalen Fensters zu Taubheit.
❑P
Äußeres Ohr�
Trommelfell�
Hammer�
Amboss �
Steigbügel�
ovales Fenster�
Perilymphe der Scala vestibuli�
Wanderwelle �
Verstärkung
Amplitudenmaximum�
Verbiegung der Cilien�
Aktionspotentiale�
Hörnerv�
Gehirn
Schallaufnahme und -weiterleitung.Tab. 16.2
Die Zerstörung einzelner Abschnitte derBasilarmembran oder Hörzellen – z. B. durchLärm – führt zu Hörausfall für einzelne Ton-höhen bzw. auch zu Schwerhörigkeit. Bei be-stimmten Krankheiten und im Alter kann sichdie Reizschwelle verändern.
❑P
16.4 Gesichtssinn
Der größte Teil der Informationen aus derUmwelt wird über das Auge aufgenommen.
16.4.1 Bau des Auges
1. Äußere Augenhaut Die äußere Augenhaut wird gebildet von derLederhaut und der Hornhaut. Die Lederhaut (Sklera) ist aufgrund des Vorhan-denseins vieler Fasern weiß und sehr zugfest. DieHornhaut (Cornea) ist glasklar, enthält keineBlutgefäße, aber viele Nerven. Daraus erklärtsich die extreme Schmerzempfindlichkeit. DieHornhaut ist in den vorderen Bereich der Leder-
haut uhrglasartig eingelassen. Sie wird vom N.trigeminus versorgt. Während der sichtbare Teilder Lederhaut mit Bindehaut bedeckt ist, die imBindehautsack umschlägt, ist die Hornhaut freivon Bindehaut.
16.4 Gesichtssinn 321
Netzhaut-blutgefäße
gelberFleck
blinderFleck
Pigmentepithel
Stäbchen
Zapfen
Bau des Auges Augenhintergrund
Netzhaut(Schema)
Schlemm'scherKanal
Lederhaut
Aderhaut
Netzhaut
Glaskörper
Hornhaut
Pupille
Linse
vordereAugen-
kammerRegen-
bogenhaut
hintere Augenkammer
Ziliarkörper
bipolare Nervenzellenmultipolare Nervenzellen
Nervenfasern, die denSehnerv bilden
Lichteinfall
Sehnerv(N. opticus)
Bau des Auges. Abb. 16.9
Die Lederhaut ist vor allem formgebenderBestandteil des Auges. Die Hornhaut ist stär-ker gekrümmt als die Lederhaut. Sie istgemeinsam mit der Augenlinse für die Licht-brechung verantwortlich. Ihre Brechkraftliegt bei 43 Dioptrien.
Merke
Hornhauttrübungen können zur Erblindung führen.
❑P
2. Mittlere AugenhautZur mittleren Augenhaut gehören Aderhaut,Ziliarkörper und Regenbogenhaut. Die Aderhaut(Chorioidea) ist für die Blutversorgung verant-wortlich und deshalb gefäßreich. Der Ziliar-körper (Corpus ciliare) hat 3 Aufgaben:• Haltesystem für die Linse;• Veränderung der Linsenkrümmung durch Kon-
traktion bzw. Erschlaffung des Ziliarmuskels;• Produktion des Kammerwassers.
Die Regenbogenhaut (Iris) ist farbig und bestehtaus einem Ringmuskel zum Engstellen undeinem Radialmuskel zum Weitstellen derPupille. Die Pupille ist eine kreisrunde Öffnungin der Iris, die sich vor der Linse befindet.
3. Brechende MedienBrechende Medien sind Hornhaut, Linse, Kam-merwasser und Glaskörper.Hornhaut: 3/4 der Brechkraft des Auges entfal-len auf die Hornhaut.
Linse: Die bikonvexe Linse ist eine glasklare elastische Struktur mit variabler Brechkraft. Siebesteht aus eiweißreichen Zellen und ist gefäß- und nervenfrei. Eine ebenfalls durchsichtige Lin-senkapsel begrenzt sie. Die Linse ist an Faserndes ringförmigen Ziliarmuskels aufgehängt.
Kammerwasser: Das Kammerwasser ist eineglasklare zellfreie Flüssigkeit. Es wird von derZiliardrüse produziert und füllt vordere und hin-tere Augenkammer aus.
Glaskörper: Der Glaskörper füllt den größtenTeil des Auges aus. Er besteht aus zellfreierGallerte und liegt zwischen Netzhaut und Linse.Blutgefäße fehlen ebenso wie Nerven, sonstwäre die Weiterleitung der Lichtstrahlen zurNetzhaut nicht möglich.
4. Augenkammern und KammerwasserMan unterscheidet die vordere Augenkammerzwischen Hornhaut und Iris und die hintere Augenkammer zwischen Iris, Glaskörper undZiliarkörper. Beide Augenkammern sind durchdie Pupille miteinander verbunden und mitKammerwasser gefüllt.
Weg des KammerwassersDas Kammerwasser gelangt vom Bildungsortzunächst in die hintere Augenkammer, von dortdurch die Pupille in die vordere Augenkammer.Vom Kammerwinkel (= Hornhaut-Iris-Winkel)fließt die Hauptmenge über den Schlemm’schenKanal in das Venensystem.
16 Sinnesorgane322
Schlemm'scherKanal
vordere Augen-kammer
Pupille
Hornhaut(Cornea)
Lederhaut(Sclera)
hintere Augen-kammer
Linse(Lens)
Regenbogen-haut(Iris)
Ziliarkörper mit Ziliarmuskelund Ziliardrüse
Weg des Kammerwassers. Abb. 16.10
Beim grauen Star (Katarakt) tritt eine Trü-bung der Linse ein.❑P
Das Kammerwasser dient dem Stofftransportinnerhalb des Auges.
Merke
Für die Konstanz des Augeninnendruckesspielt das Gleichgewicht zwischen Produk-tion und Abfluss des Kammerwassers einewesentliche Rolle. Er wird bei ca. 15 mmHgkonstant gehalten.
Merke
Ein erhöhter Augeninnendruck entstehtdurch ein Missverhältnis zwischen Kammer-wasserproduktion und -abfluss. Liegt er über 20 mmHg, wird dies als grüner Star (= Glau-kom) bezeichnet. Die eigentliche Gefahr des Glaukoms besteht ineiner verminderten Durchblutung der Netzhautmit irreversiblen Schäden bis hin zur Erblin-dung.
❑P
5. Netzhaut (Retina)Als innere Augenhaut kleidet die Retina die Innenfläche der Augapfelwand bis weit nachvorn aus. Sie gliedert sich in 2 Abschnitte:– dem kleineren vorderen „blinden“ Abschnitt,
der aus 2 pigmenthaltigen Epithelzellschichtenbesteht und der Ziliarkörper und Iris bedeckt sowie
– dem größeren hinteren Abschnitt (Pars optica).In diesem aus 10 Schichten bestehenden Teil liegen die ersten 3 Neurone der Sehbahn.
Das 1. Neuron bildet die Photorezeptoren(6 – 7 Mill. Zapfenzellen und ca. 120 Mill.Stäbchenzellen pro Auge). Die Photorezeptorenbefinden sich am weitesten außen, also demLichteinfall abgewandt, sodass die Lichtstrahlenzunächst durch alle Netzhautschichten hindurch-dringen müssen.
Die Stäbchenzellen liegen mit Ausnahme desgelben und blinden Flecks in der gesamten Netz-haut. Die Zapfenzellen hingegen sind auf dieFovea centralis (kleine Grube) des gelbenFleckes und ihre unmittelbare Umgebung kon-zentriert.
Das 2. Neuron wird von bipolaren Nervenzellengebildet.
Das 3. Neuron bildet multipolare Nervenzellen.Ihre Neuriten treten am blinden Fleck durch dieAugapfelwand und bilden den Sehnerven.
Weitere Zellen wie die Horizontal- und amakri-nen Zellen (multipolare Nervenzellen) sicherndie vielfältigen Verschaltungen.
Die Blutversorgung der Retina erfolgt durch diezentrale Netzhautarterie (A. centralis retinae),die von der Augenarterie (A. ophthalmica)kommt, und die zentrale Netzhautvene (V. centra-lis retinae), die in die obere Augenvene (V. oph-thalmica superior) mündet. A. und V. centralisretinae treten gemeinsam mit dem Sehnerven amblinden Fleck durch die Augapfelwand.
AugenhintergrundDer Augenhintergrund erscheint wegen der Blutgefäße der Chorioidea (Aderhaut) rötlich. 2 Stellen sind hervorzuheben:– Blinder Fleck (= Sehnervenpapille, Discus
nervi optici): Das ist ein Loch in der Netzhaut, durch das die Nervenfasern das Auge verlas-sen und die Blutgefäße in das Augeninnere treten. An dieser Stelle kann man nichts sehen.
– Gelber Fleck (Macula lutea): Diese blutge-fäßfreie Stelle der Netzhaut stellt eine kleine Grube oder Vertiefung (Fovea centralis) dar.Hier befinden sich nur tageslichtempfindliche Zapfenzellen. Es ist die Stelle des „schärfsten Sehens“.
16.4.2 Schutz- und Bewegungsapparat des Auges
Die Teile des Schutz- und Bewegungsapparatesgewährleisten die störungsfreie Funktion deshochempfindlichen Lichtsinnesorgans. Zu ihnengehören die knöcherne Augenhöhle, die Augen-lider und der Tränenapparat.
Knöcherne Augenhöhle (Orbita) Beide Augenhöhlen enthalten jeweils – den Augapfel und – 4 gerade und 2 schräge Augenmuskeln zur
Bewegung des Augapfels. Die Augenmuskeln werden von 3 Hirnnerven (III, IV, VI) inner-viert. Diese sichern das koordinierte Zusam-menspiel der Muskeln beider Augen;
– den Sehnerven (N. opticus), der s-förmig ge-bogen ist, um die Bewegung des Auges nicht zu behindern;
– Fettgewebe zur Abpolsterung; – die Tränendrüse: Sie liegt in einer kleinen Gru-
be an der äußeren oberen Augenhöhlenwand.
Weichen beide Augachsen stark voneinander ab,kommt es zum Schielen (Strabismus), wobeiDoppelbilder entstehen können.
AugenliderVor jedem Auge befindet sich ein Oberlid undein Unterlid.
16.4 Gesichtssinn 323
Die Retina ist das eigentliche Sinnesorgandes Auges.
Merke
Macula-Degenerationen beeinträchtigen das Sehvermögen besonders stark (Farbsehen).❑P
Die Lider bestehen aus: – der Bindegewebs-Muskelplatte im Inneren,
dem „Skelett“ der Augenlider, – einer zarten äußeren Haut, die leicht ver-
schiebbar ist, – den Wimpern zwischen vorderer und hinterer
Lidkante,– den Lidhebe- und Lidschließmuskeln sowie– der Bindehaut (Tunica conjunctiva palpebralis),
einer Schleimhaut an der Hinterfläche.
BindehautDie Bindehaut – sowohl des Ober- als auch desUnterlides – geht in die Bindehaut des Augapfelsüber. Dadurch entsteht oben und unten jeweilseine Bindehauttasche. Diese bezeichnet manzusammen als Bindehautsack (Saccus conjunc-tivalis). Der Bindehautsack ist zu sehen, wennman das Augenlied vom Augapfel wegzieht.
16 Sinnesorgane324
knöcherne Augenhöhle(Orbita) mit Fettgewebe ausgepolstert
oberer schräger Augenmuskel(M. obliquus superior)
oberer gerader Augenmuskel(M. rectus superior)
mittlerer gerader Augenmuskel(M. rectus medialis)
unterer gerader Augenmuskel(M. rectus inferior)
äußerer gerader Augenmuskel(M. rectus lateralis)
unterer schräger Augenmuskel(M. obliquus inferior)
gemeinsamer Sehnenring derAugenmuskulaturSehnervenkanal(Canalis opticus)
Sehnerv(N. opticus)
Lidheber(M. levator palpebraesuperioris)
Oberlid
Augapfel(Bulbus oculi)
Unterlid
Augapfel und Augenmuskeln.Abb. 16.11
Augenmuskeln und Augenmuskelnerven.Abb. 16.12
oberer schräger Augenmuskeloberer gerader Augenmuskeläußerer gerader Augenmuskel
unterer schräger Augenmuskelunterer gerader Augenmuskel
mittlerer gerader Augenmuskel
Augen-bewegungsnerv
(N. oculomotorius)
Mittelhirn
BrückeIV. Augenrollnerv
(N. trochlearis)
MedullaVI. Augenabziehnerv
(N. abducens)
Liddrüsen– Meibom-Drüsen (innere Talgdrüsen). Sie lie-
gen an der Lidhinterseite und produzieren ein talgähnliches Sekret, das über Ausführgängeder hinteren Lidkante an die Lidränder gelangtund diese einfettet.
– Moll-Drüsen. Schweißdrüsen, die in der Nähe des Lidrandes liegen und dort ausmünden.
– Zeis-Drüsen. Äußere Talgdrüsen, deren Aus-führgänge am Follikel der Wimpern enden.
Tränenapparat Die Tränendrüsen hinter dem Oberlid sezernie-ren pro Tag etwa 500 ml Tränenflüssigkeit. Sieist farblos und enthält desinfizierende Substan-zen (z. B. Kochsalz) und das bakterienabtötendeLysozym. Über mehrere Ausführgänge gelangtdie Tränenflüssigkeit in den Bindehautsack undwird durch den Lidschlag über die Vorderflächedes Augapfels verteilt, sodass die Hornhautfeucht gehalten wird. Die Tränenflüssigkeit sam-melt sich im medialen Augenwinkel, dem sog.Tränensee, und fließt über Tränenröhrchen,Tränensack und Tränennasengang in den unte-ren Nasengang.
16.4 Gesichtssinn 325
Sowohl das Berühren der Hornhaut als auch der Bindehaut führt reflektorisch zum Lid-schluss (Schutzreflex).
Die Bindehaut eignet sich wie alle Schleim-häute gut zur Resorption von Arzneimitteln. InForm von Augentropfen werden sie meist inden unteren Teil des Bindehautsackes (Unterlid wird abgezogen oder umgeschlagen) einge-träufelt.
❑P
Liddrüsen Tränenapparat
Tränendrüse(Gl. lacrimalis)
obere Umschlagstelle der BindehautRegen-bogenhautPupille
untere Umschlagstelleder Bindehaut(Bindehautsack)
OberlidMoll’sche Drüse
WimperMeibom’sche Drüse
Bindehaut(Conjunctiva)
UnterlidMoll’sche Drüse
Meibom’sche Drüse
Augenbraue
Tränensack
Tränen-nasengang(Ductus nasolacrimalis)
Tränen-röhrchenTränen-punkt
Liddrüsen und Tränenapparat. Abb. 16.13
Das Gerstenkorn (Hordeolum) entsteht durchStauung des Sekretes und Entzündung der Zeis- Drüsen. Das Hagelkorn (Chalazion) entstehtdurch Stauung des Sekrets und Entzün-dung der Meibom-Drüsen.
❑P
Die Tränenflüssigkeit sichert die einwand-freie Funktion der Hornhaut, indem sie siefeucht hält und kleine Unebenheiten aus-gleicht sowie Fremdkörper im Bindehautsackausschwemmt.
Merke
Zu wenig Tränenflüssigkeit führt zu Binde-haut- und Hornhautentzündung (Conjunctivitis,Keratitis, „Syndrom des trockenen Auges“).
❑P
16.4.3 Physiologie des Sehens
Als adäquater Reiz wirken elektromagnetischeStrahlen der Wellenlängen 400 bis 700 nm (=̂sichtbares Licht).
Bildentstehung auf der NetzhautDie brechenden Medien (Cornea, Kammerwas-ser, Linse, Glaskörper) werden als dioptrischerApparat bezeichnet. Dieser wirkt wie eine Sam-mellinse und lässt auf der Netzhaut verkleinerteumgekehrte reelle Bilder der Umwelt entstehen.
Brechkraft Die Brechkraft gibt an, wie stark Lichtstrahlengebrochen werden. Sie wird als Kehrwert der Brennweite (f) berechnet und in Dioptrien (dpt)ausgedrückt. Die vordere Brennweite des mensch-lichen Auges beträgt 17 mm, deshalb gilt:
Akkommodation Das Bild eines Gegenstandes wird nur dannscharf abgebildet, wenn es genau auf der Netz-haut entsteht. Damit die Bilder von Gegenstän-den unterschiedlicher Entfernungen scharf gese-
hen werden, ändert das Auge seine Brechkraft.Das geschieht durch aktive Änderung der Linsen-krümmung (vorwiegend ihrer vorderen Fläche)und heißt Akkommodation. Man unterscheidet– Fernakkommodation: Bei entspanntem Ziliar-
muskel flacht sich die Linse ab, die Brechkraftwird verringert.
– Nahakkommodation: Durch Kontraktion des Ziliarmuskels kann sich die Linse so weit krüm-men, dass die Brechkraft um etwa 14 Diop- trien steigt. Das ermöglicht ein scharfes Sehen im Abstand von ca. 10 cm (= Nahpunkt).
16 Sinnesorgane326
äußererBrennpunkt
Hornhaut(Cornea)
Linse(Lens cristallina)
Strahlenkörper(Corpus ciliare)
gelberFleck
innererBrennpunktNetzhaut(Retina)
dingseitige Brennweite bildseitige Brennweite
Das Bild entsteht– verkleinert,– umgekehrt und– reell.
Achse desAugapfels(Axis bulbi)
Sehachse(Axis opticus)
Brennpunktstrahl
Parallelstrahl
Bildentstehung.Abb. 16.14
D = = = 58,8 dpt1
f
1
0,017 m
Die Nahakkommodation nimmt mit zuneh-mendem Alter ab (Linse krümmt sich aufgrundihres Elastizitätsverlustes nicht mehr genug).Wenn der Nahpunkt größer als 30 cm wird,spricht man von der Alterssichtigkeit (Presbyo-pie). Die Kompensation erfolgt durch Sam-mellinsen, die den Nahpunkt wieder näher andas Auge rücken. Nicht immer sind Größe undForm des Augapfels genau auf die Brechkraftdes dioptrischen Apparates abgestimmt, sodassStörungen bei der Bildentstehung auftreten. Die wichtigsten sind:• Kurzsichtigkeit (Myopie), • Weitsichtigkeit (Hyperopie, Hypermetropie).
❑P
16.4 Gesichtssinn 327
Fernakkommodation Nahakkommodation
– Ziliarmuskel entspannt
– Linse abgeflacht, geringe Brechkraft
– Ziliarmuskel angespannt
– Linse gekrümmt, große Brechkraft
Akkommodation. Abb. 16.15
ZerstreuungslinseBildebene
SammellinseBildebene
Augapfel ist zu lang. Bildebene liegt vor der Fovea centralis.
Ferne Gegenstände werden unscharf abgebildet.
Augapfel ist zu kurz. Bildebene liegt hinter der Fovea centralis.
Nahe Gegenstände werden unscharf abgebildet.
Kurzsichtigkeit mit Korrekturlinse. Abb. 16.16
Weitsichtigkeit mit Korrekturlinse. Abb. 16.17
Funktion der Stäbchen- und ZapfenzellenDie Zapfen ermöglichen das farbige Sehen vonEinzelheiten bei heller Beleuchtung. Die Stäbchen ermöglichen das Schwarzweiß-sehen bei schlechter Beleuchtung.
Erregungsbildung In den Stäbchen- und Zapfenzellen befindensich Sehfarbstoffe (z. B. Rhodopsin). Diese wer-den durch Lichtabsorption mehr oder wenigerabgebaut (= gebleicht).
Die Bleichung der Sehfarbstoffe führt zur Erre-gung der Sinneszelle.
Adaptation Adaptation ist die Anpassung des Auges an die jeweilige Lichtintensität. Man unterscheidet diePupillen- und Netzhautadaptation. Die Pupillen-adaptation passt das Auge reflektorisch schnellan einen plötzlichen Lichtwechsel an, indem sichdie Pupille im Hellen verengt und im Dunklen erweitert (Pupillenreflex). Die Netzhautadapta-tion passt das Auge durch die Veränderung der
Konzentration der Sehfarbstoffe der Lichtinten-sität an.
Gesichtsfeld und SehbahnDas Gesichtsfeld ist das Bild der Umwelt, dasman mit unbewegten Augen und fixiertem Kopfsieht.Die Sehbahn wird von 4 sensiblen Neuronengebildet, von denen die ersten 2 komplett in derRetina liegen.
Vom 3. Neuron befinden sich die Nervenzell-körper in der Netzhaut. Seine Axone bildenzunächst den Sehnerven (N. opticus), der bis zurSehnervenkreuzung (Chiasma opticum) zieht. Abhier verlaufen sie als Sehstrang (Tractus opticus)zum seitlichen Kniehöcker (Corpus geniculatum
16 Sinnesorgane328
Scharfe Bilder entstehen nur an der Stelle desgelben Flecks.
Merke
Pupillenadaptation.Abb. 16.18
Pupille eng
Pupille weit
Parasympathicus
Sympathicus
Lichteinfall
Lichteinfall
Kontraktion
KontraktionM. spincter pupillaeHelladaptation
Dunkeladaptation M. dilatator pupillae
➠
➠
Wenig Licht ➝ große Pupille (ein Neuron wird durch große Retinafläche gereizt),
➝ viel Sehfarbstoff.Viel Licht ➝ kleine Pupille
(ein Neuron wird von kleiner Retinafläche gereizt),
➝ wenig Sehfarbstoff, da rascherer Zerfall.
Merke
laterale) des Thalamussowie zur Vierhügelplattedes Mittelhirns. Letzteresind wichtig für denPupillen- und Akkommo-dationsreflex.Im Chiasma opticum kreu-zen die Nervenfasern derjeweiligen nasalen Retina-hälfte auf die Gegenseite,während die temporalenauf der gleichen Seite blei-ben. Die Nervenfasern ausdem gelben Fleck (Foveacentralis) ziehen sowohlungekreuzt als auch ge-kreuzt zur Hirnrinde. Aufdiese Weise werden dieErregungen gemischt, waseine wichtige Vorausset-zung für das räumlicheSehen ist. Die Perikaryen des 4. Neu-rons liegen im seitlichenKniehöcker, ihre Axoneverlaufen als Sehstrah-lung (Radiatio optica)zum Sehzentrum (= Seh-rinde) im Hinterhaupt-lappen der Großhirnrinde.Jedem Punkt des Gesichts-feldes ist hier eine be-stimmte Anzahl von Neu-ronen zugeordnet, die mei-sten dem gelben Fleck. Leistungen des Gesichtssinns
Die Sehleistungen des Menschen umfassen– Hell-dunkel-Sehen,– Farbsehen,– räumliches Sehen und– Erkennen von Mustern und Bewegungen.
16.4 Gesichtssinn 329
Sehnerv(N. opticus)
Sehnerven-kreuzung
(Chiasma opticum)
Sehstrang(Tractus opticus)
seitlicherKniehöcker
des Thalamus(Corpus geniculatum
laterale)
Sehstrahlung(Radiatio optica)
Sehzentrum
linkes Gesichtsfeld rechtesGesichtsfeld
nasal temporal
Sehbahn. Abb. 16.19
Die Aufgabe der Sehzentren besteht darin,die von den Augen kommenden Informationenin ein aufrechtes, reelles Bild umzuwandeln.
Merke
Bei Zerstörung der Sehzentren, z. B. durchTumoren, Verletzungen etc., erblindet derMensch (= Rindenblindheit).
❑P
16 Sinnesorgane330
,
1. Definieren Siea) Reiz, b) adäquater Reiz, c) Reizschwelle, d) Rezeptor, e) Sinnesorgan.
2. Nehmen Sie eine Klassifizierung der Reize vor.3. Erläutern Sie
a) Reizaufnahme, b) Informationsleitung.
4. Was ista) unter Oberflächensensibilität,b) unter Tiefensensibilität zu verstehen? Erläutern Sie die biologische Bedeutung dieser Sinne.
5. Welche Bedeutung hat der Schmerz?Was versteht man unter übertragenem Schmerz?
6. Erläutern Sie die biologische Bedeutung von Geruch und Geschmack.7. Beschreiben Sie den Aufbau des Ohres.8. Wie arbeitet das Gleichgewichtsorgan, und welche Aufgaben erfüllt es im Körper?9. Erläutern Sie die ablaufenden Prozesse bei der Schallaufnahme und -weiterleitung.
10. Erklären Sie, wie es zur Erregung der Hörsinneszellen im Corti’schen Organ kommt.11. Nennen Sie Maßnahmen zur Lärmbekämpfung.12. Beschreiben Sie den Bau des menschlichen Auges.13. Welche Aufgaben haben:
a) die brechenden Medien, b) der Ziliarkörper, c) das Kammerwasser?
14. Beschreiben Sie den Abfluss des Kammerwassers.15. Wo liegen
a) vordere und b) hintere Augenkammer?
16. Beschreiben Sie die Verteilung der Photorezeptoren in der Retina.17. Definieren Sie
a) gelber Fleck, b) blinder Fleck!
18. Nennen Sie die Schutzeinrichtungen des Auges und ihre Aufgaben.19. Beschreiben Sie die Bildentstehung auf der Netzhaut und das Funktionsprinzip der Stäb-
chen und Zapfen.20. Erklären Sie Akkommodation und Adaptation.
Worin liegt ihre biologische Bedeutung?21. Was versteht man unter der Sehbahn?22. Geben Sie einen Überblick über die Leistungen des Gesichtssinnes.23. Warum strengt langes Nahsehen die Augen besonders an?
Fragen zur Wiederholung
Das Nervensystem steuertund koordiniert die lebens-erhaltenden Körperfunk-tionen so, dass mit mög-lichst wenig Aufwand eineoptimale Anpassung andie aktuellen Umweltein-wirkungen erfolgt. Dazunimmt es mithilfe vonSinneszellen bzw. Nerven-endungen Informationenauf, analysiert und spei-chert sie, um danach dieEffektorgane zur Aktivitätanzuregen. Zum Beispielwird Sprachinformationakustisch aufgenommen,analysiert und gespei-chert, danach werden dieSprechorgane erregt, undes erfolgt die Reaktion.
17.1 Gliederung
1. Nach anatomischen Ge-sichtspunkten werden Zentralnervensystem und peripheres Nerven-system unterschieden (✑ Tab. 17.1, S. 332).
– Zentralnervensystem (ZNS):Gehirn und Rückenmark.Sie bestehen aus: grauer Substanz (= Ner-venzellkörper) undweißer Substanz (= Ner-venfasern), deren weiße Farbe auf die lipidhalti-ge Markscheide zurückzuführen ist.
– Peripheres Nervensystem (PNS):Das periphere Nervensystem besteht aus den zu- und abführenden Nervenfasern, die sich in den peripheren Nerven befinden (✑ S. 352).Das periphere Nervensystem verbindet ZNS und Organe miteinander.
331
17 Nervensystem
Gehirn(Cerebrum)
Rückenmark(Medulla spinalis)
periphere Nerven
ZNS
PNS
Das ZNS dient der Weiterleitung, Verarbeitung und Speicherung von Informationen, das PNShauptsächlich der Weiterleitung.
Merke
Nervensystem. Abb. 17.1
2. Nach physiologischen (funktionel-len) Gesichtspunkten werden unter-schieden (✑ Tab. 17.2).
– Animales (cerebrospinales – soma-tisches) Nervensystem: Das sind jene Teile des Nerven-systems, die aus der Umwelt Infor-mationen aufnehmen, sie verarbei-ten und damit eine individuelle An-passung an die Umwelt ermögli-chen.
– Vegetatives Nervensystem (VNS): Das VNS steuert u. a. den Kreis-lauf und die Sexualfunktionen.
17.2 Rückenmark (Medulla spinalis)
Das Rückenmark leitet über abstei-gende Nervenfasern (Leitungsbahnen= weiße Substanz) Informationenvom Gehirn zur Peripherie bzw. überdie aufsteigenden NervenfasernInformationen von der Peripheriezum Gehirn.
17 Nervensystem332
Anatomische Gliederung des Nervensystems.Tab. 17.1
Nervensystem (NS)– anatomische Gliederung –ZNS PNS
Gehirn Rückenmark GanglienGesamtheit der Nervenfasern außerhalb desZNS als Bestandteil der peripheren Nerven
(z. B. Armnerven, Zwerchfellnerven etc.)
Ansicht von ventral Ansicht von dorsal
verlängertes Mark(Medulla oblongata)
Anschwellung imHalsbereich
(Intumescentia cervicalis)
vordere mittlereRückenmarkspalte
(Fissura mediana anterior)
hintere mittlereRückenmarkfurche
(Sulcus medianus posterior)
Anschwellung imLendenbereich
(Intumescentia lumbosacralis)
Rückenmark(Medulla spinalis)
Wirbelsäule mit Rückenmark. Abb. 17.2
Nervensysten (NS)– physiologische Gliederung –animales NS
(= cerebrospinales NS,Umweltnervensystem)
vegetatives NS, VNS(= Eingeweide-nervensystem)
Physiologische Gliederung des Nervensystems.Tab. 17.2
Animales und vegetatives Nerven-system funktionieren nur koopera-tiv aufeinander abgestimmt. Sie bil-den also eine Einheit.
Merke
17.2.1 Lage und Form
Das Rückenmark liegt als ovaler Strang, Durch-messer ca. l cm, Länge ca. 45 cm, im Wirbel-kanal. Es beginnt als Fortsetzung des verlänger-ten Markes des Gehirns am großen Hinter-hauptloch und endet in Höhe der Oberkante des2. Lendenwirbels. Der caudale Teil ist verjüngtund wird durch einen 20 – 25 mm langen End-faden an der Rückseite des 2. Steißwirbels be-festigt. An der Oberfläche des Rückenmarkes fallen 2 längs verlaufende Vertiefungen besonders auf:– vordere mittlere Rückenmarkspalte (Fissura
mediana anterior) an der Vorderseite – tief, – hintere mittlere Rückenmarkfurche (Sulcus
medianus posterior) an der Hinterseite – flach.
17.2.2 Innerer Bau
Die Schnittfläche eines Rückenmarkquerschnit-tes zeigt 2 deutlich unterscheidbare Zonen.
1. Graue Substanz (Substantia grisea)Die schmetterlingsförmige graue Substanz bestehthauptsächlich aus Nervenzellkörpern. Es sindfolgende Teile zu unterscheiden:a) 2 Vorderhörner (Columna anterior) oder
Vordersäulen (Cornu anterius)In ihnen liegen die motorischen Nervenzell-körper der peripheren motorischen Neurone.Ihre Neuriten treten ge- bündelt an der Vorder-seite des Rückenmarks als motorische vordere Wurzeln heraus und ziehen in den entspre-chenden Nerven zu den Muskeln. Bei den motorischen Nerven-zellkörpern (Perika-ryen) gibt es 3 Typen.• große �1-Motoneu-
rone – schnelle Be-wegungen der Bewe-gungsmuskeln,
• kleine �2-Motoneu-rone – langsame Be-wegungen der Halte-muskeln und
• kleine �-Motoneurone – Beeinflussung des Muskeltonus.
Außerdem befinden sich in den Vorderhör-nern zahlreiche Interneurone zur Steuerung der �-Motoneurone.
b) 2 Hinterhörner (Columna posterior) oder Hintersäulen (Cornu posterius) In den Hinterhörnern liegen Nervenzellkörperdes 2. sensiblen Neurons; die des 1. befindensich außerhalb des Rückenmarkes im Spinal-ganglion, und deren Neuriten ziehen als hin-tere Wurzel in die Hinterhörner.
c) 2 Seitenhörner (Columna lateralis) oder Sei-tensäulen (Cornu laterale)In den Seitenhörnern befinden sich Perikaryen des Sympathicus (C8 – L3) und des Parasym-pathicus (S2 – S4).
d) Zentralkanal (Canalis centralis)Er liegt als Rest der Lichtung des Neuralrohres(eine der ersten Anlagen des ZNS in der Embryonalentwicklung) im zentralen Verbin-dungsstück der grauen Substanz und enthält Liquor. Cranial steht er mit dem 4. Ventrikel in Verbindung, caudal endet er blind. Beim Erwachsenen ist er oft stellenweise verödet (✑ Abb. 17.14, S. 347).
2. Weiße Substanz (Substantia alba)Die weiße Substanz umgibt die graue Substanz.Sie besteht hauptsächlich aus markscheidenhal-tigen Nervenfasern, die als sog. Leitungsbahnen
17.2 Rückenmark 333
Rückenmark (Querschnitt). Abb. 17.3
Hinterhorn(Columna posterior)
Hinterwurzel(Radix posterior)
graue Substanz
(Substantia grisae)
Vorderhorn(Columna anterior)
weißeSubstanz
(Substantia alba)
Spinalnerv(N. spinalis)
Seitenhorn(Columna lateralis)
motorische Vorderwurzel(Radix anterior)
Zentralkanal(Canalis centralis)
hintere Längsrinne(Sulcus medianus posterior)
Spinalganglion(Ganglion spinale)
vordere tiefe Längsspalte(Fissura mediana anterior)
zwischen Peripherie und Gehirn verlaufen. Dieweiße Substanz wird durch die graue „Schmet-terlingsfigur“ rechts und links in jeweils 3 Stränge unterteilt:– einen Vorderstrang (Funiculus anterior)
zwischen Fissura mediana anterior (vordere Mittelfurche) und motorischer Vorderwurzel,
– einen Seitenstrang (Fubiculus lateralis) zwischen motorischer Vorder- und sensibler
Hinterwurzel und– einen Hinterstrang (Funiculus posterior)
zwischen sensibler Hinterwurzel und Sulcus medianus posterior (hinterer Mittelfurche).
Die beiden Vorderstränge werden durch eineBrücke weißer Substanz, die Commisura alba,die unmittelbar hinter der Fissura longitudinalisanterior liegt, verbunden.
17 Nervensystem334
Brustteil (Pars thoracica) mit12 Paar Brustnerven (Nn. thoracici)
Lendenteil (Pars lumbalis) mit5 Paar Lendennerven (Nn. lumbales)
Steißbeinteil (Pars coccygea) mit1–3 Paar Steißbeinnerven (Nn. coccygei)
Kreuzbeinteil (Pars sacralis) mit5 Paar Kreuzbeinnerven (Nn. sacrales)
Halsteil (Pars cervicalis) mit8 Paar Halsnerven (Nn. cervicales)
Rückenmarksegmente.Abb. 17.4
C1
C8Th1
Th12L1
L5S1
S5Co1
Co3
Rückenmark(Medulla spinalis)
Pferdeschweif(Cauda equina)
17.2.3 Rückenmarksegmente
Das Rückenmark wird analog der Wirbelsäule in5 Abschnitte gegliedert. Jeder Abschnitt bestehtaus Segmenten (äußerlich nur durch die austre-tenden Rückenmarkwurzeln erkennbar). Zueinem Rückenmarksegment gehören 2 vordereund 2 hintere Rückenmarkwurzeln. Auf jederSeite verbinden sich die vordere und hintereWurzel im Zwischenwirbelloch zu einem Rücken-marknerven.
17.3 Gehirn (Encephalon)
17.3.1 Masse, Lage, Form, Gliederung
Das Gehirn ist der rostrale Teil des Zentralnerven-systems. Beim Erwachsenen beträgt die Hirn-masse durchschnittlich 1.350 bis 1.500 Gramm.Das Gehirn liegt von Hirnhäuten und Liquorumgeben in der knöchernen Schädelhöhle undist dieser in seiner äußeren Form angepasst. Dieuntere Fläche des Gehirns heißt Hirnbasis.
Gliederung des Gehirns Folgende Abschnitte unterscheidet man: • Telencephalon (Endhirn) oder Cerebrum
(Großhirn),
• Diencephalon (Zwischenhirn),• Mesencephalon (Mittelhirn),• Metencephalon (Hinterhirn),
mit Cerebellum (Kleinhirn)und Pons (Brücke),
• Myelencephalon (Nachhirn)oder Medulla oblongata(verlängertes Mark).
Sehr vereinfacht wird das Gehirn eingeteilt indas Großhirn und den Hirnstamm (= alle übrigenHirnabschnitte).
17.3.2 Endhirn (Telencephalon)
Das Endhirn ist der Sitz des Bewusstseins, desEmpfindens, des Willens und des Gedächtnisses.Es ist beim Menschen der größste Hirnabschnitt,der einen weiten Teil der übrigen Hirnteile über-deckt und diesen funktionell übergeordnet ist.Gebildet wird es von zwei fast symmetrischenhalbkugelförmigen Hälften (Hemisphären), diedurch einen tiefen Längsspalt (Fissura longitudi-nalis cerebri) voneinander getrennt und durchden Balken (Corpus callosum) miteinander ver-bunden sind.
Die Oberfläche der beiden Hemisphären wirddurch zahlreiche Windungen (Gyri, Singular:
17.3 Gehirn 335
Rechte Hirnhälfte. Abb. 17.5
Endhirn(Telencephalon)= Großhirn(Cerebrum)
Scheitel-Hinterhaupt-Furche(Sulcus parietooccipitalis)
Balken(Corpus callosum)
Zirbeldrüse(Epiphyse)
Kleinhirn(Cerebellum)
Brücke(Pons)
verlängertes Mark(Medulla oblongata)
Zwischenhirn(Diencephalon)
Hirnanhangsdrüse(Hypophyse)
Mittelhirn(Mesencephalon)
Rhomben-cephalon(Rautenhirn)
Gyrus) und Furchen (Sulci, Singular: Sulcus)beachtlich vergrößert. Gleichzeitig wird durchdie tiefen Furchen jede Endhirnhemisphäre in 4 Endhirnlappen (Lobi, Singular: Lobus) unter-teilt:• Stirnlappen (Lobus frontalis),• Scheitellappen (Lobus parietalis),• Schläfenlappen (Lobus temporalis) und• Hinterhauptlappen (Lobus occipitalis).
Wichtige Furchen als Grenzlinien zwischen den Lappen sind– die Zentralfurche (Sulcus centralis) zwischen
Stirn- und Scheitellappen,– die seitliche Furche (Sulcus lateralis) zwi-
schen Stirn-, Scheitel-, Schläfenlappen sowie– die Scheitel-Hinterhaupt-Furche (Sulcus parieto-
occipitalis) zwischen Scheitel- und Hinter-hauptlappen.
Innerer BauWie das Rückenmark besteht auch das Gehirnaus grauer und weißer Substanz.
Graue Substanz (Substantia grisea)Die graue Substanz bildet– die Endhirnrinde (Cortex cerebri), die wie
ein Mantel das Endhirn (Großhirn) umschließt.Sie besteht aus 10 – 16 Milliarden Nervenzell-körpern, die in 6 Schichten übereinander an-geordnet sind;
– die Kerne des Endhirns: Als solche werden Ansammlungen von grauer Substanz unter-halb der Hirnrinde bezeichnet.
Funktionszentren der EndhirnrindeDie ablaufenden Nervenprozesse können be-stimmten Teilen der Rinde (= Rindenfelder) zu-geordnet werden. Diese Rindenfelder werden vonNervenzellkörpern gebildet, die gleiche oder ähn-liche Funktionen erfüllen. Die Projektion erfolgtin der Weise, dass die Abschnitte der linkenKörperhälfte auf dem Kopf stehend (Bein undBecken oben, Kopf unten) in der rechten End-hirnhemisphäre und umgekehrt widergespiegeltwerden. Nach der Funktion unterscheidet man 2 verschiedene Rindenfeldtypen, die motorischenund die sensorischen (sensiblen) Rindenfelder.
Motorische RindenfelderSie werden von motorischen Neuronen gebildetund sind für das Zustandekommen der Bewe-gungen verantwortlich.
17 Nervensystem336
hintereZentralwindung(Gyrus postcentralis)
Scheitellappen(Lobus parietalis)
Scheitel-Hinterhaupt-Furche(Sulcus colcarinus)
Hinterhauptlappen(Lobus occipitalis)
Zentralfurche(Sulcus centralis)
vordereZentralwindung
(Gyrus praecentralis)
Stirnlappen(Lobus frontalis)
seitliche Furche(Sulcus lateralis)
Schläfenlappen(Lobus temporalis)
Lappen und Furchen des Endhirns.Abb. 17.6
Vor der Zentralfurche liegt die vordere Zentral-windung (Gyrus praecentralis) und hinter ihr die hintere Zentralwindung (Gyrus post-centralis).
Merke
– Primärzentrum der Willkürmotorik. Es liegt in der vorderen Zentralwindung (Gyrus prae-centralis) des Stirnlappens. Die Zentren für den Kopf liegen unten, die für die Beine oben. Hier werden die Befehle für alle willkürlichenBewegungen an die Peripherie gegeben. Vom primären Projektionszentrum ziehen die Projektionsbahnen (Pyramidenbahnen) zu den motorischen Hirnnervenkernen und den motorischen Vordersäulen des Rückenmarks (✑ auch Abb. 17.18, S. 351).
Vor der vorderen Zentralwindung liegen diesekundären motorischen Zentren (Assozia-tionszentren). In ihnen entstehen im Zusam-menwirken mit vielen anderen motorischen Zentren die Handlungsantriebe und Bewe-gungsentwürfe.
Muskeln, die sehr fein abgestimmte Bewegun-gen (Feinmotorik) ausführen müssen, besitzen ein relativ großes Rindenfeld: So nehmen die Zentren für Hand und Mund den größten Raum im Gyrus praecentralis ein.
– Motorisches Sprachzentrum (Broca-Zentrum).Dieses Zentrum liegt unter der vorderen Zen-tralwindung und ist das Koordinationszentrumfür die Sprachmuskeln (Kehlkopf, Zunge, Wangen, Lippen, weicher Gaumen).
– Motorisches Lese- und Schreibzentrum. Es liegt im Frontallappen. Von dort aus werden die Augenmuskeln beim Schreiben und Lesen gesteuert.
17.3 Gehirn 337
hintereZentralwindung(Gyrus postcentralis)– Körperfühlsphäre –
Scheitellappen(Lobus parietalis)
Hinterhauptlappen(Lobus occipitalis)
Sehzentrum
optisches Schreib-und Lesezentrum
vordereZentralwindung
(Gyrus praecentralis)– Willkürmotorik –
motorisches Lese- und
Schreibzentrum(„‘Blickzentrum“’)
Stirnlappen(Lobus frontalis)
seitliche Furche(Sulcus lateralis)
Hörzentrum
motorisches Sprachzentrum
(Broca-Zentrum)
sensorisches Sprachzentrum(Wernicke-Zentrum)
Funktionszentren an der Außenfläche der Endhirnrinde. Abb. 17.7
Die motorischen Bahnen kreuzen entweder inden Pyramiden der Medulla oblongata oder imZielsegment auf der Gegenseite, d. h., Störun-gen in der linken vorderen Zentralwindungführen zu Ausfällen in der rechten Körperhälfte.
Merke
Zentralfurche(Sulcus centralis)
Ein Ausfall des Broca-Zentrums führt zur motorischen Aphasie. Der Betroffene ver-steht zwar Worte, kann aber selbst nicht arti-kuliert sprechen.
❑P
Sensorische RindenfelderSie werden von sensiblen Neuronen gebildet undverarbeiten die von den Sinneszellen aufgenom-menen Informationen.– Primäres sensorisches Rindenfeld (= Körper-
fühlsphäre). Das Zentrum befindet sich in der hinteren Zentralwindung (Gyrus postcentra-lis) des Scheitellappens, wo die sensiblen Kör-perfühlbahnen enden. Diese leiten die Infor-mationen von den Tast-, Druck-, Temperatur- und Schmerzrezeptoren der Haut, den Mus-keln, Gelenken und inneren Organen in das Zentrum. Hier werden sie dann zu Tast-, Druck-, Temperatur- und Schmerzempfindun-gen verarbeitet und bewusst wahrgenommen (✑ auch Abb. 17.17, S. 350).
– Hörzentrum. Das Hörzentrum liegt im Schlä-fenlappen und ist nur wenige Millimeter groß. Es ist für die Wahrnehmung von Lauten und Tönen zuständig.
– Sensorisches Sprachzentrum (= Wernicke-Zentrum). Dieses Zentrum befindet sich hin-ter dem Hörzentrum im Schläfenlappen und ist wie das motorische Sprachzentrum meist nur in der linken Endhirnhälfte zu finden. Es ist für das Verstehen und die Interpretation von Wörtern zuständig.
– Sehzentrum.Das Sehzentrum liegt in der Kalkarinarinde oder Area striata des Hinterhauptlappens.In dieser primären Seh-rinde endet die vom seitlichen Kniehöcker des Thalamus kom-mende Sehbahn, und hier entstehen die opti-schen Wahrnehmun-gen.
Dem Sehzentrum benachbart sind verschiede-ne optische Assoziationszentren, z. B. das optische Erinnerungszentrum für die Schrift (= optisches Lese- und Schreibzentrum).
– Zentren für Geschmacks- und Geruchsemp-findungen. Beide Zentren liegen an der Innen-seite des Schläfenlappens (Gyrus parahippo-campalis), wobei sich das Geruchszentrum im vorderen Abschnitt befindet.
In den primären Projektionsfeldern der Motorik(vordere Zentralwindung) und Sensibilität (hin-tere Zentralwindung) der Endhirnrinde sind dieeinzelnen Organe nicht nach ihrer Größe, son-dern entsprechend ihrer funktionellen oder bio-logischen Wertigkeit repräsentiert. Das heißt, jebedeutungsvoller ein Organ diesbezüglich ist,desto größer ist die räumliche Ausdehnung sei-nes Rindenbezirkes und umgekehrt.
17 Nervensystem338
Ausfall des Hörzentrums führt zur Taubheit.❑P
Ausfall bedeutet „Seelentaubheit“. DemKranken fehlt die Spracherinnerung. Worte und Silben werden als „Wortsalat“ hervorgebracht(Paraphasie).
❑P
Bei Ausfall des Sehzentrums ist der Mensch blind (Rindenblindheit).❑P
Fällt das Zentrum der optischen Erinnerung aus, kann der Mensch zwar sehen, aber nicht erklären, was er gesehen hat. Dies wird als „Seelenblindheit“ bezeichnet.
❑P
Die Organe des Körpers sind bestimmten sen-siblen und motorischen Regionen der Endhirn-rinde zugeordnet. Dies bezeichnet man alsSomatotopie (✑ Abb. 17.8).
Merke
Basalganglien
Schweifkern(Nucleus caudatus)
Streifenkörper(Corpus striatum)
Bleicher Kern(Pallidum)
Mandelkörper(Corpus amygdaloideum)
Vormauer(Claustrum)
Schale(Putamen)
Linsenkern(Nucleus lentiformis)
Übersicht über die paarig angelegten Basalganglien. Tab. 17.3
So ist zum Beispiel das sehr gut abgestimmteBewegungsspiel der für Hand und Mund zustän-digen Muskeln darauf zurückzuführen, dassdiese über die Hälfte der motorischen Repräsen-tation in der vorderen Zentralwindung einneh-men.
Basalganglien (= Stammganglien)Die grauen Kerne des Endhirns werden als Ba-salganglien bezeichnet. Sie liegen in seiner Tiefeund werden von weißer Substanz eingeschlos-sen.
17.3 Gehirn 339
Gyrus postcentralis – sensorisch
Gyrus praecentralis– motorisch
Repräsentation des Körpers im Gyrus postcentralis und praecentralis (Somatotopie). Abb. 17.8
Längsfurche(Fissura longitudinaliscerebri)
Endhirnrinde(Cortex cerebri),
graue Substanz(Substantia grisea)
weiße Substanz(Substantia alba)
Balken(Corpus callosum)
innere Kapsel(Capsula interna)mitProjektionsbahnen(nicht dargestellt)
Mandelkörper(Corpus amygdaloideum
Hypothalamus
Hirngewölbe(Fornix)
Schweifkern(Nucleus caudatus)
ThalamusVormauer(Claustrum)
Linsenkern-schale
(Putamen)
Bleicher Kern(Pallidum)
Linsenkern(Nucleus lentiformis)
primäres motorischesRindenzentrum
rechte Hemisphäre linke Hemisphäre
Kerne des Endhirns (Frontalschnitt). Abb. 17.9
Die Basalganglien sind ein wichtiges Bindegliedzwischen den motorischen Zentren der Großhirn-rinde und denen des Hirnstammes; sie sind aberder Rinde untergeordnet.
AufgabenDie Basalganglien sind vor allem am Zustande-kommen und der Sicherung der normalen Bewe-gungsabläufe beteiligt. Das heißt, als Teil desextrapyramidal-motorischen Systems– sichern sie die Flüssigkeit und Zweckmäßig-
keit der Bewegungen sowie automatisierte und individuelle Mitbewegungen,
– koordinieren sie die Bewegungen und sind mitverantwortlich für Mimik und Muskeltonus,
– integriert der Mandelkörper Umweltreize und inneres Milieu und beeinflusst somit die Tätigkeit des vegetativen Nervensystems.
Weiße Substanz (Substantia alba)Sie befindet sich unter der Hirnrinde. Man unter-scheidet folgende Leitungsbahnsysteme:
– Assoziationsbahnen: Sie verbinden die Zen-tren innerhalb einer Endhirnhemisphäre unter-einander.
– Kommissurenbahnen: Sie verbinden die bei-den Hemisphären miteinander.
– Projektionsbahnen: Diese Leitungsbahnen verbinden das Endhirn mit den anderen Hirn-teilen und dem Rückenmark.
Limbisches SystemEs wird aus Hirnteilen gebildet, die wie ein Saum(Limbus) an der Innenfläche der Endhirnhemi-
sphäre um den Balken und den 3. Ventrikel liegen. Zum limbischen System gehörenu. a.:– das Ammonshorn (Hippocam-
pus) am Boden des seitlichen Ventrikels,
– die Ammonshornwindung (Gy-rus hippocampi) unmittelbar neben dem Zwischenhirn,
– die Gürtelwindung (Gyrus cin-guli; gehört teils zum Stirn- und teils zum Schläfenlappen),
– das Hirngewölbe (Fornix) um den 3. Ventrikel,
– Teile des Riechhirns (z. B. Bulbus olfactorius),
– der Mandelkörper (Corpus amygdaloideum) im Schläfen-lappen und
– der vordere Thalamuskern(Nucleus thalami anterior).
17 Nervensystem340
Koordinierte und orientierte Handlungen bishin zum Persönlichkeitsprofil sind immer dasErgebnis des Zusammenwirkens aller Funk-tionszentren der Endhirn- bzw. Großhirnrindemit den übrigen Teilen des Nervensystems.
Merke
Limbisches System.Abb. 17.10
Das wichtigste Kommissurensystem ist derBalken (Corpus callosum).
Merke
Das Hauptprojektionssystem ist die innereKapsel (Capsula interna), die in Wirklichkeitkeine Kapsel ist, sondern ein Gebiet, in demdie meisten afferenten und efferenten Projek-tionsfasern auf engstem Raum verlaufen.
Merke
Schädigungen der inneren Kapsel entstehen z. B. bei Blutungen. Sie führen zu schwerwie-genden Ausfällen (z. B. Halbseitenlähmungen).
❑P
Ammonshorn(Hippocampus)
Hirnstamm(Truncus cerebri)
Mandelkörper(Corpus amygdaloi-deum)
vordererThalamuskern
(Nucleus thalamianterior)
Balken(Corpus
callosum)
Schweifkern(Nucleus caudatus)
Hirngewölbe(Fornix)
Teil des Riechhirns
(Bulbus olfactorius)
Hirnanhangdrüse(Hypophyse)
Hypothalamus
Funktionen– Steuerung des emotionalen Verhaltens und da-
mit des Motivationsgefüges zur besseren An-passung an die konkrete Umweltsituation;
– Regulierung der Lern- und Gedächtnisprozesse;– als dem Hypothalamus direkt übergeordnete
Zentrale beeinflusst das limbische System zahlreiche vegetative Funktionen wie Blut-druck, Verdauung und Herzfrequenz.
17.3.3 Zwischenhirn (Diencephalon)
Das Zwischenhirn wird zum größten Teil vomEndhirn überlagert. Nur kleinere Abschnitte sindan der Hirnbasis sichtbar.Es wird hauptsächlich aus 2 Abschnitten ge-bildet, dem viel größeren Thalamus und demdarunter liegenden kleineren Hypothalamus.Beide Abschnitte begrenzen den spaltförmigen 3. Ventrikel und werden dadurch in einen linkenund rechten Anteil getrennt.
ThalamusDer Thalamus besteht überwiegend aus grauerSubstanz, die zahlreiche Kerngebiete bildet.
Aufgaben– Vorderer Kern (Nucleus anterior thalami):
Umschaltstation der Riechbahn.– Seitlicher Kern (Nucleus lateralis thalami):
Umschaltstation aller sensiblen Bahnen zur hinteren Zentralwindung (Körperfühlsphäre).
– Mittlerer Kern (Nucleus medialis thalami): Regulierende Beeinflussung der Bahnen zur Bewegungssteuerung.
– Kniehöcker: Sie liegen zu zweit im unteren hinteren Bereich und dienen als Umschaltzen-tren der zentralen Sehbahn (seitlicher Knie-höcker = Corpus geniculatum laterale) und zentralen Hörbahn (mittlerer Kniehöcker = Corpus geniculatum mediale).
HypothalamusDer Hypothalamus liegt unter dem Thalamus,getrennt durch eine Furche (Sulcus hypothalami-cus), und bildet den Boden des 3. Ventrikels.
AufgabenIn den Kerngebieten des Hypothalamus liegendie übergeordneten Zentren des vegetativenNervensystems. 1. Hunger- bzw. Esszentrum. Zur übergeordneten
Regulation des Appetits und der Verdauungs-funktionen.
2. Durstzentrum. Hier wird die Flüssigkeitsauf-nahme reguliert.
3. Temperaturregulationszentrum. Von hier aus wird die Körpertemperatur reguliert.
4. Sexualitätszentrum. Durch die Bildung der Releasing- und Inhibitinghormone werden die Sexualfunktionen regulierend beeinflusst.
17.3 Gehirn 341
Alle Strukturen des limbischen Systems habenenge Verbindungen zum Hypothalamus.
Merke
Das limbische System steuert vordergründigdie Verhaltensweisen, die die Befriedigung derprimären Bedürfnisse sichern, also letztendlichder Erhaltung der Art dienen.
Merke
Erkrankungen des limbischen Systems kön-nen zu fehlangepassten Verhaltensweisen führen.❑P
Im Thalamus erfolgt die Umschaltung der meis-ten Sinnesbahnen, wobei eine „Filterung“ er-folgt, d. h., nur die aktuell benötigten Informa-tionen werden zum Endhirn weitergeleitet.
Merke
Bei Ausfall erlischt das Bedürfnis zur Nah-rungsaufnahme.❑P
Über dem Hypophysenstiel (Infundibulum)steht der Hypothalamus und damit das Gehirnmit der Hypophyse in Verbindung. Er stelltsomit das zentrale Bindeglied zwischenNervensystem und Hormonsysten dar.
Merke
17.3.4 Mittelhirn (Mesencephalon)
Das Mittelhirn schließt sich als kleinster Hirnab-schnitt dem Zwischenhirn an und ist obersterTeil des Hirnstammes. Der Hirnstamm selbstbesteht aus dem Mittelhirn, der Brücke undendet mit dem verlängerten Mark, das auf derHöhe des Hinterhauptlochs in das Rückenmarkübergeht.
Bevor das Mittelhirn und die weiteren Hirnab-schnitte näher erläutert werden, ist es erforder-lich, auf die Hirnnervenkerne einzugehen. Auchdiese Kerne bestehen aus abgegrenzten Ansamm-lungen von Nervenzellkörpern (Perikaryen). Beiden Kerngebieten der Hirnnerven werden moto-rische und sensible (sensorische) unterschieden.Die motorischen Hirnnervenkerne sind Ur-sprungskerne. Sie bestehen aus den Perikaryendes 2. peripheren motorischen Neurons, derenNeuriten die peripheren Hirnnerven bilden (✑Abb. 17.18, S. 351 und Kap. 17.9.1).Die sensiblen Hirnnervenkerne sind Endkerneund werden von den Perikaryen der 2. sensiblenNeurone gebildet. Die Perikaryen der 1. sensi-blen Neurone – pseudounipolare Nervenzellen –sitzen in den Hirnnervenganglien (✑ Abb. 17.17,S. 350).
Man untergliedert das Mittelhirn in 3 Teile mit 2 motorischen Kerngebieten:– das Dach (Tectum),
– die Haube (Tegmentum),– die Großhirnschenkel (Cruca cerebri) oder
Großhirnstiele (Pedunculi cerebri).
Das Dach (Tectum, Vierhügelplatte) des Mittel-hirns liegt dorsal und wird vom Endhirn über-deckt. Es wird aus der Vierhügelplatte gebildet(✑ Abb. 17.12). In den 2 oberen Hügeln befindetsich die Umschaltstelle für die Sehbahn und inden 2 unteren die für die Hörbahn. Von diesenZentren werden die Informationen über dasRückenmark zur Peripherie weitergeleitet.
Die Haube (Tegmentum) liegt zwischen Dachund Hirnschenkeln. Sie enthält– wichtige Kerngebiete, die für den Ablauf
automatischer Bewegungen bedeutungsvoll sind und zum extrapyramidal-motorischen System (EPS) gehören;
– die Ursprungskerne der Hirnnerven 3 und 4. Diese sind zuständig für• die Steuerung der Augenbewegungen,• den Pupillenreflex und• die Akkommodation;
– durchlaufende sensible Bahnen, z. B. zum Zwischenhirn und Hörzentrum.
Die 1,5 cm langen Großhirnschenkel (Cruracerebri) liegen ven-tral. Sie beginnenam oberen Brücken-rand und treten dannin die Tiefe. In denGroßhirnschenkelnbefinden sich dieNervenfasern vomEndhirn zum Klein-hirn und der Pyra-midenbahn.
Kerngebiete desMittelhirnsIm Mittelhirn hebensich 2 größere Kerneab. Sie sind Teil derFormatio reticularis.
17 Nervensystem342
Bei Tumoren in der Vierhügelplatte kann eszu Blickparesen (Lähmungen) und Hörstörun-gen kommen.
❑P
Zirbeldrüse(Corpus pineale)
oberer Hügel(Colliculus cranialis)
roter Kern(Nucleus ruber)
schwarze Substanz(Substantia
nigra)
Verbindung zwischen 3. und 4. Hirnventrikel(Aquaeductus cerebri)
Dach(Tectum)
Haube(Tegmentum)
dorsal
ventral
Großhirn-schenkel(Cruca cerebri)
Mittelhirn mit Kerngebieten (Querschnitt).Abb. 17.11
• Roter Kern (Nucleus ruber)Der rote Kern ist kugelförmig. Die rötliche Farbe beruht auf der Einlagerung eisenhalti-ger Farbstoffe. Er ist Umschaltstation für Informationen des extrapyramidal-motori-schen Systems zwischen Endhirn, Kleinhirn und Rückenmark und koordiniert in diesem Zusammenhang das Zusammenspiel der Beuger und Strecker beim Gehen und Laufen.
• Schwarze Substanz (Substantia nigra)Das Kerngebiet liegt als flächenhafte Nerven-zellplatte zwischen Haube und Hirnschenkeln. Die Nervenzellkörper enthalten Melanin, da-her die dunkle Farbe.
Die Substantia nigra ist wechselseitig verbun-den mit den Basalganglien und dem Endhirn. Ihre Zellen sind zuständig für die Produktion des Neurotransmitters Dopamin, das in denBasalganglien benötigt wird.
17.3.5 Brücke (Pons)
Die Brücke ist an der Hirnbasis als vorspringen-der weißer Querwulst zwischen verlängertemMark und Mittelhirn sichtbar. Sie besteht aus– quer verlaufenden Nervenfasern, die End- und
Kleinhirnrinde verbinden. In diese Nerven-bahn sind die Brückenkerne eingeschaltet, so- dass die Brücke hier als Schaltstation dient;
– motorischen und sensiblen Nervenfasern, diezwischen Endhirn und Rückenmark verlaufen.
17.3.6 Kleinhirn (Cerebellum)
Das Kleinhirn befindet sich in der hinterenSchädelgrube unterhalb des Hinterhauptlappensdes Großhirns. Wie das Großhirn besteht auchdieser Hirnteil aus 2 Hemisphären, die in derMitte durch den Kleinhirnwurm (Vermis cere-belli) verbunden werden. Die Kleinhirnrinde(Cortex cerebelli) bildet die Hülle und weist an
17.3 Gehirn 343
Balken(Corpus callosum)
Adergeflecht(Plexus chorioideus)
Epiphyse(Epiphysis cerebri)Zirbeldrüse(Corpus pineale)
Vierhügelplatte(Lamina tecti)
Kleinhirn(Cerebellum)
4. Ventrikel(Ventriculus quartus)
verlängertes Mark(Medulla oblongata)
Gewölbebogen(Fornix)
Thalamus3. Ventrikel
(Ventriculus tertius)
HypophysenstielSehnerven-
kreuzungHirnanhangs-
drüse(Hypophyse) Mittelhirn
(Mesencephalon)
Brücke(Pons) Wasserkanal
(Aquaeductus cerebri)
Hirnstamm und Kleinhirn (Medianschnitt). Abb. 17.12
Störungen des Nucleus ruber äußern sich u. a. als– ungeordnete Bewegungen (Ataxien),– fehlerhaftes Muskelzusammenspiel und– Zittern.
❑P
Eine Störung der Dopaminsynthese in der Substantia nigra führt zur Parkinson’schen Erkrankung mit den Symptomen:
❑P
• Bewegungsarmut (Akinese),• erhöhte Muskelspannung (Rigor),• Zittern (Tremor),• Störungen des vegetativen Nervensystems,• Verlangsamung des Gedankenablaufs.
ihrer Oberfläche zahlreiche quer verlaufendeFurchen auf. Im Inneren der Hemisphären unterder Rinde befindet sich die weiße Substanz, diesich in Form der Kleinhirnstiele in die benach-barten Hirnteile (Mittelhirn, Brücke, Medullaoblongata) fortsetzt. In beiden Kleinhirnhemi-sphären befinden sich außerdem jeweils 4 Klein-hirnkerne.
Funktionen des KleinhirnsDas Kleinhirn dient in erster Linie dazu, dieTätigkeit der anderen motorischen Zentren zuunterstützen und miteinander zu koordinieren.Insbesondere ist es zuständig für – die Erhaltung des Gleichgewichts, indem es
Muskelbewegungen und -spannungen aufein-ander abstimmt,
– die reibungslose Durchführung der vom End-hirn „entworfenen“ schnellen Zielmotorik.
Zu diesem Zweck erhält das Kleinhirn sensibleInformationen von den Muskeln und Sehnen,Informationen vom Gleichgewichtsorgan und vonder Großhirnrinde. Alle diese Informationenwerden vom Kleinhirn verarbeitet und anschlie-ßend in extrapyramidalen Bahnen (s. S. 352) denperipheren Neuronen zugeleitet.
17.3.7 Verlängertes Mark (Medulla oblongata)
Die Medulla oblongata verbindet das Rücken-mark mit der Brücke. Es beginnt also in Höhedes Atlas. Seine Hauptbestandteile:– afferente (sensible) und efferente (motorische)
Nervenbahnen, die vom Rückenmark zum Gehirn führen und umgekehrt;
– Atmungsregulationszentrum;– Brechzentrum;– Herz-Kreislauf-Zentrum (kardiovaskuläres
Zentrum);– Sitz der Pyramidenkreuzung;– verschiedene Reflexzentren (z. B. Husten-,
Nies-, Schluck- und Brechreflex).
17.3.8 Netzsubstanz (Formatio reticularis) und aufsteigendes retikuläres aktivierendesSystem (ARAS)
Zwischen den abgegrenzten Kernen und spezifi-schen Nervenbahnsystemen in verlängertem Mark,Brücke, Mittelhirn und Zwischenhirn befindensich verstreut liegende unterschiedlich großeNeuronengruppen. Es handelt sich v. a. umZwischenneurone mit vielen Dendriten undSynapsen. Diese Neurone bilden die sog.Netzsubstanz. Am stärksten ist sie im Mittel-hirn(Nucleus ruber, Substantia nigra) ausgeprägt.
AufgabenIn der Formatio reticularis bleibt immer ein Teilder zum Endhirn laufenden Afferenzen „hängen“und erzeugt hier unspezifische Erregungen. Diesebilden die Grundlage für die Entstehung von auf-steigenden aktivierenden Impulsen, die vor allemzu den unspezifischen Thalamuskernen gelangenund selbige aktivieren. Durch dieses aufsteigen-de retikuläre, aktivierende System bestimmt dieFormatio reticularis maßgeblich den Wachheits-grad des ZNS und beeinflusst Vorgänge wie– Schlaf-wach-Rhythmus,– Informationsaustausch,– Aufmerksamkeit und Konzentrationsvermögen,– Emotionen,– vegetative Funktionen (z. B. Atmung, Kreislauf).Neben den afferenten Bahnen führen von derFormatio reticularis auch efferente über Zwi-schenneurone zu den Motoneuronen der Vorder-säulen im Rückenmark. Auf diese Weise wirdder allgemeine Tonus der Skelettmuskulaturbeeinflusst.
17 Nervensystem344
Plötzlicher Funktionsausfall des Klein-hirns führt zu starkem Schwindelgefühl. Ge-zielte Bewegungen können nicht mehr durchge-führt werden. Das Gesicht erhält ein starresAussehen.
❑P
Verletzungen der Medulla oblongata sindmit der Gefahr des Atem- und nachfolgendenHerzstillstandes verbunden.
❑P
Durch verlängertes Mark, Brücke, Mittelhirnund Zwischenhirn verlaufen sämtliche sensi-blen und motorischen Nervenbahnen zwischenRückenmark und Endhirnrinde. Die sensiblenBahnen liegen mehr dorsal und die motori-schen ventral.
Merke
17.4 Hirnkammern (Ventriculi encephali)
Im Gehirn liegen 4 mit Liquor gefüllte Hirn-kammern (Ventrikel; ✑ Abb. 17.12, S. 343 undAbb. 17.14, S. 347).– 1. und 2. Ventrikel
Sie liegen in der rechten und linken Endhirn-hemisphäre und werden auch als Seiten-ventrikel bezeichnet.
– 3. VentrikelDieser liegt als spaltförmiger Raum im Thala-mus.
– 4. Ventrikel Diese Hirnkammer befindet sich im Rauten-hirn (Rhombencephalon). Ihr Boden ist die Rautengrube (Fossa rhomboidea), und das Dachwird aus Teilen des Kleinhirns gebildet.
Beide Seitenventrikel sind jeweils durch dasZwischenkammerloch (Foramen interventricu-lare) mit dem 3. und dieser durch einen Kanal(Aquaeductus cerebri) mit dem 4. Ventrikel ver-bunden.
Im beschriebenen Hohlraumsystem befindetsich die Hirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquorcerebrospinalis). Sie wird von Venengeflechten(Plexus chorioideus), die sich in allen Hirn-kammern befinden, gebildet. Die 4 Hirnkam-mern bilden den inneren Liquorraum. Er stehtüber 3 Öffnungen im Boden des 4. Ventrikels mitdem äußeren Liquorraum (Subarachnoidalraum,Zentralkanal des Rückenmarks) in Verbindung: – eine mediane Öffnung (Apertura mediana
ventriculi quarti = Magendie-Loch) hinten; – zwei laterale Öffnungen (Apertura latera-
lis ventriculi quarti = Luschka-Loch) hinter sowie unter der 4. Hirnkammer.
17.5 Schutzeinrichtungen des ZNS
Das ZNS wird von knöchernen Hüllen (Wirbel-kanal, Schädelhöhle), 3 Rückenmarks- bzw.Hirnhäuten (Meningen) und von 1 Liquorhüllegeschützt.Die Hirn- bzw. Rückenmarkshäute sind:– harte Hirn- bzw. Rückenmarkshaut (Dura
mater encephali bzw. spinalis). Die feste und derbe Dura mater ist als äußerste Haut mit der knöchernen Umgebung verwachsen;
– Spinnwebenhaut (Arachnoidea encephali bzw. spinalis) liegt direkt unter der Dura. Sie be-steht aus einer dünnen Lage Bindegewebe, dessen kollagene Fasern einander überkreuzen und enthält keine Blutgefäße;
– weiche Hirn- bzw. Rückenmarkshaut (Pia mater encephali bzw. spinalis). Die ebenfalls zarte, dünne, aber gefäßreiche Pia mater schmiegt sich dem Gehirn und Rückenmark anund dringt in sämtliche Vertiefungen ein.
SubarachnoidalraumDies ist ein Spaltraum zwischen Arachnoideaund Pia mater, der mit Liquor gefüllt ist.
17.5 Schutzeinrichtungen des ZNS 345
Die Formatio reticularis beeinflusst als Koordi-nator des Hirnstammes Bewusstsein, Motorik,vegetative Funktionen und Emotionen. Diedazu notwendigen Informationen erhält sie vonallen Sinnessystemen, vom Hypothalamus,Thalamus, dem limbischen System sowiebestimmten Arealen der Endhirnrinde.Die Formatio reticularis ist der Assoziations-apparat des Hirnstammes.
Merke Sind die Öffnungen zwischen äußerem und innerem Liquorraum nicht angelegt oder ver-legt, entsteht der „Wasserkopf“ (Hydrocepha-lus).
❑P
Meningitis ist eine Entzündung der Hirn-häute.❑P
Das ZNS ist allseitig von Liquor wie mit einemWasserkissen schützend umgeben. Auf dieseWeise werden mechanische Erschütterungenabgefedert. Außerdem kommt es bei begrenz-ten Hirnschwellungen nicht zu einem intra-craniellen Druckanstieg.
Merke
Bei der Lumbalpunktion wird beim sitzen-den Menschen eine Kanüle zwischen L3 und L4oder L4 und L5 in den Subarachnoidalraum geführt, um Liquor zu gewinnen. Das Rücken-mark kann dabei nicht verletzt werden, da es in Höhe von L2 endet.
❑P
Zwischen Arachnoidea und Pia mater vonRückenmark und Gehirn gibt es keine nennens-werten Unterschiede.
Harte Rückenmarkshaut (Dura mater spinalis) Die harte Rückenmarkshaut bildet im Wirbel-kanal – ein äußeres Blatt: Es kleidet als Periost den
Wirbelkanal aus; – ein inneres Blatt: In ihm steckt das Rücken-
mark wie in einem Sack.Zwischen diesen beiden Blättern befindet sichder Epiduralraum, angefüllt mit Fettgewebe undVenengeflechten zum Schutz des Rückenmarkesvor Zerrungen.
Harte Hirnhaut (Dura mater encephali) Bei der harten Hirnhaut sind die 2 Blätter ver-schmolzen. Sie lässt sich vom Knochen nurschwer ablösen und bildet aus kollagenemBindegewebe bestehende Fortsätze, die alsScheidewände schützend zwischen bestimmtenHirnteilen liegen. Die wichtigsten sind:– Großhirnsichel (Falx cerebri) zwischen den
Großhirnhemisphären,– Kleinhirnzelt (Tentorium cerebelli) zwischen
Hinterhauptlappen und Kleinhirn.
Blutleiter der harten HirnhautInnerhalb der harten Hirnhaut verlaufen dieklappenlosen venösen Hirnblutleiter (Sinus
durae matris). Durch ihre besondere Wandstruk-tur (um den Endothelschlauch befindet sichstraffes Bindegewebe der Dura mater encephali)können sie nicht kollabieren und werden deshalbnicht als Venen bezeichnet.
17.6 Gehirn-Rückenmarks-Flüssig-keit (Liquor cerebrospinalis)
Der Liquor befindet sich im inneren Liquorraum(= Ventrikelsystem) und im äußeren Liquorraum(= Subarachnoidalraum, Zentralkanal des Rücken-marks).Menge:Ca. 150 Milliliter, davon ca. 35 Milliliter in den 4 Ventrikeln.Bildung: Die Produktion erfolgt hauptsächlich in den zot-
17 Nervensystem346
Rückenmark
harte Rückenmarkhaut(Dura mater spinalis)– inneres Blatt –Epiduralraumharte Rückenmarkhaut(Dura mater spinalis)– äußeres Blatt –Rückenmarknerv(N. spinalis)
hinterer Ast(Ramus dorsalis)
weicheRückenmarkhaut
(Pia mater spinalis)
äußerer Liquorraum(Subarachnoidealraum)
Spinnwebenhaut(Arachnoidea spinalis)
Wirbel
Zwischen-wirbelscheibe
vorderer Ast(Ramus ventralis)
Grenzstrangganglien des Sympathicus
Rückenmarkshäute.Abb. 17.13
Ein Tentoriumriss (Riss im Kleinhirnzelt),während der Geburt eines Kindes durch zugroßen Druck im Geburtskanal, kann lebens-gefährliche Blutungen zur Folge haben.Blutungen im Bereich der Hirnhäute, wie sie z. B. bei Schädel-Hirn-Traumen entstehen, können zu lebensgefährlichen Hirndruck-erhöhungen führen. Das Blut sammelt sich in den entsprechenden Räumen.
❑P
tenartigen Adergeflechten(Plexus choroidei1)) der vierHirnventrikel durch Ultra-filtration aus dem Blut(Tagesmenge ca. 650 ml).Resorption: Die Resorption in das Bluterfolgt im äußeren Liquor-raum im Bereich der Rücken-markswurzeln sowie durchdie Zotten der Arachnoidea,die sich in die venösenHirnblutleiter vorwölben.
Blut-Liquor- bzw.Blut-Hirn-SchrankeDie aus 3 Schichten (Plexus-epithel, Basalmembran, Hirn-kapillarendothel) bestehendePermeabilitätsbarriere be-dingt eine unterschiedlicheZusammensetzung von Blut-serum und Liquor. Dies istein weiterer Schutzmecha-nismus für das hochemp-findliche ZNS.
Zusammensetzung:Der Liquor beim gesundenMenschen ist eine eiweiß-arme wasserklare Flüssig-keit, deren Zusammenset-zung aufgrund ständigerAustauschprozesse geringfü-gig schwankt. Bei Menin-gitis kann der Liquor trüb(Leukozyten), bei Blutungenrötlich oder gelblich sein.
Messgrößen lumbal: Eiweiß = 190 – 420 mg/l,Glucose = 2,7 – 4,2 mmol/l,Leukozyten = < 4 � 106/l.
Aufgaben:– Mechanische (Schutz-)Funktion; Gehirn und
Rückenmark werden „schwebend“ gehalten.– Temperaturausgleich.– Versorgung des Nervengewebes.
17.6 Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit 347
äußere kompakte Knochenschicht
Schädeldach(Calvaria)
harte Hirnhaut(Dura mater encephali)
weiche Hirnhaut(Pia mater encephali)
Großhirnrinde (Cortex cerebri)
aufgelockerte Knochenschicht(Diploe)
innere kompakte Knochenschicht
venöserBlutleiterLiquorraum
Spinn-webenhaut(Arachnoideaencephali)
Subarachnoidalraum(Cavum subarachnoideale)
knöchernes Schädeldach(Calvaria)
Seitenventrikel(1. und 2. Ventrikel)
„Wasserkanal“(Aquaeductus cerebri)
4. VentrikelZentralkanal
Zwischenkammerloch(Foramen interventriculare)
3. Ventrikel
Schichten des Schädeldaches, Hirnhäute
Innerer und äußerer Liquorraum
Schutzeinrichtungen von Gehirn und Rückenmark. Abb. 17.14
1) in Ventrikel eingewachsene Gefäßnetze
Bei Erkrankungen des ZNS (z. B. Meningi-tis) kann sich die Zusammensetzung desLiquors verändern. Dann wird Liquor zu dia-gnostischen Zwecken durch Lumbal- oderSubokzipitalpunktion zwischen Hinterhaupt-bein und Atlas aus der Cisterna cerebellome-dullaris entnommen. Beide Punktionsartenermöglichen auch die Verabreichung vonMedikamenten direkt in den Liquor.
❑P
17.7 Blutversorgung des Gehirns
Der Blutzufluss erfolgt über 4 große Arterien: – rechte innere Kopfarterie (A. carotis interna
dextra),– linke innere Kopfarte-
rie (A. carotis interna sinistra),
– rechte Wirbelarterie (A. vertebralis dextra),
– linke Wirbelarterie (A. vertebralis sinistra).
Beide Wirbelarterien ver-einigen sich am oberenRand der Medulla oblon-gata zur Schädelbasis-arterie (A. basilaris).
Arterienring(Circulus arteriosus cere-bri)Die A. basilaris und diebeiden inneren Kopfarte-rien sind durch verschie-dene Arterienäste zu ei-nem Arterienring zusam-mengeschlossen. Von die-sem Ring aus werden dieeinzelnen Hirnteile vonder Oberfläche her ver-sorgt.
Der Blutabfluss aus demSchädelinneren geschiehtfolgendermaßen: Von dentiefen Hirnvenen gelangt
das Blut in die oberflächlichen Hirnvenen undsammelt sich im Sinus der Dura mater. Von die-sem fließt es in die innere Drosselvene (V. jugu-laris interna).
17 Nervensystem348
vorderer Verbindungsast
(A. communicans anterior)
innere Kopfarterie
(A. carotis interna)
hinterer Verbindungsast
(A. communicans posterior)
Schädelbasis-arterie
(A. basilaris)
Wirbelarterie(A. vertebralis)
Sinus sagittalis superior
Sinus sagittalis inferior
Sinus rectus
innere Kopfarterie(A. carotis interna)
Sinus cavernosus
Sinus petrosus superior
Sinus sigmoideus
Gesichtsvene(V. facialis)
innere Drosselvene(V. jugularis interna)
Venöser Hirnblutleiter (Sinus durae matris). Abb. 17.16
Ein Platzen der Arte-rien führt zu Hirnblu-tungen, die z. B. im Bereich der inneren Kapsel Nervenbahnen schädigen können, so- dass eine Halbseiten-lähmung entsteht. Ver-engungen oder Ver-schluss dieser Arterien führen zu Durchblu-tungsstörungen unter- schiedlichen Gradesbis zum Schlaganfall(Apoplexie).
❑P
Arterielle Blutversorgung des Gehirns. Abb. 17.15
17.8 Leitungsbahnen des ZNS
Die Bereiche des ZNS werden miteinanderdurch afferente (sensible) und efferente (motori-sche) Leitungsbahnen verbunden.
17.8.l Sensible aufsteigende Leitungsbahnen
In den sensiblen Leitungsbahnen werden dieInformationen von den Sinneszellen (z. B.Wärme, Druck) und Nervenendungen (z. B.Schmerz) des Körpers den entsprechenden Teilendes ZNS zugeleitet. An der Leitung zur End-hirnrinde sind 3 sensible Neurone beteiligt:– Erstes sensibles Neuron (= peripheres sensi-
bles Neuron) Diese Neurone sind pseudounipolare Nerven-zellen. Die Nervenzellkörper liegen bei den Rückenmarksnerven in den Spinalganglien und bei den Hirnnerven in den Hirnnerven-ganglien.
Die peripheren Fortsätze dieser Zellen sind mit den Rezeptoren (Schmerz, Druck, Tempe-ratur, Tiefensensibilität) verbunden. Die zen-tralen Fortsätze ziehen bei den Rückenmarks-nerven als sensible Hinterwurzel in das Rückenmark und enden entweder im Hinter-horn oder in der Medulla oblongata. Bei den Hirnnerven enden sie in den sensiblen Hirn-nervenkernen.
– Zweites sensibles NeuronEs beginnt im verlängerten Mark. Die Neuri-ten dieser Neurone kreuzen entweder im Rückenmark oder der Medulla oblongata auf die Gegenseite und ziehen zum Thalamus.
– Drittes sensibles NeuronEs geht vom Thalamus aus. Die Neuriten dieserNeurone verlaufen durch die innere Kapselund enden in der hinteren Zentralwindung (Körperfühlsphäre). Hier entstehen die Empfin-dungen und Wahrnehmungen. Die Neuriten der 2. sensiblen Neurone, die für die Tiefensensi-bilität zuständig sind, führen zum Kleinhirn.
17.8 Leitungsbahnen des ZNS 349
Lage Schaltstellen/ Kreuzung FunktionSynapsen
1. Tractus spinotha-lamicus posterior
1a. Fasciculus gracilis (Goll-Strang)
1b. Fasciculus cuneatus (Burdach-Strang)
2. Tractus spinotha-lamicus lateralis
3. Tractus spinotha-lamicus anterior
4. Kleinhirn-Seiten-strangbahnen
4.1 Tractus spinoce-rebellaris anterior (Gowers-Bahn)
4.2 Tractus spinoce-rebellaris posterior
Hinterstrang
– medial; mit denFasern aus der unte-ren Rumpfhälfte undden Beinen
– lateral; mit denFasern aus der obe-ren Rumpfhälfte,dem Hals und denArmen
Seitenstrang
Vorderstrang
Seitenstrang; außen
Druck, Berührung, Vibration, Tiefensensibilität
Schmerz, Temperatur
Druck, Berührung
„Tiefensensibilität“ für das Kleinhirn
Medulla oblongata; Thalamus
Hintersäuledes Rücken-marks
Hintersäuledes Rücken-marks
Hintersäuledes Rücken-marks
Medullaoblongata
Rückenmarkvor demZentralkanalin derCommissuraalba
Rückenmarkund imKleinhirnwiederzurück
Sensible (afferente, aufsteigende) Leitungsbahnen. Tab. 17.4
17.8.2 Motorische aufsteigende Leitungsbahnen
Zu den motorischen (abstei-genden, efferenten) Bahnengehören die Pyramidenbah-nen und verschiedene extra-pyramidale Bahnen. Sie sindfür das Zustandekommen derwillkürlichen und unwillkür-lichen Bewegungen zustän-dig.
1. Pyramidenbahn (Tractus pyramidalis)
Die Pyramidenbahn dient derWillkürmotorik. Sie verbindetzu diesem Zweck die Endhirn-rinde mit den– motorischen Hirnnerven-
kernen und– motorischen Vorderhörnern
des Rückenmarks. Im Unter-schied zur afferenten Lei-tung wird die efferente nur aus 2 Neuronen gebildet.
• Erstes motorisches (= zentrales) NeuronDie relativ großen Nerven-zellkörper liegen in der vorderen Zentralwindung(Gyrus praecentralis) des Stirnlappens. Ihre Axone ziehen zum Rückenmark bzw. zu den motorischen Hirnnervenkernen.
• Zweites motorisches (= peripheres) NeuronDie Nervenzellkörper lie-gen in den Vorderhörnerndes Rückenmarks und im Hirnstamm. Ihre Axone erreichen in den motori-schen Vorderwurzeln und weiterführenden periphe-ren Nerven oder in den Hirnnerven die quer ge-streifte Muskulatur.
Demnach werden 2 Leitungssysteme der Pyrami-denbahnen unterschieden:
17 Nervensystem350
3. sensibles Neuroninnere Kapsel derGroßhirnhälften(Capsula interna)
Endhirnrinde(Cortex cerebri)
Thalamus2. sensibles NeuronBrückenkernHirnnervenganglion1. sensibles Neuron– sensibler EndkernHirnnervMedulla oblongata
Kleinhirn(Cerebellum)
periphererFortsatz
Hinterstrang-bahnen
Kleinhirn-Seitenstrang-bahn
1. sensibles Neuron
Skelettmuskel mit Muskelspindel
Hautsinnes-zellen
peripherer Fortsatz
hintere Zentralwindung(Gyrus postcentralis)= Körperfühlsphäre
Spinalganglion
Sensible Leitungsbahnen.Abb. 17.17
Krankheitsbedingte Schäden der Hinter-strangbahnen führen zu schweren Sensibilitäts-und Bewegungsstörungen.
❑P
– der Tractus corticonuclea-ris und
– der Tractus corticospinalis.
Die Abbildung 17.18 zeigt,dass die Axone beider Bahn-systeme zunächst gemeinsamvon der vorderen Zentral-windung folgenden Weg neh-men:
vordere Zentralwindung
innere Kapsel
Hirnschenkel
vordere Seite des Mittelhirns
Brücke
verlängertes Mark.
Im Hirnstamm kreuzt ein Teilder Axone auf die Gegenseiteund zieht als Tractus corti-conuclearis zu den motori-schen Kerngebieten der Hirn-nerven. Hier werden sie aufdie 2. motorischen Neuroneumgeschaltet, deren Axone zuden quer gestreiften Kopf-muskeln ziehen. 80 – 90 %der übrigen Fasern kreuzen inden Pyramiden der Medullaoblongata (Pyramidenbahn-kreuzung, Decussatio pyrami-dum) auf die Gegenseite undziehen als Pyramiden-Seiten-strangbahn (Tractus cortico-spinalis lateralis) zu denmotorischen Vorderhörnerndes Rückenmarks. Die restli-chen 10 – 20 % der Axoneziehen ungekreuzt als Pyra-m i d e n - Vo rd e rs t ra n b a h n(Tractus corticospinalis ante-rior) zu ihren Zielsegmenten und kreuzen ersthier auf die Gegenseite. Die Axone der Pyramidenbahn geben auf ihremWeg in das Rückenmark über Abzweigungenständig Informationen an die anderen motori-
schen Zentren ab, was für die Koordination derBewegungsabläufe sehr wichtig ist. Die Pyrami-denbahn übt einen dämpfenden Einfluss auf denAblauf der spinalen Eigenreflexe, die den Mus-keltonus regulieren, aus.
17.8 Leitungsbahnen des ZNS 351
1. motorisches Neuronoder zentrales NeuronThalamusinnere Kapsel (Capsula interna)
quer gestreifte Kopfmuskulatur
2. motorisches oder peripheresNeuron
motorischeHirnnervenkerneHirnkern/Hirnrindenbahn(Tractus corticonuclearis)
Pyramiden-Seiten-strangbahn
(Tractus cortico-spinalis lateralis)
2. oderperipheresmotorisches Neuron
Skelett-muskulatur
vordereZentralwindung
(Gyrus praecentralis)= Willkürmotorik
Endhirnrinde(Cortex cerebri)
Medulla oblongata
Pyramidenbahn-kreuzung
(Decussatio pyramidum)
Pyramidenbahnen
motorischeVorderhörner
•
Motorische Leitungsbahnen. Abb. 17.18
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2. Extrapyramidal-motorische BahnenAls extrapyramidale Bahnen werden alle motori-schen Bahnen bezeichnet, die nicht zur Pyrami-denbahn gehören. Sie ziehen von verschiedenensubcorticalen (nicht zum Cortex gehörenden)motorischen Zentren ebenfalls zu den motori-schen Vorderhörnern des Rückenmarks und die-nen der unwillkürlichen Motorik.Die extrapyramidalen Bahnen bilden zusammenmit ihren Kerngebieten das „extrapyramidal-motorische System“ (EPS) mit: – dem roten Kern (Nucleus ruber) als zentrale
Umschaltstation (✑ S. 343),– der schwarzen Substanz (Substantia nigra),– der Kernregion des Gleichgewichtsnerven,
u. a. der Nucleus vestibularis lateralis (Deit’-scher Kern),
– Anteilen der Netzsubstanz (Formatio reticula-ris; ✑ S. 344),
– den Basalganglien (✑ S. 339),– dem Kleinhirn (Cerebellum; ✑ S. 343),– Teilen des Cortex im Stirnlappen, den prä-
motorischen Feldern, und– den extrapyramidalen Bahnen.
Wichtige extrapyramidale BahnenBahn Ursprung FunktionTractus Nucleusrubrospinalis ruber
Tractus Nucleusvestibulospinalis vestibularis
lateralis
Tractus Formatioreticulospinalis reticularis
Aufgaben Die entscheidende Aufgabe des EPS ist dieKoordination der willkürlichen Bewegungen.Während vom Primärzentrum der Willkürmoto-
rik die Basisimpulse gegeben werden, greift dasEPS regulierend so ein, dass die Bewegungs-abläufe glatt und individuell werden. Außerdem ist das EPS für folgende unbewussteMuskelaktivitäten zuständig:– automatisierte Bewegungsabläufe, z. B. das
Mitbewegen der Arme beim Gehen und Spre-chen, sowie
– die Stellung und Haltung im Raum (Gleich-gewicht).
17.9 Peripheres Nervensystem (PNS)
Das periphere Nervensystem besteht aus sensi-blen und motorischen Nervenfasern, die sich inden peripheren Nerven befinden, und aus Gan-glien. Es dient der nervlichen Versorgung derOrgane. Dies bezeichnet man als Innervation.Zu den peripheren Nerven gehören– 31 Rückenmarksnervenpaare,– 12 Hirnnervenpaare und – alle weiteren Nerven im Körper (z. B. Arm-
und Beinnerven, Magennerven, Zwerchfell-nerven etc.).
Ganglien sind Anhäufungen von Nervenzell-körpern, die sich außerhalb des ZNS in Ver-dickungen von Nerven und Nervenwurzelnbefinden. Sie fungieren als synapthische Um-schaltstationen.
17 Nervensystem352
Die Pyramidenbahn wird aus dem Komplexder zentralen motorischen Neurone gebildet. Im Rückenmark wird die Verbindung zu denMuskeln durch die peripheren motorischenNeurone hergestellt.
Merke
Schädigungen der Pyramidenbahn führen zuerhöhtem Muskeltonus und überschießendenEigenreflexen (Spastik).
❑P
Über dieseBahnen werdenBeuger undStreckererregt odergehemmt.
Das extrapyramidal-motorische System modi-fiziert die Willkürmotorik und steuert dieunwillkürlichen Muskelbewegungen sowie denMuskeltonus. Die Grundlage hierfür sind viel-fältige Verschaltungen der extrapyramidalenKerngebiete untereinander, mit dem Cortex,dem Gleichgewichts- und Gesichtssinn.Pyramidales und extrapyramidales Systemsind auf das engste miteinander verknüpft.
Merke
Typische Zeichen bei Störungen im EPSsind Ataxien (ungeordnete Bewegungen),Tremor (Zittern), Hypokinesen (Bewegungs-armut) und Hyperkinesen (Bewegungsunruhe).
❑P
Man unterscheidet– sensible Ganglien, z. B. Spinalganglien in den
hinteren Rückenmarkswurzeln und Hirn-nervenganglien im Kopf. Sie enthalten die Nervenzellkörper der 1. animalen und vegeta-tiven afferenten Neurone,
– vegetative Ganglien (= Ganglien des vegetati-ven Nervensystems), z. B. Grenzstranggang-lien und vegetative Kopfganglien. Sie enthal-ten die Zellkörper der 2. efferenten sympathi-schen und parasympathischen Neurone.
17.9.1 Hirnnerven
An der Hirnbasis treten 12 Paar Hirnnerven aus.Nach der Reihenfolge ihres Austritts aus den ver-schiedenen Hirnabschnitten werden sie mit denZahlen I bis XII bezeichnet.
Hirnabschnitt austretende HirnnervenEndhirn Hirnnerv I1),
Riechnerv (N. olfactorius)Zwischenhirn Hirnnerv II1),
Sehnerv (N. opticus)Mittelhirn Hirnnerv III, Augenbewegungs-
nerv (N. oculomotorius)Hirnnerv IV, Augenrollnerv (N. trochlearis)
Brücke Hirnnerv V, Drillingsnerv (N. trigeminus)Hirnnerv VI, Augenabzieh-nerv (N. abducens)Hirnnerv VII, Gesichtsnerv (N. facialis)
verlängertes Hirnnerv VIII, Hör- und Gleich-Mark gewichtsnerv (N. vestibulo-
cochlearis)Hirnnerv IX, Zungen-Rachen-Nerv (N. glossopharyngeus)Hirnnerv X, Herz-Lungen-Magen-Nerv (N. vagus) Hirnnerv XI, Bei-Nerv (N. accessorius)Hirnnerv XII, Unterzungen-nerv (N. hypoglossus)
I. Hirnnerv (N. olfactorius) – sensibel Der Riechnerv ist ein Teil des Endhirns. Von denRiechzellen (= 1. Neuron) der Nase ziehen ca. 20 Nervenfaserbündel durch die Siebbeinplattein den Riechkolben (Bulbus olfactorius). Hierwird auf das 2. Neuron umgeschaltet, dessenNeuriten dann zu den Riechzentren des Endhirnsgelangen.
II. Hirnnerv (N. opticus) – sensibel Der Sehnerv ist ca. 5 cm lang. Er zieht vomAugapfel in der Augenhöhle durch den Canalisopticus in die Schädelhöhle. Vor der Hypophysevereinigen sich beide Nerven zur Sehnerven-kreuzung (Chiasma opticum), um dann als Seh-nervenstrang (Tractus opticus) zunächst zumThalamus und von dort aus als Sehstrahlung(Radiatio optica) zur Hirnrinde zu ziehen.
III., IV., VI. Hirnnerv (= Augenmuskelnerven) –überwiegend motorisch Diese Nerven ziehen durch den oberen Augen-höhlenspalt (Fissura orbitalis superior) zu denMuskeln am Augapfel. Der N. oculomotoriusführt außerdem parasympathische Fasern zurVerengung der Pupille.
17.9 Peripheres Nervensystem 353
Haut-rezeptoren � �
� �
Rückenmark
RückenmarkEingeweide-rezeptoren
sensibles Ganglion(Spinal- und
Hirnnervenganglien)
vegetatives Ganglion
periphererFortsatz
zentraler Fortsatz
des pseudo-unipolaren afferenten Neurons
•
•
Afferente Leitung.Tab. 17.5
Es gibt sensible, motorische und gemischteHirnnerven.
Merke
Bei Ausfall des N. abducens kommt es zum Einwärtsschielen.❑P
1) Hirnnerv I und II sind keine echten peripheren Nerven, sondern vorgeschobene Hirnteile.
17 Nervensystem354
I. Hirnnerv:Riechkolben mitRiechnerven(Bulbus olfactoriusmit Nn. olfactorii)
II. Hirnnerv:Sehnerv(N. opticus)
III. Hirnnerv:Augenbewegungsnerv
(N. oculomotorius)
IV. Hirnnerv:Augenrollnerv
(N. trochlearis)
VI. Hirnnerv:Augen-
abziehnerv(N. abducens)
V. Hirnnerv:Drillingsnerv(N. trigeminus)
SiebbeinplatteRiechnerven
Riechfeld(Area olfactoria)
Ganglion trigeminale Ganglion trigeminaleN. ophthalmicus (V1)N. maxillaris (V2)N. mandibularis (V3)
Motorische Fasern versorgen die Kaumuskeln
V3
V3
V2
V1Schläfenmuskel
(M. temporalis)
Kaumuskel(M. masseter)
Innervationsgebiete der I. – VI. Hirnnerven.Abb. 17.19
17.9 Peripheres Nervensystem 355
VII. Hirnnerv:Gesichtsnerv(N. facialis)
VIII. Hirnnerv:Hör- und Gleichgewichtsnerv(N. vestibulocochlearis)
X. Hirnnerv:Herz-Lungen-Magennerv(N. vagus)
IX. Hirnnerv:Zungen-Rachennerv(N. glossopharyngeus)
XI. Hirnnerv:Bei-Nerv(N. accessorius)
XII. Hirnnerv:Unterzungennerv(N. hypoglossus)
obererFacialiskernSpeichelkern
N. facialis
Nervengeflecht(Plexus parotideus)
Ohrspeicheldrüse
Felsen-bein
untererFacialiskernmimischeMuskulatur
➞
➞
➞
Innervationsgebiete der VII. – XII. Hirnnerven. Abb. 17.20
V. Hirnnerv (N. trigeminus = Drillingsnerv) –überwiegend sensibel Zunächst bilden die sensiblen Fasern im Bereichder Pyramidenspitze das mächtige Ganglion tri-geminale (Gasser-Ganglion). Aus diesem Gan-glion treten die 3 Hauptäste des Trigeminus. 1. N. ophthalmicus (V1). Er versorgt sensibel:
• Dura mater der vorderen Schädelgrube,• Stirnhaut, • Nasenrücken,• Auge, • Nasenhöhle,• Stirnhöhlen, • Keilbeinhöhlen,• Siebbeinzellen.
2. N. maxillaris (V2). Er versorgt sensibel:• Haut des unteren Augenlides,• Wangen, • Oberlippe, • Nasenhöhle, • Gaumen und Zähne des Oberkiefers.
3. N. mandibularis (V3). Er versorgt sensibel:• Haut, • Kinn, • Unterlippe, • vordere Zungenabschnitte,• Zähne des Unterkiefers, • untere Wangenbereiche bis Gehörgang und
Trommelfell • sowie motorisch: die Kaumuskulatur.
VII. Hirnnerv (N. facialis = Gesichtsnerv) –überwiegend motorisch Zusammen mit dem Hör- und Gleichgewichts-nerv zieht der Gesichtsnerv durch den innerenGehörgang in das Felsenbein und verlässt durcheine Öffnung (Foramen stylomastoideum) dieSchädelhöhle und gelangt so an die äußere Schä-delbasis. Von hier zieht er durch die Ohrspei-cheldrüse in den Gesichtsschädelbereich.Der N. facialis enthält– motorische Fasern zur Innervation der mimi-
schen Muskulatur,– sensorische Nervenfasern (Geschmacksfasern)
aus den vorderen zwei Dritteln der Zunge und– parasympathische Fasern zu den Unterkiefer-
und Unterzungendrüsen, Tränendrüsen, Becher-zellen der Mund- und Nasenschleimhaut.
Der motorische Ursprungskern des Facialis inder Brücke besteht aus 2 Anteilen,– dem oberen Facialiskern (Augenfacialis): Er
versorgt die obere Gesichtshälfte und wird von den motorischen Rindenzentren sowohl der rechten als auch der linken Zentral-windung innerviert;
– dem unteren Facialiskern (Mundfacialis). Er innerviert die untere Gesichtshälfte und wird
nur von der vorderen Zentralwindung der Gegenseite versorgt.
VIII. Hirnnerv (N. vestibulocochlearis = Hör-und Gleichgewichtsnerv) – sensibel Dieser Nerv tritt ebenfalls durch den innerenGehörgang in das Felsenbein. Ein Teil leitet dieErregungen vom Gleichgewichtsorgan und einzweiter die vom Gehörorgan.
IX. Hirnnerv (N. glossopharyngeus = Zungen-Rachen-Nerv) – sensibel, motorisch, parasym-pathischDieser Nerv innerviert– motorisch die Rachenmuskeln, – sensibel die hintere Rachenwand und das hin-
tere Drittel der Zunge, – parasympathisch die Ohrspeicheldrüse (Spei-
chelsekretion).
X. Hirnnerv (N. vagus = Herz-Lungen-Magen-Nerv) – überwiegend parasympathisch Der N. vagus ist der wichtigste Nerv des Para-sympathicus.Er tritt mit 10 – 15 Faserbündeln aus der Medullaoblongata und verlässt die Schädelhöhle durchdas Drosselloch (Foramen jugulare).
Verlauf Der IX. und X. Hirnnerven sind zunächst Be-standteil der Gefäß-Nerven-Stränge des Halses,gelangen durch die obere Thoraxöffnung in dashintere Mediastinum und von dort mit derSpeiseröhre durch den Hiatus oesophageus inden Bauchraum.
Entsprechend dieses Verlaufes werden 4 Teileunterschieden: • Kopfteil: Er innerviert sensibel die Dura mater
der hinteren Schädelgrube.
17 Nervensystem356
Ausfall des rechten zentralen motorischenNeurons, z. B. infolge eines Schlaganfalls, be-deutet Lähmung der mimischen Muskulaturder linken unteren Gesichtshälfte.Ausfall des rechten peripheren motorischenNeurons, z. B. infolge eines Schädelbasisbru-ches oder einer Mittelohrentzündung, bewirkttotale Lähmung der rechten Gesichtshälfte (u. U. fließt aus dem herabhängenden Mund-winkel der Speichel und das Auge kann nichtmehr geschlossen werden.
❑P
• Halsteil: Er innerviert motorisch den Kehl-kopf, parasympathisch das Herz.
• Brustteil: Er innerviert – durch rückläufige motorische Äste (N.
laryngeus recurrens) die Kehlkopfmuskeln, – parasympathisch: Herz, Bronchien, Speise-
röhre.• Bauchteil: Hier bilden die beiden Vagusnerven
Geflechte mit Nerven des Sympathicus. Para-sympathisch innerviert werden Leber, Pan-kreas, Milz, Nieren, Nebennieren, Magen, Dünndarm, Dickdarm bis zur Mitte des Quer-colons (= Cannon-Böhm-Punkt).
XI. Hirnnerv (N. accessorius = Bei-Nerv) –motorisch Innervationsgebiete: Kopfwendermuskel, Tra-pezmuskel.
XII. Hirnnerv (N. hypoglossus = Unterzungen-nerv) – motorisch Innervationsgebiet: Zungenmuskulatur.
17.9.2. Rückenmarksnerven (Nn. spinales)
Die Rückenmarksnerven gehen vom Rückenmarkab und treten durch das jeweilige Zwischenwir-belloch aus dem Wirbelkanal heraus. Entspre-chend den 31 Rückenmarkssegmenten gibt es 31 Rückenmarksnervenpaare.
Während der Embryonalentwicklung bleibt dasWachstum des Rückenmarkes gegenüber dem der Wirbelsäule zurück. Das hat zur Folge, dasssich die Austrittsstellen (Zwischenwirbellöcher)
17.9 Peripheres Nervensystem 357
Eine Reizung des X. Hirnnervs durch Me-ningitis hat reflektorisches Erbrechen zur Folge.❑P
Einseitige Lähmung des Hypoglossus führt zu erheblichen Behinderungen beim Kauen, Schlucken und Sprechen.
❑P
Halsgeflecht Zwerchfellnerven motorisch: Zwerchfell (Atmung)(Plexus cervicalis) (Nn. phrenici)C1 – C4 weitere Nerven sensibel: Haut und Muskeln der Hals- und
Schulterregion
Armgeflecht Haut-Muskel-Nerv motorisch: Flexoren (Beuger) des Oberarmes(Plexus brachialis) (N. musculocutaneus) sensibel: Haut am Oberarm und an der C5 – Th1 Außenseite des Unterarmes
Ellennerv (N. ulnaris), motorisch: Unterarmflexoren auf Kleinfingerseiteer ist am Epicondylus sensibel: Haut des Unterarms bis zum kleinenmedialis tastbar, Finger„Musikantenknochen“, motorisch: Unterarmflexoren(N. medianus)Speichennerv (N. radialis) motorisch: Extensoren (Strecker) an Unterarm und
Oberarm
Lendengeflecht Oberschenkelnerv motorisch: Muskeln und Haut an der Vorderseite (Plexus lumbalis) (N. femoralis) des OberschenkelsL1 – L4
Kreuzgeflecht Ischiasnerv motorisch Gesäßgegend, Damm,(Plexus sacralis) (N. ischiadicus), u.sensibel: OberschenkelflexorenL4 – S3 oberhalb der Kniekehle
teilt er sich in:– Schienbeinnerv motorisch: Wadenmuskulatur
(N. tibialis) sensibel: Haut an der Hinterseite des Unter-schenkels
– Wadenbeinnerv motorisch: vordere Unterschenkelmuskeln(N. peroneus communis) sensibel: Haut an der Vorderseite des Unter-
schenkels
Plexus hervorgehende Nerven Versorgung
Nervengeflechte. Tab. 17.6
17 Nervensystem358
Armgeflecht(Plexus brachialis)
Arm von derStreckseite
Arm von derBeugeseite
Mittelnerv(N. medianus)
Speichennerv(N. radialis)
Ellennerv(N. ulnaris)
Mittelnerv(N. medianus)
Axillararterie(A. axillaris)
Axillarnerv(N. axillaris)
Ellennerv(N. ulnaris)
Muskelhautnerv(N. musculocutaneus)
Innervation des Armes.Abb. 17.21
tiefer Ast des Speichennerves(Ramus profundus nervi radialis)
oberflächlicher Ast des Speichennerves(Ramus superficialis nervi radialis)
Mittelnerv(N. medianus)
für die Rückenmarksnerven zu-nehmend weiter caudal verschie-ben. Die Wurzeln der Lenden-,Kreuz- und Steißnerven errei-chen deshalb im Wirbelkanal eineLänge bis zu 20 cm, ehe sie „ihr“Zwischenwirbelloch erreichen.Diese Wurzelansammlung unter-halb des l./2. Lendenwirbels bil-det den sog. Pferdeschweif (Caudaequina).Die gemischten Rückenmarks-nerven teilen sich entweder schonim Zwischenwirbelloch oder kurzdanach in einen hinteren undeinen vorderen Hauptast. Diehinteren Äste versorgen sensibeldie Haut vom Hinterkopf bis zumSteißbein und motorisch die tiefeRückenmuskulatur. Die vorderenÄste bilden mit Ausnahme derBrustäste Nervengeflechte (Ple-xus), aus denen wichtige periphe-re Nerven hervorgehen (✑ Tab.17.6. S. 357).
17.9 Peripheres Nervensystem 359
Halsgeflecht(Plexus cervicalis)
Armgeflecht(Plexus brachialis)
Zwischen-rippennerven
(Nn. intercostales)
Zwerchfellnerv(N. phrenicus)
Hals- und Armnervengeflecht. Abb. 17.22
Lenden- und Kreuzbeinnervengeflecht. Abb. 17.23
L1
L2
L3
L4
L5
Lendengeflecht(Plexus lumbalis)
N. ileohypogastricusN. ileoinguinalis
N. genitofemoralisN. cutaneus femoris
lateralis
N. femoralis
Kreuzbeingeflecht(Plexus sacralis)
Ischiasnerv(N. ischiadicus)
17 Nervensystem360
Der Rückenmarksnerv (N. spinalis) entstehtaus dem Zusammenschluss der vorderen moto-rischen Wurzel und der hinteren sensiblenWurzel eines Segmentes. Die hintere Wurzelenthält das Spinalganglion (Ganglion spinale),das als deutliche Verdickung zu erkennen ist.
Im Spinalganglion befinden sich die Neurone(pseudounipolare Zellen) der sensiblen Fasern,deren distale Fortsätze Informationen aus derKörperperipherie erhalten und deren zentraleFortsätze ins Rückenmark ziehen.
Die Rückenmarksnerven liegen in den Zwi-schenwirbellöchern und sind etwa l cm lang.
Merke Folgen von Nervenausfällen N. ulnaris = Krallenhand. N. medianus = Schwurhand.N. radialis = Fallhand.N. femoralis = keine Streckung im Kniegelenk,
Beugung im Hüftgelenk ist erschwert.N. tibialis = Fußspitze kann nicht mehr gesenkt
werden.N. peroneus communis = Spitzfuß.
❑P
Hautnerven werden von den sensiblen Nerven-fasern der Wärme-, Kälte-, Druck- undSchmerzpunkte der Haut gebildet. Das sensi-ble Versorgungsgebiet eines Spinalnerven inder Haut wird als Dermatom bezeichnet.
Merke
Gluteus-Nerven(Nn. glutaei)
Kreuzbeingeflecht(Plexus sacralis)
Obturator-Nerv(N. obturatorius)
Ischiasnerv(N. ischiadicus)
Wadenbeinnerv(N. peroneus communis)
Schienbeinnerv(N. tibialis)
Fußnerven(Nn. plantares)
Lendengeflecht(Plexus lumbalis)
Oberschenkelnerv(N. femoralis)
Obturator-Nerv(N. obturatorius)
tiefer Wadenbeinnerv(N. peroneus profundus)
oberflächlicherWadenbeinnerv(N. peroneus superfacialis)
Bein von vorn Bein von hinten
Innervation des Beines.Abb. 17.24
17.10 Reflexe
Der Mensch ist in der Lage, durch spezifischeRezeptoren Veränderungen in der Umwelt bzw.in sich selbst zu erkennen und darauf zu reagieren.Diese Veränderungen werden als Reize bezeich-net. Der Organismus reagiert auf einen Reizbzw. beantwortet einen Reiz. Reizbeantwortungbedeutet, dass eine Information, z. B. in Formeiner Bewegung, abgegeben wird. Beim Men-schen gehören hierzu auch die Sprachbe-wegungen.
Reflexe stellen die einfachste Form der Reiz-beantwortung dar. Es handelt sich hierbei umeine unwillkürliche stereotypisierte Reaktion aufeinen Reiz, die unter gleichen Bedingungenimmer in der gleichen starren und schnellen Artund Weise abläuft. Die Reflexzentren(Umschaltstellen) liegen im Rückenmark undHirnstamm.
Beispiele– Zurückziehen der Hand beim Anfassen eines
heißen Gegenstandes;– Saugen und Schlucken,– Reaktionen zur Bewahrung der Körperhaltung,– Aufrechterhaltung von Atmung und Kreislauf.
Reflexbogen (✑ Tab. 17.7)Grundlage eines jeden Reflexes ist der sog.Reflexbogen, der eine funktionelle Einheit aus 5 Gliedern darstellt. Der kurze direkte Informationsweg Rezeptor ➝ sensibles Neuron ➝ Reflexzentrumim ZNS ➝ motorisches Neuron ➝ Effektor(Muskel, Drüse) heißt Reflexbogen.Die biologische Bedeutung der Reflexe liegt inder sofortigen und sehr schnellen Reaktion aufReize. Dadurch werden die Reflexe zu wichtigenSchutzmechanismen (z. B. Fluchtreflexe), sichernelementare Lebensvorgänge (z. B. Atmung, Ver-dauung) und stellen die Grundlagen für dasErlernen komplizierter Bewegungsvorgänge dar.
Monosynaptische Eigen- oder DehnungsreflexeBeispiel: KniesehnenreflexEin leichter Schlag auf das rechte Kniesehnen-band (Lig. patellae) führt zu einer passiven Deh-
17.10 Reflexe 361
HinterhornVorderhorn
sensorische Bahnmotorische Bahn
hemmendesZwischenneuron
zweiköpfigerOberschenkel-muskel(M. biceps femoris)
vierköpfigerOberschenkelmuskel
(M. quadriceps femoris)
Reiz
Eigenreflex (Kniesehnenreflex). Abb. 17.25
Reflexzentrum(Rückenmark, Stammhirn)
(Umschaltung)
afferentes (sensibles) Neuron
Affe
renz
Efferenz
efferentes (motorisches) Neuron
Rezeptor Effektor
(Reizaufnahme) (Reaktion)
Es gibt angeborene und durch Lernvorgängeerworbene Reflexe. Bei den angeborenen Re-flexen unterscheidet man monosynaptischeEigen- oder Fremdreflexe und polysynapti-sche Fremd- oder Hautreflexe.
Merke
Reflexbogen. Tab. 17.7
nung des rechten vierköpfigen Oberschenkel-muskels (M. quadriceps femoris) sowie einerDehnung und damit Erregung seiner Muskel-spindeln (= Rezeptor).Die Erregung wird durch sensible Neurone überdie rechte Hinterwurzel in das Hinterhorn desbetreffenden Rückenmarksegmentes geleitet.Auf der gleichen Seite des Segmentes wird übernur 1 Synapse (daher monosynaptischer Reflex)auf das motorische Neuron des Vorderhornsumgeschaltet. Die Folge ist eine Kontraktion desgedehnten Muskels, wodurch die passive Deh-nung rückgängig gemacht bzw. die ursprüng-liche Muskellänge wieder hergestellt wird.
Damit die Kontraktion des vierköpfigen Ober-schenkelmuskels (als Reaktion auf seine Deh-nung) nicht dazu führt, dass seine Antagonisten(als Reaktion auf ihre Dehnung) nun auch reflek-torisch kontrahieren, werden diese gehemmt.Das geschieht, indem das erregte sensibleNeuron des vierköpfigen Oberschenkelmuskelsüber eine Abzweigung seines Neuriten gleichzei-tig ein hemmendes Zwischenneuron im Vorder-horn erregt, welches die �-Motoneurone derAntagonisten hemmt.
Neben der Muskellänge wird nach dem gleichenPrinzip auch die Muskelspannung (= Muskel-tonus) konstant gehalten. Als Rezeptoren fungie-ren Sehnenspindeln (= Golgi-Sehnenorgane) inden muskelnahen Bereichen der Muskelsehnen.
Weitere Beispiele:– Achillessehnenreflex. Schlag auf Achilles-
sehne ➞ Flexion in den Sprunggelenken.– Bicepssehnenreflex. Schlag auf Bicepssehne
➞ Flexion im Ellenbogengelenk.– Tricepssehnenreflex. Schlag auf Tricepssehne
➞ Extension im Ellenbogengelenk.
Polysynaptische Fremd- oder HautreflexeBeispiel: Beugereflex (= typischer Schutzreflex)Tritt man mit dem rechten Fuß auf einen spitzenGegenstand, so führt dies zur Beugung in allenGelenken des rechten und Streckung im linkenBein. Wie ist dies zu erklären?– Die durch den Schmerzreiz entstehende Er-
regung wird über sensible Neurone der Hinter-wurzeln in das Rückenmark geleitet.
17 Nervensystem362
Meißner’sches Tastkörperchender Haut
Muskel
Bestreichen des Bauches von derLende zur Bauchmitte führt zurKontraktion der Bauchmuskeln(Nabel verzieht sich zur Reizseite)
Fremdreflex (Bauchdeckenreflex).Abb. 17.26
Bei den Eigenreflexen befinden sich die Rezep-toren (Muskel-, Sehnenspindel) im Erfolgs-organ (Muskel). Charakteristisch für diese Reflexe ist:– in der Regel ist nur 1 Synapse beteiligt,– kurze Reflexzeiten (Zeit von der Reizeinwir-
kung bis zur Kontraktion ca. 20 – 50 ms),– fehlende Ermüdbarkeit,– laufen unabhängig von der Reizstärke ab.Die Eigenreflexe halten Muskellänge undMuskelspannung konstant und gleichen aufdiese Weise den Einfluss der Schwerkraft aus.
Merke
– Im Rückenmark werden die Motoneurone der Beuger (liegen in verschiedenen Segmenten) des rechten Beines über erregende Zwischen-neurone erregt und die Motoneurone der Stre-cker (liegen ebenfalls in verschiedenen Seg-menten) über hemmende Zwischenneurone gehemmt. Das rechte Bein wird gebeugt und „flieht“ von der Schmerzursache weg.
– Gleichzeitig werden über erregende Zwischen-neurone die Motoneurone der Strecker des lin-ken Beines erregt und über hemmende Zwi-schenneurone die Beuger gehemmt. Dadurch wird die „Flucht“ noch vergrößert und der Körper kann abgestützt werden.
Bauchdeckenreflex (= Hautreflex, ✑ Abb. 17.26) Die Erregungen für diese Reflexe kommenhauptsächlich von Rezeptoren der Haut (z. B.Meißner’sche Tastkörperchen) bzw. Schleim-häuten.
Weitere Beispiele für Fremdreflexe– Schutzreflexe: Husten, Niesen, Erbrechen,
Tränenfluss, Fluchtreaktionen (z. B. Zurück-ziehen der Hand infolge eines Schmerzreizes).
– Nutrationsreflexe: Saugen, Schlucken. – Vegetative Reflexe: Kreislauf, Atmung, Ver-
dauung, Blasen- und Darmentleerung, Sexual-funktionen.
StützmotorikDie motorischen Leistungen, die der Haltung desKörpers im Raum dienen, werden als Stütz-motorik bezeichnet. Sie wird durch eine Vielzahlvon Reflexen realisiert. Die Reflexzentren befin-den sich in Rückenmark und Hirnstamm.
Motorische Leistungen des RückenmarksAuf Rückenmarksebene existiert eine Vielzahlvon Verschaltungen, über die Bewegungen ausge-löst oder gehemmt werden können. Die spinalenReflexe beinhalten gewissermaßen einen Vorratelementarer Haltungs- und Bewegungsprogram-me, die je nach Bedarf vom Organismus genutztwerden können, ohne dass sich die übergeordne-ten Abschnitte des ZNS im Einzelnen um dieAusführung der Programme bemühen müssen.Auf diese Weise werden Änderungen in der Be-lastung der Muskeln automatisch ausgeglichenoder Muskeln aufeinander abgestimmt. So ist z. B.beim Streckreflex zu erkennen, dass Schrittbe-wegungen nur möglich sind, wenn die motori-schen Neurone der Strecker und der Beugerwechselseitig aktiviert bzw. gehemmt werden.
Motorische Leistungen des HirnstammsDie motorischen Leistungen des Hirnstamms sorgen mit Halte- und Stellreflexen für dieAufrechterhaltung des Gleichgewichts und dernormalen Körperhaltung.
Erworbene Reflexe (bedingte Reflexe) Wird einem Menschen seine Lieblingsspeise ge-zeigt oder beschrieben, reagiert er mit Speichel-absonderung, also mit einem Reflex, der nichtangeboren ist, sondern erlernt wurde.In der Abbildung 17.27 ist die Herausbildungdes bedingten Speichelreflexes dargestellt.
17.10 Reflexe 363
Bei Fremdreflexen finden Reizaufnahme und -beantwortung in verschiedenen Organen statt.Die Erregungen laufen über mehrere Neuroneund Zwischenneurone in mehreren Rücken-marksegmenten und damit über mehrereSynapsen, so dass auch mehrere Muskeln an-gesprochen werden können. Fremdreflexe sind außerdem charakterisiertdurch– verlängerte Reflexzeiten,– schnelle Ermüdbarkeit und Anpassung,– die Tatsache, dass sich unterschwellige Reize
summieren können, um dann den Reflex aus-zulösen (z. B. Niesen).
Merke
Neugeborene reagieren in erster Linie mit Reflexen auf Reize, da die Großhirnrinde noch nicht funktionsreif ist.
❑P
Reflexprüfungen sind wichtige diagnostische Verfahren. Typisches Beispiel für einen patholo-gischen Reflex ist der Babinski-Reflex (Dorsal-flexion der Großzehe bei Streichen des seitli-chen Fußrandes), der bei Schädigung derPyramidenbahn auftritt.
❑P
Willkürmotorik und Stützmotorik sind engmiteinander verknüpft, denn jede gezielteBewegung muss von einer Neueinstellung derStützmotorik begleitet werden.
Merke
Zunächst erzeugen sowohl der 1. Reiz (Sehender Nahrung) als auch der 2. Reiz (Schmeckender Nahrung) nur getrennt Wahrnehmungen imSehzentrum und Speichelreflexzentrum. Wennsich dieser Vorgang (sehen – dann essen) oftgenug wiederholt hat, genügt allein der 1. Reiz –das Sehen der Nahrung – für das Einsetzen derSpeichelsekretion durch die Bahnung (= Einprä-gung).
17.11 Vegetatives Nervensystem(VNS)
Das VNS erfüllt gemeinsam mit dem Hormon-system 2 Aufgaben.– Es regelt die Funktion der inneren Organe
wie Atmungs-, Verdauungs-, Kreislauf- und Drüsentätigkeit und stimmt ihre Aktivität entsprechend der aktuellen Situation sinnvoll aufeinander ab.
– Es regelt die Homöostase des inneren Milieusund stellt es auf die äußeren Körpereinflüsse ein.
Da das VNS die Organfunktionen regelt, dieunbewusst und unwillkürlich ablaufen, wird esauch „autonomes“ Nervensystem genannt. Funktionell basiert das VNS hauptsächlich aufdem Reflexbogen. Im Unterschied zum somati-
17 Nervensystem364
Sehzentrum erregt und ...
Speichelsekretion erfolgt1. Schritt: angeborener Reflex
= Speicheldrüsen werden angeregt
... Speichelreflexzentrum erregtsehenund
schmecken
nur Sehzentrum erregt
Speichelsekretion erfolgt2. Schritt: erworbener Reflex
= Speicheldrüsen werden angeregt
Bahnung (durch wiederholte gleichzeitige Erregung
von Seh- und Speichelreflexzentrum)
nur sehen
Entstehung eines erworbenen (bedingten) Reflexes (Beispiel: Speichelreflex).Abb. 17.27
Bedingte Reflexe werden auf der Grundlageangeborener Fremdreflexe durch Lernvorgängeherausgebildet. Der biologische Sinn bestehtdarin, besser und müheloser auf wechselndeSituationen in der Umwelt zu reagieren. Die bedingten Reflexe laufen über die Hirn-rinde und werden bei mehrmaligem Fehlen des2. Reizes wieder „vergessen“.
Merke
schen Nervensystem wird die efferente Streckevon 2 efferenten peripheren vegetativen Neuro-nen gebildet. Die synaptische Umschaltung vom1. auf das 2. Neuron erfolgt in vegetativenGanglien. Das 1. Neuron liegt demnach vor demGanglion und wird präganglionäres Neurongenannt, das 2. Neuron liegt hinter dem Ganglionund heißt postganglionäres Neuron.
Die Effektorgane (= Erfolgsorgane) des VNSsind:– das glatte Muskelgewebe der inneren Organe,– das Herzmuskelgewebe und– die Drüsen.
Aufbau
VNS
zentraler Teil peripherer Teil= zentrale afferente = periphere afferente
und efferente und efferentevegetative Neurone vegetative Neurone
im ZNS in der Peripherie
Die Perikaryen der peripheren afferenten Neu-rone liegen in den Spinalganglien. Ihre Fort-sätze leiten die Afferenzen von den Eingeweide-und Schmerzrezeptoren in die Hinterhörner desRückenmarks. Von hier kann über Zwischen-neurone auf die präganglionären (1. efferenten)Neurone umgeschaltet werden oder auf zentraleNeurone, die die Informationen in höhere vege-tative Zentren und zum Cortex cerebri (Groß-hirnrinde) weiterleiten.
Die Perikaryen der zentralen efferenten Neuro-ne liegen im Gehirn. Ihre Axone schalten entwe-der im Hirnstamm oder in den Seitenhörnern desRückenmarks auf die 1. peripheren efferentenNeurone um. Die synaptische Umschaltung aufdas 2. periphere efferente Neuron erfolgt in denvegetativen Ganglien. Von den Neuriten dieserNeurone werden die Erfolgsorgane innerviert.
Das VNS wird nach morphologischen und funk-tionellen Gesichtspunkten in 2 Teile gegliedert:– den Sympathicus oder das sympathische Ner-
vensystem,– den Parasympathicus oder das parasympathi-
sche Nervensystem.
1. SympathicusDie Perikaryen der präganglionären Neuroneliegen in den Seitenhörnern der grauen Rücken-marksubstanz (Nuclues intermediolateralis) vom1. Brust- bis zum 3. Lendensegment (Th1 – L3).Die Axone der präganglionären Neurone ziehenüber die motorischen Vorderwurzeln und dieweißen Verbindungsäste (Rami communicatesalbi) zu den 25 – 30 paarigen sympathischenGrenzstrangganglien (= paravertebrale Gan-glien) oder durch diese hindurch zu den unpaari-gen prävertebralen vegetativen Ganglien.
17.11 Vegetatives Nervensystem 365
Das VNS ist mit dem somatischen Nerven-system vielfach verknüpft.
Merke
Das VNS wird wie das somatische Nerven-system aus zentralen und peripheren Neuronengebildet.Im ZNS gibt es verschiedene vegetative Zen-tren, deren oberste Steuereinheit der Hypotha-lamus ist.Der efferente Teil besteht aus 2 vegetativenNeuronen.
Merke
Hypothalamus
Erfolgsorgan
vegetatives Ganglion
HirnstammSeitensäulen des RückenmarksTh1 – L3 und S2 – S4
zentrales efferentes Neuron
1. peripheres efferentes oderpräganglionäres Neuron(markscheidenarm)
2. peripheres efferentes Neuron oderpostganglionäres Neuron(meist markscheidenlos)
��
��
��
VNS (efferenter Leitungsweg). Tab. 17.8
17 Nervensystem366
Steuerung durch übergeordnete Zentren(z. B. Hypothalamus)
Innervationen durch + Parasympathicus
••
••••••••••••••••••••
Pankreas
Leber
Niere
Darm
Urogenital-Trakt(Rektum, Blase,
Genitale)
Magen
Lunge
Herz
Kopfgefäße
Auge
Speichel- undTränendrüsen
••••
••••••
••••
organnaheparasympathische
Ganglien
parasympathischeKopfganglien
N. vagus
N. oculomotorius
Ganglioncervicale superius
Ganglionstellatum
Ganglioncoeliacum
Ganglionmesentericum inferius
Ganglion mesenteri-cumsuperius
Nn. splanchnicimajor und minor
Grenzstrang
N. facialis
N. glossopharyngeus
Plexus hypogastricus
N. splanchnicipelvini
•
•••
Sympathicus
Th1
Th2
Th3
Th4
Th5
Th6
Th7
Th8
Th9
Th10
Th11
Th12
L1
L2
L3
L4
L5
S2S3S4S5
Zentren und Funktionen des vegetativen Nervensystems(Sympathicus = rot, Parasympathicus = blau).Abb. 17.28
17.11 Vegetatives Nervensystem 367
Erfolgsorgan
glatte Muskulatur– Hautgefäße– Schweißdrüsen
Drüsen und glatteMuskulatur desKopfes
Herz und Lungen
Baucheingeweide
Beckenorgane
Th1 – L3
weiße Verbindungsäste
Grenzstrangganglien(synaptische Umschaltung)
Th1
weiße Verbindungsäste
Ganglion cervicale superius(synaptische Umschaltung)
Th1 – Th5
weiße Verbindungsäste
Ganglion stellatum(synaptische Umschaltung)
Th5 – Th12
weiße Verbindungsäste
Nn. splanchnici major und minor
prävertebrale Ganglien(Ganglion coeliacum, Ganglionmesentericum superius)(synaptische Umschaltung)
L1 – L4
weiße Verbindungsäste
Ganglion mesentericum inferius(synaptische Umschaltung)
graue Verbindungsäste
Nn. spinales
periphere Nerven
Erfolgsorgane➞ Hautgefäße – Vasokonstriktion➞ Schweißdrüsen – Sekretion
Axonen der postganglionärenNeurone winden sich um dieversorgenden Arterien und er-reichen mit ihnen die Erfolgs-organe.
spezielle Nerven
Erfolgsorgane➞ Herzfrequenz➞ Atemfrequenz
Axone bilden Nervengeflechte(z. B. das sog. Sonnengeflechtdes Ganglion coeliacum =Plexus solaris), von denen siemit den Gefäßen zu den Erfolgs-organen ziehen➞ Motilität➞ Kontraktion der
Schließmuskeln
Plexus mesentericus inferior
Erfolgsorgane• Harnblase: Entleerung wird
gehemmt, Kontraktion desSchließmuskels
• Genitalien: � Ejakulation� Kontraktion
Segmentbezug und Verlauf derpräganglionären Neurone
Verlauf der postganglionärenNeurone
➞
➞ ➞
➞ ➞
➞ ➞
➞ ➞
➞ ➞
➞ ➞
➞
➞ ➞
➞ ➞
➞
➞
Sympathische Innervation. Tab. 17.9
Es gibt auch präganglionäre Neurone, derenAxone direkt zu den Zellen des Nebennieren-markes (diese entsprechen den postganglionärenNeuronen) ziehen und hier die Sekretion von Adrenalin und Noradrenalin veranlassen. BeideHormone unterstützen die Wirkungen des Sym-pathicus auf die Organe. So regen sie u. a. diebiologische Oxidation in Belastungssituationen(Stress) an.
TransmitterDie chemischen Überträgerstoffe im sympathi-schen Nervensystem sind:• Acetylcholin vom prä- auf das postganglio-
näre Neuron in den Grenzstrang- und prä-vertebralen Ganglien.
• Noradrenalin vom postganglionären Neuron auf das Erfolgsorgan.
Da die sympathischen Ganglien organfern lie-gen, sind die präganglionären Axone kurz unddie postganglionären lang.
17 Nervensystem368
Eingeweidereflexbogen der sympathischen Innervation (Schema).Abb. 17.29
Die paarigen sympathischen Grenzstranggang-lien sind beiderseits der Wirbelsäule von derHirnbasis bis zum Kreuzbein in einer Doppel-reihe angeordnet und werden als Grenzstrang desSympathicus bezeichnet. Sie sind untereinan-der verbunden. In den Grenzstrangganglien oderpraevertebralen Ganglien wird von den prä-auf die postganglionären Neurone synaptischumgeschaltet. Die Neuriten der postganglio-nären Neurone ziehen zu den Erfolgsorganen.
Merke
Langfristig erhöhte Adrenalinspiegel im Blutinfolge emotionalen Stresses können die Entste-hung verschiedener Erkrankungen begünstigen.
❑P
Rückenmark vegetatives Ganglion Organ
� �� ��
1. efferentes 2. efferentes Neuron Neuron
(= präganglionäres (= postganglionäres Neuron) Neuron)
mit kurzer mit langerNervenfaser Nervenfaser
Acetylcholin Noradrenalin
Efferente Leitungsbahn des Sympathicus. Tab. 17.10
Haut
HautblutgefäßeSchweißdrüsen
Baucheingeweide
RückenmarknervSpinalganglion
VorderhornSeitenhorn
Hinterhorn
1. efferentes sympathisches Neurone
2. efferentes sympathisches
Neurone
Hinterwurzel
Grenzstrangganglion
sensible Afferenz
sympathischeEfferenz
sympathischeEfferenz
viscerale Afferenz
➋
➋
➋
➊
➊
➊
prävertebrales Ganglionweißer Verbindungsast zum Grenzstranggrauer Verbindungsast zum Grenzstrang
Vorderwurzel
Beispiele:
zwischen Baucheingeweiden undHautblutgefäßen bzw. Schweißdrüsen
zwischen Haut und den Baucheingeweiden
Noradrenalin und Adrenalin erzeugen an den sympathisch innervierten Erfolgsorganen ver-schiedene physiologische Wirkungen. Das istmöglich, weil diese Organe 2 Arten von Rezep-toren besitzen, die �- und �-Rezeptoren. Ersteresprechen besser auf Noradrenalin, letztere besserauf Adrenalin an.
Allgemein gilt: �-Rezeptoren vermitteln die erregende (Aus-nahme: Magen-Darm-Trakt), �-Rezeptoren diehemmende (Ausnahme: Herzerregung) Wirkungdes Sympathicus.
2. ParasympathicusDie Perikaryen der praeganglionären (1. efferen-ten) parasympathischen Neurone liegen:– im Hirnstamm (Pars encephalica), v. a. im
Mittelhirn und verlängerten Mark, und– im Kreuzmark (Pars sacralis) in den Seiten-
säulen der Rückenmarksegmente S2 – S4.
Die synaptische Umschaltung von den prä- aufdie postganglionären Neurone erfolgt in peri-pheren parasympathischen Ganglien, die entwe-der in unmittelbarer Organnähe oder im Organ(= intramurale Ganglien) liegen.Die präganglionären Axone ziehen in speziellenNerven zu den postganglionären Neuronen, sindalso im Vergleich zum Sympathicus sehr lang.Entsprechend kurz sind die postganglionärenAxone.
Parasympathische InnervationCranialer ParasympathicusVon den präganglionären Perikaryen des Hirn-stammes ziehen die Axone in den Hirnnerven III(N. oculomotorius), VII (N. facialis), IX (N. glos-sopharyngeus) und X (N. vagus) zu den post-ganglionären Neuronen der vegetativen para-sympathischen Kopf- bzw. Brust- und Bauch-ganglien. In den Kopfganglien werden die prä-ganglionären Neurone, deren Axone in denHirnnerven III, VII und IX verlaufen, auf diepostganglionären Neurone umgeschaltet. Die
17.11 Vegetatives Nervensystem 369
Arzneimittel, die die gleiche Wirkung wie Adrenalin und Noradrenalin haben, heißen Sympathomimetika. Arzneimittel, die die Wirkung dieser Hormone blockieren oder abschwächen, nennt man Sympatholytika.
❑P
Parasympathi-sche Axone derHirnnerven
III
VII
IX
X
vegetatives Ganglion
Ganglon ciliare1)
Ganglion pterygopalati-num1)
Ganglion submandi-bulare
Ganglion oticum1)
parasympathische Brust-und Bauchganglien
intramurale Ganglien
Erfolgsorgan
M. sphincter pupillae – PupillenadadaptionM. ciliaris – Akkommodation
Tränendrüsen, Nasen- und Gaumendrüsen – SekretionUnterkiefer- undUnterzungenspeichel-drüsen – Sekretion
Ohrspeicheldrüse – Sekretion
Herz – HerzfrequenzLunge – AtemfrequenzGastrointestinaltrakt bisCannon-Böhm-Punkt2) – Motilität
➞ ➞
➞
➞ ➞
1) Kopfganglien 2) Grenze zwischen mittlerem und linkem Drittel des Colon trans-versum
Parasympathische Innervation. Tab. 17.11
Nach der Lage der zentralen Teile unterschei-det man einen cranialen (Pars encephalica)und sacralen (Pars sacralis) Parasympathicus.
Merke
synaptische Umschaltung jener, die im Hirn-nerv X verlaufen, erfolgt in den Brust- undBauchganglien.
Sacraler ParasympathicusDie Axone der präganglionären parasympathi-schen Neurone ziehen über die Vorderwurzel derRückenmarksegmente S2 – S4 in die Spinalner-ven. Ab hier verlaufen sie in den Beckeneingewei-denerven (N. splanchnici pelvini) in die parasym-pathischen Ganglien des Plexus hypogastricus.Hier erfolgt die synaptische Umschaltung auf diepostganglionären Neurone. Die Axone dieserNeurone innervieren den Dickdarm ab Cannon-Böhm-Punkt (Sekretion , Schließmuskel ), dieHarnblase (Entleerung), die Harnleiter (Kontrak-tion) und die Genitalorgane (� Erektion).
TransmitterAls Transmitter wirkt sowohl in den Ganglien alsauch auf das Erfolgsorgan Acetylcholin.
Wirkungsweise des VNSSympathicus und Parasympathicus weisen jenach Situation unterschiedliche Erregungszu-stände auf. Der Sympathicus bewirkt eineLeistungssteigerung, die als ergotrope Reaktionbezeichnet wird (vorherrschend bei Arbeit). DerParasympathicus sorgt für die Aktivierung jenerOrganfunktionen, die für den Aufbau der Ener-giereserven nötig sind, d. h., er hat eine tro-photrope Wirkung (vorherrschend bei Ruhe).
Vorwiegend parasympathisch werden innerviert:– Harnblase, Speicheldrüsen, Tränendrüsen, Drü-
sen im Nasenrachenraum. Nur parasympathisch werden innerviert:– Tränendrüsen, – Drüsen des Nasen-Rachen-Raumes. Nur sympathisch werden innerviert: – fast alle Blutgefäße, Milz, Genitalorgane.
Vergleich: Sympathicus und ParasympathicusDie wichtigsten Gemeinsamkeiten:– Meist 3 Neurone bilden die efferente Strecke
von ZNS zum Erfolgsorgan (Effektor),– gleicher Transmitter zwischen prä- und post-
ganglionären Neuronen,– oft gemeinsame Nervengeflechte um Arterien.
17 Nervensystem370
Rückenmark vegetatives Ganglion OrganSakralmark oder Nervengeflecht
� �� ��
1. efferentes 2. efferentes Neuron Neuron
(= präganglionäres (= postganglionäres Neuron) Neuron)
mit langer Nervenfaser mit kurzer Nervenfaser
Acetylcholin Acetylcholin
Arzneimittel, die so wirken wie Acetylcholin, werden Parasympathomimetica genannt. Arzneimittel, die die Wirkung von Acetylcholinblockieren oder abschwächen, heißen Para-sympatholytica.
❑P
➞ ➞
Die meisten inneren Organe werden sympa-thisch und parasympathisch innerviert, wobeidie Effekte antagonistisch sind.
Merke
Reizung des Reizung desBeispiele Sympathicus Parasympa-
bewirkt thicus bewirkt
Schlagfrequenz Zunahme Abnahmeund -volumen des Herzens
Darmmotorik Abnahme Zunahme
Gallenblasen- Erschlaffung Kontraktionmuskulatur
Bronchial- Erschlaffung Kontraktionmuskulatur
Bei verschiedenen Erkrankungen innererOrgane kann die Haut über dem Krankheits-herd, aber auch in weiterer Entfernung,schmerzhaft und gerötet sein. Der Eingeweide-schmerz wird also auf die Hautoberflächeübertragen (übertragener Schmerz). Wichtig zuwissen ist, dass diese gürtelförmigen Hautareale(= Dermatome) nicht immer unmittelbar überdem erkrankten Organ liegen (Head’scheZonen: nerval mit inneren Organen verbundeneHautregionen). Der Grund dafür: Von einemRückenmarksegment werden sowohl das Organwie die entsprechende Hautregion innerviert.
❑P
Efferente Leitungsbahndes Parasympathicus.Tab. 17.12
Die wichtigsten Unterschiede:
Wegen der unterschiedlichen Transmitter zwi-schen postganglionären Neuronen und Effektorwird der Sympathicus als adrenerges und derParasympathicus als cholinerges System be-zeichnet.
17.12 Zusammenwirken der Koordinationssysteme VNS, animales Nervensystemund Hormonsystem
Die verschiedenen Verhaltensformen, wie z. B.Nahrungs-, Abwehr- oder Fortpflanzungsver-halten, sind das Ergebnis des engen Zusammen-wirkens von animalem und vegetativem Nerven-system sowie dem Hormonsystem. Der Hypo-thalamus als oberstes Steuerzentrum aller vege-tativen und der meisten endokrinen Prozesseerhält vom Endhirn Informationen aus derUmwelt. Daraufhin steuert er die ihm unterge-ordneten hormonellen, vegetativen und animalenProzesse so, dass z. B. Ernährung und Verdau-ung gefördert werden, ein Abwehrverhalten(Alarmstellung) praktiziert wird oder ein Ver-halten entsteht, das der Fortpflanzung dient. Beiden 3 genannten Verhaltensformen werden dieKörperfunktionen wie folgt beeinflusst (verein-facht dargestellt):Nahrungsverhalten:
– Blutdrucksenkung, – Erhöhung der Magen-Darm-Durchblutung
sowie Motorik und Sekretorik, – Hemmung der Skelettmuskeldurchblutung.
Abwehrverhalten:– Erhöhung der Skelettmuskeldurchblutung, – Blutdruckerhöhung, – Erhöhung der Herzfrequenz, – Steigerung der Atemfrequenz, – Hemmung der Magen-Darm-Durchblutung.
Fortpflanzungsverhalten:– Steuerung der Partnerwerbung,– Sexualerregung.
Die Aktivierung bzw. Hemmung der einzelnenOrgane erfolgt bei Sofortreaktionen durch Ak-tionspotentiale der schnell leitenden Nerven undbei Dauerleistungen durch anhaltend wirkendeHormone.
17.12 Zusammenwirken der Koordinationssysteme 371
Beispiele Sympathicus Parasympa- thicus
Lage der organnahe organfernePerikaryen der sympathische parasympa-präganglionären Ganglien thische Neurone Ganglien
präganglionäre kurz lang Neuriten (Axone)
postganglionäre lang kurzNeuriten (Axone)
physiologische ergotrop trophotrop Wirkung
Transmitter Noradrenalin Acetylcholinzwischen über �- und postganglionären �-RezeptorenNeuronen und Effektor
Die Vorgänge des Abwehrverhaltens werden oft aufgrund vieler täglicher Belastungen(Verkehr, Schule, Arbeit u. a.) in Gang gesetzt,ohne dass danach die körperliche Handlung(Abwehr, Flucht) erfolgt. Folgen können z. B. sein: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magengeschwüre, Drüsenfunk-tionsstörungen.
❑P
Koordinationssysteme. Abb. 17.30
Umwelt
SinnesorganInformation
Verarbeitung
Hormonsystemvegetatives NS
Herzfrequenz, AtemfrequenzStoffwechsel, Muskeltonus ➞
17.13 Wachsein und Schlafen
Der Aktivitätszustand der Neurone des Gehirns(„Wachheitsgrad“) ist ständigen Schwankungenunterworfen. Ursachen sind z. B. die Afferenzen,die aufgrund von Umweltreizen bzw. Reizen ausdem Körper selbst entstehen.
Elektroencephalogramm (EEG) Durch das EEG ist es möglich, die elektrischeHirnaktivität zu registrieren. Das geschieht mitvon Elektroden von der Kopfhaut aus. Je nachWachheitsgrad variieren die Potentialschwan-kungen in Amplitude und Frequenz.
Wachsein und BewusstseinWachsein bedeutet, dass der Mensch aktiv mitder Umwelt in Kontakt tritt und auf einwirkendeReize entsprechend reagiert. Herzfrequenz, Atem-frequenz, Stoffwechsel und Muskeltonus sind im Vergleich zum Schlafzustand erhöht.Beim Menschen ist Wachsein eng mit Bewusst-sein verknüpft, das durch folgende Merkmalegekennzeichnet ist:– die Aufmerksamkeit und Fähigkeit, die Rich-
tung der Aufmerksamkeit gezielt zu wechseln,– die Kreativität und den Umgang mit abstrak-
ten Ideen sowie ihr Ausdrücken durch Worte oder andere Symbole,
– die Fähigkeit, die Bedeutung einer Handlung im Voraus abzuschätzen, also Erwartungen
und Pläne zu haben,– die Selbsterkenntnis und das Erkennen ande-
rer Individuen,– das Akzeptieren ästhetischer und ethischer
Werte.
Schlafen Schlafen dient der Erholung, ist aber nicht ein-fach ein Ruhen des Gehirns, sondern eine vomWachsein unterschiedliche Organisationsformder Hirnfunktion. Im Schlafzustand ist die Informationsaufnahmeaus der Umwelt auf ein Minimum eingeschränkt,aber bestimmte Schlüsselreize, wie beispielswei-se das Wimmern des Säuglings, werden aufge-nommen. Stoffwechsel, Herz und Atemfrequenzsind gedrosselt (= parasympathische Reaktions-lage).
17 Nervensystem372
Ruhe
8 – 13 Hz
Wachsein
14 – 30 Hz 14 – 30 Hz
WachseinEEG-Ableitpunkte
EEG-Wellen.Abb. 17.31
Abweichungen vom normalen Bewusstsein werden als Bewusstseinsstörungen bezeichnet.Sie äußern sich in einem veränderten Ablaufoder Ausfall der genannten Merkmale.Im Vergleich zur normalen Bewusstseinslage(Bewusstseinsklarheit) spricht man von ver-schiedenen Schweregraden wie leichte Bewusst-seinstrübung (= leichte Benommenheit), Som-nolenz (= Schläfrigkeit), Sopor (= mittelgradi-ge Bewusstseinsstörung, schläfriger Zustand),Koma (= Bewusstlosigkeit).
❑P
Mit dem EEG lassen sich 2 Schlafphasen fest-stellen:– der REM (Rapid Eye Movements = schnelle
Augenbewegungen) oder der paradoxe Schlaf und
– der Non-REM (ohne diese Augenbewegungen)oder orthodoxe Schlaf.
Darüber hinaus können unterschiedliche Schlaf-stadien als Ausdruck der Schlaftiefe abgegrenztwerden.Während eines normalen Nachtschlafes werdendie REM- und Non-REM-Phasen und dieSchlafstadien im Durchschnitt 3 bis 5 mal durch-laufen. Dabei treten charakteristische EEG-Wellen auf.
Non-REM- oder orthodoxer SchlafDiese Schlafphase umfasst beim Erwachsenenca. 80 % der Gesamtschlafdauer. Sie ist durch 5 Schlafstadien (A, B, C, D, E) gekennzeichnetund läuft wie in der Tabelle 17.13 dargestellt ab.
In der orthodoxen Schlafphase sindverschiedene Lebensfunktionen her-abgesetzt und zwar– die Herz- und damit die Puls-
frequenz,– der Blutdruck,– die Atemfrequenz,– die Drüsentätigkeit,– der Stoffwechsel,– der Muskeltonus und– die Reizschwelle der Sinnes- und
Nervenzellen.
17.13 Wachsein und Schlafen 373
Der erste Tiefschlaf (D, E) einerSchlafperiode wird etwa 30 bis 90 Minuten nach dem Einschlafen(B) über das Stadium C erreicht.Die maximale Schlaftiefe nimmtmit zunehmender Schlafdauer ab.
Merke
Muskelnerschlafft
HerzfrequenzSchlagvolumen
➞ AtemfrequenzAtemtiefe
➞
➞
Parasympathicus- trophotrop -
Parasympathische Reaktionslage.Abb. 17.32
Sch
lafs
tadi
en
0 1 2 3 4 5 6 7 Schlafdauer
10 min 20 min 30 min 40 min EEG
wach
orth
odox
er
Sch
laf
para
doxe
r S
chla
fA
B
C
D
E
REM-Schlaf
Schlafstadien.Abb. 17.33
Schlaf- Schlaftiefe EEG- Frequenzstadium Wellen (in HZ)
A
B
C
D
E
entspanntes Wachsein
Einschlafen
Leichtschlaf
mitteltieferSchlaf
Tiefschlaf
Alpha (�)
Theta (�)
Delta (�)
Delta (�)
Delta (�)
8,0 – 13,0
5,0 – 7,0
4,0
3,0 – 3,5
0,5 – 1,2
➞➞
➞➞
➞
➞➞
➞➞➞
➞➞
5 Schlafstadien. Tab. 17.13
REM- oder paradoxer SchlafDer REM-Schlaf stellt eine besondere Phase dar:Das EEG gleicht dem Schlafstadium E (deshalbparadoxer Schlaf).
Der REM-Schlaf zeichnet sich aus durch:– schnelle Augenbewegungen und Muskel-
zuckungen (z. B. Gesichtsmuskeln);– das fast vollständige Erlöschen des Muskel-
tonus der Skelettmuskulatur;– Zunahme der Atem-, Herz- und Pulsfrequenz,
wobei gewisse Unregelmäßigkeiten auftreten.– Auftreten von Penisreaktionen sowie der
meisten Träume.
Entsprechend der Dauer des Nachtschlafes kannman von 3 Schlaftypen sprechen:– Kurzschläfer < 6 Stunden,– Mittelschläfer 6 – 9 Stunden,– Langschläfer > 9 Stunden.
Im Allgemeinen nimmt mit zunehmendem Alterdie Gesamtschlafdauer ab, wobei vor allem dieNon-REM-Perioden erheblich kürzer werden.Der hohe Anteil des REM-Schlafes bei Säuglin-gen und Kleinkindern könnte möglicherweiseein gewisser Ersatz für fehlende äußere Reizesein.
Der normale Schlaf-wach-Rhythmus wird voneiner in ihrer Wirkungsweise noch weitgehendunbekannten „inneren Uhr“ gesteuert.
17 Nervensystem374
Die erste REM-Phase einer Schlafperiodebeginnt ca. 80 Minuten nach dem Einschlafenund wiederholt sich etwa alle 1,5 Stunden.Die einzelnen Phasen dauern im Mittel 20 Minuten, wobei die längsten gegenMorgen auftreten.
Merke
Zu einem erholsamen Schlaf gehören sowohlNon-REM- als auch REM-Schlaf-Phasen.
Merke
Ein gesteigertes Schlafbedürfnis kann Hin-weis auf Störungen sein (z. B. Allgemein- oderhirnorganische Erkrankungen).Schlafstörungen (Einschlaf-, Durchschlaf-störungen, frühes Erwachen, Schlafumkehr)sind sehr häufig. Bevor Schlafmittel verab-reicht werden, sollte versucht werden, mög-liche Störfaktoren auszuschalten.Schlafmittel stören den Ablauf der natürlichenSchlafphasen und sind daher bei Dauer-gebrauch gesundheitsschädigend.
❑P
17 Nervensystem 375
1. Aus welchen Anteilen besteht das menschliche Nervensystem? 2. Erklären Sie anhand eines Querschnittes den Aufbau des Rückenmarkes. 3. Nehmen Sie eine Gliederung der Rückenmarksegmente vor. 4. Definieren Sie
a) graue Substanz, b) weiße Substanz, c) Nervenfaser, d) Nerv.
5. Nehmen Sie eine Gliederung der einzelnen Hirnabschnitte vor. 6. Beschreiben Sie den Bau des Endhirns. 7. Nennen Sie die verschiedenen Funktionszentren in der Großhirnrinde, und beschreiben Sie
kurz ihre Aufgaben. 8. Welche Bedeutung haben die Basalganglien? 9. Aus welchen Abschnitten besteht das Zwischenhirn, und welche Aufgaben erfüllen sie?
10. Welche Funktionen erfüllena) Mittelhirn, b) Kleinhirn, c) Medulla oblongata, d) Formatio reticularis?
11. Was sind Hirnventrikel, und welche gibt es? 12. Wie werden Gehirn und Rückenmark geschützt? 13. Unterscheiden Sie inneren und äußeren Liquorraum. 14. Welche Bedeutung hat der Liquor?
An welcher Stelle kann man am günstigsten Liquor gewinnen? Begründen Sie den Punktionsort aus anatomischer Sicht.
15. Beschreiben Sie die Blutversorgung des Gehirns. 16. Lokalisieren Sie die afferenten und efferenten Fasersysteme des Rückenmarkes und
Gehirns! – Wo liegen die Umschaltstellen zwischen den einzelnen Neuronen? 17. Was verstehen Sie unter dem extrapyramidal-motorischen System, und welche Bedeutung
hat es? 18. Was sind Ganglien? 19. Nennen Sie die 12 Hirnnerven und ihre Aufgaben. 20. Beschreiben Sie die Entstehung und Aufzweigung eines Rückenmarksnerven. 21. Geben Sie einen Überblick über die Innervationsgebiete der Rückenmarksnerven unter
Beachtung der Geflechtbildung. 22. Nennen Sie die wichtigsten Nerven des Armes. 23. Stellen Sie Ursprung, Verlauf und Versorgungsgebiet des N. ischiadicus dar. 24. Was ist ein Reflexbogen? 25. Erläutern Sie Wesen und Bedeutung von
a) Eigenreflexen, b) Fremdreflexen, c) bedingten Reflexen. Beschreiben Sie einige wichtige Reflexe genauer.
26. Welche Leistungen vollbringt die Stützmotorik, und wie werden diese realisiert? 27. Welche Aufgabe erfüllt das VNS? 28. Unterscheiden Sie zentrales und peripheres VNS. 29. Unterscheiden Sie
a) para- und prävertebrale Ganglien,b) prä- und postganglionäre efferente Neurone.
30. Beschreiben Sie Aufbau und Aufgabe des Sympathicus. 31. Erläutern Sie den Zusammenhang zwischen Sympathicus und den Hormonen Adrenalin
und Noradrenalin. 32. Beschreiben Sie Aufbau und Aufgabe des Parasympathicus.
Fragen zur Wiederholung
17 Nervensystem376
33. Vergleichen Sie Sympathicus und Parasympathicus hinsichtlich ihrer Wirkungsweise. 34. Erläutern Sie an einem konkreten Beispiel das Zusammenwirken von VNS, animalem
Nervensystem und Hormonsystem. 35. Erläutern Sie die Bedeutung des Schlafes aus physiologischer Sicht.
Fragen zur Wiederholung