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STIMME ZUKÜNFTIGER GENERATIONEN ZENTRALBANK UND BANKEN WIE UNSER ZWEISTUFIGES GELDSYSTEM FUNKTIONIERT Eine kurze Einführung

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S T I M M E Z U K Ü N F T I G E R G E N E R A T I O N E N

ZENTRALBANK UND BANKENWIE UNSER ZWEISTUFIGESGELDSYSTEM FUNKTIONIERT

Eine kurze Einführung

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Zusammenfassung

ZENTRALBANK UND BANKEN: WIE UNSERZWEISTUFIGES GELDSYSTEM FUNKTIONIERT

Eine kurze Einführung

Das Zusammenwirken von privaten Banken und staatlichen Zentralbanken bei derGeldschöpfung war sowohl für die Entstehung als auch für die Überwindung derglobalen Finanzkrise von erheblicher Bedeutung. Dennoch ist bisher wenig be-kannt, was eigentlich genau passiert, wenn die beiden Akteure neues Geld undKredit schaffen bzw. wieder tilgen. Daher sollen diese Grundzusammenhängeunseres Bankensystems hier kurz und allgemeinverständlich erklärt werden.

Eine normale Bank nimmt Gelder von Sparenden auf und verleiht diese an Kre-ditnehmer weiter. Diese einfache Sicht auf das Handeln einer Bank ist nicht falsch.Im täglichen Geschäftsbetrieb ist die Bedeutung dieser Dienstleistung aber in denHintergrund gerückt. Die Deregulierung der Finanzmärkte eröffnete den Bankenzahlreiche neue spekulative (und zunächst sehr lukrative) Geschäftsmodelle, umihre Kreditvergabe stark auszudehnen. Hierbei kommt den Banken zugute, dass sieauch unabhängig von den Einzahlungen der Sparenden Kredite vergeben und diedafür notwendigen Refinanzierungen erst im Nachhinein am Geldmarkt oder di-rekt bei der Zentralbank vornehmen können. Die Hauptaufgabe der Zentralbankwird in der öffentlichen Wahrnehmung oft darin gesehen, dass sie die Geldmengesteuere und damit die Inflation kontrolliere. Interessanterweise ist gerade dieInflationssteuerung für eine Zentralbank ein Ziel, das sie – wenn überhaupt – nurüber Umwege erreichen kann. Gleiches gilt für die Steuerung der Geldmenge.Denn eine Zentralbank, die sich zum Ziel gesetzt hat, über ihren Leitzins denZinssatz am Geldmarkt zu bestimmen und so die Konjunktur zu beeinflussen, istnicht gleichzeitig in der Lage, die Geldmenge zu steuern.

Die eigentliche Hauptaufgabe jeder Zentralbank liegt in der ausreichenden Bereit-stellung des gesetzlichen Zahlungsmittels und in der Stabilisierung des Banken-systems durch ihre Rolle des „Lender of Last Resort“ (Kreditgeberin der letztenInstanz). Ein Staat (oder eine Staatenzusammenschluss wie die Eurozone) hat nurdann eine souveräne Währung, wenn die Zentralbank im Zweifel dafür sorgt, dassdie heimischen Staatsanleihen immer zurückgezahlt werden. Darin liegt aktuellder größte Unterschied zwischen Staaten wie den USA, Großbritannien und Japanund den Staaten der Eurozone. Die unklare Auslegung des EU-Vertrags, der einer-seits die EZB mit der Aufgabe der Zentralbank betraut hat, andererseits aber denAnkauf von Staatsanleihen höchstens indirekt zulässt, hat eine gefährliche Un-sicherheit im Funktionsablauf des Finanzsystems geschaffen. Erst wenn die EZBauch hier die volle Souveränität einer Zentralbank zugesichert bekommt, ist dieDauerhaftigkeit des Euro als Währung gesichert. Als Letztes wird dargestellt, wiees den Zentralbanken durch die Implementierung eines fiskalischen Transmissions-kanals ermöglicht werden kann ihre Geldpolitik deutlich effektiver auszuüben.

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INHALT1. Einleitung .................................................................................................................. 2

2. Das zweistufiges Bankensystem aus Zentralbank und Banken ............................... 3

2.1. Was machen Banken? ......................................................................................... 32.2. Was machen Zentralbanken? ............................................................................. 7

3. Was führt zu Inflation und wie wird sie bekämpft? .............................................. 10

4. Waren die Zentralbanken schuld an der Finanzkrise? ........................................... 14

5. Die Zentralbank als Garantin einer souveränen Währungund eines souveränen Staates ................................................................................. 16

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In unserem Geldsystem gibt es einigegrundlegende Zusammenhänge, die inder öffentlichen Diskussion wenig beach-tet werden, obwohl sie dessen elementa-re Funktionsweise betreffen. Gerade dieim Verlauf der Finanzkrise so bedeutsamgewordene Rolle der Zentralbanken alsletzter Anker des gesamten Finanzsys-tems wird oft nur begrenzt verstanden,weil die Geldschöpfungsprozesse in denmeisten Ökonomie-Lehrbüchern aneinem theoretischem Modell erklärtwerden, das nicht der realen Praxis ent-spricht. Die Bank von England hat in

1. EINLEITUNG

einem vor Kurzem erschienenen Berichtnoch einmal auf diesen absurden Sach-verhalt hingewiesen und eine realitäts-nahe Beschreibung der Geldschöpfungs-prozesse geliefert.1 Hier knüpft dieseBroschüre an. In allgemeinverständlicherForm sollen die populärsten Irrtümerüber die Rolle der Zentralbanken aus-geräumt werden. Gleichzeitig soll gezeigtwerden, wie Geldpolitik aktuell tatsäch-lich praktiziert wird. Und es soll deutlichwerden, welche politischen Handlungs-möglichkeiten sich daraus ergeben.

Geldschöpfungsprozessein der Praxis

1 Vgl. Bank of England; Money creation in the modern economy, in: Quarterly Bulletin, Vol. 54, No. 1, 2014 Q1, S. 14–27.http://www.bankofengland.co.uk/publications/Documents/quarterlybulletin/2014/qb14q102.pdf

Einleitung

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2. DAS ZWEISTUFIGEBANKENSYSTEM AUSZENTRALBANK UND BANKEN

Auch wenn Banken derzeit primär alsFinanzjongleure wahrgenommen werdenund sie in diesen Geschäftsfeldern mitder Schaffung immer neuer Finanzinstru-mente auch das meiste Geld verdienen,sollte man sich bei einer grundsätzlichenBetrachtung in Erinnerung bringen, wel-ches ihre drei eigentlichen Hauptaufga-ben sind.

Da wären die Aufgaben der:

Fristentransformation: Hier vermit-teln die Banken die unterschiedlichenZeitpräferenzen von Sparern und Kre-ditnehmern. Während die Sparerseiteregelmäßig ein hohes Interesse an ei-ner kurzfristigen Verfügbarkeit der ein-gezahlten Gelder hat, haben die Kre-ditnehmer ein Interesse an einer lan-gen und sicher kalkulierbaren Laufzeitihrer Kredite. Die Aufgabe der Banken

Beim Blick auf das gesamte Bankensys-tem fällt als Erstes auf, dass es aus einerKombination von zwei unterschiedlichenBanktypen besteht: Auf der einen Seitestehen die vielen Geschäftsbanken (imFolgenden Banken genannt), deren ur-sprüngliches Kerngeschäft es ist, Sparein-lagen hereinzunehmen und Kredite zuvergeben. Auf der anderen Seite steht je-

weils eine staatliche2 Zentral- oder auchNotenbank, die das jeweilige gesetzlicheZahlungsmittel – das Zentralbankgeld –erzeugt, in Umlauf bringt und gleichzei-tig als Kreditgeberin der letzten Instanzfür die Geschäftsbanken fungiert. DiesesZweistufensystem bildet seit rund hun-dert Jahren den internationalen Standardin Industriestaaten.

2.1. WAS MACHEN BANKEN?liegt darin, kurzfristige Einlagen inlangfristige Kredite zu transformieren.

Risikotransformation: Gäbe es keineBanken, müssten Sparende sich jeweilsselbst einen Schuldner suchen, der be-reit ist, einen Kredit aufzunehmen undmit Zinsen zurückzuzahlen. Der Sparerals Gläubiger wäre damit dem vollenRisiko einer Zahlungsunfähigkeit desKreditnehmers ausgesetzt und würdeentsprechend hohe Zinsen verlangen.Wird dagegen eine Bank als Vermitt-lerin mit vielen verschiedenen Sparernund Kreditnehmern dazwischenge-schaltet, verteilt sich das Risiko einerInsolvenz auf sehr viele Gläubiger undwird damit kalkulierbarer. Durch dasgeringere Risiko sinkt auch der Zins,den die Gläubiger fordern und dieKreditnehmer zahlen müssen.

2 Im engen juristischen Sinne ist die amerikanische Zentralbank Fed nicht im Besitz des Staates, sondern im Besitz privaterBanken. In der wirtschaftspolitischen Praxis kann sie aber dennoch als eine staatliche Institution angesehen werden.

Das zweistufige Bankensystem aus Zentralbank und Banken

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Losgrößentransformation: OhneBanken müsste sich ein Kreditnehmereinen Gläubiger suchen, der exakt dieSumme Geld anlegen möchte, die erbenötigt. Banken sorgen hier dafür,dass viele kleine Einlagen in großeKredite transferiert werden können.

Weil die Fristentransformation für eineBank immer das Risiko beinhaltet,illiquide zu werden, wenn plötzlich vielkurzfristig angelegtes Geld abgezogenwird, ist eine Zentralbank als Kreditgebe-rin der letzten Instanz notwendig. Siekann die durch die Fristentransformationgesunkene Liquidität wiederherstellen,indem sie die langfristigen Forderungender Banken gegenüber ihren Kreditneh-mern aufkauft und mit neu geschaffenemund hoch liquidem Zentralbankgeld be-zahlt.

Banken als Geldschöpfer

Neben der Vermeidung einer Zahlungs-unfähigkeit aufgrund der Fristentransfor-mation gibt es einen weiteren wichtigenGrund, warum Banken eine Zentralbankbenötigen, bei der sie sich im Zweifelimmer mit neuer Liquidität versorgenkönnen. Denn moderne Banken könnendurch die Clearingfunktionen des Ban-kensystems, das alle gegenseitigen Forde-rungen saldiert, weit mehr Kredite ver-geben, als sie selber an Einlagen haben.Dieser Prozess der multiplen Geldschöp-fung ist möglich, weil dem Bankensys-tem als Ganzes kein Geld verloren geht,wenn ein Kreditnehmer das ausgelieheneGeld, z. B. zum Zahlen von Rechnungen,auf ein anderes Bankkonto überweist.Banken können das bei ihnen angelegteGeld mehrfach verleihen, weil sie davonausgehen können, dass ein ausbezahlterKredit in Form neuer Einlagen wieder ansie zurückfließt. Hat eine Bank nach

Ende des Clearingprozesses aller Trans-aktionen dennoch weniger Einlagen er-halten als Kredite verliehen, kann siedieses Defizit ausgleichen, indem siesich am Geldmarkt von den BankenGeld leiht, die einen Einlagenüberschussaufweisen, oder indem sie sich direkt beider Zentralbank refinanziert.

Tatsächlich schaffen die Banken bei derGeldschöpfung durch Kreditvergabe aberkein echtes Geld im Sinne des gesetz-lichen Zahlungsmittels – das kann nurdie Zentralbank –, sondern nur soge-nanntes Buch- oder Giralgeld. Für einzel-ne Bankkunden spielt dies keine Rolle,da sie dieses Buchgeld für alle Zahlungs-vorgänge nutzen und bei Bedarf jederzeitin Bargeld umtauschen können. Sobaldsich aber ein Bankkunde den gewährtenKredit in Bargeld auszahlen lässt undnicht unmittelbar auf ein anderes Bank-konto einzahlt, benötigen die Bankenechtes Zentralbankgeld, um den Bar-abfluss auszugleichen. Ebenfalls benöti-gen die Banken echtes Zentralbankgeld,um die von der Zentralbank gefordertenMindestreserveverpflichtungen auf Bank-einlagen zu erfüllen. Diese Reservever-pflichtung beträgt im Euroraum derzeitaber nur ein Prozent für die Einlagen,die Sparer bei ihrer Bank halten.

Die Zentralbank als„Lender of Last Resort“

Die Rolle der Zentralbank als Refinan-zierungsinstanz erhält außerdem eine be-sondere Bedeutung, wenn sich Banken ineiner Finanzkrise gegenseitig misstrauenund untereinander kein Geld mehr lei-hen. Durch den dann ausgetrocknetenGeldmarkt sind plötzlich auch eigentlichgesunde Banken von Zahlungsunfähig-keit bedroht. Die einzige Quelle fürdringend benötigte Liquidität ist dann

Zentralbanken garan-tieren die permanenteLiquidität der Banken

Nur das Bankensystemals Ganzes kann einemultiple Geldschöpfungbetreiben

Buchgeld undZentralbankgeld

Das zweistufige Bankensystem aus Zentralbank und Banken

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die Zentralbank. Dies ist gemeint, wennvon der Zentralbank als Kreditgeberinder letzten Instanz (Lender of LastResort) gesprochen wird.

Solange die Banken darauf vertrauenkönnen, dass eine Refinanzierung bei derZentralbank mit der von ihnen benötig-ten Menge an „echtem“ Zentralbankgeldjederzeit möglich ist, brauchen sie ihreKreditvergabepraxis nicht von neuen Ein-lagen abhängig zu machen. Sie könnenKredite vergeben und sich später um dieRefinanzierung kümmern.

Geldschöpfung in der Praxis

Entgegen der in den meisten Lehrbü-chern verbreiteten Darstellung, dass Ban-ken erst genügend Spareinlagen erhaltenmüssten, damit sie neue Kredite verge-ben könnten, verläuft die Kausalität inder Praxis regelmäßig andersherum. DieBanken nutzen einfach ihre Geldschöp-fungsmöglichkeiten zur Vergabe neuerKredite und schaffen damit gleichzeitigneue Einlagen.

Die Grundlage für neue Kredite wirddaher nicht durch die vorhandenen Ein-lagen geschaffen, sondern die neuen Kre-dite schaffen die neuen Einlagen, diewiederum für eine weitere Kreditvergabegenutzt werden können. Auch die er-

wähnten Mindestreserveverpflichtungenund der Bargeldabfluss können dieseKreditvervielfältigung3 nicht nachhaltigbremsen, da sich Banken in der Praxisdie zur Refinanzierung ihrer Kreditverga-be benötigte Menge Zentralbankgeldauch im Nachhinein besorgen können.Die einzig wirksame Begrenzung derKredit- und der damit einhergehendenGeldschöpfung liegt in der Begrenztheitder Kreditnachfrage. Denn keine Bankkann einen Kredit vergeben, wenn sieniemanden findet, der bereit ist, sichzum gegebenen Zinssatz zu verschulden.Damit wird die Höhe der Geldschöpfungletztlich (endogen) durch dieFinanzierungsbedürfnisse der Wirtschaftbestimmt und nicht (exogen) von derZentralbank gesetzt.4

Problematisch wurde diese Praxis jedoch,seitdem immer weniger die Finanzierungvon realen Investitionen und immermehr die Finanzierung von rein virtuel-len Geschäften im deregulierten Finanz-sektor in den Vordergrund gerückt ist. Sokann die Kreditnachfrage losgelöst vonder Entwicklung der realen Wirtschaftimmer weiter wachsen. Das wiegt umsoschwerer, da auch bankrechtliche Kredit-expansionsbremsen wie Eigenkapitalvor-schriften ihre Funktion angesichts derFolgen der Deregulierung insgesamtkaum noch ausfüllen können.

Nicht neue Einlagenschaffen neue Kredite,sondern neue Krediteschaffen neue Einlagen

Folge der Deregulie-rung: Kreditnachfragewächst losgelöst von derrealen Wirtschaft

3 In der traditionellen Geldtheorie wird dieser Zusammenhang im Konzept des Geldmultiplikators beschrieben. Er zeigt inmathematischer Form die möglichen Kombinationen aus Zentralbankgeld (Geldbasis), der von den Banken geschaffenenGeldmenge (M1), dem Bargeldabfluss und dem gegebenen Mindestreservesatz auf. Entgegen der traditionellen Lehrbuch-meinung, die diesen Zusammenhang so interpretiert, dass die Kausalität von der Erhöhung der Zentralbankgeldmenge zurGeldmenge M1 verläuft, kann in der Praxis von einer entgegengesetzten Kausalität ausgegangen werden.

4 Zur Ehrenrettung der Wirtschaftswissenschaft ist jedoch anzumerken, dass es in der ökonomischen Literatur auch eine(postkeynesianische) Tradition gibt, die erkannt hat, dass sich die Geldmenge „endogen“ aus dem Wirtschaftsprozess herausergibt, und die die Geldtheorie auf Grundlage dieser Realitäten weiterentwickelt hat. Die Bank von England verweist in ihremaktuellen Bericht exemplarisch auf Moore (1988), Howells (1995) und Palley (1996). Vgl. Bank of England, a. a. O., S. 15.Auch in traditionellen Geldtheorie-Lehrbüchern wird die Endogenität der Geldmenge inzwischen eingestanden. Vgl. z. B.Issing, Otmar; Einführung in die Geldtheorie, München, 2011, S. 80. Die daraus entstehende Notwendigkeit einer weitge-henden Neuformulierung der Geldtheorie wird aber nicht einmal im Ansatz versucht. Vielmehr wird der alte geldtheoretischeKanon einfach weiter reproduziert.

Das zweistufige Bankensystem aus Zentralbank und Banken 5

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Dass es Banken möglich ist, selber Geld zu schaffen,wurde zuletzt immer wieder kritisiert und vielfach als we-sentliche Ursache für die Finanzkrise bewertet. Die Kritikernahmen den Vorschlag des „100-Prozent-Geldes“ ausden dreißiger Jahren wieder auf und entwickelten aufdessen Basis neue Geldreformvorschläge (z. B. Vollgeld),in denen Banken ihre Geldschöpfungsfähigkeit genom-men wird. Hier gilt es jedoch zu differenzieren. Unter denBedingungen eines vernünftig regulierten Finanzsektorsist die Geldschöpfungsfähigkeit der Banken ein wichtigerStabilisator des Wirtschaftssystems, weil es einen realwirt-schaftlich begründeten Kreditbedarf auch ohne vorher-gehende Spareinlagen finanzieren kann. Ebenso könnenmit Liquiditätsmangel einhergehende Wirtschaftskrisen sodeutlich leichter beherrscht werden. Zu einem ernstenProblem wurde die Geldschöpfungsfähigkeit der Bankenerst, als sich mit der fortschreitenden Deregulierung im-mer mehr Kreditnachfrage und Kreditvergabe auf reinfinanzielle Geschäftsfelder richtete: Statt neue, reale In-vestitionen zu finanzieren, wurden die neu geschaffenenKredite zunehmend für Käufe bestehender Vermögens-werte verwendet. Die daraus resultierenden Preisblasen,denen keine realen Gegenwerte gegenüberstanden,waren letztlich die Hauptursache für die Finanzkrise.

Grund der Krise war daher nicht die prinzipielle Fähigkeitder Banken, selbst Geld zu schöpfen, sondern derenMöglichkeit, Kredite für hoch spekulative Investments zuvergeben, das Risiko mittels Verbriefung weiterzureichenund dennoch lukrative Provisionen und Gebühren zukassieren. Die Kreditnachfrage – als eigentlicher Motorder Geldschöpfung – für diese Geschäftsmodelle wurdenun hemmungslos bedient. Sobald diese aus der Dere-gulierung der letzten drei Jahrzehnte entstandenen Motivefür eine Kreditnachfrage durch entsprechende Re-Regu-lierung auf ein vernünftiges, beherrschbares Maß zurück-geführt werden, geht auch von den Geldschöpfungs-fähigkeiten der Banken keine grundsätzliche Gefahr fürdie Stabilität des Finanzsystems mehr aus. Denn die Fä-higkeit der Banken, mit selbst geschöpftem Geld Kreditezu vergeben, wird letztlich immer durch die Nachfragenach Kredit begrenzt. Keine Bank kann ihre Kreditver-gabe für rein virtuelle Finanzgeschäfte ausdehnen, wenn

diese Geschäftsmodelle durch eine entsprechende Re-Regulierung der Finanzmärkte unterbunden sind und dieKreditnachfrage dafür entfällt. Die Kreditvergabemöglich-keiten konzentrieren sich dann wieder auf die Kreditnach-frage der realen Wirtschaft. Das Finanzsystem wäre dem-nach auch ohne die Umsetzung einer Vollgeldreformwieder stabilisiert, obwohl die Banken ihre prinzipiellenGeldschöpfungsmöglichkeiten behalten.

Ohne eine wirksame Re-Regulierung, die zu einer gerin-geren Kreditnachfrage für virtuelle Finanzgeschäfte führt,wäre auch eine gelungene Vollgeldreform nicht in derLage, das Geldsystem zu stabilisieren. Denn jetzt würdedie aus der Vollgeldreform resultierende Begrenzung derKreditvergabefähigkeit zu einer Kreditklemme für die realeWirtschaft führen, da unterstellt werden kann, dass vonden Banken nun zuerst die lukrative Kreditnachfrage fürspekulative Finanzgeschäfte bedient würde. Um dieserKreditklemme zu entgehen, müsste dann doch eine weite-re Refinanzierung von Banken bei der Zentralbank zuge-lassen werden. Der Aufwand einer Vollgeldreform wäreumsonst.

In einem anderen Kritikpunkt an den Geldschöpfungs-fähigkeiten der Banken ist den Vollgeld-Ansätzen aberzuzustimmen: Das historische Anrecht des Staates aufden Gewinn, der bei der Geldschöpfung anfällt (Seignio-rage), sollte wieder in möglichst voller Höhe dem Parla-ment zur Verfügung stehen. In der aktuellen Situation fälltder größte Teil dieses Gewinns bei den privaten Bankenan. Das ist besonders absurd, wenn Banken dem StaatGeld leihen, das sie durch ihre Kreditschöpfungsfähigkeitselbst geschaffen haben, und dieses wiederum bei derstaatlichen Zentralbank refinanzieren. Der öffentlicheSchuldendienst wird damit erheblich verteuert, weil derStaat nun den Zinsaufschlag der Banken zahlen muss.Hier wird der Bankensektor mit Steuergeld subventioniert.Sinnvoller wäre es, wenn die öffentliche Hand einen –institutionell gedeckelten – Teil ihrer Kredite direkt bei deröffentlichen Zentralbank aufnehmen könnte, anstatt aufden teuren Umweg über den privaten Bankensektor an-gewiesen zu sein (siehe dazu Kap. 5: Anmerkungen zumfiskalischen Transmissionskanal).

ZUR KRITIK AN DEN GELDSCHÖPFUNGSMÖGLICHKEITEN DER BANKEN

Das zweistufige Bankensystem aus Zentralbank und Banken

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2.1. WAS MACHEN ZENTRALBANKEN?

Zentralbanken produ-zieren das gesetzlicheZahlungsmittel

Grenzen der Zinspolitik

Die Hauptaufgaben von Zentralbankenliegen in der Bereitstellung der jeweilsheimischen Währung als gesetzlichesZahlungsmittel und in der Sicherstellungder ausreichenden Versorgung der Wirt-schaft mit Liquidität und Kredit. Sie ge-währleisten dies, indem sie es Bankenermöglichen, ihre Kreditvergabe zueinem festgelegten Zinssatz zu refinan-zieren. Gleichzeitig versuchen Zentral-banken durch die Festlegung des Leitzin-ses Einfluss auf die Konjunktur und dieInflationsrate zu nehmen. So wählen sieeinen höheren Zins, um die Konjunkturzu dämpfen und Inflation vorzubeugenund einen niedrigeren, wenn die Kon-junktur belebt werden muss. Im Normal-fall bestimmen Zentralbanken nur denZinssatz am Geldmarkt, auf dem sichBanken untereinander Geld zu sehr kur-zen Laufzeiten leihen. Indirekt versuchensie damit allerdings, auch die langfris-tigen Zinssätze zu beeinflussen. Gelingtdies nicht, können sie jedoch jederzeitdurch Käufe von entsprechenden Wert-papieren direkt auf die Zinssätze mitlängerfristigen Laufzeiten einwirken.

Die Beeinflussung der Konjunktur unddamit der Inflationsrate mittels derSteuerung der Zinssätze ist eine schwie-rige Aufgabe, weil sie nur sehr indirektdurchführbar ist. Während eine deutlicheZinserhöhung in der Regel schnell zu ei-nem Rückgang der Wachstumsrate führtund so mittelfristig auf einen Rückgangder Inflationsrate hinwirkt, ist eine Kon-junkturbelebung durch eine Zinssenkungschon deutlich schwerer zu erzielen. EineZinssenkung kann nur dann erfolgreicheine Belebung der Konjunktur bewirken,wenn neben der verbilligten Finanzie-rung der Investition auch tatsächlich eine

neue Nachfrage für die neu produziertenGüter und Dienstleistungen erwartetwird. Fehlt die Erwartung einer steigen-den Nachfrage, wird auch eine deutlicheZinssenkung keine Konjunkturbelebungbewirken können. Reine Geldpolitik imSinne einer Zinssenkung funktioniertdann nicht mehr.

Dennoch ist die Fähigkeit, den Zinssatzam Geldmarkt zu bestimmen, für eineZentralbank von entscheidender Bedeutung,da diese in normalen Zeiten ihr Haupt-werkzeug zur Durchführung der Geld-politik darstellt. Da Banken aber auchan benötigtes Zentralbankgeld gelangenkönnen, indem sie es am Geldmarkt vonanderen Banken leihen, die über einenÜberschuss an Zentralbankgeld verfügenund dies am Geldmarkt anbieten, kanndie Zinssetzungsfähigkeit der Zentral-bank beeinträchtigt werden. Daher musseine Zentralbank wirksame Vorkehrungentreffen, damit der von ihr bestimmteZinssatz auch zu Geltung kommt.

Die Steuerung des Zinssatzesim Zinskorridor

Um den gewählten Zinssatz am Geld-markt durchzusetzen, bilden Zentralban-ken einen Zinskorridor, dessen Ober-und Untergrenzen normalerweise nichtdurchbrochen werden. Um die obereGrenze des Korridors zu sichern, legenZentralbanken einen Spitzenrefinanzie-rungssatz fest. Zu diesem Satz könnenBanken sich bei ihr jederzeit mit Geldversorgen. Ein höherer Zinssatz wird da-her am Geldmarkt nicht zu erzielen sein,da eine leihende Bank dann einen höhe-ren Zinssatz zahlen würde als wenn siedirekt bei der Zentralbank leiht. Die

Das zweistufige Bankensystem aus Zentralbank und Banken

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Die Zentralbankbestimmt den Zinssatzam Geldmarkt

untere Grenze des Zinskorridors definie-ren Zentralbanken durch den Einlage-zinssatz. Ihn erhalten Banken, wenn sieüberschüssiges Geld bei der Zentralbankhalten, anstatt es am Geldmarkt an ande-re Banken zu verleihen. Somit wird derZinssatz am Geldmarkt nicht unter denEinlagezinssatz fallen. Der Hauptteil der

Das zweistufige Bankensystem aus Zentralbank und Banken

Grafik 1: Der Geldmarktzins im Zinskorridor

Gelder, die eine Zentralbank an dieBanken ausleiht, wird aber im Normal-fall zum sogenannten Leitzinssatz ausge-liehen, der sich in der Mitte zwischenden beiden Grenzzinssätzen bewegt.5

Bei der EZB ist dies der Hauptrefinan-zierungssatz und bei der Fed die FederalFunds Rate.

5 Vgl. Issing, Otmar; a. a. O., S. 76 f.

Grafik 1 zeigt einen typischen Verlauf des Geldmarktzinses innerhalb des Zins-korridors und die Anpassung seiner Schwankungen um den Leitzins nach dessenErhöhung um 50 Basispunkte.

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Zinssteuerung stattGeldmengensteuerung

Hat eine Zentralbank den Leitzinssatzfestgesetzt und will diesen am Geld-markt durchsetzen, verliert sie jedoch dieMöglichkeit, gleichzeitig einen Anstiegder Geldmenge, der aus einer zusätzli-chen Kreditvergabe der Banken resultiert,zu begrenzen. Denn sobald der Zinssatzam Geldmarkt die obere Korridorgrenzezu durchbrechen drohen würde, müsstedie Zentralbank den Banken mehr Geldzu einem Zinssatz innerhalb der Korri-dorgrenze bereitstellen. Der Versuch, denAnstieg der Geldmenge zu begrenzen,wäre so zum Scheitern verurteilt. Da denBanken diese Tatsache bewusst ist, kön-nen sie jede Kreditnachfrage (einschließ-lich der Kreditnachfrage für rein virtuelleFinanzgeschäfte) voll bedienen, ohnesich Sorgen um eine ausreichende Refi-nanzierung bei der Zentralbank machenzu müssen. Denn würde die Zentralbankdie Refinanzierung verweigern, würdedies zu einem volatilen Anstieg desGeldmarktzinssatzes über die obereGrenze des Zinskorridors hinaus führen.Die Zentralbank hätte somit die Kontrol-le über die Zinssätze und damit ihr geld-politisches Hauptwerkzeug verloren. DasWachstum der Geldmenge wird so fak-tisch von den Finanzierungsnotwendig-keiten und Wünschen des Bankensektorsbestimmt und nicht von der Zentralbank.

Diese Tatsache steht im Widerspruch zuder weitverbreiteten Meinung, die Zent-ralbank steuere die Geldmenge und da-rüber die Inflation. Beides ist falsch. Denletzten Versuch einer Zentralbank, tat-sächlich die Geldmenge zu kontrollieren,unternahm die Fed im sogenannten mo-netaristischen Experiment (1979–1982).Weil es aber – unter gravierenden Aus-schlägen – zu einem erheblichen Anstieg

des Zinsniveaus kam, was zu einerschweren Rezession führte, konnte dieFed ihr Ziel, eine konstante Geldmengen-entwicklung zu etablieren, nicht umset-zen und musste den Versuch letztlichaufgeben. Auch die Deutsche Bundes-bank hatte sich ab 1975 Geldmengen-ziele gesetzt. Aufgrund der Unmöglich-keit, bei festgelegtem Zinssatz die Geld-menge unter Kontrolle zu halten, nahmauch die Bundesbank lieber die Verlet-zung ihrer selbst gesetzten – und offen-siv kommunizierten – Geldmengenzielein Kauf, als durch eine erratische Zins-entwicklung die Konjunktur zu destabi-lisieren.

Heute haben Zentralbanken sich von derIdee der Geldmengensteuerung verab-schiedet. In der Regel betreiben sie nunein sogenanntes „Inflation Targeting“.Hier versuchen sie, durch Anheben bzw.Senken der Leitzinsen einen dämpfendenbzw. fördernden Einfluss auf die Kon-junktur zu nehmen und so indirekt einenEinfluss auf die Inflationsrate auszu-üben. Ob man bei dem eher weichenZusammenhang von Konjunktur und In-flationsrate noch von Inflationssteuerungsprechen kann, ist fraglich. Dennoch istder Ansatz, die Inflation durch die Ver-hinderung eines zu starken Wachstumsunter Kontrolle zu halten, wesentlichnäher an den ökonomischen Realitätenals die Behauptung, die Inflation würdedurch eine Kontrolle der Geldmengen-entwicklung gesteuert.

Bestimmt die Zentral-bank den Zinssatz,ist eine Geldmengen-steuerung unmöglich

Zentralbanken habensich von der Behauptungverabschiedet, siewürden die Inflationüber die Bestimmung derGeldmenge kontrollieren

Das zweistufige Bankensystem aus Zentralbank und Banken

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Mit dem impliziten Eingeständnis derZentralbanken, dass sie nicht in der Lagesind, die Geldmenge zu steuern – unddass sie die Inflation stattdessen durchein Anheben der Refinanzierungssätzebekämpfen, um die Konjunktur zudämpfen und am Ende die Arbeitslosig-keit zu erhöhen – wird eine neue Erklä-rung für Inflation notwendig. Die popu-läre Theorie, dass eine steigende Geld-

3. WAS FÜHRT ZU INFLATIONUND WIE WIRD SIE BEKÄMPFT?

menge ursächlich für einen Anstieg derInflation verantwortlich ist, ist nicht auf-rechtzuerhalten, wenn sich die Geldmen-ge erst als Folge der Finanzierungsbe-dürfnisse der realen Wirtschaft und desFinanzsektors ergibt. Tatsächlich ist auchempirisch leicht zu zeigen, dass die oftunterstellte enge Verbindung von Geld-mengenwachstum und Inflationsratenicht existiert.

Geldmenge ist nicht fürInflation verantwortlich

Was führt zu Inflation und wie wird sie bekämpft?

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DIE ENTWICKLUNG DER GELDMENGEN,DES KREDITVOLUMENS UND DER INFLATIONSRATE

Was führt zu Inflation und wie wird sie bekämpft?

6 Die Geldmenge M1 wird regelmäßig als Bargeldumlauf, zuzüglich der als Sichteinlagen (Girokonten) gehaltenen Gelder,definiert. Bei den weiter gefassten Geldmengendefinitionen M2 und M3 sind die Abgrenzungen in den einzelnen Währungs-gebieten dagegen leicht unterschiedlich. Die EZB definiert M3 als Summe aus M1 und M2 (Spareinlagen und Termineinlagenmit einer Laufzeit bis zwei Jahren) plus weiterer marktfähiger Finanzinstrumente wie Repogeschäften und Geldmarktfonds-anteilen. Der Unterschied zwischen M2 und M3 ist jedoch gering.

Nach gängiger Überzeugung hätten die hohen Wachstumsraten der Geldmengen6

längst zu einer Inflation deutlich über zwei Prozent führen müssen. Sowohl die Geld-menge M1 als auch die Geldmengen M3 lagen deutlich höher als das Wachstumdes nominalen Bruttoinlandprodukts (reales BIP plus Inflationsrate). Da sich die un-terschiedlichen Geldmengen (hier nur M1 und M3) zudem so deutlich unterschied-lich entwickelt haben, verliert die These, „die Geldmenge“ (Singular) sei für dieHöhe der Inflation ausschlaggebend, weiter an Erklärungsgehalt. Die gern verbreite-te Aussage, die Zentralbanken würden die Inflationsrate über die Geldmenge steu-ern, kann so auch empirisch als widerlegt gelten. Der Grund für die hohe Geld-nachfrage, die auch zu einer überproportionalen Zunahme der Kreditentwicklunggeführt hat, ist der hohe Finanzierungsbedarf vieler spekulativer Investments.Gekauft wurden überwiegend bereits bestehende Vermögenswerte (z. B. Immobilien,Aktien), was dann zu einem Preisanstieg dieser Vermögenswerte geführt hat. DieEntkopplung von realer Wirtschaft und Geldmenge ist durch die Tatsache erklärbar,dass in einem deregulierten Finanzsystem die Geldmenge weitgehend von denFinanzierungswünschen des Finanzsystems bestimmt wird.

Grafik 2: Geldmengenwachstum und Inflation in der Eurozone

(Quelle: EZB, Monatsberichte)

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12 Was führt zu Inflation und wie wird sie bekämpft?

Grund für eine höhere Inflationsrateist nicht einfach der Anstieg einer odermehrerer Geldmengen, sondern eineKombination aus steigenden Kosten,hoher Nachfrage und geringerem Wett-bewerbsdruck. Dies führt zu hohen Preis-überwälzungsmöglichkeiten seitens derUnternehmen und zu Löhnen, die schnel-ler steigen als die Arbeitsproduktivität.Das heißt, wenn Zentralbanken mit denihnen zur Verfügung stehenden Mittelndie Inflation bekämpfen wollen, müssensie durch Zinserhöhungen die allgemei-nen Finanzierungsbedingungen so sehrverteuern, dass die Nachfrage nach Inves-titions- und Konsumgütern zurückgeht.Mit der dann ansteigenden Arbeitslosig-keit wird einem Lohnanstieg entgegenge-wirkt und die Kostensituation der Unter-nehmen verbessert, während gleichzeitig– aufgrund der sinkenden Nachfrage –ihre Preiserhöhungsspielräume sinken.Da auch Zentralbanken nur ungern zu-geben, dass sie am Ende primär über die

Schaffung von Arbeitslosigkeit die In-flation bekämpfen, war die Behauptung,man steuere die Inflation über die Ent-wicklung der Geldmenge, immer sehrbequem.

Dass die Verteuerung der Finanzierungs-bedingungen durch eine Zinsanhebungauch zu einem Rückgang der Kreditnach-frage und damit zu einem geringeren An-stieg der Geldmenge führt, liegt auf derHand. Der Rückgang der Nachfrage nachGeld und Kredit ergibt sich aber erst ausden gesunkenen Finanzierungsbedürfnis-sen und nicht, wie oft behauptet, aus einervon der Zentralbank verringerten Geld-menge. Ausnahmen von der oben skiz-zierten Normalsituation der Inflations-entstehung sind Extrembeispiele vonHyperinflationen wie in der WeimarerRepublik 1922/23 oder z. B. in Simbab-we. Beide können aufgrund zahlreicherhistorischer und politischer Sonderein-flüsse nicht als Beispiele für eine nor-male Geldpolitik gelten.

Mangelnder Wettbe-werb, steigende Kostenund dauerhafte Über-nachfrage führen zuInflation

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13Was führt zu Inflation und wie wird sie bekämpft?

Der ursächliche Kern der großen Inflation von 1918 bis1923 lag in dem durch jahrelange Kriegsfinanzierungzerrütteten Staatshaushalt und in der Rückführung derKonsumgüterproduktion zugunsten der Rüstung. Einerkonstanten Nachfrage stand so ein immer kleineres An-gebot an Konsumgütern gegenüber. Der entscheidendeGrund für die Hyperinflation von 1922/23 war aber, dasssich die Banken zu einem Zinssatz bei der (seit Mai 1922unabhängigen) Reichsbank refinanzieren konnten, derdramatisch unter der Inflationsrate lag. Noch im August1923 betrug der Diskontsatz der Reichsbank lediglich30 Prozent. Während die tatsächliche Entwertungsratebereits im vielfachen Millionenbereich lag, wurde er erstzum Ende der Hyperinflation auf 90 Prozent angehoben.Bei diesen Zinssätzen konnten alle Kreditnehmer sichersein, schon nach sehr kurzer Zeit faktisch schuldenfrei zusein. Entsprechend groß war die Kreditnachfrage, die so-fort für den Erwerb von werthaltigen Gütern eingesetztwurde, wodurch die Preise immer schneller stiegen.7

Will der Staat im Verlauf solch galoppierender Preisan-stiege zumindest die elementaren Staatsfunktionen auf-rechterhalten, hat er kaum eine andere Wahl, als dieAnpassung der Löhne seiner Beschäftigten an die stei-genden Preise ebenfalls über die Notenpresse derReichsbank zu finanzieren. Somit war die Staatsfinan-zierung über die Notenbank am Ende mehr die Folgeder Inflation als ihre Ursache. Ob die Reichsbank ihreinflationstreibende Zinspolitik aus Unverständnis der Zu-sammenhänge oder mit Kalkül betrieb, oder ob sie vonpolitischen Sachzwängen wie dem Ruhrkampf getriebenwurde, muss hier nicht geklärt werden. Entscheidend ist,

dass die Ursache für die Hyperinflation eine komplexehistorische Ausnahmesituation mit einer überfordertenReichsbank war und nicht die Tatsache, dass sich einStaat in kontrolliertem Umfang bei seiner Zentralbankverschuldet. Die beiden IWF-Ökonomen Benes undKumhof haben dies in einem kürzlich erschienenenArbeitspapier so zusammengefasst:

„This episode can therefore clearly not be blamed onexcessive money printing by a government-run centralbank, but rather on a combination of excessive repara-tions claims and of massive money creation by privatespeculators.“ (Benes, Jaromir; Kumhof, Michael; IMFWorking Paper, WP/12/202, S. 16)

Ein anderes Beispiel für den unsachgemäßen Gebrauchder Geldschöpfungsfähigkeit der eigenen Zentralbankliefert Simbabwe. Hier wurden die öffentlichen Ausgabenüber einen langen Zeitraum überwiegend durch Geld-schöpfung anstatt mit Steuereinnahmen finanziert und soeine Nachfrage ermöglicht, die die ökonomische Leis-tungsfähigkeit der simbabwischen Wirtschaft klar über-stieg. Auf jede Preissteigerung wurde seitens der Regie-rung mit dem Drucken von noch mehr Geld reagiert.Dass so ein Missbrauch zu einer nicht mehr kontrollier-baren Inflation führen muss, wenn er über einen längerenZeitraum praktiziert wird, ist nicht zu bestreiten. Solangedagegen neues Geld in Einklang mit den vorhandenenProduktionsmöglichkeiten geschaffen wird und eineDeckelung der zusätzlichen Geldschöpfung institutionellgewährleistet ist, kann es zu solchen inflationären Ent-wicklungen nicht kommen.

WANN KANN EINE HYPERINFLATION ENTSTEHEN?

7 Vgl. Stolper, Gustav; Häuser, Karl; Borchardt, Knut; Deutsche Wirtschaft seit 1870, Tübingen, 1966, S. 101 f.

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14 Waren die Zentralbanken schuld an der Finanzkrise?

4. WAREN DIE ZENTRALBANKENSCHULD AN DER FINANZKRISE?

Man kann die Bildungeiner Spekulationsblasenicht durch die Erhö-hung des Leitzinesverhindern, ohne dieKonjunktur abzuwürgen

Bei der Ursachenanalyse der Finanzkrisewird auch den Zentralbanken immerwieder eine Mitschuld gegeben, weil sie– so der Vorwurf – die Märkte mit Geldüberschwemmt und damit die Vermö-genspreisblasen erst möglich gemachthätten. Tatsächlich war die Geldpolitikder meisten Zentralbanken nach demPlatzen der Dotcom-Blase (2001) undder daraus resultierenden Rezessionexpansiv, da sie mit einer Niedrigzins-politik die Investitionsbedingungen fürdie reale Wirtschaft verbessern mussten.Und tatsächlich eröffnet ein niedrigesZinsniveau den Banken zumindest gra-duell mehr Möglichkeiten spekulativerKreditvergabe. Der ursächliche Impulszur verstärkten Geldschöpfung ging aberweniger von dem niedrigen Zinsniveauaus als von den hochlukrativen spekulati-ven Geschäftsmodellen der Banken, diedurch die Deregulierung der Finanzmärk-te möglich geworden waren. Auf dasAusmaß der neu geschaffenen Geldmen-ge hatten die Zentralbanken aber keinendirekten Einfluss, da sie bei einer Kon-trollierung des Zinssatzes – wie obengezeigt – die Geldmenge nicht steuernkönnen. Sie müssen (und können) nurdie Geldmenge herausgeben, die vonden Banken zum gesetzten Zinssatznachgefragt wird. Da also erst die vonden Banken geschaffenen zahllosen neu-en Geschäftsmodelle die zusätzlicheKreditnachfrage erzeugt haben, habendie Banken diese „Überschwemmung“der Märkte mit Geld selbst ausgelöst.

Leitzins untauglich zurFinanzmarktregulierung

Unter den gegenwärtigen Regulierungs-bedingungen hatten und haben die Zent-ralbanken kaum eine Möglichkeit zukontrollieren oder gar zu bestimmen, fürwelche konkreten Zwecke die Bankenihre Kredite vergeben. Wenn die ökono-mische Situation eine expansive Zentral-bankpolitik erfordert, können sie nur denLeitzins niedrig halten und hoffen, dassdaraus Kredite für reale Investitionenentstehen. Auch der Vorwurf, der Leitzinssei zu lange zu niedrig gewesen, führt indie Irre, denn für die reale Wirtschaft warer nicht zu niedrig. Einen Leitzins, dergleichzeitig niedrig genug ist, um dieKonjunktur zu stimulieren, und hoch ge-nug, um eine übermäßige, spekulativ be-gründete Kreditnachfrage zu begrenzen,kann es nicht geben, wenn der überwie-gende Teil der Kreditnachfrage in rendi-testarke Finanzinstrumente fließt. Hierwürde eine Anhebung des Leitzinsesdurch die Zentralbank die realen Inves-titionen bereits abwürgen, bevor eindämpfender Effekt auf die spekulativeKreditnachfrage einträte.

Finanzmärkte von derRealwirtschaft entkoppelt

Die Kernursache für die Finanzkrise wardaher nicht eine vermeintliche Geld-schwemme der Zentralbanken, sonderndie seit den 80er Jahren forcierte Deregu-lierung der Finanzmärkte, welche es den

Die Deregulierung derFinanzmärkte war dieKernursache für dieFinanzkrise

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Banken erlaubte, mit einer Vielzahl„innovativer Finanzprodukte“ neue Ge-schäftsmodelle zu eröffnen. Der Gewinnder Banken resultierte seitdem immermehr aus eigenen Handelsgeschäftensowie Gebühren und Provisionen fürFinanzdienstleistungen, die unabhängigvon der weiteren Wertentwicklung derneuen „Finanzprodukte“ entstehen.Damit sind die Bankgewinne auch weit-gehend von der Entwicklung der realenWirtschaft entkoppelt. Eine Zentralbank,deren eigentliche geldpolitische Aufgabedarin besteht, durch die Steuerung derFinanzierungsbedingungen einen Ein-fluss auf die reale Konjunktur zu neh-men, kann die Kreditnachfrage für solcheFinanzinstrumente nicht stoppen. Dazubedarf es einer weitgehenden Re-Regu-lierung des Finanzsektors, die die Anzahlder spekulativen Geschäftsmodelle derBanken auf die realwirtschaftlich be-

Waren die Zentralbanken schuld an der Finanzkrise?

Rein spekulativ begrün-dete Kreditnachfrage istnur durch eine konse-quente Re-Regulierungunter Kontrolle zubekommen

gründbaren beschränkt. Die Zentralban-ken sollten dabei eine wichtige Rollespielen. Verantwortlich für eine solcheneue Regulierung wären aber nicht dieZentralbanken, sondern die jeweils zu-ständigen Institutionen der Finanzauf-sicht und die Parlamente, die die gesetz-lichen Grundlagen dafür schaffen müssen.

Es ist sicher richtig, dass es auch seitensder Zentralbanken ein unterentwickeltesProblembewusstsein gab. Insbesonderedie zahllosen marktgläubigen Aussagendes ehemaligen Fed-Vorsitzenden Green-span haben dies erkennen lassen. Es istaber wenig wahrscheinlich, dass sich dieZentralbanken dem damaligen Diktumin Politik, Wissenschaft und Medien,nachdem allein der freie Markt der besteRegulator für den Finanzsektor sei, er-folgreich hätten entgegenstellen können,wenn sie es denn gewollt hätten.

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16 Die Zentralbank als Garantin einer souveränen Währung und eines souveränen Staates

5. DIE ZENTRALBANK ALSGARANTIN EINER SOUVERÄNENWÄHRUNG UND EINESSOUVERÄNEN STAATES

Eine Zentralbank ist dieGarantin der Risikolosig-keit von Staatsanleihenin eigener Währung

Eine Zentralbank kannin ihrer eigenen Wäh-rung niemals zahlungs-unfähig werden

Durch ihre Rolle als Produzentin desgesetzlichen Zahlungsmittels hat eineZentralbank aber noch weit mehr Aufga-ben zu erfüllen. Denn eine Zentralbankist nicht nur Kreditgeberin der letztenInstanz für die Banken, sondern auch fürden Staat, dessen Teil sie ist. Dies drücktsich darin aus, dass eine ZentralbankStaatsanleihen, die in eigener Währungausgegeben wurden, im Zweifel immerzurückkauft und damit die Risikolosig-keit der Staatsanleihe garantiert. Für diewährungspolitische Souveränität einesStaates ist dies unerlässlich. Nur dannkann ein Staat auch im wirtschaftspoliti-schen Notfall, unabhängig von den spe-kulativen Launen der Devisenhändlerund Rating-Agenturen, Anleihen in gro-ßer Zahl ausgeben, ohne dass der dafürzu entrichtende Zinssatz in die Höheschnellt und die weitere Refinanzierungunbezahlbar macht. Beste aktuelle Bei-spiele dafür sind Japan, die USA undGroßbritannien. Trotz sehr hoher Staats-verschuldung befindet sich der Zinssatzfür Staatsanleihen in diesen Ländern aufeinem sehr niedrigen Niveau. Möglichist dies nur, da alle Anleger von der ab-soluten Risikolosigkeit der Anleihen

überzeugt sind, weil sie wissen, dass einStaat mit eigener Zentralbank in eigenerWährung nie zahlungsunfähig werdenkann.

Eine Zentralbank braucht keinpositives Eigenkapital

Eine Zentralbank ist nicht mit einer nor-malen Bank gleichzusetzen (die sehrwohl bankrott gehen kann), weil sie alsProduzentin der eigenen Währung immerzahlungsfähig bleibt. Daher kann eineZentralbank als einzige ökonomischeEinheit einer Wirtschaft auch mit negati-vem Eigenkapital dauerhaft überleben.8

Dass eine Zentralbank überhaupt Eigen-kapital besitzt, ist eine bilanztechnischeFormsache, in der sich die juristischenEigentumsverhältnisse ausdrücken. Ängs-te, dass der Steuerzahler Eigenkapitalnachschießen müsste, falls sich von derZentralbank in ihrer Rolle als Kreditge-berin der letzten Instanz aufgekaufte Ver-mögenstitel als nicht werthaltig erweisen,sind daher unbegründet. Das Schlimms-te, was dem Steuerzahler passieren kann,ist, dass die Ausschüttung des Zentral-bankgewinns entfällt.

8 Thomas J. Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), hat den für viele überraschenden Sachverhalt, dasseine Zentralbank auch mit negativem Eigenkapital gut leben kann, ausführlich dargestellt: Vgl. Jordan, Thomas J.; Braucht dieschweizerische Nationalbank Eigenkapital?, Referat bei der Statistisch-Volkswirtschaftlichen Gesellschaft Basel, Basel, 28.September 2011. http://www.snb.ch/de/mmr/speeches/id/ref_20110928_tjn/source/ref_20110928_tjn.de.pdf

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Die Rolle der Zentralbankenin der Finanzkrise

Die Tatsache, dass eine Zentralbank (ineigener Währung) nie zahlungsunfähigwerden kann, erklärt ihre Fähigkeit, denBanken notleidende Kredite und Vermö-genstitel mit zweifelhafter Werthaltigkeitgegen neues Zentralbankgeld abkaufenzu können, ohne dabei selbst in Gefahrzu geraten. Damit sichert sie nicht nurdie Liquidität von in Schieflage gerate-nen Banken, sondern stabilisiert auch dieVermögenspreise, wenn diese ins Boden-lose abzustürzen drohen. Eine Zentral-bank ist in einer systemischen Finanz-krise somit nicht nur der Lender ofLast Resort, sondern auch die natürlicheBad Bank des Finanzsektors. Denn imGegensatz zu den öffentlichen Haushal-ten kann eine Zentralbank problemati-sche Wertpapiere aufkaufen und in Notgeratene Banken retten, ohne dass Steu-erzahlende dadurch belastet werden.

Sonderfall Eurozone

Der aktuell größte Unterschied zwischender Eurozone und anderen souveränenStaaten liegt in der noch nicht abschlie-ßend geklärten Frage, ob die EZB für dieam Eurosystem teilnehmenden Ländereine genauso vollwertige Zentralbankdarstellt wie z. B. die Fed für die USA.Die unklare Auslegung des EU-Vertrags,der einerseits die EZB mit der Aufgabeder Zentralbank betraut hat, andererseitsaber den Ankauf von Staatsanleihen

höchstens indirekt zulässt, hat hier einegefährliche Unsicherheit im Funktions-ablauf des Finanzsystems geschaffen. DieEZB ist erst dann vollständig souverän,wenn sie den Kauf von Staatsanleihenbeschließen kann, sobald sie es ausStabilitätsgründen für notwendig erach-tet. Erst dann ist auch die Dauerhaftig-keit des Euro als Währung gesichert.

Konjunkturbelebung überden Zinskanal

Zentralbanken üben ihre Geldpolitik aus,indem sie versuchen, über die Bestim-mung der Zinshöhe die Kreditnachfrageund damit die Konjunktur zu beeinflus-sen. In einer konjunkturellen Krise ste-hen sie damit aber vor der Schwierigkeit,dass eine Zinssenkung allein oft nichtausreicht, um kreditfinanzierte Investitio-nen anzuregen. Bei schwacher Nachfrageund entsprechend geringen Aussichten,die mit den Investitionen zusätzlich pro-duzierten Güter auch abzusetzen, wirddie Nachfrage nach Krediten für Wachs-tum schaffende reale Investitionen selbstbei sehr niedrigen Zinssätzen stagnieren.Der Zinskanal ist dann bei der Transmis-sion der geldpolitischen Impulse überfor-dert. Dies wird erst recht zum Problem,wenn die Konjunktur belebt werdenmuss, um eine drohende Deflation ab-zuwenden.

Konjunkturbelebung über denfiskalischen Transmissionskanal

Ein funktionierendes Instrument derKonjunkturbelebung kann jedoch dieSteigerung der öffentlichen Ausgabensein. Dafür muss es der Zentralbankmöglich sein, zusätzliche Investitionenin die Infrastruktur oder zur Steigerungder Kaufkraft der Bevölkerungsschichtenmit niedrigem Einkommen direkt (ohne

Auch die EZB muss einevollständig souveräneZentralbank werden

Bei zu schwachenAbsatzaussichten isteine Niedrigzinspolitikwirkungslos

Die Zentralbank als Garantin einer souveränen Währung und eines souveränen Staates 17

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Um einen fiskalischen Transmissionskanal zu implemen-tieren, bedarf es eines neuen Finanzierungswerkzeugs,das auf der Euroebene zu verankern ist. Die EZB mussdie Möglichkeit erhalten, genau definierte Anleihen desStaates aufzukaufen, mit denen dieser zusätzliche Infra-strukturinvestitionen und konjunkturbelebenden Konsumfinanziert. Der entscheidende Vorteil gegenüber der jetzi-gen Situation liegt darin, dass der Geldschöpfungsaktnun direkt zu neuen Investitionen und zu neuem Kon-sum führen würde, ohne auf eine neue geldschöpfendeKreditvergabe des Bankensektors angewiesen zu sein.Ein Teil der Anleihen sollte den Grundstock der ohnehinstattfindenden Geldschöpfung bilden und damit dauer-haft in die Bilanz der Zentralbank eingehen, ohnerückzahlungspflichtig zu sein. Ein weiterer Teil dieserAnleihen wäre so auszugestalten, dass sich ihre Laufzeitflexibel an den Bedürfnissen der Geldpolitik orientiertund eine Exit-Strategie beinhaltet. Das heißt, die Zentral-bank sollte grundsätzlich die Möglichkeit haben, vomStaat den Rückkauf dieser Anleihen zu verlangen, wenn

eine boomende Wirtschaft beginnt, inflationäre Tenden-zen zu zeigen. In einer solchen ökonomischen Situationkönnte der Staat diese Rückkäufe leicht durch konjunk-turdämpfende Steuer- oder Abgabenerhöhungen finan-zieren. So würde das ursprünglich in den Wirtschafts-prozess eingespeiste Geld wieder absorbiert und mitdem Nachfrageentzug gleichzeitig ein dämpfenderEinfluss auf die Inflationsrate ausgeübt. Die Bedingun-gen, wann eine Zentralbank in welchem Umfang Staats-anleihen kaufen kann und soll, wären in transparenterWeise ebenso festzulegen wie die Bedingungen, zu de-nen die Zentralbank den Rückkauf der Anleihen verlan-gen kann. Eine weitere Exit-Strategie, mit der Zentral-bankgeld stillgelegt werden kann, besteht in der einfa-chen Anhebung der Mindestreservesätze, die Banken beider Zentralbank vorhalten müssen. Diese beiden Exit-Strategien sollten ausreichen, um eine Geldschöpfungdurch den Kauf von staatlichen Anleihen auf geldpoliti-scher Ebene sicher zu beherrschen.

WIE WÜRDE DER FISKALISCHE TRANSMISSIONSKANAL FUNKTIONIEREN?

Umweg über die Kreditvergabe desBankensektors) zu finanzieren. So einedirekte Konjunktursteuerung soll eineZinspolitik nicht ersetzen, sondern ergän-zen. Die Wirkung der Kombination bei-der Maßnahmen wird eine deutlich effi-zientere Wirkung entfalten als die bisherpraktizierte alleinige Zinspolitik. Mit derBelebung der Nachfrage würden auch In-vestitionen in Sachkapital wieder loh-nender und die Kreditnachfrage würdeentsprechend steigen.

Der geldpolitische Unterschied liegtdarin, dass beim fiskalischen Transmis-sionskanal durch den Ankauf von staat-lichen Anleihen neues Zentralbankgeld

direkt in den Wirtschaftskreislauf einge-speist wird statt über den Umweg derKreditrefinanzierung von Banken bei derZentralbank. Das so eingespeiste Zent-ralbankgeld erhielten die Banken überden Wirtschaftskreislauf nun als neueKundeneinlagen. Sie müssten sich daherweniger bei der Zentralbank besorgen. Esist folglich davon auszugehen, dass Ban-ken ihre Refinanzierung bei der Zentral-bank zurückfahren. Die Zentralbankgeld-menge, die zunächst gestiegen ist, weildie Zentralbank dem Staat neues Geldzur Verfügung gestellt hat, indem er des-sen Anleihen kaufte, würde sich somitwieder verringern.

Die Zentralbank als Garantin einer souveränen Währung und eines souveränen Staates

Direkte Belebung derKonjunktur ohne denUmweg über denBankensektor

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Der Kauf von öffentlichen Anleihendurch die Zentralbank, wie er bei derUmsetzung eines fiskalischen Transmis-sionskanals immer notwendig ist, ent-spricht einer direkten Finanzierung deröffentlichen Haushalte durch die Zent-ralbank. Die aktuelle Version des EU-Vertrags lässt aber nur eine indirekteFinanzierung z. B. durch Käufe von An-leihen am Sekundärmarkt zu.9 Die Grün-de für das Verbot der direkten Haushalts-finanzierung liegen aber im Wesentli-chen in der irrigen Annahme der vorherr-schenden ökonomischen Theorie, dassjede Form einer Geldmengenerhöhung(welcher Geldmenge auch immer) aus-weglos zu Inflation führe. Ein zweiter,eher politischer Grund liegt in der domi-nanten Ideologie, die ein latentes Miss-trauen gegenüber der Massendemokratiehegt und folglich jeder Machterweiterungder Parlamente durch mehr finanziellenHandlungsspielraum kritisch gegenübersteht. Dass ein direkter Kauf von Staats-anleihen zur Finanzierung von realen In-vestitionen unmittelbar einen realen Ge-genwert zum neu geschaffenen Geld bil-det, wird von der herrschenden Theorienicht erkannt. Ebenso wird nicht erkannt,

dass erst die Möglichkeit der EZB, dieAnleihen ihrer Mitgliedsstaaten zu er-werben, den Euro zu einer vollwertigenWährung machen und ihn auf ein öko-nomisches Niveau mit dem US-Dollarbringen würde.

Keine Lizenz zumunbegrenzten Gelddrucken

Die Einführung eines fiskalischen Trans-missionskanals bedeutet keine Lizenzzum unbegrenzten Gelddrucken, sonderndie Wahrnehmung des historischen An-rechts des Staates auf den Geldschöp-fungsgewinn. Bei fachgerechter Anwen-dung mit einer Deckelung des jährlichmöglichen Betrags und seiner Kopplungan den Auslastungsgrad der Produktions-faktoren Arbeit und (Sach-)Kapital würdedie Nutzung eines fiskalischen Transmis-sionskanals die bestehende Hilflosigkeitbei der Konjunkturstimulierung über-winden. Der demokratische Staat erhieltedurch die erweiterten Handlungsmög-lichkeiten seiner Zentralbank zur Been-digung einer schweren Rezession ein ent-scheidendes Stück Souveränität zurück.

Verbot der monetärenStaatsfinanzierungletztlich nur ideologischbegründet

Die Zentralbank als Garantin einer souveränen Währung und eines souveränen Staates 19

9 Ein formaljuristischer Ausweg könnte darin liegen, bei den Anleihen-Transaktionen z. B. die Europäische Investitionsbank(EIB) als öffentliche Förderbank dazwischenzuschalten. Die Staatsverschuldung wäre somit indirekt und vertragskonform.

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LITERATUR

Dr. Matthias Kroll ist ein in Geldpolitik/Geldtheorie promovierter Volkswirt.Er unterrichtete Wirtschaftspolitik an der Universität Hamburg und ist Mitarbeiterdes World Future Council. Eine praktikable Re-Regulierung des Finanz- und Geld-systems ist einer seiner Forschungsschwerpunkte.

ZUM AUTOR

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Der World Future Council besteht aus 50 internatio-nalen Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Wirt-schaft und Kultur. Wir wollen unseren Kindern undEnkeln einen gesunden Planeten mit gerechten Gesell-schaften übergeben. Um dieses Ziel zu erreichen, identi-fizieren wir zukunftsgerechte politische Lösungen undfördern ihre Umsetzung weltweit. Der World FutureCouncil wurde 2007 von Jakob von Uexküll, demGründer des Alternativen Nobelpreises, ins Leben ge-rufen. Wir sind als gemeinnützige Stiftung in Hamburgregistriert und finanzieren unsere Arbeit über Spenden.

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Der World Future Councildankt der HÜBNER GmbH &Co. KG für die finanzielle För-derung dieser Publikation. Fürden Inhalt ist allein der WorldFuture Council verantwortlich.

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