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Ein brillanter Bluff

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Eric Garcia Ein brillanter Bluff

Roy und Frankie sind das erfolgreichste Trickbetrügerduo aller Zeiten. Frankie lebt und liebt auf großem Fuß, flotte Cabrios und wechselnde Damenbegleitung sind sein Stek-kenpferd. Roy dagegen pflegt seine Zwangsneurosen und träumt vom Ausstieg. Kurz und gut: die beiden sind ein echtes Dreamteam. Als auch noch Angela, Roys angebli-che Tochter, auftaucht und ihren kriminellen Vater um den kleinen Finger wickelt, ist das Chaos vorprogrammiert …

Über den Autor: Eric Garcia, geboren 1974 in Miami, hat 1999 in den USA seinen ersten Roman Anonymous Rex veröffentlicht, dem eine Serie von Rex-Romanen sowie eine erfolgreiche TV-Serie folgten. Ein brillanter Bluff wird mit Nicolas Cage in der Hauptrolle verfilmt.

Eric Garcia lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Los Angeles. Weitere Informationen über den Autor fin-den sich unter www.ericgarcia.com.

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Eric Garcia

Ein brillanter Bluff

Roman

Aus dem Amerikanischen von Sonja Hauser

Knaur

Non-profit ebook by tg September 2004 Kein Verkauf!

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Die amerikanische Originalausgabe erschien 2002 unter dem Titel »Matchstick Men« bei Villard Books, New York.

Deutsche Erstausgabe 2003 Copyright © 2002 by Eric Garcia

Copyright © 2003 der deutschsprachigen Ausgabe bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Ilse Wagner Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Umschlagabbil-

dung: zefa visual mediagroup, Düsseldorf/ FinePic, München

Satz: Ventura Publisher im Verlag Druck und Bindung: Norhaven Paperback A/S

Printed in Denmark ISBN 3-426-62447-8

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Das Diner ist fast leer heute Nachmittag, und so bleiben Roy und Frankie länger als sonst an der Theke. Es hat kei-nen Sinn, die Spielkarten herauszuholen, solange nicht mehr Leute da sind. In der Nische im hinteren Teil des Lokals sitzt ein altes Paar, und gleich gegenüber ist eine kleine Familie, aber keiner von ihnen eignet sich als Op-fer. An einem Tag wie heute ist es am besten, wenn man wartet. Es geht um den Spaß, die Übung, nicht ums Risi-ko. Der Hirsch läuft dir vor die Büchse, wann er will, sagt Roy immer, es nützt nichts, wenn du’s erzwingen willst. Vergeude dein Pulver nicht für Dachse.

Die Kellnerin, die Roy und Frankie seit sechs Jahren fast täglich bedient, geht an der Theke vorbei und füllt, ohne stehen zu bleiben, ihre Kaffeetassen bis zum Rand. Sie macht das mit einer eleganten Bewegung wie eine Balleri-na, als hätte sie ihr ganzes Leben nichts anderes getan. Roy brummt ein »Danke«. Frankie kaut weiter an seinem Hamburger.

»Du wirst wieder krank von dem Zeug«, sagt Roy. Seine Mundwinkel sind mit Senf verschmiert.

»Von was für ’nem Zeug?« »Von den Hamburgern. Hast doch erst letzten Monat

’nen Gichtanfall gehabt, kriegst sicher wieder einen.« Frankie zuckt mit den Achseln. Dabei bewegen sich sei-

ne knochigen Schultern unter dem Baumwollhemd kaum. »Ich könnte dir auch mit ’ner Menge Sachen Angst ma-chen, aber tu ich’s?«

»Manchmal«, sagt Roy. »Du bist viel zu fett. Halt ich dir das ständig vor?« »Manchmal.« »Tu ich’s jetzt?«

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»Hab ich doch gar nicht behauptet. Ich hab bloß gesagt, das letzte Mal, wie du ’nen Hamburger gegessen hast …« Roy schüttelt den Kopf und wischt sich den Mund mit einer Papierserviette ab. »Vergiss es, iss, was du willst.«

»Danke.« Frankies Gesicht ist fett- und ketchupver-schmiert. Sie essen schweigend weiter.

Die Kellnerin kehrt hinter die Theke zurück. Diesmal bleibt sie stehen. Ihr Name ist mit Kugelschreiber auf das mit Plastik überzogene Pappschildchen an ihrer Brust ge-schrieben: Sandi. Das Haar hängt schwer und schlaff auf ihre Schultern, als hätte sie es mit Benzin gewaschen. »Na, wollt ihr heute Nachtisch?«, fragt sie.

»Nee«, antwortet Frankie. Roy deutet auf seine Kaffeetasse, und Sandi füllt sie auf.

»Wir bleiben noch ein bisschen hier sitzen, Schätzchen, wenn’s recht ist.«

Sandi hüstelt und verschwindet. So geht das jeden Tag. Roy und Frankie geben ihr immer ein gutes Trinkgeld und behandeln sie besser als die meisten anderen Gäste, und dafür lässt sie sie so lange an der Theke sitzen, wie sie wollen. Sie schaut weg, wenn sie ihre Spielchen machen. Manchmal lauscht sie, aber meistens schaut sie weg.

Frankie hat gerade den letzten Bissen von seinem Ham-burger gegessen und macht sich über die Garnierung her; knackend zerbeißt er ganze Ringe roher Zwiebeln. »Der Typ, von dem ich dir letzte Woche erzählt hab …«

»Der vom Hafen?« »Ja, er möchte sich bald mit uns treffen. Roy, ich sag

dir, der ist interessiert …« Roy schüttelt den Kopf, nimmt einen Bissen von seinem

Truthahn-Sandwich. »Nicht jetzt«, murmelt er. »Darüber unterhalten wir uns später.«

»Später.« »Später«, wiederholt Roy.

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Frankie spuckt einen Zwiebelrest aus und beugt sich nä-her zu seinem Partner hinüber. »Was ist bloß los mit dir? Immer sagst du ›später‹. Willst keine kurzen und keine langen Sachen machen – ich kapier das einfach nicht. Und mir sitzen diese Kerle im Nacken. Ich kann denen keine Kohle geben, wenn ich nichts verdiene, Partner.«

Roy dreht sich auf dem Vinylsitz ganz langsam zu Fran-kie und betrachtet ihn mit verzogenem Gesicht. Frankie erwidert seinen Blick. Seine Gesichtshaut ist schlaff, seine Augen liegen tief in den Höhlen, als hätten sie Angst vor dem Licht. Die Haare sind kurz geschnitten, dafür hat er lange Koteletten. Er möchte wie James Dean aussehen, schafft es aber nicht ganz. Roy bezweifelt, dass es ihm jemals gelingen wird.

»Weißt du, was …«, sagt Roy, aber da wird er durch den Klang des Glöckchens an der sich öffnenden Tür unter-brochen. Die Beute, auf die sie schon eine ganze Weile warten, kommt herein.

Zwei College-Kids. Ein Mädchen und ein Junge, Hand in Hand, mit Schul-Sweatshirts, gehen auf die Theke zu. Als sie sie erreichen, sind Roy und Frankie so sehr in ihr Kartenspiel vertieft, als beschäftigten sie sich schon seit Stunden damit.

»Okay, okay«, sagt Frankie, als die beiden College-Kids Platz nehmen. »So ’ne Niederlage verkraft ich schon.« Die Teenager sitzen zwei Hocker von Roy und Frankie ent-fernt, aber zwei Hocker sind nichts, wenn’s darum geht, die beiden an den Haken zu kriegen.

»Egal«, sagt Roy und schiebt mit großer Geste seine Karten zusammen, »wir spielen sowieso schon zu lang.«

»Nein, nein, wenn du weiterspielen willst, dann machen wir das …«

»Vergiss es«, sagt Roy, nimmt die Karten, die vor Fran-kie liegen, und mischt sie unter das restliche Spiel. »Las-

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sen wir uns die Rechnung bringen, ja?« Frankie sieht sich nach der Kellnerin um, reckt den

Kopf, kann sie aber nirgends entdecken. Sie würde jetzt nicht kommen. Zu diesem Zeitpunkt verschwindet sie im-mer absichtlich eine Weile. So verdient sie sich ihr Trink-geld.

»Na, so was«, sagt Roy, ein klein bisschen lauter als nö-tig. Und dann, nachdem er sich ein wenig nach rechts ge-dreht hat, noch einmal: »Na, so was.«

Der neunzehn-, höchstens zwanzigjährige Junge antwor-tet mit einem kleinen Grinsen.

»Da will man zahlen, aber … Na ja, egal, was soll man schon machen?«

Wieder grinst der Junge. Er hängt am Haken, weiß es aber noch nicht. Roy grinst zurück und wendet sich dann Frankie zu.

»Tja, dann warten wir eben.« »Ja«, pflichtet ihm Frankie bei. Sie warten, eine Minute, vielleicht auch zwei. Von der

Kellnerin keine Spur. Als der Junge und das Mädchen aufhören, sich miteinander zu unterhalten, und sich der Speisekarte zuwenden, macht Roy den ersten Zug.

»Ich hab jetzt begriffen, wie das Spiel funktioniert«, sagt er.

»Welches Spiel?« »Das, das ich dir letzte Woche gezeigt hab …« Frankie lacht schallend. »Ein dämlicheres Spiel ist mir

noch nicht untergekommen.« »Nein, nein«, sagt Roy. »Ich weiß jetzt, was ich falsch

gemacht hab.« Plötzlich hat er das Kartenspiel wieder in der Hand; seine Finger gleiten über die Kanten.

»Ich will ja nicht herablassend wirken«, erklärt Frankie, »aber Kartentricks beherrschst du einfach nicht. Damit will ich meine Zeit nicht vergeuden.«

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»Ist deine Zeit denn so wertvoll?« »Jedenfalls ist sie zu wertvoll, um dir dabei zuzusehen,

wie du ’nen Kartentrick versiebst.« Roy weicht schwer atmend zurück, als hätte er einen

Schlag in den Magen bekommen. »Was du nicht sagst«, meint er, als er sich wieder gefangen hat, und beugt sich erneut vor. »Du wirst mir jetzt zuschauen, und du wirst deinen Spaß dran haben.«

Frankie schüttelt den Kopf, schlägt mit der flachen Hand auf die Theke. Dann lehnt er sich zurück und sieht den Jungen auf der anderen Seite an. »Hey«, sagt er, und ge-nau wie erwartet, wendet der Teenager ihm den Kopf zu. »Hey, möchtest du sehen, wie mein Freund hier sich zum Narren macht?«

»Hab ich ihn vielleicht gefragt, ob er einen Kartentrick sehen will?«, sagt Roy. »Nein, ich hab dich gefragt.«

»Und ich hab kein Interesse dran. Vielleicht wird’s spannender, wenn ich Gesellschaft kriege …«

»Lass den Jungen in Ruhe essen. Der will keinen blöden …«

»Doch, klar«, sagt der Junge wie auf Stichwort. So sollte das immer laufen, denkt Roy. Perfekt. »Wir schauen zu.«

Roy muss sich nicht einmal Mühe geben, sein Grinsen zu unterdrücken; es passt zur Situation. »Danke, mein Junge«, sagt er. Dann wirft er einen Blick auf die Theke und die Karten in seiner Hand. »Aber hier ist kein Platz – lasst uns rüber an den Tisch gehen.«

Man stellt sich vor. Roy und Frankie sind Roy und Frankie; hier brauchen sie sich keine anderen Namen aus-zudenken. Schließlich ist das ihr Diner. Kevin und Aman-da besuchen tatsächlich das örtliche College und wollen gerade eine Pause zwischen den Kursen fürs Mittagessen nutzen.

»Ihr seid ein hübsches Paar«, sagt Roy, sobald sie alle an

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dem Resopaltisch sitzen. »Habt ihr Kinder?« »Wir gehen bloß miteinander«, stottert Kevin. »Seit

zwei Monaten.« »Ach, der Anfang, das ist die schönste Zeit«, sagt Roy.

»Meine Frau und ich, wir sind sechs Monate miteinander gegangen und haben dann in Las Vegas geheiratet. Die Ehe ist etwas Wunderbares, ein Geschenk Gottes, aber das davor … das ist was ganz Besonderes. So sorglos und un-bekümmert. Lasst euch Zeit, ihr beiden, versprecht mir das.«

Amanda lächelt; auch sie hängt am Haken. »Ja, machen wir«, verspricht sie, als würde sie sich mit einem freundli-chen Onkel unterhalten, den sie schon ihr ganzes Leben lang kennt. Wären sie doch bloß alle so wie Amanda, denkt Roy. Er weiß, dass die meisten von ihnen so sind.

»Zieh eine Karte, mein gebildeter Freund«, sagt Roy, streicht mit den Fingern über das Spiel und klatscht es in Kevins ausgestreckte Hand. »Lass mich die Karten nicht sehen und nicht berühren, wähl eine aus und zeig sie den andern.«

»Ich hätte da so ’ne Narrenkappe im Wagen«, mischt Frankie sich ein. »Soll ich die gleich holen oder warten, bis du die Sache wieder vermasselt hast?«

Ohne Frankie Beachtung zu schenken, sieht Roy seine neu gewonnenen Freunde mit verschwörerischem Blick an. Kevin holt mittlerweile auf der anderen Seite des Ti-sches die Kreuz-Drei aus dem Kartenspiel. Er zeigt sie Amanda, dann Frankie, und noch einmal Amanda.

»Fertig?«, fragt Roy. »Gut. Steck sie wieder in das Spiel zurück. Nicht umdrehen, nicht umdrehen. So. Und jetzt misch die Karten, so lange du möchtest.«

Kevins Hände sind nicht ans Kartenmischen gewöhnt, und so fällt ihm immer wieder die eine oder andere Karte heraus. Kevin lacht, Amanda lacht, Frankie lacht. Allen

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macht’s Spaß. »Wunderbar«, sagt Roy, streckt die Hand aus, und Ke-

vin reicht ihm die Karten. Roy beginnt, eine nach der an-deren aufzudecken. »Diesmal klappt’s«, murmelt Roy, gerade so laut, dass die anderen es hören.

Bube, Acht, König, Ass landen auf dem Tisch. Kevin, Amanda, Frankie sehen zu. Roy knallt die Karten auf das Resopal.

»Den Trick hab ich von ’nem alten Swami in der Eighty-fifth Avenue«, sagt Roy und zieht eine Augenbraue hoch, während er kurz Kevin anschaut. »Glaubst du mir das?«

»Ich … ich weiß nicht so recht«, sagt Kevin. Frankie lacht. »Ich schon.« »Was weißt du?« »Ich weiß, dass du Scheiß erzählst.« Die Kreuz-Drei landet auf dem Tisch. Kevin sieht sie.

Amanda sieht sie. Frankie sieht sie, und er tut, was er zu diesem Zeitpunkt immer tut. Er verzieht die Oberlippe ein wenig, einen Millimeter, nicht mehr. Roy deckt weiter Karten auf. Schaut nicht in Frankies Richtung, hält nicht in der Bewegung inne. Es lässt sich nicht feststellen, ob er Frankies Hinweis wahrgenommen hat.

Roy wendet sich Amanda zu. »Glaubst du mir die Sache mit dem Swami?«

»Ich … ich kenne Sie nicht, also … ich meine …« Amanda sieht Kevin an, der Frankie ansieht, der spöttisch grinst. »Nein«, sagt sie schließlich, »nein, wahrscheinlich glaube ich Ihnen nicht.«

Roy grinst. »Die darfst du dir nicht mehr nehmen las-sen«, sagt er zu Kevin. »Vergiss, was ich dir vorher über die wunderbare Zeit vor der Ehe erzählt habe – die musst du noch heute heiraten.«

Alle lachen, und Roy weiß, dass jetzt der richtige Zeit-punkt gekommen ist. »So, das wär’s«, sagt er und tippt mit

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einem Wurstfinger auf die Karten in seiner Hand. »Dies-mal klappt’s.«

»Das glaubst auch bloß du.« »Was«, sagt Roy, »meinst du, ich hab’s versiebt?« Frankie wendet sich achselzuckend Kevin zu, ein Auge

auf den Jungen gerichtet, das andere auf die auf dem Tisch liegende Kreuz-Drei. Das entlockt dem Jungen ein Lä-cheln. Schon bald grinsen sie wie Komplizen. Die Karte liegt auf dem Tisch, alle können sie sehen. Roy täuscht sich, alle wissen, dass Roy sich täuscht, und schon bald wird auch Roy das einsehen müssen. Der Trick besteht darin, sie auf deine Seite zu ziehen, sagt Roy immer. Wenn sie auf deiner Seite sind, gewinnst du das Spiel.

»Willst du noch mal von vorn anfangen?«, fragt Frankie. »Ich glaub, das ist besser.«

»Leck mich«, murmelt Roy, und diesmal klingt er verär-gert. Ein bisschen, nicht zu sehr, damit die Kluft zwischen ihm und ihnen nicht zu breit wird. Kevin muss sich jetzt mit Frankie verbünden, alles aus Frankies Perspektive sehen. »Ich hab die Sache im Griff.«

Frankie zuckt mit den Achseln. »Wenn du meinst.« Roy versucht, Blickkontakt mit den anderen aufzuneh-

men. Sie schauen weg. Wunderbar. Jetzt macht Roy den nächsten Zug: »Wie viel wollt ihr dagegen wetten, dass die nächste Karte, die ich umdrehe, die von dem Jungen ist?« Da ist er, der Satz, der ihnen den Gewinn bringen wird. Ganz beiläufig, einfach perfekt.

»Was, du willst wetten?«, fragt Frankie. »Ja.« Frankie stößt Kevin mit dem Ellbogen an. »Begreifst du

das? Da geb ich dem Kerl die Chance, aus der Sache raus-zukommen, ohne dass er das Gesicht verliert, aber er will unbedingt sein Geld aufs Spiel setzen. Na schön«, sagt er, »mir soll’s recht sein.« Dann greift er in die Tasche und

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holt eine Geldklammer heraus. Ein Zwanziger, zwei Zwanziger, drei Zwanziger landen auf den Karten.

»Angeber«, brummelt Roy. »Heut Abend fliegen wir wohl mit deinem Privatjet nach Hause, was?« Er wendet sich Kevin und Amanda zu und rückt mit dem Stuhl ein wenig zurück, um mehr Distanz zwischen sich und ihnen zu schaffen. »Na, wie sieht’s mit dir aus, Junge?«, fragt Roy und tippt auf die oberste Karte in seiner Hand. »Wie viel möchtest du dagegen wetten, dass die nächste Karte, die ich umdrehe, die deine ist?«

Kevin vergewissert sich mit einem raschen Blick auf die Karten, die auf dem Tisch liegen, dass die Kreuz-Drei noch aufgedeckt dort liegt. Er kann nicht verlieren, »’ne Million Dollar«, lacht er.

Da beginnt Roy schallend zu lachen und wischt sich eine Träne aus den Augenwinkeln. »Tja«, sagt er nach einer Weile, »so viel hat der alte Roy leider nicht. Aber wie wär’s mit ’nem Hunderter?«

Und plötzlich hat er einen Hundert-Dollar-Schein in der Hand, den er sanft auf den Tisch legt.

Kevin und Amanda beginnen miteinander zu flüstern. Dann wühlen sie in den Taschen ihrer Jeans und holen zerknüllte Quittungen und Bonbonpapierchen, ein paar Geldscheine und Münzen heraus.

»Siebenundachtzig Dollar«, verkündet Kevin, sobald sie das Geld gezählt haben. »Mehr haben wir nicht dabei.«

»Gut«, sagt Roy, lässt die Knöchel knacken und strafft die Schultern.

»Ihr habt also gerade darauf gesetzt, dass die nächste Karte, die ich umdrehe, nicht die deine ist, stimmt’s?«, fragt er.

»Ja«, antwortet Kevin und zupft voller Vorfreude auf seinen Gewinn an seinem Sweatshirt.

»Gut«, sagt Roy.

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Keine große Geste, kein großes Trara. Roy lässt die Kar-ten, die er noch in der Hand hatte, fallen, beugt sich über den Tisch, packt die Kreuz-Drei und dreht sie um. Jetzt liegt sie mit dem Gesicht nach unten. Dann nimmt er das Geld vom Tisch, steckt es in die Tasche und folgt der Kellnerin, die gerade an ihnen vorbeigeht, zur Kasse.

»Die Rechnung, bitte«, sagt er zu ihr. »Wir gehen.«

Roy fährt. Frankie entspannt sich. Sie sitzen in Roys ein bisschen mehr als zehn Jahre altem schwarzem Chevy Caprice mit getönten Scheiben und dunkelgrauen Polstern. Der Lack ist matt, aber die Vinylsitze sind noch nicht durchgesessen und die Fußmatten makellos sauber. Roy weiß, dass er sich einen neuen Wagen leisten könnte, hun-dert neue Wagen, wenn er wollte, doch der Chevy ist un-auffällig, der Motor läuft gut, und das Fahrzeug bringt ihn überallhin, wo er hin will.

Frankie ist bester Laune. Sie haben schon einen größe-ren Fang gemacht als den heutigen, mehr als ein Mal. Aber Frankie freut jeder Erfolg. Er fächert die Geldschei-ne auf wie ein Schuljunge Tauschkarten. Roy fährt, die Finger ums Lenkrad verkrampft, rote Flecken breiten sich von seinen weißen Knöcheln aus. Er spürt den Druck in seinem Kopf.

»Hast du gesehen, wie die rausgeschlichen sind?«, fragt Frankie kichernd. »Tja, das Leben ist die beste Schule …«

»Das Timing war nicht perfekt.« »Es ist prima gelaufen. Hundert Dollar … na ja, sieben-

undachtzig, aber …« »Wir hätten’s besser machen können.« »Mehr haben sie nicht gehabt. Wir haben ihnen alles ab-

genommen.« »Wir hätten das Timing besser hinkriegen können«, sagt

Roy.

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Frankie gibt auf und nickt. »Fünf Jahre ziehen wir die Show jetzt schon ab, da möchte man eigentlich meinen, dass alles sitzt.«

»Ja, allerdings.« Frankie lehnt sich auf seinem Sitz zurück und stützt sei-

ne Füße gegen das Armaturenbrett. Seine schwarzen Stie-fel sind schmutzig, die Sohlen verkratzen das Handschuh-fach. »Nimm deine Scheißfüße da runter«, herrscht Roy Frankie an und stößt seine Beine mit einer heftigen Geste weg.

»Du meinst also, ich soll sagen: ›Kartentricks be-herrschst du einfach nicht …‹«

»Kartenspiele«, sagt Roy. »Spiele. Wenn du ›Tricks‹ sagst, verrätst du dich. ›Trick‹ bedeutet, dass du jemanden übers Ohr hauen willst. Aber ›Spiel‹, das ist ein Spazier-gang, ein schöner Nachmittag im Park. Gegen ein Spiel hat niemand was.«

»Dann hängt deiner Meinung nach also alles von der Wortwahl ab.«

Roy schüttelt den Kopf. »Nicht alles, aber dein Gegen-über kriegt den falschen Eindruck, wenn du dich falsch ausdrückst. Ich will bloß sagen, dass du vorsichtig sein musst. Brauchst du zur Hirschjagd ’ne Panzerfaust?«

»Kommt drauf an, wie groß der Hirsch ist.« »Nein, du brauchst keine Panzerfaust. Aber ’ne Spiel-

zeugpistole nützt dir auch nichts. Wenn du ’nen Hirsch erlegen willst, brauchst du ein Gewehr, das ist die richtige Waffe.«

»Und ›Spiel‹ ist die richtige Waffe?«, fragt Frankie. »In diesem Fall – ja.« Frankie denkt einen Augenblick über das nach, was Roy

gesagt hat. Dann stützt er die Füße wieder am Armaturen-brett ab und wird ein zweites Mal weggeschoben. Roy kann Schmutz im Auto nicht ausstehen. Er weiß, was

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Frankie mit seinen Wagen macht. Leere Cola-Dosen auf dem Vorder- und leere Kondomverpackungen auf dem Rücksitz. Krümel und eselsohrige Stadtpläne. Der reinste Schweinestall. Widerlich. So was kann mit jedem Auto passieren, wenn man nicht darauf achtet. Roy ist achtsam. Besonders achtsam, was Frankie angeht. Seit dem Tod von Hank ist Frankie ihm ein guter Partner, aber seine Nach-lässigkeit widert ihn an.

»An der Fourth Street ist ein gutes Diner«, sagt Frankie. »Ich hab keinen Hunger.« »Ich auch nicht. Aber wir könnten uns ein paar Fritten

bestellen und das Spiel noch mal probieren. Üben.« »Nicht heute.« Roy fährt mit hoher Geschwindigkeit um die Kurve, die

Füße gegen den Boden gestemmt, als die Reifen über den Asphalt rutschen. Frankie passt sich der Bewegung an, stützt sich mit der Schulter an der Tür des Chevy ab. Der Türgriff drückt ihm in die Seite.

»Weißt du«, sagt Frankie nach einer Weile, »ich will dir ja nicht auf die Nerven gehen, aber …«

»Dann lass es.« »… aber du wachst um elf auf, verabredest dich zum

Mittagessen mit mir, wir nehmen ein paar dumme Teena-ger aus, und dann willst du den Herrgott einen guten Mann sein lassen?«

»Hab ich das gesagt?«, fragt Roy. »Hab ich gesagt, wir sind fertig für heute?«

»Und?« »Nein. Ich bin müde, das ist alles.« »Du bist immer müde. In den vergangenen drei Wochen

hast du doch alles wie ein Schlafwandler durchgezogen.« Frankie wartet einen Moment, als wüsste er nicht so ge-nau, ob er weiterreden soll oder nicht. »Schluckst du deine Tabletten eigentlich noch?«

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»Partner«, brummt Roy, »nimm deine verdammten Füße von meinem Armaturenbrett.«

Sonst gibt’s nichts mehr zu sagen. Roy fährt weiter. Frankie schaltet das Radio ein, sucht einen seiner Lieb-lingssender. Oldies. Ein junger Mensch wie er und hört die Musik von seinen Eltern. Er singt irgendeine uralte Las-Vegas-Nummer mit.

Auf dem Rücksitz liegt eine ordentlich gefaltete Zeitung. Während sie über abgefahrene Eisenbahnschienen hol-pern, greift Roy nach hinten, nimmt die Zeitung an der linken Ecke und legt sie Frankie auf den Schoß. »Hast du Lust auf ’ne Dachdecker-Nummer?«

Frankies Miene hellt sich auf. »Ist das dein Ernst?« »Teil D. Such ’nen guten raus.« »Wie alt ist die Zeitung?« »Zwei Wochen. Die Familie hat inzwischen genug Zeit

gehabt, klar Schiff zu machen.« Frankie stürzt sich voller Freude auf die Zeitung und

verteilt die Seiten im ganzen Wagen. Roy gelingt es nur mit Mühe, nicht das Gesicht zu verziehen. Galle steigt in seiner Kehle hoch. Es hat keinen Sinn, ihm zu sagen, dass er die Seiten aufheben soll, keinen Sinn, jetzt einen Streit anzufangen. Er ist ein guter Partner, ein guter Partner, ein guter Partner. Früher haben ihm Frankies Angewohnheiten nichts ausgemacht. Seine Schlampigkeit. Seine auffällige Kleidung. Die laute Musik. Früher hat er das nett gefun-den oder zumindest toleriert. Aber in den letzten paar Wo-chen, seit der Arzt weggezogen ist, hat sich das geändert. Als wäre da draußen ein Ozean voller Ressentiments, eine brodelnde See des Zorns. Blutrote Wellen. Komm herein, locken sie, komm herein. Roy hat das Gefühl, als lote er seine Grenzen aus, weiche im letzten Augenblick zurück. Den Doc hätte das sicher interessiert. Solche Sachen hätte er sich notiert und wochenlang darüber geredet. Aber der

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Doc ist weggezogen. Das machen sie alle irgendwann. Sie ziehen weg.

»Da war ein Isaacson drüben im twenty-third Court«, sagt Frankie, den Finger auf einer Todesanzeige. »Drei-undachtzig, Frau und Tochter trauern um ihn.«

»Tochter ist nicht gut. Die könnte da sein.« »Und wenn schon, dann blasen wir die Sache ab. Du

hast immer gesagt, man soll sich nicht in die Hosen ma-chen …«

»Ja, ja, ja, ich weiß, was ich immer gesagt hab.« Roy seufzt. Er kann kaum glauben, was er über sich selbst hört. Manchmal würde er sich den alten Roy gern in einer ver-lassenen Gasse vorknöpfen und ihm die Scheiße aus dem Leib prügeln. Ihm die Gurgel durchschneiden. Manchmal.

»Isaacson, sagst du?« »Twenty-third Court.« »Wir könnten bei Vic vorbeifahren und den Lieferwagen

holen«, schlägt Roy vor. Jetzt denkt und plant er, und die anderen Gedanken treten in den Hintergrund. Verziehen sich in die Schatten, warten. So ist’s besser, sicherer.

»Und die Klamotten«, fügt Frankie hinzu. Seine Erre-gung wächst. »Komm, lass uns die Sache anpacken. Das dauert höchstens ’ne halbe Stunde.«

Mrs. Isaacson hat gerade das Telefongespräch mit ihrer Tochter beendet, als der Dachdeckerwagen vor ihrem Haus hält. Sie und Linda haben ausgemacht, am Nachmit-tag ein paar von Hals alten Sachen zur Heilsarmee zu bringen, die Kleidungsstücke und Krawatten, die er nie wirklich mochte. Hal hat immer ein Herz für die Armen gehabt, doch jetzt ist er tot, und Mrs. Isaacson möchte die letzten Dinge gern in seinem Sinn für ihn regeln. Er selbst hatte dazu keine Gelegenheit mehr, weil er an einem Herzanfall starb. Im Schlaf. Hat nichts gespürt, haben die

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Ärzte gesagt. Mrs. Isaacson weiß zwar nicht, warum die beiden Her-

ren mit den hellgrauen Overalls voller Farbspritzer bei ihr klingeln, aber sie öffnet ihnen. Der eine ist ziemlich schlank, der andere neigt zu Übergewicht. Sie stehen lä-chelnd vor ihrer Tür, ein Klemmbrett in der Hand.

»Guten Tag, Ma’am«, sagt der Dickere. Schweiß steht auf seiner gebräunten Stirn. »Wir sind von Jonas Taylor, Associated Air and Roof. Ist Mr. Isaacson zu Hause? Ihr Vater, nehme ich an?«

Mrs. Isaacson senkt verlegen den Blick und sagt mit matter Stimme: »Mein Mann …«

»Verstehe«, sagt der Mann. »Er hat gar nichts von seiner hübschen Frau erwähnt. Aber sei’s drum, es ist egal, wer von Ihnen hier unterschreibt …«

»Wir wollten gleich mit der Arbeit anfangen«, sagt der Dünnere, der Mann mit den langen Koteletten und dem schmalen Gesicht. »Wegen dem Regen und so …«

»Nein, nein«, sagt Mrs. Isaacson. »Mein Mann … Hal … ist gestorben …«

Der Dickere tritt einen Schritt zurück. »Oh«, sagt er nur. »Oh.«

»Ein Herzinfarkt«, fährt sie fort. »Oh«, wiederholt er und reibt geistesabwesend über sei-

ne Brust, als spüre er Hals Schmerz. »Das tut mir Leid, Ma’am.«

Sie nickt. »Es ist jetzt zwei Wochen her. Sind Sie … Freunde von ihm?«

»Nein, Ma’am«, sagt der Dünnere. »Er hat uns beauf-tragt, ein paar Arbeiten am Haus auszuführen, ein Problem mit dem Dach … Ich denke, wir verschwinden lieber wie-der. Wir wollen Sie jetzt nicht mit solchen Dingen bela-sten.«

Die Männer wechseln einen Blick, und der Dickere lüf-

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tet seine Mütze. »Ma’am«, sagt er und verbeugt sich leicht. »Mein herzliches Beileid.«

Mrs. Isaacson ist seit sechzig Jahren kein solcher Mann mehr begegnet, ein höflicher Mann, der die Mütze vor einer Frau zieht und sie »Ma’am« nennt. Der Letzte, der sich so verhalten hat, war Hal, damals, als er um sie warb. Heutzutage sind alle Handwerker Ganoven oder Diebe oder schlicht unhöflich. Heutzutage bleibt sie lieber zu Hause und lässt sich die Sachen, die sie braucht, liefern, statt sich mit irgendwelchen Leuten aus dem Dienstlei-stungsgewerbe auseinander zu setzen.

Als die beiden Männer wieder zu ihrem Wagen zurück-gehen, ruft Mrs. Isaacson ihnen nach: »Welchen Auftrag hat mein Mann Ihnen gegeben?«

»Reparaturen am Dach, Ma’am«, lautet die Antwort. Sie haben ihr den Rücken zugewandt; sie weiß nicht, welcher von ihnen in diesem Augenblick spricht. »Wir sollten ei-nen Schaden ausbessern, bevor die Schlechtwetterzeit be-ginnt. Sie sollten die Sache bald mal anschauen lassen.«

»Warten Sie«, ruft sie. Sie bleiben stehen. »Wenn Sie schon da sind … Hal hat sich immer um die finanziellen Dinge und ums Haus gekümmert … Wenn Sie schon da sind …«

Sie kommen wieder zurück, gehen ihre Unterlagen durch, beraten sich, unterhalten sich über Zahlen und Be-träge, über Teer und Schindeln und benötigte Zeit. »Die Sache würde achtzehnhundert Dollar kosten«, sagt der Dickere, »und alles in allem drei Stunden dauern. Ist nicht lang, aber ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen …«

»Das tun Sie nicht«, sagt Mrs. Isaacson. »Ich wollte so-wieso gerade ein paar Stunden aus dem Haus, um mich mit meiner Tochter zu treffen.«

»Wissen Sie was«, sagt der Dünnere. »Wir fahren jetzt ins Lager, holen die Schindeln, kommen zurück und fan-

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gen gleich an. Wenn Sie dann wieder zu Hause sind, ha-ben Sie ein nagelneues Dach, wir sind weg, und Sie haben das Gefühl, als wären wir nie hier gewesen. Wie die Hein-zelmännchen.«

»Ja …«, sagt Mrs. Isaacson, froh darüber, dass Hal sich noch um diese Angelegenheit gekümmert hat. Froh dar-über, dass er diesen netten Männern den Auftrag gegeben hat. Sie hofft, dass er auch im Hinblick auf andere Dinge so vorausschauend gewesen ist. »Ja, das wäre schön.«

»Ich glaube, wir sollten eine Anzahlung verlangen«, sagt der Dünnere. »Unser Chef …«

»Vergiss die Anzahlung«, sagt sein Partner. »Ich bin mir sicher, dass wir Mrs. Isaacson vertrauen können.« Er tippt freundlich lächelnd gegen seine Mütze, und sie überlegt, ob sie ihnen Tee oder Kekse bringen soll für die Zeit, in der sie arbeiten.

Aber der Dünnere sagt ganz aufgeregt: »Weißt du noch letztes Mal? Mr. Yarrow war fuchsteufelswild, weil wir die Anzahlung vergessen haben …«

»Lass gut sein, ich vertraue ihr …« »Ich auch, aber vor Mr. Yarrow habe ich Angst …« Mrs. Isaacson möchte nicht, dass die beiden Männer sich

streiten. »Meine Herren«, mischt sie sich ein und streckt ihre schmale, faltige Hand nach ihnen aus, um ihre Auf-merksamkeit auf sich zu ziehen. »Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, aber Vorschriften sind Vorschriften. Ich gebe Ihnen die Anzahlung gern.«

»Ma’am, Sie müssen nicht …« »Ach was. Sie sollen meinetwegen keine Schwierigkei-

ten bekommen. Ist Ihnen Bargeld recht?« »Gott segne Sie«, sagt der Dickere und tippt noch ein-

mal gegen seine Mütze, »Bargeld ist wunderbar, Ma’am.«

»Zwölfhundert Dollar«, sagt Frankie. Er hat einen Gummi

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um die zusammengerollten Hunderter geschoben. »Ist wunderbar gelaufen.«

Roy fährt auf den Highway. Er möchte nach Hause. Mrs. Isaacson hat ihnen Saft mitgegeben für die Fahrt ins La-ger. Der war eigentlich für ihren Enkel, hat sie gesagt, aber ihr Enkel trinkt schon seit seinem siebten Lebensjahr keinen Apfelsaft mehr. Deswegen hat sie ihn immer noch zu Hause. Roy nimmt einen Schluck. Er schmeckt ein we-nig bitter, kratzt in der Kehle.

»Weißt du was«, sagt Frankie, »ich glaub, das Dach von der Frau hätte wirklich repariert werden müssen. Mein Onkel war Dachdecker, und ich hab ihm als Junge manchmal geholfen. Von unten kann ich das natürlich nicht richtig beurteilen, aber die Schindeln haben ziemlich alt ausgeschaut. Wenn’s da durchregnet, kann sie sich im oberen Stockwerk ihr eigenes kleines Biotop einrichten.«

Roy trinkt einen weiteren Schluck Saft. Die anderen Au-tos, rote und grüne, zischen an ihm vorbei. Der Chevy rollt gemächlich dahin. Der Tacho zeigt sechzig Meilen an, aber Roy hat das Gefühl, er sitze auf einem Fahrrad.

»Die fahren mindestens neunzig«, murmelt er. »Was sagst du?«, fragt Frankie, der bereits wieder in die

Todesanzeigen vertieft ist. »Ich hab gesagt, die anderen fahren mindestens neun-

zig.« »Neunzig«, äfft Frankie Roy nach. »Klar, Roy, die fah-

ren neunzig. Hey, hier ist eine.« Er faltet die Zeitung, reißt dabei versehentlich eine Ecke ab. Roy empfindet das Ge-räusch als unerträglich laut, wie ein Flugzeug, das einen halben Meter von ihm entfernt abhebt. Aber das Reißen ist nichts im Vergleich zum Geräusch des Papiers, wie es auf den Boden des Wagens flattert – das sind Flügel, die ge-gen Roys Ohren schlagen. Es landet mit einem Knall, als hätte jemand eine Bowling-Kugel durch ein Schaufenster

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geschleudert. Roys Hand krallt sich ums Lenkrad, die ro-ten Knöchel werden weiß, packen das Vinyl fester. Er beißt die Zähne zusammen, sein Kiefer verkrampft sich. Er hat Mühe, die Galle zurückzuhalten, ist kurz davor, in die Luft zu gehen.

»… der war Diamantenhändler.« Frankies Stimme, die den Lärm übertönt. Jetzt ist alles wieder ruhig. Abgesehen von Frankie. Das Gefühl der Panik ist verflogen.

»Wer?«, fragt Roy. Die anderen Autos sind langsamer geworden. Der Chevy fährt genauso schnell wie sie.

»Der Nächste. Er war Diamantenhändler. Ist an ’nem Schlaganfall gestorben, hatte keine Kinder, bloß ’ne Frau. Könnte mir vorstellen, dass ’ne Menge Geld im Haus ist. Diesmal könnten wir ’ne größere Nummer durchziehen, ein paar Tausender …«

»Ich bin müde«, sagt Roy. »Ich fahre nach Hause.« »Ach was, es läuft grad so gut …« »Ich fahre nach Hause.« Frankie versucht, Roy umzustimmen, doch der gibt kei-

ne Antwort, fährt einfach nur schweigend weiter. Frankies Bemühungen sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Das Haus, in dem Frankie wohnt, ist ganz aus Glas und Stahl, ein modernes Bauwerk, und Roy fremd. Einmal hat er Frankie gefragt, wie hoch die Miete ist, und als er es ihm gesagt hat, wusste Roy nicht so recht, ob er ihm Verstand in den Kopf prügeln oder vor Mitleid mit ihm weinen sollte. Er hat Frankie zu erklären versucht, dass man sein Geld gut anlegen muss, sich ein Haus kaufen sollte, wenn man es sich leisten kann, statt etwas zu mie-ten. Aber Frankie und Roy sind Frankie und Roy, und ihre Nächte unterscheiden sich so sehr, wie ihre Tage sich glei-chen. Frankie kauft sich jedes halbe Jahr einen neuen Wa-gen und lacht sich alle zwei Monate eine neue Freundin an. Frankie ist immer auf der Suche nach neuen Opfern,

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weil Frankie immer Schulden hat. »Ruf mich morgen an«, sagt er zu Roy, als er aus dem

Chevy steigt. »Ich habe ’ne Menge Ideen für uns.« »Immer mit der Ruhe«, sagt Roy. »Ich bin todmüde; ich

muss mich ausruhen.« Frankie bleibt stehen und kommt noch einmal zum Wa-

gen zurück. Er wirkt besorgt. »Tu mir das nicht an«, sagt er. »Im Süden ist ein Club, den können wir mit der Zoo-Nummer abzocken. Bringt fünftausend Dollar, würde ich schätzen.«

»Immer mit der Ruhe.« Frankie beugt sich durch das offene Fenster in den Wa-

gen; seine Haare berühren dabei das Dach, die Haut an seiner Stirn wird zurückgeschoben. Seine sonst so tief liegenden Augen treten hervor. »Mir sitzen da so ein paar Typen im Nacken, die werd ich einfach nicht los.«

»Soll ich dir was leihen?« »Ich will nichts leihen, sondern arbeiten. Ruf mich an,

ja?« »Ja«, sagt Roy. »Ich bin nur müde, das ist alles.« »Und tu mir einen Gefallen, Partner: Nimm deine ver-

dammten Tabletten.« Jetzt reicht es Roy. Sein Chevy hat noch ganz schön

Power, wenn es sein muss.

Roy hat das Haus vor sechs Jahren gekauft. Es befindet sich in einer hübschen Gegend, nichts Besonderes, aber solide. Hier verlieren die Immobilien nicht an Wert. Der Garten ist gepflegt, die Nachbarhäuser sind in gutem Zu-stand, und keiner geht dem anderen auf die Nerven. Jeder kümmert sich um seine eigenen Angelegenheiten. Perfekt. Das Haus ist nicht sehr groß, nur drei Zimmer und zwei Bäder, aber es wohnt ja auch nur Roy drin, und so ist es geräumiger, als es eigentlich für ihn sein müsste. Ein

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Zimmer nutzt er zum Schlafen, das zweite als Büro: ein Stuhl, ein Schreibtisch, eine Lampe. Dort bewahrt Roy seine Akten auf und schreibt seine Briefe. Das dritte Zim-mer im hinteren Teil des Hauses ist das Wohnzimmer, auch wenn niemand außer Roy es je betritt. Darin befinden sich ein ausziehbares Sofa, ein alter Schwarzweißfernse-her und in der Ecke eine Frisierkommode sowie eine leere Kommode. Die Wände sind mit Zwanzig-Dollar-Aquarellen aus Hotelräumungsverkäufen bedeckt, die das Zimmer billig, hässlich, uninteressant wirken lassen sol-len.

Auf der anderen Seite des Raumes, neben der leeren Kommode, steht ein blau-gelbes Keramikpferd von unge-fähr einszwanzig Schulterhöhe und etwa gleicher Länge. Die Augen des Pferdes sind mattschwarz. Es starrt den ganzen Tag blind den Fernseher an. Um seinen Hals hängt ein Seil wie bei einem richtigen Pferd. Das Seil ist gelb, passend zum Rest der Figur. Genau so, wie es Roy gefällt.

Wenn Roy nach Hause kommt, geht er zuerst ins Wohn-zimmer, jedenfalls immer, wenn er Bargeld dabei hat, und das ist fast jedes Mal. An den meisten Tagen betritt Roy das Haus, hängt seine Jacke an den Haken und geht sofort in das hintere Zimmer. Aber jetzt, da der Doc aus der Stadt weggezogen ist, liegen noch ein paar Schritte dazwi-schen.

Als Erstes betritt er das Haus und schließt die Tür hinter sich. Anschließend schiebt er den Riegel vor. Dann zieht er ihn zurück und schiebt ihn wieder vor. Zieht ihn zurück und schiebt ihn wieder vor. Zieht ihn zurück und schiebt ihn wieder vor. Viermal, bis er verschlossen ist. Daran besteht kein Zweifel. Kaum ein Zweifel.

Er hängt seine Jacke an den Haken neben der Tür, dann an einen darunter. An den darüber. An den darunter. Man kann ja nicht wissen, ob der erste hält. Dann schaut er in

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seine Taschen, um festzustellen, ob noch Geld darin ist, und wiederholt den Vorgang. Gestern hat er ein drittes Mal nachgesehen, um ganz sicher zu sein, und hat irgend-wo noch einen Zwanzig-Dollar-Schein gefunden. Heute schaut er ein drittes Mal nach, und obwohl er nichts findet, beschließt er, diesen dritten Durchgang in Zukunft täglich zu machen, nur für den Fall der Fälle.

Als Roy das Wohnzimmer betritt, hat er bereits die Schuhe in ihre Schachtel auf dem dritten Fach seines Schranks gestellt und die Socken ein paar Mal auf den Bodenfliesen abgewischt, damit er keinen Schmutz auf den Teppich trägt. Nun geht er um das Sofa herum und auf das Pferd zu.

Der Keramikkopf wiegt schwer in Roys Armen, als er ihn vom Körper der Figur schiebt. Er stellt ihn auf den Boden daneben, achtet darauf, dass er im Gleichgewicht ist. Dann greift Roy in seine Tasche und holt die Ta-geseinnahmen heraus.

Nachdem er mit Frankie geteilt hat, sind für Roy immer noch fast siebenhundert Dollar geblieben. Nicht viel, aber leicht verdient, höchstens eine Stunde Arbeit insgesamt. Er schickt sich an, das Geld zu dem anderen im Körper des Pferdes zu legen, muss aber gar nicht tief hineingrei-fen, weil die Scheine schon bis zum Hals der Figur rei-chen. Das ist ziemlich schnell gegangen.

Es wird Zeit, wieder auf die Bahamas zu fahren, denkt Roy. Als das Pferd das letzte Mal so voll war, hatte er den Betrag, den er sich selbst als obere Grenze für im Haus aufbewahrtes Geld gesetzt hatte, um neunundachtzigtau-send Dollar überschritten. Die obere, die sichere Grenze.

Aber der Strand und die Sonne und der Lärm auf den Bahamas wären ihm im Augenblick zu viel. Die Welt dort ist ihm zu grell. Die Reise muss noch ein bisschen warten. Im Moment will Roy nur den Kopf wieder auf den Körper

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des Pferdes setzen und ins Bett kriechen. Schlafen, bis die Geräusche und der Druck und der Schmerz verschwinden. Aufwachen und feststellen, dass Doc Mancuso wieder in der Stadt ist und ihm die wunderbaren rosafarbenen Pillen verschreibt. Den Kopf unter der Decke vergraben, die Knie bis zum Kinn hochziehen, das Licht der Sonne aus-blenden.

2

Frankie hämmert gegen die Tür. Roy kann ihn durch die dünnen Vorhänge auf der Treppe stehen sehen, wie er mit seinen kleinen Fäusten gegen die Tür schlägt, mit seinen kleinen Füßen dagegen tritt. Fast hätte Roy gelacht, aber er hat Angst, dass er sich übergeben muss, wenn er lacht. Das ist etwas Neues. Dieses Gefühl hat er erst seit zwei Tagen. Da saß er auf seinem Sessel, aß eine Dose Thun-fisch, und plötzlich dachte er: Was wäre, wenn ich mich jetzt übergeben müsste? Würde ich an meiner eigenen Kotze ersticken? Würde mich jemand finden, bevor’s zu spät wäre? Seitdem geht ihm der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf.

»Roy, verdammt, mach auf!«, brüllt Frankie, seine Stimme tönt gedämpft durch die Tür. »Ich weiß, dass du da drin bist!«

Roy glaubt nicht, dass er das weiß. Frankie blufft, aber nicht gut. Roy hat Frankie das Bluffen beigebracht, vor einer ganzen Weile schon, doch Frankie wollte nichts über die verräterischen Zeichen wissen. Wie man sie verbirgt, wie man sie bei anderen erkennt. Er wollte nur in der Lage sein, sich mit Bluffen aus der Affäre zu ziehen, immer und überall. Frankie braucht Roy. Das weiß Roy.

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»Ich hol die Polizei, ich schwör dir’s«, droht Frankie und hämmert noch ein paar Mal laut fluchend gegen die Tür. »Ich versteck mein ganzes Zeug so, dass sie’s nicht finden können, dann ruf ich sie an, und sie kommen her und … egal, ich will nur sagen, dass ich die Polizei hole. Im Ernst.«

Roy weiß, dass Frankie so etwas nie tun würde. Er hasst die Cops. Hat eine richtige Paranoia. Glaubt, die hätten Lügendetektoren und könnten rausfinden, wenn man sie anschwindelt. Wenn Frankie auf der Straße einen Polizi-sten sieht, macht er sich aus dem Staub. Aber die Drohung bringt Roy dazu, sich in Bewegung zu setzen. Dass Fran-kie eine solche Drohung überhaupt ausspricht … Wenn er die Polizei ruft, müsste er mit den Beamten sprechen … Roy erhebt sich langsam, ganz vorsichtig, aus dem Sessel, um den Teppich nicht abzuwetzen, und geht zur Haustür. Er lässt die Kette vorgelegt, schiebt aber den Riegel zu-rück und zieht die Tür auf.

Frankie streckt die Nase durch den Spalt. »Mein Gott, Roy, hast du mir einen Schreck eingejagt. Mach auf, lass mich rein.«

»Zieh deine Schuhe aus«, sagt Roy. »Was? Warum?« »Wegen dem Schmutz. Wenn du die Schuhe nicht aus-

ziehst, lass ich dich nicht rein.« »Machst du Scherze? Mach auf, ich bin’s.« »Zieh die Schuhe aus.« Frankies Nase verschwindet aus dem Spalt. Dafür ver-

sucht er jetzt, mit einem Auge so viel zu erkennen wie möglich. Dabei tanzt seine Pupille auf und ab. Schließlich tritt Frankie einen Schritt zurück. »Du nimmst die Tablet-ten nicht mehr, stimmt’s?«

»Ziehst du nun die Schuhe aus, oder soll ich die Tür wieder zumachen?«

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Roy hört Frankie auf der anderen Seite der Tür brum-meln, während er seine Schuhe auszieht. Am liebsten hätte er gelacht, aber er hält sich zurück, als er die Galle in sei-ner Kehle hochsteigen spürt. Er will sich nicht übergeben. Nicht hier, nicht auf den Teppich.

Frankie kommt mit den Schuhen in der Hand herein. Er hat Löcher in den Socken. Tausend-Dollar-Schuhe und Zweiundvierzig-Cent-Socken. Typisch Frankie. In der anderen Hand hält er eine Tüte Donuts. »Frühstück«, sagt er und wirft sie auf den Küchentisch. Dann sieht er sich um und geht ins Wohnzimmer.

»Suchst du was?«, fragt Roy. »Meinen Partner. Hast du ihn gesehen?« Roy lässt sich in seinen Sessel plumpsen. »Bist du den

ganzen Weg hergefahren, um Witze zu machen?« »Ich versuch seit fünf Tagen, dich telefonisch zu errei-

chen, da macht man sich irgendwann Sorgen.« »War unterwegs. War nicht in der Stadt.« Frankie schüttelt den Kopf. »Nein, diesmal nicht. Du

warst die ganze Zeit hier. Ich seh doch deinen Arschab-druck auf dem Sofa.«

Roy zuckt mit den Achseln. »War beschäftigt.« Die Schuhe immer noch in der einen Hand, durchquert

Frankie den Raum und zieht die Jalousien hoch. Sonnen-licht strömt herein, triff auf Roys Gesicht. Er zuckt zu-sammen, schützt die Augen mit seinem kräftigen Unter-arm.

»Sag mal«, fragt Frankie ihn, »bist du ’ne Fledermaus oder was?«

»Mein Gott, sprich nicht so laut.« »Für dich ist das bloß so laut, weil du seit ’ner Woche

niemanden mehr hast reden hören. So klingen normale Menschen, Roy. Normale Menschen in der Welt da drau-ßen.«

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»Trotzdem bist du ziemlich laut.« Frankie sieht seinen Partner an. Roy erwidert seinen

Blick. »Hast du deine Tabletten genommen?«, fragt er Roy.

»Leck mich.« »Hast du deine Tabletten genommen?« »Ich hab dir schon ’ne Antwort gegeben. Leck mich.« Frankie lässt seine Schuhe auf den Teppich fallen, mit

der schmutzigen Seite nach unten. Bevor sie auftreffen, ist Roy schon aus seinem Sessel. Er kriecht auf Knien zu den Schuhen hinüber und greift ächzend nach ihnen, hebt sie hoch, vom Teppich weg, den er nach Schmutz absucht, jede Faser.

Frankie kniet neben ihm nieder und legt die Hand auf den Rücken seines Partners. Roy hat das Gefühl, als müss-te er sich gleich übergeben, mitten auf den Teppich. Der Fleck wird nie mehr rausgehen. Der Gedanke daran bringt ihn zum Würgen.

»Was ist mit Dr. Mancuso?«, fragt Frankie mit leiser, freundlicher Stimme.

Roy bringt kein Wort heraus. Seine Kehle ist wie zuge-schnürt. Er gibt lediglich hustende, kurze Atemzüge von sich. Frankie setzt sich auf den Boden, packt den Kopf seines Partners. Nimmt ihm die Schuhe weg, zeigt ihm den sauberen Teppich. Sieht ihm in die Augen.

»Es ist alles in Ordnung«, sagt er. »Erzähl mir, was mit Doc Mancuso passiert ist.«

Roy ringt um Atem. »Er ist weg«, sagt Roy keuchend. »Er hat die Praxis aufgegeben?« »Er ist nicht mehr in der Stadt.« Frankie nickt. »Ist er weit weg?« »In Chicago.« Inzwischen fällt Roy das Atmen wieder

leichter. »Ziemlich weit. Seit wann?«

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Roy versucht, sich zu erinnern. »Seit ungefähr acht Wo-chen.«

»Mein Gott, Roy …« Frankie erhebt sich und zieht Roy auf die Füße. Eine Hand unter Roys Achseln, hilft er ihm, das Gleichgewicht zu halten, während sie aufstehen. »Das heißt, dass du wie lange schon keine Tabletten mehr hast?«

Roy weiß es nicht so genau. Er hat bereits vor einer gan-zen Weile aufgehört, die Wochen zu zählen. »Vielleicht einen Monat.«

»Tja, dann müssen wir dir einen neuen Doc suchen.« Roy schüttelt den Kopf. Die Bewegung macht ihn

schwindelig. »Doc Mancuso …« »Den gibt’s nicht mehr. Ich weiß, du bist gut mit ihm

zurechtgekommen, aber … aber das nützt dir jetzt nichts mehr. So geht das nicht weiter. Du musst gesund sein, funktionieren. Wir müssen Geld ranschaffen.«

»Mach du das«, sagt Roy und wendet sich ab. »Nein, wir machen das gemeinsam. Du bist immer noch

der Chef. Sieht vielleicht im Moment nicht so aus, aber du bist einsame Spitze. Wir sind Partner, Kumpel.«

Roy kann sich nicht vorstellen, irgendeine Nummer durchzuziehen. Sein einziger Gedanke ist: Er will in sei-nen sicheren Sessel zurück, sich setzen. Er macht sich auf den Weg zu dem Sessel.

»Weißt du was?«, sagt Frankie nach einer Weile. »Ich kenn da jemanden.«

»Jemanden?« »Einen Arzt. Einen guten Arzt.« »Einen echten?«, fragt Roy. Frankie nickt. »Ja, einen echten. Bei dem war ich mit

meiner Ma, wie die ihre Halluzinationen hatte.« »Ich hab keine Halluzinationen …« »Hab ich ja auch gar nicht behauptet. Aber er ist ’n See-

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lenklempner, und er kann dir die Tabletten verschreiben, die du brauchst.«

Roy will nicht mit Frankie streiten, denn eine Auseinan-dersetzung bedeutet, dass er reden muss. Und Reden be-deutet Speichel. Speichel bedeutet Galle, und Galle bedeu-tet Kotze. Also nickt er.

»Geh duschen«, sagt Frankie. »Ich erledige inzwischen ein paar Anrufe, um rauszufinden, was ich organisieren kann.«

Auf dem Weg zum Bad dreht Roy sich noch einmal um. »Frankie«, sagt er.

»Ja?« »Wisch den Telefonhörer ab, wenn du fertig bist, ja?« »Geh duschen, Roy.«

Roy sitzt auf dem lederbezogenen Beifahrersitz von Fran-kies neuem Sportwagen. Allein die Sonderausstattung von dem Flitzer hat mehr gekostet als Roys ganzer Chevy. Die Musik, die aus der Super-Stereoanlage dröhnt, ist laut, aber erträglich. Oldies. Jazz. Ella Fitzgerald.

»Die Sekretärin hat gesagt, du musst nicht viele Formu-lare ausfüllen«, erklärt Frankie Roy, als sie auf den Park-platz fahren. »Aber wir sollen ein bisschen früher da sein.«

»Hast du ihr meinen richtigen Namen gesagt?« »Ja, klar. Bist doch du selber, oder?« Vierter Stock, Suite 413. Praxis Dr. Harris Klein. In dem

weißen, karg möblierten Wartezimmer füllt Roy eine Rei-he von Formularen aus: Name, Adresse, medizinische Daten. In die Rubrik »Beruf« schreibt er: »Antiquitäten-händler«. Das ist die übliche Tarnung. In seinem Haus befinden sich genügend hässliche Kunstwerke, um diese Berufsbezeichnung plausibel zu machen.

»Soll ich mit dir reingehen?«, fragt Frankie.

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»Bist du meine Mutter oder was?« »War ja bloß ’ne Frage. Dann setz ich mich hier draußen

hin und les ’ne Illustrierte.« Als Roy ein paar Minuten später aufgerufen wird, reicht

er seine Formulare der Sekretärin und geht einen kurzen, holzverkleideten Flur entlang. Die Tür an seinem Ende steht offen. Roy zögert.

»Kommen Sie herein«, hört er eine Stimme sagen. Dr. Klein erwartet Roy in seinem Sprechzimmer, vor ei-

nem wuchtigen Mahagonitisch. Er ist klein und schlank, hat dichte lockige Haare. Auf seiner Stupsnase sitzt eine Brille. Er trägt Hemd und Hose, keine Jacke, eine Rolex am rechten Handgelenk. Die Gesäßtasche ist ein wenig ausgebeult, wahrscheinlich von seiner Brieftasche. Roy beschließt, den Arzt nicht zu bestehlen. An den Wänden hängen Diplome und Auszeichnungen, dazwischen Fami-lienfotos und Karikaturen. Der Teppich ist burgunderrot, wie mit Wein getränkt.

»Wie wollen Sie da die Flecken sehen?«, fragt Roy. »Wie bitte?«, fragt der Arzt verwirrt. »Auf dem Teppich. Er ist so dunkel. Wie sehen Sie da

die Flecken?« Dr. Klein streckt Roy grinsend die Hand hin. »Über die

mache ich mir eigentlich keine Gedanken«, sagt er. »Nor-malerweise essen wir nicht hier drin.«

Roy würde ihm am liebsten sagen, dass nicht nur Le-bensmittel Flecken machen, sondern auch Bleichmittel, Blut und Urin. Aber er hält sich zurück und schüttelt dem Doktor die Hand. Setzt sich, wie es von ihm erwartet wird.

Dr. Klein nimmt ihm gegenüber Platz und dreht seinen Stuhl so, dass er seinem neuen Patienten in die Augen sieht. »Freut mich, dass Sie zu mir gekommen sind, Roy. Ich habe gehört, dass Ihr alter Therapeut weggezogen ist.«

»War kein Therapeut«, murmelt Roy, »sondern mein

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Seelenklempner.« »Ist doch in etwa das Gleiche, oder?« »Nein. Doc Mancuso hat mir meine Tabletten verschrie-

ben. Mehr war nicht.« »Verstehe«, sagt Dr. Klein. »Also haben Sie sich nicht

mit ihm unterhalten.« »Über was?« »Zum Beispiel über Ihre Probleme und Ihre Gedanken.

Um dem Kern des Problems auf die Spur zu kommen.« Roy lehnt sich seufzend auf seinem Stuhl zurück. »Mein

Partner Frankie hat gesagt, er kennt Sie, ich brauch bloß zu Ihnen gehen, und Sie geben mir meine Tabletten. Bei Doc Mancuso hab ich immer hundertfünfzig Milligramm Anafranil und fünfundsiebzig Zoloft gekriegt. Wenn das nicht geht, ist die Sitzung hiermit beendet.«

Klein lächelt. »Sie sind aber ziemlich direkt.« »Und Sie versuchen, mir auszuweichen. Kann ich die

Tabletten nun von Ihnen kriegen oder nicht?« »Ja«, antwortet der Arzt. Roy entspannt sich. »Dann holen Sie mal den Rezept-

block raus.« »Roy, ich verschreibe normalerweise erst dann Medi-

kamente, wenn ich mich zuerst ein bisschen mit dem Pati-enten unterhalten habe.«

»Wie lang dauert das?« »Haben Sie’s eilig?« »Ich hab’s immer eilig.« Roy fühlt sich jetzt gut; er

macht sich nicht mehr so viele Gedanken über den Tep-pich. Oder über die Kotze. Bald bekommt er die Tabletten, und allein das zählt.

»Sie brauchen mir nur ein paar Minuten Ihrer Zeit zu schenken. Ich mach’s kurz.«

»Gut«, sagt Roy und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. Er ist bequem. Gepolstert. Wie der Sessel zu Hause.

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»Wollen Sie mit mir über meine Mutter reden?« »Wollen Sie das?« »Nein, aber so hat Doc Mancuso damals angefangen.

Bei meiner Mutter, meinem Vater, meinen Schwestern.« »Stehen Sie ihnen nahe?« »Sie sind alle tot.« Dr. Klein rutscht auf seinem Stuhl hin und her. »Tja,

dann brauchen wir darüber nicht zu reden.« Er nimmt eine dünne Akte von seinem Schreibtisch und lässt den Finger darüber gleiten. »Hier steht, dass Sie Antiquitätenhändler sind.« Roy nickt. »Gefällt Ihnen der Beruf?«

»Ja, ist in Ordnung.« »Gehen die Geschäfte gut?« »Mal besser, mal schlechter.« »Wissen Sie was«, sagt Dr. Klein und erhebt sich von

seinem Stuhl, »dieses Stück habe ich vor ein paar Jahren bei einer Haushaltsauflösung erworben. Chippendale, hat man mir gesagt, aber ich habe das Gefühl, dass ich übers Ohr gehauen worden bin. Können Sie sehen, ob …«

»Ich habe gerade keine Geschäftszeit, Doc. Können wir zum eigentlichen Thema zurückkommen?«

Klein setzt sich wieder. »Gut«, sagt er. Ist er einge-schnappt? Roy kann das nicht beurteilen. »Sind Sie ver-heiratet?«

»War ich mal.« »Wie war der Name Ihrer Frau?« »Heather.« »Und jetzt sind Sie geschieden?« »Bingo«, sagt Roy. »Kinder?« Roy zuckt mit den Achseln. Der Arzt wiederholt seine

Frage. »Vielleicht«, antwortet Roy. Klein zieht eine Augenbraue hoch. »Vielleicht. Das ist

wirklich eine originelle Antwort.«

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»Schön, dass ich Ihnen eine Freude gemacht habe.« »Vielleicht – heißt das, die Kinder könnten von Ihnen

sein, oder …?« Roy hatte Doc Mancuso diese Frage damals auch be-

antworten müssen, aber der hatte immerhin gemerkt, wann er lästig wurde. »Vielleicht – das heißt, sie war schwanger, als sie mich verlassen hat. Also hab ich vielleicht ein Kind, vielleicht aber auch nicht.«

»Sie haben es also noch nie gesehen?« »Tja, so könnte man das ausdrücken.« Der Arzt nickt und notiert sich etwas. »Haben Sie’s ver-

sucht?«, fragt er. »Was habe ich versucht? Was geht Sie das an?« »Ich versuche lediglich, Sie besser kennen zu lernen. Ein

Gefühl dafür zu bekommen …« »Was für einen Sinn soll das haben? Na schön: Meine

Frau hat mich an einem Dienstagmorgen verlassen. Die Scheidungspapiere wurden mir mit der Post zugestellt. Kann gut sein, dass sie noch am selben Tag vor einen Bus gelaufen ist. Für mich gibt’s kein Kind, basta. Reden wir wieder über die Tabletten.«

Dr. Klein scheint Verständnis zu haben. Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und wirft einen Blick in die Akte. »Hier steht, Sie leiden unter einer Zwangsneurose, ver-bunden mit Depressionen.«

»Deswegen hat Doc Mancuso mir die Tabletten ver-schrieben, Anafranil und …«

»Verstehe. Es ist nur nicht so leicht für mich, eine Dia-gnose zu stellen und Medikamente zu verschreiben, wenn ich keine genaue Vorstellung davon habe …«

Roy rutscht mit dem Stuhl nach vorn, der dunkle Fur-chen in dem roten Teppich hinterlässt. Er ist jetzt nur noch etwa dreißig Zentimeter von dem Arzt entfernt und sieht ihn mit starrem Blick an. Er erhebt sich, legt seine Hände

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auf die des Arztes, sodass dieser sie nicht mehr bewegen kann. Dr. Klein wehrt sich nicht. »Ich habe die letzte Wo-che meines Lebens in meinem Sessel verbracht«, sagt Roy. Die Brille des Arztes läuft von seinem Atem an. »Und den Teppich angestarrt. Die Fasern von dem ver-dammten Teppich. Ich weiß, dass das nicht normal ist, aber ich kann nichts dagegen machen. Wenn ich aus dem Haus will, schaffe ich das nicht, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich den Herd ausgeschaltet habe. Also überprüfe ich, ob die Platten heiß sind, und dann mache ich mich wieder auf den Weg, aber plötzlich denke ich: Oje, was ist, wenn ich beim letzten Nachschauen versehentlich eine eingeschaltet habe? Und selbst wenn’s mir gelingt, das Haus zu verlassen, komme ich nicht von der Tür weg, weil ich nicht weiß, ob ich sie richtig zugesperrt und alle Fen-ster geschlossen hab. Also bleib ich drinnen und mache meine Kontrollgänge, und dabei habe ich die ganze Zeit Angst, ich könnte kotzen. Und während ich davor Angst habe, denke ich, verdammt, ich bin ein erwachsener Mensch, eigentlich sollte ich doch wissen, was in meinem Hirn los ist. Doch je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass es das Beste wäre, wenn ich mir eine Kugel in den Kopf jage. Aber je mehr ich mir das wün-sche, desto mehr Gedanken mache ich mir darüber, was dann mit dem verdammten Teppich passiert.

Und das ist noch einer von den guten Tagen, Doc. Also geben Sie mir die verdammten Tabletten, damit ich mein Leben in den Griff kriege.«

Roy spült die Tablette mit einem Schluck Sodawasser hin-unter. Eine kleine grüne Pille. Ein neues Medikament, hat Doc Klein gesagt, ein wirksameres. Effexor oder so ähn-lich. Eine Tablette hilft gegen die Zwangsneurose und die Depressionen. Neuer Wirkstoff, hat er gesagt. Anafranil ist

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out. Zoloft ist out. Roy ist das egal. Er nimmt alles, solan-ge es hilft.

»Er hat dir die Dinger einfach so gegeben?«, fragt Fran-kie. »In seiner Praxis?«

Roy nickt. »Hat gesagt, die von der Apotheke müssten das Zeug erst bestellen, das würde ein paar Tage dauern. Er hat mir genug für ’ne Woche gegeben.«

»Nicht mehr?« »Er hat gesagt, dann soll ich wiederkommen«, antwortet

Roy. »Zum Reden. Toller Seelenklempner, den du mir da empfohlen hast.«

»Hey, der Typ ist gut.« »Ist ’ne richtige Quasselstrippe, will ’ne ganze Stunde

lang quatschen.« Frankie lenkt den Wagen auf den Parkplatz eines kleinen

Lebensmittelladens. »Gibt noch andere Ärzte hier in der Stadt.«

»Die wollen dann zwei Stunden mit mir reden. Vergiss es, ich geh wieder zu Doc Klein.«

Als sie durch den Laden schlendern, spürt Roy bereits die Wirkung des Medikaments. Er weiß, dass das nicht sein kann, aber es ist ihm egal. Er hat schon zehn Minuten nicht mehr an die Galle in seinem Hals gedacht. In dem Laden gibt es keinen Teppich, über den er sich Gedanken machen müsste. Abgetretenes, schmutziges Linoleum. Das bringt ihn ein wenig aus dem Gleichgewicht. Es ist besser, an andere Dinge zu denken.

Frankie holt das Schlimmste, was die Nahrungsmittelin-dustrie zu bieten hat, von den Regalen: Chips. Donuts. All die Dinge, die ihn eigentlich bald ins Grab bringen müss-ten, es aber vermutlich nicht tun werden. Roy begreift nicht, wie Frankie so dünn bleibt. Ist ihm letztlich auch egal, solange er hinterher den Dreck beseitigt. Frankies Einstellung zum Essen unterscheidet sich nicht von der

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zum Geld: Beides ist da, um verbraucht zu werden, also was soll das ständige Gequatsche darüber?

Sie gehen zur Kasse. Dahinter befindet sich eine Tafel mit den verschiedenen Lotterieangeboten und den Ge-winnnummern des vorangegangenen Tages. »Ein Los für die Fünferwette«, sagt Roy. Er zahlt einen Dollar und kreuzt genau die Zahlen an, die am Vortag gewonnen ha-ben. »Die möchte ich für die Ausspielung am zweiund-zwanzigsten spielen.«

»Sir«, sagt der Mann hinter der Kasse nach einem Blick auf das Los, »die Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb eines Monats – oder überhaupt jemals – dieselben Zahlen gezo-gen werden, ist ausgesprochen gering.«

»Sind Sie mein Finanzberater?« »Nein, Sir …« »Sind Sie meine Mutter?« »Nein, Sir …« »Nein, Sir, das sind Sie nicht. Also nehmen Sie den Dol-

lar, geben Sie mir ein Los für den Zweiundzwanzigsten und machen Sie hier sauber, bevor ich Ihnen die Lebens-mittelinspektoren auf den Hals jage.«

Was ist bloß aus dem Spruch ›Der Kunde ist König‹ ge-worden?, denkt Roy.

Als sie zum Waschsalon fahren, sagt Frankie: »Ich hab

mich noch mal mit Saif unterhalten, er möchte sich immer noch mit uns treffen.«

»Mit wem?« »Mit Saif«, sagt Frankie. »Saif, der Typ vom Hafen.« »Ist der Araber oder was?« »Oder was. Ich glaub, er kommt aus Afghanistan.« Roy wirft einen Blick auf das Los, zerknüllt es. Reibt die

erste Zahl des Datums weg, sodass das Los aussieht, als wäre es für den Zweiten, nicht für den Zweiundzwanzig-

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sten. Lässt es auf den Boden des Wagens fallen, tritt dar-auf, damit es schmutzig wird, benutzt aussieht. »Und was will er?«

»Fälschungen unterbringen.« »Von dem Geschäft haben wir keine Ahnung.« »Egal, lass uns einfach mal mit dem Mann reden.« »Warum?« »Damit wir uns kennen lernen.« Frankie reißt eine Tüte

Kartoffelchips auf und stopft eine Hand voll in den Mund. »Mein Gott, Roy, bist du stur.«

Der Waschsalon ist auf der anderen Straßenseite. Roy richtet sich auf seinem Sitz auf, zupft sein Hemd gerade, steckt das Los wieder in die Tasche. »Darüber unterhalten wir uns später.«

»Du sagst immer später …« »Ich muss mich jetzt auf was anderes konzentrieren«,

sagt Roy. »Könntest du wenigstens ›vielleicht‹ sagen?« Roy weiß, dass es leichter ist, wenn er nachgibt. Dann

muss er sich nicht mehr auseinander setzen. So ist das immer mit Frankie. Eigentlich reizt es Roy, sich weiterhin zu sperren, aber er muss sich jetzt auf diesen Job konzen-trieren. »Vielleicht. Lass mich an der Ecke raus.«

Frankie lenkt den Wagen an den Gehsteigrand, und Roy steigt aus. Er spielt mit dem Gedanken, eine Krawatte an-zuziehen, entscheidet sich dann aber dagegen. Er will ge-pflegt aussehen, jedoch nicht übertrieben. Frankie löst die Kofferraumverriegelung, und Roy holt die Kleidung her-aus. Sie ist sauber, könnte aber noch sauberer sein. Egal, die Sachen werden auf jeden Fall gewaschen.

Die Sonne scheint Roy ins Gesicht. Im Wetterbericht hatte es geheißen, es würde kühl diese Woche. Roy mag die Hitze nicht. Er hasst es zu schwitzen. Auch wenn das kein verräterisches Zeichen ist. Doch vielleicht ist

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Schweiß für seine heutige Rolle gar nicht so schlecht. In dem Waschsalon verteilt ein riesiger Ventilator die

heiße Luft im Raum, senkt die Temperatur um ein paar Grad auf ein erträgliches Maß. Der Laden ist klein, viel-leicht zwanzig Waschmaschinen, zehn große Trockner. Es sind nicht viele Leute da.

Ein einzelner Schwarzer, der auf einer Waschmaschine sitzend eine Zeitschrift liest. Nicht der Richtige, denkt Roy.

Ein knutschendes Pärchen. Auch nicht die Richtigen. Am Ende des Gangs trennt eine Frau mittleren Alters die

Weiß- von der Buntwäsche. Es sind Hemden dabei, Blu-sen und ein paar kleine Baumwollslips. Sie hat Kinder. Sie trägt nicht viel Schmuck; ihre Kleidung ist aus dem Kauf-haus, aber mit Sorgfalt ausgewählt. Sie hat die Haare blond gefärbt. Ihre Augenbrauen sind dunkel. Sie ist die Richtige.

Roy geht auf der Suche nach einer geeigneten Wasch-maschine den linken Gang entlang. Er summt ein fröhli-ches Lied. Nichts Bestimmtes, einfach fröhlich. Eine Waschmaschine nicht allzu weit von der Frau mit den Kinderkleidern entfernt ist frei.

»Ist die besetzt?«, fragt Roy. »Nein«, antwortet die Frau. Ihre Stimme ist tief und rau.

Wahrscheinlich, denkt Roy, muss sie zu Hause viel schrei-en.

»Ich meine, Sie brauchen sie nicht? Sie haben ganz schön viel Wäsche.«

Sie lächelt, und gleich wirkt sie ein paar Jahre jünger. »Das ist doch gar nichts«, sagt sie. »Sie sollten mich mal nach dem Baseballtraining sehen.«

»Sie haben Kinder?« »Drei Jungs, zwei Mädchen.« Sie findet es schön, sich

mit einem Erwachsenen unterhalten zu können, denkt

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Roy. »Und die Waschmaschine in unserem Haus ist ka-putt, da muss ich hierher kommen, während sie in der Schule sind.«

»Tja, machen ganz schön viel Arbeit, die Kinder, aber sie sind auch ein Geschenk Gottes. Bin selber aus ’ner großen Familie. Wir sind zu siebt, verstehen uns alle gut. Manchmal wussten wir nicht, wo die nächste Mahlzeit herkommen soll, aber …«

»… aber man darf den Glauben nicht verlieren«, führt sie den Satz zu Ende.

»Genau. Wir organisieren heute noch Familientreffen – ein Wochenende hier, ein Wochenende dort. Ein besseres Verhältnis als zwischen mir und meinen Geschwistern könnt’s nicht geben. Blut ist einfach dicker als Wasser, stimmt’s?«

Die Frau lächelt, und Roy wendet sich seiner Wäsche zu. Häuft die Hemden, Hosen, Boxershorts aufeinander. Er will die Sachen noch nicht in die Waschmaschine stek-ken. Vielleicht läuft die Geschichte so gut, dass er das gar nicht machen muss.

»Haben Sie Kinder?«, fragt die Frau. Jetzt weiß Roy, dass sie am Haken hängt.

»Nein«, antwortet er. »Wir haben’s versucht, und wir haben sogar an Adoption gedacht, aber …«

Die Frau nickt verständnisvoll, streckt schweigend die Hand aus, tätschelt ihm den Arm. Sie hat Angst, dass sie einen wunden Punkt getroffen hat. Roy grinst wehmütig und wendet sich wieder seiner Wäsche zu. Während er ein Hemd aus dem Haufen zieht, gleitet seine Hand unauffäl-lig in seine Tasche. Eine schnelle, fast nicht wahrnehmba-re Bewegung. Das Los flattert auf den Boden. Die Frau bemerkt es nicht. Noch nicht.

Roy steckt seine weißen Sachen in die Waschmaschine und schließt die Tür. Dann sucht er in seinen Taschen

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nach Kleingeld. Er findet ein paar Fünfundzwanzig-Cent-Münzen, verheddert sich aber mit den Fingern in dem Hemd, das er gerade in der Hand hält. Eine der Münzen fällt ihm herunter und rollt auf die braunen Sandalen der Frau zu.

»Die will zu Ihnen«, sagt Roy mit einem Grinsen, und die Frau lächelt zurück. Sie bückt sich, um die Münze auf-zuheben, und einen Augenblick glaubt Roy, sie habe das Los immer noch nicht bemerkt.

Doch sie verharrt in der gebückten Stellung, nimmt die Münze mit der linken und das Los mit der rechten Hand. »Ich glaube, das ist Ihnen auch heruntergefallen«, sagt sie, nachdem sie sich wieder aufgerichtet hat.

Roy mustert das Los eingehend. Schüttelt den Kopf. »Nein. Ich spiel nicht Lotto.«

»Ich auch nicht«, sagt sie. »Früher mal, aber mein Mann hat gesagt, ich soll aufhören damit.«

»Vielleicht gibt’s hier so was wie ein Fundbüro.« »Vielleicht …« Aber sie sieht sich nicht einmal nach ei-

nem um. »Tja, wahrscheinlich nicht«, sagt Roy. »Hier kommen

ständig neue Leute, und die verlieren immer irgendwas. Was für ein Datum steht denn drauf?«

»Sieht nach dem Zweiten aus. Die gestrige Ziehung.« Roy wendet kurz den Kopf. Das Pärchen knutscht im-

mer noch. Der Schwarze ist inzwischen gegangen. Es ist nur noch ein weiterer Kunde da. Er steht neben der Tür und liest Zeitung. Roy lässt der Frau Zeit, selbst auf die Idee zu kommen.

Und zehn Sekunden später ist es so weit. »Wir sollten nachschauen, ob wir was gewonnen haben.«

»Gewonnen? Ach so, mit dem Los.« Roy tut so, als den-ke er über ihren Vorschlag nach. Als habe er Besseres zu tun. »Klar, warum nicht. Wir könnten fünfzig-fünfzig ma-

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chen. Wenn wir drei oder vier Zahlen haben, könnten wir ein paar Hundert Dollar kassieren.«

Die Frau ist einverstanden. Sie besiegeln die Abma-chung mit einem Handschlag. Sie macht sich auf die Su-che nach einer Zeitung, das Los immer noch in der Hand. Roy ist froh, dass sie das Los mitgenommen hat. Es funk-tioniert immer besser, wenn sie das Los mitnehmen. Als würde es ihnen gehören. Gefundenes Geld, ja, aber ihres. Er beobachtet sie dabei, wie sie auf den Mann mit der Zei-tung zugeht und ihn fragt, ob er sie ihr einen Moment lei-hen kann. Frankie gibt sie ihr gern, und er kann sich ein Augenzwinkern in Richtung Roy nicht verkneifen, als die Frau sich von ihm wegdreht und wieder in Richtung Waschmaschinen geht.

»In welchem Teil stehen die Ergebnisse?«, fragt sie. »Keine Ahnung«, sagt Roy. »Ich bin nicht aus dieser

Stadt, also …« Aber sie findet die Ergebnisse schnell. Sie sind in Teil

B, Seite 2. Die Frau legt das Los auf die Zeitung und be-ginnt, die Zahlen miteinander zu vergleichen. Sie braucht nicht lange.

Die Frau macht den Mund auf, schließt ihn wieder. Mit kaum hörbarer Stimme sagt sie: »Sie stimmen überein. Fünf Zahlen, sie stimmen überein …«

Roy schürzt die Lippen. »Tja, schade. War trotzdem schön, Sie kennen gelernt zu haben …«

Die Frau packt ihn am Arm. »Fünf von sechs, das ist nicht schlecht. Ist nicht der Hauptgewinn, aber …«

Die Frau lässt den Finger über die Zeilen der Zeitung gleiten. Die Auszahlungsbeträge stehen unter den Ge-winnzahlen. Fünf von sechs, das macht achtundneunzig-tausend Dollar. Als die Frau die Zahlen immer wieder überprüft, beginnt Roy zu murmeln: »Nein, nein, nein.« Dann schlägt er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn,

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bis sie rot wird. »Nein, nein, nein …« »Moment, Moment«, versucht die Frau, ihn zu beruhi-

gen. »Sie verstehen nicht: Wir haben gewonnen. Schauen Sie sich das mal an – es ist ein Hunderttausend-Dollar-Jackpot!«

»Verdammt, nein …« »Hören Sie auf, Sir, hören Sie auf – in der Zeitung steht,

dass wir gewonnen haben.« Sie senkt die Stimme und sieht sich um. Sie ist so nervös, dass sie fast das Los zer-reißt. Es ist ihr Los, hunderttausend Dollar. Wehe, jemand versucht, ihr das zu nehmen. »Sie begreifen nicht …«

»Nein«, erwidert Roy mit ebenfalls gesenkter Stimme, »Sie begreifen nicht. Ich sollte eigentlich gar nicht hier sein.«

»Hier im Waschsalon?« »Nein, in dieser Stadt. In diesem Staat. Das ist wieder

typisch. Eigentlich sollte ich in Kansas City sein, bei einer Fachmesse für Dachdecker, aber ich … Meine Frau denkt, ich bin bei der Messe.«

»Ihre Frau.« »In Kansas City. Aber ich bin … Verdammt, ich hab ’ne

Affäre mit ’ner Frau hier. Und wenn ich …« »Verstehe«, sagt sie. »Wenn ich fünfzigtausend Dollar nach Hause bringe, ist

das zwar toll, aber so ’ne Summe kann man nicht als klei-nen Pokergewinn am Abend erklären.« Roy reibt sich die Augen und schlägt wieder mit der flachen Hand gegen die Stirn. »So was kann auch bloß mir passieren.«

Sie sieht ihn schweigend an. Roy will sie nicht mit der Nase auf die Lösung stoßen. Ihm ist es lieber, wenn sie selbst auf die Idee kommt. Denn dann ist es nicht nur ihre Idee, sondern auch ihr Los, ihr Geld. Alles gehört ihr, nichts ihm. So ist es ihm am liebsten.

»Tja, Lady, ich hätt zwar gern das Geld, aber scheiden

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will ich mich deswegen nicht lassen.« Dann fügt er hinzu: »Nehmen Sie’s. Sie haben fünf Kinder, Sie können das Geld gut gebrauchen.«

Aber davon will sie nichts wissen. »Wir haben gesagt, wir teilen’s. Es wird uns schon was einfallen. Ich könnte Ihnen die Hälfte schicken, wenn mir der Gewinn ausbe-zahlt worden ist …«

»Meine Frau würde das immer noch nicht verstehen. Die kennt sich aus mit unserem Kontostand. Nein, es müsste ’ne Summe sein, die ich beim Pokern oder beim Pferde-rennen gewonnen habe. Wenn’s zu viel ist, krieg ich Pro-bleme mit ihr.«

Roy lässt der Frau Zeit, über das, was er gesagt hat, nachzudenken. Er reibt sich wieder die Augen, sieht zur Decke hinauf. Sie ist schmutzverkrustet. Er wendet den Blick ab.

»Ich hätte da vielleicht ’ne Idee«, sagt die Frau und senkt den Blick. Roy legt seine Hand auf die ihre.

»Erklären Sie mir Ihren Plan«, sagt er mit sanfter Stim-me.

Sie kommt mit einer kleinen schwarzen Tasche, die Roy ihr gegeben hat, aus der Bank. Er hat ihr erzählt, sie sei für seine Toilettensachen, für die Reise hierher. Sie hat ihm zugesehen, wie er die Zahnbürste, den Kamm und das Mundwasser herausnahm, und sie ist damit in die Bank gegangen.

Jetzt presst sie sie gegen ihre Brust wie ein Neugebore-nes. Ihr Blick huscht hin und her, während sie über den Parkplatz geht. Roy wartet neben ihrem Kombi. Vermut-lich, denkt Roy, wird dieses Modell nicht mehr hergestellt.

»Ich habe ein schlechtes Gewissen«, sagt sie, als sie auf ihn zukommt. »Das ist nicht genug.«

»Es ist mehr als genug«, erwidert Roy. »Mehr würde

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mir nur Ärger bringen. Das war eine tolle Idee, eine wun-derbare Idee, ich werde Ihnen das nie vergessen.«

»Wenn ich bloß mehr hätte«, sagt sie. »Aber mehr ist einfach nicht auf meinem Konto. Ich dachte, es wären fast siebentausend, doch letzten Monat hab ich ein bisschen Geld für die Reparatur vom Wagen abheben müssen, also sind’s nicht mehr viel mehr als sechstausend.«

»Das ist wunderbar«, sagt er. »Meine Frau wird nichts davon erfahren. Ich kann ihr erzählen, ich hab das Geld beim Pokern gewonnen …. Mein Gott, ich hab sowieso die Schnauze voll von der Heimlichtuerei. Ich hab mich gestern Abend von meiner Freundin getrennt, aber … Oje, ich komm mir vor wie ein Schuft …«

»Nein, nein«, sagt die Frau, »das sind Sie nicht. Wir ha-ben alle unsere Fehler.«

»Tja …« »Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr geben. Vielleicht

könnte ich Ihnen später noch ein bisschen Geld schicken.« Roy schüttelt den Kopf und hält der Frau die Wagentür

auf. Sie steigt ein. »Gott segne Sie«, sagt er. »So ist es am besten für uns alle. Lassen Sie sich den Gewinn auszahlen und kaufen Sie für das Geld ein paar Spielsachen für Ihre Racker.«

Sie hebt den Blick zu Roy, schaut in die Sonne. Blin-zelnd sagt sie: »Kann ich Sie wenigstens irgendwohin mitnehmen?«

»Nein«, sagt er. »Ich nehm mir ein Taxi. Ich brauch Zeit, um über die ganze Sache nachzudenken. Fahren Sie nach Hause.«

Die Frau schließt die Tür und fährt mit quietschenden Reifen los. Aus dem Auspuff quillt eine Rauchwolke. Der Wagen könnte ein paar weitere Reparaturen vertragen. Roy tritt zurück, winkt ihr nach, sieht, wie sie das Auto aus dem Parkplatz und auf die Straße lenkt.

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Roy spürt ein Prickeln in seiner Kehle. Er denkt an seine Tabletten. Beobachtet die Vögel.

Zwei Minuten später taucht Frankie mit seinem Wagen auf, die Musik voll aufgedreht, die Fenster heruntergekur-belt. Er ist glücklich, denkt Roy. Weil er bald wieder Geld ausgeben kann. »Mach leiser«, brüllt Roy.

»Was?« »Mach leiser, bevor ich in das verdammte Ding einstei-

ge.« Frankie dreht die Stereoanlage ein wenig leiser, und Roy

wirft die Tasche auf den Schoß seines Partners. Frankie macht sie auf und sieht die Hundert-Dollar-Scheine. »Bankfrisch«, sagt er und lässt die Finger darüber gleiten. »Toll. Wie viel?«

»Irgendwas zwischen sechs- und siebentausend. Sie hat’s mir nicht genau gesagt.« Roy nimmt auf dem Beifah-rersitz Platz, schließt die Tür, legt den Sicherheitsgurt an. »Gehen wir mal von sechstausendfünfhundert aus.«

»Geldgieriges kleines Miststück«, sagt Frankie und drückt das Gaspedal durch. Der Wagen fährt mit quiet-schenden Reifen vom Parkplatz herunter und hinaus auf die Straße. Frankies Lächeln ist verschwunden, die gute Laune dahin. Sechstausend Dollar reichen Frankie nicht. Roy hat das Gefühl, dass an einem Tag wie dem heutigen nicht einmal sechsundzwanzigtausend genug gewesen wären.

»Mehr war nicht auf ihrem Sparkonto«, sagt Roy. »Quatsch!« »Glaub mir, mehr Kohle hat sie nicht gehabt.« »Mag sein, aber sechstausend sind kein gutes Geschäft

für hunderttausend, oder? Sie ist günstig davongekom-men.«

»Die Hunderttausend existieren nicht.« »Sechstausend für hunderttausend, das ist ein verdammt

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schlechtes Verhältnis. Kann ich jetzt auf die Schnelle nicht ausrechnen, ist aber ein echt mieser Schnitt für uns.«

»Frankie«, wiederholt Roy ganz langsam, »die Hundert-tausend existieren nicht.«

»Stimmt, aber das weiß sie nicht. Geldgieriges kleines Miststück.«

Roy greift nach der Dose mit dem warmen Sodawasser, die in der Halterung des Wagens steckt. Das Aluminium ist heiß, die Flüssigkeit vermutlich abgestanden. Aber er kann gar nicht mehr aufhören zu trinken, weil er die Galle aus seinem Mund waschen muss. Vielleicht muss er gleich kotzen, hier in Frankies schmutzigem Wagen, doch er hofft, dass er es verhindern kann. Er leert die Dose, dann greift er nach der von Frankie und leert auch sie. Der bei-ßende Geschmack verschwindet. Jetzt ist alles wieder in Ordnung.

3

Diesmal lässt Dr. Klein ihn nicht warten. Roy geht den holzvertäfelten Flur entlang, ohne dass ihm jemand den Weg zeigen muss. Er nimmt jetzt seit einer Woche das neue Medikament, ist nicht geheilt, aber er fühlt sich bes-ser. Er braucht nur noch zwanzig Minuten, nicht mehr sechzig, wenn er das Haus verlassen will. Mehr erwartet er im Augenblick nicht.

»Spüren Sie irgendwelche Nebenwirkungen?«, fragt der Arzt.

Roy zuckt mit den Achseln. »Manchmal ist mein Mund ein bisschen trocken.«

»Das ist ganz normal. Trinken Sie mehr Wasser und Fruchtsaft, dann wird’s besser.«

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Roy nickt. Momentan trinkt er ohnehin kaum etwas an-deres als Sodawasser. »Doch ansonsten klappt’s wunder-bar. Ist anders als damals bei den Tabletten von Doc Man-cuso. Ich hab nicht mehr das Gefühl, so … langsam zu sein, wissen Sie? Verstehen Sie mich nicht falsch, das Anafranil war wirklich prima, aber …«

»Aber es hat Ihre Stimmung manchmal ein bisschen ge-dämpft, stimmt’s?«

»Ja.« »Anafranil gehört zu den älteren SSRI-Verbindungen«,

sagt Dr. Klein. »Das Medikament, das ich Ihnen gegeben habe, hat einen stärkeren Wirkstoff, der die Leistungsfä-higkeit nicht einschränkt …« Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, die Brille auf der Nasenspitze. »Aber Sie wollen mit mir sicher nicht über Chemie reden.«

»Nein, lieber nicht.« Roy lacht. »Gut, dann unterhalten wir uns.« »Unterhalten …« Roy spricht das Wort ganz langsam

aus. »Worüber?« »Über was Sie wollen. Gibt’s irgendwas, das Sie belastet?« »Zum Beispiel?« Dr. Klein legt Roys Akte weg und verschränkt die Hän-

de. »Irgendwas, das Sie loswerden, irgendjemandem er-zählen möchten. Dafür bin ich da.«

Einen Augenblick spielt Roy mit dem Gedanken, ihm von der Frau im Waschsalon zu erzählen, davon, wie er seinen Lebensunterhalt verdient. Am liebsten würde er reinen Tisch machen, von vorn anfangen. Er würde gern die Frau im Waschsalon beschreiben, ganz genau. Die billigen Ringe, den billigen Wagen, das billige Leben. Die gebleichten Haare, die schlechte Haut, den Blick ihrer Augen. Die sechstausend Dollar, die er ihr abgenommen hat, von denen jetzt dreitausend in dem Keramikpferd bei ihm zu Hause verstaut sind. Peanuts. Er würde ihm gern

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alle Tricks erklären, die er kennt oder gern kennen würde. Er würde Klein am liebsten alles verraten, was er weiß.

»Mir fällt gerade nichts ein«, sagt Roy. Der Teppich, fällt ihm auf, ist immer noch sehr dunkel.

Dr. Klein wartet. Roy zuckt mit den Achseln. »Tja …«, sagt der Arzt irgendwann. »Letztes Mal haben wir uns kurz über Ihre Exfrau unterhalten.«

»Ach?« »Na ja, hauptsächlich hab ich über sie geredet. Wenn ich

mich richtig erinnere, hat das Thema Sie nicht sonderlich interessiert, aber ich dachte, da Sie sich heute … ein biss-chen besser fühlen … tja, da dachte ich, wir könnten uns vielleicht ein wenig damit beschäftigen.«

»Na ja«, sagt Roy. »Eigentlich wollte ich bloß ein biss-chen über Sport oder so was reden, und dann könnten Sie mir einfach das Fläschchen mit den Tabletten geben.«

»Ja, könnten wir machen. Aber ich finde, das, was Sie wollen, unterscheidet sich gar nicht so sehr von meinen Plänen. Wir könnten uns von Kumpel zu Kumpel unter-halten, über die Mets, die Dodgers, die Cubs, über das Leben allgemein, wie läuft’s denn so, und wie geht’s der Exfrau …«

Roy kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dr. Klein geht die Sache ganz locker an. Fast fängt er an, den Typ zu mögen. »Sie wollen also was über Heather wissen?«, fragt Roy.

»Wenn Sie über sie reden wollen.« »Klar kann ich über sie reden, aber so interessant ist das

nicht.« »Langweilige Geschichten sind meine Spezialität«, sagt

Dr. Klein. »Okay«, sagt Roy. »Dann erzähle ich Ihnen eben von

Heather.«

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Sie war neunzehn, als sie sich kennen lernten, und sich ihres Körpers sehr bewusst. Beim Gehen bewegte sie sich wie eine Bauchtänzerin und bei der Liebe wie eine Turne-rin. Heather war die Gelenkigkeit und Flexibilität in Per-son, offen für alles, für Spaß, Aufregung und Gefahr. Wenn man sie brauchte, war sie nicht da, wenn man ohne sie auskam, schon. Heather hielt sich immer raus, ließ sich nie festnageln.

Aber Roy nagelte sie fest. Er war acht Monate zuvor aus der Armee ausgeschieden, die Entlassungspapiere noch in der Gesäßtasche. Immer wütend. In der Zeit prügelte er sich oft und trank eine Menge. Und hinterher vergaß er die meisten Prügeleien wieder. Der Club, den er an jenem Abend besuchte, war bekannt für seine Schlägereien. Roy war zum ersten Mal dort und würde nie wieder hingehen.

Sie tanzte inmitten einer Gruppe von Männern; ihre tail-lenlangen Haare wippten im Takt zur Musik. Ihr Hintern steckte in einer knallengen Lederhose, ihr kleiner, fester Busen zeichnete sich unter dem Top ab. Sie war der Mit-telpunkt, und sie wusste es, setzte sich in Szene. Später, als sie bereits ein Paar waren, fand Roy heraus, dass sie immer ihre Brustwarzen rieb, bis sie sich aufstellten, bevor sie auf die Tanzfläche ging. Ihre Nippel kündigten ihren Auftritt an. Tja, so war Heather.

Roy war an jenem Abend mit einem Kumpel unterwegs, einem Jungen aus seinem alten Viertel, der gerade von seiner Freundin verlassen worden war und ein bisschen Ablenkung brauchte. Aber mit dem Typ war einfach nichts anzufangen. Er weinte die ganze Zeit in sein Bier hinein und wollte wieder gehen. Doch Roy sah Heather an der Bar und bestellte ihr einen Drink. Sie gönnten sich einen Cocktail, unterhielten sich, lachten. Er legte seine Hand auf ihr Hinterteil, und sie schob sie nicht weg. Nach einer Weile kam ein anderer Mann, ein Mann, den sie

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kannte, an die Bar und zerrte sie auf die Tanzfläche. Roy machte das nichts aus. Roy konnte warten.

Er saß eine Stunde lang an der Bar, wartete geduldig darauf, dass die Leute gingen, die Musik aufhörte, Heather sich aus der Gruppe Männer löste und zu ihm zurückkehr-te. Aber da begann das nächste Lied, und sie tanzte weiter. Noch mehr Männer schlossen sich der Gruppe an. Mitt-lerweile waren es fünf. Sie umringten sie, drückten sich gegen sie, begrapschten sie. Nun spürte Roy jenen altver-trauten Druck im Kopf; sein Nacken wurde heiß, und sein Blick trübte sich. Es war genau das gleiche Gefühl, das er gehabt hatte … vor seiner Entlassung aus der Armee.

Er betrat die Tanzfläche, tippte einem der Männer auf die Schulter. »Darf ich?«, versuchte er, die Musik zu über-tönen, doch der Typ drehte sich nicht einmal um. »Darf ich?«, brüllte Roy noch einmal. Diesmal spürte er eine Hand auf seinem Gesicht, die ihn zurückschob.

Der Druck in seinem Kopf wurde stärker, als wollte et-was heraus. Er versuchte noch einmal, sich in den Kreis der Männer zu drängen, wurde aber wieder hinausge-drückt. In der Mitte sah er das Mädchen tanzen. Ihre Haa-re, ihre Brüste, ihre lachenden Lippen.

Als er noch einmal versuchte, zu ihr vorzudringen, wandte sich einer der Männer – nein, eigentlich eher ein Junge, ein schmaler, rothaariger Junge, nicht älter als Roy selbst – ihm zu und versetzte ihm einen heftigen Stoß ge-gen die Brust. »Verschwinde«, brüllte er, »sie gehört uns.«

Roy weiß immer noch nicht so genau, was damals pas-sierte, aber jedes Mal, wenn er die Geschichte erzählt, erinnert er sich an ein bisschen mehr. Das ist wie bei einer Collage, jedes Mal kommt ein neues Stück hinzu.

Er packte den Jungen am Handgelenk, zog es mit einem Ruck zurück, brach es. Der Knochen ragte aus der Haut heraus. Schreie übertönten die Musik. Der Druck in sei-

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nem Kopf nahm zu. Ein Arm, den er festhielt, eine Schul-ter unter seiner Hand. Roy ging auf ein Knie, drückte, zog und spürte ein Knacken. Ein feuchtes Knacken. Und wie-der schrie ein Mann. In der Armee war Roy in den Nah-kampfübungen immer der Beste gewesen.

Zwei Minuten später war Roy mit Heather allein auf der Tanzfläche, sein Blick wurde klarer, und er nahm den Club wieder wahr. Auf dem Boden krümmten sich fünf Männer vor Schmerz.

Heather hatte keine Ahnung, was passiert war, aber sie wusste, dass sie sich verliebt hatte.

Zwei Wochen später zogen sie zusammen, einen Monat später heirateten sie. Standesamtlich, das dauerte gerade mal fünf Minuten. Roy hatte keine Arbeit, und wenn er einen Job fand, wurde er meist schnell wieder gefeuert. Heather war das egal. Sie liebte den Sex mit ihm, und sie hatte gern eine eigene Wohnung. Sie lebten in einem Zimmer in einem heruntergekommenen Farmhaus, aber es war ihr Reich. Sie konnte laut sein und tragen, was sie wollte. Roy liebte alles an ihr. Sie war erst neunzehn.

Zwanzig, als sie schwanger wurde. Sie sagte es Roy erst, als sie bereits im zweiten Monat war, und da hatte sich ihre Liebe schon verabschiedet. In manchen Nächten kam Heather nicht nach Hause, und Roy fuhr mit dem Wagen herum, auf der Suche nach Mädchen, die wie Heather aus-sahen. Verprügelte die Männer, mit denen sie ausgingen, mit trübem Blick. Setzte sich in Kneipen. Roy schlug Hea-ther, als sie ihm von der Schwangerschaft erzählte. Schlug sie noch einmal, als sie ihm erklärte, sie habe versucht, sie zu verbergen. Er hatte noch nie eine Frau geschlagen und würde es auch nie wieder tun. Er schlug sie auf Schultern und Beine, ins Gesicht. Aber ihren Bauch rührte er nicht an, nicht einmal, als sein Blick sich trübte und der Druck in seinem Kopf fast unerträglich wurde. Sie hatte wochen-

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lang blaue Flecken und jammerte, doch dann verschwand sie.

Sie war im vierten Monat, als sie sich aus dem Staub machte. Allmählich war der kleine Bauch an ihrem anson-sten athletischen Körper zu sehen. Roy versuchte nicht, sie aufzuspüren. Er wusste, dass das keinen Sinn hatte. Sie war nicht wegen der Prügel gegangen und auch nicht we-gen des Babys. Sie hatte ihn verlassen, weil sie Heather war und er Roy, und Heather und Roy hätten sie eben nie sein sollen. Die Scheidungspapiere kamen einen Monat später mit der Post, und Roy unterzeichnete sie, ohne sie zu lesen. Als könnte seine Unterschrift die Erinnerung an Heather auslöschen. Er bewegte sich drei Wochen lang nicht aus dem Haus, und als er endlich vor die Tür trat, war die Luft rein. Es hatte geregnet, es war vorbei.

»Denken Sie noch an sie?«, fragt Dr. Klein, als Roy mit seiner Geschichte fertig ist.

»Nicht wirklich«, antwortet er. »Denken Sie manchmal, was hätte sein können?« »Was für einen Sinn hat das? Ich hab jede Menge zu tun,

da kann ich mich nicht die ganze Zeit mit der Vergangen-heit beschäftigen.«

Der Arzt kratzt sich am Kinn. »Und das Kind?« »Wenn’s überhaupt ein Kind gibt …« »Tja, wenn’s ein Kind gibt«, wiederholt Dr. Klein.

»Denken Sie daran?« Roy schweigt einen Augenblick. »Ja, manchmal. Aber

dabei geht’s nicht um Heather … sondern um einen Teil von mir selbst. Ich überlege, ob’s vielleicht irgendwo einen Roy junior gibt, ob er so aussieht wie ich. Solche Dinge.«

Dr. Klein nickt. »Er wäre jetzt wie alt … fünfzehn?« »Vierzehn, fünfzehn, ja.« »Ein junger Mann.«

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»Ja, ist wohl so.« Das Polster des Stuhls wird allmählich unbequem. Roy rutscht unruhig hin und her. »Warum fra-gen Sie mich das alles?«

»Wir unterhalten uns lediglich ein bisschen. Wenn Sie nicht mehr wollen, hören wir auf.«

»Tja«, sagt Roy nach einer Weile. »Ja?« »Keine Ahnung. Manchmal denke ich, es wäre gar nicht

so schlecht, wenn ich wüsste, ob’s ein Kind gibt. Ich würd’s gar nicht sehen wollen oder mich einmischen, aber es würde mich einfach interessieren. Ergibt das irgendei-nen Sinn?«

»Klar. Wissen Sie, Roy, es ist nie verkehrt, wenn ein Mann seine Exfrau anruft. Auch wenn die Beziehung pro-blematisch war wie bei Ihnen. Das passiert jeden Tag.«

Roy versucht, sich vorzustellen, wie er Heather anruft und sie den Hörer in die Hand nimmt. Da spürt er, wie die Galle in seiner Kehle hochsteigt. Er schüttelt den Kopf. »Nein, ich glaub, es ist besser so, wie’s ist. Ein Kind könnte ich nicht gebrauchen.«

»Man muss ja nicht alles gebrauchen können«, sagt Dr. Klein.

»Sie sind ein guter Typ, Doc.« Dr. Klein steht auf, geht um seinen Schreibtisch herum

und öffnet einen Aktenschrank. »Wir unterhalten uns nächstes Mal weiter darüber, wenn Sie wollen«, sagt er und holt ein Fläschchen von Roys Tabletten heraus. Wirft es Roy zu. Roy fängt es und steckt es in die Tasche. »Die reichen für einen Monat, aber ich möchte trotzdem, dass Sie jede Woche zu mir kommen. Machen Sie das?«

»Bloß zum Reden?« »Ja, wie heute.« »Klar«, sagt Roy. »Klar komme ich.«

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Drei Wochen beobachtet Roy Frankie bei den Vorberei-tungen für die Nummer mit dem spanischen Häftling, die sie in drei verschiedenen Orten durchziehen wollen. Das Opfer ist irgendein Typ auf einer Fachmesse für Reini-gungen, der dreitausend Dollar investieren will, damit Frankies kleine Schwester das Familienvermögen von Rumänien nach Amerika bringt. Der Witz hat einen sehr, sehr langen Bart, aber bei solchen Messen funktioniert der Trick immer noch bestens.

Roy ist an der Sache nicht beteiligt; er hat Frankie nur geholfen, den Mann an den Haken zu kriegen; jetzt hält er sich raus. Er muss sich ausruhen. Die letzten Wochen sind ausgesprochen produktiv gewesen, vielleicht die produk-tivsten des ganzen Jahres. Sie haben keine großen Sachen gemacht, nur kleine, schnelle Dinger. Er hat wieder Ener-gie, und die spürt er. Gestern hat er eine alte Hose anpro-biert, und sie hat ihm fast wieder gepasst, am Bund nicht eingeschnitten.

Frankie ist auch gut in Form; er springt ein, wo er sich früher zurückgezogen hätte. Ist besser geworden unter Roys Anleitung. Das freut Roy. Ist ein guter Partner, die-ser Frankie. Wird jeden Tag besser.

Als alles vorbei ist und Frankie mit den drei Riesen wie-der im Auto sitzt, beschließen die beiden, sich einen schö-nen Tag zu machen, sich Hamburger aus einem Drive-in zu holen, weil ihr Diner zu weit weg ist. Roy schluckt eine Tablette zum Essen, Hamburger in der einen, Getränk in der anderen Hand, die Knie gegen das Lenkrad gepresst.

»Nimmst du die Dinger immer noch?«, fragt Frankie. »Ja, jeden Tag.« Frankie nickt und nimmt einen Schluck von seinem Ge-

tränk. »Prima. Ich hab dir ja gesagt, dass der Doc was taugt.«

»Stimmt.«

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»Das sagst du jetzt …« »Was?«, fragt Roy. »Was soll denn das heißen?« »Das heißt, dass du zwar meinen medizinischen Ratsch-

lägen vertraust, nicht aber meinen Tipps für ’ne heiße Sa-che.«

»Keine Ahnung, was du meinst.« »Saif«, sagt Frankie. »Ich rede von Saif.« »Dem Araber.« »Dem Türken oder Afghanen oder was auch immer. Ja,

von dem. Ich versuch jetzt schon seit Monaten, ein Treffen mit ihm zu arrangieren. Ich hab dir so und so oft gesagt, der Mann ist gut, er will mit uns ins Geschäft kommen, aber jedes Mal, wenn ich das Thema anschneide, hörst du weg.«

»Tu ich nicht.« »Tust du doch.« »Ich habe nicht den Eindruck, dass wir mit dem Mann

ins Geschäft kommen müssen.« »Ich schon. Vertrau mir dieses eine Mal, ja? Ich brauch

das Geld. Diese Typen sitzen mir im Nacken.« »Ja, das hast du mir schon gesagt.« Frankie isst den letzten Bissen seines Hamburgers.

Diesmal lässt er nicht locker. »Mit der Sache können wir richtig viel Geld machen, und ich bitte dich auch nur um ein einziges Treffen.«

Roy begreift nicht, warum Frankie sich so aufregt, aber es ist ihm letztlich egal. Frankie hat seine Macken, doch er ist seit Jahren ein guter Partner. Und im Augenblick ist er besser als jemals zuvor. Solche Auseinandersetzungen helfen niemandem. Also beschließt Roy, Zugeständnisse zu machen. »Ein Treffen«, sagt er. »Du vereinbarst Zeit und Ort. Und wenn der Kerl mir nicht gefällt …«

»Dann war’s das. Kein Problem, einverstanden.« »Mir brauchen bloß seine verdammten Haare nicht zu

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gefallen …« »Und schon sagen wir tschüss, ja«, führt Frankie den

Satz hastig zu Ende. Er ist aufgeregt. Wie ein kleiner Jun-ge, der gerade die Zusage für seinen ersten Job gekriegt hat, denkt Roy. »Ist voll und ganz deine Entscheidung, Roy.«

»Das will ich hoffen.« »Du wirst’s nicht bereuen. Wir schwimmen schon bald

in Geld, das verspreche ich dir.«

Roy ist kaum durch die Tür, als das Telefon klingelt. Er verschließt die Tür, unterdrückt den Drang, sie wieder zu öffnen und von neuem zu verschließen, und macht sich auf den Weg in die Küche. Der Teppich sieht gut aus. Es hilft, wenn er ihn nicht ansieht. Es hilft, wenn er sich vorstellt, dass er gut aussieht, und nicht weiterdenkt.

»Ja?«, sagt Roy in den Hörer. »Roy?« »Ja?« Er ist argwöhnisch, weil er die Stimme nicht

kennt. »Ich bin’s, Dr. Klein.« Roy entspannt sich. »Hallo, Doc. Wollen Sie unseren

Termin verschieben?« »Nein, nein.« Der Arzt klingt aufgeregt. Aufgeregt und

nervös. Roy zieht einen Stuhl unter der Frühstückstheke hervor und setzt sich darauf. »Ich habe Neuigkeiten.«

»Über Heather?« »Ja und nein. Ja.« In den letzten Sitzungen hat Roy sich ein wenig geöffnet

und von Heather und seiner Beziehung mit ihr erzählt. Von den wenigen guten und den vielen schlechten Zeiten. Und Dr. Klein hat ihn ins Grübeln gebracht. Hauptsächlich über sie, aber auch ein bisschen über das Kind. Über die Möglichkeit eines Kindes. Und obwohl Roy gern Bescheid

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gewusst hätte, hat er sich nicht überwinden können, anzu-rufen und mit ihr zu reden. Jedes Mal wenn er darüber nachdachte, im Kopf das Gespräch mit ihr durchging, spürte er die Galle hochsteigen, spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte. Einmal musste er sogar in die Toilette des Arztes laufen, wo er dann würgend über der Kloschüs-sel hing.

Doch der Arzt sagte, er würde den Anruf für ihn erledi-gen. Das sei zwar ungewöhnlich, aber er würde es ma-chen. Die Lage sondieren, herauszufinden versuchen, ob sie mit ihm reden wollte. Wenn ja, wäre das der erste Schritt. Vielleicht würden Roy dann auch die richtigen Worte einfallen. Ein Versuch konnte ja nicht schaden.

»Ich hab sie aufgespürt«, sagt Dr. Klein. »Wo?«, fragt Roy, und dann, wenig später: »Nein, sagen

Sie’s mir nicht. Erzählen Sie weiter.« »Ich hab sie gefunden und sie angerufen, und wir haben

uns … nett unterhalten.« Roy schluckt, spürt noch keine Galle. »Will sie mit mir

reden?« Ein tiefer Seufzer am anderen Ende der Leitung. »Nein«,

sagt Dr. Klein schließlich. »Verstehe.« »Sie hat nicht begriffen, dass Ihnen das bei Ihrer Thera-

pie helfen könnte.« »Sie haben ihr gesagt, dass ich in Therapie bin?« »Ich hab ihr gesagt, dass ich Psychiater bin, ja. Ich darf

sie nicht anlügen, Roy.« Roy sinkt tiefer in seinen Stuhl. »Dann will sie mich al-

so nicht sehen.« »Nein. Aber ich habe auch gute Nachrichten, Roy. Sehr

gute Nachrichten.« Roy lacht bitter. »Sie hat Krebs?« Der Arzt schweigt einen Augenblick. »War das so was

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wie ein Wunsch, Roy?«, fragt er schließlich. »Sie sind zornig. Darüber sollten wir reden …«

»Das war ein Scherz, Doc. Also, raus mit der Sprache: Was ist die gute Nachricht?«

Dr. Klein wartet ein wenig, um die Spannung zu erhö-hen. Roy hält den Atem an. »Sie haben ein Kind.«

Roy atmet aus. Er hat’s gewusst, in dem Moment, als er den Hörer von der Gabel nahm. Deshalb hat Dr. Klein ihn zu Hause angerufen. Alle Neuigkeiten über Heather hätten bis zur nächsten Sitzung warten können. Aber ein Kind … »Wie heißt er?«, fragt Roy.

»Angela.« »Er ist … ein Mädchen?« »Wär ein komischer Name für einen Jungen, oder? Ja,

Roy. Sie haben eine vierzehnjährige Tochter. Sie heißt Angela.«

»Du lieber Himmel. Angela, sagen Sie? Hübscher Na-me.«

»Und sie will sich mit Ihnen treffen.« Roy atmet tief durch, hält die Luft an. Das hat er nicht

erwartet. Der Arzt sollte mit Heather sprechen, nicht mehr und nicht weniger. Ein Treffen sollte erst irgendwann in der Zukunft stattfinden, darauf hatten sie sich geeinigt. Aber ein Kind? Eine Tochter.

»Wann?«, fragt er. »Sobald wir uns auf Ort und Zeit einigen können. Sie

geht in die Schule, doch es gibt ja auch noch die Wochen-enden und die Abende.«

»Können Sie das arrangieren?«, fragt Roy. »Ja, aber eigentlich sollten Sie selbst …« »Dann machen Sie’s«, sagt Roy. »Arrangieren Sie’s,

und ich treff mich mit ihr.«

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Es gibt einen Park mit Schaukeln, Bänken und sogar einer kleinen Burg auf einem Hügel ungefähr zwei Meilen von Roys Haus entfernt. Es ist ein hübscher Park, ein guter Ort für ein Rendezvous. Diesen Ort hat Dr. Klein für das Tref-fen mit Angela ausgewählt. Dorthin wird er sie bringen.

Sie kommt mit dem Zug, das weiß Roy, aber er wollte sie nicht abholen, obwohl der Doc ihm das angeboten hat. Irgendwie hatte Roy bei dem Gedanken daran ein merk-würdiges Gefühl. An einem Bahnhof sind zu viele Men-schen, man hat nicht genug Bewegungsfreiheit, keinen Raum, sich zu verkrümeln. Ihm ist das Treffen im Park lieber. Hier ist alles offen, und es gibt Büsche, hinter die er sich verziehen kann, wenn ihm übel wird.

Roy kommt ein bisschen zu früh in den Park. Er hat Frankie nichts von dem Treffen erzählt, obwohl er kein gutes Gefühl dabei hat. Vielleicht, denkt Roy, wenn ich meine Tochter Angela erst kenne, kann ich meinem Part-ner erzählen, dass ich ein Kind habe. Bis dahin glaubt Frankie, er hätte bloß einen ganz normalen Termin beim Psychiater. Das versteht er. Frankies Mom war eine wun-derbare Lady, die ihnen das Essen reinstopfte, bis sie fast platzten, und nie ein schlechtes Wort über irgendjemanden sagte. Dann, vor fünf Jahren, hat sie plötzlich angefangen, Dinge zu sehen, die Wände anzuschreien. Roy anzuschrei-en, wenn er zu Besuch kam, ihn zu verfluchen und zu be-schimpfen. Deshalb versteht Frankie die Sache mit dem Psychiater und den Tabletten. Dass Roy eine Tochter hat, würde er aber möglicherweise nicht verstehen. Deshalb erzählt Roy ihm noch nichts davon.

Roy wischt mit einem Taschentuch die Vogelscheiße von einer Bank und setzt sich darauf. Er hat eigens einen seiner besten Anzüge angezogen, einen schwarzen, und dazu eine gelbe Krawatte. Das Hemd sitzt locker, bauscht sich um seine Taille, wo bis vor kurzem noch ein Bauch

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war. Auch der Kragen ist locker. Normalerweise schneidet er in seinen Hals. Heute sind mehr als zwei Zentimeter Luft. Roy weiß, dass er ein paar neue Hemden braucht, aber ihm gefällt das Gefühl, dass die alten Hemden ihm so viel Raum lassen.

Familien sind im Park unterwegs. Kinder laufen lachend und schreiend von ihren Vätern weg. Roy fragt sich, ob er etwas verpasst hat. Er hat nicht das Gefühl, dass das so ist, aber er weiß, dass es so sein sollte. Vielleicht wird er mit Angela Fangen spielen müssen, sobald sie da ist. Was, wenn sie ihn bittet, sie huckepack zu tragen? Roy hat kei-ne Ahnung, was er tun wird.

Während er wartet, beobachtet Roy die anderen Leute im Park: ein paar Singles wie er, die spazieren gehen, jog-gen oder Vögel beobachten. Für jeden fällt ihm sofort der richtige Trick ein. Er kann nicht anders. Die Frau drüben beim Ententeich wäre das perfekte Opfer für die Nummer mit der verdeckten Botschaft, der junge Mann unter dem Baum für den spanischen Häftling. Bei jedem von ihnen würde die Zwanziger-Nummer funktionieren. Und Dr. Klein, denkt Roy, würde vermutlich auf fast alle Tricks hereinfallen, die er auf Lager hat. Psychiater tun analy-tisch, aber sie lassen sich am leichtesten hereinlegen. Roy fragt sich, was für ein Typ Angela sein wird. Würde sie auf eine langfristig angelegte oder eher auf eine kurze Nummer hereinfallen? Könnte sie den Mund halten, oder würde sie ihn verraten? Solange er das alles nicht weiß, wird er sie nicht verstehen. Und wenn er es weiß, braucht er sie nicht mehr zu verstehen. Er fühlt sich heute gut.

Eine Limousine fährt auf den etwa fünfzehn Meter ent-fernten Parkplatz, und Roy weiß, ohne hinzusehen, dass das Dr. Kleins Wagen ist. Ein Mann in seiner Position würde so ein Auto fahren. Nichts zu Auffälliges, sondern etwas Bequemes. Etwas Angemessenes.

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Dr. Klein steigt aus dem Wagen, sieht Roy und winkt ihm zu. Roy winkt zurück. Die Fenster des Autos sind getönt, doch Roy erhascht einen Blick auf Haare, Heathers Haare, lange, dichte Haare. Einen Augenblick glaubt Roy, Dr. Klein habe seine Exfrau mitgebracht, und plötzlich springt er von der Bank hoch, sieht sich nach einem Baum, einem Busch um, als er die Galle in seiner Kehle spürt …

Ein Mädchen. Nicht Heather, nur ein Mädchen. Sie steigt aus dem Wagen, die langen rotbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie ist kleiner als Heather, hat eine bessere Haltung, zarte Gesichtszüge, eine Stupsnase, selbstbewusst hoch gezogene Augenbrau-en. Sie ist schlank, hat für ihre Größe lange Beine und schon mehr als eine Ahnung von einem Busen. Roy denkt, wie hübsch sie sein wird, wenn sie erwachsen ist, genau der Typ Frau, den er mag. Er schließt die Augen, ver-drängt den Gedanken. Sie ist seine Tochter.

Als er die Augen wieder öffnet, kommen sie bereits auf ihn zu. Angela geht neben Dr. Klein, nicht besonders auf-geregt. Als sie Roy sieht, lächelt sie; ihre Mundwinkel heben sich, Grübchen graben sich in ihre Wangen. Roy versucht, etwas von sich selbst in ihr zu entdecken. Die Ohren vielleicht. Oder die Lippen. Er ist sich nicht sicher, weil er sein eigenes Gesicht nicht so gut kennt.

»Der Verkehr«, sagt Dr. Klein mit einem Blick auf seine Uhr, »wir sind am Bahnhof in einen Stau gekommen …«

»Macht nichts«, sagt Roy. »Sie warten hoffentlich noch nicht lange?« »Nein, nein, kein Problem.« Dr. Klein tritt einen Schritt zurück, legt eine Hand auf

Angelas Schulter. »Wir haben uns auf dem Weg hierher blendend unterhalten«, sagt er. »Roy, das ist Angela.«

Das Mädchen streckt ihm die Hand hin, und Roy ergreift und schüttelt sie. Ihre Hand ist klein in der seinen, und er

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fragt sich, ob sie früher noch kleiner gewesen ist. Wie sich das angefühlt hätte.

»Schön, dich zu sehen«, sagt Angela mit hoher Stimme. Sie klingt keck. Roy hat sie sich so vorgestellt. Heather hat damals genauso gesprochen.

»Ja, ja, freut mich auch. Du klingst … ein bisschen wie deine Ma.«

»Tatsächlich?«, meint Angela. »Alle sagen, ich klinge wie Lisa McPherson.«

»Keine Ahnung«, sagt Roy. »Wer ist denn das?« »Die ist früher in meine Schule gegangen. Jetzt spricht

sie die Nachrichten in Channel Nine.« »Und du klingst wie sie?« »Sagen jedenfalls die Leute.« Dr. Klein tritt zwischen sie. »Ich habe um drei Uhr einen

Termin in der Praxis. Tut mir Leid, aber ich muss jetzt gehen …«

»Kein Problem«, sagt Roy. »Wir haben das im Griff.« Dr. Klein lächelt und klopft Roy auf den Rücken. Roy

lässt sich von kaum jemandem auf den Rücken klopfen. Jedenfalls nicht mehr als ein Mal. Aber Roy sagt nichts. Schließlich hat Dr. Klein es nicht böse gemeint. »Ihr Zug nach Hause fährt um acht Uhr. Wenn ich sie …«

»Ich bring sie zum Bahnhof«, sagt Roy. »Ich meine, wenn dir das recht ist …«

»Klar«, antwortet Angela. »Ist wunderbar.« Dr. Klein drückt zuerst Roys und dann Angelas Hand.

Dann winkt er und geht weg, zurück zum Wagen, und fährt los. Roy beobachtet, wie er ihn aus dem Parkplatz lenkt, wie er verschwindet. Es ist leichter, dem Doc nach-zuschauen, als ein Gespräch zu beginnen.

»So«, sagt Angela, »du bist also mein Dad.« »Tja, scheint so«, meint Roy. »Das hat Doc Klein zu-

mindest herausgefunden.«

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»Cool. Weißt du, bis jetzt hab ich gedacht, ich hätte kei-nen.«

»Dann hat deine Mom dir also nichts von mir erzählt?« Angela schüttelt den Kopf. »Sie hat mir gesagt, du bist

tot.« Roy schluckt. »Verstehe.« »Ich meine, natürlich hab ich Fotos von dir gesehen und

so, aber ich hab nicht gewusst … Ich hab mir nicht zu vie-le Gedanken darüber gemacht.« Sie sieht Roy an, der Schwierigkeiten hat, ihren Blick zu erwidern. »Hey, wie wär’s, setzen wir uns auf die Schaukel?«

Roy passt nicht so richtig auf die Schaukel, aber er hält sich an der Kette fest, so gut es geht, und stößt sich ab. Angela fliegt bereits durch die Luft. »Der Doc ist nicht übel.«

»Doc Klein?«, fragt Roy. »Ja, der ist in Ordnung.« »Wir haben uns auf der Fahrt unterhalten.« »Über was?«, fragt Roy. »Über alles Mögliche. Über seine Frau.« »Er hat ’ne Frau?«, fragt Roy. »Ja. Hast du das nicht gewusst?« Roy zuckt mit den Achseln. »Wir reden die meiste Zeit

über mich, wenn ich bei ihm bin. Wie heißt sie denn?« »Seine Frau? Lily«, sagt Angela. »Er hat mir ein Bild

von ihr gezeigt. Sie ist hübsch. Und wir haben darüber geredet, wie alles so läuft, wie meine Mom ist, was sie zu mir sagt, was sie macht. Anschließend hab ich ihn über dich ausgefragt.«

»Und was hat er dir über mich erzählt?« Angela schwingt noch höher. »Dass du ganz allein bist

und mich unbedingt sehen willst. Dass ich dich nicht ver-schrecken soll, solche Sachen.«

»Mich verschrecken?« »Keine Ahnung, was er meint. Ich find ihn nett, aber ich

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hab nicht gesagt, dass er clever ist.« Sie wird langsamer und schwingt jetzt auf gleicher Höhe mit Roy. »Du hast zugenommen«, sagt sie plötzlich.

»Ja?« »Ja. Auf den Fotos warst du noch schlanker.« Roy zuckt mit den Achseln. »Das ist das Alter. Da wird

man dicker.« »Manche Leute werden im Alter dünner, sind nur noch

Haut und Knochen und ganz faltig. Solche kleinen alten Männer seh ich oft auf der Straße.«

»Solche kleinen alten Männer, soso.« »Ist nicht so tragisch, dass du ein bisschen mehr Fett auf

den Knochen hast«, sagt sie und lässt die Füße über den Boden schleifen. »Ich finde, du siehst gut aus. Soweit ich das beurteilen kann, ist es gesundes Fett. Schaut aus, als hättest du früher mal Football gespielt. Du kommst gar nicht außer Atem.«

»Dann hat deine Mom also Fotos von mir im Haus?« »Ja, könnte man so sagen. Hab sie bei den alten Sachen

im Schrank gefunden, als ich nach Schuhen gesucht hab. Tja, und dann hat sie mir sagen müssen, wer du bist.«

»Im Schrank …« »Wenigstens hat sie dein Gesicht nicht rausgeschnitten«,

sagt Angela. »Die Mom von meiner Freundin Margaret hat sich scheiden lassen und auf allen Fotos das Gesicht von ihrem Mann rausgeschnitten. Auf den Bildern waren nur noch Margaret, ihre Mom und irgend so ein Typ neben ihnen, aber da, wo eigentlich sein Gesicht hätte sein sol-len, war ein Loch. Krass, als ob Freddy Krueger sie er-wischt hätte.«

»Freddy wer?« Angela springt lachend von der Schaukel. Ihr Pferde-

schwanz wippt an Roys Nase vorbei; die Haare kitzeln seine Stirn. Sie bückt sich ein wenig, die Beine gespreizt,

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die Hände auf den Knien, und sieht Roy an. Ihre Augen sind leuchtend blau, ganz ähnlich wie die seinen, die er am Morgen im Spiegel gesehen hat. Vielleicht hat sie die Au-gen von ihm.

»Hast du ein Auto?«, fragt sie. »Ja.« »Dann lass uns ’nen Ausflug machen.«

Die Kellnerin im Diner ist nicht überrascht, Roy zu sehen, aber sie hätte Frankie in seiner Gesellschaft erwartet. Er-staunt ist sie über das Mädchen. Sie spielt mit dem Ge-danken, die Polizei zu rufen, und entscheidet sich schließ-lich dagegen. Vielleicht hat er eine Nichte oder so. Viel-leicht tut er der Kleinen einen Gefallen.

»Ist unser Tisch frei, Sandi?«, fragt Roy, und die Kellne-rin breitet die Arme aus.

»Ist alles frei. Sie haben die Wahl.« Sie entscheiden sich für eine Nische in einer Ecke und

setzen sich. Roy möchte nicht zu nahe bei anderen Gästen sitzen. Vielleicht hat ihn schon mal jemand bei einer Nummer beobachtet. Er und Frankie ziehen ihre Show normalerweise nicht hier ab, aber manchmal, wenn sie sich langweilen … Wie bei dem Kartentrick mit den Col-lege-Kids.

»Was kannst du empfehlen?«, fragt Angela. »Alles. Ich nehm meistens den Truthahn.« »Auf Roggenbrot?« »Ja.« Angela strahlt. »Das mag ich auch am liebsten.« »Ehrlich, kein Scheiß?«, sagt Roy und beißt sich auf die

Zunge. Sie lacht. Es ist eher ein Kichern, aber fast schon ein La-

chen. »Ich bin vierzehn«, erklärt sie ihm. »Ich kenn das Wort ›Scheiß‹.«

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»Trotzdem solltest du’s nicht verwenden.« »Klar, aber manchmal gibt’s keinen anderen Ausdruck

dafür.« Roy schlägt die Speisekarte auf und starrt den Text an,

den er sicher schon tausend Mal gelesen hat. »Egal, du solltest es nicht verwenden.« Er will dem Mädchen keinen Vortrag halten, ihr keine Vorschriften machen. Schließlich hat er sie gerade erst kennen gelernt. Und schließlich war es seine Schuld, dass er das Wort benutzt hat. »Vergiss es«, sagt er.

Angela zuckt mit den Achseln. »Wenn du meinst.« Sie wirft einen Blick in die Speisekarte, lässt den Finger über die Kante gleiten. Roy kann es sich nicht verkneifen, sie dabei zu beobachten. Ihre Zungenspitze schaut ein wenig aus ihrem Mund hervor, während sie nachdenkt. Genau wie damals bei Heather. Roy lächelt.

Das Mädchen hebt den Blick und erwischt ihn dabei, wie er sie beobachtet. Sie lächelt zurück. »Weißt du schon, was du nimmst?«, fragt sie.

»Den Truthahn auf Roggenbrot.« »Ich auch.« Sandi nimmt ihre Bestellung auf, bringt ihnen die Ge-

tränke, für beide ein Sodawasser. Sie sitzen schweigend da. Roy hält den Blick die meiste Zeit abgewandt, sieht Angela aber immer wieder verstohlen an, versucht, mehr Ähnlichkeiten zu finden. Die Schultern vielleicht oder das Kinn.

»Was machst du denn so in deiner Freizeit?« »Meistens rumhängen«, sagt sie. »Mit Freunden. Ins Ki-

no gehen und zum Einkaufen. Videospiele spielen.« Roy nickt, als täte er die gleichen Dinge. »Das macht

Spaß, ja.« »Ja, ist okay.« Wieder Schweigen. Roy räuspert sich, will etwas sagen,

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doch Angela kommt ihm zuvor. »Weißt du, wir brauchen auch nichts reden, bis der komische Teil vorbei ist, wenn du das möchtest.«

Roy ist ihr dankbar. Er nickt kichernd. Angela lehnt sich zurück und sieht sich in dem Diner um. Dann nimmt sie die Klammern aus ihrem Haar und arrangiert ihren Pferde-schwanz neu.

Das Essen wird schnell serviert. Roy stochert darin her-um, beißt nur kleine Happen von seinem Truthahn ab. Angela hingegen macht sich mit Heißhunger über ihre Portion her.

»Wenn du so schnell isst, kriegst du Magenweh«, warnt Roy sie.

»Nee. Ich hab mal ’ne ganze Pizza von Pizza-Hut geges-sen, nicht eine von den kleinen für eine Person, sondern ’ne große mit acht Stücken. Ich kann alles essen … na ja, fast alles. Hat Mom jemals das Hühnchen-Pilz-Gericht mit der dicken Sauce für dich gemacht?«

»Weiß ich nicht mehr.« »Wenn, würdest du dich dran erinnern. Darauf kriegst

du Magenweh.« Roy grinst. »Deine Mom und ich, wir haben nicht oft zu

Hause gegessen. Meistens sind wir ausgegangen in ir-gendwelche Lokale wie das hier. Oder in Clubs. Da gab’s immer bloß Oliven auf die Schnelle.«

»In die Clubs komm ich noch nicht rein. Es gibt einen für Teenies unter achtzehn, der ist langweilig. Am Mitt-wochabend gehen Leute über einundzwanzig hin, aber die kontrollieren das Alter. Wir hatten ’nen Typ an der Schu-le, der hat die Fotos am Computer bearbeitet. Irgendwann haben sie dann Robyn Markson erwischt, und jetzt darf sie erst Auto fahren, wenn sie dreißig ist oder so.«

Roy weiß nicht, was er sagen soll. »Am nächsten Tag musst du doch in die Schule.«

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Angela verdreht die Augen. »Ich hab ja auch gar nicht gesagt, dass ich hingehe, nur, dass sie das Alter kontrollie-ren.«

»Ach so.« »Mom ist das egal, ob ich am nächsten Tag Schule hab

oder nicht.« »Ja? In welcher Klasse bist du?« »In der neunten.« »Und, läuft’s gut?« »Ja, ganz ordentlich. Ich bin gut in Datenverarbeitung

und Sozialkunde.« »Ja? Was ist denn das? So was Ähnliches wie Erdkun-

de?« »Plus Geschichte und Politik. Mrs. Capistrano, das ist

unsere Lehrerin, die ist cool, die lässt mich während den anderen Kursen in ihr Zimmer.« Angelas Teller ist fast leer, jetzt macht sie sich mit ungebremstem Appetit über die Garnierung her.

»Sind die anderen Kurse nicht auch wichtig?« »Klar, aber …« »Hör zu«, sagt Roy. »Die sind wichtig. Du musst alle

besuchen.« Angela lehnt sich mit einem süffisanten Grinsen zurück.

Roy kennt dieses Grinsen. Es ist sein Grinsen. »Die Schu-le ist also wichtig, stimmt’s? Bist du gern hingegangen?«

»Nein.« »Du hast die Schule also nicht gemocht?« »Nein, ich bin nach der zweiten Klasse nicht mehr hin-

gegangen.« Angela denkt nach. »Hm. Bist du deshalb kriminell ge-

worden?« Roy blinzelt. Warum hat sie das gesagt? Warum ver-

wendet sie dieses Wort? »Hat deine Mom dir das erzählt?« Angela widmet sich wieder dem Salat. Zwischen zwei

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Bissen sagt sie: »Ich bin selber draufgekommen.« »Tja, dann täuschst du dich.« »Worauf hast du dich denn spezialisiert?«, fragt sie, oh-

ne auf seinen Einwand zu achten. »Du siehst nicht wie ein Bankräuber aus …«

»Bist du fertig mit essen?« »… oder wie ein Mörder. Nein, du bist kein Mörder.

Das würde ich sehen. Ich bin mal mit der Klasse ins Be-zirksgefängnis gefahren. Angeblich wollten die, dass wir was übers Strafsystem lernen, aber ich weiß, dass die uns bloß einen Schrecken einjagen wollten. Egal, als wir dort waren, haben sie einen Häftling gefesselt in seine Zelle zurückgebracht. Die Wärter haben ihn direkt an mir vor-beigeführt, und ich hab ihm in die Augen geschaut. Er hat mich auch angesehen, und da hab ich gewusst, dass er jemanden umgebracht hat. So schauen Mörderaugen aus. Und du hast keine Mörderaugen.«

Roy ist entsetzt darüber, welche Wendung das Gespräch genommen hat. »Bist du fertig?«

»Ich weiß immer noch nicht, worauf du dich speziali-siert hast.«

»Ich bin kein …« »Ist nicht tragisch, weißt du? Jeder stellt irgendwann im

Leben mal was Schlimmes an. Jeder. Und wenn du das zum Beruf machst, tja, dann passiert es eben öfter als ein-mal.«

»Ich bin kein Krimineller«, sagt Roy. »Ich bin Antiqui-tätenhändler.«

»Nein, bist du nicht.« »Doch. Ich handle mit Antiquitäten. Ich kaufe und ver-

kaufe sie, aus, basta, Amen.« »Ach«, sagt Angela und senkt die Stimme ein wenig.

»Aber als du noch mit Mom zusammen warst, hast du da …«

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»Damals war ich ein dummer Junge und habe viele dumme Dinge getan, die ich jetzt alle bedauere. Aber das ist fünfzehn Jahre her.«

»Klar.« Sie ist mit den Gedanken woanders, schaut über seine Schulter, auf ihre Hände. »Aus und vorbei.«

Roy widmet sich wieder seinem Essen. Angela schweigt. Roy fragt sich, ob er etwas Falsches gesagt, ob er alles verdorben hat. Hoffentlich nicht. Es war schön, so mit ihr zu essen, nicht über irgendwelche Tricks nachzu-denken, nur zu reden. Es war wie mit Dr. Klein, nur ver-trauter. Als würde er sich mit sich selbst unterhalten. Beim Mittagessen. Auf merkwürdige Weise war ihm das ange-nehm.

»Gibt’s hier in der Nähe eine Dairy Queen?«, fragt An-gela, und dabei leuchten ihre blauen Augen im Neonlicht des Diner auf. Roy nickt, und seine Tochter lächelt und klatscht begeistert in die Hände. Er hofft, dass alles verge-ben und vergessen ist.

Roy macht vor dem Bahnhof die Wagentür für Angela auf und hilft ihr heraus. Durch die Drehtür bewegt sich ein unablässiger Strom von Reisenden.

»Hast du alles?«, fragt er. »Deine Handtasche, deinen Schulranzen …«

»Ja.« Roy holt seinen Geldclip aus der Hosentasche, zieht ei-

nen Hundert-Dollar-Schein heraus, reicht ihn dem Mäd-chen. Sie bekommt große Augen. »Damit du dir im Zug was zu essen kaufen kannst.«

»Du lieber Himmel.« Sie lacht. »Gibt’s im Zug Kaviar?« Roy muss ebenfalls lachen. »Nein, ich hab bloß gedacht

… Du brauchst doch Geld, oder? Für was zu trinken oder so.«

»Hundert Dollar für ’ne Cola? Du gehst aber nicht viel

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aus.« Roy grinst, und Angela nickt in Richtung Bahnhof. »Kommst du mit rein? Ich hab noch ungefähr ’ne halbe Stunde, bevor der Zug abfährt. Eigentlich wollte ich ein bisschen lernen, aber wenn du dich mit mir unterhalten willst, können wir …«

»Nein«, sagt Roy. »Nein, geh du nur rein und lerne.« »Bist du sicher?« »Ja, ich muss …« In einer Stunde ist er mit Frankie am

Hafen verabredet, aber das wird er Angela nicht sagen. Merkwürdig: Eigentlich würde er das gern. »Ich muss mich mit ’nem Kunden zum Essen treffen.«

»Mit einem Interessenten für Antiquitäten.« »Ja.« »Soso.« Sie faltet den Hundert-Dollar-Schein und steckt

ihn in die Tasche, die andere Hand in die Hüfte gestemmt. Dann packt sie ihren Schulranzen und schultert ihn. Sie holt einen Stift und einen Block mit Katzen darauf heraus, kritzelt etwas darauf.

»Das ist meine Handynummer«, sagt sie und reicht Roy den Zettel. »Mom hat mir das Ding letztes Jahr geschenkt, nach ’nem Telefoniermarathon mit Becky. Wir haben sechzehn Stunden ohne Unterbrechung geredet. Becky hat zur Strafe einen Monat lang nicht mehr telefonieren dür-fen, aber ich hab mein eigenes Handy gekriegt. Cool, was?«

»Ja, ziemlich cool.« »Egal«, sagt sie, »wenn du die Nummer wählst, bin ich

dran. Dann brauchst du dir keine Sorgen machen, dass sich meine Mom meldet.«

»Darüber mache ich mir keine Sorgen. Ich möchte dich sogar bitten, ihr einen schönen Gruß von mir auszurichten, okay?«

»Viel wird das nicht nützen.« »Ich weiß, aber sag ihr einfach, ich …«

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»Ja, ja.« Roy streckt ihr die Hand hin, und Angela packt sie, zieht

ihn zu sich heran, stellt sich auf die Zehenspitzen und gibt ihm einen Kuss auf die Wange.

»Bis nächste Woche?«, fragt sie. »Nächste Woche?« Er spürt noch ihre Lippen auf seiner

Wange, die feuchte Stelle, kühl im Wind. »Klar. Bis näch-ste Woche.«

Roy sieht seiner Tochter nach, wie sie das Bahnhofsge-bäude betritt. Ein paar junge Männer auf der Treppe fol-gen ihr ebenfalls mit den Blicken. Roy würde sie am lieb-sten verprügeln, ihnen die Arme brechen, damit sie sie nicht berühren können, ihnen die Beine zerquetschen, da-mit sie ihr nicht folgen können, ihnen die Kehle zudrük-ken, damit sie nicht mit ihr reden können.

Aber er spürt keinen Druck in seinem Kopf und keine Galle in seiner Kehle. Alles klappt wunderbar. Angela verschwindet mit wippendem Pferdeschwanz in der Men-schenmenge. Jetzt kann er sie nicht mehr sehen. Roy weiß nicht mehr, worüber er wütend war. Leute gehen an ihm vorbei. Die Drehtür bewegt sich. Roy steigt in seinen Wa-gen und fährt weg. Er hat zu tun.

4

Frankies Wagen steht bereits am Hafen, als Roy eintrifft. Er hat die Scheinwerfer und ausnahmsweise auch die Mu-sik ausgeschaltet. Roy ist froh darüber. Er mag die alten Songs durchaus, ja, aber nicht so laut und nicht die ganze Zeit. Roy lenkt sein Auto auf einen freien Platz; die Reifen rumpeln über das wellige Holz. Hier draußen sieht man fast nichts. Er stellt den Motor ab und wartet vor dem Wa-

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gen. Es weht ein warmer Wind. Er hört das Meer ganz in der Nähe, riecht die toten Fische. Sie verrotten unter den Docks, heißt es. Sie werden ans Ufer gespült, und wenn die Ebbe kommt, bleiben sie dort und verenden schwanz-zuckend. Sobald die Sonne auf sie herunterbrennt, zerreißt es sie. Unter den Docks liegen Fischeingeweide, deshalb riecht es hier so. Der Geruch des Meeres. Roy kommt nicht allzu oft hierher.

Er wartet beim Wagen, weil es zu dunkel ist, um etwas zu sehen. Er kennt nicht einmal den Treffpunkt. Frankie hat alles arrangiert. Wenn es gut läuft, wenn dieser Araber, oder was auch immer, so ist, wie Frankie ihn beschreibt, dann ist es die Sache wert. Aber Roy hat das Gefühl, dass er sich nicht darauf einlassen wird. Roy schätzt es nicht, neue Leute ins Geschäft zu bringen. Er arbeitet nur mit Partnern, die er schon lange kennt. Frankie kennt er seit sieben oder acht Jahren, und seit mindestens fünf ziehen sie zusammen ihre Nummern durch. Vor Frankie hat er mit Hank zusammengearbeitet, und vor Hank war er selbst noch nicht im Geschäft. Das ist so etwas wie eine Famili-entradition. Hank, Roy, Frankie. Saubere Sache, keinerlei Spuren. Warum sollte er das jetzt verderben, sich vom Meer ans Ufer spülen lassen?

»Roy, Roy.« Eindringliches Flüstern von hinten. »Frankie?« Hier draußen sieht er kaum drei Meter weit.

Es gibt nur wenige gedämpfte Lichter. Der Mond hat sich heute Nacht hinter den Wolken versteckt. »Wo bist du?«

»Zwischen den Lagerhallen. Schau auf den Boden, folg der gelben Linie.«

Roy folgt der Linie, als balanciere er auf einem Seil. Schon bald entdeckt er Frankie in einem schmalen Durch-gang zwischen zwei Lagerhäusern. Er hat einen Match-sack dabei.

»Was ist da drin?«, fragt Roy.

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»Folie.« »Wofür?« »Für die Kunstwerke, für den Transport.« »Aha.« Frankie geht voraus, Roy folgt ihm. »Die Gemälde von,

von … Gleich lernst du den Typ kennen, dann sehen wir weiter, okay? Okay, Roy?«

»Ja, ich hab doch gesagt, dass ich mich mit ihm treffe.« Über Kunst will der Kerl mit ihm reden. Was weiß Roy schon von Kunst?

»Dann hast du die Sache also genau unter die Lupe ge-nommen?«

»Ist toll, das wirst du auch sagen.« »Aber hast du dir wirklich alles genau angeschaut?«,

fragt Roy. »Ich hab dir doch erklärt, dass ich Saif seit zwei Jahren

kenne.« »Woher?« »Ich kenn ihn einfach, mach dir darüber mal keine Ge-

danken.« »Ja, und woher?« Frankie geht schneller; Roy versucht, Schritt zu halten.

»Woher ich ihn kenne? Er ist ein Freund des Freundes meiner Schwester, wenn du’s unbedingt wissen willst.«

»Also ’ne unheimlich enge Freundschaft.« »Leck mich«, faucht Frankie ihn an. »Ich will nur sagen: Wehe, die Sache ist nicht astrein

…« »Ist sie.« »Ich will nämlich nicht plötzlich mit ’ner Waffe bedroht

werden.« »Die Sache ist astrein«, wiederholt Frankie. »Mein Gott,

bist du zickig.« Roy muss grinsen. Nun stehen sie vor der Tür eines La-

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gerhauses. Frankie klopft, einmal, zweimal. Die Tür öffnet sich.

Das Lagerhaus ist hoch, vielleicht acht Meter. Die Dach-sparren verschwinden in der Decke, von der schwache Glühbirnen baumeln. Kisten und Kartons stapeln sich auf dem Boden. Die Wände sind isoliert. Wunderbar, denkt Roy, dass sich da jemand Gedanken gemacht hat.

»Frank!«, ruft jemand aus dem Innern des Lagerhauses und kommt auf sie zu. »Schön, dich zu sehen. Du schaust gut aus, mein Freund.« Der Mann hat einen stärkeren Ak-zent als erwartet, klingt nicht wie die anderen Araber, mit denen Roy schon Geschäfte gemacht hat, aber so viele waren das ohnehin nicht.

Frankie packt den Arm des großen, kräftigen Mannes, der auf sie zukommt. Er hat dunkle Haut und dunkle Haa-re sowie einen schmalen Oberlippenbart und eine spitze Nase. Er sieht eigentlich nicht aus wie ein Araber oder Afghane. Nun, vielleicht sehen Türken so aus. Er küsst Frankie auf die Wange, umarmt ihn. Frankie erwidert die Umarmung. Roy schiebt die Hände in die Taschen. Der Mann muss Saif sein.

Dieser Saif löst sich aus der Umarmung und schiebt Frankie ein Stück von sich weg, deutet auf dessen Ober-lippe. »Na, ein bisschen Flaum kommt schon, was? Der Bart, über den wir uns unterhalten haben, ist wohl in Ar-beit.«

»Wir tragen keine Bärte«, mischt Roy sich ein. Saif wölbt eine Hand um ein Ohr. »Wie bitte …?« »Wir lassen uns keine Bärte stehen. Damit wird man zu

leicht erkannt. Mit so ’ner Bürste holen sie einen bei ’ner Gegenüberstellung sofort aus der Reihe.«

Saif lacht schallend. »Der Mann gefällt mir«, sagt er zu Frankie und geht auf Roy zu, um ihn ebenfalls zu umar-men, doch der streckt ihm nur die Hand hin.

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Roy sieht auf seine Uhr. Er hat keine Eile, will aber nicht den Rest der Nacht am Hafen verbringen. Sogar hier drinnen riecht er den Fisch. »Kommen Sie zur Sache«, wendet er sich an Saif, schließt Frankie aus dem Gespräch aus. »Mein Freund hier meint, Sie wollen uns einen Deal anbieten. Ich sage Ihnen gleich, dass wir keine Hehlerge-schäfte machen.«

»Das weiß ich«, antwortet Saif. »Frankie hat mir das schon erklärt. Aber das hier ist nicht Ihr üblicher … Deal … wie Sie sich ausdrücken. Ich suche nach einem Partner, der …«

Frankie zuckt zusammen, noch bevor Roy reagieren kann. »Partner?«, fragt Roy. »Ich fürchte, Sie haben den falschen Eindruck von uns. Wir suchen keinen Partner.«

»Aber Sie arbeiten doch sicher mit anderen zusammen.« »Es ist ein Geben und Nehmen, und ich bin derjenige,

der nimmt.« »Und Frank?« »Frankie ist seit Jahren mein Partner. Wenn er mich be-

scheißen wollte, hätte er das längst getan. Aber bei Ihnen bin ich mir da nicht so sicher.«

Roy wendet sich zum Gehen, doch Frankie versucht, ihn zurückzuhalten. Er klingt nervös und hektisch. »Ich glau-be, du hast die Sache missverstanden, Roy. Saif ist astrein, dafür verbürge ich mich …«

»Meine Sachen könnte ich überall verkaufen«, mischt sich Saif in beleidigtem Tonfall ein. Seine Stimme wird lauter, das dunkle Gesicht rot. »Ich habe nur die allerbeste Ware. In dieser Stadt wird Ihnen jeder sagen, dass Saif ein guter Mann ist.«

»Roy ist nur furchtbar vorsichtig«, erklärt Frankie Saif. »Er hat’s nicht so gemeint.« Dann wendet er sich an Roy, der ihnen bereits den Rücken zugekehrt hat. »Roy, glaub mir, die Sache ist astrein. Du hast gesagt, du schaust dir’s

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an.« Roy seufzt. Er ist tatsächlich vorsichtig, und er weiß,

dass das richtig ist. Anders geht es nicht. Aber Vorsicht sollte einen Deal nicht verhindern, wenn alles stimmt. Geld ist Geld. »Lassen Sie mal sehen, was Sie haben«, sagt er.

Saif nickt. »Ich kann Ihre Zurückhaltung verstehen.« »Soso. Gut. Dann sind wir uns in diesem Punkt ja einig.

Zeigen Sie uns die Ware.« Saif führt sie durch das Lagerhaus. Mit einem Blick auf

die Kisten und Kartons fragt Roy: »Das Zeug kommt von den Schiffen?«

»Ja, auf direktem Weg in mein Lager«, antwortet Saif. »Ich bin zuständig für den Transport. Ein Teil gelangt an seinen Bestimmungsort, ein anderer … wird unterwegs beschädigt.«

Frankie lacht. Saif fällt ein. Roy nicht. »Wenn das mit der Hehlerware so läuft, warum brauchen Sie dann uns überhaupt?«

»Wie gesagt, mein Freund, es handelt sich nicht um Hehlerware. Kommen Sie, sehen Sie es sich an.«

Saif steht vor einer offenen, fast zwei Meter hohen Ki-ste, von der die Seitenwand abgelöst ist. Er greift hinein und holt ein ungerahmtes Gemälde mit gedämpften Farb-klecksen heraus. Ein abstraktes Bild.

»Was für ein Durcheinander«, sagt Roy. Saif schüttelt den Kopf. »Das ist ein Pollock.« »Na schön, das ist also ein Pollock.« »Aber eben nicht wirklich.« Roy sieht Frankie an. Ist er hierher gekommen, um Spie-

le zu spielen? »Ist es nun ein Pollock oder nicht?« »Sowohl als auch«, antwortet Saif stolz. »Weder noch.« Jetzt begreift Roy. Die Nummer kennt er. »Also ist es

eine Fälschung.«

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»Nicht ganz.« Saif grinst selbstzufrieden. Ihm macht die Sache Spaß.

Roy nicht. »Viel Geduld habe ich nicht mehr.« »Bitte«, sagt Saif und hebt eine Hand. »Ich erkläre es

Ihnen.« Er hält das Bild ins Licht. »Schauen Sie hier in die Ecke. Da, unten rechts.«

Roy sieht eine blaue Signatur. Irgendein Gekritzel, aber »Pollock« heißt das mit Sicherheit nicht.

»Also, was ist es?« »In Amsterdam gibt’s ’nen Mann namens Philippe Ma-

rat, der ist der beste Pollock-Fälscher der Welt. Echte Pol-locks sind praktisch nicht zu haben, nicht mal für astro-nomische Summen, weil so wenige auf den Markt kom-men. Tja, und diesem Mangel hilft Marat ab.«

»Dann ist es also doch so, wie ich’s mir gedacht habe«, sagt Roy. »Eine Fälschung.«

Saif nickt. »Aber nicht von einem Pollock, sondern von einem Marat.«

Roy sieht Frankies Lächeln und beginnt zu verstehen, wieso sein Partner ihn hierher gebracht hat. »Es ist die Fälschung einer Fälschung.«

»Marats Werke sind mittlerweile sehr begehrt; er ist ziemlich reich und muss nicht mehr so viel malen. Die Nachfrage nach Marats hat sich im letzten Jahr verdrei-facht, aber es gibt nur wenige. Tja, und da komme nun ich ins Spiel.«

Roy weiß nicht so recht, was er davon halten soll. Das Bild gefällt ihm nicht. Es erinnert ihn an den Teppich zu Hause. Aber manche Menschen mögen so etwas. Es gibt sogar Leute, die ganz wild sind auf Fotos aus der Leichen-halle, Fotos von Obduktionen, das hat Roy schon gehört.

»Und die Leute kaufen so was?« »Ja, sie zahlen gutes Geld dafür, mein Freund. In Europa

haben sich die Sachen schneller verkauft als jede Ware

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zuvor. Ich habe viele solche Künstler, viele solche Bilder. Für jeden Pollock gibt’s einen Marat und einen Unbekann-ten in Afrika. Für jeden Rothko gibt’s einen Gardiner und seinen Schatten in Schweden und so weiter und so fort. Die Preise hier in den Staaten sind viel höher als im Aus-land. Meine Kontakte könnten leicht …«

»Solche Sachen machen wir nicht«, sagt Roy. »Ich wüsste nicht, wie …«

»Aber wir kennen Leute«, mischt Frankie sich ein. »Kumpel in der Stadt, Roy. Wir sollen ja nur den Zwi-schenhändler machen. Das kann nicht schief gehen.«

»Es kann immer schief gehen.« Saif schürzt die Lippen und nickt. »Ich kann Ihre Vor-

sicht verstehen. Wenn die Sache Sie nicht interessiert – es gibt genug von meinen Landsleuten im Drogengeschäft. Vielleicht …«

»Mit Drogen haben wir nichts am Hut«, sagt Roy, geht auf das Gemälde zu und lässt die Hand über die Leinwand gleiten. Die Farbe ist hart und dick. Roy stellt überrascht fest, dass sie eine richtige Struktur hat. »Haben Sie noch mehr von den Dingern?«

»Hunderte«, sagt Saif. »Und jede Woche kommen mehr.«

Roy tritt einen Schritt zurück, um sich das Bild noch einmal genauer anzusehen. Er begreift immer noch nicht, was die Leute daran finden, aber er weiß, wie solche Ge-schäfte laufen. »Ich habe keine Ahnung von Kunst«, sagt er zu Saif. »Ich könnte Ihnen nicht sagen, wer dieser Pol-lock oder Marat ist, und ich könnte auch nicht beurteilen, ob das eine gute Fälschung ist oder eine schlechte …«

»Ich versichere Ihnen, es ist eine hervorragende …« »… aber ich bin bereit, Ihnen zu glauben. Warum? Weil

Frankie hier für Sie bürgt. Und weil ich kein Kunst- oder Fälschungskenner bin.«

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»Dann muss ich mich bei Ihnen bedanken.« »Doch in meiner Branche kenne ich mich aus. Hier in

diesem Land haben wir das schon gemacht, als Ihre Leute noch Ziegen gehütet haben. Ich weiß alles darüber, das dürfen Sie mir glauben.«

»Daran habe ich keinen Zweifel, mein Freund.« Roy beäugt den Mann, seine Kleidung, seine Haare. Wie

er sich vom Hintergrund abhebt, als wage es keiner der Gegenstände in dem Raum, ihm zu nahe zu kommen. »Kennen Sie die Nummer mit dem Schirm?«

Saif breitet lächelnd die Arme aus. »Erklären Sie sie mir.«

»Ein großer schwarzer Schirm ist die simpelste Requisi-te, die man sich vorstellen kann. Früher hat sich ein Gau-ner an einem regnerischen Nachmittag einfach auf die Rennbahntribüne gesetzt und Wetten angenommen.«

»Wetten?« »Ja, illegale Wetten. Die offizielle Quote ist zehn zu eins

für irgendein Pferd im fünften Rennen, aber der Gauner bietet Ihnen zwanzig zu eins auf dasselbe Pferd. Wenn Sie mehr Geld gewinnen wollen, gehen Sie zu dem Mann auf der Tribüne. Tja, da sitzt er also, kassiert. Wenn das Ren-nen dann losgeht, hat er zehn-, zwanzigtausend in der Ta-sche, doch ihm ist es völlig egal, wer gewinnt, weil er nicht mehr da sein wird, wenn die Pferde ins Ziel kom-men. in dem Moment, wo der Startschuss ertönt und die Tiere losgaloppieren, haben alle nur Augen für das Ren-nen. Da spannt der Gauner seinen Schirm auf, mischt sich unter die Menge, verschwindet inmitten all der anderen schwarzen Schirme, und das Geld mit ihm. Auf der Renn-bahn sieht ihn niemand mehr wieder.

Wenn wir tatsächlich ins Geschäft kommen sollten«, sagt Roy schließlich und fixiert Saif mit seinem Blick, »und ich merke, dass Sie den Schirm aufspannen wollen,

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bringe ich Sie um. Damit Ihnen das klar ist: Ich mache Sie kalt.«

Saif nickt und sagt mit gesenkter Stimme: »Etwas ande-res hätte ich nicht erwartet.«

»Gut«, sagt Roy, plötzlich ganz freundlich, »dann zeigen Sie uns mal das übrige Zeug.«

Im Lauf der folgenden Wochen leiten Roy und Frankie acht der Gemälde weiter und versprechen, noch mehr zu besorgen. Ihr Kontakt in der Stadt, ein Typ, den Roy seit seiner Zeit mit Hank kennt, kennt wieder einen Typen, der einen Typen kennt, der einen Typen kennt. Weiter will Roy sich nicht auf die Sache einlassen. Er und Frankie verdienen zusammen ungefähr achttausend Dollar pro Bild. Roy ist zufrieden.

Am dritten Abend, an dem sie ein Bild abholen, wird Roy auf eines der Gemälde aufmerksam. Es ist bunter als die anderen und hat interessante Formen. Es ist abstrakt, aber Roy hat das Gefühl, dass es etwas bedeuten könnte, wenn er es sich nur lange genug ansieht. »Das ist ein Mi-ró«, erklärt Saif ihm. »Eine Frau in Brüssel kopiert einen Mann aus El Salvador, der einen Mann in Spanien kopiert. Sehr bekannt.« Als kleines Dankeschön für geleistete Dienste und als freundschaftliche Geste schenkt Saif Roy das Bild. Roy gibt ihm trotzdem tausend Dollar. Er ist bei Sachen, die nichts kosten, immer misstrauisch.

Als Roy an jenem Abend nach Hause kommt, hängt er das Bild ungerahmt über das Keramikpferd im Wohnzim-mer. Es hebt sich deutlich von den trüben Aquarellen ab, lässt ihn erkennen, wie düster es in dem Raum ist. In jener Nacht schläft Roy zum ersten Mal, seit er das Haus ge-kauft hat, im Wohnzimmer. Er zieht das Sofa aus und schläft, das Bild betrachtend, ein. Die Fälschung aus Brüs-sel.

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Am nächsten Morgen wacht Roy spät auf. Die Sonne scheint bereits durchs Fenster herein. Er hat kaum Zeit zum Rasieren und Duschen und überhaupt keine zum Es-sen, bevor er zu Dr. Klein muss.

»Bin ich zu spät dran?«, fragt er die Sprechstundenhilfe, als er das Zimmer betritt.

Wanda kennt Roy inzwischen. Sie winkt ihm lächelnd zu, als er an ihr vorbeihastet. »Er ist selber spät dran. Ge-hen Sie gleich rein, machen Sie sich keine Gedanken.«

Dr. Klein sitzt wie üblich hinter seinem Schreibtisch und kritzelt etwas in seinen Notizblock. Roy sieht den Stapel Schulbücher auf dem Tisch, den Matchsack auf dem Bo-den. »Hallo, Doc«, sagt er, »wie gehen die Geschäfte?« Roy lässt sich auf den Stuhl fallen und macht es sich be-quem.

Der Arzt hebt den Blick. »Roy. Sie sind wieder an Deck.«

»Fast nicht. Ich hab verschlafen.« »Ich meine seelisch. Sie sehen fit aus. Das freut mich.« Roy zuckt mit den Achseln. »Die Tabletten wirken

Wunder, Doc. Muss irgendein Zauberzeug drin sein.« Dr. Klein lacht. »Ja, ein SSRI-Hemmer, um genau zu

sein, aber meinetwegen können Sie gern ›Zauberzeug‹ dazu sagen. Wurde auch Zeit, dass sie wirken.« Er spielt einen Augenblick mit seinem Notizblock und dem Stift-halter. »Ich hab gehört, dass das Treffen mit Angela letzte Woche gut gelaufen ist.«

»Ja, war gut. Wenn man bedenkt, dass ich von vierzehn-jährigen Teenagern ungefähr so viel Ahnung habe wie von der Gartenarbeit … Aber ich finde, wir haben uns nett unterhalten. Es war … okay.« Roy schweigt, überlegt, woher der Arzt weiß, dass das Treffen gut gelaufen ist. »Haben Sie mit ihr gesprochen?«

»Ja. Und genau darüber wollte ich mit Ihnen reden.«

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»Ist irgendwas mit Angela?« Roy hört, wie sich die Wartezimmertür öffnet, hört

Schritte im Flur, leichte, sorglose Schritte. Noch bevor er sich umdreht, weiß er, dass sie gleich das Zimmer betreten wird. Nun sieht er sie mit ihrem karierten Rock und der blauen Bluse, wie sie gerade von einem Schokoladenriegel abbeißt.

»Hat keine Snickers mehr gegeben«, sagt Angela, »also hab ich ein Twix nehmen müssen.« Da entdeckt sie Roy. Ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. »Hallo, Roy. Hübsche Krawatte.«

Sie hüpft in den Raum und gibt Roy einen Kuss auf die Wange. Er überlegt noch, ob er sie auch auf die Wange küssen soll, als sie schon auf der anderen Seite des Zim-mers ist und sich in einen Polstersessel setzt, die Beine unterschlägt, auf und ab wippt. Wie früher Heather.

»Es ist Mittwoch«, sagt Roy überrascht. »Ich dachte, du rufst an … ich dachte, am Wochenende …«

»Tja, die Sache ist folgendermaßen gelaufen: Ich hab Mom deinen schönen Gruß ausgerichtet. Du hast doch am Bahnhof gesagt, ich soll ihr einen Gruß von dir bestellen, aber ich hab dir gleich gesagt, dass das nicht funktioniert, und …«

»Ja, ich erinnere mich.« »Gut. Ich hab ihr also den Gruß ausgerichtet, und sie hat

gesagt, sie will nichts davon hören. Da hab ich ihr erklärt, ich find’s nicht schlecht, wenn du sie grüßen lässt, und sie soll sich’s wenigstens anhören. So ’ne große Sache ist das auch wieder nicht, oder? Aber sie hat geantwortet, sie will nichts davon wissen, und sie will auch nicht, dass ich für dich spreche. Da hab ich gesagt, ich kann selber entschei-den, für wen ich spreche, aber sie hat geantwortet, wenn ich ihr noch einmal einen schönen Gruß von dir bestelle, krieg ich Hausarrest. Also hab ich’s noch mal gesagt, um

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zu sehen, was sie macht, und sie hat mir tatsächlich Haus-arrest gegeben. Tja, und dann hab ich’s immer wieder ge-sagt, und sie ist völlig ausgerastet, und ich bin auch ausge-rastet, und …« Sie nimmt lächelnd den Matchsack vom Boden und hebt ihn auf ihren Schoß.

»Du hast doch genug Platz bei dir zu Hause, oder?«

»Passiert das oft?«, fragt Roy sie an jenem Abend. Er be-zieht gerade das Schlafsofa. Das Wohnzimmer ist dunkel, der Miró in den Schatten kaum zu sehen. »Läufst du oft von zu Hause weg?«

»Du bist doch nicht sauer oder so?«, fragt Angela. »Ja, passiert manchmal.«

»Sauer? Nein, ich hab nur nicht erwartet, dass …« »Normalerweise übernachte ich bei irgendwelchen

Schulfreundinnen. Dauert meistens bloß ein paar Tage, bis Mom sich beruhigt hat. Dann lässt sich mich auch wieder nach Hause.«

Roy schüttelt die Kissen auf, so gut es geht. »Sie ist also immer noch ganz schön jähzornig, was?«

»Tja, so könnte man das nennen. Manchmal ist sie ein-fach toll, kauft mir ein Eis, geht mit mir spazieren und so. Wir unterhalten uns, und sie ist supercool. Sie lässt meine Freundinnen noch spät am Abend bei mir sein und mischt sich nicht ein. Aber urplötzlich flippt sie aus, kreischt, brüllt in der Gegend rum. Dann verkriecht sich sogar der Hund unterm Tisch. Wenn sie in der Stimmung ist, weiß man nie, was als Nächstes passiert.« Angela setzt sich auf das Schlafsofa; die Federn knarren nur ein bisschen unter ihrem geringen Gewicht. »War sie damals auch schon so?«

Roy setzt sich ans andere Ende der Couch und sinkt dar-in ein. »Ein bisschen, ja«, antwortet er. »Wir haben uns die meiste Zeit angebrüllt, ich weiß auch nicht mehr, war-

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um. Ich erinnere mich noch: Einmal, da sind wir spät in der Nacht, als schon alle Kneipen geschlossen hatten, aus-gegangen, weil wir was essen wollten, und haben dieses hübsche Lokal gefunden, das bis drei geöffnet war.«

»Ein Diner?« »Nein, was Besseres, wo die Leute nach dem Theater

hingingen. Aber solche Leute waren wir nicht. Wir haben uns trotzdem hingesetzt, was zu essen bestellt, uns die schicken Kleider von den anderen angeschaut, gelacht, tja, und dann … ich glaub, dann hat der Kellner ein bisschen Wasser auf den Boden neben ihren Füßen verschüttet. Fast auf ihre Schuhe. Ich weiß nicht, ob das besondere Schuhe waren oder was, aber jedenfalls ist sie völlig ausgerastet. Als sie uns dann schließlich rausgeschmissen haben, hatte deine Mom drei Geschirrsets kaputt geschlagen und fast alle Anwesenden beschimpft.« Roy merkt, dass er beim Erzählen dieser Geschichte lächelt. Es macht ihm Spaß, darüber zu reden.

»Klingt ganz nach Mom.« Roy zuckt mit den Achseln. »Ja.« »Glaubst du, sie würde sich auch so aufführen, wenn ihr

noch zusammen wärt?« Er sieht Angela an. Sie erwidert seinen Blick mit un-

schuldigem Augenaufschlag. »Was soll das heißen?« »Das heißt, was es heißt. Vielleicht flippt Mom so

schnell aus, weil sie mich ganz allein hat aufziehen müs-sen.«

»Moment, Moment«, sagt Roy ein wenig nervös. »Ich hab deine Mutter nicht verlassen. Ich wusste nicht mal, dass du …«

Angela legt die Hand auf Roys Unterarm, um ihn zu be-ruhigen. »Das hab ich nicht gemeint. Ich mach dir keine Vorwürfe – ich mach niemandem Vorwürfe. Mom viel-leicht. Ich hab nur gedacht, wenn ihr zwei noch zusammen

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wärt, könnt’s leichter für sie sein. Sie hätte weniger Stress.«

»Vielleicht, aber eigentlich bezweifle ich das. Ich will nicht … Lassen wir das Gespräch. Es ist spät, ich bin mü-de, und ich habe noch zu tun.« Als er sich vom Sofa er-hebt, knarren die Federn. »Wenn du Hunger kriegst … ich hab ein paar Sachen im Kühlschrank.«

»Danke«, sagt Angela. »In der Gefriertruhe ist Brot, das musst du dir bloß in

der Mikrowelle auftauen. Senf ist im Kühlschrank. Da hab ich auch noch ’ne Suppe, aber die ist schon ziemlich alt, also … Vergiss die Suppe, es sind noch ein paar Dosen in der Speisekammer.«

»Wirklich, Roy, ich hab keinen Hunger.« »Okay. Wenn du ’nen Drink willst – trinkst du?« »Ich bin vierzehn.« »Stimmt.« Er weiß nicht so genau, was sie damit sagen

will. »Wenn du also einen Drink möchtest: Die Hausbar ist neben der Stereoanlage.«

Angela zieht die Bettdecke bis zum Kinn hoch. Sie be-wegt sich wie Heather, denkt Roy. Als würde sie durch die Luft schwimmen. »Ich muss noch mal raus«, sagt Roy. »Du kommst zurecht?«

»Ich schlafe jetzt. Wo willst du hin?« »Ich muss mich mit einem Kunden treffen.« »Um Mitternacht?« Roy nickt und zupft die Decke zurecht. »Der Antiquitä-

tenhandel läuft rund um die Uhr.« Sie dreht sich kichernd auf die Seite und schlingt die

Arme um ein Kissen. »Gute Nacht, Roy.« »Gute Nacht, Angela.«

Im Diner kann Frankie gar nicht mehr aufhören, über das Kunstgeschäft zu reden. Er hat Pläne, große Pläne, erklärt

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er Roy. Ideen, wie man die Ware auf anderen Wegen transportieren kann. Er hat ein lokales, regionales, globa-les Netzwerk. Er könnte sich vorstellen, dass dies ihr Hauptgeschäft, ihre Haupteinnahmequelle wird. Die ganze Zeit über fragt Roy sich, ob Angela zu Hause zurecht kommt. Er macht sich Gedanken, ob sie gut schläft. Er überlegt, ob sie inzwischen aufgewacht ist und das Kera-mikpferd entdeckt hat. Er fragt sich, ob es ihr gelungen ist, den Kopf des Pferdes herunterzunehmen. Er überlegt, ob sie hineingeschaut hat. Wenn ja, muss er ihr sagen, wie er sich seinen Lebensunterhalt verdient. Wenn ja, muss er reinen Tisch machen.

»Und«, sagt Frankie gerade, »wir sollten das Geld, das uns die Verkäufe in England bringen, wieder zu unseren Kontakten nach Asien zurückleiten. So haben wir’s mit zwei verschiedenen Kassen zu tun, mit zwei voneinander unabhängigen Geschäften.«

»Ja, ja«, murmelt Roy. Sein Truthahn ist trocken heute. Da hilft auch der Senf nicht.

»Dann wäre da noch die Sache mit den Wechselkursen. Wenn wir’s geschickt anstellen, können wir ’nen Tausen-der extra pro Bild verdienen, indem wir das Geld zum richtigen Zeitpunkt wechseln. Das hab ich auf CNN gese-hen.«

»Klar.« Frankie schiebt seinen Hamburger weg und sieht Roy

an. »Ich hab mir gedacht, ich geh heute ein bisschen früher nach Hause und leg mich zu meinem Hamster ins Bett«, sagt er ganz ruhig.

»Gute Idee«, murmelt Roy. Jetzt springt Frankie von seinem Sitz auf und schleudert

seine Gabel auf den Boden. Roy zuckt zusammen. »Ich dachte, die verdammten Tabletten wirken«, knurrt Fran-kie.

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»Was? Tun sie doch.« »Tja, dann nimmst du sie offensichtlich nicht.« »Doch, doch, was redest du da eigentlich? Setz dich

wieder hin.« Roy sieht sich um, die Leute werden auf sie aufmerksam, tuscheln über sie. »Setz dich.«

»Was, zum Teufel, ist los mit dir?«, fragt Frankie, im-mer noch halb im Stehen.

»Beruhig dich, dann rede ich wieder mit dir.« »Wir haben schon geredet. Zumindest ich. Du hast die

ganze Zeit bloß mit ›ja‹ und ›hm‹ geantwortet, dreißig Minuten lang. Ich spreche von Möglichkeiten, wie wir Geld verdienen können, und du träumst.«

»Nein, ich …« Frankie fällt ihm ins Wort. »Ich weiß, dass das Geld aus

dem Kunstgeschäft für dich nicht wichtig ist. Ich weiß, dass zehntausend für dich Peanuts sind …«

»Da täuschst du dich«, erwidert Roy. »Zehntausend sind zehntausend.«

»… weil du so viel Knete hast, dass sie dir zu den Ohren rauskommt. Du mit deinen Investitionen und deinen … was du auch immer damit anstellst.«

Roy weiß nicht, was Frankie weiß. Oder was Frankie zu wissen glaubt. Er ist sich sicher, dass Frankie keine Ah-nung von dem Pferd, von den Bahamas und seinem Konto dort hat. Doch er will kein Risiko eingehen. Frankie ist sein Partner, ein guter Partner, aber Roys Geld ist Roys Geld. Das geht niemanden sonst etwas an.

»Beruhig dich«, sagt Roy. »Wie kommst du denn auf die Idee, dass ich so viel Geld habe?«

»Ach, hör auf. Wir verdienen das Gleiche, ich weiß, wie hoch dein Einkommen ist.«

»Tja, dann hast du ja genauso viel wie ich.« »Aber ich geb’s aus. Ich kauf mir schöne Sachen. Du

hast ein altes Scheißauto und ein altes Scheißhaus und

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trägst zehn Jahre alte Anzüge. Und du redest die ganze Zeit davon, dass du dein Geld sparen musst für schlechte Zeiten, es kann ja immer was passieren und so weiter und so fort.«

Roy lehnt sich zurück, atmet tief durch. »Was soll das?« Frankie lässt sich wieder auf seinen Stuhl fallen. Die an-

deren Gäste verlieren das Interesse an ihnen. »Weißt du«, sagt er, »ich muss mich immer noch abstrampeln, um die laufenden Dinge geregelt zu kriegen. Es ist einfach fru-strierend, wenn mein Partner meine Ideen mies macht.«

»Ich mach deine Ideen nicht mies«, sagt Roy, aber er weiß, dass Frankie Recht hat. Er passt nicht immer auf, was Frankie sagt. Am allerwenigsten heute Abend. »Ich wollte bloß …« Roy findet nicht die richtigen Worte. Frankie ist beleidigt, das sieht er. Roy muss es wieder ein-renken. Zum Teufel, irgendwann muss er es sowieso sa-gen.

»Ich hab ein Kind«, sagt er. »Ich hab eine Tochter. Sie heißt Angela, ist vierzehn und schläft heute Nacht bei mir.«

Frankie beißt ein Stück von seinem Hamburger ab, muss lachen. »Schlechter Scherz, Roy.«

»Tja, wenn das ein Scherz ist, dann warte ich immer noch auf die Pointe.« Und nun erzählt er Frankie die ganze Geschichte.

Auf dem Weg zum Hafen sagt Frankie Roy immer wieder, was er von der Sache hält. »Das ist nicht gut, einfach nicht gut.«

»Es ist nur vorübergehend«, erklärt Roy. »Sie hat sich mit ihrer Mutter gestritten; sie bleibt ein bis zwei Tage bei mir, bis sie sich wieder beruhigt hat.«

»Ich sag ja auch nur, dass du keine Ahnung von Kindern hast.«

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»Aber du, oder?« »Nein. Aber ich würd mir auch von meinem Seelen-

klempner keins aufschwatzen lassen.« »Sie ist meine … sie ist ein Teil von mir. Ich hab ihr ge-

genüber eine Verantwortung. Und der muss ich mich jetzt eben stellen.«

»Es ist gefährlich.« »Nein.« Als sie am Hafen ankommen, stellt Roy den

Wagen an derselben Stelle ab wie letztes Mal, direkt ne-ben Saifs Lagerhaus. »Sie hat keine Ahnung, was ich ma-che, sie hat damit nichts zu tun.«

»Klingt aber ganz, als wollte sie das.« »Da täuschst du dich, und ich werde dafür sorgen, dass

sie weiter nichts mit dem Geschäft zu tun hat. Wenn du sie nicht kennen lernen willst, dann lernst du sie auch nicht kennen. Aus, basta, Amen.«

Frankie knallt die Wagentür hinter sich zu. Roy weist ihn nicht zurecht. Sie marschieren in das Lagerhaus, Fran-kie voran. Roy hat die Einkaufstüten, das Geld. Er hasst es, das Geld herumzutragen. Es macht ihn nervös. Er ver-sucht, in der Dunkelheit etwas zu sehen, muss aufpassen, nicht auszurutschen. Der Geruch von verrottendem Fisch steigt ihm immer noch in die Nase. Roy freut sich auf den Winter.

Saif wartet bereits auf sie, wie immer die Arme ausge-breitet. Roy gibt nach. Er hat das letzte Mal zugelassen, dass Saif ihn umarmt, nun wird’s wohl auch in Zukunft so sein. Das ist eben der Preis dafür, wenn man Geschäfte mit Arabern macht. Oder mit Türken oder was auch immer.

»Vierzig Riesen«, teilt Frankie Saif mit, holt das Geld aus Roys Einkaufstüte und legt es auf eine Kiste. »Für den Kandinsky und den … wie heißt gleich noch mal der mit dem schwarzen Rechteck in der Mitte und dem orangefar-benen auf der Seite?«

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»Wilder«, antwortet Saif. »Ja, genau der. Fünfundzwanzig für den Kandinsky,

fünfzehn für den Wilder.« Saif schnippt mit den Fingern, und ein schmaler Mann

mit blauem Overall tritt zu ihnen und packt das Geld ein. »Und euer Anteil?«

»Den hab ich bereits raus getan«, sagt Roy. »Das spart Zeit. Tja, das wär’s dann wohl. Wir sehen uns morgen für die nächste Lieferung.« Er setzt sich in Richtung Tür in Bewegung.

»Meine Freunde«, ruft Saif. »Einen Augenblick noch, ja?«

Roy will nicht, er möchte nach Hause, ins Bett. Sehen, ob Angela schläft, träumt, sicher ist. Er sieht Frankie an, dessen Blick ihm alles verrät: Bleib, hör dir an, was der Mann zu sagen hat. »Ja?«, fragt Roy seufzend und dreht sich um.

»Angesichts der Tatsache, dass unsere Geschäfte in den letzten Wochen so gut gelaufen sind, sollten wir unsere Beziehung vielleicht intensivieren.«

Roy schüttelt den Kopf. »Ich küsse erst bei der fünften Verabredung.«

Saif grinst. »Ich bin’s leid, immer mit den gleichen Kunstwerken zu handeln. Das mache ich schon seit Jah-ren. Es ist lukrativ, kann aber auch … langweilig werden.«

»Tja, such dir ein Hobby«, schlägt Roy ihm vor. »Ma-kramee. Golf. Was geht mich das an?«

»Das Hobby, das ich im Auge habe, ist euer Lebensstil.« »Unser Lebensstil?« »Ja. Ich hätte Interesse, bei euch einzusteigen.« »Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt«,

sagt Roy. »Wir wollen keine Partner.« »Vielleicht einen Lehrling …« »Und wir haben auch keine Lust auf solche Projekte.«

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Saif sieht Frankie an. Roy merkt, dass die beiden sich schon über dieses Thema unterhalten haben. Frankie nickt Saif aufmunternd zu, und dieser fährt fort: »Soweit ich weiß, braucht ihr für … die langfristigen Sachen Kapital.«

»Wir machen keine langfristigen Sachen.« Doch, aber nicht oft. Roy sieht jedoch keine Veranlassung, ihm das zu sagen.

»Soweit ich weiß, können solche Projekte ausgespro-chen lukrativ sein. Und ich hätte das nötige Kapital.«

»Geld haben wir genug. Danke fürs Angebot.« Doch Saif redet weiter. »Außerdem habe ich viele

Freunde mit ähnlich viel Kapital, die an einer guten Inve-stition interessiert wären.«

Roy strafft die Schultern, möchte, dass Saif es diesmal kapiert: »Ich weiß nicht, wie oft ich dir das erklären muss«, erwidert er mit ruhiger Stimme. »Vielleicht muss ich dir’s ja in die Stirn meißeln. Oder auf deinen Grab-stein. Aber weil wir in der Kunstsache zusammenarbeiten, bin ich nett zu dir und sag’s dir noch ein letztes Mal: Wir wollen keine Partner.«

Saif weicht zurück, senkt den Blick. »Verstehe. Viel-leicht ein andermal, meine Freunde.«

Ein andermal. Roy spürt, wie sich der Druck in seinem Kopf aufbaut, hört das Geräusch von rauschendem Was-ser. Die Wände des Lagerhauses verschwimmen vor sei-nen Augen, und Roy weiß, dass er sich beruhigen muss, an seine Tabletten zu Hause denken, daran, wie gut die Ar-beit läuft, an Angela, die zu Hause bei ihm schläft. Er kann jetzt nicht in die Luft gehen.

Mit knirschenden Zähnen, die Lippen zusammenge-presst, packt Roy Frankie am Oberarm und dirigiert ihn ohne ein weiteres Wort hinaus in die Fischluft, in die Nacht.

Frankie ist wütend. »Siehst du, genau das meine ich«,

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schimpft er. »Solche Sachen machst du … Der Mann hat uns ein Geschäft vorgeschlagen …«

Roy wendet sich unvermittelt seinem Partner zu und starrt ihn mit dem ersten wirklich wütenden Blick an, den Frankie seit Jahren an ihm gesehen hat. Jetzt ist es nicht mehr nötig, die Stimme zu senken, die Worte sorgfältig zu wählen. »Versuch nie wieder, so was hinter meinem Rük-ken auszumachen, verstanden? So arbeiten wir nicht. Du und ich, und dieser Typ bleibt draußen, egal, wie viel Geld er hat, kapiert?«

»Mein Gott, Roy, ich wollte doch nicht … Ich dachte, dir gefällt die Idee.«

»Was du getan hast – was du tun wolltest –, beweist kei-nen Geschäftssinn, sondern bringt uns in Gefahr, weißt du das? Kennst du vielleicht irgendwelche Drei- oder Vier-Mann-Sachen, die auf die Dauer gut gegangen sind? Wenn du noch jemanden mit reinnimmst, musst du dir über den Neuen Gedanken machen. Wenn du ihn noch nicht lange kennst – sagen wir, zwei Jahre –, rammt er dir vielleicht ein Messer in den Rücken, schnappt sich dein Geld und macht sich aus dem Staub.«

Frankie zieht sich schmollend zurück. »Du übertreibst«, sagt er.

»Nein, ich untertreibe. Eigentlich sollte ich dich den Eisbären zum Fraß vorwerfen. Hank hat immer gesagt, wenn dein Partner weg will, dann lass ihn ziehen. Du willst also weg, stimmt’s? Willst du dich von jetzt an mit Saif zusammentun?«

»Nein, Roy, nein …« »Dann willst du das also nicht.« Roy geht die Luft aus.

Der Druck ist verschwunden. Er sieht wieder etwas, er-kennt in der Dunkelheit den Wagen. »Weil wir ein gutes Team sind«, sagt er mit leiserer Stimme. »Lass uns das nicht verderben, ja?«

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»Okay.« »Okay. Diskussion beendet.«

Roy möchte Angela nicht aufwecken, aber er möchte die achttausend Dollar auch nicht weiterhin in der Hosenta-sche haben, sondern in das Keramikpferd stecken. Er weiß, dass das albern ist, weiß, dass das Pferd keine Si-cherheit bietet, auch nicht mehr als irgendeine Schublade oder ein Schrank. Aber so ist er nun mal, Tabletten hin oder her: Er will das Geld in dem Pferd verstaut wissen.

Er schleicht mit angehaltenem Atem und auf Zehenspit-zen ins Wohnzimmer. Das strengt ihn an; seine Waden schmerzen. Angela liegt schlafend auf dem Ausziehsofa, die Decke ist heruntergerutscht, die Arme sind immer noch um das Kissen geschlungen. Das Nachthemd bauscht sich über ihren Knien, und Roy versucht, ihre Beine nicht anzusehen. Sie sind wie Heathers Beine. Lang. Lieber nicht hinschauen, den Blick dem Pferd zuwenden.

Der Kopf des Pferdes ist schwer; er ist immer schwer. Heute ist er wie Blei. Je leiser Roy zu sein versucht, desto mehr Lärm scheint er zu machen. Der Kopf scharrt über den Hals des Pferdes, als er ihn hochhebt. Roy hält inne. Schweißtropfen rollen in seinen Nacken. Angela schnaubt im Schlaf, dreht sich um, von ihm weg, zur Wand. Perfekt.

Jetzt hält Roy den Kopf des Pferdes mit einer Hand, stützt ihn auf der Hüfte ab, während er das Geld aus seiner Tasche holt. Er legt es in das Pferd, drückt die Scheine, die sich schon darin befinden, hinunter. Voll. Zu voll. Er muss unbedingt auf die Bahamas. Bald. Zu viel Geld im Haus. Viel zu viel.

Den Kopf wieder auf den Körper zu setzen ist leichter. Diesmal scharrt nichts. Roy bleibt einen Augenblick ste-hen und betrachtet den Miró an der Wand. Er ist wie An-gela, denkt Roy. Er sprüht vor Lebenskraft, ist das Einzige

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an diesen Wänden, das lebendig wirkt. Vielleicht wird er Saif morgen um einen weiteren bitten.

»Roy?«, hört er Angelas Stimme hinter sich. Roys Herz beginnt, schneller zu schlagen.

»Schlaf weiter«, sagt er und dreht sich um. Sie blinzelt ihn, auf einen Ellbogen gestützt, durch die Dunkelheit an. Hat nicht gesehen, wie er sich an dem Pferd zu schaffen machte. Wahrscheinlich. »Bist du gerade erst aufge-wacht?«, fragt er.

»Hm. Kann ich ein Glas Wasser haben?« »Klar. Ich bring dir eines.« Roy geht in die Küche,

nimmt ein sauberes Glas aus dem Schrank und füllt es mit Leitungswasser, gibt ein paar Eiswürfel und einen Spritzer Zitronensaft hinein, damit der Geschmack besser wird. Das Leitungswasser ist in dieser Gegend nicht so gut.

Dann kehrt er ins Wohnzimmer zurück, setzt sich aufs Schlafsofa und reicht ihr das Glas. »Danke«, sagt sie und trinkt einen Schluck. »Ist trocken hier drin.«

»Hier drin ist’s immer trocken. Das macht der Wind.« Sie trinkt noch einen Schluck. »Wie ist dein Termin ge-

laufen?« »Gut. Ich hab einen neuen Kunden.« »Für was?« »Für ein Teil, das ich verkaufen will. Ein Service, sehr

alt.« Angela fasst lächelnd ihre Haare so zusammen, dass sie

ihr in die Augen hängen. Jetzt kann er bloß ihren grinsen-den Mund sehen. »Magst du mir noch was sagen?«

»Morgen. Schlaf jetzt.« »Warum hat Mom dich verlassen?« Dieses Mädchen. »Tja, das musst du sie selber fragen.« Angela gibt Roy das Wasserglas zurück, legt sich wieder

hin. Roy deckt sie zu. »Tja, das hab ich«, sagt sie, »aber sie wollte nicht darüber reden. Hat geschimpft wie ein

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Rohrspatz.« »Das kann ich mir denken. Nun …« Roy will Angela

nicht von dem einen Mal erzählen, als er ausgerastet ist. Heather hätte ihn sowieso verlassen. Irgendwann. Viel-leicht hat sie schon lange vor ihm gewusst, wie’s laufen würde. »Ich weiß auch nicht so genau, warum deine Mom mich verlassen hat. Möglicherweise hat sie mich für einen schlechten Kerl gehalten.«

»Und, bist du das?«, fragt Angela mit undeutlicher Stimme und streckt die Arme nach dem Kissen aus. Schläft schon fast wieder ein. »Bist du ein schlechter Kerl?«

»Ja.« »Du siehst aber nicht so aus.« »Tja, das gehört dazu. Deswegen bin ich so gut.« Angela macht die Augen zu; ihr Kopf sinkt aufs Kissen.

»Ich halte dich nicht für einen schlechten Kerl.« »Du bist noch jung«, sagt Roy, steht auf, streicht die

Decke glatt und geht zur Tür. »Schlaf weiter.« Dann tritt er hinaus auf den Flur. Es ist Zeit für Roy, selbst ins Bett zu gehen. Er macht sich auf den Weg ins Schlafzimmer.

Da hört er Angela murmeln: »Ich halte dich wirklich nicht für einen schlechten Kerl.«

5

Roy ist noch nie in diesem Laden, einer Boutique, gewe-sen. Gedämpfte Beleuchtung, merkwürdige Musik. Eines der Geschäfte, über die das Fernsehen manchmal berich-tet. Roy kauft seine Anzüge sonst im Kaufhaus. Einmal hat er einen Anzug im Lagerverkauf erworben, ganz billig, und er passt immer noch wunderbar. Aber der Laden hier

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befindet sich in einer Einkaufspassage und hat einen be-rühmten Namen. Das wusste er nicht, doch Angela hat ihn sofort erkannt, mit einem kleinen Aufschrei Roys Hand gepackt, ihn hinein und zu einem Mann gezerrt, der eine Satinjacke trägt. Plötzlich probiert Roy Sakkos und Hosen und Krawatten an.

»Den brauche ich wirklich nicht«, sagt er zu Angela und deutet auf den blauen Anzug mit schmalen Nadelstreifen sowie die dazu passende rote Krawatte, die er gerade trägt.

»Doch. Vertrau mir.« »Ich versteh gar nicht, wieso du meine alten Anzüge

nicht magst.« »Weil sie alt sind.« »Sie sind völlig in Ordnung«, sagt Roy. »Ich weiß, aber ich hab ’nen Ruf zu verlieren. Du soll-

test besser auf dich achten.« Roy schaut sich im Spiegel an. Das Sakko sitzt, ka-

schiert seinen Bauch. Die Ärmel haben genau die richtige Länge, die Hose sitzt auf den Hüften, drückt ihn nicht an der Taille. Ist gar nicht so schrecklich, etwas zu tragen, das passt und gut aussieht.

Sie finden zwei weitere Anzüge, die ihm zusagen, dazu zwei Sportjacken, ein paar Hemden und einige Krawatten. Angela läuft unermüdlich zwischen Umkleidekabine und Kleiderständern hin und her, bringt Roy immer neue Sa-chen zum Anprobieren. Sie hängt sie wieder zurück, wenn sie ihm nicht gefallen, und trägt sie zur Kasse, wenn er sie mag.

Als sie fertig sind, dirigiert Angela Roy in den vorderen Teil des Ladens. »Das hier ist eine Kasse«, neckt sie ihn. »Hat’s so was schon gegeben, als du das letzte Mal beim Einkaufen warst?«

Roy lächelt den Verkäufer an. »Meine Tochter. Jeden-falls, bis das Waisenhaus sie wieder zurücknimmt.« Ange-

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la boxt Roy in den Bauch, und er lacht. Ohne eine Miene zu verziehen, gibt der Verkäufer die

Beträge in die Kasse ein und sagt schließlich: »Sechstau-sendvierhundertachtzehn Dollar und fünfundsechzig Cent. Scheck oder Karte?«

»Bar«, antwortet Roy. Der Verkäufer weiß nicht so recht, ob er lachen soll.

Roy meint es ernst, denn er ist vor dem Ausflug in die Einkaufspassage an das Keramikpferd gegangen. Er hat auch große Scheine, aber am Schluss liegen trotzdem ziemlich viele Hunderter auf der Ladentheke. Roy wartet auf sein Wechselgeld. Angela beobachtet den Verkäufer dabei, wie er versucht, die dicken Geldbündel in die Kasse zu stopfen; es passt nicht alles hinein.

»Er ist Antiquitätenhändler«, erklärt sie dem jungen Mann. »Das Geschäft läuft gut.«

Nach drei weiteren Läden überredet Angela Roy, sich die Haare schneiden zu lassen. Die Stylistin heißt Daphne, und sie unterhält sich während der ganzen Sitzung lebhaft mit Angela über irgendwelche Filmstars. Roy ist erleich-tert, denn er hätte keine Lust zum Reden gehabt.

Die Freuden der Essensabteilung in der Einkaufspassage kennt Roy ebenfalls noch nicht. Er hat schon oft die Leute dort beobachtet, sich aber selbst noch nie etwas in einem der Lokale gegönnt. Er und Angela entscheiden sich beide für chinesisches Essen, beide für lo mein. Das ist ihr Lieb-lingsgericht, sagt sie. Seines auch. Wieder etwas, das sie von ihm hat. Die Augen, die Vorliebe für Truthahn auf Roggenbrot und die für lo mein. Nicht schlecht für den Anfang.

»Bin ganz schön kaputt«, sagt Roy. »Hab gar nicht ge-wusst, dass Einkaufen so anstrengend ist.«

»Tja, du bist auch noch nie mit mir Shopping gewesen. Wenn wir mit dem Essen fertig sind, könnten wir in den

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Prada-Laden im besseren Teil gehen.« »Lass mich zuerst ein bisschen verdauen, dann können

wir uns weiter darüber unterhalten.« Angela stochert in ihrem lo mein herum, wickelt die Nu-

deln um ihre Essstäbchen. »Vorhin in dem Laden … das waren doch echte Scheine, oder?«

»Ja.« »Das ist ’ne Menge Geld, das du da mit dir rumträgst. Es

gibt Schecks, weißt du. Die verwenden viele Leute.« »Ich hab kein Vertrauen zu den Banken.« »Zu keiner?« »Nein, zu keiner.« »Versteh ich nicht«, sagt sie. »Glaubst du denn, die

klauen dir dein Geld oder was? Meinst du, die hauen dich übers Ohr?«

Roy zieht schlürfend ein paar Nudeln in den Mund. »Die nehmen dein Geld und geben es anderen Leuten als Kredit für Autos, Hypotheken, was auch immer. Du kriegst zwei von den zehn Prozent, die sie selber dran verdienen. Das heißt, sie betrügen dich um acht Prozent.«

»Da kenn ich mich nicht aus«, gibt Angela zu. »Im letz-ten Zeugnis hab ich in Mathe ’ne Vier gekriegt. Ich weiß bloß, dass du zu viel Geld zu Hause hast.«

Roy zuckt mit den Achseln. Die stoppeligen Haare in seinem Nacken reiben an seinem Hemdkragen. »Ich finde, sie hat sie mir zu kurz geschnitten.«

»Sie hat sie genau richtig geschnitten. Sieht toll aus.« Roy fährt sich mit den Fingern durch die Haare. Es sind

kaum noch welche da. »Fühlt sich an wie ein Stiftenkopf.« »Nein, du siehst gut aus, glaub mir.« Sie kauen ihr lo mein, schlürfen ihr Sodawasser. Sie

beobachten die Leute, die mit ihren Tabletts an ihnen vor-beigehen. Zufriedene Kunden.

»Wenn du mit Drogen handelst«, meint Angela, »kannst

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du mir das ruhig sagen.« Roy verschluckt sich. Er hustet ein, zwei Mal in seine

Serviette, schluckt. »Wie bitte?« »Ist mir egal. Jeder muss sehen, wo er bleibt.« »Wie kommst du … Ich handle nicht mit Drogen.« »Antiquitätenhändler laufen normalerweise nicht mit

dicken Geldbündeln in der Tasche rum.« »In dem Geschäft braucht man Bargeld.« »Ist mir recht, solange du nichts an Kinder verkaufst.

Das ist einfach nicht cool. Du verkaufst doch nichts an Kinder, oder?«

»Herrgott«, sagt Roy, bemüht, nicht zu laut zu werden, »ich handle nicht mit Drogen.«

»Was machst du dann?« Die Frage ist simpel, präzise. Diesmal scherzt Angela nicht. Sie beugt sich ein wenig zu ihm vor.

»Ich … Wieso interessiert dich das eigentlich?« »Ich will’s einfach wissen. Was machst du, Roy?« Er sieht sich um: Hausfrauen, die Calzone essen, Ge-

schäftsleute, die hastig Gyros oder Pommes hinunter-schlingen. Niemand scheint ihnen Beachtung zu schenken.

»Na schön«, meint Roy, »ich sag’s dir, aber dann ist das Thema beendet, und wir reden nicht mehr drüber, okay?«

»Okay.« »Es ist mein Ernst.« »Ja, abgemacht.« »Ich bin ein Hochstapler.« Angela bekommt große Augen, als sie sich auf ihrem

Plastikstuhl zurücklehnt. »Cool«, sagt sie. »Nein, das ist nicht cool.« »Du bist ein Trickbetrüger.« »Ja.« »Ein Schwindler.« »Ja.«

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»Ein Ganove, ein Gauner, ein Bauernfänger, ein Schie-ber.«

»Du kennst dich ja gut aus«, sagt Roy. »Ich geh ins Kino. Mann, das ist cool.« »Das, was ich mache, ist nicht Kino. Es ist nicht lustig,

es ist kein Spiel. Es ist … was ich mache, und das meiste davon ist nicht in Ordnung. So, jetzt hab ich dir gesagt, womit ich mir meinen Lebensunterhalt verdiene, also halt dich an die Abmachung und bohr nicht weiter.«

»Bring mir was bei.« »Hör auf damit, Angela.« »Ach was, bring mir was bei.« »Hör auf. Ich bring dir nichts bei.« Roy ist der Appetit

vergangen. Jetzt würde er gern die Galle in seiner Kehle spüren, wütend auf sie sein. Sie hat kein Recht, solche Fragen zu stellen. Kein Recht, von ihm zu verlangen, dass er ihr etwas beibringt. Aber er spürt keine Galle in der Kehle, keinen Druck im Kopf.

»Einen Trick«, bettelt sie ihn an. »Nur einen, damit ich ihn in der Schule ausprobieren kann.«

»Nein.« »Na schön, dann probier ich ihn eben nicht in der Schule

aus. Ich schwör dir, ich will bloß wissen, wie du’s machst, das ist so cool …«

»Hör zu«, sagt er, packt sie am Arm, zieht sie von ihrem Sitz hoch. Er spürt, wie ihr kleiner Bizeps sich unter sei-nen Händen anspannt. »Was ich tue, ist nicht cool. Es macht keinen Spaß. Es bedeutet, dass ich Leuten, die dumm genug sind, drauf reinzufallen, Geld wegnehme. Du bist ein gutes Mädchen – ich bringe dir so was nicht bei.«

Er lässt sie los. Sie bleibt schmollend stehen. »Setz dich«, sagt er. »Iss weiter.« Aber sie rührt sich

nicht von der Stelle, steht einfach nur mit hängenden Schultern und Armen da. Starrt durch ihn hindurch, an

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ihm vorbei. »Auch gut«, sagt Roy und wendet sich wieder seinem lo

mein zu. »Bleib ruhig so stehen, wenn du willst. Ich ess weiter, ich hab Hunger.«

Erst als sie im Wagen sind, vier Häuserblocks von der Einkaufspassage entfernt, merkt Roy, dass sie ihn mit Schweigen straft. Das letzte Mal, dass er das erlebt hat, ist Jahre her, mindestens fünfzehn. Er kann sich fast nicht mehr daran erinnern. Angela sitzt auf dem Beifahrersitz, die Arme vor der Brust verschränkt, und sieht auf die Straße vor ihnen. Jetzt schmollt sie nicht mehr, starrt nur noch vor sich hin.

»Wo willst du als Nächstes hin?« Keine Antwort. »Willst du Radio hören?«

Sie zuckt nicht einmal mit der Wimper. Roy ist beein-druckt. Er schaltet das Radio ein, wählt einen Klassiksen-der. Er mag klassische Musik nicht, ist sich aber sicher, dass Angela sie noch weniger mag als er. Er dreht laut. Geigenklänge erfüllen die Luft.

»Du musst es bloß sagen, wenn ich leiser machen soll«, brüllt er über die Musik hinweg.

Nichts. Roy versucht es noch einmal. »Soll ich das Fen-ster aufmachen?« Als sie nicht reagiert, drückt er auf den Knopf für den elektrischen Fensterheber, und schon wer-den Angelas Haare vom Fahrtwind zerzaust. Er weht ihr direkt ins Gesicht, in die Augen. Immer noch keine Reak-tion. Das Mädchen ist gut, das muss er ihr lassen. Ihre Mutter hätte inzwischen aufgegeben, ihn angebrüllt, ge-kreischt oder gelacht. Aber Angela ist anders. Irgendwie ist Roy stolz auf sie.

Roy geht mit ihr ins Kino, ein lustiger Film. Die anderen Zuschauer lachen so sehr, dass sie fast keine Luft mehr bekommen. Keine Reaktion von Angela. Roy wirft mit Popcorn nach ihr; es verfängt sich in ihren Haaren. Sie

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wischt es weg, verschränkt wieder die Arme, schmollt weiter.

So geht es auch während des Abendessens zu Hause, Pa-sta von einem Italiener ganz in der Nähe. Roy schaltet den Fernseher nach der Hälfte des Essens aus, um zu sehen, ob sie jetzt mit ihm redet. Nein. Er schaltet ihn wieder ein, weil er die Stille nicht erträgt. Als er sie an jenem Abend ins Bett bringt, stellt sie keine Fragen. Sie gibt ihm keinen Kuss auf die Stirn. Sie macht nichts von alledem, was sie sonst tut. Sie sagt nicht einmal »Gute Nacht« zu ihm.

Roy geht ins Bett, redet sich ein, dass sie am nächsten Morgen klein beigeben wird. Sie ist stur, ja, aber noch ein Kind. Irgendwann wird sie es nicht mehr aushalten und wieder reden.

Das Frühstück verläuft schweigend. Das ist, als esse man in einem Vakuum. Roy gibt sich Mühe. »Okay«, sagt er irgendwann und schiebt seinen Teller mit Frühstücks-flocken weg. Angela sitzt ihm gegenüber am Tisch, immer noch im Nachthemd. »Na schön, das Spielchen können auch zwei spielen.«

Und jetzt beginnt Roy, ebenfalls zu schweigen. Er sagt nichts, sie sagt nichts. Sie starren einander an. Es ist ein Machtkampf.

Der Junge in dem Laden ist gerade von dem einzigen Mädchen verlassen worden, das ihn je rangelassen hat, von Jessica, seiner Jessica. Sie trug eine Brille und küsste ziemlich feucht, aber sie war seine Freundin. Er ist sech-zehn, dünn, hat Pickel und hasst seinen Job. Es ist die ein-zige Arbeit, die er, abgesehen vom Tüten-Einpacken im Lebensmittelgeschäft, finden konnte. Aber bei der Arbeit möchte er niemandem aus der Schule begegnen, und der Laden ist weit weg von seinem eigenen Viertel. Er hasst den Job, liebt jedoch das Geld, das er damit verdient. Mit

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dem Geld könnte er Mädchen einladen, wenn die nur woll-ten.

Es ist schon fast Mittag, als das Mädchen den Laden betritt. Sie tanzt die Gänge entlang. Sie ist hübsch, hat rötlich braune, taillenlange Haare, ein bisschen wie Jessi-ca. Aber ihr Körper ist besser als der von Jessica, viel bes-ser. Sie ist schlank, hat lange Beine und wunderschöne Lippen.

Angela tänzelt weiter die Gänge hinunter, sorgt dafür, dass der Junge sie bemerkt. Dann steht sie plötzlich vor der Ladentheke und lässt einen Finger über das Regal mit den Kaugummis gleiten. »Hast du ’nen Lieblingskau-gummi?«, fragt sie den jungen Mann.

»’nen Lieblingskaugummi?« »Ja. Ich möcht mir einen kaufen, aber ich weiß nicht,

welchen. Kannst du mir einen Tipp geben?« Der Junge räuspert sich. Sonst fragt ihn nie jemand nach

seiner Meinung, am allerwenigsten hübsche Mädchen. »Ich mag Dentyne«, antwortet er.

»Dentyne! Ja, stimmt, den mag ich auch.« Sie kichert. Es scheint ihr ernst zu sein. »Tja, dann sind wir wohl so was wie Kaugummi-Zwillinge«, sagt sie, und der Junge nickt, grinst. Er weiß nicht, was sie meint, aber ihm ge-fällt’s, wie sie es sagt. »Wie viel kostet der, fünfundvierzig Cent?«

Er weiß, dass der Kaugummi fünfzig Cent kostet, will aber professionell wirken, sie beeindrucken. Also zieht er das Päckchen über den Scanner, und schon erscheint der Preis auf dem Computer. »Fünfzig Cent«, sagt er mit unsi-cherer Stimme.

Angela sucht in ihrer Tasche herum, und dabei verdreht sie ihren Körper. Der Junge bemüht sich, nicht auf ihren Busen zu starren, auf die weichen Brüste, die sich nur we-nige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt bewegen. Er

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wendet den Blick ab, versucht, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren.

»Ich hab kein Kleingeld«, sagt sie schließlich. »Bloß ’nen Zwanziger.« Sie reicht ihm den Schein mit einem verschämten Blick. »Ich komm mir blöd vor, wenn ich dir ’nen Zwanziger für ’nen Kaugummi gebe, der bloß fünfzig Cent kostet.«

Er winkt ab. »Kein Problem. Hier sind schon Typen aufgetaucht, die haben ’ne Flasche Wasser mit ’nem Hun-derter bezahlt.« Er öffnet die Kasse, gibt dem Mädchen die neunzehn Dollar fünfzig Wechselgeld. Dabei berührt er wie zufällig ihre Hand. Sie ist weich, genau, wie er es vermutet hat.

»Danke«, sagt sie und steckt das Wechselgeld ein. An-schließend reißt sie das Päckchen auf, steckt einen Kau-gummi in den Mund und lehnt sich gegen die Theke, das Gesicht kaum einen halben Meter von dem seinen ent-fernt. »Gehst du hier in der Gegend in die Schule?«

Der junge Mann schluckt, betet, dass ihm die Stimme nicht kippt, und antwortet: »Meine Schule ist ein Stück weg. Ich geh in die Hamilton.«

»Ach, tatsächlich? Cool. Da hatte ich mal Freunde, die haben mich zu ein paar Spielen mitgenommen. Genau, daher kenne ich dich. Du bist doch im Football-Team, stimmt’s?«

Er möchte nicht rot werden, versucht, ruhig zu atmen. »Nein«, sagt er, würde gern lügen, aber es gelingt ihm nicht. »Nein.«

»Bist du sicher?« »Ja. Ich meine … ich wär schon gern in die Mannschaft

gegangen, aber ich hatte andere Verpflichtungen.« Angela nickt verständnisvoll. »Schade«, sagt sie, streckt

die Hand aus, berührt den Arm des Jungen, lässt die Fin-ger über seinen Bizeps gleiten. »Mit solchen Armen … Na

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ja, ist ihr Verlust, was?« »Ja, stimmt.« Der Junge bekommt fast keine Luft mehr. Das hübsche Mädchen schenkt ihm ein letztes strahlen-

des Lächeln, winkt zum Abschied und macht sich auf den Weg zur Tür. Er würde ihr gern nachrufen, sie nach ihrem Namen und ihrer Telefonnummer fragen, aber er bringt kein Wort heraus. Doch plötzlich bleibt sie stehen, dreht sich um, kommt zurück an die Theke. Wird sie ihn fragen, ob er mit ihr ausgehen will?

»Ich hab doch noch fünfzig Cent gefunden«, sagt sie und legt zwei Viertel-Dollar-Münzen auf die Theke.

Einen Augenblick lang begreift er nicht, was sie will. Was haben fünfzig Cent mit einer Verabredung zu tun? Da fällt es ihm ein: der Kaugummi. »Ach«, sagt er. »Wunder-bar.« Er legt das Kleingeld in die Kasse.

»Kann ich meinen Zwanziger wiederhaben?«, fragt sie ihn und sieht ihn mit ihren großen blauen Augen an.

Er nickt und holt ihren Schein heraus, reicht ihn ihr und sieht ihr dabei zu, wie sie ihn in die Tasche steckt. Er senkt den Blick. Es fällt ihm leichter zu reden, wenn er sie nicht anschaut. »Weißt du«, stammelt er, »vielleicht könn-ten wir irgendwann mal miteinander ausgehen oder so.«

Keine Antwort. Er hat Angst, den Blick zu heben. Was, wenn sie ihn auslacht?

Aber sie lacht nicht und antwortet auch nicht. Als er schließlich den Mut aufbringt, den Kopf zu heben, erklingt das Glöckchen an der Tür, und das Mädchen ist ver-schwunden.

Als Angela aus dem Laden ist, verlangsamt sie ihre Schritte. Roy, der in einer schmalen Straße hinter dem Geschäft auf sie gewartet hat, gesellt sich zu ihr. »Hast du den Zwanziger?«

»Ja.« »Und die neunzehnfünfzig Wechselgeld auch?«

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»Ja.« Sie lacht. »So, das war die Zwanziger-Nummer«, sagt Roy. »Der

älteste Trick der Welt. Na ja, vielleicht nicht der älteste, aber …«

»Mein Gott, war das einfach. Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach ist.«

»Das sind die Grundlagen, die muss man beherrschen. Aber nicht alles läuft so problemlos.«

»Ich weiß, ich weiß. War ein tolles Gefühl, zur Ab-wechslung mal was richtig zu machen.«

Roy zuckt mit den Achseln. Er freut sich für sie, dass es geklappt hat. »Es ist nicht richtig. Es ist nur eine von vie-len Methoden, an Geld zu kommen.«

»Egal«, sagt sie. »Ich möcht’s noch mal machen. Einen Block weiter ist ein Seven-Eleven.«

»Nein. Einmal war ausgemacht.« »Mein Gott, so ein mickriger Seven-Eleven, das tut doch

niemandem weh. Wie soll ich denn besser werden, wenn ich nicht übe?«

»Du sollst nicht besser werden, und du wirst nicht üben. Das war’s, kein Wort mehr davon.« Genau davor hat er Angst gehabt. Der Reiz des leicht verdienten Geldes. Auch er selbst hat mit der Zwanziger-Nummer angefangen, und dann hat sich alles wie von selbst weiterentwickelt. Hank hat ihm das Handwerk beigebracht, aber es war diese erste Zwanziger-Nummer, die ihn ins Geschäft gezogen hat.

»Willst du was essen?«, fragt er Angela, hofft, dass sie nicht wieder ausflippt.

»Klar«, antwortet sie. Sie ist enttäuscht, das sieht er, doch sie wird ihn nicht wieder mit Schweigen strafen. Sie ist vernünftig, weiß, wo die Grenze ist.

Da spürt er etwas in seiner Gesäßtasche vibrieren. Er greift hinein, holt den Piepser heraus. Er hasst das Ding.

Roy wirft einen Blick aufs Display. Den Anfang der

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Nummer darauf kennt er nicht, nur die letzten vier Stellen: 2420. Das ist Frankies Nummer.

»Scheiße.« »Was?« »Ich muss jemanden anrufen.« Angela legt lächelnd den Kopf schräg. »Dringende An-

tiquitätengeschäfte?« »Hör auf mit dem Blödsinn. Ich brauch ’ne Telefonzel-

le.« Angela hält ihm ihr Handy hin, doch Roy winkt ab.

»Nimm’s«, sagt sie, »ich hab endlos viele Freiminuten.« »Telefonzelle«, wiederholt er. »So läuft das.« Roy sieht

sich nach einem öffentlichen Telefon um. Da, auf der an-deren Straßenseite, direkt neben dem Lebensmittelladen. »Bleib hier. Ich bin gleich wieder da.«

Als Roy in der Telefonzelle steht, merkt er, dass Angela ihm gefolgt ist. Sie winkt ihm durch die Scheibe zu. Roy wählt die Nummer auf dem Display seines Piepsers, war-tet darauf, dass Frankie sich meldet.

»Hallo?« Eine unsichere Stimme, die Roy nicht kennt. »Frankie?« »Nein, Bob.« »Bob.« »Ja.« Roy ist verwirrt. »Bob, haben Sie mich angerufen?« »Nein, Sie haben mich angerufen. Sie haben diese

Nummer gewählt.« »Stimmt«, sagt Roy. »Weil ich angepiepst worden bin.

Ich hab die Nummer von dem Display auf meinem Piepser gewählt …«

Nun hört Roy im Hintergrund andere Stimmen. Eine da-von klingt nach Frankie. Frankie ist wütend. »… gib das verdammte Telefon her, du Vollidiot. Gib’s mir …« Es hört sich nach einem Handgemenge an, dann folgt heftiges

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Atmen. Schließlich meldet sich Frankie mit klarer und deutlicher Stimme. »Roy?«

»Ja, ich bin’s. Was ist los?« »Ich bin am Flughafen. Ich pieps dich an, geh zum Pin-

keln, und wie ich zurückkomm, hat irgend so ein Arsch-loch den Hörer in der Hand. Wer geht denn in einem Flughafen an ein öffentliches Telefon, wenn’s klingelt?«

»Bob. Also, raus mit der Sprache: Was willst du?« »Ich hab hier was am Laufen, da würd ich dich brau-

chen. Die Jamaika-Tausch-Nummer. An dem Projekt ar-beite ich schon seit Wochen. Der Typ ist reif.«

Angela drückt sich die Nase an der Scheibe der Telefon-zelle platt. Roy dreht sich weg. »Ich bin grad beschäftigt. Kann das bis morgen warten?«

»Nein, keine Chance. Der Kerl ist nervös, morgen ist er weg.«

»Und er hat das Geld?« »Ja, dabei, das sag ich doch.« Jetzt steht Angela wieder auf seiner Seite, einen Lippen-

stift in der Hand. Sie beginnt, auf die Scheibe zu malen. Roy braucht eine Weile, bis er entziffern kann, was sie schreibt: 7-11, 7-11, 7-11. Wieder dreht er sich weg, ver-heddert sich im Telefonkabel.

»Um wie viel geht’s?« »Um ungefähr dreißig Riesen«, antwortet Frankie. »Ich

hab ihm gesagt, wir treffen uns um drei in der Delta Lounge.«

Roy sieht auf seine Uhr – es ist fast zwei. Den Verkehr und die Zwischenstopps eingerechnet, die er machen muss, kann er es geradeso schaffen. »Ja, das geht.«

»Bringst du die Knete und alles andere mit?« »Klar«, sagt Roy. »In welcher Währung?« »In Pfund.« »Soll ich vielleicht ’nen Engländer spielen? Den ver-

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dammten Akzent kann ich nicht. Das letzte Mal, als du diese Scheiße mit dem Franzosen …«

»Nein, du bist ein amerikanischer Banker«, sagt Frankie lachend. »Du kannst ruhig ’nen Typ aus dem Mittleren Westen mimen.«

»Gut. Bis um drei in der Bar vom Delta-Terminal also.« Angela hat mittlerweile auch die andere Seite der Telefon-zelle mit leuchtendem Lippenstift verschmiert. Er sieht überall nur noch die Zahlen 7 und 11. Sie hüpft lachend auf und ab und winkt Roy zu. Er weiß, dass er sich Ge-danken darüber machen muss, was er mit Angela tun wird. Er weiß, dass er keine Zeit haben wird, sie irgendwo abzu-setzen. Er weiß, dass sie sich das sowieso nicht gefallen lassen würde. »Und ich sorge für die Ablenkung.«

Frankie versteht nicht, was er meint. »Du sorgst für was?«

Roy legt auf, tritt aus der Telefonzelle. »Wer war das?«, fragt Angela.

»Das war geschäftlich.« »Ach«, kreischt Angela sofort. »Kann ich helfen?« Roy beschleunigt seine Schritte, läuft jetzt fast. Angela

bleibt an seiner Seite. »Ja.« »Wirklich?« »Ja. Glücklich bin ich nicht drüber, aber ich habe keine

andere Wahl. Du tust, was ich dir sage, dann klappt die Chose. Du willst doch üben, oder? Jetzt kannst du’s.«

»Was muss ich machen?«, fragt sie. »Du musst ausflippen. Glaubst du, du schaffst das?« Angela lacht den ganzen Weg zum Wagen.

Frankie und der Mann, den er am Haken hat, sitzen bereits an einem kleinen Tisch in der Bar. Roy kann sie durch die Milchglasscheibe sehen. Vor jedem steht ein Drink; der Mann schaut sich nervös um. Roy wirft einen Blick auf

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seine Uhr; er ist fünf Minuten zu spät dran. Sie mussten noch zu Hause vorbeischauen, den Freund eines Freundes in der Devisenstelle der Bank anrufen. Fünf Minuten – gar nicht so schlecht.

Er hat eine Aktentasche in der rechten Hand, ein einfa-ches Modell mit goldfarbenen Verschlüssen. Es gibt Tau-sende davon in dieser, in jeder Stadt. Solche Aktentaschen benutzt Roy am liebsten für diese Jobs. Hank hat immer Gucci-Imitate für die Jamaika-Tausch-Nummer verwen-det, aber Roy ist das protzig vorgekommen. Sinnlos, ein gutes Imitat für so eine Nummer zu verschwenden.

Er überprüft den Sitz seiner Haare und seines Sakkos im Spiegel. Er trägt einen der neuen Anzüge, die sie gestern gekauft haben, einen Banker-Anzug. Roy hat beschlossen zu sagen, er sei aus Rhode Island, falls das zur Sprache kommen sollte. Er hat keine Lust auf einen Mittleren-Westen-Akzent.

»Guten Tag«, sagt er, als er an den Tisch von Frankie und dem Mann herantritt. Er reicht Frankie die Hand, ohne ihn mit Namen zu begrüßen, weil er nicht weiß, wie er sich dem Mann gegenüber genannt hat.

Frankie stellt Roy vor. »Chuck«, sagt er an den Mann gewandt, »das ist Arden Davis, der Banker, von dem ich Ihnen erzählt habe.«

Sie geben einander die Hand. »Freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagt Roy. »Chuck, stimmt’s?«

»Charles«, erwidert der Mann. »Chuck, wenn Sie wol-len. Hören Sie, ich weiß nicht, ob ich die Sache gut finde.«

Roy setzt sich, streicht sein Sakko glatt, stellt die Akten-tasche auf dem Boden neben seinen Füßen ab. »Sie finden die Sache nicht gut?«

»Na ja, das geht alles ein bisschen schnell.« »Was stört Sie?«, fragt Frankie. »Liegt’s am Flugha-

fen?«

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»Am Flughafen und …« »Wir können auch gern woanders hingehen.« Frankie

wendet sich Roy zu. »Sie fliegen heute noch von hier ab, stimmt’s? Wohin geht’s?«

»Nach Dallas. Einer unserer Firmenkunden will ein De-visenkonto eröffnen, also muss ich zu ihm und ihm alles erklären.« Er lacht, winkt eine vorbeigehende Kellnerin heran. »Kann ich einen Martini haben? Danke.« Dann wendet er sich wieder Chuck zu. »Das mache ich den gan-zen Tag: Leuten Finanztransaktionen erklären.«

Roys Worte scheinen Chuck nicht beruhigt zu haben. Er schaut sich immer noch mit nervösem Blick um. Roy ge-fällt das nicht. »Sie haben Zweifel«, sagt Frankie. »Das verstehe ich. Reden wir darüber.«

Chuck schüttelt den Kopf, rutscht mit dem Stuhl ein we-nig vom Tisch weg. »Das ist es nicht. Es geht um eine Menge Geld, und …«

»Und ich versuche, Ihnen zu helfen«, sagt Frankie. »Ja, natürlich fällt für mich auch etwas ab, das leugne ich gar nicht, aber wir haben beide was davon. Wenn ich mich da irren sollte, dann sagen Sie’s.«

»Nein, nein«, meint Chuck. »Ich pflichte Ihnen bei, aber …«

Frankie nickt Roy zu, der die Aktentasche vom Boden nimmt und auf den Tisch legt. Roy lässt den Blick schwei-fen, um festzustellen, ob irgendjemand ihn beobachtet, dann öffnet er das Schloss und zeigt Chuck den Inhalt der Tasche.

Pfund. Echte britische Pfund, Bündel an Bündel. Die ganze Tasche ist voll davon. Chuck muss schlucken. »Ist das … ist alles drin?«

»Dreißigtausend Pfund«, sagt Roy, schließt die Tasche und verschließt sie wieder. Mit gesenkter Stimme erklärt er: »Das ist einer der Vorteile, wenn man in der Devisen-

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abteilung der Bank arbeitet.« »Arden ist Vice President«, erläutert Frankie. »Mana-

gement. Haben Sie Ihren Teil auch dabei?« Chuck legt seine eigene Aktentasche auf den Tisch,

klopft darauf. Frankie zieht sie zu sich heran und lässt das Schloss aufschnappen. Amerikanische Geldscheine, ge-nauso nebeneinander gestapelt wie die britischen Pfund. »Dreißigtausend«, sagt Chuck. »Wie abgemacht. Aber ich weiß nicht, ob …«

»Guter Mann«, sagt Frankie und lehnt sich zurück. »Wir tun Ihnen einen Gefallen. Sie bekommen dreißigtausend Pfund – wie viel ist das im Augenblick in Dollar, Arden?«

»Zum heutigen Kurs …« Roy gibt vor, einen Moment nachzudenken, als müsse er erst im Kopf nachrechnen. Aber er hat die Zahl bereits eine halbe Stunde zuvor aus-wendig gelernt. »Etwa neunundvierzigtausendachthun-dert.«

»Neunundvierzigtausendachthundert«, wiederholt Fran-kie. »Wenn wir ins Geschäft kommen, sind das fast zwan-zigtausend amerikanische Dollar dafür, dass Sie einem Freund helfen. Sonst brauchen Sie nichts zu tun. Wissen Sie eigentlich, wie viele Leute sich auf eine solche Gele-genheit stürzen würden?«

Frankie redet weiter auf Chuck ein. Während er spricht, betritt Angela die Bar. Roy hebt die Augenbrauen. Sie kommt auf sie zu, in der rechten Hand eine einfache schwarze Aktentasche mit Goldverschlüssen. Roy senkt die Hand, und sie bleibt ein paar Tische von ihnen entfernt stehen.

»Ich weiß, ich bin paranoid«, sagt Chuck. »Aber woher stammt das Geld? Wem gehört es?«

Frankie sieht ihn ungläubig an. »Sie wollen wirklich wissen, wem’s gehört?«

Roy schenkt Frankie keine Beachtung. Dies ist der Mo-

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ment, in dem derjenige, der die Sache ins Rollen gebracht hat, sich zurückziehen soll. Jetzt übernimmt der zweite Mann. Aber Frankie hat kein Geschick beim Rückzug. Roy hat immer das Gefühl, dass er seinem Partner das Heft aus der Hand reißen muss. Vielleicht sollten sie das nächste Mal die Rollen tauschen. Nun, wahrscheinlich wird das nicht passieren.

»Das Geld taucht nicht in den Büchern auf«, erklärt Roy.

»Und Sie haben sich’s untern Nagel gerissen?«, fragt Chuck. Allmählich erwärmt er sich für die Sache, wird aufgeregt.

»Genau.« Die Kellnerin tritt an ihren Tisch, den Martini auf einem

Tablett balancierend. Roy hebt die rechte Hand, kratzt sich an der Nase. Angelas Timing ist perfekt. Sie erreicht ihren Tisch zum gleichen Zeitpunkt wie die Kellnerin. Als diese sich vorbeugt, um Roy den Drink zu servieren, stellt An-gela, ihren Körper als Deckung nutzend, die Aktentasche neben Roys Füßen ab.

Sobald die Kellnerin weg ist, senkt Chuck die Stimme. Jetzt hängt er endgültig am Haken. »Das heißt also, dass wir es hier mit Veruntreuung und Geldwäsche zu tun ha-ben.«

Roy liebt es, wenn sie diese Ausdrücke verwenden. Vor einem ganz normalen Straßenraub schrecken die meisten Menschen zurück, doch sobald es um Wirtschaftskrimina-lität geht, wollen sie auch ein Stück vom Kuchen. »Wenn Sie es so nennen wollen, ja. Mein Gott, ich würde das Geld ja selber nehmen, aber das kann ich nicht, weil sie mir in der Bank genau auf die Finger schauen. Bei uns wimmelt’s von Buchprüfern. Die merken es, wenn ich einen einzigen Peso für mich abzweige.«

Jetzt begreift Chuck. »Wenn wir die Sache also hier über

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die Bühne bringen, nur wir beide …« »Dann erfahren sie nichts davon. Sie können die Pfund

eintauschen, wo Sie wollen, sogar hier im Flughafen, in der Wechselstube.«

»Die würde ich aber nicht empfehlen«, sagt Frankie. »Natürlich nicht«, pflichtet Roy ihm bei. »Ich will ja

auch nur sagen, dass das Geld sicher ist. Es würde nicht auffallen.«

Chuck scheint noch nachzudenken, doch Roy weiß, dass er mitmachen wird. »Okay«, sagt er schließlich. »Wie läuft die Sache?«

»Ganz einfach«, sagt Roy und deutet auf den Tisch. »Wir haben hier zwei Aktentaschen. Wenn wir gehen, nehmen Sie meine und ich Ihre. Sie verlassen die Bar, wir bleiben noch ein bisschen hier, und dann stehe ich eben-falls auf. Fertig.«

»Klingt wirklich … ganz einfach«, sagt Chuck. »Ist es auch.« Von der anderen Seite der Bar hören sie plötzlich Lärm,

lautes Rufen, eine schrille Stimme, ein junges Mädchen. »Ich brauche hier keinen Ausweis«, brüllt sie. »Das hier ist eine verdammte Flughafenbar, wozu wollen Sie da meinen Ausweis sehen?«

Der Barkeeper versucht, mit ihr zu reden, sie zu beruhi-gen, aber es hat keinen Zweck. Das Mädchen packt ein Glas und kreischt: »Ich schlag hier alles kurz und klein. Und glauben Sie ja nicht, dass ich das nicht ernst meine.«

Als das Glas auf dem Boden landet, wenden sich alle dem Spektakel zu, auch Chuck und Frankie. Roy nutzt die Gelegenheit, um die Aktentasche mit den britischen Pfund vom Tisch zu ziehen und sie gegen die auszutauschen, die Angela mitgebracht hat. Dann schiebt er seine eigene Ak-tentasche unter seinen Stuhl. Der Tausch dauert keine zwei Sekunden.

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Der Lärm verstummt genauso schnell, wie er begonnen hat. Roy sieht, wie Angela ihre Show zum krönenden Ab-schluss bringt. Tränenüberströmt und lauthals fluchend marschiert sie aus der Bar. Bevor sie sie verlässt, schleu-dert sie noch ein Glas über die Schulter. Der Barkeeper fängt es auf, bevor es auf dem Boden landen kann. Die Anwesenden applaudieren.

Die Lage in der Bar beruhigt sich. Einen Augenblick lang herrscht Schweigen, bevor die Leute ihre Gespräche wieder aufnehmen. Roy wirft einen Blick auf seine Uhr. »Ich glaube, wir sollten die Sache allmählich zu Ende bringen. Chuck, war schön, Geschäfte mit Ihnen zu ma-chen.« Sie reichen sich die Hand, und Roy deutet mit dem Kopf auf die Aktentasche auf dem Tisch. »Nehmen Sie sie«, sagt er. »Machen Sie Urlaub. Ich hab gehört, London ist um diese Jahreszeit sehr schön.«

Chuck nimmt die schwarze Aktentasche mit einem ner-vösen Lächeln. »Soll ich … zuerst gehen?«

»Ja, lassen Sie uns noch ein bisschen Zeit«, sagt Frankie. »Wir sollten nicht zusammen rausgehen.«

»Natürlich«, meint Chuck. Inzwischen hält er sich schon für einen Meister der Geldwäsche.

Er packt den Griff der Aktentasche und hebt sie hoch. Das Gewicht stimmt. Seine Finger und sein Arm zittern ein wenig. Er macht sich mit wackeligen Knien auf den Weg zum Ausgang.

Als er weg ist, wendet sich Frankie Roy zu. »Was meinst du, wie lange wird er warten, bis er die Tasche aufmacht und sieht, dass bloß Papier drin ist?«

»Bis zur Parkgarage«, sagt Roy. »Bis er in seinem Wa-gen sitzt.«

»Tja, dann sollten wir mal lieber gehen.« »Treffen wir uns im Diner?« »Ja, im Diner«, antwortet Frankie. »Und Roy: Die Ab-

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lenkung … War die von dir?« Roy nickt. Er wusste, dass Frankie die Sache nicht gefal-

len würde. »Ja, Partner, die war von mir.« Frankie nickt, wendet den Blick von Roy ab, will ihm

nicht in die Augen schauen. »Bis nachher im Diner«, sagt er.

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Angela ist nach den Ereignissen des Nachmittags immer noch ganz aufgeregt. Als sie ihr Truthahn-Sandwich isst, hält es sie kaum auf dem Stuhl. »Das Glas, das ich gewor-fen hab«, sagt sie, »ist mit einem Mordsknall zerbrochen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viel Kraft hab. Das hat sich angehört wie ’ne Explosion.«

»Du hast das wirklich gut gemacht«, sagt Roy, und da-bei fällt es ihm schwer, nicht zu lächeln. Sie ist aufgeregt, weil sie gute Arbeit geleistet hat. Aber Frankie wirkt alles andere als glücklich. Als er sich im Diner zu ihnen gesell-te, fiel ihm Angelas Anwesenheit kaum auf. Roy versuch-te, die beiden miteinander bekannt zu machen, doch Fran-kie reagierte kaum: Ein Händedruck und ein Grunzen, das war alles. Angela gab sich Mühe, aber Frankie bestellte seinen Hamburger und schwieg dann.

»Hätte mich fast an dem Glas geschnitten«, fährt Angela fort. »Bin gerade noch weggesprungen. Hast du die alte Tussi an der Theke gesehen? Die mit dem Make-up? Die hätte beinahe ’nen Herzinfarkt gekriegt, als ich das Glas geworfen hab.«

»Du warst wirklich gut«, wiederholt Roy, wendet sich Frankie zu, versucht, ihn ins Gespräch einzubeziehen. »Findest du nicht auch?«

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»Ja«, murmelt Frankie. »Sie hat auf die Sekunde genau reagiert.« »War’s in Ordnung, dass ich so laut gebrüllt hab?«, fragt

Angela. Roy nickt. »Natürlich. So was muss laut sein. Ich hab dir

gesagt, du sollst ausflippen, und das hast du gemacht.« Angela sagt: »Frankie?« »Ja?« »Hab ich’s richtig gemacht?« »Ja, klar. War toll.« Roy kann es nicht ertragen, dass Frankie und Angela

kaum miteinander reden. Sonst plappert Frankie wie ein Wasserfall, doch heute schweigt er. Roy hält das nicht aus. Nicht, wenn Angela dabei ist. Er beugt sich über den Tisch. »Mach keinen Stress, ja?«

»Wieso Stress?«, fragt Frankie. »Ich mach keinen Stress.«

»Was ist los?« Frankie wendet den Blick ab. »Nichts.« »Wir haben dreißig Riesen verdient. Ich hoffe, es gibt

kein Problem.« Frankie macht den Mund auf, um etwas zu sagen, doch

dann überlegt er es sich anders, sieht zuerst das Mädchen an, dann Roy, holt ein paar Viertel-Dollar-Münzen aus seiner Tasche. »Da drüben gibt’s Videospiele. Geh doch ein bisschen rüber.«

»Wenn ihr euch über mich unterhalten wollt …« »Nein.« »… dann bleib ich hier.« »Wir wollen uns nicht über dich unterhalten. Ich muss

mit Roy übers Geschäft reden.« Angela schüttelt den Kopf, verschränkt die Arme vor der

Brust. »Dann kann ich ja hier sitzen bleiben und weiter essen. Ich störe euch auch nicht.«

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»Ich sag ja gar nicht, dass du uns störst, sondern bloß … Roy?«

Am liebsten würde Roy sich vor dieser Entscheidung drücken. »Lass das Mädchen bleiben«, sagt er, »und ihr Truthahn-Sandwich essen.«

Angela macht sich lächelnd über ihr Essen her und dreht sich mit großer Geste von den beiden Männern weg. Fran-kie schüttelt den Kopf. »Siehst du, das hab ich die ganze Zeit gemeint.«

»Dich stört’s, dass ich sie in diese Sache reingebracht habe, verstehe. Ja, es war dumm.«

Angela mischt sich ein. »Ich war super, das hast du sel-ber gesagt.«

»Still. Iss weiter.« Roy wendet sich wieder Frankie zu. »Es war dumm, aber es ging nicht anders. Du hast mich ohne Vorwarnung angerufen, und sie war bei mir. Was sollte ich denn machen?«

»Du brüllst doch die ganze Zeit, du willst keine neuen Partner haben.«

»Das ist was anderes«, sagt Roy. »Nein, es ist exakt das Gleiche. Sie ist ein genauso gro-

ßes Risiko für uns wie jeder andere, den wir einweihen: Saif, Howard vom Wasserwerk, das macht keinen Unter-schied.« Frankie achtet inzwischen nicht mehr auf Angela. Sie beobachtet die beiden Männer, doch ihm scheint das egal zu sein.

»Da täuschst du dich«, sagt Roy. »Und was ist, wenn Chuck zur Polizei geht?« »Tut er nicht.« »Wenn doch?« »Leute wie er machen das nicht. Wir haben die Nummer

doch schon sechs- oder siebenmal durchgezogen, stimmt’s? Und es wird bei Chuck genauso laufen wie bei allen andern. Er wird den Flughafen verlassen, in seinen

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Wagen steigen, die Aktentasche aufklappen und zehn Pfund alte Zeitungen statt dem Geld darin finden. Zwanzig Sekunden später merkt er, dass er uns auf den Leim ge-gangen ist, aber er wird nicht zur Polizei gehen, weil die Sache von vornherein illegal war. Deswegen funktioniert die Nummer so gut.«

»Aber es muss nicht unbedingt so laufen«, sagt Frankie. »Er hat nichts Ungesetzliches getan, denn es ist ja zu kei-nem Geldaustausch gekommen. Er ist schlicht und ergrei-fend ausgeraubt worden, und vielleicht merkt er das auch. Möglicherweise macht es ihm dann gar nicht mehr so viel aus, zur Polizei zu gehen.«

»Und?« »Tja, vielleicht gibt er denen eine Beschreibung von

uns.« Roy bringt das, was Frankie gesagt hat, nicht aus der

Ruhe. »Glaubst du, die fertigen ein Phantombild von zwei Kleinganoven wie uns an? Vergiss es.«

»Stimmt. Und weil wir nie gefasst worden sind, haben sie auch keine Fotos von uns. Wir haben nichts zu be-fürchten.«

Roy beißt von seinem Sandwich ab. Heute Abend schmeckt es ihm. »Wenn wir nichts zu befürchten haben, wo liegt dann das Problem?«

»Das sage ich dir: Vielleicht erinnert Chuck sich an den Aufruhr an der Bar. Vielleicht wird ihm klar, dass wäh-renddessen die Aktentaschen vertauscht wurden. Viel-leicht erinnert er sich an das Gesicht von einem kleinen Mädchen. Vielleicht zählt er zwei und zwei zusammen.«

Frankie starrt Angela an. Sie weicht seinem Blick nicht aus. Keiner von beiden zuckt mit der Wimper. »Vielleicht gibt er eine Beschreibung von ihr, und vielleicht haben die bei der Polizei ein Foto von ihr. Vielleicht ist sie schon mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Tja, und dann

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spüren sie ihre Mutter auf, und die sagt ihnen, wo sie sie finden können. Anschließend stehen sie vor deiner Tür, oder noch schlimmer: vor meiner.« Obwohl Frankie das alles zu Roy sagt, starrt er Angela immer noch an. »Des-wegen hab ich ein Problem, Partner.«

»Gut, dass du dir das von der Seele geredet hast«, sagt Roy. Er kommt sich vor wie Dr. Klein, begreift, was es bedeutet, den Tiraden eines anderen zuzuhören. »Aber deswegen brauchst du dir keine Gedanken machen. Ange-la ist noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen.« Er wendet sich seiner Tochter zu, die ein bisschen von den beiden weggerückt ist. »Mach schon«, ermutigt er sie, »sag’s ihm, damit er Ruhe gibt.«

Angela lächelt Roy an, ihren Vater, aber es ist nicht ihr übliches Grinsen. Sie hat die Stirn gerunzelt. Heather hat früher auch so geschaut. Roy erinnert sich nicht, was der Blick bedeutete. »Mach schon«, wiederholt er, »bringen wir’s hinter uns, damit ihr beide euch endlich vertragt. Sag ihm, dass du noch nichts mit der Polizei zu tun gehabt hast, Angela.«

Sie nimmt einen Bissen von ihrem Sandwich. Plötzlich ist Roy sehr, sehr müde.

»Ich hätt’s dir ja gesagt«, meint sie, gegen die Tränen an-kämpfend, später auf der Heimfahrt im Wagen, »aber das Thema ist einfach nicht zur Sprache gekommen.«

»Zur Sprache gekommen? Du bist vierzehn – wie hast du in dem Alter Zeit gehabt, verhaftet zu werden?«

»Ich hab vergessen, für ein Kartenspiel zu zahlen, ganz einfach. Mit vierzehn hast du sicher auch Scheiß gebaut.«

»Aber du bist ein Mädchen. Wie lange ist das her?« »Keine Ahnung, vielleicht zwei Jahre.« »Und die haben die Polizei geholt.« Roys Füße sind

schwer wie Blei. Er schafft es kaum noch, die Hände auf

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dem Steuer zu halten. »Die haben die Polizei gerufen, weil du ein Kartenspiel geklaut hast.«

Angela zuckt mit den Achseln. »Na ja, vielleicht hab ich auch den Mann vom Sicherheitsdienst ein bisschen zu laut angeschrien, als er mich geschnappt hat.«

»Angela …« »Mein Gott, Roy, er hat mich begrapscht, mir an die Tit-

ten gefasst. Was hätt’ ich denn tun sollen?« Jetzt bebt sie vor Zorn.

»Ist ja gut, ist ja gut, aber du hättest mir davon erzählen sollen. So etwas muss ich wissen.«

Sie rollt sich auf ihrem Sitz zusammen, zieht die Knie bis zum Kinn hoch, schnieft. »Über solche Sachen mag ich nicht so gern reden, okay? Vergiss es.«

»Vorbei ist vorbei. Aber wegen Frankie mach ich mir Sorgen.«

»Was ist mit ihm?« »Er kann dich nicht leiden.« »Prima«, sagt sie schmollend, »ich ihn auch nicht.« Roy schüttelt den Kopf, um ihn wieder klar zu bekom-

men. Sein Blick trübt sich ein wenig. »Das läuft so nicht. Er ist mein Partner.«

»Ich kann dein Partner sein.« »Er ist mein Partner. Du … gehörst zu mir. Ich kann’s

nicht ertragen, wenn mein Partner und meine … du … sich nicht grün sind. Selbst wenn ihr beide euch nie wieder begegnen solltet, will ich das nicht. Hab schon genug Pro-bleme am Hals, ohne dass ihr ’nen Kleinkrieg führt. Ver-such, dich mit ihm zu vertragen, ja?«

Angela richtet sich auf, stützt die Füße am Armaturen-brett ab. Roy sieht es, sagt aber nichts. »Wenn er sich mit mir verträgt, vertrag ich mich mit ihm.«

»Danke. Gibt’s noch irgendwelche anderen Festnahmen, über die ich Bescheid wissen müsste?«

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»Hier in diesem Land?«, fragt Angela mit unschuldigem Augenaufschlag.

»Angela.« »Verbrechen oder Vergehen?« »Du bist ein richtiger Clown, weißt du das? Man sollte

dir deine eigene Show geben.« »Festgenommen oder verwarnt? Verurteilt oder freige-

sprochen? Sie müssen Ihre Fragen schon sehr viel genauer stellen, Officer.« Angela stürzt sich lachend auf Roy, schlingt die Arme um seine breiten Schultern. Er hält das Lenkrad fest, versucht, weiter geradeaus zu fahren. Sie drückt ihm einen Kuss auf die Schläfe und lässt sich wie-der auf ihren Sitz zurückplumpsen.

»Ich hab Scheiß gebaut«, sagt sie, »aber trotzdem bin ich ein anständiger Mensch, Roy. Das meint jedenfalls meine Mom. Wenn du mir also nichts anderes beibringst, wird sich daran auch nichts ändern.«

Die Wochen vergehen schneller, seit er Angela kennt. Sie kommt und geht, ist meist an den Wochenenden bei ihm, manchmal auch während der Woche. Roy hat nichts dage-gen. Eigentlich möchte er mit ihr über die Schule spre-chen, ihr sagen, dass sie hingehen soll, gute Noten mit-bringen, aber er kann sie nicht dazu zwingen. Wenn ihre Mutter ihr deswegen nicht die Leviten liest, wird er’s auch nicht tun. Angela erzählt ihm von ihren Auseinanderset-zungen. Heather hat sich kein bisschen verändert. Wenn Angela nicht von selbst abhaut, wirft ihre Mutter sie raus, und sie darf erst wieder zurück, wenn Mom sich beruhigt hat. Roy mischt sich nicht ein.

Angela hat sogar angefangen, sein Haus auf Vorder-mann zu bringen, ein paar Pflanzen gekauft, ihm beige-bracht, wie man sie richtig gießt. Sie geben den Pflanzen Namen: Angela und Roy, ein Farn und ein Kaktus.

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Und obwohl Roy Angela eigentlich aus dem Geschäft heraushalten wollte, fängt er irgendwann doch an, ihr ein paar Tricks zu zeigen, wenn nicht so viel los ist. Er lässt sie die Zwanziger-Nummer in den Seven-Elevens probie-ren, ihrem Lieblingsziel. Sie liebt es, sich an die Verkäufer ranzumachen, egal, ob Teenager oder Erwachsene. Wenn Angela ihren Charme spielen lässt, hat keiner eine Chance. Roy hält’s weder aus, ihr zuzusehen, noch, ihr nicht zuzu-sehen. Sie ist ein Naturtalent.

Mit Frankie trifft er sich nicht mehr so oft wie früher. Sie ziehen immer noch gemeinsam Nummern durch und machen auch nach wie vor die Kunstsache. Aber Frankie fragt Roy nicht mehr spontan, ob er mit ihm essen oder auf einen Drink geht. Ja, nach einer Nummer bestellen sie sich noch was im Diner und unterhalten sich darüber, wie’s gelaufen ist, doch hinterher gehen sie nach Hause. Roy erzählt Frankie nichts von Angela, und er fragt nicht nach ihr. Sie haben die Jamaika-Tausch-Nummer noch zweimal gemacht, aber beide Male hat Roy Angela zu Hause gelas-sen. Natürlich hat sie geschmollt, doch es hat nichts ge-nützt.

Roy lässt Angela das Geld, das sie bei solchen Tricks verdient, behalten. Es wäre nicht fair, es ihr wieder weg-zunehmen. Allerdings lässt er sie versprechen, ihrer Mut-ter nichts davon zu erzählen. Er möchte Heather nicht wieder am Hals haben. Sie würde wahrscheinlich mitma-chen wollen. Es ist besser, die Dinge voneinander getrennt zu halten.

Eines Abends mitten unter der Woche, als Angela wie-der einmal bei Roy ist, hilft er ihr, das Zimmer aufzuräu-men, bevor sie sich auf den Weg zu einem Treffen mit Frankie machen. Die meisten Aquarelle sind mittlerweile von den Wänden verschwunden. An ihrer Stelle hängen jetzt Fälschungen von Fälschungen: Mirós, Kandinskys,

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Wilders. Angela kann gar nicht genug von ihnen kriegen. Sie liebt die Farben, die Komposition.

»Kunst ist cool«, erklärt sie Roy, während sie das Bett herrichten.

»Findest du?«, fragt Roy. »Dann solltest du Kurse in der Schule belegen.«

Angela nickt nachdenklich. »Ja, vielleicht. Dann könnte ich lernen, wie’s geht.«

»Willst du ein Porträt von mir malen?« »Nur, wenn du’s mir hinterher abkaufst«, sagt sie. Roy

lacht. Angela steigt auf das Bett und lässt die Finger über den Rahmen einer Rothko-Fälschung gleiten. »Jetzt hast du wirklich hübsche Sachen hier drin, Roy.«

»Freut mich, dass es Euer Hoheit gefällt.« Inzwischen ist es für Roy leicht, sich mit Angela zu unterhalten. Sie ver-stehen einander, necken sich gern.

»Und wenn du endlich dieses hässliche Ding auf den Müll gebracht hast«, sagt sie, springt vom Bett herunter und landet neben dem Keramikpferd, »dann ist es per-fekt.«

Roy erstarrt. »Lass die Finger von dem Ding.« »Es ist hässlich, das musst du doch selber zugeben.« »Das hab ich geschenkt bekommen.« »Trotzdem ist es hässlich.« Sie lässt die Hände über das Pferd gleiten. Roy gibt sich

Mühe, ruhig zu bleiben. Er muss unbedingt auf die Baha-mas. Wenn er es schafft, die Reise zu machen, wird er nie wieder Geld in das Pferd legen.

»Vielleicht findet das Pferd dich ja auch hässlich«, neckt er sie. »Vielleicht will es dich loswerden.«

Angela steigt auf seinen Scherz ein. »Das ist eine Figur, du Dummkopf.«

»Ja, eine Figur, die dich hässlich findet. Ab ins Bett jetzt, ich muss noch mal weg.«

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Sie hüpft aufs Sofa zurück und zieht die Decke bis zum Kinn hoch. »Triffst du dich mit Frankie?«

»Ja«, antwortet er. »Ich würd dich ja mitnehmen, aber …«

»Aber er kann mich immer noch nicht leiden. Schon gut. Sag ihm einen schönen Gruß von mir.«

»Mach ich.« Sie schaltet den Schwarzweißfernseher ein. »Ich find si-

cher ’ne Sendung, die meinen Charakter verdirbt.« »Bestimmt.« Roy versucht, seine Krawatte zurechtzu-

rücken, ohne großen Erfolg. Angela seufzt theatralisch, springt auf die Knie, packt seine Krawatte mit der einen Hand und zieht sie mit der anderen straff. Dann lässt sie sich zurück aufs Sofa plumpsen. Roy muss lachen. »Soll ich ein Eis oder irgendwas anderes mitbringen?«

»Hm … Rocky Road?« »Okay, Rocky Road. Bin in spätestens drei Stunden

wieder da.« Sie dreht den Fernseher lauter. »Mach dich auf die Sok-

ken«, sagt sie. Roy schließt die Tür hinter sich. Angela weiß inzwi-

schen, wo alles ist. Jetzt macht er sich keine Sorgen mehr, wenn er sie zu Hause allein lässt. Sie ist ein großes Mäd-chen, kann auf sich selbst aufpassen.

Das Geschäft des Kunsthändlers befindet sich mitten im Shopping-Viertel an der Promenade. Der Laden ist schick, hell erleuchtet. Roy mag ihn nicht. Geschäfte wie die sei-nen macht man am besten in dunklen Gassen. Oder am Hafen. Außerdem versteht er nicht, warum sie die Ware selbst ausliefern müssen.

»Das hab ich dir doch schon erklärt«, sagt Frankie, als sie die Kiste aus dem gemieteten Lieferwagen hieven. »Der Freund von Jimmy ist krank und kann die Sachen

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nicht hinbringen.« »Dann hätte er den Termin eben verschieben sollen«,

sagt Roy, obwohl es keinen Zweck mehr hat, darüber zu reden, denn sie sind ja schon mitten drin in der Sache. »Das nächste Mal muss er ihn verschieben.«

»Finde ich auch. Aber Saif sagt, dass aus dem Osten ’ne ganze Flut von neuen Stücken rüberschwappt, und wenn wir das Zeug nicht jetzt auf den Markt werfen, machen wir Verlust. Vertrau mir, der Mann will kaufen.«

»Hast du mit ihm gesprochen?« »Ich hab mit jemandem geredet, der sich mit ihm unter-

halten hat.« Immer diese Mittelsmänner. Es ist sicherer, ja, aber kei-

ne Art, Geschäfte zu machen. Irgendwie erinnert ihn das an dieses Kinderspiel – stille Post. Man hat keine Ahnung, ob das, was man hört, tatsächlich das ist, was gesagt wur-de. Roy hat mit so etwas schon einmal schlechte Erfah-rungen gemacht.

Aber diesmal hat Frankie Recht. Der Käufer hat Interes-se, und sie überlassen ihm vier Fälschungen zu neuntau-send Dollar das Stück. Der Corbett kostet sogar zehn. Der Kunsthändler, der ganz genau weiß, dass die Bilder nicht echt sind, möchte sie zum Essen einladen, doch Roy sagt Nein. Er will keine große Show, keinen zu engen Kontakt mit dem Mann.

Hinterher gehen Roy und Frankie die Promenade ent-lang. Ein kühler Wind weht ihnen entgegen, sehr zur Freude von Roy, denn er erinnert ihn daran, dass der Win-ter vor der Tür steht. Und dann wird’s keinen Gestank von toten Fischen mehr am Hafen geben.

Straßensänger und Zauberkünstler, unter ihnen auch ein Gitarrenspieler mit seiner Tochter, zeigen ihr Können. Die Kleine singt »Hotel California«. Es ist jedes Mal »Hotel California«, wenn Roy hier vorbeikommt. Das Mädchen

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singt das Lied, seit sie fünf ist. Roy schüttelt den Kopf. Einem Kind so etwas anzutun, dem eigenen Kind. Er wirft ein paar Münzen in den Gitarrenkoffer.

»Na, wie läuft’s?«, fragt Frankie. »Gut. Und bei dir?« »Auch gut.« Früher haben sie keine solchen Unterhaltungen geführt.

Früher waren ihre Gespräche fröhlich, immer voller Schimpfwörter. Roy hat das gefallen. Frankie flucht besser als irgendein anderer, den Roy kennt.

Sie lassen den vornehmen Teil der Promenade hinter sich. Jetzt sehen sie Tante-Emma-Läden, ein paar leer ste-hende Geschäfte mit »Zu vermieten«-Schildern im Schau-fenster. Enge Straßen und dunkle Winkel, Roys Welt. Hierher hätten sie die Kunstwerke bringen sollen, denkt er. Tja, die Dinge ändern sich.

Als sie um eine Ecke biegen, sehen sie eine kleine Men-schenansammlung, einen offenen Halbkreis von Leuten, die hinteren stehen auf den Zehenspitzen. Roy ist klar, was hier läuft, ein Kartentrick. »Sollen wir uns die Sache ge-nauer anschauen?«, fragt er Frankie. Er weiß, dass er nicht auf eine Antwort zu warten braucht.

Der junge Schwarze, der die Nummer durchzieht, stellt sich nicht dumm an. Er lässt die Leute gewinnen, wenn der Einsatz niedrig ist, und streicht den Gewinn selbst ein, wenn er höher wird. »Na, wo ist die Königin?«, fragt er gerade. Dabei huschen seine Hände über die Karten. »Wo ist die Königin? Die Königin bringt euch Glück.«

Roy beobachtet, wie er ein paar Leuten achtzig, neunzig Dollar abnimmt. Die Verlierer verziehen sich, aber die anderen bleiben stehen. Sie wollen nicht selbst mitma-chen, nur sehen, wie andere über den Tisch gezogen wer-den. Roy, der Mann der alten Schule, hat Lust auf ein Spiel.

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»Ich probier’s«, sagt er und tritt zu dem jungen Schwar-zen.

»Hallo, hallo, ein Mutiger. Wie heißen Sie, Sir?« »Ich bin Roy aus Des Moines.« Er weiß, dass er ein

bisschen dick aufträgt mit seiner Hinterwäldlerrolle. Aber der Junge hat noch nicht genug Erfahrung, um das zu merken.

»Roy aus Des Moines, heute könnte Ihr Glückstag sein.« Der junge Mann deckt drei Karten auf: zwei Asse, in der Mitte eine Königin. »Ihre Aufgabe ist es«, sagt er, »die Königin zu finden. Wenn Sie sie finden, gewinnen Sie das Doppelte Ihres Einsatzes.«

»Klingt simpel. Wie viel?« »Sagen wir zwanzig«, antwortet der Junge und dreht die

Karten eine nach der anderen um. Plötzlich beginnen seine Hände, die Karten mit rasender Geschwindigkeit zu ver-schieben, und schließlich fragt er: »Gut, wo ist die Köni-gin jetzt?«

Das erste Mal ist einfach. Roy hat keine Schwierigkei-ten, die Königin zu finden. Der Junge gibt ihm das Geld, und Roy setzt es wieder ein. Wie erwartet, gewinnt Roy die ersten Spiele. Er beobachtet die Karten, die Hände des Jungen. Er braucht mehr Übung. Seine Finger sind zu steif, die Gelenke nicht locker genug. Er hat Begabung, aber wie gesagt, er braucht Übung. Roy hat sechzig Dollar gewonnen, als der Junge vorschlägt, den Einsatz zu erhö-hen.

»Wie wär’s mit ’nem Hunderter«, fragt Roy großspurig. Ein Murmeln geht durch die Menge.

»Gut, hundert«, sagt der Junge. Jetzt beginnt Roy, sich wirklich zu konzentrieren. Er weiß, dass er die Königin das nächste Mal nicht finden wird, weil es keine Königin mehr gibt. Der Junge wird die Karte in die Tasche oder den Ärmel stecken und sie durch ein drittes Ass ersetzen.

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Das ist der Trick bei dieser Nummer. Man kann nicht ge-winnen.

Es sei denn, man heißt Roy. Der Junge legt die Karten ab, und Roy deutet auf die mittlere, berührt sie dabei ganz leicht. »Sind Sie sicher?«, fragt der Junge.

»Sicher genug, um noch ’nen Hunderter zu wetten«, sagt Roy und legt einen zweiten Schein hin. Der Junge, begie-rig, den Trottel vom Land auflaufen zu lassen, schiebt ebenfalls einen Hunderter hin. »Wollen wir das Geschäft mit einem Handschlag besiegeln?«, fragt Roy, und bevor der Junge widersprechen kann, packt er seinen Arm und schüttelt seine Hand.

Der Junge gibt sich cool, lächelt in die Runde. »Sie sa-gen also, die Königin ist in der Mitte?«

»Ja. Darf ich sie aufdecken?«, fragt Roy mit Un-schuldsmiene.

»Sie können ihr sogar ’nen Kuss geben, wenn Sie wol-len.«

Roy deckt die Karte lächelnd auf. Es ist die Königin. Roy hätte gern eine Kamera, um ein Foto von dem er-staunten Gesicht des Jungen zu machen. Die Menge ap-plaudiert. Frankie nimmt das Geld vom Tisch und steckt es in Roys Jackentasche, dann machen sich die beiden aus dem Staub. Es hat keinen Sinn, noch länger zu bleiben. Betrüger werden nicht gern selbst betrogen.

»Elegant«, sagt Frankie. »Nicht mal ich hab’s gesehen, obwohl ich wusste, wie’s läuft.«

»Der Junge war nicht sonderlich gut. Er hat die Königin den Ärmel hochgeschoben, aber so stümperhaft, dass ich sie noch rauslugen hab sehen. Ihm ist’s nicht mal aufgefal-len, wie ich sie beim Händeschütteln rausgezogen hab.«

Frankie lacht. »Ein bisschen Geld im Vorübergehen«, murmelt er. »Wie in den alten Zeiten.«

»Mickrige Einnahmen, permanente Unsicherheit, Fer-

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sengeld geben, wenn du irgendwo ’nen Blaukittel siehst. Hat wirklich Spaß gemacht, ja. War das reinste Zucker-schlecken.«

»Mir hat’s gefallen. War unkompliziert, weißt du?« Roy würde das zwar nicht zugeben, aber auch für ihn hatte die Vergangenheit schöne Aspekte. Frankie hat Recht – da-mals war alles einfacher. Niemand hat einen verdächtigt. In den Zeitungen wurde nicht vor den neuesten Tricks gewarnt. Heute leiden alle unter Paranoia. Manchmal ist ihm das zu viel.

Sie biegen wieder um die Ecke, gehen zu ihrem Wagen zurück. Der Wind wird stärker. Ein Paar joggt, die Shorts im Partnerlook, an ihnen vorbei. »Wie halten’s die bloß ohne Jacke aus?«, fragt Frankie. »Es ist saukalt hier drau-ßen.«

»Das erinnert mich daran, dass ich noch Eis kaufen muss.«

»Ich sage, es ist saukalt, und du willst Eis kaufen.« »Angela will Rocky Road. Gleich beim Wagen gibt’s

’ne Eisdiele.« Sie stemmen sich dem Wind entgegen. Frankie zieht die

Jacke enger um seinen Körper. Ein paar Minuten verge-hen, ohne dass sie etwas sagen. Frankie sieht Roy immer wieder an, als warte er auf den richtigen Augenblick, ihn im Scherz niederzuringen.

Schließlich meint er: »Ich hab ein bisschen Zeit gehabt und mir ’nen neuen Trick ausgedacht.«

»Es gibt keine neuen Tricks«, sagt Roy. »Ist alles schon mal da gewesen.«

»Na schön, dann hab ich mir eine neue Variante ausge-dacht.«

»Ja?« Roy klingt nicht sonderlich interessiert. Die Tricks, die sie bereits beherrschen, funktionieren gut, neue können riskant sein. Aber er möchte seinem Partner nicht

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die Laune verderben. Frankie war in letzter Zeit schon mürrisch genug. »Erklär sie mir.«

»Tja, ist ’ne langfristige Sache«, beginnt Frankie, »ich weiß, das ist nicht dein Ding …«

»Raus mit der Sprache.« Frankie nimmt die Hände aus den Taschen. Er redet

immer mit den Händen, wenn er aufgeregt ist. »Die Nummer bringt wahrscheinlich fünfzig Riesen, ohne Komplikationen.«

»Für jeden?« »Für jeden.« Ein Brummen in Roys Gesäßtasche. Der Piepser. Er holt

ihn heraus, sieht nach, welche Nummer auf dem Display steht. Er kennt sie nicht. »Wer ist’s?«, fragt Frankie.

»Keine Ahnung. Kenn ich nicht. Rede weiter.« »Gut. Ist einfach. Du weißt doch, dass es Leute gibt, die

Aids-Kranken die Versicherungspolicen abkaufen, oder?« »Ja. Darüber hab ich schon mal ’ne Sendung im Fernse-

hen gesehen … Die zahlen ’nen Pauschalbetrag dafür, stimmt’s?«

»Genau. Ein Mann mit Aids hat ’ne Lebensversicherung über eine Million Dollar. Die Leute kaufen sie ihm ab für sagen wir mal zweihunderttausend, und wenn er den Löf-fel abgibt, kriegen sie die Million.«

Wieder geht der Piepser los. Es ist immer noch dieselbe Nummer wie zuvor, die Roy nicht kennt. Frankie kann’s nicht sein, und Angela hätte Roys Nummer eingegeben. »Scheißkids«, murmelt er, dann fragt er Frankie: »Dann willst du also Aids-Patienten übers Ohr hauen?«

»Nein, nein. Es müssen nicht unbedingt Leute mit Aids sein, das ist ja das Schöne dran. Es gibt ja auch noch MS, und die Schwarzen haben diese Sichelzellenkrankheit …«

Zum ersten Mal seit Wochen spürt Roy wieder die Galle in seiner Kehle. Sie steigt ganz allmählich hoch, windet

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sich wie ein Wurm aus Stahl durch seine Eingeweide. Speichel füllt seinen Mund. Er spuckt aus, hustet, spuckt erneut aus. Frankie redet immer noch, erklärt ihm, wie sie die Einnahmen teilen können, wenn sie die Nummer mit den Versicherungen durchgezogen haben.

Wieder der Piepser. Roys Blick trübt sich, sein Herz rast. Es ist die Nummer von vorhin. Jetzt muss er eine Telefonzelle suchen, schon, damit Frankie aufhört zu quasseln. Wenn er die Nummer wählt, wird der Mensch am anderen Ende der Leitung ihm helfen, dafür sorgen, dass die Galle aus seiner Kehle verschwindet.

»Ich muss anrufen«, keucht Roy und stolpert über die Straße, auf eine Reihe von Telefonzellen zu. Frankie folgt ihm verwirrt, erzählt weiter von seinem Plan.

Roy steckt ein paar Münzen in den Schlitz und wählt die Nummer. Es klingelt zwei Mal.

»Roy?« Er erkennt die Stimme, eine beruhigende Stim-me. Woher weiß er, dass Roy in Schwierigkeiten steckt? Woher weiß er, dass Roy mit jemandem sprechen muss?

»Dr. Klein?« »Tut mir Leid, dass ich Sie einfach so anpiepse«, sagt er.

»Ich wusste nicht, ob … Ich hatte keine andere Wahl.« Roy versteht nicht, was er meint, ist aber froh, den Doc

an der Strippe zu haben. Er spürt die Galle schon fast nicht mehr in seiner Kehle, und auch sein Mund wird trockener. »Kein Problem. Wie … wie geht’s Ihnen?«

»Gut, Roy, aber deswegen habe ich nicht angerufen.« Er klingt kurz angebunden, als wäre er verärgert. »Ich rufe wegen Angela an.«

»Angela? Die ist bei mir zu Hause.« Schweigen am anderen Ende. Im Hintergrund hört Roy

zuerst gedämpftes, dann lauteres Schluchzen. »Nein«, sagt Dr. Klein. »Nicht mehr.«

»Was ist los? Was ist passiert?«

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»Es geht ihr gut«, versichert Dr. Klein ihm. »Sie ist ein bisschen durcheinander, aber … Kommen Sie, so schnell Sie können. Sie müssen sie abholen.«

»Wo sind Sie?« Er hat Angst vor der Antwort, kann sie sich fast schon denken.

»Auf dem Polizeirevier, Roy. Sie hat eine lange Nacht hinter sich, und ich glaube, sie möchte nach Hause.«

7

Sie sitzen auf den Stufen zum Revier, als Roy und Frankie eintreffen. Dr. Klein hat den Arm um Angelas Schultern gelegt; sie kämpft mit den Tränen. Ihre Augen sind rot und verschwollen.

Roy springt aus dem Mietwagen, schlägt die Tür hinter sich zu, läuft, so schnell er kann, auf die beiden zu. Wartet nicht darauf, dass Frankie seinen Arsch vom Beifahrersitz hochkriegt. Da hebt Angela den Blick und sieht ihn auf sich zukommen. Sie schüttelt Dr. Kleins Arm ab, rennt Roy entgegen, wirft sich in seine Arme und schluchzt wieder.

»Sch«, sagt Roy und streicht ihr übers Haar, »alles in Ordnung?«

Er spürt, dass sie nickt, ganz leicht. Roy drückt sie fester an sich. Würde ihr gern die Tränen wegwischen, alles un-geschehen machen.

Dr. Klein gesellt sich zu ihnen. »Sie sind schnell hier gewesen.«

»Was ist passiert?« »Sie ist aufgegriffen worden.« Dr. Klein seufzt. »Von

der Polizei.« Angela hebt, immer noch in den Armen von Roy, den

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Blick. Ihre Augen sind gerötet, die Tränen haben sich ei-nen Weg durch ihr Make-up gebahnt. Sie versucht, etwas zu sagen. »Ich hab nicht … Ich hab nicht gewusst …«, fängt sie an, beginnt aber sofort wieder zu schluchzen.

Frankie schlendert kopfschüttelnd zu ihnen herüber. »Haben sie ihre Personalien aufgenommen?«

»Frankie«, sagt Roy, »könntest du dich bitte in den Wa-gen setzen?«

»Ich wollte bloß wissen, ob sie ihre Personalien aufge-nommen haben, das ist alles.«

Klein schüttelt den Kopf. »Nein. Sie haben sie auch nicht fotografiert, nur in Gewahrsam genommen, das ist alles.«

Frankie nickt. »Gut. Da hat sie aber mal Glück gehabt.« Roy drückt Angela noch fester an sich. Wenn er das

nicht täte, würde er vielleicht Frankie am Hals packen, ihn würgen, bis er blau im Gesicht ist, damit er endlich den Mund hält. »Frankie«, sagt er noch einmal, ganz langsam, »setz dich in den Wagen oder halt die Fresse.«

Frankie weicht zurück, setzt sich auf die Kante eines Be-tonpflanzkübels und beobachtet von dort aus die beiden.

Angela hat sich mittlerweile ein wenig beruhigt und ver-sucht zu sprechen. »Sie … Sie haben mich in eine Zelle gesteckt, zusammen mit diesen … diesen ganzen Frauen, aber die waren … Die wollten mich die ganze Zeit anfas-sen …« Plötzlich fällt es ihr schwer, etwas zu sagen, sie beginnt wieder zu schluchzen.

»Es war ganz schön hart für sie«, sagt Dr. Klein. »Sie haben sie mindestens eine Stunde lang festgehalten, zu-sammen mit einer Gruppe von Prostituierten. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber jedenfalls hat sie geschrien, als ich hergekommen bin, und mich fast nicht erkannt. Sie hat eine schlimme Nacht hinter sich.«

»Du hättest mich anpiepsen sollen«, sagt Roy zu Angela,

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streichelt ihre Haare, ihren Rücken, um sie zu beruhigen. »Sie kennt Ihre Piepsernummer nicht. Wenn ihr nicht

eingefallen wäre, dass meine Nummer im Telefonbuch steht … Sie hatte Glück, dass ich noch in der Praxis war.«

»Doc«, sagt er, »ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Ich meine …« Er hat keine Ahnung, wie man sich verhält, wenn die Tochter gerade von den Bullen aufge-griffen und vom eigenen Psychiater rausgehauen worden ist. »Wenn ich irgendwas für Sie tun kann …«

Dr. Klein schüttelt den Kopf. »Nein, danke. Freut mich, dass ich Ihnen helfen konnte.«

Jetzt ist Frankie wieder bei ihnen. »Haben sie ihre Fin-gerabdrücke genommen?«, fragt er den Arzt.

»Das soll uns nicht kümmern«, sagt Roy. »Mich kümmert’s aber.« »Nein«, mischt sich der Arzt ein. »Wie gesagt, sie haben

sie nur in der Zelle festgehalten und ihre Personalien nicht aufgenommen.«

Angela löst sich aus Roys Umarmung und wischt sich das Gesicht mit dem Ärmel ab. »Ich hab die Lotterienum-mer ausprobiert«, jammert sie. »Genauso, wie wir’s be-sprochen haben …«

Frankie verdreht die Augen. »Wie bitte? Jetzt bringst du ihr Tricks bei, Roy?«

Es geht alles zu schnell. Ihm wäre es lieber, wenn Dr. Klein nicht hier wäre. Und Angela. Am liebsten wäre es ihm, wenn sie alle nicht hier wären. »Frankie, halt, ver-dammt noch mal, das Maul.«

Und Angela versucht immer noch, die Sache zu erklä-ren. »Wahrscheinlich war die Lady … Ich hab nicht ge-wusst, dass sie Polizistin ist …«

»Sch«, sagt Roy und versucht, sie wieder näher zu sich heranzuziehen. »Es ist gut, es ist alles vorbei.«

»Das ist doch nicht zu fassen«, murmelt Frankie.

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»Was?« »Das ist nicht zu fassen.« Dr. Klein versucht, sich einzumischen. »Leute, es ist

spät, und wir stehen hier vor dem Polizeirevier. Ich glau-be, wir sollten …«

Roy schiebt Dr. Klein weg. »Frankie, du hältst jetzt die Klappe.«

»Weißt du was, Roy? Fick dich ins Knie.« »Sag das noch mal.« »Du hast mich genau gehört: Fick dich ins Knie.« Angela beginnt erneut zu schluchzen. Sie weicht vor

Roy und Frankie zurück, als die beiden aufeinander zuge-hen. Roys Blick trübt sich, er spürt den vertrauten Druck im Kopf.

»Das ist … beruhigen Sie sich«, meint Dr. Klein. Aber Roy und Frankie schenken ihm keine Beachtung.

Sie sind jetzt nur noch etwa dreißig Zentimeter voneinan-der entfernt. »Warum küsst du sie nicht, Roy?«, fragt Frankie.

»Halt’s Maul, Frankie.« »Nimm sie in den Arm und küss sie, das willst du doch,

oder?« »Halt’s Maul.« »Geh mit ihr ins Bett …« »Ich geb dir zwei Sekunden Zeit, das Maul zu halten

…« »… küss sie überall …« »… sonst stopf ich’s dir.« Frankies Augen verengen sich zu einem Schlitz. »Was

ist los, Roy? Bist du nicht Manns genug, deine eigene Tochter zu vögeln?«

Es ist wie damals bei der Prügelei in der Bar, wie bei seiner Entlassung aus der Armee. Um Frankies Kopf ist plötzlich so etwas wie ein Heiligenschein, eine riesige

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Glühbirne, deren Licht ihn blendet. In seinem Kopf kommt es zu einer Reihe von Explosionen, als würde sich sein Gehirn ausbreiten, nach außen drängen. Keine Ge-danken. Keine Gedanken.

Eine Faust saust durch die Luft, trifft krachend auf Fran-kies Wange. Ein weiterer Haken landet in seinem Bauch, sodass er in sich zusammensackt, als er sich auf Roy stür-zen will. Die beiden sinken zu Boden, rollen die Stufen hinunter. Roys Kopf knallt auf den Beton. Er spürt nichts. Der Druck fühlt sich gut an; der Druck ist genau das, was er braucht. Frankies Nase blutet. Roy hat Blut an den Händen.

Er hört jemanden schreien, eine Stimme, die er kennt. Doch seine Faust schlägt einfach weiter, harte Knochen in weiches Fleisch. Wieder ein Schrei, diesmal näher bei ihm, Hände auf seinen Schultern, die ihn zurückziehen. Der Druck lässt nach. Der Heiligenschein um Frankies Kopf verschwindet.

»Hör auf!«, brüllt Angela. »Hör auf!« Dr. Klein zieht Roy von Frankie weg, versucht, seinen

Körper von dem des kleineren Mannes zu hieven, dessen Leben zu retten. Jetzt sieht Roy Frankie wieder mit klarem Blick. Roy rollt von seinem Partner herunter.

»Verschwinden Sie«, sagt Dr. Klein zu Roy und hilft ihm auf die Beine, bevor er sich um Frankie kümmert. »Nehmen Sie das Mädchen mit.«

Vielleicht dreißig Meter entfernt taucht ein uniformierter Polizist an der Tür zum Revier auf und sieht zu ihnen hin-unter. »Gibt’s irgendein Problem?«, ruft er ihnen zu.

»Nein, nein«, ruft Dr. Klein zurück. »Wir sind gleich weg, Officer.«

Der Uniformierte sieht weiter zu, während Dr. Klein Frankie auf die Beine hilft. Seine Nase ist blutig, seine Lippen sind aufgesprungen. Er bekommt bereits ein blaues

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Auge. Seine Stimme klingt mürrisch. Von seinem vorheri-gen Wagemut ist nichts mehr zu spüren. »Ruf mich an, wenn du wieder weißt, was dir wichtig ist«, sagt er zu Roy und stolpert in Richtung Wagen. Dann wendet er sich noch einmal Angela zu, deutet auf sie. »Und du … du soll-test lieber zu deinen verdammten Puppen zurückgehen.«

Sie sehen ihm nach, wie er in den Wagen steigt, den Motor anlässt und mit quietschenden Reifen die Straße hinunterfährt. Seine Rücklichter verschwinden in der Fer-ne.

Angela geht mit gesenktem Blick auf Roy zu. »Bist du wütend auf mich?«, fragt sie.

Roy ist so müde, dass er kaum eine Antwort heraus-bringt. »Nein, nein.«

Sie schlingt die Arme um seine Taille. »Ich hab ein paar Zwanziger-Nummern durchgezogen, bevor ich erwischt worden bin«, sagt sie.

»Prima.« Dr. Klein fährt sie nach Hause. Roy weiß nicht, wie,

aber als er wieder einen klaren Gedanken fassen kann, ist sein Gesicht gewaschen, er trägt einen Pyjama, und er liegt im Bett. Er hofft, dass Angela schläft. Er will nicht über das nachdenken, was er tun muss. Am Morgen, ja, da wird alles wieder in Ordnung sein. Das war es immer. Je-denfalls bis jetzt.

Bahnsteig D ist voll von Leuten, die raus aufs Land wol-len. Alle möglichen Menschen warten auf die Ankunft ihres Zuges, und Roy unterdrückt nur mühsam seinen Drang, irgendeinen von ihnen auszutricksen. Er hält Ange-las Hand, will nicht, dass seine Gedanken sie verderben. Nicht mehr.

»Danke, dass du mitgekommen bist«, sagt sie. »Ich hatte nichts Besseres vor.«

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»Bist du zum ersten Mal hier drin?« Roy nickt. »Ich bin früher immer mit dem Bus gefahren.

Hab noch nie den Zug genommen.« Angela lächelt. »Du könntest mich ja begleiten zu mei-

ner Mom. Das wäre sicher ein Erlebnis.« Roy schüttelt den Kopf. »Das ist keine gute Idee.« »Wäre einen Versuch wert.« »Nein.« Roy wirft einen Blick auf Angelas Ticket. Der

Zug fährt in ein paar Minuten ab. Angela hängt sich den Matchsack über die Schulter.

»Wann darf ich wieder zu dir?«, fragt sie. Das fragt sie schon den ganzen Morgen. Roy hat ihr bis jetzt keine Antwort gegeben. »Nächste Woche?«

»Lass uns keine Pläne machen«, sagt Roy. »Deine Ma will dich sicher auch mal wieder sehen. Du bist jetzt ganz schön oft bei mir gewesen.«

»Ja, da hast du Recht. Und in die Schule muss ich auch.« »Genau.« Sie gehen schweigend in Richtung Zug. Angela hält

weiterhin Roys Hand. Dann bleibt sie stehen, sieht ihn an, Tränen treten in ihre Augen. »Wenn’s wegen neulich Abend ist …«

»Nein, nein …« »… Das bring ich wieder in Ordnung, ich schwör’s.« Roy schüttelt den Kopf. Er weiß nicht, ob über Angela

oder über sich selbst. »Das hat … nichts damit zu tun.« Er bückt sich ein wenig, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein. »Ich mag Veränderungen nicht. Ich hab nie so richtig ge-lernt … mich anzupassen. Stabilität ist mir wichtig.«

»Ich kann stabil sein.« »Ich will Folgendes sagen: Ich hab mich an dich ge-

wöhnt. Du bist Teil von … Du gehörst jetzt dazu. Und das finde ich toll.«

»Wo liegt dann das Problem?«

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»Es gibt kein Problem«, sagt er, will sie aber nicht anlü-gen. Nicht jetzt. »Es ist bloß … ich muss ein bisschen zur Ruhe kommen, das ist alles. Sehen, wo ich im Augenblick stehe. Sehen, was ich machen will. Sagt zumindest Dr. Klein. Begreifst du das?«

»Nicht wirklich.« »Ich auch nicht.« Er lacht, richtet sich mit knackenden

Knien auf. »Komm, du darfst deinen Zug nicht verpas-sen.«

Roy hebt Angela samt dem Matchsack in den Zug. Sie weint jetzt nicht mehr, und Roy ist froh darüber. »Wenn ich wiederkomme, schaun wir uns dann zusammen die Late Show an?«, fragt sie ihn.

»Bis zum Ende«, verspricht er ihr. Angela beugt sich zu ihm herunter, hält sich mit einer

Hand fest, drückt Roy einen Kuss auf die Wange. »Tschüss, Dad«, flüstert sie.

Als Roy den Blick wieder hebt, ist sie schon weg. Und ein paar Minuten später verschwindet auch der Zug.

Der Hauptflughafen von Grand Cayman liegt sechzehn Meilen außerhalb von Georgetown. Die Fahrt in die Stadt verläuft bis auf die Tatsache, dass die Klimaanlage im Taxi nicht funktioniert und der Fahrer deshalb die Fenster auflässt, ereignislos. Der Wind fühlt sich gut an auf Roys Stirn. Er hasst Flugzeuge, hasst es, so lange auf einem Platz sitzen zu müssen. Er entscheidet sich immer für die erste Klasse. Das ist kein Luxus für ihn, sondern eine Notwendigkeit. Die Touristenklasse würde ihn umbringen. Das ist keine Übertreibung.

Roy wird bei jedem Schlagloch durchgerüttelt. Im Kof-ferraum liegt Roys Gepäck, insgesamt drei große Koffer mit Sicherheitsschlössern. In jedem von ihnen befinden sich ungefähr zweihunderttausend amerikanische Dollar,

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das Geld, das zuvor in dem Keramikpferd im Wohnzim-mer war. Schon bald wird es auf Roys Nummernkonto bei der Grand National Bank in Georgetown sein. Er macht sich Sorgen. Was, wenn sich der Kofferraumdeckel öffnet, sobald der Wagen durch ein besonders tiefes Schlagloch fährt? Was, wenn die Koffer dann hinausfallen? Was, wenn sie schließlich auf einen Felsen aufschlagen und aufbrechen?

Solche Gedanken würde er sich nicht machen, wenn er die Tabletten nicht vergessen hätte, auf der Arbeitsfläche in der Küche. Roy weiß genau, wo das Fläschchen ist, gleich neben der Kaffeemaschine. Seit dem Start der Ma-schine kann er nur noch daran denken. Aber da war es schon zu spät. Als hätte sein Gehirn ihm einen Streich gespielt, ihn so lange in Sicherheit gewiegt, bis er in der Luft war. Er wäre aus dem Flieger ausgestiegen, wenn sie noch auf dem Boden gewesen wären. Er hatte sogar daran gedacht, einen Streit vom Zaun zu brechen, sie zum Lan-den zu zwingen, aber er wusste, dass das mehr Mühe machte, als es wert war.

Er rief Dr. Klein an, sobald er auf Grand Cayman war, und der Arzt sagte, sein Zustand würde sich nicht verän-dern, wenn er die Tabletten ein paar Tage lang nicht näh-me. Er solle sich keine Gedanken machen. Die Bahamas seien eine paradiesische Insel, hat der Arzt gesagt. Roy hat ihm nicht verraten, dass er geschäftlich hier ist, das braucht der Doc nicht zu wissen. Er weiß wahrscheinlich ohnehin schon zu viel.

Irgendwann ist das Taxi dann im Stadtzentrum, und Roy gibt dem Fahrer Anweisung, vor der Bank zu warten. Es kann ganz schön schwierig sein, in Georgetown ein Taxi zu bekommen, und er hat keine Lust, stundenlang auf der Straße zu warten. Er will nur noch ins Hotel, etwas essen und schlafen.

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Roy möchte beim Betreten der Bank nicht auffallen, aber er hat Mühe, die drei Koffer gleichzeitig zu manö-vrieren. Es gelingt ihm, sie hineinzuhieven, dann bleibt er stehen und wartet. Dies ist nicht das erste Mal, dass Roy das macht. Er weiß, dass es funktioniert.

Die Kassiererin, die auf ihn zukommt, kennt Roy nicht, aber er weiß, dass sein Betreuer da ist. »Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?«

»Ich würde gern mit Mr. Cheively sprechen. Ist er da?« Sie nickt und bittet Roy, einen Augenblick zu warten. Er

sieht sich in der Bank um, beobachtet die anderen Kunden. Er ist nicht der Einzige mit Koffern, die zu schwer ausse-hen, als dass darin Kleidung sein könnte. Er ist nicht der Einzige, der sich misstrauisch umschaut.

Roy hört, wie sein Name gerufen wird, und als er den Blick hebt, sieht er Mr. Cheively. »Sie haben Ihren Besuch gar nicht angekündigt«, sagt der Bankangestellte in jenem britischen Tonfall, den Roy von den Bewohnern Caymans kennt. »Wenn ich gewusst hätte, dass Sie kommen, hätte ich alles arrangiert.«

»Ich wollte Ihnen keine Mühe machen«, sagt Roy. Er kündigt seinen Besuch nie an, denn wenn er es täte, würde Cheively ihn zum Abendessen einladen, eine Dame für ihn organisieren. Das kennt er von seiner alten Bank. Das ist der berühmte Kundendienst der Caymaner Banken. Roy hat keine solchen Geschenke nötig. Ihm sind lediglich das Nummernkonto und die Tatsache, dass es sich um ein nichtamerikanisches Land handelt, wichtig.

Nach ein paar weiteren Schmeicheleien führt Cheively Roy nach hinten. Er hilft ihm, die Koffer zu tragen. Sie zählen das Geld zusammen, Mr. Cheively benutzt dazu eine große alte Rechenmaschine. »Soll das auf Ihr bereits bestehendes Konto oder wollen Sie ein neues eröffnen?«

»Auf das bereits bestehende«, antwortet Roy. Er sieht

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keinen Sinn darin, das Geld zu verteilen. Verstecktes Geld ist verstecktes Geld. Ein Bündel, zehn Bündel – das macht keinen Unterschied, bloß den, dass man sich noch mehr Nummern und noch mehr Kennwörter merken muss.

Nachdem das Geld gezählt ist, bringen Roy und Mr. Cheively das Ritual der Legitimitätsprüfung hinter sich. Obwohl Mr. Cheively weiß, dass Roy tatsächlich der In-haber des Kontos bei der Grand National Cayman ist, muss er sich sowohl die Nummer als auch das Kennwort von ihm nennen lassen. Das sind die einzigen Dinge, die nötig sind, um Zugang zu dem Konto zu erhalten. Deshalb bewahrt Roy diese Informationen ausschließlich in seinem Gedächtnis auf. Er hat sie nirgends notiert. Früher hatte er die Nummern im Haus verteilt, in einer Rollkartei kodiert. Aber diese Notizen hat er zerrissen. Das Risiko ist zu groß. Die Information ist in seinem Gehirn oder nirgends.

»Jetzt ist wie viel drauf?« Mr. Cheively nennt Roy eine Zahl, die knapp über vier

Millionen liegt. Roy ist zufrieden. Er hat nichts anderes erwartet.

»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, fragt der briti-sche Banker. »Vielleicht wollen Sie etwas essen, einen Drink … Frauen?«

Roy schüttelt den Kopf, reicht dem Mann die Hand. »Danke, nein. Ich fliege morgen wieder nach Hause.«

Das Taxi wartet draußen, und Roy klettert hinein. »Hyatt Villas«, sagt er. »Wecken Sie mich, wenn wir da sind.« Roy macht es sich auf dem Rücksitz bequem für die Fahrt nach Seven-Mile Beach. Er ist froh, das Geld los zu sein, aus dem Pferd und aus dem Haus zu haben. Er versucht zu schlafen, während das Taxi die Straße entlangholpert und der Wind an seinen Haaren zerrt. Der Verkehr wird dich-ter, als sie sich der Ferienanlage nähern. Touristen in Ta-xis und Mietwagen verstopfen die Hauptverkehrswege des

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Ferienortes. Roy erinnert sich noch, wie er vor fast zehn Jahren das erste Mal hierher gekommen ist. Damals waren nicht so viele Leute da, und seine Koffer waren nicht so schwer.

Roys Suite ist noch nicht fertig. Es ist nach drei, nach der Check-in-Zeit, und sie ist noch nicht fertig. Er würde sich beschweren, aber es hat keinen Sinn, denn er empfin-det keine Wut. Highsmith, dem Hotelmanager, ist es oh-nehin schon peinlich genug, dass er ihn in der Lounge warten lassen muss. Eigentlich hätte Roy gern geschlafen, doch ein Drink tut’s auch.

Die Lounge ist fast leer heute Nachmittag; nur einige Paare lümmeln in den tiefen Sesseln und schauen durch die großen Panoramafenster aufs Meer hinaus. Roy kennt den Blick. Das Meer ist blau und nass. Er kann nicht tau-chen und will nicht Schnorcheln. Er setzt sich an die Bar, den Rücken zum Meer.

»Was darf ich Ihnen geben?«, fragt der Barkeeper. »Einen Gin-Tonic mit einem Schuss Limone«, sagt Roy.

»Highsmith schickt mich.« Der Barkeeper tippt gegen eine imaginäre Mütze und

mixt Roys Drink. »Gefällt es Ihnen bei uns, Sir?« »Ich bin gerade erst angekommen.« Roy nimmt sich ei-

ne Hand voll Mandeln und steckt sie in den Mund. Der Barkeeper presst ziemlich viel Limonensaft in Roys

Drink und schiebt ihn über die Theke. »Haben Sie vor, sich hier eine schöne Zeit zu machen, Sir?«

»Ja, so gut es geht.« »Haben Sie Familie, Sir?« »Nein«, antwortet Roy ganz automatisch. Dann fügt er

hastig hinzu: »Doch, eine Tochter, in den Staaten. Sie ist vierzehn.«

Der Barkeeper nimmt lächelnd selbst eine Mandel. Der Mann nimmt’s nicht so genau mit der Etikette, denkt Roy.

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»Bringen Sie sie nächstes Mal doch mit. Hier gibt’s für junge Mädchen jede Menge Spaß. Taucht sie gern?«

»Keine Ahnung«, sagt Roy. »Schwimmt sie? Schnorchelt sie? Spielt sie Volleyball?« Wieder schüttelt er den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Der Barkeeper legt den Kopf schräg. »Was mag sie

dann? Ich bin mir sicher, dass wir es ihr bieten können.« »Wir spielen gern.« Er nimmt einen Schluck von seinem

Drink. Er schmeckt bitter. Der Barkeeper breitet die Arme aus. »Es gibt hier alle

möglichen Spiele. Mag sie Schach? Wir haben einen herr-lichen Raum mit Schachbrettern, der geht direkt aufs Meer …«

Roy steht auf und schlendert ans andere Ende der Lounge, sodass er das Panoramafenster vor sich hat. Als er hinaus aufs Meer schaut, kann er fast sein eigenes Spie-gelbild erkennen. Er fühlt sich wie auf dem Wasser oder im Wasser. Als würde es ihn umgeben, ihn trösten, ihn beleben. Der Boden unter seinen Füßen ist blau und nass, der Teppich durchnässt. Der Teppich ist nass.

Roy hat seinen Drink auf den Teppich verschüttet. Ein dunkler Fleck breitet sich auf dem dicken Flor in der Lounge aus. Der Fleck wird nicht mehr rausgehen, denkt Roy. Jetzt kommt der Ozean auf ihn zu, bedrängt ihn von allen Seiten. Seine Knie werden weich, drohen unter sei-nem Körper wegzusacken. Er setzt sich auf einen Stuhl in der Nähe, lässt die Arme seitlich herunterbaumeln, lehnt den Kopf gegen die Rückenlehne, sodass er den Sonnen-untergang sehen kann. Natürlich sieht er ihn nicht zum ersten Mal. Er ist pinkfarben, gelb, blau, besser als der Anblick des Teppichs. Besser als der Anblick des Flecks, der sich weiter ausbreitet, über den ganzen Boden, ihn dauerhaft verfärbt; der Teppich ist ruiniert.

Er spürt Galle in seiner Kehle hochsteigen. Roy ver-

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flucht sich selbst. Irgendetwas stimmt nicht. Dr. Klein hat gesagt, das würde nicht passieren. Er hat gesagt, die Ta-bletten würden weiter wirken. Aber die Galle steigt und steigt; Roy kann sich vorstellen, wie sie grün und schlei-mig seine Kehle hochkriecht, ganz langsam, ähnlich einem Monster in einem Horrorfilm, wie sie sein Zäpfchen reizt, seinen Mund mit Speichel füllt. Der Teppich unter seinen Füßen ist fleckig, wartet darauf, noch fleckiger, gänzlich ruiniert zu werden.

Er stürzt aus der Lounge, stolpert ins Foyer, stößt gegen Touristen, die mit vor Schreck geweiteten Augen nach Luft schnappen. Roy rennt zu den Toiletten, reißt eine Tür auf, sinkt auf die Knie, zerreißt sich die Hose dabei. Klappt den Toilettendeckel auf, und schon hebt sich sein Magen. Roy öffnet den Mund weit, damit die Kotze her-auskann.

Nichts, nur trockenes Würgen und Husten, bei dem sich jedes Mal unwillkürlich seine Schultern heben. Tränen tropfen in die Toilettenschüssel, rollen seine Wangen hin-unter. Er atmet scharf ein; kühle Luft dringt in seinen Ra-chen. Das beißende Prickeln ist jetzt verschwunden, die Galle, der Teppich.

Roy steht schwankend auf, stolpert aus der Toilette, wäscht sich das Gesicht, zieht seine Krawatte gerade, wischt die zerrissene Hose sauber. Wehe, sein Zimmer ist jetzt nicht fertig. Wehe, er bekommt keines mit Parkettbo-den.

Roy schert sich auf der Heimfahrt weder um Stoppschilder noch um Ampeln. Er will schnell nach Hause kommen, denn er hat eine Nacht und einen Tag ohne Schlaf hinter sich. Er lenkt den Wagen mit benommenem Gehirn, ver-sucht, den Blick so gut wie möglich auf die Straße gerich-tet zu halten. Am Morgen hätte er es fast nicht rechtzeitig

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aus dem Hotel geschafft, um den Flieger zu erreichen, hat im Zimmer nachgesehen, ob er etwas vergessen hat, und dann noch mal und noch mal. Sechsmal insgesamt, bis er sich sicher war, dann hat er die Tür hinter sich geschlossen in dem Glauben, er hätte es geschafft, aber eine Stunde später hatte er fünf weitere Male nachgeschaut.

Er weiß, dass er in der Scheiße sitzt, weiß, dass er die Tabletten braucht. Roy hat Dr. Klein vom Flughafen aus angerufen, doch der Doc war nicht da. Es hat sich nur der Anrufbeantworter gemeldet. Roy wird von zu Hause aus noch einmal anrufen, wenn er die Tabletten genommen hat. Die Pillen warten dort auf ihn.

Der Rückflug hat seine Selbstbeherrschung auf eine har-te Probe gestellt. Roy hat versucht, tief durchzuatmen, die Augen geschlossen zu halten. Eine von den hübschen kleinen Stewardessen wäre beinahe mit einer gebrochenen Nase nach Hause gekommen. Sie hat immer wieder ver-sucht, Roy aufzuwecken, um ihm einen Cocktail anzubie-ten, ihm zu sagen, dass er einen Film ansehen kann oder den Sicherheitsgurt anschnallen soll. Beim letzten Mal hat Roy nicht einmal mehr den Blick gehoben, sondern statt-dessen die Hand durch die Luft sausen lassen, ganz knapp an ihrem Gesicht vorbei. Danach hat sie ihn nicht mehr belästigt.

Roy biegt in seine Straße ein, dann in seine Auffahrt, er-leichtert, zu Hause zu sein. Erschöpft, aber bester Laune. Die Tabletten sind im Haus, in der Küche. Er fummelt am Schloss herum, muss sich selbst eine Ohrfeige geben, um wach zu werden.

Dann betritt er das Haus, macht die Tür zu, verschließt sie, versucht, sich von ihr zu entfernen, doch plötzlich kommt ihm der Gedanke, dass er sie nicht richtig ver-schlossen haben könnte. Also schließt er sie auf und wie-der zu. Jetzt müsste es gut sein. Roy atmet tief durch,

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wendet der Tür den Rücken zu, entfernt sich von ihr. Fünf Schritte, sechs Schritte, einen nach dem anderen in

Richtung Küche. Er geht um die Ecke, froh, dass das alles gleich ein Ende haben, dass bald wieder Normalität ein-kehren wird. Roy erwartet, seine Erlösung neben der Kaf-feemaschine zu finden.

Doch das Fläschchen mit den Tabletten ist nicht dort, und Roy weiß ganz genau, was jetzt passieren wird: Bei-ßende Galle wird in seiner Kehle hochsteigen, Kotze.

Dann hat seine Panik plötzlich ein Ende; er entdeckt das Fläschchen neben dem Kühlschrank, nicht dort, wo er glaubte, es zurückgelassen zu haben, aber das ist egal. Roy hastet zu dem Fläschchen, packt es mit der einen Hand, während er mit der anderen ein Glas mit Wasser füllt. Er braucht jetzt eine doppelte, vielleicht sogar eine dreifache Dosis. Er öffnet das Fläschchen.

Es ist nur noch eine Tablette drin. Roy blinzelt ungläu-big, steckt den Finger in das Fläschchen: immer noch eine einzige Pille. Schüttelt es, als hätte sich eine weitere ir-gendwo versteckt; eine einzige. Kann das sein? Wenn er jetzt die letzte Tablette nimmt, hat er überhaupt keine mehr. Das bedeutet: keine Pille für heute Abend und keine für morgen. Das darf nicht sein.

Sekunden später hat er den Telefonhörer in der Hand, wählt die Nummer von Dr. Klein. Es klingelt und klingelt. Dann endlich hebt jemand ab.

»Doc«, platzt es aus Roy heraus, »ich brauche mehr von dem Effexor.«

»Sie sind mit dem Anrufbeantwortungsdienst der Ärzte-gemeinschaft verbunden«, meldet sich eine höfliche Frau-enstimme am anderen Ende der Leitung. »Die Ärzte sind im Augenblick nicht da.«

Roy sieht auf seine Uhr; es ist nach sieben. »Sie müssen mich weiterverbinden«, sagt er. »Ich muss mit Dr. Klein

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sprechen. Ich bin Patient bei ihm.« »Dies ist der Anrufbeantwortungsdienst von Dr. Klein«,

wiederholt die Frau. »Wenn Sie möchten, kann ich eine Nachricht für ihn notieren.«

»Nein, das hilft mir nichts. Ich muss mit ihm selber sprechen.«

»Sir, ich kann etwas notieren, aber ich darf Sie nicht weiterverbinden.«

Roy packt den Telefonhörer fester, drückt ihn gegen sein Ohr. »Ich brauche … Hören Sie, lassen Sie uns vernünftig sein. Ich kann vernünftig sein, und Sie?«

»Sir …« »Gut. Ich brauche ein neues Fläschchen mit Tabletten,

das ist alles. Es sind dieselben, die ich seit Monaten neh-me, und der Doc …«

Sie fällt ihm ins Wort. »Wenn Sie ein Rezept haben …« »Nein, ich hab bloß … Er hat mir die Tabletten immer

selber gegeben, und ich muss …« Roy schweigt einen Augenblick, denkt nach. »Sind Sie in seiner Praxis?«

»Nein, Sir, ich bin in einem zentralen Büro.« »Aha. Aber Sie können in die Praxis, wenn Sie müssen.« »Sir, ich …« »Wenn Sie müssen.« Ein Seufzen am anderen Ende der Leitung. »In Notfäl-

len, ja, Sir, aber …« »Das ist ein Notfall!«, schreit Roy in den Hörer. Für ge-

wöhnlich ist er stolz darauf, nie die Stimme zu erheben, doch jetzt hat er keinerlei Hemmungen, genau das zu tun. »Ich brauche die Tabletten …«

»Das verstehe ich, aber …« »… um zu funktionieren, begreifen Sie das nicht? Ich

lade Sie zum Essen ein, ja? Ich kauf Ihnen ’nen Wagen, alles, was Sie möchten, wenn Sie mir ein Fläschchen von den Pillen besorgen.«

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Schweigen am anderen Ende der Leitung. Denkt sie über sein Angebot nach? Roy hält den Atem an. »Sir, ich kann eine Nachricht für Dr. Klein entgegennehmen …«

Er schlägt den Hörer auf die Arbeitsfläche. Plastik split-tert, Stücke fliegen in der Küche herum. Roy fällt das nicht auf, es ist ihm egal. Er will jetzt nur noch diese Stimme, die ganze verdammte Welt, zum Schweigen brin-gen.

Die Lichter im Drugstore sind grell. Roy sucht in der Jak-kentasche nach seiner Sonnenbrille, setzt sie auf. Immer noch hell, aber besser. Dies ist der nächst gelegene Drug-store, den er finden konnte, der nächst gelegene, der ihm eingefallen ist. Es war schwierig, aus dem Haus zu kom-men, schwierig, die verdammte Tür richtig zu verschlie-ßen.

Er hat das Fläschchen mit der einen Tablette in der Ta-sche. Er will sie nicht nehmen, bevor er sich nicht sicher ist, dass er weitere bekommt. Leer darf das Fläschchen nicht sein. Das wäre eine Katastrophe.

Es ist ein großer Discount-Drugstore. Gänge über Gän-ge, nicht nur mit Arzneien, sondern auch mit Reinigungs- und Nahrungsmitteln, Getränken, Kleidung, Büchern, Haushaltsgeräten, sogar Eiskrem. Eiskrem in einem Drug-store, was soll denn das?, denkt Roy.

»Wo ist die Arzneimittelabteilung?«, fragt er den ersten Angestellten, der ihm über den Weg läuft.

Der junge Mann versteht nicht, was Roy sagt. »Was?«, fragt er.

»Die verdammte Arzneimittelabteilung«, herrscht Roy ihn an. »Wo ist die?«

Sie ist ganz hinten. Roy schiebt sich an den anderen Kunden vorbei den Gang entlang. Sie gehen ihm nicht schnell genug aus dem Weg, also drückt er sie weg. Alles

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Schafe, denkt er. Dann sieht er die Schlange und das Seil, das dafür sor-

gen soll, dass alle sich ordentlich anstellen, sowie den ei-nen Mann hinter der Theke. Er trägt einen weißen Kittel, hat weiße Haare. Das muss der Apotheker sein. Den braucht er. Er ist der Mann, der die Lösung für seine Pro-bleme hat.

Fünf Leute vor ihm, eine Frau mit einem Baby über der Schulter. Es gluckst vor sich hin, versucht, etwas zu sagen, schaut Roys Sonnenbrille an, sieht sich selbst darin. Vor der Frau zwei Männer. Sie wirken völlig gesund, denkt Roy. Was, zum Teufel, tun sie hier im Apothekenbereich?

Ganz vorn unterhält sich gerade eine ältere Frau mit dem Apotheker. Roy kann nicht verstehen, was sie sagen, aber es klingt wie ein lockeres Gespräch, noch schlimmer: wie ein Gespräch, das nichts mit Krankheiten zu tun hat. Roy hat den Eindruck, dass sie ihr Rezept bereits eingelöst hat und die beiden sich nun über die Ereignisse des Tages unterhalten.

»Nun lassen Sie schon den Nächsten dran, Lady«, ruft Roy nach vorn. Die anderen Kunden sehen ihn an. Er er-widert ihren Blick. Zum Glück schauen sie weg.

Je länger Roy warten muss, desto intensiver denkt er an seine Tabletten, dass sie sich nur noch sechs Meter von ihm entfernt befinden, irgendwo in einem der Regale. Der kleine Mann da vorn muss sie lediglich holen und ihm aushändigen. Wenn da bloß nicht diese vielen anderen Leute wären, diese gesunden Menschen, die hier eigent-lich nichts zu suchen haben.

Endlich bewegt die alte Frau sich von der Theke weg, doch Roy hält es nicht mehr an seinem Platz. Er löst sich aus der Reihe, hastet zur Theke und schiebt den Mann mittleren Alters beiseite, der jetzt an erster Stelle steht.

»Hey, Kumpel«, sagt der Mann, »das hier ist ’ne

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Schlange.« »Notfall«, murmelt Roy. »Ja, ist bei allen hier ein Notfall, Kumpel«, sagt der

Mann und weicht nicht von der Stelle. Er ist etwa fünf Zentimeter größer als Roy, sieht auf ihn herunter.

Roy versucht, den Mann anzulächeln, anzugrinsen, den richtigen Tonfall zu finden. »Ich hab da ein Problem … Kumpel. Vielleicht könntest du mir helfen.«

»Und vielleicht könntest du wieder ans Ende der Schlange zurückgehen.« Der Mann legt eine Hand auf Roys Schulter, versucht, ihn zurückzuschieben.

Roy presst seine Hand auf die des Mannes und drückt den Arm so lange gegen dessen Ellbogen, bis er mit schmerzverzerrtem Gesicht und wimmernd in die Knie geht.

Der Apotheker ist entsetzt. »Was machen Sie da? Lassen Sie ihn los …«

»Ich bin in zehn Sekunden weg«, sagt Roy. »Sir, hier warten auch noch andere Menschen außer Ih-

nen.« »Das weiß ich, das sehe ich. Mit den Augen habe ich

kein Problem.« Roy lässt den Arm des Mannes los; der Mann weicht zurück, außerhalb Roys Reichweite. »Hören Sie, ich bin heute … nicht so, wie ich sonst bin. Ich brau-che Hilfe.« Er greift in seine Tasche, holt das Fläschchen heraus, stellt es auf die Theke. »Füllen Sie das auf.«

Der Apotheker möchte die Angelegenheit so schnell wie möglich beenden, sieht die anderen Kunden an. Sie sind seiner Meinung. Gut. Er nimmt das Fläschchen, wirft ei-nen Blick auf das Etikett. »Das ist nicht von uns.«

»Das weiß ich«, sagt Roy. »Haben Sie ein Rezept?« »Mein Arzt – Dr. Klein –, er hat mir die Tabletten gege-

ben, nach der Sitzung. Ich dachte, es wären noch mehr

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drin, aber …« »Tut mir Leid«, sagt der Apotheker. »Ohne Rezept kann

ich nichts machen. Vorschriften sind Vorschriften.« Roy reißt dem Mann das Fläschchen aus der Hand und

deutet auf das Etikett. »Schauen Sie«, sagt er. »Hier steht Effexor, einhundert Milligramm, und gleich daneben mein Name: Roy. Das bin ich.«

Der Apotheker schüttelt den Kopf. »Das sehe ich, ja, aber … Ich kann Ihnen nicht helfen, Sir.«

Roy atmet tief durch, um ruhig zu bleiben. Bis jetzt hat er sich zusammengerissen. Dr. Klein wäre stolz auf ihn. Roy öffnet das Fläschchen, in dem sich eine grüne Tablet-te befindet. Roy schüttelt sie in seine Hand und streckt sie dem Apotheker hin.

»Sehen Sie? Effexor. Ich hab schon eine Tablette. Da müsste es doch möglich sein, mir noch weitere zu geben.«

Der Apotheker sieht eine seiner Assistentinnen an. Sie nickt und nimmt den Telefonhörer in die Hand. »Ohne Rezept«, wiederholt er, »kann ich nichts für Sie tun.«

»Bitte«, sagt Roy, der allmählich wütend wird. »Ich hab noch nie in meinem Leben irgendjemanden um irgendwas gebeten. Aber jetzt bitte ich Sie: Geben Sie mir neun oder zehn von den Dingern, damit ich übers Wochenende komme. Dann ist mein Psychiater wieder da.«

Nun nähern sich aus dem vorderen Teil des Ladens zwei Sicherheitskräfte.

»Ohne Rezept …« »Verdammt!«, flucht Roy. »Ich hab hier schon eine Pille

von dem Zeug, und das Einzige, was ich will, sind ein paar mehr!«

Der Apotheker beginnt gerade, seinen Satz zu wiederho-len, als sein Blick auf die Tablette fällt. Sie ist grün, aber der wütende Mann denkt, dass das Effexor ist. »Lassen Sie mich die Pille genauer ansehen«, sagt der Apotheker und

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nimmt sie, um sie ins Licht zu halten. »Danke«, sagt Roy und sinkt fast in die Knie vor Er-

leichterung und Dankbarkeit. Der Apotheker schüttelt den Kopf. »Das ist nicht Effe-

xor«, sagt er. Roy versteht ihn nicht richtig. »Wie bitte?« »Das ist weder Effexor noch ein anderes Antidepressi-

vum.« Roy schüttelt den Kopf. Er begreift immer noch nicht.

Dr. Klein hat ihm doch Antidepressiva gegen die Zwangs-neurose gegeben, gegen seine … Schwierigkeiten. Was, zum Teufel, redet der Mann da? »Was … Was ist es dann?«

»Keine Ahnung«, antwortet der Apotheker. »Aber je-denfalls nicht Effexor. Effexor ist bläulich, nicht grün wie die Tablette hier.« Die Sicherheitskräfte sind schon ziem-lich nahe.

Roy nimmt die Pille in die Hand, starrt sie an. Versucht hineinzusehen, dreht die obere Hälfte der Kapsel ab, schüttet das weiße Pulver darin auf die Theke. »Was ist es dann?«, wiederholt er.

Der Apotheker sieht sich das Pulver genau an, die Körn-chen, den weißen Schimmer. Er steckt den Finger hinein und leckt ihn ab. »Das ist Zucker«, sagt er. »Ihr Arzt hat Ihnen die ganze Zeit Zuckertabletten gegeben.«

Roy wartet nicht, bis die Sicherheitskräfte ihn packen und wegführen. Diesmal spürt er kein Prickeln in der Keh-le, keinen Druck im Kopf. Roy kotzt, direkt auf die Theke, auf den Apotheker, auf die anderen Kunden. Er kotzt und kotzt und kotzt und sinkt auf dem Boden des Discount-Drugstore zusammen.

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Die Sekretärin versucht, Roy aufzuhalten, doch sie kommt nicht schnell genug hinter ihrem Schreibtisch hervor. Roy stürmt den holzvertäfelten Flur hinunter. Die Tür zu Dr. Kleins Praxis ist verschlossen. Roy ist das egal; er tritt sie ein, würde sie, wenn nötig, aus den Angeln heben.

Er hat sich heute Morgen nicht gewaschen, und seit dem Tag vor seiner Abreise nach Grand Cayman hat er sich auch nicht mehr rasiert. In der vergangenen Nacht war Roy nicht im Bett. Er ist aus dem Drugstore zu seinem Wagen gestolpert und hat den größten Teil des Abends damit verbracht, von Bar zu Bar zu fahren, wo ihm der Schmutz auf dem Boden, an den Wänden, an den Gläsern auffiel. Er hat sie alle weggeschleudert und darauf gewar-tet, dass es endlich neun Uhr morgens würde, dass er sich Dr. Klein vorknöpfen könnte. So gegen halb sieben ist er dann in der Toilette eines Nachtclubs eingeschlafen und erst wieder um zehn aufgewacht. Dort hat er sich das Ge-sicht und die Hände im Waschbecken gewaschen. Zwei-mal.

Die Tür knallt gegen die Wand, als Roy sie aufstößt. Die Klinke kracht gegen den Verputz. Roy bleibt stehen, sieht in den Raum hinein. Die Sekretärin hat ihn inzwischen eingeholt, versucht, sich bei Dr. Klein zu entschuldigen.

Dr. Klein sitzt an seinem Schreibtisch, ihm gegenüber ein Mann auf dem Patientenstuhl. Er hebt erschreckt den Blick, als die Tür auffliegt. »Ist in Ordnung, Wanda«, sagt er seiner Sekretärin. »Ich komme zurecht.« Sie zieht sich zögernd ins Vorzimmer zurück.

Roy durchquert den Raum mit zwei großen Schritten. »Zuckertabletten?«, schreit er Dr. Klein wütend an, wirft mit dem Fläschchen nach ihm und trifft ihn an der Brust.

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»Sie haben mir Scheißzuckertabletten gegeben?« Jetzt steht er neben dem Arzt, die Hände nur wenige

Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Dr. Klein ver-sucht, mit dem Stuhl wegzurutschen, verfängt sich jedoch damit im Flor des Teppichs und kippt ein wenig nach hin-ten. »Roy, Sie kommen ungelegen.«

»Ich habe eine chemische Dysfunktion, das wissen Sie doch, oder?«

»Roy, bitte …« »Ich habe eine chemische Dysfunktion im Gehirn. Ich

brauche die richtigen Pillen, keine Scheißzuckertabletten!« Er beugt sich näher zu dem Arzt hinunter. Es ist wie ein Pas de deux: Dr. Klein rutscht nach hinten, Roy folgt ihm. »Benutzen Sie mich vielleicht bloß als Versuchskanin-chen, weil Sie irgendeinen Scheißaufsatz schreiben wol-len?«

Der Arzt deutet auf seinen Patienten, der immer noch friedlich auf seinem Stuhl sitzt, die Augen halb geschlos-sen, ein abwesendes Lächeln auf den Lippen. »Ich habe gerade einen Patienten hier.«

»Und was bin ich? Kriegen Sie von mir kein Geld?« »Wir können uns in einer Stunde unterhalten …« »Nein, wir unterhalten uns jetzt.« Roy sieht zu dem Pa-

tienten hinüber, macht eine Handbewegung. »Verschwin-den Sie, ich muss mit dem Doc reden.«

Keine Reaktion, nicht einmal die Andeutung einer Be-wegung. Um die Lippen des Mannes spielt immer noch ein Lächeln. »Was ist los mit dem Kerl?«, fragt Roy.

»Er steht unter Hypnose«, antwortet Dr. Klein. »Und so-lange er nicht daraus aufwacht, kann ich ihn nicht aus dem Zimmer schicken, tut mir Leid.«

Roy geht um den Schreibtisch herum, beugt sich zu dem Mann hinunter, blickt ihm in die Augen. Dann packt er ihn bei den Schultern und schüttelt ihn so heftig, dass sein

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Kopf hin und her wackelt. »Wach auf!«, brüllt er ihn an und gibt ihm eine Ohrfeige.

Der Patient blinzelt, sieht sich etwas benommen um. »Was …«

»Hey, schlafen Sie noch?« »Nein … nein, ich glaube nicht …« »Gut«, sagt Roy und zieht den Mann auf die Füße. »Auf

Wiedersehen.« Dann schiebt er ihn aus dem Sprechzim-mer und knallt die Tür hinter ihm zu.

»Das war unprofessionell, Roy«, sagt Dr. Klein. Roy lacht schallend. »Sie sind mir schon ein komischer

Kauz, Doc. Ausgerechnet Sie wollen mir was von profes-sionellem Verhalten erzählen.« Er geht zum Schreibtisch zurück, setzt sich auf die Kante, lässt die Beine baumeln, sodass sie Dr. Kleins Knie berühren. »Könnten Sie mir die Sache jetzt bitte erklären?«

»Würden Sie sich hinsetzen?« »Ich sitze bereits.« »Richtig, wie ein Patient? Auf den Stuhl?« Roy springt vom Tisch, packt den Stuhl an der Sitzflä-

che, zieht ihn um den Tisch herum, neben den von Dr. Klein, nicht einmal einen halben Meter von ihm weg. Dann setzt er sich darauf und starrt den Arzt an. Er will, dass der Mann sich unwohl fühlt. »So recht?«

»Ja. Roy, warum, glauben Sie, brauchen Sie die Tablet-ten?«

Roy schüttelt den Kopf, die Unterlippe vorgeschoben. »Nein, nein, nein, so läuft das nicht. Zuerst beantworten Sie meine Fragen. Haben Sie mir Zuckertabletten gege-ben?«

»Ja.« »Aha.« So leicht hat er sich das nicht vorgestellt; er hat

mit einer Auseinandersetzung gerechnet. »Warum?« »Weil Sie das Effexor nicht brauchen.«

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»Hören Sie auf mit dem Scheiß. Ich habe eine chemi-sche …«

»Dysfunktion im Gehirn, ich weiß. Hören Sie mir einen Augenblick zu, dann erkläre ich Ihnen alles. Beantworten Sie meine Frage: Warum, glauben Sie, brauchen Sie die Pillen?«

Roy hebt die Hände. Sie zittern. So ist das seit letztem Abend, seit der Szene im Drugstore. »Sehen Sie mich doch an«, sagt er, »ich bin ein Wrack.«

»Da stimme ich Ihnen zu.« »Ich kann nicht mehr richtig denken und handeln. Mein

Mund ist die ganze Zeit voller Speichel. Ich kann ein Zimmer nicht verlassen, ohne immer wieder zu überprü-fen, ob die Tür verschlossen ist. Ich ertrage es nicht, den Teppich anzusehen. Mir tut der Hals weh; mir ist übel. Gestern Abend wäre ich fast im Drugstore verhaftet wor-den. Wollen Sie noch mehr hören?«

»Und Sie glauben, das hat damit zu tun, dass ich Ihnen die Zuckertabletten gegeben habe?«

»Die haben Sie mir doch gegeben, oder?« »Ja.« Roy breitet die Hände aus. »Sehen Sie? Wegen den ver-

dammten Zuckertabletten funktioniere ich nicht mehr. Was soll ich Ihnen noch erklären?«

Dr. Klein rutscht zurück. Roy folgt ihm nicht. »Wie geht’s Angela?«, fragt Dr. Klein.

Roy hustet. »Wechseln Sie nicht das Thema.« »Das ist das Thema. Wie geht’s Angela?« »Sie ist weg.« »Seit wann?« »Seit letzter Woche«, sagt Roy. »Wann genau?« »Keine Ahnung. Dienstag, Mittwoch, ein paar Tage vor

meiner Reise.«

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Dr. Klein nickt, nimmt den Notizblock in die Hand. Roy entreißt ihn ihm und schleudert ihn weg. Er knallt gegen die Wand und fällt auf den Boden.

Dr. Klein legt seinen Stift ganz ruhig auf den Schreib-tisch. Er wirkt, als hätte er eine solche Reaktion von Roy erwartet. »Dann ist sie also wie lange weg?«

»Sechs, sieben Tage.« »Hm, sieben Tage.« Roy ballt die Fäuste. Er wird den Arzt nicht schlagen,

noch nicht, aber es ist ein gutes Gefühl, sie zu ballen. »Worauf wollen Sie hinaus?«

»Haben Sie seitdem mit ihr gesprochen?« Roy zuckt mit den Achseln. »Sie muss doch in die Schule

…« »Also nicht.« »Nein, aber sie hat zu tun. Soll ich ihr vielleicht hinter-

herlaufen? Sie wird mich schon anrufen.« »Sie haben nicht versucht, sich mit ihr in Verbindung zu

setzen?« »Nein. Es ist … besser so. Sie muss mal ’ne Weile mit

ihrer Mom zusammen sein.« Dr. Klein hebt den Blick. »Beginnen Sie jetzt zu verste-

hen?« »Was?« »Den Zusammenhang zwischen Angelas Verschwinden

und Ihren … Problemen.« Roy schüttelt den Kopf, begreift nichts. Wieder so ein

Scheißtrick von dem Seelenklempner, denkt er. »Doc, Sie haben mir Zuckertabletten gegeben, das ist der Zusam-menhang.«

»Dann verstehen Sie also nichts.« »Hören Sie auf«, sagt Roy mit einem Seufzen. Sein Zorn

ist verraucht. »Was verstehe ich nicht?« Dr. Klein rutscht mit seinem Stuhl nach vorn, sodass

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seine Knie die von Roy berühren. Noch näher, und sie würden sich küssen. »Ich hatte mal einen Patienten«, be-ginnt er, »ist vielleicht drei oder vier Jahre her. War ein anständiger Kerl, hat seine Familie und Freunde gemocht, hätte alles für sie getan. Das Leben hat’s nicht immer gut mit ihm gemeint, aber das ist bei den meisten von uns so. Wenn wir etwas Negatives erleben, finden wir uns damit ab und suchen nach einer Lösung. Aber er hatte eine At-tributionsdefizienz.«

»Keine Ahnung, wovon Sie reden.« »Das ist ein hochgestochener Ausdruck für die Unfähig-

keit, die Schuld bei sich selbst zu suchen. Ein Beispiel: Im College hat er einen Astronomiekurs nicht bestanden. Er dachte, das lag am Lehrer, weil der ihn nicht leiden konn-te.«

»Stimmt ja vielleicht auch«, sagt Roy. »Vielleicht. Aber diese Reaktion wurde zu einem Mu-

ster. Man hat ihm gekündigt, dreimal. Warum? Jedes Mal hat er behauptet, sein Vorgesetzter hätte seine Haare, seine Kleidung, was auch immer, nicht gemocht. Irgendwann hat ihn dann auch noch seine Frau verlassen. Warum? Tja, vermutlich hatte sie Probleme, sich zu binden. An ihm selbst konnte es schließlich nicht liegen. Eines Nachts ist sein Haus abgebrannt, weil er mit der Zigarette in der Hand im Sessel eingeschlafen ist. Und was hat er ge-macht? Er hat die Zigarettenfirma und den Laden, in dem er das Päckchen gekauft hatte, verklagt.« Roy kann sich ein Lächeln nicht verkneifen; Dr. Klein schließt sich ihm an. »Kommt Ihnen das bekannt vor, Roy?«

»Wollen Sie damit sagen, dass ich die Schuld bei mir suchen soll?«

»Ich sage nur, dass Sie an der falschen Stelle suchen, dass Sie den Pillen die Schuld geben, obwohl das nicht die Antwort ist. Ich habe Ihnen von Anfang an Zuckertablet-

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ten gegeben …« »Sie Mistkerl …« »… und Sie haben selbst gesagt, dass es Ihnen blendend

ging. Nach der dritten oder vierten Woche hätten Sie sich gar nicht besser fühlen können. Die Zwangsneurose war nicht mehr so ausgeprägt, die Depressionen hatten nachge-lassen, und im zweiten Behandlungsmonat waren Sie so guter Stimmung wie schon lange nicht mehr. Einmal sind Sie fast hier reingetanzt. Das haben Sie selbst so ausge-drückt.«

Roy nickt widerwillig. »Ja, stimmt. Und?« »Das bedeutet, dass Sie kein Effexor benötigen. Ich

könnte es Ihnen sofort verschreiben, und Sie würden es ohne Schwierigkeiten in der Apotheke bekommen. Aber das werde ich nicht tun, weil Sie es nicht brauchen. Sie nehmen jetzt seit Monaten die Zuckertabletten, und wenn sie Ihnen nicht ausgegangen und Sie nicht in der Apotheke gewesen wären, hätten Sie es gar nicht gemerkt. Wo liegt also das Problem? Wieso fangen Sie wieder an, die Kon-trolle über Ihr Leben zu verlieren?«

Roy kennt die Antwort, will sie aber noch nicht in Worte fassen. Dr. Klein macht es nichts aus zu warten. Sie star-ren einander schweigend an. Dr. Kleins Telefon klingelt, doch er geht nicht ran, zuckt nicht mal mit der Wimper, wartet darauf, dass Roy etwas sagt. Es klingelt noch ein-mal, dann herrscht Ruhe.

»Angela«, sagt Roy schließlich. »Angela. Sie verschwindet, und Ihre Probleme beginnen

wieder. Angela ist der Schlüssel zu allem. Sie hat Ihr Leben besser gemacht, nicht die Tabletten. Und jetzt ist sie weg.«

»Angela«, wiederholt Roy. »Angela.« »Bringen Sie das in Ordnung, dann kommt auch Ihr Le-

ben wieder in Ordnung.«

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Roy braucht eine Weile, um den Zettel in dem Chaos in der Küche zu finden. Das Telefon und einige Küchengerä-te liegen kaputt auf dem Boden. Die Kühlschranktür steht offen, und die Lebensmittel darin haben zu stinken ange-fangen. So hat er das Haus verlassen, als er in den Wagen gesprungen und zu der Apotheke gefahren ist. Er war nicht mehr bei Sinnen.

Jetzt findet er die Nummer auf dem Zettel mit den Kätz-chen darauf, geht an den Apparat im Wohnzimmer. Das Licht am Anrufbeantworter blinkt. Eine Nachricht. Roy drückt auf den Abspielknopf, hofft, ihre Stimme zu hören.

»Hey, Kumpel.« Es ist Frankie. Er klingt zurückhaltend. »Neulich Abend … das war ziemlich daneben. Tja, manchmal passiert so was einfach. Also … tut mir Leid, ja? Ich wollte nicht … Wenn du Lust hast, ich hätte ein paar Pläne. Ganz einfache Sachen, nichts … Egal, wenn du reden willst, ruf mich an. Ich bin da.«

Roy löscht die Nachricht, ist froh, dass Frankie angeru-fen, froh, dass er sich entschuldigt hat. Roy sollte das Gleiche tun. Aber nicht jetzt. Angelas Handynummer liegt vor ihm. Im Moment kann er nicht mit Frankie reden. Frankie muss warten.

Roy wählt, wartet, bis die Verbindung hergestellt wird. Er hofft, dass Angela das Ding eingeschaltet hat. Er hasst es, Nachrichten zu hinterlassen. Eine Nachricht bedeutet, dass seine Stimme auf Band aufgenommen ist. Jeder kann sie sich anhören, immer wieder, seine Stimme verwenden, wie er will. Noch schlimmer: Was, wenn das Handy ir-gendwo im Haus herumliegt und Heather rangeht? Viel-leicht legt er dann auf. Vielleicht legt er sowieso auf.

»Hallo?« Eine Männerstimme. Roy sieht auf den Zettel in seiner Hand. Er ist ziemlich sicher, die richtige Num-mer gewählt zu haben.

»Hallo«, sagt Roy. »Vielleicht hab ich mich verwählt …«

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»Ja, vielleicht.« Die Stimme klingt unfreundlich. »Ich würde gern mit Angela sprechen.« »Was?« »Mit Angela. Ich bin ihr … Roy. Sagen Sie ihr, es ist

Roy.« »Ach so, ja.« Schweigen. Er hört einen Fernseher im

Hintergrund, Musik, unzusammenhängende Geräusche. »Bleiben Sie dran.«

Gedämpftes Rufen. Wahrscheinlich hat der Mann die Hand über das Mundstück gelegt, denkt Roy. Jemand brüllt etwas zurück, dann fällt etwas mit einem Knall auf den Boden. Roy geht im Wohnzimmer auf und ab. Dabei wickelt sich das Telefonkabel um seine Beine. Jetzt hört er nichts mehr am anderen Ende der Leitung. Hat der Mann aufgelegt? Muss er noch einmal anrufen?

»Hallo?« Es ist Angela. »Angie, ich bin’s, Roy.« »Hey! Hey, ich hab versucht, dich zu erreichen.« »Ja. Ich war weg. Wer war denn das?« »Wer?« »Der Typ grade eben, am Telefon.« »Ach der, das war Joe.« Sie senkt die Stimme. »Das

Arschloch.« »Der Freund von deiner Mom?« »Ja. Der übernachtet öfter bei uns. Mach dir keine Ge-

danken wegen Joe, der ist betrunken.« Im Hintergrund hört Roy weiteres Brüllen. Wieder fällt

etwas krachend zu Boden. Das Haus ist nicht der richtige Ort für ein Kind, für Angela, da ist Roy sich sicher. »Trinkt er viel?«

»Ja«, antwortet Angela. »Manchmal hört er damit auf …« Sie verstummt; Geräusche, die nach einem Handge-menge klingen. »Nimm die Hände weg, Joe«, murmelt sie. »Und geh nicht mehr an mein verdammtes Handy.« Roy

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hört die Anstrengung in ihrer Stimme. Als müsste sie ihn wegschieben, sich ihrer Haut wehren.

»Soll ich kommen und dir helfen?« »Nein«, sagt Angela hastig. »Mit dem werd ich schon

fertig.« Jetzt klingt sie kess wie eh und je. »Schön, dass du anrufst. Wann kann ich wieder zu dir kommen?«

»Ich dachte, am Samstag. Vielleicht machen wir ’nen Ausflug …«

»Wenn du möchtest, kann ich schon morgen kommen. Morgen hab ich keine Schule.«

»Nein, morgen … bin ich beschäftigt.« »Ach, da könnte ich dir doch helfen.« »Nein, nicht, was du meinst. Komm am Samstag, ja?« Schweigen. Ist sie beleidigt? Schmollt sie? »Ich nehm

den Zug um halb neun. Dann machen wir uns einen schö-nen Tag.«

Roy löst sich aus dem Telefonkabel, in das er sich ver-heddert hat, und setzt sich in seinen Sessel. »Gut, abge-macht.«

»Abgemacht.« Schweigen. Roy versucht zu hören, was Joe macht.

»Quatschen wir noch ein bisschen?«, sagt Angela schließ-lich. »Weißt du, ich hab jede Menge Freiminuten …«

»Bis Samstag«, sagt Roy lachend. »Gut, bis Samstag. Tschüss, Dad.« »Tschüss, Angie.« Roy legt auf und bleibt eine Weile sitzen, starrt den

Teppich an, überlegt, ob er sie noch einmal anrufen, ihr erzählen soll, was er morgen Nachmittag tun will. Ob er sie einweihen soll.

Nein, es ist besser, abzuwarten und sie zu überraschen. Zuerst muss er sehen, ob er es überhaupt schafft, das Tref-fen für morgen zu arrangieren, bevor Angela kommt.

Noch ein Anruf. Roy wählt die Nummer der Auskunft.

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Glasser ist besser gekleidet als Roy, obwohl der seinen neuen Anzug trägt. Der Stoff ist besser, das sieht Roy, und der Schnitt. Die Krawatte leuchtet nicht so grell wie die seine. Glasser ist das personifizierte Mode-Understatement. Er hat Klasse. Das merkt man auch an den Ledermöbeln und dem hochglanzpolierten Holz, sogar an den Wänden. Roy lässt sich nicht so leicht einschüch-tern, aber hier drin fühlt er sich unwohl.

Der Mann spürt das. »Sitzen Sie bequem?«, fragt er. »Sandra kann Ihnen einen anderen Stuhl bringen, wenn Sie möchten.«

»Nein, nein«, sagt Roy und spielt mit den Briefbeschwe-rern auf dem Schreibtisch des Mannes herum. Fotos von den Kindern und der Ehefrau des Mannes hängen an den Wänden, Urlaubsschnappschüsse, Schulabschlussbilder.

»Wie sieht’s aus, Mr. Glasser?«, fragt Roy. »Wird’s schwierig werden?«

Der Schreibtisch ist voller Papiere, Roys Papiere. Der Mann blättert darin, die Brille auf der Nasenspitze. »Leicht ist es nie«, sagt er. »Besonders, wenn die Gegen-partei nicht einverstanden ist.«

»Tja, das könnte sein.« »Das ist ein zusätzliches Problem, mit dem wir uns be-

schäftigen müssten.« Der Anwalt schiebt die Brille hoch. »Als Erstes wird der Richter nach Ihrem Einkommen fra-gen.«

»Geld habe ich. Das ist kein Problem.« »Das weiß ich. Aber er wird … Belege sehen wollen …

für einen Job. Haben Sie etwas in der Richtung?« Roy schüttelt den Kopf. »Nichts, was man dem Richter

vorlegen könnte, nein. Ich hab ’ne Fassade, aber …« Glasser nickt. »Verstehe. Das ist der erste Punkt, den Sie

klären müssten. Außerdem sehe ich in Ihren Unterlagen keine Steuererklärungen der letzten Jahre.«

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»Die hab ich. Bin selbstständiger Antiquitätenhändler. Das ist die Fassade.«

»Hm. Dann bringen Sie die Erklärungen vorbei. Wir können sie uns gemeinsam ansehen.«

»Kein Problem.« Glasser lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, reibt sich die

Nase, sieht zur Decke hinauf, weicht Roys Blick aus. »So-lide Lebensverhältnisse?«

»Ja, klar, ich glaub schon.« »Keine Festnahmen? Keine Drogen?« »Nein, nein«, sagt Roy hastig. »Nichts Derartiges.« »Gut. Haben Sie Leute, die für Ihren Charakter bürgen

können?« Roy zuckt mit den Achseln. »Keine, die für einen Rich-

ter geeignet wären. Höchstens meinen Seelenklempner.« Der Anwalt schüttelt den Kopf, setzt sich aufrecht hin.

»Von der Therapie sollten wir, wenn’s irgendwie geht, nichts erwähnen. Ein älterer Richter könnte bei so was argwöhnisch werden. Sagen Sie mir doch: Was hält die Mutter des Mädchens von der Angelegenheit?«

»Sie redet nicht mit mir.« »Dann haben Sie sich also nicht mit ihr darüber unter-

halten.« Roy rutscht auf seinem Stuhl hin und her. »Ich hab Ih-

nen doch gesagt, dass sie nicht mit mir redet, wie sollen wir uns da unterhalten?«

Glasser versucht, ihn zu beschwichtigen. »Immer mit der Ruhe, ich bin auf Ihrer Seite. Ich will bloß sicher sein, dass alles seine Ordnung hat.«

Roy kann das verstehen, aber Glassers Fragen sind ihm unangenehm. »Sagen Sie ehrlich«, meint Roy, »hab ich eine Chance?«

Glasser setzt die Brille ab, stützt die Ellbogen auf den Schreibtisch. »Ich hab schon Fälle wie den Ihren bearbei-

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tet, sogar noch schlimmere. Alle unterschiedlich. Es hängt vom Richter und seiner Stimmung ab. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die ihre Entscheidungen völlig willkür-lich treffen. Aber es ist im Bereich des Möglichen, dass Ihnen das Sorgerecht gemeinsam mit der Mutter zuge-sprochen wird.

Allerdings liegt noch eine Menge Arbeit vor uns, bevor wir vor Gericht gehen können. Genauer ausgedrückt: Vor Ihnen liegt noch eine Menge Arbeit. Ich trete ungern vor einen Richter, wenn ich nicht frei agieren kann. Ich will ihm nicht sagen müssen, dass Sie sich einen Job suchen und sozial engagieren werden. Ich möchte, dass das schon seit ein paar Monaten Fakt ist, wenn wir den Gerichtssaal betreten. Kurzum: Sie müssen bereit sein, Ihren Lebensstil zu ändern – Ihr Haus, Ihr Auto, Ihren Job, einfach alles –, um das Sorgerecht für Ihre Tochter zu bekommen. Wenn Sie das wollen, dann machen Sie sich ans Werk.«

Roy sagt Angela nicht, wohin sie fahren, und sie merkt es erst, als sie schon auf dem Parkplatz sind. In der Ferne erkennt sie die obere Hälfte des Riesenrads. Sie riecht die gebratenen Maiskolben und hört die Musik.

»Aber du hasst doch Vergnügungsparks«, sagt sie zu Roy.

Er zuckt mit den Achseln. »Mit dir bin ich noch in kei-nem gewesen. Vielleicht hab ich bloß die falsche Einstel-lung dazu.«

Angela nimmt lachend Roys Hand, zieht ihn durch den Parkplatz auf den Haupteingang zu. Heute trägt sie ein Kittelkleid, und Roy findet, dass sie das jünger aussehen lässt, verletzlicher, schutzbedürftiger. Sie ist eben doch noch ein kleines Mädchen.

»Die Achterbahn wird dir gefallen«, sagt Angela. »Die hat ’nen Doppelloop, und unten verschlingt sich die Strecke

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dann in sich selbst …« »Immer mit der Ruhe. Die Sache mit der Achterbahn

muss ich mir noch überlegen.« »Nun mach dir mal nicht in die Hosen«, neckt Angela

ihn. »Ich hab ’nen schwachen Magen.« »Das gefällt dir, du wirst schon sehen.« Sie bleibt mitten

auf dem Parkplatz stehen, wendet sich ihm zu. »Vertrau mir, ja?«

Roy nickt, merkt erst einen Augenblick später, dass er das ernst meint.

Vor dem Kassenhäuschen stehen nur wenige Menschen, noch ist nicht viel los. Angela und Roy sind schon bald ganz vorn in der Schlange, wo eine Frau um die sechzig mit blondierten Haaren an der Kasse sitzt. Unter ihrem Sweatshirt lugt ein Glückskettchen hervor. Sie lächelt An-gela an.

»Ein Erwachsener, eine Schülerin«, sagt Angela. Roy hat ihr das Geld auf dem Parkplatz gegeben, damit sie jetzt das Gefühl haben kann, sie lade ihn ein.

»Das macht einundzwanzigfünfzig, Schätzchen.« Angela greift in ihre Tasche und holt zwei Zwanziger

heraus. »Eigenartig«, sagt sie. »Bloß Zwanziger. Ich dach-te, ich hätte noch ein bisschen Kleingeld …«

»Kein Problem, Schätzchen«, sagt die ältere Frau. »Ich hab genügend Wechselgeld.«

Roy weiß genau, was Angela vorhat. Er packt sie an der Schulter, drückt sie, und Angela sieht ihn mit einem ver-schmitzten Grinsen und leuchtenden Augen an. Roy schüt-telt den Kopf. Sie nickt. Er schüttelt noch einmal den Kopf, doch da hat Angela sich schon weggedreht, der Kassiererin zu.

Die Frau schiebt Angela die Eintrittskarten für den Ver-gnügungspark sowie das Wechselgeld hin. »Viel Spaß«,

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sagt sie und will sich dem nächsten Kunden zuwenden. Doch Angela rührt sich nicht von der Stelle. »Hübsches

Kettchen haben Sie da«, sagt sie und beugt sich ein wenig vor.

Die Frau strahlt. »Danke, Schätzchen. Das hab ich von meinen Enkeln.« Sie deutet auf die Anhänger an dem schmalen Goldkettchen. »Einer von jedem. Drei Jungen und zwei Mädchen.«

»Wow«, sagt Angela, »fünf Enkel …« »Und einer ist unterwegs. Wenn noch mehr kommen,

wird die Kette so schwer, dass ich den Kopf nicht mehr gerade halten kann.«

Angela lacht zusammen mit der Frau und macht Anstal-ten, den nächsten Kunden an die Kasse zu lassen. Roy ist erleichtert.

Doch einen Augenblick später bleibt sie, eine Hand in der Tasche, stehen. »Moment«, sagt sie. »Ich glaub, ich hab doch noch Kleingeld gefunden.«

Sie will tatsächlich die Zwanziger-Nummer probieren. Roy packt sie am Handgelenk und zieht sie sanft, aber bestimmt weg. »Nein«, sagt er, dann, an die Kassiererin gewandt: »Nein.«

»Doch«, widerspricht ihm Angela. »Ich hab einen Dollar fünfzig gefunden …«

»Nein, nicht heute, okay?« Angela sieht Roy an, die Augen zu Schlitzen verengt,

den Kopf ein wenig schräg gelegt. Sie versucht, seine Ge-danken zu erraten. Er sagt nichts mehr, erwidert nur ihren Blick, in der Hoffnung, dass sie keine Szene machen wird. »Du hast Recht«, sagt sie schließlich und lässt sich von Roy in den Vergnügungspark führen.

»Okay«, sagt sie, sobald sie drin sind. »Was sollte das eben?«

»Ich wollte den Tag nicht so anfangen.«

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»Ich versteh nicht, was du meinst.« Sie mischen sich unter eine größere Gruppe von Men-

schen. »Weißt du«, sagt Roy, »ich würde gern sehen, ob wir den Tag auch ohne Tricks hinkriegen.«

»Ganz ohne?« »Ja, ganz ohne.« »Warum?«, fragt sie. »Das macht doch Spaß.« »Klar, aber es ist einfach nicht … was Väter und … ihre

Töchter zusammen machen.« »Na und? Wir sind eben anders.« »Stimmt. Und das gefällt mir, aber … Können wir’s

nicht einfach probieren? Ein ganzer Tag ohne irgendwel-che Tricks?«

»Na ja«, sagt Angela, »wenn du meinst.« »Ja.« Roy streckt Angela die Hand hin; sie betrachtet sie,

überlegt. Er lächelt sie an, und sie ergreift seine Hand grinsend. Plötzlich ist sie wieder voller Begeisterung.

»Komm«, sagt sie und zieht ihn mitten hinein in den Vergnügungspark. »Ich zeig dir was, da wird dir hundert Prozent übel.«

Der Tag vergeht in einer scheinbar endlosen Folge von Loops und Drehungen. Roy kann es kaum glauben, dass er bewusst versucht, einen Übelkeitsanfall zu provozieren. Aber er muss nicht kotzen, und er spürt auch keine Galle in seiner Kehle. Sein Kopf bleibt klar. Diese Art von Übelkeit ist gar nicht so schlecht, denkt er. Nun begreift Roy fast, was den Leuten an solchen Fahrten gefällt.

Angela wird nicht schlecht, sie sieht kein bisschen grün aus im Gesicht. Roy fragt sich, ob sie von einem anderen Planeten kommt, von Aliens ausgesandt, um die Men-schen auf dieser Welt mittels endloser Loops in die Apa-thie zu schicken.

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Mittags isst Roy Fleisch am Spieß; Angela verdrückt al-les, was ihr in die Finger kommt. Es fällt ihr schwer, ihr Tablett zusammen mit den sechs Plüschtieren zu balancie-ren, die Roy für sie gewonnen hat. Das war leicht, denkt Roy. Schließlich hat er in der Zeit, bevor er Hank kannte, ein paar Monate lang die Vergnügungsparkszene genauer unter die Lupe genommen. Er kennt alle Tricks; jeder Ver-such ein Gewinn. Das ist nicht ganz fair, nein, aber für Roy sind das keine ernsten Nummern. Ein Trickser lässt sich eben nicht übers Ohr hauen.

»Du hast wirklich ’nen beneidenswerten Stoffwechsel«, sagt Roy, als sie sich auf eine ramponierte Holzbank set-zen. Die Pferdeshow ist nur ein paar Meter von ihnen ent-fernt, und wenn der Wind dreht, vergeht Roy der Appetit. »Das Zeug würde die meisten anderen Menschen auf der Stelle umbringen.«

»Ja«, murmelt Angela zwischen zwei Bissen von ihrem dick mit Zucker bestreuten Gebäckstück. »Ich kann fast alles essen.«

»Ist deine Mom immer noch so dünn?« Angela zuckt mit den Achseln. »Normal, denke ich. Ich

ess kaum noch mit ihr, also weiß ich auch nicht, was sie so alles verträgt.«

»Isst du nicht zu Hause?« »Nicht wirklich. Meistens hol ich mir was aus dem

Kühlschrank und nehm’s mit auf mein Zimmer. Oder ich geh aus. Oder sie geht aus.«

»Und Joe?« Angelas Blick trübt sich. »Was soll mit ihm sein?« »Was macht der?« »Ist mir egal. Vergiss Joe.« Roy knabbert an dem Salat herum, mit dem sein Fleisch

garniert ist. Platzverschwendung, denkt er. »Wie oft siehst du deine Mom denn?«, fragt er und hofft, dass sie ihn

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nicht sofort durchschaut. »Keine Ahnung. Ich geh in die Schule, und wenn ich

heimkomme, ist sie in der Arbeit. Wenn sie nach Hause kommt, geh ich weg … Jeden Tag ein bisschen, vielleicht ’ne halbe Stunde.«

»Viel ist das nicht gerade.« »Ne.« Roy lacht, versucht, so beiläufig wie möglich zu fragen:

»Dann siehst du mich ja fast öfter als sie, oder?« »Ja.« »Angela«, sagt er und legt seinen Spieß auf den Teller.

»Wir haben doch Spaß miteinander, stimmt’s?« »Sogar viel. Nach dem Essen gehen wir in die Geister-

bahn.« »Na schön, wenn du meinst.« Er wendet sich wieder

seinem ursprünglichen Thema zu. »Und du findest mich okay als Dad, oder?«

»Ich finde dich toll«, sagt sie und sieht ihn voll echter Zuneigung an.

»Wirklich?« »Ja. Am Anfang, da hab ich mir ein bisschen Sorgen

gemacht, weißt du, weil alles so merkwürdig war und so … Schließlich haben wir uns da noch nicht gekannt. Aber jetzt … jetzt läuft alles wunderbar, stimmt’s?«

»Stimmt«, sagt Roy. Angela wendet sich wieder ihrem Gebäckstück zu. Roy

bringt keinen Bissen mehr hinunter. Er hat ein flaues Ge-fühl im Magen; sein Herz rast. Wahrscheinlich, denkt er, sind das die Nachwehen von dem vielen Achterbahnfah-ren. »Angela«, sagt er, bemüht, das Übelkeitsgefühl zu unterdrücken, »was würdest du davon halten, wenn ich das Sorgerecht für dich beantrage?«

Sie hört auf zu essen, legt das Gebäckstück weg. »Für mich?«

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»Nein, für meine anderen sechs Töchter. Klar, natürlich für dich.«

Sie denkt einen Augenblick über seinen Vorschlag nach. »Dann könnte ich bei dir wohnen?«

»Jedenfalls einen Teil der Zeit.« »Öfter als jetzt?« »Ja, wenn du das möchtest. Wir könnten hier in der Nä-

he eine Schule für dich suchen. So genau weiß ich das selber noch nicht.«

»Und Mom könnte nichts dagegen machen?« »Doch, aber … Ich wollte zuerst dich fragen, bevor ich

was unternehme. Das würde eine Menge Veränderungen mit sich bringen. Nicht für uns, sondern … für mich. Es hätte Auswirkungen auf mein Leben, darauf, was ich tue, wie ich mir mein Geld verdiene.«

»Und das würdest du machen?« »Ja«, sagt Roy. Angela nickt und rutscht näher an Roy heran. Jetzt be-

rühren sich ihre Beine. »Ja, das würde mir gefallen.« Fünf Minuten später sind sie mit dem Essen fertig. Fünf

Minuten später kämpft Roy auf dem Rainbow Coaster schon wieder gegen die Schwerkraft. Zuerst wird sein Magen nach oben geschleudert, dann nach unten. Er presst die Beine gegen die Sicherungsstangen, so fest, dass er am nächsten Tag wahrscheinlich blaue Flecken haben wird. Jetzt ist ihm noch übler als zuvor. Auf dem Weg nach un-ten packt Angela seinen Arm, kreischt direkt in sein Ohr, macht ihn fast taub. Er kann sich nicht erinnern, jemals mehr Spaß gehabt zu haben.

Er trifft sich in einem hübschen Restaurant im Stadtzen-trum mit Frankie, weil er eine Szene vermeiden möchte. Wenn sie sich in ihrem Diner treffen, das weiß Roy, wird sein Partner keinerlei Hemmungen haben, alles kurz und

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klein zu schlagen und Roy anzubrüllen. Und obwohl er das möglicherweise verdient hätte, weil er weder ihre Freundschaft noch ihre Partnerschaft zu würdigen weiß, will er das nicht. Bei all den Dingen, die ihm im Augen-blick auf der Seele liegen, wäre ihm das zu viel.

Frankie kommt zehn Minuten zu spät. Er trägt einen modischen Anzug. Roy ist überrascht, dass ihm das auf-fällt. Offenbar haben Angelas Bemühungen doch etwas gefruchtet. Frankie sieht sich nach ihm um. Roy steht auf und winkt ihm. Frankie schlängelt sich zwischen den Ti-schen hindurch.

»Danke, dass du gekommen bist«, sagt Roy. »Kein Problem. Schön, dich zu sehen.« Frankie streckt

ihm vorsichtig die Hand hin, und Roy ergreift sie. Dann umarmen sie sich unbeholfen. Das genügt beiden als Ent-schuldigung. Frankies blaues Auge ist schon fast wieder verschwunden.

»Setz dich«, sagt Roy. »Ich hab einen Wodka für dich bestellt.«

Frankie zieht einen Stuhl heraus und lümmelt sich kopf-schüttelnd darauf. »Du siehst gut aus«, sagt er. »Hast wei-ter abgenommen.«

Roy zuckt mit den Achseln. Er weiß, dass Frankie Recht hat, aber er kann nichts dafür, es ist einfach so passiert. »Die eine Woche ist’s ein bisschen mehr, die andere ein bisschen weniger.« Er mustert Frankies Kleidung. »Gehst du aus heute Abend?«

Frankie spreizt die Daumen unter die Revers. »Ja, mit Rhonda.«

»Ist das die vom Club?« »Genau. Und du?« Roy breitet die Arme aus. »Ich bin zum Essen mit dir

verabredet.« »Bist ja ein richtiger Schwerenöter.« Frankie lacht. Der

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Kellner bringt seinen Wodka, und er trinkt einen Schluck. »Hübsches Lokal«, sagt er. »Warum sind wir hier?«

Roy grinst. »Weil wir tolle Hechte sind?« »Nein, Glückspilze. Da gibt’s ’nen anderen Grund, Part-

ner. Willst du hier ’ne Nummer durchziehen?« Roy schüttelt den Kopf, sieht seinen Brotteller an.

»Nein, das ist es nicht, Partner.« »Schade. Hier wäre ordentlich was zu holen gewesen.« »Ja, da hast du wahrscheinlich Recht.« Roy möchte kei-

nen Fehler machen. Er hebt den Kopf, zwingt sich, Fran-kie in die Augen zu sehen. »Ich hör auf.«

»Womit? Wir sind doch gerade erst hergekommen.« »Ich hör auf mit den Tricks.« Ohne ein Wort zu sagen, greift Frankie nach seinem

Drink und kippt den Rest hinunter. Das Eis lässt er im Glas wirbeln. Roy will Frankie nicht unter Druck setzen, wartet auf seine Reaktion.

»Tust du dich mit jemand anders zusammen?« »Nein …« »Wegen der Scheiße neulich?« »Nein, ich tu mich mit niemand anders zusammen«, sagt

Roy. »Ich hör ganz auf. Ich werde … verdammt, ich hab nicht den blassesten Schimmer, was ich machen werde. Vielleicht verkauf ich tatsächlich Antiquitäten oder arbeite in ’nem Teppichladen.«

»In ’nem Teppichladen?« »Egal, keine Ahnung. Jedenfalls hör ich auf. Ich ver-

such, das Sorgerecht für Angela zu kriegen, und dazu muss ich ein normales Leben führen.«

»Das Leben von den Leuten, die wir ausnehmen.« »Ja«, sagt Roy. »Ab jetzt werd ich der Trottel von der

Straße sein.« Frankie lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. »Das willst

du für das Mädchen machen? Die Seite wechseln?«

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»Ja.« Roy sieht sich in dem Lokal um, schätzt die Ent-fernung zu den anderen Tischen ab. Wenn Frankie zu brül-len anfängt, muss er schnell dafür sorgen, dass er damit aufhört, sonst gibt es eine Szene.

»Tja«, sagt Frankie und beugt sich wieder nach vorn, »dann wünsch ich dir viel Glück.«

Roy runzelt die Stirn. Das hat er nicht erwartet. »Ist das dein Ernst?«

»Ja. Soll ich dich vielleicht dran hindern, ’ne Familie zu gründen? Ich persönlich halte dich zwar für einen Voll-idioten, aber das ist nichts Neues.« Frankie grinst. Das ist ansteckend. »Hey, Roy, du bist viele Jahre gut zu mir ge-wesen. Du hast mir alles Mögliche beigebracht … mein Gott, auf die Ideen war ich allein gar nicht gekommen. Wenn du jetzt aus der Sache raus willst, werd ich keinen großen Aufstand machen.«

»Gut«, sagt Roy erstaunt. »Gut. Ich hätte nicht gedacht, dass du das so einfach akzeptierst.«

»Tja, jetzt weißt du’s.« »Stimmt.« Sie spielen mit dem Brot herum. Roy streicht Butter auf

eine Scheibe. »Um einen Gefallen muss ich dich aller-dings bitten«, sagt Frankie.

»Schieß los«, antwortet Roy, ausgesprochen erleichtert darüber, dass das Gespräch so unerwartet reibungslos ge-laufen ist.

»Noch eine Nummer, damit ich aus den roten Zahlen rauskomme.«

»Frankie …« »Eine einzige Nummer, damit ich ein kleines Polster ha-

be.« »Ich weiß nicht so recht …« Frankie legt sein Brot weg, rückt mit seinem Stuhl näher

an Roy heran. »Wenn ich allein weitermachen oder mir

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einen neuen Partner suchen muss, brauch ich einfach Geld, um eine Weile über die Runden zu kommen. Allein schaff ich das nicht so wie zusammen mit dir.«

»Du kommst schon zurecht.« »Irgendwann sicher. Aber ich werd eine Weile brau-

chen, bis ich richtig in Fahrt bin. Ich schlage vor, wir zie-hen eine letzte Nummer zusammen durch, eine richtig gute, dann hab ich ’ne Basis, und du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass ich irgendwo in der Gosse lande.«

Roy reibt sich Augen und Stirn. Das ist ein neues Ge-fühl, das sich wie eine Wolke auf ihn senkt: kein Druck, kein getrübter Blick, sondern eine vage Unsicherheit im Magen. Das Gefühl, dass er helfen muss, obwohl er das eigentlich nicht möchte. Roy fragt sich, ob das die Schuldgefühle sind, von denen Dr. Klein gesprochen hat.

»Das ist ’ne Scheißsituation, Frankie«, sagt er. »Ich muss mein Leben ändern, vollkommen …«

»Und ich kann dir dabei helfen. Wenn du willst, kann ich dir ’nen ganz legalen Job vermitteln. Mein Cousin hat am anderen Ende der Stadt ’ne Möbelfabrik … vielleicht kann der dir ’nen Aufseherjob oder so was beschaffen. Ich bitte dich nur um eine einzige letzte Nummer. Wir teilen wie immer. Dann sind wir beide aus dem Schneider.«

»Aus dem Schneider …« »Genau. Eine letzte Nummer.« Roy will sich nicht festlegen, weiß aber, dass er genau

das tun wird. »Ich denk darüber nach.« Frankie nickt und nimmt die Speisekarte in die Hand.

»Wenn du mir eines schuldest, Roy, dann das.«

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In den drei Wochen, die Roy braucht, um die letzte Num-mer seines Lebens vorzubereiten, ist Angela zweimal bei ihm. Jedes Mal bleibt sie fünf Tage am Stück und bringt ein paar von ihren Sachen mit, eine Tagesdecke hier, ein Make-up-Set dort, Dinge eben, die ein Zuhause ausma-chen. Roy sagt nichts dazu. Er sieht es und lächelt, das ist alles.

Er weiß, dass er Heather anrufen, die Situation mit ihr besprechen, seine Motive erklären, sich nach der langen Zeit vorsichtig an sie annähern sollte. Doch Angela meint, sie sei ohnehin kaum zu Hause, und wenn, habe sie kein Interesse daran, sich mit ihrem Exmann zu unterhalten, weil sie immer noch wütend auf ihn sei oder einfach träge. Ihm ist klar, dass er ohnehin bald mit ihr oder ihrem An-walt reden wird. In ein paar Monaten, sobald die letzte Nummer vorbei ist, wird er einen richtigen Job haben, ein vorzeigbares Leben, einen Chef, ein Einkommen. Viel-leicht wird er ehrenamtlich für das örtliche Obdachlosen-heim arbeiten. Irgendetwas, hat sein Anwalt gesagt, das sein soziales Engagement beweist. Außerdem braucht er jemanden, der für seinen guten Charakter bürgt. Dann wird er das Sorgerecht beantragen, und das eigentliche Spiel wird beginnen. Er ist sich sicher, dass Heather dann mit ihm sprechen wird, hofft allerdings, dass sie es nicht tut.

Saif war hoch erfreut, als Roy und Frankie nach einem Kunsttransport im Lagerhaus auftauchten. Mit Blick auf sein zukünftiges Leben hatte Roy seinen Anteil aus dem Geschäft Frankie überlassen. »Ihr seid zurück«, begrüßte Saif sie und umarmte sie beide fest. »Aber die nächste Lieferung ist noch nicht da.«

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»Wir sind nicht wegen der Kunstwerke hier«, sagte Roy in dem Bewusstsein, dass er es richtig anpacken musste. Schließlich wollte er den Mann nicht verschrecken. »Frankie hat mich doch noch davon überzeugt, dass du gar nicht so schlecht für uns wärst in unserem Geschäft.«

»In eurem Geschäft. Als … Partner?« Roy seufzte. »Ein Mal. Später könntest du dich mit

Frankie zusammentun. Vorausgesetzt, es läuft alles gut.« »Und du?« »Ich zieh mich zurück. Mir wird das zu viel.« Es bestand

kein Anlass, ihm die Sache mit Angela zu erklären, jeden-falls nicht, bevor er es unbedingt wissen musste.

Saif zeigte sich interessiert. »Und wie soll die Sache lau-fen?«

»Tja«, mischte sich Frankie ein, »wir müssen sicher sein, dass du die Angelegenheit im Griff hast. Und das geht nur, wenn du in der ersten Nummer die Zügel in die Hand nimmst.«

»Ich verstehe nicht ganz«, sagte Saif. »Vielleicht ist mein Englisch …«

»Dein Englisch ist wunderbar«, sagte Roy. »Frankie meint Folgendes: Wenn du mitmachen willst, musst du das Geld für die erste Nummer vorstrecken. Vor einiger Zeit hast du mir erklärt, dass du dich für langfristige Sa-chen interessierst …«

»Ja.« »… und für die braucht man Kapital. Wenn du bei uns –

bei Frankie – mitmachen willst, musst du das Kapital zur Verfügung stellen.«

Saif dachte nicht lange nach. »Das kann ich«, sagte er aufgeregt. »Und ihr beiden liefert dafür das … Spiel, ja?«

Frankie und Roy grinsten sich an. »Ja, das liefern wir«, sagte Frankie. »Wir haben eine Nummer und den richtigen Mann dazu, der bloß darauf wartet, über den Tisch gezo-

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gen zu werden.« Das war vor einer Woche. Seitdem versucht Roy, alles

zu organisieren, zwei Leben gleichzeitig zu führen. Tags-über spricht er mit Anwälten, mit Dr. Klein, mit Immobili-enmaklern. In der Nacht kümmert er sich um die Vorberei-tungen für die Nummer, redet mit den richtigen Leuten. Roy ist eine hübsche Variante eingefallen, und Frankie denkt sich dazu noch einen eigenen Dreh aus. Die Num-mer ist gut, alte Schule. Nicht richtig langfristig, aber auch nicht wirklich kurzfristig, sondern einer von den Tricks, die Roy fehlen werden.

»Mr. Arbeiter ist jetzt bereit, mit Ihnen zu sprechen«, sagt die Sekretärin. Roy blickt beim Klang ihrer Stimme erschreckt hoch. Er legt die Zeitschrift weg, die er ohnehin nicht gelesen hat, steht auf, streicht seine Hose glatt und zieht seine Krawatte gerade. Es ist sein erstes Vorstel-lungsgespräch.

»Sie sehen aus, als würden Sie sich nicht wohl fühlen«, sagt Arbeiter, als Roy sich in seinem Büro setzt. »Wollen Sie ein Glas Wasser?« Der Mann ist deutlich jünger als Roy, hat offenbar kein Problem mit seiner Position.

Roy schüttelt den Kopf. Seine Hände sind feucht. Das Büro hat ein großes Fenster nach hinten, auf einen Park-platz. Die Ziegelwände sind unverputzt. »Mir geht’s gut«, sagt er. »Wir können anfangen.«

Arbeiter stellt eine Reihe harmloser Fragen über Roys Alter und Interessen, blättert seinen Lebenslauf durch. Angela hat ihm geholfen, ihn zu tippen. Sie hat in ihrem Sozialkundekurs in der Schule gelernt, wie das geht. »Sie haben keinen College-Abschluss?«, fragt Arbeiter.

»Nein«, antwortet Roy, weil er alles so simpel wie mög-lich gestalten, keinen Fehler machen will. In seinem Le-benslauf steht, dass er die High School abgeschlossen hat. Eigentlich wollte er in seiner Bewerbung nicht lügen, ganz

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von vorn anfangen, doch Angela hat ihm gesagt, dass alle ein bisschen schwindeln. »College konnte ich mir nicht leisten.«

Arbeiter nickt und blättert weiter. Seine Hände sehen so jung aus, denkt Roy. Er ist mit Sicherheit nicht älter als dreißig oder zweiunddreißig. Und er ist der Boss. »Sie haben Antiquitäten verkauft.«

Roy nickt. »Ja, eine Weile, Sir.« »Ist das schwierig?« »Es ist nicht schwierig, sie zu verkaufen. Schwierig

wird’s, wenn man ein Geschäft daraus machen will.« Arbeiter lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, faltet die

Hände auf der Brust. »Wir sind nicht alle geborene Ge-schäftsleute, Roy. Manche stellen sich geschickter an als andere.«

Roy weiß nicht, ob er das herablassend meint. Einen Augenblick möchte er sich am liebsten auf ihn stürzen, ihn an der Krawatte packen, ihm sagen, dass er schon Jüngere und Stärkere verprügelt hat, dass er draußen in der wirkli-chen Welt, außerhalb dieses Büros, keine Chance hätte.

Aber das ist der alte Roy. Der neue Roy braucht einen Job, einen nachweisbaren Job, jedenfalls, bis er das Sorge-recht für Angela hat. Und danach … Nun, danach kann er sich die Sache immer noch überlegen.

»Ich würde gern für ein solides Unternehmen arbeiten«, sagt Roy pflichtschuldig. Die Worte kratzen in seinem Hals. Er denkt an Angela. »Wenn ich Antiquitäten verkau-fen kann, kann ich auch … Was stellen Sie her?«

»Klimaanlagen.« »… kann ich auch Klimaanlagen verkaufen. Die Ver-

kaufsprinzipien sind die gleichen. Geben Sie mir eine Chance; ich verkaufe tausend von den Dingern.«

»Natürlich. Danke, dass Sie hergekommen sind.« Roy bleibt sitzen. »Ich brauche einen Job.«

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»Gut. Wir melden uns bei Ihnen.« Roy schüttelt den Kopf. »Ich werde hart arbeiten.« »Gut«, wiederholt Arbeiter in bestimmtem Tonfall.

»Und wir rufen Sie an. Danke.« Dann erhebt er sich; Roy fasst das als Aufforderung auf, den Raum zu verlassen. Sie verabschieden sich mit einem Händedruck, und Roy trottet hinaus. Im Vorzimmer warten fünf weitere Bewerber. Sie sehen ihn an, als er an ihnen vorbeitrottet, neugierig, wie es ihm ergangen ist.

»Klimaanlagen«, sagt er einer kokett wirkenden Frau am anderen Ende des Raumes. »Falls er fragt, die verkaufen Klimaanlagen.«

Die Nacht, bevor die Nummer steigen soll, verbringt An-gela bei Roy. Inzwischen gehört das Zimmer mehr oder weniger ihr. Roy hat das Keramikpferd in die Ecke ge-schoben und alle Bilder von den Wänden genommen, die sie nicht mag. In dem Pferd ist jetzt nur noch so viel Geld, wie er für das tägliche Leben braucht, insgesamt höchstens zehntausend Dollar. Die Aquarelle sind direkt in den Müll gewandert. Angela hat ihren eigenen Geschmack. Roy weiß, dass sie Tulpen liebt, also hat er ihr einen Strauß mitgebracht und ihn in die Vase neben ihrem Bett gestellt.

Roy sieht ihr zu, wie sie sich die Haare bürstet, bevor sie schlafen geht. Sie weiß genau, was morgen läuft. Trotz seiner anfänglichen Bedenken wird Angela bei der Num-mer dabei sein. Ohne sie geht’s nicht. Zwar gibt es andere Arten, das Spiel zu spielen, aber diese ist die beste. Mit dem richtigen Arrangement kann man jeden übers Ohr hauen. Und Frankie braucht eine gute Grundlage, wenn er in Zukunft auf sich gestellt ist.

Roy setzt sich auf die Kante von Angelas Bett. Er hat ihr ein richtiges Bett mit Kopf- und Fußteil und Qualitätsma-tratze gekauft und das Schlafsofa rausgeworfen. Die Ma-

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tratze hat Angela selbst ausgesucht, und währenddessen hat er in dem Laden ein Bewerbungsformular ausgefüllt. Er könnte Matratzen verkaufen, kein Problem. »Hast du ein gutes Gefühl wegen morgen, Mädchen?«

»Klar«, antwortet sie. »Wieso sollte ich das nicht ha-ben?«

»Ach, ich wollte bloß sicher gehen, dass du keine Angst vor der Sache hast.«

»Nein, nein, keine Sorge, Dad.« Sie legt die Bürste weg und klettert ins Bett, wo sie die Haare mit einem Gummi zu einem Pferdeschwanz zusammenfasst. »Ohne mich geht’s sowieso nicht, stimmt’s?«

»Stimmt. Und wenn’s irgendwelche Probleme geben sollte …«

»Wenn’s Probleme gibt, lauf ich weg, setz mich in den Zug und fahr nach Hause zu Mom.«

»Gut.« »Aber es wird keine Probleme geben«, sagt sie. »Das

weiß ich.« »Ich auch. Und jetzt schlaf.« Angela kriecht unter die Decke, zieht sie hoch, richtet

die Kissen. Dann legt sie Roys Arm um ihre Schultern. Er liegt fast auf dem Bett, seine Tochter im Arm. Sie drückt sich noch fester gegen ihn und sieht ihn an. »Und wenn alles vorbei ist …«

Das ist ein Spiel, das sie nun schon seit Wochen spielen. »Wenn alles vorbei ist«, sagt Roy, »verkaufen wir das Haus und kaufen ein großes auf dem Land.«

Jetzt ist Angela dran. »Wenn alles vorbei ist, hast du ’nen tollen Job in ’ner Tierhandlung.«

»Soso, in einer Tierhandlung.« »Ja. Weißt du, das hat Vorteile: Dort darfst du jeden Tag

einen Hund mit nach Hause bringen, und alle Katzen ko-sten nur die Hälfte.«

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»Gut. Wenn alles vorbei ist, schaffen wir uns einen Swimmingpool mit einem Zehnmeterbrett an.«

»Wow, das ist toll.« Ihre Augen werden kleiner, ihr Kopf beginnt schwer zu werden. »Wenn alles vorbei ist, verbringen wir die Sommer zusammen …«

»Und die Winter auch, wenn du willst. Wir suchen eine gute Schule für dich, da findest du Freunde.«

»… und du versöhnst dich mit Mom …« Roy erwidert nichts, hört lediglich zu. Er weiß, was sie

möchte und dass das unmöglich ist. »… und dann … sind wir … wieder eine Familie.« An-

gela ist eingeschlafen, vielleicht träumt sie auch nur. Roy will sie nicht aufwecken, noch nicht. Er löst sich aus ihren Armen, lässt ihren Kopf vorsichtig aufs Kissen gleiten, wünscht ihr eine gute Nacht.

Sie treffen sich an einer dunklen Ecke zwei Häuserblocks von dem Kino entfernt. Angela, Roy und Frankie fahren mit dem Wagen hin; Saif kommt zu Fuß. Er hat die große Sporttasche dabei, die Roy ihm für den Transport des Gel-des gegeben hat. Sie baumelt schwer von Saifs Schulter. Roy hofft, dass Saif alles genauso macht, wie er sich das vorstellt. Davon hängt der Erfolg des Unternehmens ab.

»Das ist also deine Tochter?«, fragt Saif und breitet die Arme aus.

»Das ist Angela.« Saif beugt sich zu ihr hinunter. »Dein Vater ist ein sehr

mutiger Mann, ein sehr guter Mann.« »Das weiß ich.« »Er wird … das alles für dich aufgeben. Das weißt du

doch, oder?« »Ja.« Angela sieht Roy an. Sie hat genug von dem Gere-

de. Roy streckt die Hand nach Saifs Tasche aus. »Du hast

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das Geld dabei?« »Ja. Die Tasche ist ziemlich schwer.« Er stellt sie auf

dem Boden ab und zieht den Reißverschluss auf. In der Tasche sind zellophanverpackte Hundert-Dollar-Bündel, eines neben dem anderen. »Dreihunderttausend Dollar, der Köder, stimmt’s?«

»Wozu die Folie?«, fragt Frankie. »Ich hatte keine Papiermanschetten und wollte auch

nicht in die Bank gehen und welche verlangen.« »Ist schon in Ordnung«, sagt Roy. »Gehen wir.« Saif zieht den Reißverschluss der Tasche wieder zu und

schlingt sie über die Schulter. Dann gehen sie hinaus auf die Straße und marschieren nebeneinander her. »Das ist sehr, sehr aufregend für mich«, sagt Saif.

»Aufregung hat damit nichts zu tun«, erwidert Roy. »Du musst das sehen wie jeden anderen Job.«

»Ja, natürlich, aber …« »Kein Aber. Das hier ist ein Tausch, so soll es jedenfalls

aussehen. Wenn du daran denkst, kann nichts schief ge-hen.«

Einen Häuserblock vor dem Kino befindet sich ein klei-nes Bürogebäude. Frankie holt einen Schlüssel aus der Tasche und steckt ihn ins Schloss. »Hast du alles, was du brauchst?«, fragt Roy.

»Ist alles drinnen«, antwortet Frankie. »Ich zieh mich hier um und warte im Klo.«

»Gut. Aber verpass deinen Einsatz nicht.« »Hab ich den je verpasst?« Frankie öffnet die Tür und

geht in den Raum. Dann streckt er Roy die Hand hin. »Tja, das wär’s wohl, Partner, die letzte Nummer.«

»Die letzte Nummer«, wiederholt Roy. »Pass auf dich auf, Junge.«

Frankie schließt die Tür; Saif, Roy und Angela gehen weiter, Saif ein wenig zu Roys Seite gebeugt, weil er ver-

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sucht, die Sporttasche auf der Hüfte abzustützen. »Eine Frage«, sagt er. »Wie kriegen wir die Tasche zurück, so-bald der Mann weg ist?«

»Überhaupt nicht«, antwortet Roy. »Das ist nicht nötig, denn wenn alles läuft, wie es soll, hat er die Tasche über-haupt nicht. Frankie stürzt sich drauf, wenn die Ware auf dem Boden liegt, und … hör zu, überlass das Reden da drin mir, ja? Dann klappt die Chose schon.«

Saif nickt. »Und der Mann … wird der drauf reinfal-len?«

»Klar«, verspricht Roy. »Der ist nicht aus der Stadt. Ich kenn ihn schon ’ne ganze Weile; er vertraut mir. Der hat nicht die mindeste Ahnung, was läuft. Wie gesagt: Mit Drogenhandel haben wir nichts am Hut, das ist Regel Nummer eins. Also nimmst du die Ware, verkaufst sie, wie und wo du willst, und den Erlös teilen wir uns. Aber versuch nicht, uns reinzulegen.«

Angela mischt sich ein. »Roy sagt, das ist eine klassi-sche Nummer.«

»Stimmt, Kleine. Alte Schule.« Saif sagt: »Ja, klingt simpel.« »Simpel ist es nie«, korrigiert ihn Roy. »Es sieht nur so

aus. Es darf nichts schief gehen. Aber wenn doch …« »Zum Beispiel?« »Keine Ahnung. Wenn irgendwas schief geht, ver-

schwindest du. Ich kann dich nicht beschützen.« Er legt den Arm um Angela, zieht sie näher zu sich heran. »Sie ist meine Hauptsorge, nicht du. Wenn irgendwas schief geht, kümmere ich mich zuerst um sie, dass das klar ist.«

»Ja«, sagt Saif. Sie gehen um die Ecke. Um diese Zeit ist in diesem

Viertel niemand auf der Straße. Vor ihnen liegt das alte, schon vor langem geschlossene Adelphi-Kino. »Sobald wir drin sind«, sagt Roy, »verwenden wir nur noch die

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Namen, auf die wir uns geeinigt haben. Und wenn alles vorbei ist, verschwinden wir am besten eine Weile aus der Stadt.«

»Vielleicht könnten wir nach Fidschi fliegen«, meint Angela. »Ich hab Fotos davon in ’ner Illustrierten gesehen. Da gibt’s blaues Meer und hohe Berge.«

»Klar, Kleine. Fidschi ist toll.« Die Wände des Adelphi sind mit leuchtend orangefarbe-

nen und gelben Graffiti verschmiert, die Fenster vernagelt, die Tür ist mit einem Vorhängeschloss gesichert. Roy führt Saif und Angela am Haupteingang vorbei in die Straße hinter dem Kino. Neben dem Hintereingang befin-det sich ein mit einem roten »Q« markiertes Fenster. Roy löst die Bretter mit einem Ruck. »Ist ’ne falsche Fassade«, erklärt er. »Reinspaziert.«

Saif wirft zuerst die Tasche hinein und klettert dann, ge-folgt von Angela, der Roy hilft, selbst in das Gebäude. Angela zwinkert Roy zu, und dieser erwidert ihr Zwin-kern, bevor er ebenfalls in das Kino klettert.

Auf dem Boden liegt überall Müll: Plastiktüten, Styro-portabletts, Spritzen, Bierflaschen, benutzte Kondome. Die Leinwand des ehemals prunkvollen Lichtspielhauses hängt in Fetzen herunter, die Sitze sind aus ihren Veranke-rungen gerissen, die Polster liegen auf dem Boden.

»Tja, die Spätvorstellung fällt wohl aus«, meint Angela. Roy bahnt sich einen Weg durch den Müll. »Das Kino

ist seit zehn Jahren geschlossen. Hier drin laufen ’ne Men-ge Deals.«

»Mit dir?« Roy zuckt mit den Achseln. »Ja, manchmal auch mit

mir.« Saif bleibt ein wenig zurück, murmelt vor sich hin. Roy

versteht nicht, was er sagt. »Kommst du?«, ruft er ihm zu, und Saif lächelt und nickt, schließt sich ihnen an.

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Da bewegt sich etwas hinter der zerfetzten Leinwand, ein Schatten. Roy hält die Hand schützend vor Angela. »Mr. Thomas?«, ruft er. »Sind Sie das?«

Schwere Schritte, die über den Müll stolpern. »Hier hin-ten ist’s stockfinster.« Der Schatten nähert sich, tritt ins Licht, auf die Bühne vor der Leinwand: ein klein gewach-sener, gut gebauter Mann mit dünnem Pullover. Er hat wie Saif eine Sporttasche über der Schulter. »Ausnehmend hübscher Ort hier.«

Roy klettert ebenfalls auf die Bühne und zieht Angela mit. Saif folgt ihnen. »Schön, Sie wieder zu sehen«, sagt Roy und reicht dem Mann die Hand.

»Sie sind zu spät dran.« »Tut uns Leid.« »Ich mag Verspätungen nicht.« Roy schüttelt den Kopf. »Es ging nicht anders.« »Ich musste noch aufs Klo«, meldet sich Angela zu

Wort. Der Mann sieht die drei an, mustert Angela. »Und wer

ist das?« »Meine Tochter.« »Was soll das Kind hier?« »Sie weiß, was Sache ist.« Angela grinst den Mann an. »Ich bin seit Jahren mit von

der Partie.« »Wie Sie das mit Ihrer Familie regeln, geht mich nichts

an. Läuft das Geschäft nun oder nicht?« Roy gibt Saif ein Zeichen. Saif tritt neben ihn. »Das ist

Alan«, stellt Roy ihn vor. »Den kenn ich seit Ewigkeiten. Alan, zeig dem Mann das Geld.«

Saif lässt die Sporttasche auf den Boden fallen und öff-net mit großer Geste den Reißverschluss. Die Bündel sind immer noch in der Tasche. »Dreihunderttausend Dollar«, sagt Saif.

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»Was soll das Scheißzellophan?« Roy bedenkt Saif mit einem kritischen Blick. »Er hatte

keine Zeit mehr, Papiermanschetten aufzutreiben. Geld ist Geld, egal, in welcher Verpackung. Nun lassen Sie uns sehen, was Sie dabeihaben.«

Thomas verfolgt die Sache mit dem Zellophan nicht weiter, sondern wirft Roy seine eigene Tasche zu. Roy sinkt unter ihrem Gewicht fast in die Knie. Er öffnet sie und lässt Saif hineinschauen.

Sechs Plastiktüten, alle gefüllt mit weißem Pulver. Roy drückt mit dem Finger gegen eine von ihnen. Sie ist voll. »Gut«, sagt er. »Wehe, das Zeug ist nicht rein …«

»Und ob das rein ist«, erwidert Thomas ein wenig einge-schnappt. »Davon wird man so high …«

»War ja nur ’ne Frage«, sagt Roy. Thomas sieht sich um, tippt ungeduldig mit dem Fuß auf

den Boden. »Wär’s das dann? Können wir endlich zum Abschluss kommen?« Er wirft einen Blick auf Saifs Sport-tasche.

»Meinetwegen.« »Gut«, sagt Angela. »Ich find’s gruselig hier drin.« Krachen aus der Richtung, in der sich früher der Vor-

raum befunden hat, dann Schritte. Alle erstarren, Thomas schaut hektisch nach links und rechts. »Sch«, flüstert Roy. »Verhalten Sie sich ganz ruhig.«

Ein Lichtstrahl taucht hinter den Sitzreihen auf; sie se-hen, wie er sich hin und her bewegt. Er nähert sich dem eigentlichen Zuschauerraum. Plötzlich hören sie eine Männerstimme rufen: »Wer ist da? Darryl, bist du das schon wieder?«

Die vier auf der Bühne verharren reglos in den Schatten, warten darauf, dass der Lichtstrahl verschwindet.

»Du hast hier hinten nichts verloren«, sagt die Stimme. »Ich hab dich letzte Woche rausgeschmissen, und das

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mach ich wieder. Wenn du willst, such ich dir ’nen Platz im Obdachlosenheim, aber das Spielchen hier spielen wir nicht weiter.«

Der Lichtstrahl blendet die vier auf der Bühne, doch die Uniform sowie die Mütze und den Schlagstock, die der Mann trägt, erkennen sie trotzdem. Er ist Polizist.

»Herrgott«, murmelt der Mann, greift nach seiner Pisto-le, fummelt am Holsterverschluss herum.

Thomas geht auf ein Knie, holt seine eigene Waffe aus der Tasche, richtet sie auf den Beamten …

Aber der zielt seinerseits schon auf die vier. »Lassen Sie die Waffe fallen«, ruft der Cop und bahnt sich durch den Müll einen Weg zu ihnen.

Thomas lässt die Waffe auf den Boden fallen. Roys Au-gen funkeln zornig. »Scheißkerl!«, herrscht er Thomas an und versetzt ihm einen Stoß gegen die Brust, der ihn stür-zen lässt. »Du hast uns in die Falle gelockt!«

»Was?« Thomas rutscht von Roy weg, um seinem Griff zu entgehen. »Ich weiß nicht, was …«

»Das wirst du mir büßen.« »Haltet den Mund, beide«, sagt der Cop, tritt auf die

Bühne, schaltet die Taschenlampe mit einer Hand aus und steckt sie in seinen Gürtel zurück. Jetzt erkennen sie die Gesichtszüge des Mannes. Es ist Frankie.

»Hey«, sagt Roy, »können wir uns nicht gütlich eini-gen?«

Frankie zielt mit seiner Pistole auf Roys Brust. »Ich hab gesagt, Mund halten.«

»Dad?«, wendet sich Angela mit verschrecktem Blick an Roy.

»Keine Angst«, sagt er. »Bleib neben mir.« Frankie kniet neben der Sporttasche auf dem Boden nie-

der, die Waffe jetzt auf Thomas gerichtet, reißt eine der Tüten darin auf und lässt etwas von dem Pulver auf den

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Boden rieseln. Dann steckt er den Finger hinein und leckt ihn ab. »Aha, um Drogenhandel geht’s hier also. Und ein Kind habt ihr auch noch dabei, soso. Das wird dem Rich-ter gefallen.«

Frankie holt ein Sprechfunkgerät heraus und schaltet es ein. Atmosphärisches Rauschen erfüllt die Luft. »Zentrale, Zentrale: Ich hab hier möglicherweise einen vierdreiund-dreißig«, sagt er, »im alten Adelphi-Kino an der Sixth. Ich brauche zwei Streifenwagen zur Verstärkung.«

Thomas macht einen Schritt auf ihn zu, sieht sich Fran-kies Waffe genau an. Roy versucht, ihn zurückzuhalten, doch der Mann hört nicht auf ihn. Roy schaut besorgt zu Saif hinüber, der nur mit den Achseln zuckt.

»Ich habe drei Verdächtige«, fährt Frankie fort, »eine davon minderjährig.«

Thomas geht einen weiteren Schritt auf ihn zu. Jetzt lä-chelt er, grinst sogar. Er bleibt nicht stehen. Frankie packt die Waffe fester. »Bleiben Sie, wo Sie sind. Keinen Schritt weiter.«

Thomas schenkt ihm keine Beachtung. »Verdammt noch mal«, brüllt Roy, »bleiben Sie stehen, es ist vorbei …«

Doch Thomas lacht nur. Er hört weder auf Roy noch auf Frankie. »Das glaube ich nicht«, sagt er, bückt sich, nimmt seine Waffe, zielt damit auf Frankie, auf Roy, auf Saif, auf Angela.

Saif fängt an zu schwitzen. Er sieht sich hilflos um, ringt die Hände. »Bitte«, bettelt er, »der Mann ist von der Poli-zei. Er …«

»Von wegen Polizei«, sagt Thomas. Frankie sieht Roy an. Roy nickt. Frankie hebt seine Pi-

stole ein wenig. »Lassen Sie die Waffe fallen, sonst schie-ße ich.«

»Womit?«, fragt Thomas. »Mit Platzpatronen?« Frankie beginnt zu zittern. »Gleich kommt Verstär-

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kung.« »Ach was. Legen Sie die Waffe weg.« Thomas tritt auf

Frankie zu, umschließt den Lauf seiner Pistole mit der Hand, entreißt sie ihm, schleudert sie über die Schulter nach hinten.

Angela läuft zu Roy, vergräbt den Kopf an seiner Schul-ter. Er legt den Arm um sie, drückt sie an sich.

»Ihr Scheißkerle habt versucht, mich reinzulegen«, sagt Thomas.

»Nein«, erwidert Roy. »Ich hab das Schwein noch nie gesehn, ich schwör’s.«

Doch Thomas hört nicht zu. »Glaubt ihr denn, ich weiß nicht, was läuft? Meint ihr, ich kenn die Nummer nicht, die ihr hier abziehen wollt?«

Frankie hält sich immer noch an den Plan: »Keine Ah-nung, was Sie da reden, aber wenn Sie nicht …«

Thomas schlägt Frankie mit dem Griff der Waffe ins Gesicht. Frankie sinkt, vor Schmerz aufheulend, die Hän-de auf die Nase gepresst, zu Boden.

»Der böse Polizist taucht hier auf«, sagt Thomas, »macht ’ne Szene und jagt mir einen Schreck ein, damit ich ohne mein Geld und ohne den Stoff weglaufe. Hüb-scher Trick. Vielleicht habt ihr ja sogar noch ein paar Leu-te draußen, die gleich reinkommen, uns festnehmen und in falsche Polizeiwagen verfrachten. Die ziehen mir dann eins über den Schädel, und wenn ich wieder aufwache, ist meine Ware verschwunden. Das war doch der Plan, oder?«

Thomas hängt sich beide Sporttaschen über die Schul-tern und schlendert zu Saif hinüber, aus dessen Gesicht jede Farbe gewichen ist. »War das der Plan?«, fragt Tho-mas ihn.

Saif schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht, wovon Sie re-den.«

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Thomas packt Saifs Kinn, drückt seinen Mund auf, schiebt den Lauf der Waffe hinein, entsichert sie. »Ich werde dir die Frage nur noch ein einziges Mal stellen, und wenn mir deine Antwort nicht gefällt, drücke ich ab. Also sag mir: War das der Plan?«

Saif nickt, dabei klappern seine Zähne gegen das Metall. Er nickt wieder und wieder, den Tränen nahe. Seiner Keh-le entringt sich ein hoher Ton. Thomas zieht die Waffe aus seinem Mund. »Ja«, sagt Saif.

»Na wunderbar«, murmelt Roy. Thomas tritt ein paar Schritte zurück, richtet die Waffe

wieder auf alle. »Jetzt ist nicht die Frage, wie ich euch loswerde, sondern welchen von euch ich zuerst abknalle.«

»Nehmen Sie das Geld«, sagt Frankie. »Nehmen Sie’s, das Geld und die Drogen. Wir halten den Mund. Ehren-wort.«

Doch Thomas schüttelt lächelnd den Kopf. »Das macht keinen Spaß, und ich sollte doch auch meinen Spaß an der Sache haben, oder? Natürlich könnte ich dich zuerst er-schießen, einen falschen Polizisten. Macht nicht so viel Spaß wie bei ’nem richtigen, aber egal.« Er zielt wieder auf Saif, der zusammenzuckt. »Oder den hier. Wer weiß, vielleicht pinkelt der sich sogar in die Hose.«

Thomas geht einen Schritt auf Roy und Angela zu, schiebt sie mit dem Lauf seiner Waffe auseinander. Mu-stert Angela von oben bis unten, nickt anerkennend. »Und dann hätten wir noch die Kleine hier. Wie heißt du?«

»Lassen Sie sie in Ruhe«, knurrt Roy ihn an. »Halt’s Maul, Alter. Wie heißt du, Schätzchen?« »An… An… Angela«, stottert sie. Roy tritt einen Schritt vor. »Verdammt, ich hab gesagt,

Sie sollen sie in Ruhe lassen.« Doch Thomas schenkt ihm keine Beachtung, lässt den

Lauf der Waffe Angelas Schulter entlang bis hinunter zu

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ihrer Hüfte gleiten. »Du bist hübsch, Angela. Wie wär’s, kommst du mit zu mir nach Hause?«

»Ich … nein … Ich will nicht …« »Auch recht«, sagt Thomas und streicht ihr übers Haar.

»Wir können’s auch gleich hier erledigen.« Da ertönt ein animalisches Geräusch, ein Knurren, ein

Brüllen. Roy stürzt sich mit gesenktem Kopf wie ein Bulle auf Thomas.

Frankie schreit: »Roy, nein …« Ein ohrenbetäubender Knall, als die Waffe losgeht. Bei-

ßender Rauch erfüllt die Luft, und Roy sinkt zu Boden, die Hände auf den Bauch gepresst. Blut quillt zwischen seinen Fingern hervor.

Angela rennt kreischend zu ihm, fällt auf ihn. »Daddy«, schluchzt sie, »Daddy …«

Als Thomas sich ihnen nähert, um Angela von ihrem Vater wegzuziehen, stürzt Frankie sich von hinten auf den Mann, packt seine Arme, hält sie fest. Die Sporttaschen prallen gegeneinander, verheddern sich ineinander. Tho-mas dreht sich wild um sich schlagend um, und die beiden gehen gemeinsam zu Boden. Sie kämpfen um die Waffe; jeder versucht, die Oberhand zu gewinnen.

Saif weiß nicht, was er machen soll, steht einfach nur wie erstarrt da. »Verschwinde!«, brüllt Frankie. »Mach, dass du wegkommst!«

Saif wirft einen Blick auf den am Boden liegenden Roy, der zu verbluten scheint, auf Angela, die weinend und kreischend versucht, ihren Vater wach zu halten, auf Fran-kie und Thomas, die noch immer um die Waffe kämpfen. Dann springt Saif von der Bühne, sprintet den Mittelgang hinunter und flüchtet durch das Fenster hinaus auf die Straße.

Der Kampf geht ein paar Minuten weiter, dann werden die Bewegungen von Frankie und Thomas allmählich we-

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niger heftig, und schließlich hören sie ganz auf. Sie liegen keuchend am Boden. Es war ein harter Kampf, härter, als sie gedacht hatten.

»Hör auf«, sagt Frankie und schiebt Thomas von sich. »Er ist weg.«

»Sicher?« »Ja. Der ist inzwischen bestimmt fast in Afghanistan.« Thomas steht auf und hilft Frankie auf die Beine. »Du

hättest mir beinahe den Arm ausgerissen, ist dir das ei-gentlich klar?«

»Ich? Wenn du mir die Pistole mit noch mehr Wucht über die Nase gezogen hättest, wär sie jetzt gebrochen.«

Thomas zuckt mit den Achseln. »Roy hat gesagt, es muss echt aussehen, tja, und da hab ich’s echt aussehen lassen.«

Sie wenden sich Roy und Angela zu, die noch immer über seinen blutenden Körper gebeugt ist. Jetzt weint sie nicht mehr, sondern grinst. »Ich war gut, stimmt’s?«

»Ich geb’s ungern zu«, antwortet Frankie, »aber du warst tatsächlich gut, Mädchen.«

Roy öffnet die Augen, sieht die anderen an. »Von hier unten aus hat’s ziemlich überzeugend ausgeschaut«, sagt er. »Helft mir auf.«

Sie ziehen Roy hoch. Sein Hemd ist von oben bis unten rot. »Ich hab eine von den Patronen verkehrt rum er-wischt«, sagt er und reibt sich den Bauch. »Tut höllisch weh.«

Frankie fragt Thomas: »Und, Marco, was ist mit dem Babypuder?«

Thomas – Marco – grinst verlegen. »Ich hab kein Mehl gekriegt.«

Roy lacht. »Weißt du eigentlich, wie schwierig es war, nicht das Gesicht zu verziehen, als ich den Scheiß probiert hab?«

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»Na ja, so kriegst du wenigstens keinen Ausschlag an den Lippen.« Marco schüttelt verwundert den Kopf. »Habt ihr gesehen, wie schnell der Kerl rausgerannt ist? Als hätte ihm jemand den Arsch angezündet.«

»Ist alles genau nach Plan gelaufen«, sagt Roy. »Lasst uns verschwinden. Wir teilen, wenn wir zu Hause sind.«

Sie springen von der Bühne und machen sich auf den Weg zum Hauptausgang. Frankie legt den Arm um Roys Schulter. »Du wirst mir fehlen, Kumpel.«

Roy nickt. »Du mir auch. Aber die Nummer war super.« »Man sollte aufhören, wenn’s am meisten Spaß macht«,

sagt Frankie. Angela drängt sich zwischen sie. »Das heißt, dass alles

vorbei ist, Roy?« »Ja«, antwortet er, und er ist froh darüber. Die letzten

fünfzehn Jahre, die Spiele, die Tricks, alles vorbei. Jetzt kann endlich sein neues Leben, wie auch immer es ausse-hen wird, beginnen.

Sie treten hinaus ins Foyer. Roy ist überrascht, Stimmen zu hören, einen Lichtschein unter der Tür zu sehen. Um diese Zeit sollte hier eigentlich niemand unterwegs sein.

Da plötzlich wird die Tür aufgestoßen, und das Kino ist taghell. Laute Stimmen, Befehle. Roy stolpert rückwärts, hebt den Arm, um sich gegen das grelle Licht zu schützen. Angela klammert sich an ihn.

Saif betritt das Kino, begleitet von zwei uniformierten Polizisten, echten Polizisten. Er hat eine Polizeimarke, und der Schnurrbart ist verschwunden.

»Die Bauchwunde ist ja schnell verheilt«, sagt Saif, jetzt völlig ohne Akzent.

Roy verzieht erschreckt das Gesicht. So sollte die Sache nicht laufen.

Auch Angela hat nun Angst und klammert sich noch fe-ster an Roy. »Was ist los, Roy, was ist los?«

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Er stolpert weiter zurück, weg von Saif, weg von den beiden anderen Beamten, weg von Saifs Waffe, die dieser mittlerweile gezückt hat. Er hätte es wissen müssen, dem Kerl von Anfang an nicht vertrauen dürfen. Er hätte nie in das Lagerhaus gehen, ihn nie ins Geschäft einbeziehen sollen.

»Ich hab gewusst, dass was faul ist mit dir«, sagt Roy. »Schon am ersten Tag.«

»Danke für dein Vertrauen … Partner«, sagt Saif. »Der betrogene Betrüger. Hübsch. Wird nicht mehr oft prakti-ziert, ist aber ein guter Trick. Gut, dass ich’s so lange mit euch beiden ausgehalten habe.«

Roy sieht hinüber zu den Ausgängen. Sie werden von den beiden Polizisten versperrt. Roy weicht weiter zurück, Angela neben sich, die immer noch schreckliche Angst hat. Er hätte sie nie mitbringen dürfen, sie aus der Sache heraushalten sollen.

»Das gibt ’ne gute Schlagzeile für die Zeitungen«, sagt Saif. »›Der Gauner und seine kleine Freundin‹ oder so ähnlich.«

Roy spürt den Druck in seinem Kopf. An anderen Tagen würde er versuchen, ihn zu ignorieren, an etwas anderes zu denken, doch jetzt konzentriert er sich darauf, hofft, dass er zunimmt. So sollte die Sache nicht laufen. Eigent-lich sollten sie mittlerweile schon zu Hause sein, das Geld zählen. Und der ganze Quatsch wäre vorbei.

»Du hast uns da reingeritten, Frankie«, sagt Roy. »Mein Gott, Roy«, wehrt sich Frankie mit zitternder

Stimme. »Ich hatte doch keine Ahnung. Ich dachte, er ist astrein …«

»Du hast uns da reingeritten.« Saif senkt die Waffe einen Moment, während er Hand-

schellen aus seinem Gürtel holt. Roy ist fasziniert: Hand-schellen. Er hat noch nie welche getragen, glaubt auch

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nicht, dass ihm das Gefühl gefallen wird. Der Druck in seinem Kopf wird stärker, sein Blick trübt sich, aber nicht genug. Er ist nicht zornig genug, weiß, dass er verloren hat. Die Handschellen kommen näher.

Angela starrt Saifs Waffe an, die nicht mehr auf sie ge-richtet ist. Roy sieht ihren Blick, die Waffe, weiß, was Angela denkt.

Es passiert ganz langsam, so langsam, dass Roy sich fragt, warum er bewegungslos bleibt, nichts dagegen un-ternehmen kann. Roy sieht tatenlos zu, wie Angela in die Hocke geht und springt. Erst jetzt beginnt Roy zu schrei-en, doch es ist zu spät.

Angela hat sich bereits auf Saif gestürzt; ihre Finger verkrallen sich in sein Fleisch. Tiefe blutige Kratzer durchziehen sein Gesicht. Roy löst sich aus seiner Erstar-rung, versucht, Angela von dem Cop wegzuziehen. »Du schaffst das nicht«, brüllt er. »Hör auf damit, Angela, hör auf …«

Roy spürt, dass die anderen Polizisten sich ihm von hin-ten nähern. Es ist ihm egal. Er zerrt an Angela, bemüht sich, sie zu retten, vor weiterem Schaden zu bewahren. Für Frankie und ihn ist alles vorbei, aber nicht für sie. Für sie muss es noch nicht vorbei sein. Er kriegt das hin, kann es dem Richter erklären …

Da plötzlich scheint sein Kopf zu explodieren. Das hat nichts mit dem Druck zu tun, den er kennt, nein, das ist ein heftiger, sich schnell ausbreitender Schmerz. Aus den Au-genwinkeln nimmt er wahr, dass einer der Cops mit dem Schlagstock ausholt, ihn noch einmal auf Roys Kopf her-untersausen lässt.

Ein Grunzen, ein leises Entweichen der Luft, kein Schmerz diesmal, nur ein Gefühl von Bewegung. Das Ki-no steht plötzlich auf dem Kopf, alles wirkt verzerrt. Roys Gesicht landet auf dem Boden, kurz danach sein ganzer

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Körper. Jetzt wird es wieder dunkel in dem Kino. Roy fragt sich,

was los ist. Haben sie ihn allein gelassen und die Tür zu-gemacht? Er sieht Füße, mehrere Füße, die sich hin und her bewegen. Er hört immer noch Lärm. Was ist los? Es wird noch dunkler.

Dann ein Schuss, ein lauter, widerhallender Schuss und ein Schrei. Das ist Angela. Angela schreit. Inzwischen ist das Licht ganz ausgegangen, und Angela schreit.

Angela schreit, denkt Roy ein letztes Mal, bevor er das Bewusstsein verliert. Angela schreit, also muss ich etwas falsch gemacht haben. Ich mach’s rückgängig. Ich mach alles rückgängig.

10

Roy liegt mit nacktem Oberkörper am Strand. Er schaut an sich hinunter, erwartet, Haut und Haare zu sehen, stellt überrascht fest, dass sein Bauch praktisch nicht mehr da ist. Er ist schlank und braun gebrannt, das erste Mal seit Jahren. Die Sonne ist hell heute. Nicht heiß, aber hell. Roy spürt die Wärme nicht, doch das macht ihm nichts aus. Es ist hell, das genügt.

Vom Osten weht eine Brise. Auch die spürt er nicht, aber sie treibt die Segelboote voran, reißt den Eltern die Hüte vom Kopf, trägt die Sandburgen ihrer Kinder ab. Blaues, klares Wasser. Bunt glänzende Fische schwimmen in Ufernähe.

Angela sonnt sich auf dem Liegestuhl gleich neben ihm. Sie trägt einen blauen Bikini, den er ihr … irgendwo ge-kauft hat, irgendwo in dem kleinen Ort, in einem der klei-nen Läden. Der Inhaber hat sich lachend mit ihnen unter-

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halten, sie auf eine Orangenlimonade eingeladen, Roy eine Badehose verkauft, dazu ein paar Halsketten aus Muscheln und Haifischzähnen und einen blauen Bikini für Angela.

Sie sieht lächelnd zu Roy herüber. Angela ist älter, als Roy in Erinnerung hatte, aber das macht nichts. Sie ist jetzt eine erwachsene Frau und wunderschön. Sie geht schon mit Jungs, und Roy hat nichts dagegen. Er sagt, sie soll sich die Jungs sorgfältig aussuchen, und begutachtet sie selbst, aber bisher haben sie ihm immer gefallen. Er kann sich nicht an einen erinnern, doch offenbar haben sie ihm alle gefallen.

Sie liest, wahrscheinlich für die Schule. Lernt sogar während der Ferien. Sie ist ein gutes Mädchen. Roy ist froh, dass er das Sorgerecht für sie hat, froh, dass sie diese Reise machen konnten. Er erinnert sich nicht mehr an die Zeit davor, wie sie hierher gekommen sind, aber so ist das nun mal auf diesen Inseln. Hier kann man alles vergessen und sich vollkommen entspannen.

Er winkt Angela zufrieden lächelnd zu. Sie winkt zu-rück. Ihm genügt es, sie in seiner Nähe zu wissen.

»Ja da da da di«, sagt sie lächelnd. Roy versteht nicht, was sie meint. Er beugt sich grinsend

zu ihr hinüber. »Ja di da da di da.« Sie klingt jetzt eindringlicher, als

solle er unbedingt begreifen, was sie sagt. Doch die Brandung wird lauter, und Roy versteht sie

einfach nicht. Er wölbt die Hand um ein Ohr. »Ba di da du da di di dum«, wiederholt sie. »Ba da di da

di du. Da di di da da ba da la du!«, ruft sie ihm über das Tosen der Brandung zu.

Aber er versteht sie immer noch nicht. Was will sie ihm sagen? Er versucht, sich von dem Liegestuhl zu erheben, muss jedoch feststellen, dass er das nicht kann. Er ist un-fähig, sich zu bewegen, liegt auf der Seite, die Wange ge-

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gen den Stoff gepresst. Roy möchte sich lösen, sich auf-setzen, schafft es nicht.

Er hebt den Blick zu Angela, bittet sie mit den Augen, ihm zu helfen, doch sie ist verschwunden. Der Liegestuhl ist leer, nur noch der blaue Bikini flattert im Wind. Sie ist nicht mehr am Strand. Niemand ist mehr am Strand. Sand und Himmel werden schwarz. Aber er hört sie nach ihm rufen, jene sinnlosen Silben singen, während der Liege-stuhl unter ihm zusammenbricht, ihn umfängt und ihn in den Strand, in die Brandung zieht.

Der Klang einer Trompete. Er sieht zwei kleine Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, die hin und her laufen, eine große Treppe hinaufklettern, auf dem Geländer wie-der herunterrutschen. Wenn die Trompete hohe Töne spielt, laufen die Kinder an ihm vorbei. Spielt sie tiefe Töne, rutschen sie herunter. Bilder vor seinem geistigen Auge. Jetzt hört er einen Bass, der den Rhythmus vorgibt für einen springenden Ball, dem die Kinder nachjagen. Rumms, wumms, plumps, wumms. Alles an ihm vorbei, durch ihn hindurch.

Ein alles andere als rhythmisches Wumms, das seinen ganzen Körper erschüttert, seinen Kopf gegen etwas nicht richtig Hartes, aber auch nicht richtig Weiches schleudert. Leder. Jeder Knall ein Schmerz in seinem Kopf. Druck von außen, wie ein Schraubstock um seine Schläfen.

Straßengeräusche, das monotone Brummen von Reifen auf Asphalt, ein Wagen, der mit ziemlich hoher Ge-schwindigkeit fährt. Roy liegt auf einem Ledersitz, ausge-streckt auf zwei Ledersitzen, schwarzen Ledersitzen. Frankies Wagen.

Die Trompete. Die Musik und der Wagen. Frankie ist hier. Roy liegt auf dem Rücksitz von Frankies Wagen. Keine Ahnung, warum. Keine Ahnung, warum der Kopf

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ihm so wehtut. Und sollte nicht noch jemand anders bei ihm sein? Eine Frau?

Roy stützt sich mit den Händen vom Sitz ab, versucht, sich aufzurichten, doch er hat keine Kraft in den Armen. Er will sich umdrehen, Frankies Namen ausrufen, aber sein Mund bewegt sich nicht. Speichel läuft heraus, bildet eine Pfütze unter seiner Wange.

Er muss den Kopf heben, um Frankie zu sehen, ihn zu fragen, was los ist. Roy spannt die Nackenmuskeln an, hebt den Kopf. War gar nicht so schwierig, denkt Roy.

Da durchzuckt ihn heftiger Schmerz, ein greller Licht-blitz leuchtet vor seinen Augen auf, und sein Kopf sinkt zurück aufs Leder. Blauer Himmel und warmer Sand. Er ist wieder am Strand von Fidschi, zusammen mit Angela.

Er rollt dahin, mit dem Gesicht nach oben. Jetzt gelingt es ihm, die Augen zu öffnen, eine Sekunde, nicht länger. Grelles, blendendes Licht, das sich in seinen Kopf bohrt. Leute, die sich unterhalten. Irgendwo Frankies Stimme, eindringlich etwas erklärend.

Das linke Augenlid wird hochgezogen, über ihm ein Ge-sicht, ein unbekanntes Gesicht. Das linke Augenlid wird losgelassen, dafür zieht jetzt jemand das rechte hoch. Wieder dieses Gesicht. Roy sieht den dazugehörigen Kör-per. Er trägt grüne Kleidung. Da sind noch andere, weiß gekleidete.

Wieder rollen, rumpeln. Er wird irgendwohin gescho-ben. Lautsprecherdurchsagen, undeutlich, laut. Holpern. Roy versucht, sich aufzusetzen, schafft es nicht. Er hat das Gefühl, dass sein Kopf, seine Arme, sein ganzer Körper festgezurrt sind.

Er versucht, sich zu befreien, doch es gelingt ihm nicht, Sie halten ihn fest, wollen ihn nicht zu jemandem lassen. Ja, genau: Sie halten ihn fest.

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Dann ein Stich in seinen Arm, ein Gefühl, das sich in seinem Körper ausbreitet, ein warmes, schweres Gefühl.

Als Roy aufwacht, weiß er genau, dass er bewusstlos ge-wesen ist, eine ganze Weile. Er erinnert sich an das Kino und daran, was dort passiert ist. Er erinnert sich, dass Saif sich als Cop entpuppt hat, dass alles schrecklich schief gelaufen ist. Er erinnert sich, dass Angela weggerannt ist. Er erinnert sich an den Schuss und an ihre Schreie. Er weiß nur nicht, wo er jetzt ist.

Frankies Stimme ganz in der Nähe. »Was bedeuten die Lichter hier?«, hört Roy ihn fragen.

Eine andere Stimme, streng, die einer Frau. Nicht Ange-la. »Bitte nicht, Sir. Bitte berühren Sie die Geräte nicht, sie sind empfindlich.«

»Sieht man da, ob er bald aufwacht?«, fragt Frankie. »Diese Geräte sind sehr, sehr teuer, Sir. Bitte berühren

Sie sie nicht.« Roy schlägt die Augen auf. Das Licht ist hell, aber nicht

grell wie vorher. Die Zimmerdecke über ihm ist sauber und weiß. Die Laken sind sauber und weiß. Roy versucht grunzend, den Kopf zu heben.

Plötzlich sieht er Frankies Gesicht direkt vor sich. Es wirkt verzerrt mit den riesigen Zähnen und den hervortre-tenden Augen, aber es gehört Frankie. »Hey!«, brüllt der. »Hey, ich glaub, er wacht auf.« Frankie kniet neben dem Bett, direkt bei Roys Kopf, nieder. »Bist du wieder da, Kumpel?«

Roy versucht zu nicken, kann den Kopf aber kaum be-wegen. Eine Schwester tritt zu ihm, bemerkt seine Bewe-gung. »Ich hole den Arzt«, sagt sie und huscht aus dem Zimmer. Frankie folgt ihr bis zur Tür, schließt sie hinter ihr, dann kehrt er an Roys Bett zurück.

»Mein Gott, Roy, ich hab mir Sorgen um dich gemacht.«

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Roy möchte alles erfahren, aber er ist müde. Obwohl er gerade erst aufgewacht ist, fühlt er sich müde. Er muss seine ganze Konzentration zusammennehmen, um einen Satz, ein einziges Wort zu formen: »Wo …?«

»Im Tapper General Hospital«, sagt Frankie. Roy hat keine Ahnung, wo das ist. Er hat noch nie von diesem Krankenhaus gehört. »Ich wollte dich nicht in die nächste Klinik bringen, weil sie dich da vermutet hätten. Bin unge-fähr zweihundert Meilen gefahren, Kumpel … Plötzlich bist du ganz blass geworden, da hab ich Angst gekriegt und angehalten. Du warst fast zwei Tage im Reich der Träume.«

Zweihundert Meilen auf dem Rücksitz von Frankies Wagen. Die ganzen Bazillen dort; Roy denkt lieber nicht daran. Er versucht wieder, sich aufzusetzen, aber sofort durchzuckt ihn ein Schmerz. Frankie legt die Hand auf seine Brust. Sie fühlt sich sehr, sehr schwer an.

»Bleib lieber liegen«, meint Frankie. »Die haben gesagt, du sollst dich nicht bewegen. Das hier ist ’ne Privatklinik; ich hab dir ein hübsches Zimmer besorgt und gute Ärzte. Denen hab ich erzählt, du hast dich in ’ner Bar geprügelt, und irgendjemand hat dir ein Holzscheit über den Kopf gezogen. Ich glaub, die haben mir das abgekauft.«

Roy ist es egal, was Frankie ihnen erzählt hat. Viel mehr interessiert ihn die Gesamtsituation. Er will wissen, was mit Angela geschehen ist, versucht, noch etwas zu sagen: »W… w… was ist passiert?«

Frankie verzieht angewidert das Gesicht. »Ich hab Scheiß gebaut, das ist passiert. Dieser Saif, mein Gott … Zwei Jahre kenn ich den Mistkerl, ist das zu fassen? Zwei Jahre, und dann stellt sich raus, dass der ein Cop ist. Was ich alles mit dem Schwein erlebt hab … Ausgerechnet der muss uns auffliegen lassen.«

»Nein. Was ist … hinterher passiert?«

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»Hinterher? Tja, das war ’ne üble Geschichte. Die ande-ren beiden Cops haben angefangen, auf deinen Kopf ein-zudreschen, und Marco hat sich aus dem Staub gemacht. Ich hätte mich auch verdünnisiert, aber als ich gesehen hab, wie die dich verprügeln … Tja, Mann, da bin ich aus-gerastet. Ich hab mich auf einen von denen gestürzt, ihn windelweich geschlagen …«

»Angela …« Frankie wendet den Blick ab. »Und der war ganz schön

kräftig. Hatte ’nen Bizeps wie ein … Aber er hat sich ei-nen ordentlichen Kinnhaken eingefangen …«

Roys Hand schießt unter der Decke hervor, packt Fran-kie am Revers, zieht ihn zu sich heran. Seine ganze Kraft ist in dieser Hand, in diesem Arm. »Angela«, sagt Roy. Speicheltröpfchen landen auf Frankies Gesicht. »Was ist mit Angela passiert?«

Frankie versucht wieder, den Blick abzuwenden, doch es gelingt ihm nicht. »Sie haben sie erwischt.« Frankie seufzt. »Die Bullen haben sie erwischt.«

Alle Kraft weicht aus Roys Körper. Seine Hand löst sich von Frankies Jacke; sein Arm fällt schlaff herunter. Er schließt die Augen. »Es war ein solches Durcheinander da drin«, sagt Frankie. »Und draußen haben noch mehr Cops gewartet. Ich musste dich zum Hinterausgang rausschlep-pen.«

Roy versucht zu denken, sich an den Namen seines An-walts zu erinnern. Er fragt sich, ob er auch strafrechtliche Fälle übernimmt. »Sie … sie hat nichts getan«, sagt Roy. »Das kann ich beschwören.«

»Roy, nein …« »Ich stell mich und sag ihnen, dass ich sie da reingerit-

ten hab, dass sie mit der Sache nichts zu tun hatte. Dass sie …«

»Roy«, fällt Frankie ihm ins Wort, »darum geht’s nicht.

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Es …« Er schweigt einen Augenblick, holt Luft. »Sie hat ’nen Bullen umgebracht, Roy.«

»Was?« »Sie hat einen Bullen umgebracht – Saif.« Roy presst die Augen zusammen, versucht, die Welt

auszublenden. »Nein, nein, du musst dich täuschen …« »Sie haben gekämpft«, erklärt Frankie. »Sie und Saif,

um die Waffe. Sie hatte die Hand dran, und dann ist sie losgegangen. Ein Schuss, und Saif ist umgefallen. Da sind die anderen Cops und alle …«

»Nein, nein.« Roy will das nicht hören. Er sehnt sich nach dem Tosen der Brandung, nach dem Strand.

»Sie hat einen Cop erschossen, Roy, daran ist nicht zu rütteln. War nicht so gemeint, aber es ist passiert.«

Roy versucht zu denken. »Wo ist sie?« »Im Bezirksgefängnis«, sagt Frankie. »Ich hab ein paar

Leute angerufen, die haben das für mich rausgefunden.« »Im Jugendtrakt?« Frankie schüttelt den Kopf. »Nein, bei den Erwachse-

nen.« Roy erinnert sich an das letzte Mal, als man sie festge-

nommen hatte, dass sie zwei Stunden danach immer noch traumatisiert war. Sie ist vierzehn. Das Gefängnis ist nicht der richtige Ort für eine Vierzehnjährige. Dort geht sie ein, sie stirbt.

»Hast du die Kaution für sie bezahlt? Sie kann nicht da drinbleiben.«

Frankie schüttelt den Kopf. »So viel Geld hab ich nicht, Mann. Die Cops haben die Sporttasche.«

»Wie hoch ist die Kaution?« »Sie hat ’nen Bullen auf dem Gewissen, Mann.« »Wie hoch?« »’ne halbe Million«, sagt Frankie leise. »Das hat der

Richter heute Morgen festgesetzt, tut mir Leid.«

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Roy hat Mühe auszuatmen. Es muss eine Möglichkeit geben, das Problem zu lösen. »Was ist mit Dominic?« Ihr Verbindungsmann in Kautionsfragen ist immer bereit, für den Fall der Fälle.

»Keine Chance«, sagt Frankie. »Dom ist nicht in der Stadt, und Eddie macht keine solchen Sachen, wenn der Boss nicht da ist.«

»Jackie?« »Den hab ich angerufen, aber dem ist die Sache zu

heiß.« Frankie zieht einen Stuhl heran, setzt sich neben Roy. »Keiner will was mit der Geschichte zu tun haben. Sie hat einen Bullen erschossen, ist minderjährig – es be-steht Fluchtgefahr. Ich wünschte, ich hätte das nötige Geld, Mann …«

»Das hab ich«, sagt Roy, der inzwischen zu einer Ent-scheidung gekommen ist.

»Was?« »Das Geld.« »Ist das dein Ernst?« Roy nickt. Diesmal ist der Schmerz nicht so schlimm.

»Ja, ich hab genug.« Er versucht wieder, sich aufzusetzen. Durch die Anstrengung wird ihm schwarz vor Augen. Er sinkt aufs Bett zurück. Es hat keinen Zweck. Roy wird eine ganze Weile nirgendwohin gehen.

»Das musst du machen«, sagt Roy zu Frankie. »Du musst sie da rausholen.«

»Ich? Ich kann nicht … Wenn ich das Polizeirevier be-trete, bin ich ein toter Mann.«

»Dann bring Dr. Klein dazu, dass er’s macht, oder ir-gendeinen anderen. Ich sag dir, wo das Geld ist, wie du rankommst, und du schickst jemanden, der sie da rausholt, ja?« Er sieht Frankie flehend an. »Tust du das für mich?«

»Na schön«, sagt Frankie. »Ich mach’s.« Roy atmet tief durch. Im Hintergrund piepsen die Moni-

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tore vor sich hin. »Ich hab ein Konto bei der Grand Cay-man National Bank auf den Bahamas.« Er gibt Frankie die vierzehnstellige Kontonummer, zwingt ihn dazu, sie aus-wendig zu lernen, mehrmals zu wiederholen. »Das Kenn-wort ist Anafranil. Sag’s.«

»Anafranil.« »Gut. Sag ihnen, sie sollen die halbe Million auf Dr.

Kleins Konto hier in den Staaten überweisen. Recht wird ihnen das nicht sein, aber besteh darauf. Und dann hol sie so schnell wie möglich da raus. Wenn’s geht, komm zu-rück zu mir, wenn nicht, versteck sie.«

Frankie nimmt Roys Hand, hält sie fest. »Wir schaffen das«, sagt er. »Es renkt sich alles wieder ein.«

»Ja«, sagt Roy und kann dabei ein bitteres Lachen nicht unterdrücken. »Alles wird wieder wunderbar, was?«

Wenig später geht die Tür auf, und die Schwester kommt herein, eine Gruppe von Ärzten im Schlepptau. Frankie legt Roys Hand auf das Bett zurück, klopft den Ärzten auf die Schulter, wünscht ihnen allen Glück und verlässt das Zimmer. An der Tür dreht er sich ein letztes Mal um, um sich zu verabschieden. Aber er kann Roy nicht mehr sehen, erkennt nur noch eine schmale liegende Gestalt inmitten von weißen Kitteln und Plastikkanülen.

Zwei Tage vergehen, und Roy hört von niemandem. Nie-mand ruft an, niemand besucht ihn. Nichts. Allmählich macht er sich Sorgen, dass etwas schief gegangen, dass Frankie geschnappt worden ist. Am Morgen hat er ver-sucht, ihn anzurufen, doch es hat sich nur der Anrufbe-antworter gemeldet. Roy wollte keine Nachricht hinterlas-sen, weil er Angst hatte, dass die Cops mithören. Und mit dem Anrufbeantwortungsdienst von Dr. Klein zu sprechen hatte ohnehin keinen Sinn. Roy hat sofort aufgelegt, weil er sich nicht wieder mit einer von diesen Frauen auseinan-

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der setzen wollte. Eine Gehirnerschütterung, haben die Ärzte gesagt, eine

ziemlich schwere, aber zum Glück ist nichts gebrochen, und er muss nicht operiert werden. Was er jetzt braucht, ist Ruhe. Die Ärzte haben ihm erklärt, dass sein Gehirn von den Schlägen angeschwollen ist, genug, um ihn achtund-vierzig Stunden außer Gefecht zu setzen. Sie hätten schon Schlimmeres gesehen, aber dann lägen die Leute im Ko-ma. Sie seien froh, dass er die Sache so gut überstanden habe. Roy hat daraufhin nur gelacht, und sie haben weitere Tests angeordnet.

Über die Gehirnerschütterung macht er sich jetzt keine Gedanken mehr, sondern über Angela. Sie geht ihm seit zwei Tagen nicht aus dem Kopf, hindert ihn am Schlafen. Er stellt sie sich im Gefängnis vor, mit den anderen Insas-sen, wie sie sich in den Schlaf weint, sich fragt, wieso alle sie verlassen haben. Er muss wissen, was mit ihr passiert ist, und auch mit Frankie, aber hauptsächlich mit Angela.

Roy drückt auf den Rufknopf, zum ersten Mal, denn er wollte ihn nur im Notfall benutzen. Wie erwartet, er-scheint die Schwester sofort.

»Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragt sie. »War irgendjemand da, während ich geschlafen habe?« »Ich glaube nicht.« »Ein kleines Mädchen mit langen Haaren, so um die

vierzehn? Ein schlanker Mann mit tief in den Höhlen lie-genden Augen?«

Die Schwester zuckt mit den Achseln. »Ich habe die ganze Zeit Dienst gehabt, aber … Ich glaube nicht, dass irgendwelche Besucher für Sie da waren, tut mir Leid.«

»Sie ist meine Tochter. Sie sollte … Ich dachte, sie kommt mich besuchen.«

Die Schwester nickt verständnisvoll. »Tja, so was pas-siert. Die Leute sind beschäftigt.«

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»Nein, ich … Okay.« Er sieht sich im Zimmer um, ent-deckt seine Kleidung, die über einem Stuhl hängt, neben der offenen Badezimmertür. Er richtet sich ächzend auf. So schlimm ist es gar nicht, denkt er, erträglich. »Und Anrufe? Hat irgendjemand angerufen?«

Die Schwester deutet auf den beigefarbenen Apparat auf dem Nachtkästchen neben dem Bett. »Einzelzimmerpati-enten haben ihr eigenes Telefon. Wenn’s nicht geklingelt hat, hat auch niemand angerufen.«

»Stimmt«, sagt Roy. »Aber vielleicht hab ich geschla-fen, und der Anruf ist wieder zum Empfang zurückgeleitet worden.«

»Wir nehmen keine Nachrichten entgegen.« »Vielleicht doch. Manchmal tun Leute so etwas, wenn

man sie höflich darum bittet.« Roy fragt sie in sanftem Tonfall: »Könnten Sie bitte für mich fragen, ob irgend jemand eine Nachricht hinterlassen hat?«

Sie seufzt, will ihm seinen Wunsch abschlagen, überlegt es sich aber anders. »Na schön, bin gleich wieder da.« Dann verlässt sie Roys Zimmer, geht den Flur entlang, hinunter zum Empfang.

»Nicole«, sagt sie dort, »hast du irgendwelche Nachrich-ten für den Patienten in Zimmer zweihundertachtzehn?«

»Schätzchen, du weißt doch, dass wir keine Nachrichten für Patienten entgegennehmen. Seh ich vielleicht aus wie ein Anrufbeantwortungsdienst?«

»Das hab ich ihm auch gesagt.« »Tja, dann sag’s ihm noch mal.« Die Schwester trottet den Flur zurück zu Roys Zimmer,

öffnet die Tür und streckt den Kopf hinein. »Ist genauso, wie ich’s Ihnen gesagt habe«, beginnt sie, »wir nehmen keine …«

Das Zimmer ist leer, das Bett gemacht. Die Lichter sind ausgeschaltet, das Krankenblatt ist verschwunden. Es sieht

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aus, als wäre nie jemand in dem Raum gewesen. Er ist sauber, bereit für den nächsten Patienten.

Die Fahrt zurück in die Stadt ist teuer, doch Roy hat Glück, denn sein Geldclip steckt in der Hose, die er im Adelphi-Kino trug und die im Krankenhaus über dem Stuhl hing. Inzwischen hat er hundertfünfzig Dollar aus-gegeben, etwa achtzig sind noch übrig, genug für Fahrten innerhalb der Stadt. Er will nicht zu seinem Haus, um sei-nen Wagen zu holen, weil er nicht weiß, ob sie dort nach ihm suchen.

Der Taxifahrer hält den Wagen vor Frankies Haus an. In den grünen Glasfenstern spiegelt sich die Sonne. Das Licht blendet Roy. Er sagt dem Fahrer, dass er warten soll. Der Fahrer hat nichts dagegen, denn dies ist seine höchste Einnahme seit Wochen.

Wohnung Nr. 618, daran erinnert sich Roy. Neben der Tür des Hauses befindet sich ein Klingelschild, und Roy entdeckt Frankies Namen darauf. Er drückt auf die Klin-gel, wartet auf eine Reaktion.

Doch die kommt nicht, genau wie vorher, als er anzuru-fen versucht hat. Roy weiß nicht so genau, was er tun soll. Manchmal geht Frankie weder ans Telefon noch an die Tür. Vielleicht versteckt er sich.

Roy sieht einen Bewohner des Hauses aus dem Aufzug aussteigen und auf die Tür zukommen. Roy tut so, als sage er etwas in die Gegensprechanlage. »Soll ich raufkom-men?«, fragt er laut. »Dann musst du mich reinlassen.« Der Mann, der gerade aus dem Haus tritt, nimmt keine Notiz von Roy. »Bin gleich oben«, ruft Roy in die Gegen-sprechanlage, schlüpft ins Haus und geht schnellen Schrit-tes zum Lift.

Schon bald ist er im sechsten Stock, und er braucht nicht lange, um die Wohnung Nr. 618 zu finden. Er klingelt und

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wartet. Keine Reaktion. Er klopft an die Tür, hämmert dagegen. »Frankie«, ruft

er. »Frankie, ich bin’s. Mach auf.« Roy sieht das Wirbel-muster des Teppichs an, sucht nach Flecken darauf.

Wieder klopft und hämmert er. »Nun mach schon, Fran-kie«, brüllt Roy. »Lass mich rein, wenn du da drin bist.«

Da tippt jemand Roy auf die Schulter. Bilder tauchen vor seinem geistigen Auge auf: Frankie, Angela, natürlich, aber hauptsächlich die Polizisten. Sie haben ihm hier auf-gelauert, werden ihn mitnehmen. Es ist aus.

Roy dreht sich mit hängenden Schultern um, erwartet, einen Uniformierten zu sehen. Stattdessen steht ein kleiner alter Mann, höchstens einsfünfzig groß, mit blauem Frei-zeitanzug, zu weitem Gürtel, Toupet, das nicht so ganz zu den übrigen Haaren passt, vor ihm. »Suchen Sie den Mann, der hier gewohnt hat?«

»Ja«, sagt Roy. »Ja, ich …«, Moment mal, »… der hier gewohnt hat?«

»Ist gestern ausgezogen. War ein mörderisches Chaos. Hat die Kisten über den Teppich geschleift … Am liebsten würd ich die Hausverwaltung informieren.«

Roy schüttelt den Kopf. »Moment, Moment, er ist aus-gezogen, sagen Sie?«

»Ja, zusammen mit seiner Tochter. Hübsches Mädchen, große Klappe.«

Die Tochter. Angela. Frankie muss Angela aus dem Ge-fängnis geholt und sich mit ihr ein Versteck gesucht ha-ben. Gut. Wunderbar. »Ist sie so um die vierzehn und hat lange Haare?«, fragt Roy.

Der Mann zuckt mit den Achseln. »Junge Mädchen in-teressieren mich nicht mehr so sehr, aber die Beschreibung könnte passen, ja.«

Roy ist bereits auf halber Höhe des Flurs, rennt jetzt in Richtung Aufzug. Er muss die beiden finden, und er kann

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sich denken, wer weiß, wo sie stecken. »Danke«, ruft er dem alten Mann zu. »Vielen Dank.«

Doch der ist immer noch sauer auf Frankie. »Sagen Sie Ihrem Freund, er ist uns ’ne Erklärung schuldig!«

Die Fahrt zur Praxis von Dr. Klein dauert ziemlich lange. Alle Straßen der Stadt sind verstopft, und der Taxifahrer quatscht ihm die Ohren voll mit seinem Traum, einen Orange-Julius-Laden zu eröffnen. Roy sitzt auf dem Rück-sitz und denkt nach, starrt zum Fenster hinaus, wehrt sich gegen die Gedanken.

Als sie vor dem Haus von Dr. Kleins Praxis ankommen, ist es fast fünf, und Roy betet, dass der Arzt noch da ist. Wieder sagt er dem Taxifahrer, dass er warten soll, ver-spricht ihm einen Zwanziger zusätzlich. Inzwischen hat er fast kein Geld mehr, aber im Keramikpferd müssten noch ein paar Scheine sein. Wenn er nach Hause zurückkehrt, sobald das hier vorbei ist, kann er seine Schulden bezah-len. Wenn nicht, borgt er sich was oder macht sich aus dem Staub, ohne dem Fahrer das Geld zu geben.

Roy wartet zwei Minuten vor dem Aufzug, bis er merkt, dass er kaputt ist. Jetzt erst sieht er das Schild neben dem Knopf. Er macht sich auf den Weg zur nächsten Treppe und beginnt zu rennen. Vier Stockwerke, nach dem dritten fängt er an zu keuchen. Das letzte Stockwerk muss er sich hinaufschleppen.

Dr. Kleins Praxis befindet sich am anderen Ende des Flurs. Roy wirft einen Blick auf seine Uhr und geht schneller. Er kommt gerade noch rechtzeitig. Dr. Klein wird frühestens in einer Viertelstunde nach Hause gehen.

Roy legt die Hand auf die Türklinke und drückt, doch die Tür öffnet sich nicht. Merkwürdig. Er drückt noch einmal, immer noch rührt sich die Tür nicht. Klemmt sie? Er wirft sich mit der Schulter dagegen. Nichts.

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Ist sie verschlossen? Sind schon alle weg? Roy hämmert gegen die Tür, ruft, erhält keine Antwort. Das ergibt kei-nen Sinn.

Roy tritt einen Schritt zurück, überlegt. Die Tür sieht anders aus. Es ist das richtige Büro, aber die Tür ist … irgendwie anders, größer.

Jetzt begreift Roy. Die Tür ist gar nicht größer, es befin-det sich nur kein goldenes Schild mit Dr. Kleins Namen darauf.

Stattdessen klebt ein weißer Zettel mit roten Buchstaben daran. Roy ist überrascht, dass ihm der vorhin nicht aufge-fallen ist.

Büro zu vermieten, steht darauf. Wenden Sie sich bei In-teresse an die Hausverwaltung.

Die Straße ist ruhig, fast menschenleer. Ein Junge saust auf einem Zehngangrad vorbei und wirft Roy einen bösen Blick zu. Roy fällt er gar nicht auf. Er steht in der Mitte der Straße und starrt den Zettel in seiner Hand an. Die Buchstaben und Zahlen darauf verschwimmen. Roy hat eine Menge getrunken. Auf dem Zettel steht eine Adresse, die Adresse des Hauses vor ihm. Ein kleines gelbes Haus mit Gittern vor den Fenstern. Der Rasen ist gepflegt, das Dach in Ordnung.

Roy will nicht klingeln, hat aber keine andere Wahl, wenn er sie finden möchte. Er weiß, was passiert, wenn er klingelt, wenn die Tür aufgeht. Er möchte sich nicht damit auseinander setzen, noch nicht, also wartet er weiter.

Eine Viertelstunde später steht er immer noch in der Mitte der Straße und starrt den Zettel in seiner Hand an. Da öffnet sich die Tür.

Eine Frau in T-Shirt und Baumwollhose kommt heraus. Sie ist schlank, fast zu schlank; die Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Es ist beinahe fünfzehn

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Jahre her, dass Roy sie das letzte Mal gesehen hat, doch er erkennt sie sofort wieder. Einen Augenblick spielt er mit dem Gedanken wegzulaufen, bleibt aber stehen.

»Suchen Sie was Bestimmtes?«, ruft die Frau ihm zu, tritt näher an ihn heran, hält sich jedoch den Rückweg frei. Könnte ja sein, dass der Kerl sich auf sie stürzt, verrückt ist. »Oder wollen Sie den ganzen Tag mein Haus anstar-ren?«

»Hallo«, sagt Roy mit rauer, fremder Stimme. »Hallo«, antwortet sie. »Hallo, Heather.« Er kennt ihren Namen. Heather geht einen weiteren

Schritt auf ihn zu, beginnt, ihn zu erkennen. »Roy? Mein Gott … Roy?«

Er nickt, sieht wieder auf seinen Zettel. »Ich hab deine Adresse aus dem Telefonbuch.« Jetzt steht sie direkt vor ihm auf dem Gehsteig. Er ist immer noch auf der Straße. »Sie war die ganze Zeit im Telefonbuch.«

»Klar«, sagt sie. »Warum nicht?« Er nickt. »Ja, warum nicht.« Sie bleiben so stehen. Heather will ihn gerade in ihr

Haus bitten, als er wieder den Mund aufmacht. »Hast du sie heute gesehen?« »Wen?« »Angela.« »Hab ich … Roy, ist alles in Ordnung?« »Etwas Schlimmes ist passiert. Mit Angela.« Sie schüttelt den Kopf und macht einen weiteren Schritt

auf ihn zu, als wollte sie seinen Arm nehmen, ihn ins Haus führen. »Möchtest du einen Kaffee? Ich kann dir einen Kaffee kochen.«

»Angela«, wiederholt Roy. »Ich glaube, ihr ist was Schlimmes passiert, und ich dachte … ich dachte, viel-leicht ist sie hierher gekommen, bevor sie … verschwun-

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den ist.« »Ich weiß nicht, von wem du sprichst.« »Von Angela!«, faucht Roy sie an, stolpert einen Schritt

zurück, schüttelt Heathers Hand ab. »Unsere Tochter. Ich spreche von unserer Tochter.« Warum begreift sie das nicht?

Langes Schweigen. Roy hofft, dass seine Exfrau endlich kapiert, was er sagt, und bereit ist, vernünftig mit ihm zu reden. »Keine Ahnung, was du willst. Aber wenn du rein-kommen möchtest …«

»Heather, bitte«, fleht Roy sie, den Tränen nahe, an. Zum ersten Mal in seinem Leben kämpft er mit den Trä-nen. »Tu mir das nicht an. Wir müssen uns über unsere Tochter unterhalten …«

»Wir haben keine Tochter!«, herrscht sie ihn an. »Natürlich … Angela. Sie ist in letzter Zeit immer wie-

der bei mir gewesen …« »Wir haben kein Kind, Roy.« Heather wird von Sekunde

zu Sekunde wütender. »Du und ich, wir haben keine Toch-ter, haben nie eine gehabt.«

Roy schüttelt den Kopf. Es dreht sich alles. »Als du mich verlassen hast, warst du schwanger …«

»Hör auf damit …« »… du hast sie allein aufgezogen. Sie ist unsere Tochter,

unsere Angela …« »Hör auf, Roy …« »Sie ist unser kleines Mädchen, und …« »Ich hab das Kind abtreiben lassen, kapierst du’s jetzt,

Roy? Tauchst du nach fünfzehn Jahren hier auf, weil du wissen willst, was passiert ist? Ich hab’s, verdammt noch mal, abtreiben lassen!«

Roy schweigt. Er starrt das kleine Haus, den grünen Ra-sen, das ordentliche Dach an.

»Wir haben nie eine Tochter gehabt«, fährt Heather mit

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leiserer, sanfterer Stimme fort und bewegt sich zurück in Richtung Haus. »Und wir werden auch nie eine haben. Mach’s gut, Roy.« Sie bleibt einen Moment stehen, dann fügt sie hinzu: »Komm nicht mehr her.«

Nun geht sie ins Haus. Roy steht in der Mitte der Straße, betrachtet die Zahl auf seinem Zettel. Es ist die gleiche wie die an dem Haus vor ihm. Das ist Heathers Haus. Hier sollte Angela eigentlich sein.

Eine Stunde später ist er in seinem Wohnzimmer, sitzt mit dem Rücken gegen das Bett von Angela gelehnt auf dem Boden, das Telefon in der einen, eine Flasche Rum in der anderen Hand. Seine Füße und Beine sind voller Schnitte. Das ist ihm egal. Er spürt den Schmerz nicht. Er schaut hinüber zu den Scherben des Keramikpferdes. Das ganze Geld, das drin war, ist weg. Roy starrt die nackte Wand an. Er will sich nicht bewegen. Das ist das Ende. So muss es von Anfang an geplant gewesen sein, das Spiel. Ganz einfach. Aber es fällt ihm schwer, darüber nachzudenken.

Schon vor dem letzten Anruf weiß er, was los ist. Er war ein Meisterganove, und als Meisterganove ist ihm klar, wann man ihn ausgetrickst hat. Es ist zu spät.

Am anderen Ende der Leitung meldet sich ein Angestell-ter der Grand Cayman National Bank, und Roy nennt ihm die Kontonummer und das Kennwort. Dann wartet er, bis der Mann ihm den Kontostand durchgibt, ihm sagt, dass er Null ist. Der Mann fragt, ob er Roy sonst noch behilflich sein kann, und als dieser nicht antwortet, wiederholt er seine Frage. Schließlich fragt er ihn, ob alles in Ordnung, ob er noch dran ist. Seine Stimme klingt fern, als befände sich Roy auf einem Schiff, und der Rest der Welt bliebe im Hafen zurück. Roy ist ganz allein unterwegs nach nir-gendwo, nur noch das Floß und das blaue Wasser und die endlose Weite des Meeres sind um ihn.

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Roy betritt das Diner und geht an die Theke. Er weiß nicht, wie lange er schon nicht mehr hier gewesen ist. Ta-ge, vielleicht auch Wochen. Die Theke ist schmutzig. Er sucht sich einen Sitz, der nicht ganz so dreckig ist wie die anderen, und setzt sich, versucht, es sich bequem zu ma-chen. Viel Platz ist nicht auf dem Hocker.

Die Kellnerin kommt zu ihm. »Wo ist denn Ihr Freund?«, erkundigt sie sich.

»Keine Ahnung.« Sie nickt, bohrt nicht weiter. »Truthahn auf Roggen-

brot?«, fragt sie, und Roy zuckt mit den Achseln. Klingt gut. Die Kellnerin entfernt sich.

Heute Abend ist nicht viel los im Diner. So läuft das manchmal: In der einen Stunde brechend voll, in der näch-sten leer. Roy weiß das von früher, als er die Leute dort zusammen mit Frankie beobachtet hat.

Er hört, dass sich rechts von ihm ein paar College-Kids mit gedämpfter Stimme unterhalten. Sie lachen, kichern. Es kommen immer mehr von ihnen hierher; Roy spielt mit dem Gedanken, sich einen anderen Ort zum Essen zu su-chen.

»Ich hab da einen neuen Trick, den muss ich dir zeigen«, sagt einer von ihnen ganz laut.

»Bitte verschon mich«, erwidert der andere, genauso laut. »Du mit deinen Kartentricks …«

Roy schließt die Augen. Er riecht das Essen, das hinter der Theke brutzelt, spürt den auf dem Boden eingetretenen Schmutz unter seinen Füßen, hört das Klappern von Tel-lern, die angeregten Gespräche der Gäste.

»Nein, nein«, sagt der erste Junge. »Der Trick ist toll, ich schwör’s dir.«

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Roy spürt, dass ihm jemand auf die Schulter tippt. Er öffnet die Augen, dreht sich um. Es ist einer der Jungen; er hat braune Haare, trägt ein Sweatshirt, grinst. »Hey, Mi-ster«, sagt er. »Wollen Sie sehen, wie mein Freund sich mit ’nem Kartentrick zum Narren macht?«

Roy atmet tief durch, schaut die beiden an, die seinen Blick lächelnd erwidern, als hätten sie die Sache schon durchgezogen, das Geld schon in der Tasche. »Klar«, ant-wortet Roy, »’nen Kartentrick seh ich immer gern.«

Die beiden stellen sich als Bob und Dan vor. »Suchen Sie sich eine Karte aus«, sagt Dan, »und zeigen Sie sie mir nicht.« Roy holt eine Karte aus dem Spiel, den Joker. »Jetzt stecken Sie sie wieder zurück, an eine beliebige Stelle. Gut.«

Während Dan mischt, lässt Roy die Gedanken schwei-fen. Er fragt sich, ob Frankie gerade dieses Spiel spielt und Angela – oder wie sie auch immer heißen mag – ihm dabei assistiert. Bestimmt sind sie besser als diese beiden unbe-holfenen College-Kids, er weiß es, weiß, dass sie jeden Trick schaffen.

»Also gut«, sagt Dan, »ich werde jetzt ein paar Karten umdrehen, so … und die Ihre finden, Mister.« Er beginnt, ungeschickt Karten aufzudecken. Schon bald erscheint der Joker, und Roy bekommt mit, wie Bob seinem Freund deutlich sichtbar zuzwinkert. Ein lausiges Signal, denkt Roy, das würde ein Blinder mit Krückstock sehen, doch Roy lässt sich nichts anmerken.

»Ich hab dir doch gesagt«, meint Bob ein wenig zu spät, »dass Kartentricks nichts für dich sind.«

»Moment, Moment«, sagt Dan und denkt nach. »Ich wette, dass die nächste Karte, die ich aufdecke … ich mei-ne umdrehe … die Ihre ist.«

Bob holt einen Zehn-Dollar-Schein aus der Tasche und knallt ihn auf den Tisch. »Ich setze dagegen«, sagt er und

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wendet sich Roy zu, der die Augen wieder geschlossen hat. »Mister? Mister?« Roy macht die Augen auf, sieht den Joker auf dem Tisch. »Wollen Sie auch setzen, Sir?«

Roy nickt, steht auf, holt ein paar Scheine und Kleingeld aus der Hosentasche, dazu das Namensschildchen aus dem Krankenhaus, Quittungen von Essen mit Angela. Auch in den Jackentaschen findet er ein paar Dollar. Er schiebt alles in die Mitte des Tisches, insgesamt siebenundvierzig Dollar, das ganze Geld, das Roy noch hat.

Die beiden College-Jungen sehen einander achselzuk-kend an. »Und jetzt kommt der Trick«, verkündet Dan. »Ich hab gesagt, die nächste Karte, die ich umdrehe, ist die Ihre, stimmt’s? Voilà!« Er dreht unbeholfen den Joker um, und er und Bob brechen in schallendes Gelächter aus. Roy nickt, ein Lächeln spielt um seine Mundwinkel.

Dan steckt das Geld in seine Brieftasche, und Bob klopft Roy auf die Schulter. »Der Trick ist gut«, sagt er, »das müssen Sie zugeben.«

»Stimmt.« »Sie sind uns nicht böse?« »Nein.« Bob und Dan gratulieren einander zum Erfolg der Akti-

on und bestellen sich einen Nachtisch sowie eine zweite Limonade. Roy wendet sich wieder der Theke zu und war-tet auf sein Truthahn-Sandwich. Er hat jetzt kein Geld mehr, um es zu bezahlen. Das ist ihm egal. Vielleicht hat die Kellnerin damit ein Problem, er nicht.

»Passen Sie in Zukunft besser auf«, ruft Dan ihm im Hochgefühl des Triumphs zu. »Heutzutage kann man nie-mandem mehr trauen.«

»Ja«, pflichtet ihm sein Freund bei. »Seien Sie das näch-ste Mal vorsichtiger, denn dann ist’s möglicherweise nicht bloß ein Kartenspiel.«

Roy gibt ihm keine Antwort. Sein Truthahn-Sandwich

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wird bald gebracht werden, und er wird es essen. Er weiß nicht, was danach passiert. Es ist schon eine Weile her, dass er sich so gefühlt hat wie jetzt, dass er nichts weiß, nichts plant. Aber er wird das Sandwich essen und seinen Kaffee trinken. Irgendetwas wird ihm schon einfallen. Schließlich ist das hier sein Diner. Er eignet sich für einen Neuanfang so gut wie jeder andere Ort.

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Dank

Nun bin ich an dem Punkt des Buches angelangt, an dem ich all jenen Leuten danken möchte, die mir geholfen ha-ben. Wie bei einer Preisverleihungsrede besteht die Ge-fahr, dass ich zu ausführlich werde; anders als bei einer Preisverleihungsrede können Sie einfach weiterblättern. Trotzdem möchte ich mich kurz halten:

Herzlichen Dank an Barbara Zitwer, meine tolle Agen-tin, die mich antreibt, wenn es nötig ist, und ansonsten mein Ego streichelt.

Danke an Jon Karp, meinen wunderbaren Lektor, der seine Schläge mit Samthandschuhen austeilt und dafür sorgt, dass ich tatsächlich das tue, was ich vorhatte.

Danke an Brian Lipson, ein lebendes Beispiel dafür, dass Hollywood-Agenten durchaus Biss haben können, ohne Haie zu sein.

Danke an Jack Rapke, dem dieses Buch sofort gefallen hat und der weiß, wie man gutes Material noch besser macht.

Danke an meine Eltern Manny und Judi Garcia dafür, dass sie mich, obwohl ich mich in meinem ersten Buch über sie lustig mache, nicht enterbt haben, sowie für ihre Unterstützung meiner kreativen Bemühungen von Kindes-beinen an.

Danke an Howard und Beverly Erickson dafür, dass sie mir erlaubt haben, ihre Tochter zu heiraten, und dafür, dass sie Vertrauen zu mir hatten, als ich noch ein forscher junger Mann mit Flausen im Kopf war.

Danke an Nathaniel Spiner, dass er in den Schulen Wer-bung für das Buch gemacht hat; falls es dort ein Bestseller wird, habe ich das ihm zu verdanken. Danke auch an seine Familie – Noah, Blanche, Cheryl und Eitan – für ihre Auf-

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geschlossenheit gegenüber allen meinen Projekten. Und natürlich ewigen Dank an Sabrina und Bailey, mei-

ne Frau und Tochter, dafür, dass sie mir jeden Augenblick meines Lebens versüßen. Für Sabrina schreibe ich alle meine Bücher, und die kleine kichernde Bailey mit ihren zwei Jahren ist meine große Liebe.