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Edogan Focus Spiegel

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Dr tfuld,.s . ' .he . K.U.'DSt l .er .BerntBaykam tfagt einen Revol-

ver im Gurtel. Dafur bat er

guteGn1nde. Kiirzlich wurde

ex in Istanbul auf oftener Strane nieder-

gestochen. "Wenn mich dieserDreckskerl nureinen Millimeter

tiefer erwischthiitte, ware ichjetzt tot", sagt er und verweist

auf einen weillen Verband am

Bauch, unter dem eine Stich-

wunde klafft. 13aykam ist uber-

zeugt:"Das warkein wahnsin-

niger islemistischer Einzeltster.Den hat ein K.illerkommandoqeschickt."

Wir schrelben das Jahr neun

der Regierung von Recep

Tayyip Erdogan und der von

ihm gegriindeten islamischenAK-Partei in der 1'ilrkei. Die

Parlamentswahlen am 12. Juni

wird der amtierende Minister-

prasident muhelos gewinnen.

Seine Bewegung ist so machtiq wie Die ~

und hat ein besseres Image als je zuvor,

Unklen zu Beginn von Erdogans Amts-

zeit noch viele, der ehemalige lslamist,

der sich offen zu seinem politischen

Ziebvater Necmettin Erbakan bekannte,wiirde versuchen, die Tfrrkei ineine Isla-

mische Republik zu verwandeln, so wird

das Land he ute a1 s Modell fill die revol-

tierenden arabischen Staaten gehande]t.Als gelungene Kombinatioo von Demo-kratie und Islam. .

Irn Westen wimscht man sich, der ge-

sarnte Nahe Osten moge sich die Tti.rkei

ZUlU Vorbild nehmen. Auch die Araber

selbst sehen es groBtenteils so: Laut einer

von der Friedrich-Ebert-Stiftung unter-

stiitz.ten Umfrage inAgypten, Jordanien,

dem Libanon, Saudi-Arabian, Syrien, Irak

und lrangJauben 66 Prozent der Bev61-

ke.rungen, dass die Tti.rkei ein Modell fU r

ihre Region sein konnte.

Am starksten beeindruckt sie die wirt-

schefthche Leistung des Landes. Unterden Vorzeicben der Globalisierung undmit denaerkldrten Ziel der tiirkischen Au-

~ _ = ! ! o i1enpolitik, null Probleme mit den Nach-:: barn, scheint es, a1 s fande das osmani-

" scbe HandeJsimperium zu altern Glanz~, zuruck, Die tiirkische Bau- und Auto-

industria boom\.. Nugendwo auf demAlten Kont inent werden mehr Fernseh-

gerate produziert als am Bosporus; und

turkische Soap-Operas erlreuen sich in

".. .

fOC1JS22/2011

DerPatron Erdogan kann sich seiner

Annanger sicher sein. So sicner. dass

er dem Land eine Prasidialdemokratle

verpassen will, die g an z au l ihn zuge-

schnitten ist

Kundenzahlen spater

B oom am 'B os po ru s Seit Jahr en ! le g!

cas Wachstumin der Turkei uber dem

Ell-Schnitt. Die Inflation konnte elnge-

dammt werden, die Exporte stelgsn.

Wirtschaftswachstum

,In P rQ .Z € H l 8

• E ll 2 7 . : T U r k e l

-------------1 ••• -------- 4

n

Warvm .konnte de, Tiirkeieine Vorblldflmktion lukammen1"

D ie J \r ab e r m e i "e ~ :

al smus l~

mis~hes L a nd

w e g e n s e , in e r

l V i r t s c h a f t s s U i r k e

als demo~rn, .

L i sc h e s V O I 1 li I d

w E g e n s e i n s r R o lle

i m N a h aS l· K a n H i ~ t

6

der gesamten Region groBter Beliebtheit.

SChODjetzt konnen die Tiltken in mshr

els 60 Uinderohne Visum reisen, und die

tiirldsche Wmschalt befindet sich mit 8,9

Prozent Wachstum auf Rekordkurs, Bis20505011 ste ZUl" zweitgrbBtenin

Europa anwachsen, Und euch

die Bevolkerunq der Tlirkei soilbis dahin von 73 auf tiber 100

Millionen wachsen und aUe an-

deren EU-Staaten liberfiugeln.

10 Sachen Demo.kratie ist das

Land vonsolch guten Noten al-lerdings weit entfernt.

"Ein Modell fur die arabischeWelt? Dariiber euch nor nach-

zudenken ist eine Schande" i

findet Me ssers tech er-Opter

Baykarn. "Es ist eine Beleidi-

gung der erabischen Freiheits-kempter ~ja der Demo.kratie an

sich." Der reqierunqskritische

Kunstler sieht sich als Opfer ei-

nes Rachefeldzugs: Kurz bevorer niedergestochen wurde, hatteer ein

Mahnmal in Kars an der armenischen

Grenze verteidigt, das Premier Erdogan

zuv~r als .rnonstros" kritisierte - und dasdeshalb gerade abqerissen wird. Das 35

Meter hohe Monument sollte einZeiche:nder Versbhnung zwischen verfeindeten

Nachbam sein, Baykam verglicb den

Abrus m.it der Zerst6rung der Buddha-

Statuen im afgilanischen Bamiyan durchdie Taliban."Die T:ikkei ist :nicht das, was sle naeh

iiu8en zu sein schelnt", mahnt Baykam,

nachdem fum die Ante im Istanbuler

Maslak-Krankenbaus des Leben retteten,

~Die Tiirkei ist zivile Diktatur mit demo-

kratischer Fassade."

Harte VorwUrfe gegen den EU-Beitritts-

kandidaten. Aber Baykam 1st nicht der

Einzige, der sie erhebt. Viele lntellekluelle

machen mittlerweile Front gegen Erdo-

gan Als "Sultan Tayyip L" bezeichnet derVolksmund den machtbewussten Landes-

vater. Denn Tatsache ist: Wer den Premier,

seine Familie oder gar seme Reg:i.erung

kritisiert, lebt am Bosporus gefiihrlich.

Das gilt vor allem fur Politiker der Op-

positionsperteien. In den vergangenen

Wochen muss ten sich mindestenszehn

Abgeordnete der MJ-1Pnach einer Serie

kompromittierender Sexvideos in den

vorgezogenen Ruhestand verabsch.ie-den. Denn em Seitensprung wirrl in demislamischen Land nicht toleriert. Im ,..

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REPORT

vergangenen Herbst hatte ein illmliches

Skandalvideo bereits die Karriere desCHP·Piihrers Deniz Baykal beendet. Si-eherheitsexperten gehen de von aus, dass

eine Rund-um-die-Uhr-Bespitzelung der

Opposition notwendig gewesen ist, urn.

derart reichhaltiges Materiel zu erlanqen,

Und dazu sei eigentlich nur der Geheim-

dienst in der Laqa.1m Sultanat Tayyip 1 . kann es jeden er-

wischen, der sich mit Erdogan anlegt.

Aueb bei vergleicbsweise hannlosen Que-

relen: Der Schauspieler Taiga Tuncer be"kam das Z ,U spursn, nachdem er in der

Heuptstadt Ankara eine Vorstellung gab,

die aucb Erdogans Toehter Slimeyye be-

suchte. Angeblich hatte er sich ubsr sie

lustig gemacht, indemer sie beim Kau-

gurnmikauen imitierte. Si.iroeyye unter-

stellte welter, Tuncer babe diesnur getan, weil sie in der vorstel-lung ein Kopftueh trug. Die Wel~

len schlugen hoch, Das Staats-

theater in Ankara leitete zuerst

ein Verlahren gegen Tuncer ein,

scblieBlicb wurde er gefeuert.

Noch unslcheres s in d d ie Jobs

vo n Joumallsten, die die Dinge

enders sehen a1 s der Sultan:

Kurz vor den Wahlen sitzen68VOIl ihnen im Gefangnis ~ eine

der bi:ichsten Quoten inhaf-

lierter Journalisten weltweit.

"Die Betrotfenen werden niedirekt \,vegen ihrer Bericht-

erstattung verhaftet, sondem

auf Grund irgendwelcber obskurer De-

likte wie erwa ein angeblicher Kontakt

ZUll Geheimbund Ergenekon ",erklart dieIstanbuler Medienwissensebaftlenn Esra

Arsandie Methode. .IndenallermeistenFallen tst die Beweislage absurd." Doeh

die Ma13nahme zeigt Wukung: Fast dieHillte der von Arsan befragten joumalis-

tiscben Fiihrungskrafte hatte auf Grund

ihrer Berichterstattung bereits pers6nl:ich

Erlahrung mitPolizei und Justiz gemach t,knapp zwei Drittel bekannte , Angst voreiner lnhaftierung zu haben,

Prominentestes Beisptel fur die WIllkiirder Justiz ist der Autor Ahmed Sik, der

seil Man im Gefiingnis sitzt. Den Textseines noch ntcht publiziertan Buches

hat die Polizei von seiner eigenen undden Festplatten fast samtbcher Freunde

geJ6sebt In "Die Armee des Imams" er-

hebt Sik den Vorwurf, die tiirkische Poll-zei werde von fvfitgliedem der islamisch

54

konservativen Giilen-Bewegung unter-wandert, die Erdogans AK-Partei ideolo-

gisch nahesteht. "Diese Bewegung steht

fiir eins Verkniipfung von Islam und Na-

tionalism us", erklart Sik irn Gefiingnis.

"SeH den aOer-Jahren ist sie im BereichBUdung sehr aktiv gewesen, um die Filh-

rungsriege der Tiirkei ab dem Jahr 2000

zu formen: Dieser Kader nannte sich die

Goldene Generation., und tatsachlich ha-ben diese Gillen-Schiller beute wicbtige

Positionen inne. InPolizei. Justiz und imBildungswesen .. IhI" Ziel ist es, den isla-

mischen Glauben in der Biirokratie zuverankern."

Siks Manuskript kursiert inzwiscbenimInternet. Aber aIlein sein Besitz ist straf-

bar. Die Eu ropeische U nion zeigte sich

uber diese Handhabe besorgt. Erdogan

Journallsten a uf d en Ba rr ik ad en

Kol. legenvonAhmed Sik uno

Nedim Sener protestieren gegen

die Verhaflung

Messerstecher·Opfer

Der Kunstler Bedrl Baykam

iiberlebte nur knapp ein Atten-

tat in lstanouI

hielt dagegen: "Die EU soil sicn an ihreeigene Nase lessen. wit setzen unseren

Weg zu unserer Demokratie weiter forI:."

Wie wird sie aussehen? Der Premier

macht kein Geheimnis daraus, dass er

die tilrkische Verfassung naeh den JUDi-

Wahlen durch eine neue ersetzen will. Er

traumt von einem prasidlalen System mit

einem starksn Ma.nn an. der Spitze, der

moglichst Reeep Tayyip Erdogan heiBensoUte.

Nur wenige sprechen Erdogan und sei-ner AKP ab, die Tiirkei in den vergan-

genen Jahren der Dernokratie ein Stucknahergebracht zu haben .. Nicht zuletzt,

indem sie die alta, kemalistische Elite

und das Militar entmachteten. Beobach-ter turchtan jedoeb,. dass sie jetzt, auf

dem Zenit ibrer Macht, den Bogen iiber-

spannen konnten. "Es ist wiemit dem Ring im Roman ,Herr

der Ringe': Die Protagouis ten

wissen, dass sie fun wegwerlensollten. Aber wenn sie sich vor

Augen halten, was fiir eine un-

glaublicbe Macht sie durch ibn

besitzan, wi:rdas scbwierig, sich

devon zu trennen", vergJeicbtder ehemaliqe Kolumnis t der

Zeitung "Zaman", Andrew Fin-

kel. die Versuchung der Regie-

rungspartei, ihren anhaltendenH6henfiug in unlauterer Weise

zu nutzen, such er verlor sei-nen Job.'Die tiirkischenwshler sehen

mehIheitlich trotzallem keine Altema tivezur omnipotenten AKP Und da.sbangt mit

dem Wirtschaftskurs zusammen, der poli-

tische ZieIe schon mal in den Hintergrundnicken lass!.

Zu beobachtenauch wahrend der ara-

bischen Revolution: Schlug man sich inTunesien und Agypten noch auf die Seite

der Demonstranten, so war die Botschatr

an das libysche Volk bereits weniger ein-

deutig. Das militarische Vorgehen gegen

Gaddati., mit dem das Land gute Ce-schiiftsbeziebungen pflegt, unterstlitzte

die Tiirkei nicht. Und aucb das Assad-Regimeim Nachbarland Syrien wurdevon Ankara nie e'indeutig verurteilt.

Die Turkel braucht Arabien dringend

als Absatzmarkt fU r ihre Waren. Mal

liefert sie an Revolutionare. mal an Dik-~~ooa _

Al,{DREA CLAUDIA HOFFMANN

FOCUS 22/2011

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»Demokratie in Gefabr«Emine Ulk.er Tarhan war d ie ober s1e R ich te rin des Landes.

Jetzt wirft sie Premier Erdogan Bespitzelung und Rechtsbeugung vor

Sle haben Ihren Job OilsRlchte.rln

hmgescnrnlssen, urn fin die Opposltlo.ns-

partel CHPzu kandldleren. Warum?

Als Rithterin musste ich in den ver-gangenen acht Jahren beobaehten,

wie das Justizsystem der Tiirkei unter-

hohlt wurde. Ich mochte auf diese Miss-

stande aufmerksam machen. Bs soIlte

erne unabhangige Justiz geben - aber

tatsechlich wird sie gerade vollkommen

abhangig von der Regierung.

Wle funktlonlert die Unterwande.rung

der JusUz?

Es ist des System der Vetterowirtscbaft:

Die AKP bringt Leute, die ihr gleichge-sinnt sind, an. die entscheidenden Stel-

len, beispielsweise in das Gremium, das

die Richter wahlt. Auf diese Weise stemsie sieher, dass ihre Obergriffe in Zu-

kunft unqeahndet bleiben ..Wir habenjerzteine halb demokratische Verfas-

sung - aber anstatt sie demokratiseher

zu machen, arbeitet die Regierung da-

ran, dass sie undemokratischer wird,

Beobachten SI.eInand.eren Bereichen der

Gesellschatt ahnHche Entwicklungen?

Aui jeden Fall bei der Polizei und im

Bildungswesen ..leb bin mir beispiels-

FOCUS 22/20ll

weise fast sicher, dass mein Teleton ab-

gehorl wird, Aber da ich Angst habe,

kann ich deswegen nieht zur Pclizei

gehen. Man will mit der Polizei und derJustiz nichts am Hut ha.ben. Eine Poli-zei, die sich der Regienmg verpflichtet

fii.hl.t, ist einer der gr6Jlten Schaden, die

man der Demokratie antun kann.

Milssen Mehschen, die steh deTRegierung

entgegenstellen, ur n ihr 'Lllbenfirrchten

wle der Kilnsller 8edrl8aykam?

Das ist auf jed en Fall erne offene Dro-

bung ..Eine Statue, die die Bruderscaart

zwischen zwei Volkem verkorpern

sante, nied erzureif en, erinnert an die

Taliban-Mental.itat. Es tstem Verbaiten,

das GewaU provoziert,

Was lstIhrer Ansicht nach das Zief desPremiers? Verfolgt erelne gehelme Agenda?

WITsollten alle seine Handlungen hin-

te.rfragen. Diese Regierung sagt, dasssie sich darurn bemiiht, in die Europa-

ische Union auIgenomm.en zu werden.

Aber auf Gnmd ihres Konservatismus

kann sie die Anlerderunqeu nicht ein-mal zu 50Prozent erfullen. Daher bill ich

perscnlicb nicht sehr uberzeuqt devon,

dass Erdogan wirklich in die EU will Er

Wechsel Ins Parlament?

Emine Olker Tarhankandidiert

bel den Wahlen am 12. Juru rur

die starkste Oppositionspartei,

die CHP. Dafur gab sie lhr Amt amObsrsten Gericht In Ankara auf

selbst hat inder Vergangenheit gesagt,

dass er sica eherals Tell eines groBen

Nahost-Projekts sieht. lch gJaube, dass

ergem der emflussreichsts Mann im

Nahen Osten werden wurde,

Sehen Sie ·eln poHt:lsches

Gegengewlcht tur .AKP?

1m Verfassungsr-eferendum im Septem-

ber haben 42 Prozent der Menseben

nein zu den Plan en Erdogans gesagt

Das ist eine sehr hohe ZahL Die Leute,

die mit Nein gestimmt haben, batten

Angst, dass der Weg in eine DiktaturHihrt, dass es sich UID eiue Falle ban-

delt, Bei diesen Wahlen gebt die AKP

mit den staatllchen Ressourcen urn, als

ob es ihre eJgenen waren. Sie verteilt

Geschenke an die Bev61k.erung,als

ob das Geld des Landes fur geb6ren

wtirde. Dagegen anzukempten ist eme

Mammutaufgabe, aber unmcqlich ist

es nicht.

1st die tiirk'ische Demok.ratle

ernsthattl n Gefah r1

leh denke, dass die Gefahr fiiI unsereDemokratie immens hoch ist, Man muss

sich das nur mal vor Augen halten: Da

werden noch nicht publizierte Bucher

verboten unddie Menschen, die eine

Kopie davon in ihren Computem besit-

zen, als Kriminelle bezeichnet.

'Inwl.eweitslnd Sle personllch betroften?

Niebt einmal lin eigenen Haus kannicb mien sieber tiililen, dena dort sind

Kameras installiert, und die Telefone

werden abgebort. Sparer werden die

Gesprache, die " W i T Iiihren, im Internet

verbreitet, DeI Mi..nisterprasident nimmt

offentlicb Bezug daralli. VViekann essam, dass e.rsich indas PrivaUeben an-

derer Leute eimniseht? Falls die AKP

diese Wahlen mit grol3er Mehrheit ge-

winnt, bin ich rnir sicher, dass neue Ge-fangnisse entstehen werden: Jeder aus

der Opposition wird mundtot gemacht

warden. GJauben Sie ni.cht, dass dasPa-

ranoia ist, Ich lebe indiesem Land! •

INTERVIEW, ANDREA C. HOFFMANN

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Ausland

~) J y

) .I, _ - -

TORKEI

D e r S u l t a n v o n I s t a c o o lWahrend Europa urn seine Zukunft ringt, hat sich das Land zueiner dynamischen Regionalmachtaufgeschwungen. Nun holt der ehrgeizige Premier Erdogan zu seinem dritten

Wahlsieg aus und wil l den Turken erne neue Verfassung geben, Europa interessiert ihn nicht rnehr.

' E ' . . - . . . . .rn_,: _ t . und_ " , _ 0 _ 1 "• : a v i H i _ t i s c h _ t _ l " i . t t er ans- Pult, geduldig wartet er, bis del"Ap-_ plaus verebbt, "Ostat! -Ostat!" rufen

sie ihm, ZU, ."Lehrmeister!, Lehrmeister!"Sie klatschen und pfeifeu.Dannergreift er das Wort. ImGesprach

ist seine Stimme immer leiser geworden,je laager er an der Mach t ist. Ab er k ra f t-vo lle r d en n je d ro hn t sie, w enn er offent-

l ich spricht. Als "Geschwister" begrufster seine Zuhorer, als "karde~ler"- einWort, das im Tiirkischen viel mehr fami-Iiare Zuneigung atmetals im Deutschen.

Dann wird er ernst. Er hat einen Plan zuverkunden, den seine Wahlkampfstrate-

gen als ein "Wahnsinnsprojekt" angekun-digt haben - eine Idee, die alle "VorsteL·lungskraft" sprenge.

Das sind nicht seine Worte, das sindnur die Girlanden seiner Zuarbeiter, Er ,Recep Tayyip Erdogan, ist fur den Kernder Dinge zustandig, Und soenthtillt eran diesem Tag in Is tanbul ein Projekt, mitdem er in die Geschichte eingehen will."Traume sind Samen, die in der Wirk-

lich:keit aufgehen", sagt er, "Wir habenftit diese Stadt, deren Nachte nach Hya-

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- . _ . 1 _ . .

zinthen duften, die Armel hochgekrem-pelt: Wit schenken ihr einen neuen Ka-

nal." Eine zweite Wasserstrade zwischendem Schwarzen und dem Martnarameerwill er graben lassen ~ einen zweiten Bos-porus, der im Jahr 2023, zurn roo, Ge-burtstag der Tiirkischen Republik, eroff-

net werden sell,Hier spricht ein Mann, der seine Lehr-

jahre hinter sich hat. Der nicht mehrsucht, was dem Wahler gefallen konnte,was die Armee vielleicht toleriert, Weaner heute eine Rede halt, dana sitzt jedesWort. Vnd wenn er provoziert, wenn erden Oppositionsfuhrer einen halb Unglau-

bigen nennt, Generale des Landesverratsbezichtigt oder dem israelischen Prasi-

denten zuruft: "la, mit dem Toten kenntihr euch aus!" - dann sind das keine Aus-rutscher mehr ..Dann weiB er, was er tnt.

Recep Tayyip Erdogan, der in Kasim-

pa~a am Goldenen Horn aufwuchs, als esooeh eine Kloake war, regiert inzwischen

langer a ls Obama , Merkel, Sarkozy und

die meistsn anderen, denen er auf denG-2o-Gipfeln begegnet, Er bat mit trium-phalen Mehrheiten zwei Wahlen gewon-

nen. Und am kommenden Sonntag stehter vor einem dritten Sieg, bei dem es nurdi.e Frage ist, wie hoch er ausfallt,

Sollte es nur zur Halfte der Parlaments-sitze reichen, darm muss er Kornpromissemechen - fUrdie neue Verfassung, die erdem Land geben will. Reicht es fur dreiFunftel, kann er diese Verfassung bereits

allein sehreiben, muss sie dem Yolk aberwahl ZUlU Referendum vorlegen,Gewinnt er, was nicht auszuschlie-

Ben ist, eine Zweidrittelmehrheit, dann

braucht er vermutlich nicht einmal daszu tun. Dann ist er das, was ihn Gegnerund Anhanger schon heute aennen: derSultan, der Padischah der Turkei,Erdogan hat viel erreicht. Er hat den

machtigen Militars den Schneid abge-kauft, die sakularen Eliten dernoralisiert,

Premier Erdogiln i n K a ys er i

"E1' hat kei1'l~el! mehr, d e 1 ' ihn. hontrolliert'

die Baumwollkonige und Betoa-Tycoons,

die sica das Land einst gutlich mit denGeneralen teilten, zurechtgestutzt, Er hatdie Tilrkei ein Putsch- und Krisenland,

zueiner Regionalnracht aufgebaut. Erwird in London und Washington 8 1 s Ge-

sprachspartner so ernst genornmen wie

in Riad W1dPeking. Und selbst Israel, mitdem er sich, von den Arabern bswundert,

angelegt bat, verfolgt jeden seiner Schrit-te mit hochster Aufmerksamkeit, Erdoganbat die Turken - seibst die, die ihn nichtleiden konnen - mit einem Selbstbewusst-

sein ausgestattet, das sie VOl' ihm nicht

hatten.Als "KI'anker Mann am Bosporus" galt

das Osrnanische Reich. Die TUrkei heuteschaut sehr gesundaus. Nach acht JahrenErdogan ist sie viel raicher und modernerals jenes arme Land, das sich vor mehr

als 20 Jahren urn die MitgIiedschaft in der

Europaischen Gemeinschaft bewarb. IhreWirtschaft wachst im Vergleich zu ande-

ren europalschen Staaten dreimal soschnell, und wer aus dem turkischen Wes-

ten in die bulgarischen und rumanischenOstprovinzen fanrt, fragt sich, auf wel-cher Seite der Grenze eigentlich das wohl-

habende Europa liegt.Gleichzeitig ist die Turkel bigotter ge-

worden. Die Islamisten in del' Regierungverfolgeo ihre Gegner mit mindestens

derselben Unerbittlichkeit, mit der einstsie verfolgt wurden, Sie schikanieren

Kunstler und Prominente, die ihr Welt·bild nicht teilen, sie knebeln Medienhau-

ser, deren Zeitungen die Regierung kriti-

sieren, sie lassen Journalisten mit absur-den Anklagen ins Ge.fangnis werfen,

Es wird Zeit fijr Europa, noch einmalnachzudenken, was es mit diesem kraft-vollen und schwierigen Nachbarn eigent-

lich will: ibn ernst nehmen und an sich

binden, ihn noch einrnal 20 Jahre hinhal-ten - oder ibm sagen, class er irn christ-

llch-abendlandischen Europa nichts zu su-eben hat. Zeit fur eine Bestandsaufnah-me, denn die Voraussetzungen einer derqualendsten und Iangwierigsten europai-

schen Debatten haben sich in den letzten

Jahren grundlegend verandert,Gaziantep, eine aufstrebende Industrie-

metropole, knapp tausend Kilometer slid-

ostlich von Istanbul. EndIos reihen sichgraue Fabrikhallen an der Schnellstrafse,

Kolonnen von Bussen und Lastern rum-

peLn tiber den Asphalt. WeI' den Aufstiegder TUrkei zur Nummer 17 der groBtenVolkswirtschaften der Welt besicbtigenwill, ist hier am riehtigen Ort. Gaziantep,das fruher nur fur seine Auberginen-Ke-babs und Pistazieabaume bekannt war,

zahlt heute zu den vitalsten Wirtschafts-zentren des turkischen Hinterlandes -

den "anatolischen Tigern". Seit 2005 hatsich die Industrteproduktioa der Stadt

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Ausland

M i H e lm a c h t a m B o s p o r u sWirtschaftsleistung lm eurcpetschen Vergleich, 2010

Wirtschaftswachstum

Verande rungzum Vor ia .h ri n P rozen t

Tiirkei

Deutschland .1 + 3,61

Frankrelch FI =+=1=,6 : : ;1 - - -= :" ' )

ltalien I + 1,31

S panie n ~ - OJ

'm271 +1,81

+8,9

+6 ,8urkei

Deutsch land [+0 ,1

Frankreich I + 1,51

Italien EO,4

Spanien I + 1, 1 J

ElJ.27I~;:7

Quel len: EUros t31. :Euro '~ i>cf le Komml; . l( )n ;

•. ;nfla~<1nsbe"'lnlgj

Staatsverschuldung

in P roz entdes B IP

.~, , ""f J -

!

B U L G A R I E N

-~

•.. -....- . . ~. . . . ' ," '

G E O R G IE N · . . . . . . . ~

-ARMENIENG R I E C H E N -

L A N D

Altersstruktur Al'beitslosigkeit

in P rozent

; . . _ . . " ,, _I II !! III ! ! I I ' 1 I ! ! ! i ' ' ' ' o O ! ' ! ! ! ! ' - . ._ "

Pr ivate Konsumausgaben t IRAK

Veranderung.zum Vorjahr in P rozent" .... • ••••.•.. : . - - . . . . ,. . . '"'- , ~: Gelchlc:hte:: ....... . . , , . . . . . . . . '" : . . . , . _. . • ".. Die grii8te Ausdehnung .. ... . . .. . . . . . \. , des Osmanischen "~" ...

.. t, I ,,-.

~ ~ ~ R eichsi m 1 7 _ Jahrhu n de rt, " ~" f I , • I

<, : ~einschlieSlich damals \ \ ;-__"...... _.. 'I """•

.~.tributpfl i c ht iger Gebiele \ ... .". . . . . . . ' . . . . . .

" .•••••

. '•. .'~~.,

Ante il d er iib er 6 4 -J ifh rig en in P r oz en t

iMMfU ' t l H M i li Tiirkel 10,1

IDeutschland

16,6 1

IDeutschland 83,21 2 0 , 7 1 IDeutschlandI7,!

IFrankreich 9,71

Iitalien 8.41

IFrankreich ·81 ,71 IFranikreich

IW-27

illaHen 119,01 II.talien

Ispanien ISpanien

IW,27 80,21 I E U - 2 7

verdoppelt, 2008 exp 0 rtierte sie Warenim Wert von 3,9 Milliarden US-Dollar.Cahit Nakiboglu, 63, ein untersetzter

Her r mit Schnauzer u nd B rille h at d as W irt-sehafrswunder von Gaziantep mitgepragt,

Er is ! der Chef der Naksan Holding, d e s

drittgri:il3tenPlastiktutenherstellers Europas ..Zu seinen Kunden gehorten die deutseheSupermarktkette Plus, gehbren das Mode-untemehmen Pierre Cardin und der Mabel-

riese Ikea. "Der Staat hat uns nichts ge-schenkt" sagt Nakiboglu, "JabrzehnteJanghat er uns nur Steine in den Weg gelegt."

Das anderte sieh 2002, als Erdogans

Parteifur Gerechtigkeit und Fortschritt(AKP) die Macht irbernahm. Eine sehwere

Finanzkrise hatte des Land 200l. an denRand des Ruins getrieben, Kemal Dervis,ein turkischer Weltbank-Manager, der

knrzlich als Nachfolger des IWF-ChefsDominique Strauss-Kahn im Gesprachwar, Ieitete ein gewaltiges Umschuldungs-programmein. Die Fnichteerntete dieAKP-Regierung: Das turkische Wirt-

sehaftswachstum stieg bis 2007 auf sechsProzent im Durcnschnitt, kaum ein Landhat sich so gut von der Weltfinanzkrise

von 2008 und 2009 erholt,Anders als seine geistigen Vater, die

noch von emer j.islamischen Wirtschafts-

20,21

• .•.. .~••••

1R'~N••.,• ..'

" 0

ISpan.ien

9,61

D8R S.PIBG6L 231~Ol.l

20 ,11

digkeitstrasse del' turkischen Eisenbahnin Betrieb genommen werden,

Die einzige Sorge am Vorabend von Er-dogans drittern Wabls.ieg ist, dass die Witt-schaft iiberhitzt: Die Ttirken kaufen undproduzieren so vieJ, dass der Import selbst

ihre steigenden Exporte tibertri£ft. "Trotzdieser Ungleichgewichte" befindet das

"Wall Street Journal", sei die Starke des

tiirkischen Aufschwungs nachhaltig: "DieWachstums-Story kann weitergehen."Ware der Streit zwischen Gegnem und

Anhangern eines tiirkischen EU-Beitritts

ein FU£baUspieJ - die okonomische Bi-

lanz lieBe sich als ein solides 1:0 fur dieBeftirworter verbuchen.Istanbul, die europaisch-asiatische Rie-

senstadt am Bosporus, gilt der Washing-toner Denkfabrik Brookings Institutionals die dyna:mischste Wirtschaftsmetropo-le del' Welt. Keiner kann sagen, ob es 15oder schon 17Millionen sind, die sich hierniedergelassen haben, In den Burovier-teln von Istan bill werden immer neueWolkenkratzer in immer ilberdrehteremDesign errichtet, an den Randern verdich-

ten sich die Trabantenstadte der Zuwan-derer, Arbeit gibt es fast hnmer,Vorbei sind die Zei ten, als nul' Teepflu-

cker vom Schwarzen Meer und Burger-

16,81

17,41

ordnung" getraumr hatten, begriff ErdoganKapitalismus und Islam nicht als Gegen-satze, Geleitet von den Interessen del' auf-

strebenden islamischen Mittelschieht, dernwiehtigsten Wahlersegrneat der AKP,

mach te s ic h d sr neue Mirnsterprasident dar-an, die Wirtschaft des Landeszu offnen,

Neun Prozent Wachstum erreichte dasLand im vergangenen Jahr ..Die Arbeits-losigkeit ist auf elf Prozent, die Inflationzwischenzeitlich auf sechs Prozent gesun-ken, die Gesamtverschuldung lag zuletztbei 41 Prozent des Bruttotnlandsproduk-

tes - ein Wert, den die meisten EU-Staa-

ten gem hstten, Das Pro-Kopf-Einkorn-men bat sich seit Erdogans Amtsantrittverdreifacht, AIs ".Buropas China" be-zeichnet der britische "Ee,onornist" dasLand am Bosporus.Und es sind, wie das Beispiel Gazian-

tep zeigt, nicht mehr nur die Millionen-stadte im Westen der Turkel, die vomAufschwung profitieren. Es sind auchStadte wie Denizli, Kayseri, Trabzon und

Samsun, die jernand, der sie vor zehn J ah-ren zuletzt besuchte, heute kaurn wieder-

erkennt: Stadtautobahnen, Wolkenkrat-zer, neue Hafenanlagen wurden gebaut,zwischen Eskisehir und Kenya. soll Ende

des Jahres eine weitere Hochgeschwin-

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Junge Tilrkinnen ill Istanbul: Moderltste Stadt der islamischen Welt

k ri eg s fl uc h ti in g e a u s den Kurdengebietenan den Bosporus stromten. Auch Europa-

er und Amerikaner haben "Istancool"entdeckt, die niernals schlafende, die mo-

demste Stadt der islamiscben Welt. Undgekommen - zurtlckgekommen - sindauch jene, deren EJtern und Grofseltemeinst im femen Deutschland ihr Gluck

suchten: Die Deutsch-Turken, von den

Einheimischen spottisch "Almancilar","Deutscblander", genannt, finden hiereine Dynamik vor, die sie in Deutschlandso nichterleben.

Gastarbeiterkinder wie Nese Stege'

mann, 43, zurn Beispiel, Facharztin furOrthopadie und Chirurgie, die mit einemDeutschen verheiratet ist und von sich

sagt, sie sei "so deutsch, wie es nur geht",

Vor zwei Jahren flog sie mit ihrer Familienach istanbul und war iiberwaltigt vonder Hille an kulturellen Gegensatzen, anGalerien, AussteiJungen, Designer-Out-

lets, Moscheen und Basaren, Ihr wurdeein -Job in einem Priva tkrankenhaus an-geboten. Sie akzeptierre und verdient

heute mehr als daheim in Hannover.Stegemann ist eiae von Tausenden,

Langst wandern mehr Deutsch-Turken zu-

riick ins Land ihrer Vaterals umgekehrtThrken in die Bundesrepublik kommen:

40000 waren es 2009, dern Jahr sus demdie jtingsten Zahlen stammen, Viele vonihnen sind bochqualifiziert und bestens

angepasst an die globalisierte Welt, in der,

anders als in del' von Thilo Sarrazin, die

Verwur-zelung in zwei Kulturen als Kar-rierebonus gilt.Viele Europaer sehen in den Tlirken

ein fremdes Valk ,. das viel zu fruchtbarsei, Doch stimmt das Schlagwort von der

"demogra.fischen Bombe" noch, eines derLieblingsargumente der Turkei-Skepti-ker? Die Turkei hat, im Gegensatz zu denaltemden Gesellschaften Europas, €linekerngesunde Bevolkerungspyramide, die

etwa del' der Vereinigten Staaten oderKanadas entspricht: Au! mittlerweile 2,1

Kinder pro Frau is t die Geburtenrate inden vergangenen Jahren geschrumpft.

land: 43), an die 700 000 Hochschulabsol-venten drangen jedes Jahr auf den At·beitsmarkt, Die Turkel hat ziemlich genauden Nachwuchs, den sie Itirein stabiles

Wirtsohaftswachstum braucht, nicht zuviel und nichtzu wenig; von den Uber-volkerungsszenarien der angstlichen Eu-

ropaer Ist sie jedenfalls weit entfernt, 2:0

fur die BefUrworter ihres EU·Beib·itts.Das starkste Ar-gument -furdje Turkel,

das 3:0, ist ein anderes, Es wird seit Jah-

ren von Amerikanern und Briten verge-

bracht - aber auch von Deutschen wieJoschka Fischer, Altkanzler Gerhard

Schroder oder dem CDU·AuBenpolitikerRuprecht Polenz. Es 1 S t das Argumentder Geostrategen, und es Iautet: Welch

besseren Hebel hat Europa, auI die Ent-wicklung der islamisehen Welt einzu-

wirken, als ihren modernsren Staat, dieTi.i.rkei?

In Meram, einem Villenviertel del"ana-tolischen Stadt Konya, hat sich der tur-kische Aufienminister Ahmet Davutoglu

gerade ein Haus gekauft. Als Ersten emp·fing er vorige Woche den VaH von Kon-ya zum Antrittsbesuch, den Gouverneurder grolsten turkischen Provinz danachden SPIEGEL fur ein Interview (siehe Sei-

te 94)-Davutoglu stamrnt aus der Gegend,

doch in den Ierzten funf Jahren, sagt er,sei er nicht ofter als zehnmal in Konyagewesen, Viel after, an die 60·mal, schiHzt

er, sei er zuletzt nach Damaskus gereist,

Davutoglu, e in sanfter M an n von star-ken Uberzeugungen, steht fur die strate-gische Neuausrichtung seines Landes. Mitfast alien Nachbarn unterhalt Ankara heu-

te gute Beziehungen. Turkische Diploma-ten haben inden vergangenen Jahren inBaku tiber den Bau der nach Europa fuh-

renden "Nabucco"·Pipeline verhandelr,in Teheran uber das iranische Nuklear-programrn und inTripolis mit dem wan-kenden Gaddafi-Regime. Turkische Ge-schaftsleute bauen Flughafen irn Nord-irak, Hochhauser in Mekka und Meerwas·ser-Entsalzungsanlagen in Libyen.

"Neo·Osmanismus" lautet der Begriff',der sich fur diese neue Aufien- und Wirt-schaftspolitikeingebiirgert hat. Auch die-ser Begriff ist im Westen mit Angst be-

setzt, Wollen die Turken das Imperiumwiedererrichten, das 400 Jahre lang denNahen Osten beherrschte?Die Angst ist i.ibertrieben, mehr alsein

loser Commonwealth ehemaliger osma-niseher Provinzen zeichnet sich nichtab.Wiehtig aber ist das turkische Vorbild,das in die poll t isch so ruckstandige Re-gion hineinstrahlt: Auch eine islarnischeRegierung kana demokratisch sein - undman braucht keinenOlstaat, urn Wahl-

stand aufzubauen,Wichtig sind auch die Verbindungen

der Turken, 51e reden, von Bagdad bisTripolis, mit radikalen Gruppen, mit de-

nen der Westen grundsatalich oder aus

.D er ., . Kra nk e Mann am

Bosporus" schaut heute

sehr gesundaus ..

Es ist eine Entwicklung, die sich ausdem wachsenden Wohlstand und verbes-

serten Bildungsstand ergibt. Ab 2030 sa-gen Dernografen sogar einen Ruckgangder Bevolkerung versus. Ministerprasi-

dent Erdogan veranlasste das zu der Be-merkung, jede Turkin mage ki.inftig min-destens drei Kinder zur Welt bringen -doch die Frauen denken gar nicht daran,

ibm diesen Gefallen zu tun.Volkswirtschaftlich hat die Turkel das

auch gar nicht nbtig. Zurzeit Iiegt das

Durchschnittsalter bei 29 Jahren (Deutsch-

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Ausland

politischer Rucksichtnahme auf Israel

nieht spricht - mit denen er eines Tages

aber vielleicht wird sprechen mussen: mitder palastinensischen Harnas, del' iibane-siscben Hisbollah, mit dern irakischenSchiitenfuhrer Muktada al-Sadr,Dass sich die Turken vom Westen ab-

wenden konnten, ist nicht abzusehen. An-kara hat, trotz schwerer Krisen, seine Be-ziehungen mit Israel nieht abgebroehen.

Ebenso wenig ist Premier Erdogan, ob-wohl er sich bel der Militaroperation ge-gen Libyens Muammar al-Gaddafi vonFrankreich rude iibergangen fuhlte, aus

der westlichen Allianz ausgeschert. Statt-dessen lei tet die Ttirkei ihren Anteil ander Umsetzung der Libyen-Resolution -mit rnehr Einsatz, als das ihr Nato-Partner

Deutschland tut.

Das ist rue eine Seite der heutigenTUrkei: wirtschaftlich stark, dynamisch,

ten Wahlsieg 2007 nabe sich das veran-

dert: "Da fing er an, die Staatsmacht will-

kiirlich einzusetzen."Ergin weill, wovon er spricht, Je kriti-

scher Zeitungen uber die Regierung be-riehteten, desto massiver sehlug dasBasbakanlik, das Amt des Ministerprasi-denten, zunrck, Ein Karikaturist, der sicherlaubt harte, den Premier als Katze dar-zustellen, fand sich vor Gericht wieder,

Das Gleiehe passierte kurz darauf einernanderen, del' Erdogan als blut- also steu-ersaugende Zecke auf dem Rucken einesunbescholtenen Burgers zeichnete,

Den Dogan-Konzern zu dem die s a -kulare "Hiirriyet" und der turkische Ab-leger des US-Nachrichtensenders CNNgehoren, traf es besonders schwer, 2009erhielt der Konzern Besuch von einem

Dutzend Steuerinspektoren. Ais die mitihrer Prufung fertig waren, ging eine Zah-

D a s com direct G irokonto m it

«',r

selbstbewusst - und biindnistreu. Er be-wundere, sagt ein Gefolgsmann des tur-

kischen Ministerprasidenten, wie gut deraufbrausende Erdogan sein Temperamentinzwischen im Griff habe,

Dass er selbst mit dieser Bemerkungnicht zitiert werden will, irritiert alter-

dings - und offnet im Kleinen einen BUckauf eine groBe Burde der Erdogan-Turkei:Ihr Chef bat ein Problem mit der Auto-ritat, Er kann nicht genug von ihr be-kommen,

Der Premier sagt Sedat Ergin, der lang-jahrige Burochef der "Htirriyet' in An-kara ei vor acbt Jahren sehr vor ichtigin eine er te Amtszeit gegangen. Er habean seinen Gegnern in der Armee, in derWirtscbaft in der Presse MaE genommen,sie aber mi t Respekt behandel t: "Er triebentschieden seine Polink voran, doch er

ubte ZurilekhaJtung." Nach seinem zwei-

lungsklage ein - in Hohe von umgerech-net 2,2 Milliarden Euro.

"Das ist das Problem mit Erdogan",sagt Ergin. Er setzt die Macht des Staatesimmer willkurlicher fur seine politischenInteressen ein. Er hat keinen mehr, derihn kontrolliert."

2008 begann in Istanbul ein Prozess ge-gen eine Gruppe ehemaliger hoher Mill-tars, die in der Fruhzeit der Erdogan-Re-gierung Umsturzplane geschmiedet ha-ben 5 0 1 1 . Der sogenannte Ergenekon-Pro-zess, wie die Verschworergruppe selbstnaeh der mythisehen Urheimat der TUr-ken in Zentralasien benannt batte ka-tbartische Wirkung auf das Yolk -zumersten Mal standen die bis dahin unan-tastbaren Offiziere vor Gericht.Doch je weiter ich da Verfahren aus-

dehnte, desto weiter dehnte sich auch der

Kreis der Festgenommenen aus - auf op-

positionelle Professoren, Beamte Anwal -

te, Journalisten. Dass aus einem bedeu-

tenden Gerichtsverfahren inzwischen emVehikel der Regierung geworden ist, ein-flussreiche Kritiker aus dem Weg zu rau-men, wurde der staunenden Nation spa-

testens im Man klar, als die Polizei den

Investigativreporter Ahmet S ik als Ter-rorverdiiehtigen aus seiner Wohnung hol-te - ausgerechnet den Journalisten, der

als einer der Ersten tiber die Umsturzpla-ne der Ergenekon-Gruppe beriebtet hatte,sich danach allerdings auch mit einem re-

gierungsfreundlichen Islamisten-Netz-

werk befasste. EI sitzt, wie 67 andereJournalisten und Dutzende Professoren,bis heutein Haft.Der Premier, der einen historischen

Wandel der Turkei eingeieitet hat, konntein seiner Selbstherrlichkeit zu einer im-mer grBBereD Belastung fur sein Land

werden, Viel, sagen seine Kritiker, unter-

scheide ibn nicht mehr von Russlandsstarkem Mann Wladimir Putin. Russlandfreilich hat sich nicht urn die Mitglied-scha£t in der Europaischen Union bewor-

ben. Die Turkel seb.on. Der Machtrauschihres Premierministers kommt einem Ei-gentor der Turken gleieh - 3:1.

"Dieser Mann ist gefahrlich", sagt auchder renomrnierte Erdbebenforscher Celal

Senger, 56. Er hat am eigenen Leib er-fahren, mit welch en Mitteln die AKP indie Autonomic der Wissenschaften ein-greift. 2009 sollte der islamkritische De-kan der Technischen Universitat Istanbulentlassen werden - ohne Begrundungohne Verfahren. NUl" eine Interventiondes Prasidenten der Internationaien Aka-demie der Wissenschaften bewab.rte ihnvor dem Rausschmiss, Seither ist Senger

noch iIlusionsloser als zuvor: "Europa

DER SPIECSL 2)f201)9 3

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Ausland

sollte nicht naiv sein", sagt er, "Die Tiir-kei ist einfach noch nicht reif, eine De-mokra tie zu sein."

Schockiert sehlagen Leute wie Sengor,die ZUI urbanen Elite der Turke: gehoren,margens die Zeitungen auf und lesen Her-rormeldungen aus der Provinz: von Schul-madchen inMersin, denen religiose Fa-natiker Saure auf die unbedeckten Beinespritzten; voneiner jungen Frau nahe

MaJatya, die lebendig begraben wurde,weil sie angeblich einen Freund hatte; vonVergewaltigungen zweier Schwestern inSiirt, an denensich "fastbundert Mannervergingen.

Die Brutalltat, mit der gegen Frauenvorgegangen wird, ist so alt wie die Tin-kei selbst, und die Vorgangerregierungen

versagten ebenso klaglich, wenn es dar-urn ging, Opfer zu schutzen, Doch zwi-schen 2002 und 2009 ist die Zahl del' Ge-walttaten lind sogenannten Ehrenmordevon 66 auf 953 angestiegen, "Jeden Tagstirbt eine Frau", klagen Menschenrecht-

ler ~ was die AKP mit dem Hinweis kon-tert, dass [etzt einfach roehr Morde ihrenWeg indie Statistlk fanden,Das erkennt die Soziologin Binnaz To-

prak an, doch sie hat noch eine weitereErkla.rung: .Der Druck, sich religios zu

verhalten, regelroaBig zu beten, zu fasten,keinen ALkohol zutrinken, ist gestiegen.

Die Gesellschaft ist konservativer gewor-den," Es ist ein KUma entstanden, indemFrauen auBerhalb del' groBen Stadte nach

Anbruch der Dunkelheit nicht mehr aufdar StreEe anzutreffen sind, ein Klima,in dem sich manch einer ermutigt fiihlt,Koran-Versefrauenfeindlich auszulsgen.

Topraks Befund bestatigt den Verdachtsakularer Turken und skeptischer Euro-paer, wonachein breites Segment der ttir-kisehen Gesellschaft einem Welt- undFrauenbild folge, das nicht mit dem des

Westens vereinbar ist, Ein dunkler Schat-ten auf dem El.l-Kandidaten, ein verita-

bles Gegentor in der TUrkei-Debatte. 3:2,

Die Bilanz fallt knapp zugunsten desewigen Kandidaten aus - so knapp, wiees seit Jahrzehnten auch urn die Zunei-gung der Europaerzu ihrem kompliziertenNachbarn bestellt ist, Und doch: Uberwie-

gen, rational betrachtet, nicht die Vorteiie,

w en n d ie Turkei z ur e uro pa ls ch en F am iliedazustollt? Hat sie in den zwolf Jahren,seit sie formell Kandidat ist und sich anden EU-Kriterien abarbeitete, Diehl beein-druckende Fortschritte gemacht? Und

ware eine nahere Bindung an Europa nichtder beste Weg zu verhindern, dass diese

Fortschritte wieder verlorengehen?Wahrscheinlicher ist, dass die Europaer

und die Turken noch jahrelang aneinan-der vorbeiargumentieren werden, ohnedie beiden Wahrheiten auszusprechen,

die inzwischen jeder kennt: dass Europadie Turke i nieht will. U nd class die TUrkeiEuropa baldnicbt mehr branchen wird.

DANIEl. SrEI.NVO·Rl'!-l, B:ERN!-lAR'DZIIND

W · . . d · h · • . I "" I r s i n . s e r e m o b o n aAuBenminister Ahmet Davutoglu, 52, tiber die Enttauschung der

Turken tiber Europa, Ankaras Einfluss auf die

arabischen Diktatoren und den zu erwartenden Wablsieg der AKP

Minister Davutoglu: " Werhat denn. Gaddafis Hand gekiisst?"

SPIEGEL:Herr Minister, seit mehr als 20Jahren bemuht sich die Turkei vergebensurn die Mitgliedsehaft in der ED. Warum

wollen Sie Iiberhaupt noeb nach Europa?Davutoglu: Ich kann Ihnen drei Grtmdenennen warum wir in die EuropaischeUnion gehoren, Erstens: Die Turkel istseit Jahrhunderten ein Teil der europai-schen Diplomatie ..Wit sind nicht China,Zweitens: Europa braucht die Turkei ausstrategischen Grunden. Nur zusammenmit der Turkei kann die ED eine GroB-macht werden, Und drittens: Wir teilenz e n tr al e p o li ti sc h e Werte die in den Ko-penhageoer Kriterien niedergelegt sind.

Die Turkel ist e m wichtiges Mitglied inder Pamilie de! Demokratien,SPIE.GE'l :Wir haben uns das auBenpoliti-sche Kapitel lhres Wahlprogranuns ange-sehen. Dort taucht des Wort Europa zumersten Mal auf der sechsten Seite auf.Davutoglu: (Iacht) Nun, rnanchrnal stehendie attraktivsten Kapitel eben am Endeeines Buches, das hat nichts mit unserenPraferenzen zu tun. Europa bleibt unser

ultimatives Z1eLSPIEGEl: Dabei sind heute weniger als 50

Prozent der TUrken fUr den EU-Beitl'itt.

2004 waren es noch 75 Prozent

Davutoglu: Wir mussen unterscheiden zwi-schen der Frage, ob die Leute wollen,dass die Turkel EU-Mitglied wird, oderob sie daran glauben, Diese Frage beant-

worten nur noch 30 Prozent mit Ja, DieMenseben haben das Vertrauen verloren,

Da sind wir wie alleanderen Sudeuropa-ere sehr emotional. Weno wir merken,dass uns jemand nicht will, reagieren wir,SPIEGEL: Premiermmister Recep TayyipErdogan, auch ein sehr emotionaierMann, hat dem SPIEGEL gegenuber er-

klart, EUropa brauchedie TUrkel drin-

gender als die Turkei Europa.Davutoglu; Das ist keine emotionale, son-dern eine sehr rationale Aussage. DenkenSie nuran die Energiesicherbeit. Brau-eben wir Europa, urn unseren Energie-hunger 2U stillen? Nein, wir brauchen denIrak, Iran und Russland, Die Europaerdagegen sind auf den anatolischen Kor-ridor angewiesen, urn an Gas und Ol zukommen. In Wahrheit branchen wir ein-ander beide, Nur so konnen wit uns ge-gemiber Machten wie China oder Indien

behaupten. Wir sollten uns gemeinsamfragen: Wo liegt Europas Zukunft?

SPIEGEL:1m Moment frageD sicb auch vie-

le, wo die Zukunft des Nahen Ostens

94 DER. SP!EGEI. 2J/~Oll

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liegt. Haben Sie m it den Unruhen in der

a ra bi sc he n We lt g e re ch ne t?Davutoglu: Ja, durchaus, 1cb selbst babeschon vor zehn Jahren in meinen Bu -

chern geschrieben, dass es in der arabi-schen Welt zwei historische Anomaliengibt: den Kotoaialismus des 20. Jahrhun-derts, er hat die arabischen Gese!1schaftenentzweit. Und den Kalten Krieg, der dazubeitrag, dass sich in der Region autokra-tische Regime etablierten. Eine Transfer-

DavlJtoglu: Neill, vollig fa lsch, Wir hatten

inLibyen ein humanitares Anliegen. Wirhaben in den ersten Tagen der libyscben

Krise mehr als 10000 Menschen aus 63

Staaten evakuiert, Wenn Sie von Wirt-

schaftsinteressen sprechen - ich mmnekeine Namen, aber fragen Sie sich selbst,welchs Hauptstadte Gaddafi besucht hat.Wer hat denn Gaddafis Hand gekusst?

SPIEGEL. : Silvio Berlusconi.Davutoglu: Kein Kommentar.

uberzeugt, sich in den demokratischen

Prozess einzubringen. 2008 vermitteltenwir zwischen den Fraktionen im Libanon,danach zwischen Hamas und Fatah und2009 im Streit zwischen Irak und Syrien ..Die syrisch-israelischen Priedensgespra-che konnten wir nicht zu Ende bringen,aber es war ein Erfolg, sieuberhaupt be-

gonnen zu haben,SPIEGEL: Warum sind diese Gssprache

denn gescheitert?Davutogl.Ll.: Ende 2008 besuchte der israe-lische Premierminlster Ehud Olmert Mi-

nisterprasident Erdogan in dessen Resi-denz in Ankara. Er blieb seehs Stunden,und wir stellteneine telefonische Verbin-

dung zwischen Olmert und Assad ber.Kurze Zeit sparer waren wir so weit, di-

rekte Gesprache zu beginnen, Ieh rief dieSyrer an und rnachte ihnen ein Angebot.Sie sagten: Gut, wir akzeptieren, wenn

die Israelis auch akzeptieren. Am nachs-

ten Morgen versuchten wir, m it Olmertzu sprechen. Doch da war schon klar: Is-

rael hatte den Gaza-Streifen angegriffen.Danach veranderte sich alles,SPIEGEL: Am 12. Juni wird ein neues Par-lament in der Turkei gewahlt, WelchesErgebnis erwarten Sie r u r Ihre Partei, dieislarnisch-konservative AKP?Oavutoglu: Es konnten wohl zwischen 45und 50 Prozent werden. Wichtig ist eine

k la re Me h rh ei t, Die T irrk ei b rau ch t sta bile

Verhaltnisse.SPIEGEL: Sie wollen eine Zweidrittelmehr-

heit, urn die Verfassung im Alleingangandern zu konnen,Oallutoglu: Ja, das wiirde die Dingeerleich-tern. Davor wollen wir abel" mit allen Be-

volkerungsgruppen sprechen. Wir wollendas nicht allein durchpeitschen,

SPIEGEL; Dann ware es doeh besser, die

Meh.rheit fur die Rsgierungspartei Iielenicht allzu groB aus.

OavutoglLl: D as m uss das Yo lk entscheiden!Friiher war es eine nicht vom Yolk ge-wahlte Elite, die Verfassungen schrieb,Das ist nicht unserer Ansatz, WiTwollen

demokra tische Verhaltnisse.SPIEGEL: Verstehen Sie, dass viele Turkenden Machtzuwaehs von Ministerprssident

Erdogan als bedrohlich empfinden?Oallut.oglu: In parlamentarischen Demo-

kratien hat der Ministerprasident Immel"eine starke Position. Aber ich habe langeals auEenpolitiseher Berater und als Au-Eenm.inister fur Erdogan gearbeitet undkana limen versichern: Der Premier ist

irnrner fur Beratung empfanglich.SPIEGEL: Aber es gibt Befurchtungen, dass

Ihrem Land unter der AKP die "checksand balances" abhandenkommen. Erda-gao konnte der Putin der Turkei werden.

Davutoglu: Nein. Jedes Land hat seine ei-genen Tradi ionell. Die Demokratie ist.in der Turkei festverwurzelt. Bine auto-

tita.re Politik \Vird esmit uns nicht geben.

INTSRVI"W: OAt'IIl!. ST61NVORTfl,

B~RNHI\RO Zi\N~O

StaatsmannerErdogan, Assad mit Ehefrauen: .E s is t Z eit! ii) " V e.r Cin de ru ng "

rnation, wie sie der Ostblock in den neun-

ziger Jahren erlebte, 1 S t in Arabien aus-

geblieben. Abet jetzt ist der Wandel ge-kommen.SPIEGEL: Und wie steht die Turkel zu die-

sern Wandel?Davuto gIll :Wir haben zwei Prinzipien for-muliert: Der Kalte Krieg ist ein fur aileMal zu Ende, es ist Zeit fur Veranderung.Und: Die Transformation muss friedlichablaufen, Diese belden Prinziplen geltenfill" aile Staaten des Nahen Ostens,SPIEGEL: Wirklicb? Warum hat Premier Er-

dogan dann den Agypter Husni Mubarakals einer der Ersten zurn Rucktritt aufge-Iordert, wahrend er sich bei Muammar

al-Gaddafi so lange Zeit gelassen hat?Oavutoglu: Weil er .sah, dass sich die agyp-tische Armee neutral verhielt, In Libyenwar das anders. Hier mussten wir mit an-sehen, wie sich das Land spaltete, unddass es keine Armee gab, die sich schut-zend vor die Menschen stelLte. Wir be-grillen, dass es ein Blutbad geben wurde.Also versuchten wir, unsere Gesprachs-kaniiJe zu beiden Seiten zu erhalten.SPIEGEL: Gehtes nicht VOT allem u r n . Geld?SchHeBlich haben tiirk"ische Firmen in Li-

byen milliardenschwere Bauauftrage ...

SP, IEGEL: Und wo b!eibt Ihre Kritik an Sy-riens Prasident Baschar al-Assad? Warum

fordern Sie nicht auch seinen Rucktritt?oavutoglu: WLr glauben, dass Syrien furden Friedsnsprozess im Nahen Osten das

wiehngste Land 1 S t . Es grenzt an den Irak,an Israel, den Libanon, Jordanien und dieTurkei. Es ist daruber hinaus, anders al s

Libyen oder Tunesien, ein multikonfes-sionelles Land. Trotzdem gelten such hierunsere Krirerien: Politische Veranderungmuss stattfinden, und zwar friedlich.SP IEG EL: Abel" w ie soll das - nach tausend

Toren - noch Iriedlich gelingen?Oavutoglu: Es ware einfacher gewesen,

wenn del' R ef orm pro ze ss sc ho n im Januar

eingeleitet worden ware. Damals flogPremier Erdogan nach Damaskus undsprach sehr offen mit Assad. Irn Momentist das Zeitfenster nur mehr einen Spalt

weit offen. Wir werden aber weiter mitunseren syrischen Freunden sprechen.SPIEGEL; fure Regierung versucht seit lan-gerem, .im. Nahen Osten Konflikte zuschlichten. Was haben Sie deon erreicht,

bevo!" der "arabische Friibling" anbrach?D.allutoglu:. Oh, eine Menge! Auf dem HD-

hepunkt der koruessionellen Kampfe im

Lrak haben wir die sunnitischen Parteien