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Andrea Sabisch (2007): Inszenierung der Suche. Vom Sichtbarwerden ästhetischer Erfahrung im Tagebuch. Entwurf einer wissenschaftskri- tischen Grafieforschung. Bielefeld: transcript. 288 Seiten. Die vorliegende Dissertation von Andrea Sabisch handelt von textuellen und visuellen Repräsentationen, den so genannten »Auf- zeichnungen«, im Kontext von Such- und For- schungsprozessen an der Schnittstelle von Pädagogik, Kunst und Wissenschaft. Unter »Aufzeichnung« und der Neuprägung »Grafie« 374 (griech. graphein: schreiben, ritzen, zeich- nen) versteht sie »lernbegleitende Notations- und Dokumentationspraktiken, die sowohl einen ·Inhalt· (Biografie, Kosmografie etc.) als auch eine mediale Weise der Darstellung (Fotografie, Videografie, Audiografie etc.) bezeichnen.« (5. 17) In drei großen Kapiteln antwortet sie damit erstens auf den phänomenologischen Ansatz von Bernhard Waldenfels, zweitens auf den methodischen und methodologischen Dis- kurs über die Dokumentarische Methode von Ralf Bohnsack und drittens auf kunstpäd- agogische Anwendungen zwischen Empirie (Georg Peez) , Theorie (Karl-Josef Pazzini) und Didaktik (Helga Kämpf-Jansen). Ausgehend von der Fragestellung, was man unter der Chiffre »ästhetische Erfahrung« zu verstehen habe, untersucht Sabisch exem- plarisch an einer studentischen Aufzeichnung im Kontext eines Seminars zur »Ästhetischen Forschung«, wie man die pathische Dimen- sion der Erfahrung in Tagebüchern reflektie- ren und kommunizieren kann. Das 2iel der Abhandlung besteht darin, mit den Grafien eine Methode zur Reflexion und Kommuni- kation ästhetischer Erfahrung in konzeptio- neller und methodischer Hinsicht zu begrün- den, in der sowohl das Singuläre als auch das Pathische zum Vorschein kommen. Inwiefern die Suche und deren Inszenie- rung, die Erfahrung und deren Darstellung sich wechselseitig bedingen und insofern als Metapher für Bildungsprozesse zu verstehen sind, soll im Folgenden anhand verschie- dener Lesarten der vorliegenden Abhand- lung geprüft werden. Im ersten Kapitel beschreibt Sabisch ihren »2ugang zur Forschung« (5. 17) anhand von Grafien, die sie grundlegend von Differenzen her verstanden wissen will. Während jeder wissenschaftliche Orientierungsversuch und jede wissenschaftliche Stellungnahme von Unterscheidungen bestimmt ist, handelt es sich hierbei in der Regel um Definitionen, das heißt um Grenzziehungen auf begriff- licher Ebene_ Unterscheidungen im Sinne von Definitionen sind grundlegend von sol- chen zu trennen, die aus Differenzen resul- tieren. Folgt man wie die Autorin Jacques Derrida, so unterlaufen Differenzen näm- lich gerade das eindeutig Bestimmbare und Bestimmte, indem sie die paradoxale Struk- tur von Begriffen anzeigen. In der Disserta- tion von Sabisch werden Definitionen häufig erst am Ende einer Argumentation gegeben. Da die Denkbewegung der Autorin grundle- gend von der Erwartung bestimmt ist, dass ein Suchender nicht im Vornherein weiß, was er sucht, er aber dennoch fündig wird (5. 18), ergeben sich eine ganze Reihe paradoxer For- mulierungen: Einer, der dem Vernehmen nach nichts sucht, wird als Suchender bezeichnet. Der Vollzug von Erfahrung wird mit Derrida als die Durchquerung eines noch nicht vorhan- denen Raumes ausgelegt, der sich im Gehen erst öffnet (5. 16) - der Leser mag sich hier fragen, ob also in der Erfahrung ein Vaku- um durchschritten wird. Wenn nun weiterhin behauptet wird, dass eine Erfindung auf der Grundlage eines »Nichtsehenkönnens« oder auch »Nichtsagenkönnens« erfolgt (5. 241), so drängt sich auch hier eine Frage auf, näm- lich: Ist es nicht widersinnig, dass sich die Tätigkeit des Erfindens demnach aus mensch- lichem Unvermögen speist? Es ist nicht zu erwarten, dass es auf eine dieser Fragen überhaupt eine befriedigende Antwort gibt. Denn jede der drei genannten Argumentationsfiguren variiert dasselbe Para- dox, das hier jeder menschlichen Erfahrung zugrunde gelegt wird: das Moment des Auf- ein-Etwas-gerichtet-Seins verbindet sich mit einer unhintergehbaren Vagheit, die jedem Versuch einer Festschreibung und Definiti- on vorgeordnet ist und einen solchen Ver- such auch immer schon unterläuft. Alle drei Figuren der Orientierung laufen zudem auf ein nicht artikulierbares Wissen hinaus, das dem noch Unbekannten zugewandt ist und dieses eben nicht in Bekanntes verwandelt. Gemeint ist ein Wissen, das Neues, Außer- Ordentliches strukturiert und auf einer kör- perlich vermittelten Heuristik, auf einer »Fin- digkeit des Körpers« (Waldenfels) beruht, die in der vorliegenden Arbeit in schier unend- lichen Varianten vorgeführt wird. Die einge- nommene Perspektive macht die Abhandlung in dieser Hinsicht besonders für diejenigen zur reichhaltigen Fundgrube, die das Anlie- gen haben, künstlerische Ausdrucksformen oder ästhetische Erfahrungen, Sabisch spricht von ästhetischen Anwendungen von Erfah- rungen, philosophisch zu reflektieren. Eine andere, mindestens ebenso produktive Lesart des Textes ergibt sich unter metho- dologischem Blickwinkel: Während Derri- da einer grundsätzlichen Methodisierung der Differenz den Riegel vorschiebt, macht die Autorin folgenden Vorschlag: Zunächst legt sie Differenz und Suche im Rekurs auf die von Ralf Bohnsack weiterentwickelte Dokumen- tarische Methode als Theoriegenerierung im Entdeckungszusammenhang und somit empi- risch aus (5. 105). Eine besondere Bedeutung misst sie in Hinblick auf die Generierung von Theorie im Entdeckungszusammenhang der Praxis des Aufzeichnens, des Grafierens, bei, die sie nicht nur theoretisch, sondern anhand von visuellen, textuellen und/oder akustischen Selbstzeugnissen von Studie- renden auch empirisch in den Blick nimmt. Welche Erfahrungen und Theorien sich hier formieren, so die methodologische Grundan- nahme, ist von der Art und Weise abhängig, wie etwas aufgezeichnet, notiert oder doku- mentiert wird (vgl. 5.107). Dieser Blickwin- kel auf Differenz entspricht der genetischen Perspektive der Dokumentarischen Methode, die erklärtermaßen an dem Wie der inter- aktiven und erlebnismäßigen Herstellung sozialer Wirklichkeit interessiert ist. Durch eine Bezugnahme auf die Dokumentarische Methode, mit einer Kritik an derselben und durch deren Erweiterung will die Autorin die Berücksichtigung des Singulären, auf das in der Differenztheorie fokussiert wird, noch weiter methodologisch vertiefen. An dem im Rahmen der Dokumentarischen Metho- de vorgeschlagenen Verfahren einer Formu- lierenden Interpretation des Datenmaterials kritisiert sie, dass diese dem Anspruch folgt, im »Orientierungsrahmen der Beforschten« zu verbleiben (5. 187). Mit Rekurs vor allem auf Waldenfels' Paradigma der Erfahrung als Widerfahrnis bzw. als Ergebnis eines durch Responsivität charakterisierten Geschehens schlägt sie folgende Modifikation der For- mulierenden Interpretation vor: In Bezug auf eine solche könne nicht davon ausgegan- gen werden, dass sie erst dort ansetzt, wo eine konjunktive [also mit den Beforschten geteilte und aus unmittelbarem Verstehen basierende] Erfahrung nicht mehr gegeben ist. Prinzipiell sei die Antwort des Interpre- ten auf ein beforschtes Ereignis Überhaupt nur dann kommunizierbar, wenn dieser von 375

Eine andere, mindestens ebenso produktive Lesart des ...kunst.erzwiss.uni-hamburg.de/ful-home/blog/wp-content/uploads/2008/06/... · dem getroffen werde, was er analysieren soll (5

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Andrea Sabisch (2007): Inszenierung der Suche.Vom Sichtbarwerden ästhetischer Erfahrungim Tagebuch. Entwurf einer wissenschaftskri­tischen Grafieforschung. Bielefeld: transcript.288 Seiten.

Die vorliegende Dissertation von AndreaSabisch handelt von textuellen und visuellenRepräsentationen, den so genannten »Auf­zeichnungen«, im Kontext von Such- und For­schungsprozessen an der Schnittstelle vonPädagogik, Kunst und Wissenschaft. Unter»Aufzeichnung« und der Neuprägung »Grafie«

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(griech. graphein: schreiben, ritzen, zeich­nen) versteht sie »lernbegleitende Notations­und Dokumentationspraktiken, die sowohleinen ·Inhalt· (Biografie, Kosmografie etc.)als auch eine mediale Weise der Darstellung(Fotografie, Videografie, Audiografie etc.)bezeichnen.« (5. 17)

In drei großen Kapiteln antwortet sie damiterstens auf den phänomenologischen Ansatzvon Bernhard Waldenfels, zweitens auf denmethodischen und methodologischen Dis­kurs über die Dokumentarische Methode vonRalf Bohnsack und drittens auf kunstpäd­agogische Anwendungen zwischen Empirie(Georg Peez) , Theorie (Karl-Josef Pazzini)und Didaktik (Helga Kämpf-Jansen).

Ausgehend von der Fragestellung, was manunter der Chiffre »ästhetische Erfahrung«zu verstehen habe, untersucht Sabisch exem­plarisch an einer studentischen Aufzeichnungim Kontext eines Seminars zur »ÄsthetischenForschung«, wie man die pathische Dimen­sion der Erfahrung in Tagebüchern reflektie­ren und kommunizieren kann. Das 2iel derAbhandlung besteht darin, mit den Grafieneine Methode zur Reflexion und Kommuni­kation ästhetischer Erfahrung in konzeptio­neller und methodischer Hinsicht zu begrün­den, in der sowohl das Singuläre als auchdas Pathische zum Vorschein kommen.

Inwiefern die Suche und deren Inszenie­rung, die Erfahrung und deren Darstellungsich wechselseitig bedingen und insofern alsMetapher für Bildungsprozesse zu verstehensind, soll im Folgenden anhand verschie­dener Lesarten der vorliegenden Abhand­lung geprüft werden.

Im ersten Kapitel beschreibt Sabisch ihren»2ugang zur Forschung« (5. 17) anhand vonGrafien, die sie grundlegend von Differenzenher verstanden wissen will. Während jederwissenschaftliche Orientierungsversuch undjede wissenschaftliche Stellungnahme vonUnterscheidungen bestimmt ist, handelt essich hierbei in der Regel um Definitionen,das heißt um Grenzziehungen auf begriff­licher Ebene_ Unterscheidungen im Sinnevon Definitionen sind grundlegend von sol­chen zu trennen, die aus Differenzen resul­tieren. Folgt man wie die Autorin JacquesDerrida, so unterlaufen Differenzen näm­lich gerade das eindeutig Bestimmbare und

Bestimmte, indem sie die paradoxale Struk­tur von Begriffen anzeigen. In der Disserta­tion von Sabisch werden Definitionen häufigerst am Ende einer Argumentation gegeben.Da die Denkbewegung der Autorin grundle­gend von der Erwartung bestimmt ist, dassein Suchender nicht im Vornherein weiß, waser sucht, er aber dennoch fündig wird (5. 18),ergeben sich eine ganze Reihe paradoxer For­mulierungen: Einer, der dem Vernehmen nachnichts sucht, wird als Suchender bezeichnet.Der Vollzug von Erfahrung wird mit Derrida alsdie Durchquerung eines noch nicht vorhan­denen Raumes ausgelegt, der sich im Gehenerst öffnet (5. 16) - der Leser mag sich hierfragen, ob also in der Erfahrung ein Vaku­um durchschritten wird. Wenn nun weiterhinbehauptet wird, dass eine Erfindung auf derGrundlage eines »Nichtsehenkönnens« oderauch »Nichtsagenkönnens« erfolgt (5. 241),so drängt sich auch hier eine Frage auf, näm­lich: Ist es nicht widersinnig, dass sich dieTätigkeit des Erfindens demnach aus mensch­lichem Unvermögen speist?

Es ist nicht zu erwarten, dass es auf einedieser Fragen überhaupt eine befriedigendeAntwort gibt. Denn jede der drei genanntenArgumentationsfiguren variiert dasselbe Para­dox, das hier jeder menschlichen Erfahrungzugrunde gelegt wird: das Moment des Auf­ein-Etwas-gerichtet-Seins verbindet sich miteiner unhintergehbaren Vagheit, die jedemVersuch einer Festschreibung und Definiti­on vorgeordnet ist und einen solchen Ver­such auch immer schon unterläuft. Alle dreiFiguren der Orientierung laufen zudem aufein nicht artikulierbares Wissen hinaus, dasdem noch Unbekannten zugewandt ist unddieses eben nicht in Bekanntes verwandelt.Gemeint ist ein Wissen, das Neues, Außer­Ordentliches strukturiert und auf einer kör­perlich vermittelten Heuristik, auf einer »Fin­digkeit des Körpers« (Waldenfels) beruht, diein der vorliegenden Arbeit in schier unend­lichen Varianten vorgeführt wird. Die einge­nommene Perspektive macht die Abhandlungin dieser Hinsicht besonders für diejenigenzur reichhaltigen Fundgrube, die das Anlie­gen haben, künstlerische Ausdrucksformenoder ästhetische Erfahrungen, Sabisch sprichtvon ästhetischen Anwendungen von Erfah­rungen, philosophisch zu reflektieren.

Eine andere, mindestens ebenso produktiveLesart des Textes ergibt sich unter metho­dologischem Blickwinkel: Während Derri­da einer grundsätzlichen Methodisierung derDifferenz den Riegel vorschiebt, macht dieAutorin folgenden Vorschlag: Zunächst legtsie Differenz und Suche im Rekurs auf die vonRalf Bohnsack weiterentwickelte Dokumen­tarische Methode als Theoriegenerierung imEntdeckungszusammenhang und somit empi­risch aus (5. 105). Eine besondere Bedeutungmisst sie in Hinblick auf die Generierungvon Theorie im Entdeckungszusammenhangder Praxis des Aufzeichnens, des Grafierens,bei, die sie nicht nur theoretisch, sondernanhand von visuellen, textuellen und/oderakustischen Selbstzeugnissen von Studie­renden auch empirisch in den Blick nimmt.Welche Erfahrungen und Theorien sich hierformieren, so die methodologische Grundan­nahme, ist von der Art und Weise abhängig,wie etwas aufgezeichnet, notiert oder doku­mentiert wird (vgl. 5.107). Dieser Blickwin­kel auf Differenz entspricht der genetischenPerspektive der Dokumentarischen Methode,die erklärtermaßen an dem Wie der inter­aktiven und erlebnismäßigen Herstellungsozialer Wirklichkeit interessiert ist. Durcheine Bezugnahme auf die DokumentarischeMethode, mit einer Kritik an derselben unddurch deren Erweiterung will die Autorin dieBerücksichtigung des Singulären, auf das inder Differenztheorie fokussiert wird, nochweiter methodologisch vertiefen. An demim Rahmen der Dokumentarischen Metho­de vorgeschlagenen Verfahren einer Formu­lierenden Interpretation des Datenmaterialskritisiert sie, dass diese dem Anspruch folgt,im »Orientierungsrahmen der Beforschten«zu verbleiben (5. 187). Mit Rekurs vor allemauf Waldenfels' Paradigma der Erfahrung alsWiderfahrnis bzw. als Ergebnis eines durchResponsivität charakterisierten Geschehensschlägt sie folgende Modifikation der For­mulierenden Interpretation vor: In Bezugauf eine solche könne nicht davon ausgegan­gen werden, dass sie erst dort ansetzt, woeine konjunktive [also mit den Beforschtengeteilte und aus unmittelbarem Verstehenbasierende] Erfahrung nicht mehr gegebenist. Prinzipiell sei die Antwort des Interpre­ten auf ein beforschtes Ereignis Überhauptnur dann kommunizierbar, wenn dieser von

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dem getroffen werde, was er analysierensoll (5. 187). Die Dokumentarische Methodeverfolgt das Ziel, ein Wissen zu eruieren, dasNeues, Außer-Ordentliches strukturiert unddas auf einer körperlich vermittelten Heu­ristik beruht. Die Autorin pflichtet Bohnsackbei, dass sich dieses Wissen in seinem indexi­kalisehen Gebrauch (z. B. beim Sprechen)zeigt (5. 187). Dies aber geschehe nicht sosehr durch solche Selbstzeugnisse, die sichdurch eine hohe interaktive Dichte des Aus­gesagten (sog. Fokussierungsmetaphem) undWiederholungen auszeichnen, wie dies Bohn·sack annimmt. Vielmehr werde die Gene·se einer Sinngebung (5. 192) - präziser amMaterial aufweisbare inszenatorische Mus­ter der Suche (5. 202) - durch Zäsuren, Pau­sen, Leerstellen, kurz Brüche (wie bspw. anSelbstzeugnissen auftretende mediale odermaterielle Veränderungen, verschiedeneVersionen desselben Themas etc.) angezeigt(5. 192). Die Stichhaltigkeit des Vorschlags,zwei doch recht gravierende Modifikationender Dokumentarischen Methode vorzuneh­men, wird durch eine Analyse studentischerSelbstzeugnisse plausibel gemacht. Grund­sätzlich zielt die Dokumentarische Metho­de darauf, Erfahrungswissen zu eruieren.Dem stimmt die Autorin zu, und so' wendetsie diese auch an. Den Begriff Erfahrungswis­sen expliziert Sabisch anhand verschiedenerKonzepte (»atheoretisches Wissen· nach KarlMannheim, »tacit knowledge. nach MichaelPolanyi etc.) und zeigt, dass er für die ästhe­tische Praxis grundlegend ist (5. 108f).

Im Rekurs auf das Erfahrungswissen bestehteine Kopula zwischen den möglichen phi­losophischen, methodologischen und nichtzuletzt pädagogisch-didaktischen Lesartender Abhandlung. In Bezug auf Letztere wirdvorrangig auf aktuelle Diskussionslinien inder Kunstpädagogik Bezug genommen.

5elbstredend wird drittens die ästhetische5elbstbildung, die seit geraumer Zeit im Mit­telpunkt kunstpädagogischer und -didaktischerÜberlegungen steht, an dem oben umrissenen,durch Differenzen grundlegend bestimmtenOrt situiert. Hier, so weist die Autorin durchdie Analyse des von ihr erhobenen Datenma·terials nach, erfolgt eine Umwandlung des­sen, wovon eine Person getroffen wird, inetwas, worauf dieselbe antwortet (vg!. 5.228). Es zeigt sich, dass auf diese Weise eine

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Leerstelle operativ gemacht wird. Allerdingsbetont Sabisch an diesem Prozess ästhetischerBildung nicht das Moment der Störung, dasvon anderen Autoren kunstdidaktisch opera­tionalisiert wird (5. 241), sondem stellt dar­an das Moment des Pathischen heraus, in demdas Singuläre als ein Resonanzboden für Frem­des fungiert.

In der Auslegung von Grafien als Instrumentedes in ein Resonanzgeschehen eingebunde­nen Antwortens sieht sie die Möglichkeit derOperationalisierung der Grafie als kunstpäd­agogische Methode. Kunstpädagogik will siedabei als eine »spezifische Form der Anwen­dung von Kunst, der Wendung an Kunst,der Wendung von Kunst· (5. 227) verstan­den wissen. In praktischer Hinsicht wird hierallerdings verlangt, dass die Lernenden eineeigene Frage suchen und dabei ihren eige­nen Interessen folgen. Wenn die Abhandlungin dieser Hinsicht auch viele Fragen offenlässt, so deutet sie doch zugleich einengangbaren Weg zu deren Beantwortung an.Repräsentative Aussagen können aufgrunddes durch die gewählte Untersuchungsgrup­pe gesteckten empirischen Rahmens in dervorliegenden Untersuchung nicht getroffenwerden. Sie kann aber als ein Plädoyer fürhochschuldidaktische »Anwendungen. vonGrafien gelesen werden, die hier in großenZügen anschaulich vorgedacht und vorstruk­turiert werden. Die hier herausgearbeitet­en Begriffe wie .Aufzeichnung. und ·das Auf­zeichnen., ·Entwurf· und .das Entwerfen.sowie die Darlegungen zu didaktischen Kon­zepten wie Forschendes Lemen und Ästhe­tische Forschung könnten in Hinblick aufmögliche »Anwendungen. in der Schule nochvertieft werden. Allerdings wird in Bezugauf das Lemen ein weiteres Paradox ange·sprochen, wenn behauptet wird, dass derAnfang des Lemens an den Diskontinuitätenund den Brüchen der Erfahrung ansetzt.Bekanntlich besteht eine didaktische Grund­tatsache ganz im Gegenteil darin, dass dasVerstehen und Aufstellen von Regeln, durchdas eine Lemsituation charakterisiert ist,eine Vielzahl konstruierter und bearbeiteter,in sich schlüssiger Beispiele voraussetzt. DieFrage, ob und inwiefern sich das von Sabischvorgeschlagene Verfahren effektiv auch aufLemsituationen von Schülem anwendenlässt, steht also noch aus. Der von ihr ent­wickelten Argumentation zufolge könnte

dies durch die B forschung der Modi geleis­tet w rd n, wie Kind r verschiedenen Altersmit Paradoxi n und Erfahrungen der Diskon­tinuität umg hen.

Die hl r beschriebenen sind bei weitem nichtdie einzig n Möglichkeiten einer »Anwen­dung. d r von Andrea Sabisch angestelltenÜberl gungen. Durch die von ihr dargelegtenAnschlussstellen an theoretische, empirischeund pädagogische Kontexte bietet die Unter­suchung eine kenntnisreiche Grundlage fürweitere Forschungsarbeiten. Dies ist wohlauch der Grund für die Vorworte von Bem­hard Waldenfels und Karl·Josef Pazzini, dieals theoretische und zugleich pathische Ant­worten aus der philosophischen Perspek­tive einerseits und aus der Perspektive desZweitgutachters und Mitherausgebers derSchriftenreihe »Theorie bilden· anderer­seits betrachtet werden können. Insofemist das Buch »Inszenierung der Suche. jenenzu empfehlen, die sich mit Diskursen überästhetische Bildung, visuelle Methoden inder qualitativen empirischen Sozialforschungund einer Wissenschaftskritik befassen, dievon Grafien und von der Frage nach verschie­denen Möglichkeiten der Darstellbarkeit vongemachten Erfahrungen ausgeht.

Anja Kraus

Kraus, Anja: Rezension Inszenierung der Suche.In: Vierteljahrsschrift fUr wissenschaftliche Pädagogik.Heft 3 2007. S,. 374-377.

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