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FACHBEITRAG 59 Optometrie 1/2017 Myopie, definiert als ein Sehfehler von mehr als – 6 Dioptrien oder einer axia- len Länge von 26,5 mm. Sind es im Jahr 2000 weltweit durchschnittlich weitere 163 Millionen (2,7 % der Weltbevölke- rung), so steigt die Anzahl der Hochmy- open im Jahr 2050 wohl auf 938 Millio- nen (9,8 % der Weltbevölkerung). Ursachen der Myopie-Entwicklung Die Ursachen für die Myopie ist in den allermeisten Fällen eine zu starke axiale Ausdehnung des Augap- fels (siehe Abb. 1). Das nor- male Augenwachstum und die Entwicklung einer Myopie wird durch die Umwelt und von geneti- schen Faktoren beein- flusst, wie es leicht ver- ständlich vom führenden Myopie-Experten Deut- schlands, Prof. Dr. Frank Ein neuer therapeutischen Ansatz zur Vorbeugung der pathologischen Myopie Die weltweit häufigste okulare Veränderung ist die Myopie (Kurzsichtigkeit) und die Anzahl der Betroffenen stieg in den letzten Jahrzenten ständig an. Das betrifft in hohem Maße die »normale« Schul-Myopie, aber auch alle Fälle von hoher und progressiver Myopie. Die hohe Myopie wird in den allermeisten Fällen durch eine axiale Augenausdehnung hervorgerufen und kann schon im jugendlichen Alter stark fortschreiten. Oft führt eine zu große Augenausdeh- nung zu pathologischen Folgen, die nicht nur die Sehkraft noch weiter ein- schränken, sondern die Netzhaut degenerieren lassen (d.h. lokale Erblindun- gen, oft im zentralen Sehbereich). Da die axiale Augenausdehnung auf eine biomechanisch zu schwache Lederhaut (Sklera) zurückgeführt wird, ist ein neuer Therapieansatz darauf ausgerichtet, die Sklera biomechanisch zu stär- ken und somit eine weitere Augenausdehnung zu verhindern. Dazu adaptie- ren wir den klinisch etablierten therapeutischen Ansatz zur Behandlung des Keratokonus (Hornhautverformung) mittels Riboflavin und UVA-Lichtbe- strahlung, das sogenannte corneal cross-linking (CXL). Wir forschen seit Jah- ren an der Methode des Kreuzvernetzens der Proteine im Skleragewebe (scle- ral cross-linking, SXL) mittels Riboflavin und Blaulicht und konnten im Tier- versuch erfolgreich eine Augenausdehnung inhibieren ohne Schaden an den umliegenden Geweben zu induzieren. Jetzt arbeiten wir an der Operations- technik, dem chirurgischen System und den Zulassungsregularien, um die Behandlungsmethode des SXL in die klinische Praxis zu überführen. Dr. Mike Francke (PhD), Universität Leipzig, beschäftigt sich seit ca. 20 Jahren mit dem Sehen, der Netz- hautphysiologie und Netzhautpa- thologien. Derzeit erforscht er einen neuen Therapieansatz zur Behand- lung der Augenausdehnung bei schwerer Kurzsichtigkeit. Co.-Autorin: Dr. Joanna Stachnik Epidemiologie Myopie (normale Kurzsichtigkeit, Schulmyopie, Myopia simplex) wird zu- nächst einmal nur als eine Funktions- störung angesehen, die Optiker und Optometristen leicht mit den entspre- chenden Brillen oder Kontaktlinsen korrigieren können. Nach einer Meta- Analyse von Holden et al. (2016) 1 sind im Jahr 2000 im weltweiten Durch- schnitt ca. 1,4 Milliarden (ca. 22 % der Weltbevölkerung) von der normalen Kurzsichtigkeit betroffen. Im Jahre 2050, so wird in der Studie prognosti- ziert, werden es wohl schon 4,7 Milliar- den (49,8 % der Weltbevölkerung) sein. In einigen asiatischen Ländern ist der Anteil der Myopen an der Gesamtbevöl- kerung heute schon wesentlich höher (70 –90 %) als zum Beispiel in den euro- päischen Ländern (ca. 30 – 40 %). Mit der Anzahl der »normal« myopen steigt auch die Zahl der Menschen mit hoher Schaeffel, in Übersichtsartikeln darge- legt wird. 2, 3 Die Gesamtheit dieser Fakto- ren führt wahrscheinlich auch zur Zu- nahme der Anzahl kurzsichtiger Men- schen an der Gesamtpopulation in den letzten und in zukünftigen Jahrzenten. Bei der Ausprägung einer »normalen« Myopie kommen wohl dominanter Um- welteinflüsse, wie zunehmende Verstäd- terung, zunehmende Naharbeit, Com- puterarbeit, früheres Einschulalter, we- niger Aufenthalte im Freien und damit weniger Sonnenstunden und schlechte Beleuchtung in den Räumlichkeiten, zur Geltung. Bei Fällen der hohen Myo- pie spielen sicher genetische Faktoren eine größere Rolle. Aber alle Formen werden sowohl durch genetische Fakto- ren (z.B. steigende Inzidenz myoper Kin- der bei myopen Eltern und höherer An- teil myoper Menschen in der Bevölke- rung asiatischer Länder) als auch durch Umweltbedingungen beeinflusst, denn Gene werden oft durch Umweltbedin- gungen getriggert. Die konkreten gene- tischen Ursachen und die Ätiologie der Myopie-Entwicklung sind noch weitest- gehend unverstanden und hier ist noch viel Forschungsbedarf. Nichtsdestowe- niger trotz, ist das Verständnis der Um- weltfaktoren und deren Beeinflussung ein praktikabler Ansatz, um dem An- stieg der Kurzsichtigkeit positiv entge- gen zu wirken (z.B. wie beeinflussen optische Sehkorrekturen die Myopie- Entwicklung, Beeinflussung von Licht- verhältnissen, out-door-activities).

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59 Op to me trie 1/2017

Myopie, definiert als ein Sehfehler von mehr als – 6 Dioptrien oder einer axia-len Länge von 26,5 mm. Sind es im Jahr 2000 weltweit durchschnittlich weitere 163 Millionen (2,7 % der Weltbevölke-rung), so steigt die Anzahl der Hochmy-open im Jahr 2050 wohl auf 938 Millio-nen (9,8 % der Weltbevölkerung).

Ursachen der Myopie-Entwicklung

Die Ursachen für die Myopie ist in den allermeisten Fällen eine zu starke axiale Ausdehnung des Augap-fels (siehe Abb. 1). Das nor-male Augenwachstum und die Entwicklung einer Myopie wird durch die Umwelt und von geneti-schen Faktoren beein-flusst, wie es leicht ver-ständlich vom führenden Myopie-Experten Deut-sch lands, Prof. Dr. Frank

Ein neuer therapeutischen Ansatz zur Vorbeugung der pathologischen Myopie

Die weltweit häufigste okulare Veränderung ist die Myopie (Kurzsichtigkeit) und die Anzahl der Betroffenen stieg in den letzten Jahrzenten ständig an. Das betrifft in hohem Maße die »normale« Schul-Myopie, aber auch alle Fälle von hoher und progressiver Myopie. Die hohe Myopie wird in den allermeisten Fällen durch eine axiale Augenausdehnung hervorgerufen und kann schon im jugendlichen Alter stark fortschreiten. Oft führt eine zu große Augenausdeh-nung zu pathologischen Folgen, die nicht nur die Sehkraft noch weiter ein-schränken, sondern die Netzhaut degenerieren lassen (d.h. lokale Erblindun-gen, oft im zentralen Sehbereich). Da die axiale Augenausdehnung auf eine biomechanisch zu schwache Lederhaut (Sklera) zurückgeführt wird, ist ein neuer Therapieansatz darauf ausgerichtet, die Sklera biomechanisch zu stär-ken und somit eine weitere Augenausdehnung zu verhindern. Dazu adaptie-ren wir den klinisch etablierten therapeutischen Ansatz zur Behandlung des Keratokonus (Hornhautverformung) mittels Riboflavin und UVA-Lichtbe-strahlung, das sogenannte corneal cross-linking (CXL). Wir forschen seit Jah-ren an der Methode des Kreuzvernetzens der Proteine im Skleragewebe (scle-ral cross-linking, SXL) mittels Riboflavin und Blaulicht und konnten im Tier-versuch erfolgreich eine Augenausdehnung inhibieren ohne Schaden an den umliegenden Geweben zu induzieren. Jetzt arbeiten wir an der Operations-technik, dem chirurgischen System und den Zulassungsregularien, um die Behandlungsmethode des SXL in die klinische Praxis zu überführen.

Dr. Mike Francke (PhD), Universität

Leipzig, beschäftigt sich seit ca.

20 Jahren mit dem Sehen, der Netz-

haut physiologie und Netzhautpa-

thologien. Derzeit erforscht er einen

neuen Therapieansatz zur Behand-

lung der Augenausdehnung bei

schwerer Kurzsichtigkeit.

Co.-Autorin: Dr. Joanna Stachnik

Epidemiologie

Myopie (normale Kurzsichtigkeit, Schulmyopie, Myopia simplex) wird zu-nächst einmal nur als eine Funktions-störung angesehen, die Optiker und Optometristen leicht mit den entspre-chenden Brillen oder Kontaktlinsen korrigieren können. Nach einer Meta-Analyse von Holden et al. (2016) 1 sind im Jahr 2000 im weltweiten Durch-schnitt ca. 1,4 Milliarden (ca. 22 % der Weltbevölkerung) von der normalen Kurzsichtigkeit betroffen. Im Jahre 2050, so wird in der Studie prognosti-ziert, werden es wohl schon 4,7 Milliar-den (49,8 % der Weltbevölkerung) sein. In einigen asiatischen Ländern ist der Anteil der Myopen an der Gesamtbevöl-kerung heute schon wesentlich höher (70 –90 %) als zum Beispiel in den euro-päischen Ländern (ca. 30 – 40 %). Mit der Anzahl der »normal« myopen steigt auch die Zahl der Menschen mit hoher

Schaeffel, in Übersichtsartikeln darge-legt wird. 2, 3 Die Gesamtheit dieser Fakto-ren führt wahrscheinlich auch zur Zu-nahme der Anzahl kurzsichtiger Men-schen an der Gesamtpopulation in den letzten und in zukünftigen Jahrzenten. Bei der Ausprägung einer »normalen« Myopie kommen wohl dominanter Um-welteinflüsse, wie zunehmende Verstäd-terung, zunehmende Naharbeit, Com-puterarbeit, früheres Einschulalter, we-niger Aufenthalte im Freien und damit weniger Sonnenstunden und schlechte Beleuchtung in den Räumlichkeiten, zur Geltung. Bei Fällen der hohen Myo-pie spielen sicher genetische Faktoren eine größere Rolle. Aber alle Formen werden sowohl durch genetische Fakto-ren (z.B. steigende Inzidenz myoper Kin-der bei myopen Eltern und höherer An-teil myoper Menschen in der Bevölke-rung asiatischer Länder) als auch durch Umweltbedingungen beeinflusst, denn Gene werden oft durch Umweltbedin-gungen getriggert. Die konkreten gene-tischen Ursachen und die Ätiologie der Myopie-Entwicklung sind noch weitest-gehend unverstanden und hier ist noch viel Forschungsbedarf. Nichtsdestowe-niger trotz, ist das Verständnis der Um-weltfaktoren und deren Beeinflussung ein praktikabler Ansatz, um dem An-stieg der Kurzsichtigkeit positiv entge-gen zu wirken (z.B. wie beeinflussen optische Sehkorrekturen die Myopie-Entwicklung, Beeinflussung von Licht-verhältnissen, out-door-activities).

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Pathologische Konsequenzen hoher

Myopie

Bei der Entwicklung einer hohen Myo-pie wird sich deren positive Beeinflus-sung sicher komplizierter gestalten. Die hohe Myopie ist nicht nur mit schwere-ren Seheinschränkungen verbunden, sondern kann in vielen Fällen auch schon im jugendlichen Alter stark fort-schreiten (progressive Myopie). Mit der fortschreitenden Myopie und der star-ken Ausdehnung der axialen Länge des Augapfels, steigt auch das Risiko, Netz-hautschäden zu bekommen und damit eine pathologische Myopie zu entwi-ckeln. Etwa 40 –50 % der hochmyopen Patienten entwickeln keine Netzhaut-pathologien3, aber je höher die Myopie, desto höher das Erkrankungsrisiko. Die pathologische Myopie, die meist mit ei-nem signifikanten Visusverlust für be-troffene Patienten einhergeht, ist mit verschiedenen Netzhautpathologien assoziiert. 4 Die häufigste visusbedro-hende Komplikationen bei der patholo-gischen Myopie ist sicher die myope choroidale Neovaskularisation (mCNV), die derzeit vom Augenarzt mit soge-nannten VEGF-Hemmern (VEGF, vas-cular endothelial growth factor) behan-delt werden kann. Ursache dieser Blut-gefäßneubildung ist eine unterversorg-te Netzhaut, die Signale (z.B. VEGF) aussendet, um besser versorgt zu wer-den und so eine Gefäßneubildung an-regt. Die Ursache für die Unterversor-gung des neuronalen Gewebes der Netzhaut ist die Verminderung der Aderhautdicke und die Verformung der intra-retinalen Blutgefäße, die im ge-dehnten Auge eines Kurzsichtigen un-ter enormen Zugzwang stehen. Diese Prozesse sind oft mit einer zu Grunde gehenden Netzhaut (Netzhautdegene-ration, Netzhautatrophie) verbunden (Siehe Abb. 2). In der Neuauflage seines Buches beleuchtet Prof. Dr. Mathias Maier und namhafte Experten in den jeweiligen Themenbereichen alle rele-vanten Teilaspekte der pathologischen Myopie und ihre Komplikationen. Ent-sprechende Daten zu Epidemiologie, Diagnostik, Therapieansätzen und Kor-rekturmöglichkeiten sowie neueste

Abb. 1: Die meisten Fälle von Kurzsichtigkeit sind durch eine zu große axiale Ausdehnung des Augapfels

bedingt. Die Refraktionsfehler korrelieren mit der axialen Länge.

Abb. 2: Obere Reihe: Das hochmyope Auge dehnt sich in seiner axialen Länge immer weiter aus (progressive

Myopie) und die innenliegenden Gewebeschichte, wie Aderhaut und Netzhaut können dieser Ausdehnungs-

bewegung (Vergrößerung ihrer Kugeloberf läche) nicht folgen. Einblutungen, Netzhautrisse und Gefäßneu-

bildung sind die Folge. Untere Reihe: Bei der Augenausdehnung kommt es zur Streckung der intra-retinalen

Blutgefäße, wie es in den Funduskopien zu sehen ist. Die dünner werdende Aderhaut kann die neuronale

Netzhaut nicht mehr versorgen und es kommt zum lokalen Absterben des Netzhautgewebes (weißlich-gelbe

Atrophieareale im Fundus). Mittlere Reihe: Diese abgestorbenen Netzhautareale führen zu einem massiven

Visusverlust und lokaler Erblindung (die mittlere Reihe soll so einen Gesichtsfeldausfall symbolisieren).

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Studienergebnisse werden umfassend und auf dem aktuellsten Stand darge-stellt.4

Neuer Therapeutischer Ansatz zur Ver-

meidung einer pathologischen Myopie

Da die axiale Augenausdehnung bei der Myopie-Entwicklung auf eine biome-chanisch zu schwache Lederhaut (Skle-ra) zurückgeführt wird, ist der neue Therapieansatz darauf ausgerichtet, die Sklera biomechanisch zu stärken und somit eine weitere Augenausdehnung zu verhindern. Veranschaulichen kann man das mit einem Vergleich von Luft-ballon und Lederfußball (siehe Abb.3). Der innere Luftdruck (im Auge der int-raokulare Druck) führt beim Luftballon zu einer Ausdehnung der Ballonhülle, wohingegen der Lederfußball formsta-bil bleibt und nur »praller« wird (beach-te: Myopie korreliert nicht mit einer Er-höhung des Intraokulardruckes). Die Lederhaut des Auges hat als Container und als bindegewebige Schutzhülle für die inneren Schichten (Aderhaut und

Netzhaut) die gleiche Aufgabe; formsta-bil zu sein und dem intraokularen Druck entsprechende Kraft entgegen zu setzen.

Für den neuen Ansatz adaptieren wir eine bereits klinisch etablierte thera-peutische Methode zur Behandlung des Keratokonus. Keratokonus bezeichnet die fortschreitende Ausdünnung und kegelförmige Verformung der Horn-haut des Auges und ist mit einer Schwä-che ihrer biomechanischen Eigenschaf-ten assoziiert (siehe Abb. 4). Den Ansatz des corneal cross-linking (CXL) haben Wollensak, Spoerl und Seiler Anfang der 2000-er erforscht und etabliert.5 Da-bei wird das Fortschreiten der Horn-hautverformung mittels Riboflavin/UVA-Lichtbehandlung inhibiert, da sich das Korneagewebe durch diese Be-handlung biomechanisch stabilisiert.

Ein paar Jahre später haben Wol-lensak und Spoerl auch verschiedene Ansätze zum scleral cross-linking ge-testet.6 –8 Unser Team forscht seit 2009 an der Methode des Kreuzvernetzens der Proteine im Skleragewebe (scleral

cross-linking, SXL) mittels Riboflavin und Blaulicht. Grundlage der Therapie-adaptation ist die Ähnlichkeit im Gewe-beaufbau von Hornhaut und Sklera, die anatomisch ein durchgehendes Gewe-be darstellen, das den globus oculi um-schließt. Beide Gewebeanteile bestehen zum größten Teil aus Kollagenfibrillen, angeordnet in Kollagenbündeln, die wiederum mit einander verwoben sind. Das Gesamtgewebeprotein besteht zu ca. 90 % aus fibrillärem Kollagen I. Der Methodenansatz des Kreuzvernetzens (cross-linking) von Kollagenmolekülen ist in Abb. 5 dargestellt. Durch zusätz-liche chemischen Brücken werden die Strukturverbindungen zwischen den Kollagenfibrillen biomechanisch be-lastbarer, wie die Erhöhung der Spros-senzahl in einer wackligen Leiter.

Dieser methodische Ansatz muss jetzt in einen handhabbaren therapeuti-schen Ansatz umgesetzt werden, um am Patientenauge angewendet werden zu können (siehe Abb.6). Dazu haben wir in den letzten Jahren ausgedehnte präklinische Versuche unternommen

Abb. 3: Eine zarte Luftballonhülle dehnt sich durch den inneren Luftdruck aus, wohingegen der Ball formstabil bleibt.

Abb. 4: a) gesunde Hornhaut, b) Keratokonus (Auswölbung der Hornhaut), c) Keratokonusbehandlung mit UV-Licht und Ribof lavin (Bild c ist aus Publikation 5).

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und konnten in tierexperimentellen Studien zeigen, dass wir erfolgreich ei-ne Augenausdehnung inhibieren kön-nen, ohne Schaden an den umliegenden Geweben zu induzieren.9, 10

Derzeit arbeiten wir an der Operati-onstechnik, dem chirurgischen System und den Zulassungsregularien, um die

SXL-Behandlungsmethode in die klini-sche Praxis zu überführen. Wir entwi-ckeln ein Substanzapplikations- und Bestrahlungssystem (SAIS, substance application and irradiation system), dass von erfahrenen Industriepartnern aus der augenchirurgischen Branche hergestellt wird. Um das posteriore skle-

rale Gewebe behandeln zu können, müssen wir chirurgisch in die Orbita eindringen. Das stellt uns und die Her-steller vor komplexe technische Heraus-forderungen. Die Entwicklung geht da-bei in Richtung minimal invasiver Ein-griff. Derzeit entwickeln wir unseren liebevoll genannten »Leipziger Löffel« (siehe Abb.7), welcher noch in präklini-schen Untersuchungen getestet werden muss. Des Weiteren müssen wir das App likationsregime von Licht und Ribo-f lavin noch optimieren. Es ist also noch viel Forschungsarbeit zu leisten.

Diagnostikstudie für potentielle erste

Patienten

Seit Anfang des Jahres 2017 haben wir eine Förderung (Exist-Forschungs-transfer) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und dem Europäischen Sozialfond (ESF) er-halten, um das Forschungsprojekt von »Bench to Bedside« in die klinische An-wendung zu bringen und für betroffene Patienten zugänglich zu machen. Auch

Abb. 5: Durch Bestrahlung von Vitamin B2 (Ribof lavin) mit UVA oder Blaulicht wird das chemische Mole-

kül als sogenannter Photosensitizer energetisch angeregt und produziert in seiner Umgebung (z.B. im Gewe-

bewasser) reaktive Sauerstoffspezies und/oder Radikale. Diese Radikale wiederum reagieren mit den chemi-

schen Seitenketten der Aminosäuren in den Kollagenmolekülen, die neue chemische kovalente Verbindun-

gen (rote Balken) ausbilden.

Abb. 7: Durch das Substanzapplikations- und Be-

strahlungssystem (SAIS, substance application and

irradiation system) kann Ribof lavin an die hintere

Skleraf läche gebracht werden und anschließend mit

Blau- oder UV-Licht bestrahlt werden.

Abb. 6: Das Ribof lavin (Vitamin B2, gelbliche Flüssigkeit) muss auf das sklerale Gewebe, wohl auch im hin-

teren (posterioren) Teil des Auges, getropft werden, um anschließend mit Blaulicht bestrahlt zu werden. Die

Kollagenfibrillen werden stärker vernetzt und die Sklera erhöht ihre biomechanische Stabilität. Aderhaut

und Netzhaut sollen dabei nicht beeinf lusst werden.

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63 Op to me trie 1/2017

wenn das noch ein langer Weg werden wird, so wollen wir doch in den nächsten zwei Jahren mit einer diagnostischen Patientenselektionsstudie (biometrisch- optische Diagnostikstudie, BODS) be-ginnen. In dieser Studie sollen von ho-her und pathologischer Myopie betroffe-nen Patienten umfassend diagnostisch untersucht werden, um biometrische Parameter für eine zukünftige klini-sche Studie festlegen zu können. Es sol-len noch unklare wissenschaftliche Fra-gen beantwortet werden; z.B. biometri-schen Endpunkte einer progressiven Myopie und welche Patienten am meis-ten von einer solchen Therapie profitie-ren könnten. Diese Studie ist eine rein diagnostische Studie bei der modernste Verfahren wie Optische Kohärenztomo-graphie (OCT) und Adaptive Optik in Kombination mit den üblichen (subjek-tive und objektive Refraktion, Spaltlam-pe, Funduskopie usw.) Verfahren zur Anwendung kommen. Die Teilnehmer bekommen also in Rahmen mehrerer (ein- oder halbjährlichen) Verlaufsun-

tersuchungen eine umfassende diag-nostische und ärztliche Einschätzung. Diese BOD-Studie ist keine klinische Studie mit irgendeinem therapeuti-schen Eingriff zur Behandlung der pro-gressiven Myopie mittel SXL o.ä., son-dern beinhaltet ausschließlich diagnos-tische Untersuchungen. Allerdings ist das Ziel dieser Studie, Parameter her-auszufinden, die geeignete Patienten für eine zukünftige Behandlung besser erkennen lassen. Wir sind derzeit dabei, die Studie final zu designen und Ein- und Ausschlusskriterien für die Teil-nehmer zu definieren. Als Optometrist und Optiker könnten Sie uns bei der Studie helfen, wenn Sie in Ihrem beruf-lichen Umfeld Kunden ansprechen, die eine hohe Myopie haben und die in den letzten zwei, drei Jahren eine merkliche und nachweisliche Verschlechterung ihrer Dioptrienzahl haben (mindestens 1 dpt in zwei Jahren). Sie können ihre Kunden auf unsere BOD-Studie auf-merksam machen und die Kunden könnten uns über unsere Internetsei-

Kernteam SAIS, Stand 2016; Von links nach rechts; unterste Reihe: Mike Francke, Joanna Stachnik (beide

Projektleitung); 2. Reihe von unten: Ulrike Rattunde, Maria Tuisl, Beatrice Werner; dritte Reihe von un-

ten: Solveig Weigel, Kitty Schober, Nicole Körber; obere Reihe: Konstantin Krasselt, Rene Hänsel).

ten, die wir gerade weiter ausbauen wol-len, kontaktieren (http://eye-sais.de/, http://myopie-online.info/).

Unser Team besteht aus Biologen, Biochemikern, Biophysikern, Medizi-nern, Optometristen, Ingenieuren und wir forschen intensiv mit Partnern aus der Physik und der Veterinärmedizin zusammen. Wir arbeiten international und bundesweit mit verschiedenen Fachaugenärzten aus Universitätsau-genkliniken zusammen und sind inter-national mit renommierten wissen-schaftlichen Experten vernetzt. m

References

1. Holden BA, Fricke TR, Wilson DA et al. (2016) Global Prevalence of Myopia and High Myopia and Temporal Trends from 2000 through 2050. Ophthalmology 123(5): 1036–1042. doi: 10.1016/j.ophtha.2016.01.006

2. Feldkamper M, Schaeffel F (2003) Interac-tions of genes and environment in myopia. Dev Ophthalmol 37: 34–49

3. Schaeffel F (2011) Myopie-Update 2011 (Myopia update 2011). Klin Monbl Augen-heilkd 228(9): 754–761. doi: 10.1055/s-0031-1281584

4. Maier M (ed) (2016) Diagnose und Therapie der pathologischen Myopie, 2. Auflage. UNI-MED Verlag, Bremen, London, Boston, Bremen, London, Boston

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7. Wollensak G, Iomdina E, Dittert D-D et al. (2005) Cross-linking of scleral collagen in the rabbit using ribof lavin and UVA. Acta Oph-thalmol Scand 83(4): 477–482. doi: 10.1111/j.1600-0420.2005.00447.x

8. Wollensak G, Spoerl E (2004) Collagen cross-linking of human and porcine sclera. J Cataract Refract Surg 30(3): 689–695. doi: 10.1016/j.jcrs.2003.11.032

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