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Ekkehart Brückner Die Huntington-Krankheit Eine Orientierungshilfe mit Ratschlägen für den Alltag für Betroffene, Angehörige, Risikopersonen, Pflegepersonal und Interessierte Selbsthilfegruppe Wien und Niederösterreich

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  • Ekkehart Brckner

    Die Huntington-Krankheit

    Eine Orientierungshilfe mit Ratschlgen fr den Alltag

    fr

    Betroffene, Angehrige, Risikopersonen, Pflegepersonal und Interessierte

    Selbsthilfegruppe Wien und Niedersterreich

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    Der Inhalt dieses Buches wurde mit grter Sorgfalt erstellt. Autor und Herausge-ber bernehmen jedoch keinerlei Gewhr fr Richtigkeit, Vollstndigkeit, Qualitt und Aktualitt der bereit gestellten Information. Die Nutzung des Inhalts geschieht auf eigene Gefahr des Lesers. Haftungsansprche sind grundstzlich ausgeschlossen. Auch wenn im Text nicht explizit ausgeschrieben, beziehen sich alle personenbezo-genen Formulierungen auf mnnliche und weibliche Personen. Auszugsweise Kopien oder Vervielfltigungen fr private oder gemeinntzige Zwecke sind jederzeit zuls-sig. Fr kommerzielle Zwecke gilt das Copyright. sterreichische Huntington-Hilfe Dritte aktualisierte und ergnzte Auflage 2010 Idee, Inhalt und Gestaltung: Ekkehart Brckner, Wien Titelseite: Simon Jappel, Wien Druck: KUBRA Werbegrafik GmbH, Wien Herausgegeben von der Selbsthilfegruppe Wien und Nie-dersterreich ZVR Nr. 190 473 386

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    Inhalt Seite Vorwort 11

    Teil I Die Huntington-Krankheit 13 Allgemeine Information 13 Ursachen 14

    - Vererbung 14 - Gen-Vernderung 15 - Auswirkung 17

    Diagnose 18

    - Familire Krankheitsgeschichte 18 - Neurologische Untersuchung 19

    Symptome und Krankheitsverlauf 20

    - neurologische Symptome 20 - psychische und psychiatrische Symptome 23 - Rckgang der intellektuellen Fhigkeiten 25

    Teil II Praktische Ratschlge 27 rztliche Betreuung 27

    - Huntington-Ambulanzen 27 - Medizinische Versorgung in Notfllen 28

    Genetische Untersuchung 29

    - Vorhersagediagnostik 30 - Umgang mit dem Ergebnis 31

  • 4

    - Labore 33 Familienplanung 33 Therapeutische Mglichkeiten 34

    - Allgemeines 34 - Medikamentse Behandlung 35 - Nichtmedikamentse Therapien 39 - Bewegungsbungen 43

    Zahnpflege 49 Umgang mit Erkrankten 51

    - Kognitive Strungen 52 - Verstndigungsschwierigkeiten 56 - Mimik 59 - Schlafstrungen 59 - Selbstberschtzung 60 - Fehlleistungen 61 - Rauchen 62 - Strategien 63

    Pflegende Angehrige 65

    - Allgemeines 65 - Erfahrungsaustausch 67 - Stressbewltigung 68 - Finanzielle Zuwendungen 74 - Pensionsversicherung fr Zeiten der Pflege 77 - Krankenversicherung 81 - Information 81

    Ernhrung 82

    - Allgemeines 82 - Schluckstrungen 83 - Sonstige Schwierigkeiten beim Essen 84

  • 5

    - Die Mahlzeit 86 - Die Nahrung 90 - Nahrungsergnzung 94 - Magensonde 102 - Die Verdauung 103

    Inkontinenz 104

    - Ursachen 105 - Manahmen 105 - Inkontinenz-Hilfsmittel 106 - Krperpflege 108 - Beratung 109

    Hilfsmittel 110

    - Auswahl 110 - Erstattung durch Krankenkasse 111 - Untersttzungsfonds 112 - Rollstuhl 114

    Wohnen mit Behinderung 115

    - Barrierefreies Wohnen ohne Betreuung 115 - Teilbetreutes Wohnen 117 - Vollbetreutes Wohnen 119 - Barrierefreies Bauen 121

    Pflege und Betreuung zu Hause 122

    - Allgemeines 122 - Essen auf Rdern 123 - Besuchs- und Begleitdienst 124 - Heimhilfe 125 - Reinigungsdienst 126 - Wschepflegedienst 127 - Reparaturdienst 128 - 24-Stunden-Betreuung 129

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    - Hauskrankenpflege 132 - Kinaesthetics 133 - Ergotherapie 134 - Kinderkrankenpflege 135 - Individuelle Betreuung 135 - Beschftigung einer Betreuungskraft 136 - Hausnotruf 139 - Zimmereinrichtung 141 - Sicherheit im Haushalt 143

    Sonstiges rund um die Wohnung 145

    - Wohnbeihilfe 145 - Mietbeihilfe 145 - Mitzinsbeihilfe 146 - Untersttzung bei Wohnungsverbesserung 147 - Heizkostenzuschuss 148 - Rundfunk- / Fernseh- / Telefongebhren 149

    Wohn- und Pflegeheime 153

    - Auswahl 153 - Verfahren 156 - Tageszentren 160 - Seniorenwohngemeinschaften 162 - Langzeitpflege 163 - Zeitpunkt der Aufnahme in Wohn- und

    Pflegeheime 164 Vorbergehende Aufnahme in ein Heim 165

    - Kurzzeitpflege nach Spitalsaufenthalt 166 - Urlaubsbetreuung zur Entlastung pflegender

    Angehriger 167 - Befristete Aufnahme in privaten Husern 168

    Rund ums Auto 170

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    - Fhrerschein und Behinderung 170 - Ausweis gem 29b StVO 173 - Parkbegnstigung gem 29b StVO 174 - Behindertenparkplatz 174 - Zuschuss zum Ankauf oder zur

    Adaptierung eines Kfz 176 - Rckvergtung der Normverbrauchsabgabe 178 - Befreiung von der motorbezogenen

    Versicherungssteuer bzw. der Kfz-Steuer 180 - Steuerfreibetrag 181 - Autobahnvignette 181 - Maut-Ermigung 182 - Ermigung Mitgliedsbeitrag zu Kraftfahrer-

    Organisationen 183 - Mobilittszuschuss 183

    Fahrtendienste 183

    - Regelfahrtendienst 184 - Freizeitfahrtendienst 185 - Fahrt zum Arzt oder zur Therapie 187

    Arbeit, Beruf, Beschftigung 188

    - Begnstigung 188 - Arbeitssuche und Berufliche Integration 189 - Gefrderte Arbeitspltze 191 - Beschftigungstherapie 194 - Kndigungsschutz 197 - Berufsunfhigkeitspension 198 - Zusatzurlaub 201

    Behindertenpass 201 Mobilpass 202

  • 8

    Pflegegeld 203 - Allgemeines 203 - Voraussetzungen 204 - Pflegegeldstufen 205 - Antragsverfahren 209

    Befreiung von der Rezeptgebhr 211 Steuervergnstigungen 213 BB-Fahrpreisermigungen 214 Trschlssel 216

    - Behinderten-WC 216 - Wohnungstr 217

    Urlaub / Freizeitgestaltung 217

    - Fr pflegende Angehrige 217 - Fr Patienten 218

    Sachwalterschaft 220

    - Allgemeine Bestimmungen 220 - Aufgaben des Sachwalters im berblick 223 - Personensorge 223 - Vermgenssorge 225 - Erstellen des Jahresberichtes 227

    Alternativen zur Sachwalterschaft 228

    - Bevollmchtigung 229 - Vorsorgevollmacht 229 - Gesetzliche Vertretungsbefugnis 231

    Patientenverfgung 232

    - Zweck der Patientenverfgung 232 - Formen der Patientenverfgung 233 - Sonstige Hinweise 234

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    Testament 235 - Allgemeine Bestimmungen 235 - Testamentsformen 237

    Rechtsberatung 240 Lebensversicherung 241 Hospizdienste 242

    - Grundidee 242 - Hospizarbeit 243 - Familienhospizkarenz 244

    Erste Hilfe 246

    - Schrfwunden 247 - Nasenbluten 247 - Verbrhungen 248 - Verbrennungen 249 - Vertzungen 250 - Strze und Brche 252 - Stromschlag 254 - Erstickungsanfall 255 - Bewusstlosigkeit 257 - Schock 258 - Wiederbelebung 259

    Teil III Untersttzende Organisationen 261 sterreichische Huntington-Hilfe 261 Deutsche Huntington-Hilfe 262 Europisches Huntington-Netzwerk 263

  • 10

    Internationaler Huntington-Verband 264 Selbsthilfegruppen 266 Bundessozialamt 269 Dachverband Wiener Sozialdienste 269 Fonds Soziales Wien 270 Wiener Sozialdienste 273 Sozial Medizinischer Dienst sterreich 274 Hilfswerk sterreich 274 sterreichische Arbeitsgemeinschaft fr Rehabilitation 275 Behindertenverband 276 Hospiz sterreich 276 Behindertenanwalt 277 Patientenanwaltschaft 278

    Teil IV Anhang 280 Anschriftenverzeichnis 280 Literaturverzeichnis 305 Abkrzungsverzeichnis 307 Stichwortverzeichnis 309 Wir ber uns 319

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    Vorwort Die vorliegende, aktualisierte und thematisch erweiterte dritte Auflage dieses Ratgebers ist entstanden aus der Erfahrung einer mehrjhrigen Pflege der an Huntington erkrankten Tochter. Er soll als Orientie-rungshilfe dienen, um Grundinformation zum Themenbereich zu vermitteln. Er richtet sich in erster Linie an diejenigen Angehrigen, Risikopersonen und Betroffenen, die neu in die Selbsthilfegruppen kommen und eine Erste Hilfe zu anstehenden Problemen suchen, insbesondere Aufklrung ber die Krankheit, kompetente Ansprech-partner, hilfreiche Adressen und praktischen Rat. Der eine oder ande-re Hinweis kann jedoch selbst fr diejenigen Angehrigen, Betreuer oder Betroffenen von Nutzen sein, die bereits lngere Erfahrung im Umgang mit der Krankheit besitzen. Die Huntington-Krankheit ist derzeit nicht heilbar - sie schreitet stetig voran. Daher sind Betroffene wie Angehrige enormen psychi-schen, physischen, sowie finanziellen Belastungen ausgesetzt, welche die Lebenssituation entscheidend formen. Sie mssen daher wissen, welche Problemsituationen auf sie zukommen und welche Hilfen ihnen bei der Bewltigung dieser Problemlagen zur Verfgung stehen. Auf den folgenden Seiten finden sich daher eine kurz gefasste Darstellung der Huntington-Krankheit selbst sowie umfassende Ratschlge fr den Alltag mit Huntington-Patienten. Hinweise zur Sicherung finanziel-ler oder sozialer Ansprche sowie Aufgaben, Mglichkeiten und die Erreichbarkeit untersttzender Organisationen runden den Ratgeber ab. Neben zahlreichen Ergnzungen bestehender Texte wurden u.a. fol-gende Themen in der vorliegenden Auflage neu aufgenommenen: Kognitive Strungen, Rauchen, Nahrungsergnzung, Bewegungsbun-gen, Zimmereinrichtung, Sicherheit im Haushalt, Auswahl eines Pflegeheims, Stressbewltigung fr die pflegenden Angehrigen sowie ein Stichwortverzeichnis zum leichteren Auffinden von Einzelthemen.

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    Die Liste der insgesamt aufgefhrten Stichworte ist naturgem nicht vollzhlig, da die Probleme im Zusammenhang mit der Huntington-Krankheit vielfltig und individuell sind. Auch berschreiten einige Themen den Umfang dieses Buches und knnen daher nicht umfas-send behandelt werden, z.B. der detaillierte medizinische Hintergrund, die Auflistung aller Hilfs- und Pflegedienste, oder Fragen des Ar-beits- und Steuerrechts. Insofern sind diverse Punkte vereinfacht und verkrzt dargestellt. In diesen Fllen knnen die Literatur- oder Anschriftenhinweise weiterfhren. Auerdem kann der Ratgeber nur informieren. Bei der Lsung von Einzelfllen kann und soll er eine kompetente Beratung nicht ersetzen. Die aufgefhrten gesetzlichen und verwaltungsmigen Bestimmungen basieren zu einem Groteil auf den Gegebenheiten des Bundeslandes Wien und dienen gewissermaen als Beispiel der zahlreichen Hilfen, die in sterreich zur Verfgung stehen. Sie knnen daher von denje-nigen der anderen Bundeslnder abweichen. Auerhalb Wiens ist es folglich ratsam, sich ber die spezifischen Verhltnisse vor Ort zu erkundigen. Das Buch erhebt keinen Anspruch auf Fehlerfreiheit. Fr Anregun-gen, Kritik, nderungs- oder Ergnzungsvorschlge bin ich jederzeit dankbar. Ich hoffe, dass die Lektre allen Betroffenen und Beteiligten fr die mannigfachen Probleme des Alltags eine verstndliche und wirksame Hilfe darstellt. Ekkehart Brckner

    Wien, im Oktober 2010

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    Teil I

    Die Huntington-Krankheit Allgemeine Information Die Huntington-Krankheit ist eine sehr seltene, erbliche, stetig fortschreitende neuropsychiatrische Erkrankung des zentralen Nervensystems, fr die es nach heutigem Wis-sensstand derzeit keine Heilung gibt. Die Krankheit verur-sacht in speziellen Gehirngebieten eine langsame Zerst-rung von Zellen, was in der Folge einen schleichenden Ab-bau krperlicher, geistiger und psychischer Funktionen bewirkt. Sie kommt in allen ethnischen Gruppen vor, ist jedoch bei der europischen Bevlkerung am strksten verbreitet. Dort rechnet man mit 6-12 Betroffenen bei 100.000 Ein-wohnern. In Deutschland schtzt man die Zahl der Men-schen, die von der Huntington-Krankheit betroffen sind, auf rund 10.000. Dazu kommen weitere 50.000, die das Risiko in sich tragen, die Krankheitsanlage geerbt zu haben, weil ein Elternteil von der Krankheit betroffen ist oder war. In Nordamerika sind es rund 30.000 Kranke und weitere 150.000 so genannte Risikopersonen. In sterreich sind es ber 400 Betroffene, wobei die Zahl derer, die das Erkran-kungsrisiko in sich tragen - hufig ohne es zu wissen - un-klar ist. Daher kommt es, dass die meisten rzte noch nie einen Huntington-Patienten zu Gesicht bekommen haben, geschweige denn, dass pltzlich mit der Krankheit kon-frontierte Betroffene oder ihre Angehrigen von ihr Kenntnis besitzen.

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    Die folgenden Seiten informieren daher in der gebotenen Krze ber Ursachen der Erkrankung und ihre Diagnose sowie ber Symptome und Krankheitsverlauf. Das Wissen um die Krankheit kann den Umgang mit dem Leiden nm-lich wesentlich erleichtern. Benannt ist die Krankheit nach dem amerikanischen Arzt George Huntington aus Long Island (New York, USA), der sie 1872 erstmals beschrieb. Er hatte erkannt, dass es sich um eine erbliche Krankheit handelt. Die Huntington-Krankheit (abgekrzt: HK, englisch: Huntington's disease, abgekrzt: HD) wird auch Chorea Huntington oder Morbus Huntington genannt und war frher als Veitstanz bekannt. Der Name Chorea (griech. choreia = Tanz) rhrt von den fr die Erkrankung typi-schen, zeitweise einsetzenden, unwillkrlichen, raschen, unregelmigen und nicht vorhersehbaren Bewegungen her. Zusammen mit dem unsicheren, fast torkelnden Gang und dem Grimassieren knnen diese Symptome sehr ent-fernt an einen Tanz erinnern. Da die choreatischen Bewe-gungen aber nur einen Teil der Symptome ausmachen, spricht man heute weniger von Chorea Huntington, als von der Huntington-Krankheit. Ursachen Vererbung Die Huntington-Krankheit ist eine genetisch bedingte Erkrankung, die autosomal dominant vererbt wird. Auto-somal bedeutet: das Gen liegt nicht auf einem Geschlechts-chromosom. Deshalb knnen Mnner und Frauen das Gen

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    gleichermaen erben und damit die Krankheit entwickeln. Dominant bedeutet, dass bereits die Vernderung einer Erb-anlage zur Erkrankung fhrt. In allen Zellen haben wir zwei Erbanlagen (Chromosomen), eine von der Mutter und eine vom Vater. Manche Erkrankungen brechen nur aus, wenn beide Erbanlagen verndert sind. Bei der Huntington-Krankheit gengt es, wenn eine Erbanlage verndert ist. Kinder von Eltern, bei denen ein Elternteil die Gen-Vern-derung trgt, haben somit eine 50-prozentige Wahrschein-lichkeit, das Gen zu erben und dann zu erkranken. Das bedeutet aber nicht, dass stets die Hlfte der Kinder in ei-ner Familie oder genau jedes Zweite erkranken wird. Die genannten 50 Prozent sind ein statistischer Wert. Ob ein Kind das Gen erbt oder nicht, bleibt dem Zufall berlas-sen. Hat ein Kind das Huntington-Gen nicht geerbt, wer-den weder es noch seine Kinder erkranken, denn die Hun-tington-Krankheit berspringt keine Generationen. Diese Zusammenhnge zu kennen ist besonders fr diejenigen Paare wichtig, die Kinderwnsche haben. Gen-Vernderung Die Gen-Vernderung (Mutation), welche fr die Hunting-ton-Krankheit verantwortlich ist, liegt im Gen des Chro-mosoms 4. Normalerweise werden in diesem Bereich die Nukleinsuren Cytosin-Adenin-Guanin (CAG) 10 bis 30 Mal wiederholt. Nukleinsuren sind diejenigen Bausteine, welche die Erbsubstanz bilden. Das vernderte Gen, das die Huntington-Krankheit verursacht, weist jedoch weit mehr CAG-Wiederholungen auf. Sind es mehr als 36, fhrt dies zur Huntington-Krankheit. Sind es weniger als 30, bricht die Krankheit nicht aus. CAG-Wiederholungen zwischen 30 und 35 stellen einen Graubereich dar, bei dem

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    eine Prognose nicht mit Sicherheit gestellt werden kann. Bei ber 60 CAG-Wiederholungen kann die Krankheit bereits vor dem 20. Lebensjahr auftreten. Patienten, die erst nach dem 60. Lebensjahr erkranken, haben meist weni-ger als 45 Wiederholungen. Das vernderte Gen wird auch Huntingtin-Gen (nicht Huntington) genannt. Wenn der Vater das kranke Gen vererbt, kann die Anzahl der Wiederholungen bei der Ver-erbung des Gens auf die Kinder zunehmen. Daraus kn-nen ein frherer Krankheitsbeginn und ein schwererer Ver-lauf resultieren. Wird das Gen von der Mutter vererbt, tre-ten in der Regel keine nderungen der Wiederholungszahl auf. In etwa zwei bis fnf Prozent der Flle finden sich keine Erkrankungen in der Familiengeschichte. Dabei kann es sich um vllig neu entstandene Vernderungen handeln, so genannte Neumutationen. Es kann aber auch sein, dass der Vater eines Huntington-Kranken auf dem Chromosom 30 bis 35 Wiederholungen hat. Die Erkrankung bricht des-halb bei ihm nicht aus. Bei Vererbung auf die Kinder aber hat die Anzahl der Wiederholungen auf ber 36 zugenom-men und die Kinder entwickeln die Huntington-Krankheit. Es besteht also eine eindeutige Beziehung zwischen der Anzahl der CAG-Wiederholungen und der Schwere der Erkrankung. Je mehr Wiederholungen vorliegen, desto frher ist mit dem Ausbruch der Erkrankung zu rechnen und desto ungnstiger ist dann die Prognose. Allerdings kann von der Zahl der Wiederholungen nicht direkt auf das Alter geschlossen werden, in dem die Krankheit ausbricht. Selbst bei eineiigen Zwillingen, die identische Erbanlagen tragen, kann die Krankheit zu unterschiedlichen Zeiten und

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    in unterschiedlicher Schwere auftreten. Die stets mit dem Tod endende Krankheit bricht im Durchschnitt zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr aus. In seltenen Fllen kann sie auch in der frhen Kindheit oder im hheren Alter auftre-ten. Bei Kindern kann der Verlauf nur wenige Jahre betra-gen, bei Menschen im fortgeschrittenen Alter bis zu zwei Jahrzehnte oder mehr. Welche ueren Faktoren den Be-ginn und den Verlauf der Krankheit beeinflussen, ist bisher nicht klar. Auswirkung Als Folge der Gen-Mutation bildet der Krper einen ver-nderten Eiweibaustein. Der nicht vernderte Eiweibau-stein heit Glutamin. Bei der Huntington-Krankheit tritt dieser Eiweibaustein hufiger auf und wird daher auch Polyglutamin genannt. Das daraus gebaute Eiwei ist sehr gro und kann mit sich selbst oder mit anderen Eiweien verklumpen. Dieses vernderte Eiwei findet man im Zell-kern der Nervenzellen. Die davon betroffenen Nervenzel-len verndern sich mit der Zeit, knnen nicht mehr richtig funktionieren und werden nach und nach ganz zerstrt. Dieser Vorgang kann derzeit weder aufgehalten noch um-gekehrt werden. Wie das genau vor sich geht, ist noch nicht vllig erforscht. Jedenfalls geschieht dies in einem zentralen Element des Gehirns, dem Striatum. Dies ist zustndig fr die Koordination aller Bewegungen, Ordnung aller Infor-mationen, fr Emotionen etc.. Bei Schdigung eines sol-chen Schlsselelements des Gehirns ist es nachvollziehbar, dass der Ausfall wesentlicher physischer und psychischer Fhigkeiten die Folge sein muss. Durch das Zellsterben nimmt auerdem das Gewicht des Gehirns um bis zu 30 Prozent ab.

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    Diagnose Die klinische Diagnose der Erkrankung im Frhstadium ist schwierig, insbesondere wenn die Bewegungsstrungen noch sehr gering ausgeprgt sind und deshalb die psychi-schen Vernderungen fr sich allein auch auf andere Krankheiten hindeuten knnen. Wenn beispielsweise der untersuchende Hausarzt oder der Facharzt wenig Erfah-rung mit der Huntington-Krankheit hat, kann es zu Fehldi-agnosen wie Depression, Manie, Schizophrenie, Schwach-sinn oder Alkoholismus fhren. Daher steht eine Diagnose auf drei Sulen:

    - die Befragung des Patienten nach seinen Beschwer-den und nach seiner familiren Krankheitsgeschich-te,

    - die neurologische Untersuchung durch einen erfah-renen Arzt, am besten in einer Huntington-Ambulanz, und

    - die genetische Untersuchung mit Nachweis der Huntington-Krankheit.

    Familire Krankheitsgeschichte Da die Huntington-Krankheit erblich ist, steht - neben der Feststellung eigener Beschwerden - die familire Krankheits-geschichte (Anamnese) an erster Stelle. In der Regel waren oder sind Grovater oder Gromutter erkrankt und Vater, Mutter oder andere Familienmitglieder leiden ebenfalls an der Krankheit. Nur in den seltensten Fllen handelt es sich um eine pltzlich auftretende nderung des Gens (Spon-tanmutation). Man kann daher davon ausgehen, dass es in fast allen Fllen einen Elternteil gegeben haben muss, wel-

    http://www.huntington-hilfe.de/index.php?newwpID=24850&MttgSession=64a36d01b3c2779f7e801b717c659f8ahttp://www.huntington-hilfe.de/index.php?newwpID=24788&MttgSession=64a36d01b3c2779f7e801b717c659f8ahttp://www.huntington-hilfe.de/index.php?newwpID=24852&MttgSession=64a36d01b3c2779f7e801b717c659f8a
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    cher das kranke Gen in sich trug. Die Familienanamnese kann jedoch schwierig sein, wenn beispielsweise ein Eltern-teil frh verstorben ist und die Krankheit bis dahin nicht ausgebrochen war, oder dass bei den Eltern keine, eine ungenaue oder eine falsche Diagnose gestellt bzw. dass ein positives Ergebnis verschwiegen wurde. Auch im Fall einer Adoption ist der familire Hintergrund in der Regel nicht zu ermitteln. Aus solchen Grnden kann der Anschein erweckt werden, dass die Krankheit nicht erblich, sondern neu aufgetreten ist. Neurologische Untersuchung Sind die neurologischen Symptome und die Familienge-schichte eindeutig, kann auf eine ausgedehnte Diagnostik verzichtet werden. Ist aber die Familienanamnese unklar oder sind die Beschwerden untypisch, kann eine sichere Diagnose durch eine sorgfltige neurologisch-psychiatri-sche Untersuchung und durch begleitende apparative Un-tersuchungen gestellt werden. Zu letzteren gehren insbe-sondere Computertomographie und Kernspin-Tomo-graphie, um Gewebeschwund bestimmter Gehirnareale nachzuweisen. Des Weiteren kann mittels Positronen-Emissions-Tomographie der Stoffwechsel von Geweben sichtbar gemacht werden, und schlielich knnen mit ei-nem Elektro-Enzephalogramm Funktionsstrungen der Grohirnrinde dargestellt werden. Eine einzige Untersuchung, welche die Diagnose sicher-stellt, gibt es nicht. Durch die Kombination aus Anamne-se, krperlicher und apparativer Untersuchung kann die Krankheit aber in einem sehr frhen Stadium diagnostiziert werden.

  • 20

    Symptome und Krankheitsverlauf Es gibt eine Vielfalt von Symptomen, die Huntington-Kranke entwickeln knnen. Sie werden hauptschlich in drei Gruppen unterschieden:

    - Neurologische oder andere krperliche Symptome, - Verhaltensstrungen und psychische Symptome,

    sowie - Rckgang der intellektuellen Fhigkeiten.

    Der Verlauf der Erkrankung ist von Patient zu Patient verschieden. Bei manchen Kranken knnen die neurologi-schen Symptome im Vordergrund stehen (insbesondere Bewegungsstrungen), bei Anderen die psychischen Ver-nderungen (z.B. Verhaltensstrungen). Auerdem kann sich die Intensitt der einzelnen Symptome eines Betroffe-nen mit der Zeit verndern. Es kann auch sein, dass die genannten Symptome gleichzeitig oder andere als die hier beschriebenen auftreten. Die Krankheit verluft nicht grad-linig. Jeder Betroffene bietet ein anderes Bild. Neurologische Symptome Zu den aufflligsten Krankheitszeichen eines Hunting-ton-Patienten gehren die eingangs genannten choreati-schen Bewegungen, also pltzlich auftretende, schnelle, eckige, sich wiederholende, unkontrollierbare und ber-schieende Bewegungen eines oder mehrerer Muskeln, ganzer Extremitten oder des gesamten Rumpfes, die ohne den Willen des Erkrankten auftreten. Tic-artige Muskel-zuckungen wie Augenzwinkern (nicht mit dem physiologi-schen Lidschlag zu verwechseln), Mundverzerrungen, ruck-

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    artige Kopfdrehungen, pltzliche Bewegung einzelner oder mehrerer Finger, der Zehen oder Fe knnen die ersten Anzeichen dieser Krankheit sein. Allerdings kennt man bei Menschen, die nichts mit der Huntington-Krankheit zu tun haben, hnliche Tics. Diese Bewegungen fallen zunchst nur wenig auf, hufig zuerst den Familienmitgliedern, Freunden oder Kollegen am Arbeitsplatz. Der Betroffene nimmt sie selbst nicht wahr, verleugnet sie oder erklrt sie mit Nervositt oder Unruhe. Anfangs ist es mglich, dass diese bertriebenen und un-gewollten Bewegungen in scheinbar sinnvolle Bewegungs-ablufe eingebaut werden. So entsteht beispielsweise eine fr den Beobachter bertrieben wirkende Gestik. Mit fort-schreitender Krankheit, d.h. je mehr Hirnzellen absterben, verstrken sich diese Anzeichen, bis schlielich wahllose, unwillkrliche Bewegungsstrme den gesamten Krper durchziehen. Diese Bewegungen nehmen zu, wenn der Kranke erregt oder nervs ist, whrend sie im Ent-spannungszustand abnehmen. Im Schlaf sind choreatische Bewegungen eher selten. Alltgliche Verrichtungen wie An- und Auskleiden, Essen, Schreiben oder Gehen werden erst mhsam, spter unmg-lich. Die Krperhaltung beim Stehen und Gehen ndert sich: er neigt sich nach vorne oder lehnt sich zurck. We-gen gestrter Balance hat der Erkrankte einen schwan-kenden Gang wie ein Betrunkener. Die Fe werden nicht mehr richtig angehoben und er neigt zu unkontrollierten Strzen. Er wirkt ruhelos und nervs, wippt mit den F-en, trommelt mit den Fingern und muss sich sehr bem-hen, ruhig auf einem Sessel zu sitzen. Er verliert die Fein-abstimmung der Handbewegungen und die Greiffhigkeit lsst nach, so dass er hufig Gegenstnde aus der Hand

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    fallen lsst oder zu fest zugreift. Die gesamte Koordination verschlechtert sich. Spter knnen auch die Zungen- und Schlundmuskulatur betroffen sein. Der Verlust der Kontrolle ber diese Mus-kulatur verursacht massive Sprech- und Schluckstrun-gen. Der Kranke stt unwillkrliche Laute aus, die fr ihn selbst und fr die Umgebung irritierend sind. Die Sprache wirkt abgehackt und wird schlielich unverstndlich. Die Atemkontrolle wird mangelhaft, die Luft kann weder an-gehalten noch kann krftig gehustet werden. Dadurch wird auch die Nahrungsaufnahme immer schwieriger. Im spten Krankheitsstadium kommt es neben den massi-ven motorischen Strungen zu Rollstuhlangewiesenheit, Bettlgerigkeit, und wegen fehlender Kontrolle ber Blase und Darm zu Inkontinenz. Bei einer Minderheit von Patienten (etwa 5 Prozent) findet man, im Unterschied zum klassischen Bild der choreati-schen Bewegungen, eine zunehmende Muskelversteifung und Bewegungshemmung. Hier hneln die neurologischen Symptome denen der Parkinson-Krankheit. Die emotio-nalen und psychiatrischen Strungen gleichen jedoch denen der lteren Huntington-Patienten. Viele Erkrankte haben ein verndertes Schmerzempfin-den. Dies zeigt sich z.B., wenn der Kranke nicht oder erst mit zeitlicher Verzgerung fhlen kann, wie hei oder kalt etwas ist. Verbrennungen durch Zigaretten, Trinken von zu heien Getrnken und Duschen mit zu heiem Wasser werden nicht als Schmerz empfunden und nicht oder kaum gesprt. Dadurch knnen ernsthafte Verletzungen entste-

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    hen, die dann allerdings als schmerzlich empfunden wer-den. Psychische und psychiatrische Symptome Unter Verhaltensproblemen und psychischen Sympto-men bei der Huntington-Krankheit versteht man Vernde-rungen oder Strungen im persnlichen und sozialen Ver-halten, im geistigen und seelischen Bereich sowie in der Lebensweise des Kranken. Durch das Absterben von Ge-hirnzellen verndern sich Huntington-Kranke nmlich auch emotional. Die psychischen Vernderungen beeinflussen das Verhalten der Kranken oft mehr als die neurologischen Strungen und knnen Letzteren um Jahrzehnte vorausge-hen. Hufigstes Symptom ist die Depression, verbunden mit einer hohen Suizidrate, insbesondere in der Frhphase der Erkrankung. Ansonsten stehen im Anfangsstadium meist allgemeine psychische Aufflligkeiten im Vorder-grund: die Patienten sind reizbar, aggressiv oder enthemmt. Genauso knnen sie jedoch verschlossen oder launenhaft werden. Ursprnglich hflich, verbindlich und freundlich im Umgang mit Anderen werden sie ohne ersichtlichen Grund verletzend oder neigen zu Wutausbrchen. Oder der Betroffene wird depressiv, hat Angstzustnde, Wein- und Schreikrmpfe, plant sogar, seinem Leben ein Ende zu setzen und fhrt diesen Plan mglicherweise aus. Der Be-troffene selbst kann sich sein Verhalten nicht erklren, kann es aber nicht ndern und ist dadurch verwirrt. Die psychischen Verhaltensstrungen knnen so tief greifend sein, dass die nchste Umgebung den Betroffenen nicht mehr wieder zu erkennen glaubt.

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    Es gibt zwar Kranke, die unglaublich lebhaft bis ausgelas-sen sind. Im Gegensatz dazu werden viele Huntington-Patienten jedoch apathisch. Dies uert sich allgemein als Gleichgltigkeit sowie Mangel an Interesse und Teilnahme an allem, was um sie herum vorgeht (Motto: mir ist alles egal!). Interessenverlust kann sich z.B. auf Beruf und Hob-by beziehen, aber auch auf das gesamte Umfeld (die Kin-der, den Partner u.s.w.). Das kann gerade in einer Familie dramatischen Einfluss auf das Zusammenleben haben, vom Arbeitsaufwand bei der Haushaltsfhrung, weil der Betrof-fene sich an nichts beteiligt, bis hin zu dessen Krperpfle-ge. Durch Rckgang des realen Wahrnehmungsvermgens kann der Betroffene auch jegliches Vertrauen verlieren oder ngstlich werden. So kommt es vor, dass er beispielsweise wiederholt kontrolliert, ob die Haustre geschlossen ist. Dieses Misstrauen herrscht u.U. auch gegenber dem Partner, den Kindern und Anderen und kann sich zum Beispiel dadurch uern, dass der Kranke ber Jeden alles wissen will oder in der Einbildung lebt, dass Jeder schlecht ber ihn redet. Im schlimmsten Fall verliert der Kranke jeden Bezug zur Wirklichkeit und lebt in Wahnvorstellun-gen. Man spricht dann von einer Psychose. Hufig vereinsamen die Patienten, da das Umfeld ihren Wesenswandel nicht nachvollziehen kann. Freunde von Erkrankten sind von der pltzlichen Aggressivitt oft ber-fordert und wenden sich ab. Dies erhht Isolations- und Depressionsgefahr. Wichtig zu wissen ist, dass alle psychischen Symptome zwar zu den wesentlichen Kennzeichen der Krankheit ge-hren und durch das Absterben von Gehirnzellen bedingt

  • 25

    sind. Ebenso knnen sie jedoch als emotionale Reaktion auf die Erkrankung oder als Depression in Folge des Wissens um die Erkrankung und ihren derzeit noch unauf-haltbaren Verlauf auftreten. Das Wissen um die psychi-schen Vernderungen ngstigt brigens auch Menschen sehr, die ein Erkrankungsrisiko in sich tragen. Rckgang der intellektuellen Fhigkeiten Nach etwa 10 - 15 Jahren lsst sich bei den Patienten eine eingeschrnkte Hirnleistung nachweisen. Diese erzeugt zunchst in bestimmten Hirnbereichen auftretende Defizite und fhrt spter meist zu einer schweren Beeintrchtigung. Auch dieser intellektuelle Abbau ist von Patient zu Pati-ent verschieden. Bei einigen zeigt er sich in Interessenver-lust, Konzentrationsstrungen und Vergesslichkeit. Es fllt ihnen schwer, Gegenstnde zu benennen oder sich an In-formationen zu erinnern, besonders an solche aus dem Kurzzeitgedchtnis. Andere bemerken einen Verlust an geistigen Fhigkeiten. Dadurch wirkt und wird der Kranke in sich gekehrt. Zu den frhen geistigen Einbuen gehren Reduktion des psychischen Tempos, der Aufmerksamkeit, der Merkfhig-keit, des Lernens, und der visuellen Wahrnehmung. Spter fllt es den Kranken immer schwerer, sich zu konzentrieren und Gedankengnge durchzuhalten, und die Fhigkeit zu lernen, sich anzupassen und zu urteilen nimmt ab. Dass sich diese Probleme vor allem auf die Berufsfhigkeit und das Familienleben auswirken, liegt auf der Hand. In man-chen Fllen ist im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit der intellektuelle Abbau so stark, dass er bis zur Demenz fhrt. Diese Demenz unterscheidet sich zwar von der Alz-

  • 26

    heimer-Demenz, kann sich aber im Endstadium ebenso auswirken. Allerdings ist es mglich, dass infolge der Sprechschwierigkeiten der Rckgang der intellektuellen Fhigkeiten viel schlimmer erscheint, als er in Wirklichkeit ist. Obwohl die Betroffenen abwesend, vergesslich oder so wirken, als ob sie nicht zuhrten, ist es immer wieder ber-raschend, wie viel sie aus Unterhaltungen etc. tatschlich mitbekommen. Selbst wenn sie sich nicht immer sofort oder berhaupt nicht sprachlich uern knnen: an ihrer Mimik kann man ihre Anteilnahme zuweilen erkennen.

  • 27

    Teil II

    Praktische Ratschlge rztliche Betreuung Huntington-Ambulanzen Wie eingangs erwhnt, haben die meisten praktischen rzte noch nie einen Huntington-Patienten gesehen und ihre diesbezglichen Kenntnisse sind im Allgemeinen nicht sehr detailliert. Aber auch viele Nervenrzte haben keine Erfah-rung in Diagnostik und Therapie dieser Erkrankung. Des-halb sollten die schwer zu behandelnden psychiatrischen und neurologischen Symptome der Erkrankung am besten mit Hilfe erfahrener Spezialisten therapiert werden. Auch angesichts der Schwierigkeit einer klinischen Diagnose be-sonders im Frhstadium der Krankheit, vor allem, wenn die neurologischen Symptome noch sehr wenig ausgeprgt sind oder sie nicht dem "klassischen" Bild entsprechen, ist es ratsam, sich in einer Huntington-Ambulanz untersu-chen und behandeln zu lassen. Dort haben die rzte mit Diagnostik und Therapie der Krankheit lange Erfahrung. Huntington-Ambulanzen gibt es derzeit in Graz, Inns-bruck, Linz, Salzburg und Wien (zur jeweiligen Erreichbar-keit siehe Abschnitt Anschriften). Im Otto-Wagner-Spital Wien (Neurologisches Zentrum) beispielsweise be-steht die Mglichkeit zu einer Huntington-Basisunter-suchung (Dauer 5 Tage: Montag - Freitag) und zu einer dreiwchigen stationren Rehabilitation. Die Kosten wer-den von der Krankenkasse bernommen.

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    Medizinische Versorgung in Notfllen Mediziner, die nicht tglich mit Huntington-Patienten um-gehen, haben hufig selbst bei einfachen Erkrankungen groe Hemmungen, solche Patienten zu behandeln. Eine gute Verbindung zwischen betreuendem Hausarzt und spe-zialisiertem Facharzt herzustellen ist jedoch mglich und ratsam. In vielen Fllen hat sich diese Verbindung als sehr effizient erwiesen und die Zusammenarbeit funktioniert gut. Schwieriger ist oft die medizinische Versorgung in Notfl-len oder bei neuen Problemen, wenn Hausarzt oder Spezia-list nicht erreichbar sind. Denn erst recht vor Operationen, zahnrztlichen Eingriffen oder internistischen Manahmen scheuen rzte die Behandlung eines Huntington-Pati-enten. Bei einem solchen Notfall sind folgende Punkte wichtig zu wissen:

    - ein an Huntington erkrankter Mensch kann wie je-der Andere eine Narkose erhalten;

    - er hat das gleiche Operationsrisiko wie ein nicht an Huntington Erkrankter mit denselben Vorer-krankungen;

    - die Huntington-Krankheit hat nichts mit der Schweren Muskelschwche (Myasthenia gravis) zu tun, bei der man keine Narkose erhalten darf;

    - Patienten, bei denen die Huntington-Krankheit be-reits weit fortgeschritten ist, knnen sich nicht mehr gut artikulieren und sind weniger flexibel. Das heit aber nicht, dass sie nichts von dem mit-bekommen, was gesprochen wird. Man muss nur fter und lnger auf eine Antwort warten und ge-nau hinhren.

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    Zur Beantwortung dringender in diesem Zusammenhang stehender Fragen steht die von der sterreichischen Huntington-Hilfe eingerichtete Huntington-Hotline zur Verfgung. Zur Erreichbarkeit siehe Abschnitt An-schriften. Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass ein an Hun-tington Erkrankter unzweifelhaft das gleiche Recht auf eine adquate rztliche Behandlung oder auf eine Operation hat, wie ein nicht an Huntington Erkrankter. Dennoch sollte man sich gemeinsam mit dem Patienten und den Angeh-rigen genau berlegen, welche Operation man gegebenen-falls dem Erkrankten zumuten will und welche nicht. So ist z.B. je nach Stadium der Krankheit (und ggf. der Behinde-rung) abzuwgen, ob auf eine Operation, deren physische und psychische Belastung fr den Patienten in keinem Ver-hltnis zum medizinischen Nutzen steht, zum Wohle des Patienten verzichtet werden sollte. Genetische Untersuchung Wenn bei einem Menschen Symptome vorhanden sind, welche auf die Huntington-Krankheit hindeuten, besteht die Mglichkeit, sich einer molekulargenetischen Diagnos-tik (Austestung) zu unterziehen. Diese Diagnosemethode ist seit 1993 durch die Entdeckung des Huntington-Gens mglich. Dazu wird eine Blut- oder Speichelprobe ent-nommen und mittels DNA-Untersuchung dieser Probe festgestellt, ob bei dem Patienten die Huntington-Krankheit tatschlich vorliegt.

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    Vorhersagediagnostik Auch gesunde Personen, die aufgrund einer Huntington-Krankheit bei Familienangehrigen das Risiko in sich tra-gen, ebenfalls Gen-Trger zu sein, knnen eine solche mo-lekulargenetische Untersuchung durchfhren lassen. Man spricht in diesem Fall von einer Vorhersagediagnostik. Die Vorhersagediagnostik ermglicht lediglich die Feststel-lung, ob Jemand die Huntington-Anlage (das Gen) in sich trgt und irgendwann die Huntington-Krankheit bekom-men kann oder nicht. Sie ist nicht die Diagnose ber den Ausbruch der Krankheit. Weder das Wann noch das Wie der Krankheit wird durch sie vorausgesagt. Die genetische Diagnostik kann auch bei einer bereits be-stehenden Schwangerschaft als Prnataldiagnose durchge-fhrt werden, um festzustellen, ob das werdende Kind Gen-Trger ist oder nicht. Dies kann whrend der 9. bis 12. Schwangerschaftswoche geschehen. Wird das Huntington-Risiko festgestellt, ist es rechtlich zulssig, einen Schwan-gerschaftsabbruch vorzunehmen. Die Grnde, aus denen sich eine Risikoperson untersuchen lsst und den Blick in die eigene Zukunft wagt, sind vielfl-tig. Es beginnt beim Interesse am eigenen Gen-Status, es mag um die Partnerschaft gehen, um Familienplanung, um die eigene Lebensplanung, aber vor allem um Gewissheit in der Ungewissheit. Jedes Mal, wenn ein Glas aus der Hand fllt oder man einen Namen vergessen hat stellt man sich die Frage, ob dies ein frhes Anzeichen der Krankheit sein kann oder ein alltglicher Vorgang ist, wie er allen einmal passiert. In jedem Fall liefert die Untersuchung eine Infor-mation, die aus dem Wissen nicht mehr zu lschen ist. Un-

  • 31

    abhngig davon, wie das Testergebnis ausfllt: es kann das Leben einer getesteten Person grundlegend verndern, selbst bei negativem Ergebnis. Die Vorhersagediagnostik bei Menschen mit dem Hunting-ton-Risiko hat eine erhebliche psychische und soziale Tragweite. Daher wurden von der Internationalen Vereini-gung der Huntington-Selbsthilfeorganisationen und vom Weltverband der Neurologen Richtlinien erarbeitet, nach denen die Vorhersagediagnostik durchgefhrt werden soll. Laut diesen Richtlinien soll weder bei Minderjhrigen, noch auf Wunsch Dritter (z.B. Partner, Eltern, rzte, Versiche-rungsgesellschaften, Arbeitgeber, Adoptionsstellen) eine genetische Untersuchung vorgenommen werden. Die Un-tersuchung darf nur auf vllig freiwilliger Basis geschehen und Niemand ist berechtigt, auf eine Risikoperson Druck auszuben, damit sich diese dem Test unterzieht. Umgang mit dem Ergebnis Die Reaktionen auf ein Testergebnis knnen vielfltig sein: Schock bei Kenntnisnahme eines positiven Ergebnis-ses, Verdrngen der Gefhrdung, Angst davor, tatschlich zu erkranken, Angst vor dem Zeitpunkt des Ausbruchs oder Angst vor dem Verlauf der Krankheit. Weiters geht es um Aggression darber, das Leid der Familie mit allen Auswirkungen auf das Familienleben fortzufhren, Furcht vor Konsequenzen im Beruf und in der Partnerschaft oder Schuldgefhlen gegenber betroffenen Familienangehri-gen, selbst wenn man selber nicht betroffen ist. Und schlielich geht es um Suizidgedanken, vor allem um das Testdatum herum (spter lsst die Suizidgefahr wieder nach, anscheinend weil sich die Gen-Trger allmhlich an

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    den Gedanken der Krankheit gewhnen und sich darauf einstellen). Man sollte sich also darber im Klaren sein, warum man den Test machen mchte. Ist er nur fr sich selbst, um statt einer mglicherweise qulenden Ungewissheit Gewissheit zu erhalten, ist er aus gleichen Grnden fr den Partner, ist er wegen eines Kinderwunsches, der Berufsaussichten oder aus anderen Grnden. Was auch immer die Motivation sein mag: fr diesen Test sollte man sich nur entscheiden, wenn man sich ber die Folgen der Untersuchung klar geworden ist, nmlich das unauslschliche Wissen um die eigene Zu-kunft. Fr diese Entscheidung gibt es kein allgemeines Richtig oder Falsch. Diese Entscheidung muss Jeder fr sich selbst treffen mit allen Konsequenzen, die daraus fr den weiteren Lebensweg entstehen. In jedem Fall ist es daher ratsam, sich bei einer Beratungs-stelle und / oder mit einer Person seines Vertrauens einge-hend darber zu beraten. Bei einem solchen Gesprch geht es u.a. um die Familiengeschichte, die Krankheit selbst, ihre Erblichkeit, Auswirkungen und Behandlungsmglichkeiten. Auch die Erwartungen des Ratsuchenden an die Untersu-chung sowie sein mglicher Umgang mit dem zu erwarten-den Ergebnis sollten thematisiert werden. Insgesamt ist das Ziel der Beratung, dass die Risikoperson sich ber die Folgen der Austestung vollstndig im Klaren ist. Das Untersuchungsergebnis wird ausschlielich dem Betreffenden erffnet, ggf. einer begleitenden Vertrauens-person. Das Ergebnis oder diesbezgliche Ausknfte wer-den keinesfalls an Dritte weitergegeben. Der Befund wird Eigentum des Patienten und unterliegt der rztlichen Schweigepflicht.

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    Labore Genetische Untersuchungen sind u.a. mglich im Wiener Allgemeinen Krankenhaus, im SMZ Ost (Donauspital), in den LKH Graz und Innsbruck, sowie in der Praxis fr Humangenetik Wien (zur Erreichbarkeit siehe Abschnitt Anschriften). Zwecks Beratung kann man sich an die regionalen Selbsthilfegruppen wenden (siehe ebenda). Familienplanung Die Frage der Familienplanung gehrt zu den schwierigsten Problemen berhaupt, welche die Huntington-Krankheit aufwirft. Der Betreffende wei vielleicht gar nichts von seinem Risiko, weil sich die Krankheitssymptome erst im vierten Lebensjahrzehnt zeigen, wenn er bereits Kinder hat. Oder er wei es wohl, schtzt die Risiken aber falsch ein und hofft darauf, dass die Kinder gesund bleiben. hnlich den berlegungen einer Risikoperson, ob sie sich einem Gen-Test unterziehen soll oder nicht, sollte ein Gen-Trger daher an die Frage herangehen, ob er sich einen Kinder-wunsch erfllen solle oder nicht. Dazu muss er die Me-chanismen der Krankheit kennen und zu sich und dem Partner offen und ehrlich sein. Wie weiter oben beschrieben, haben Kinder von Eltern, bei denen ein Elternteil die Gen-Vernderung trgt, eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, das Gen zu erben und dann zu erkranken. Vor diesem Hintergrund gibt es auch in der Problematik der Familienplanung Argumente Fr und Wi-der einen Kinderwunsch und mancherlei Fragen. Unter welchem Gewissensdruck steht z.B. eine werdende Mutter, ihr Kind abzutreiben oder nicht abzutreiben, von dem sie

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    wei, dass es spter ein Pflegefall wird? Oder knnen z.B. Eltern es seelisch verkraften zu wissen, dass ihre Kinder das Huntington-Risiko in sich tragen und spter vielleicht daran erkranken werden? Auf diese und andere Fragen gibt es keine pauschalen Antworten und kein Richtig oder Falsch. Die Entscheidung fr oder gegen ein Kind muss Jeder fr sich selbst treffen. Doch anders als bei den ber-legungen fr oder gegen einen Gen-Test geht es beim Kin-derwunsch nicht nur um die eigene, sondern um die Zu-kunft und den Lebensweg eines anderen Menschen. Dies gilt es, sich vor Augen zu halten. Therapeutische Mglichkeiten Allgemeines Die Ursache der Huntington- Krankheit ist zwar seit eini-gen Jahren bekannt, trotzdem lsst sich die Krankheit der-zeit noch nicht an der Wurzel packen, das heit, dass ihre Heilung bislang nicht mglich ist. Auch kann man den Krankheitsverlauf weder stoppen noch umkehren. Viele Forscher suchen daher nach Medikamenten und Verfahren, die in das Krankheitsgeschehen eingreifen. Einige Versu-che, die bereits im Tiermodell erfolgreich waren, haben enttuschende Ergebnisse beim Menschen gezeigt. Den-noch knnen verschiedene therapeutische Leistungen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Selbststn-digkeit beitragen und somit Menschen lnger ein eigenstn-diges Leben in ihrer gewohnten Umgebung ermglichen. So ist im Augenblick das Hauptziel jeder Therapie, die auftretenden Symptome zu behandeln, um auf diese Weise die Lebensqualitt zu verbessern. Da die Symptome bei den verschiedenen Patienten unterschiedlich sind, muss eine

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    Therapie individuell angepasst werden. Daher kann es kei-ne allgemein gltige Therapie von der Stange geben, sondern nur eine therapeutische Maanfertigung mit neuropsychologischer Therapie, Ergotherapie, Physiothe-rapie, Sprechtherapie sowie einer nachhaltigen Ernh-rungsberatung. In jedem Fall muss eine Therapie ganzheit-lich angesetzt werden, d.h. im biologisch-psychologisch-sozialen Zusammenspiel unter Einbeziehung der Angeh-rigen. Ohne Strkung des Patienten und seiner Familie ei-nerseits und ohne deren Entlastung andererseits bleibt ein Therapiekonzept Stckwerk. Medikamentse Behandlung Da, wie erwhnt, die Huntington-Krankheit bislang noch nicht urschlich behandelt werden kann und z.B. eine mg-licherweise erwnschte Blockade des Huntington-Gens medizinisch noch nicht realisiert ist, knnen derzeit auch Medikamente nur bestimmte Symptome verbessern. Gleichwohl wird nach neuen Wirkstoffen geforscht, z.T. als Nebenprodukt von Arzneien, welche fr andere, hufiger vorkommende Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson entwickelt wurden. So werden in der medikamentsen The-rapie vielfltige Anstze verfolgt. Die meisten dieser Anst-ze befinden sich noch im Experimentalstadium. Einige Untersuchungen wurden bisher nur im Tierversuch vorge-nommen, andere Substanzen bereits in Studien mit Betrof-fenen erprobt. Aber alle in der Medizin verabreichten Medikamente kn-nen neben der erwnschten Hauptwirkung auch Neben-wirkungen zeigen. Bei der Behandlung von Symptomen muss daher immer abgewogen werden, wie weit solche

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    Beschwerden das tgliche Leben und die Lebensqualitt beeinflussen und welche Nebenwirkungen der Therapie auftreten knnen. Das sollte bei der Entscheidung fr oder gegen ein Medikament bercksichtigt werden. Die medi-kamentse Therapie gehrt daher in die Hand eines erfah-renen Nervenarztes, denn es knnen Nebenwirkungen auftreten, die beispielsweise das Schlucken, Gehen oder Sprechen verschlechtern. Der Arzt wird dann die Dosis anpassen, das Medikament wechseln oder auf eine Behand-lung verzichten. Da Nebenwirkungen sehr individuell auf-treten, ist auch die medikamentse Therapie eine auf jeden einzelnen Patienten zugeschnittene Behandlung. Bei Bewegungsstrungen ist es zunchst wichtig herauszu-finden, wie sehr sie den Betroffenen tatschlich beeintrch-tigen, denn manchmal knnen Bewegungsstrungen die Angehrigen mehr belasten, als den Betroffenen selbst. Auerdem knnen viele Huntington-Patienten trotz ihrer Bewegungsstrungen verschiedene alltgliche Verrichtun-gen noch selbst erledigen. In diesen Fllen ist eine medika-mentse Therapie nicht ntig. Wird jedoch der Einsatz von Arzneien notwendig, muss der Arzt fr jeden Patienten persnlich eine Dosis finden, die mglichst wenige Ne-benwirkungen verursacht, aber trotzdem eine gute Heilwir-kung zeigt. Das ist manchmal schwierig. Die wirksamsten Medikamente gegen Bewegungsstrungen sind Neuroleptika. In den meisten Fllen knnen mit ihrer Hilfe die Strungen gut kontrolliert werden. Allerdings verursachen verschiedene Neuroleptika unterschiedliche Nebenwirkungen. Beispielsweise fhren manche zu Mdig-keit und Antriebsmangel. Bei einem Patienten, der neben Bewegungsstrungen auch unter Reizbarkeit und Wutaus-brchen leidet, wre diese Nebenwirkung sogar hilfreich.

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    Fr einen apathischen Kranken dagegen eignet sich ein solches Medikament weniger und man sollte auf ein ande-res Produkt ausweichen. Falls spter das Nachlassen der geistigen Fhigkeiten dazu fhrt, dass der Bezug zur Wirk-lichkeit verloren geht, knnen Wahnvorstellungen die Fol-ge sein. Auch in diesen Fllen knnen Neuroleptika helfen. Diese mssen ber einen lngeren Zeitraum gegeben wer-den, damit sie ihre Wirkung entfalten knnen. Wenn die geistigen Fhigkeiten nachlassen, stellen sich bei vielen Huntington-Patienten Unruhe und Angst ein. Zu-nchst sollte versucht werden, dieser Situation durch einen strukturierten Tagesablauf und durch Rituale entgegen zu wirken. Bestimmen aber ngste das Leben des Betroffe-nen, knnen Medikamente helfen. Bewhrt haben sich ein-fache Beruhigungsmittel, so genannte Benzodiazepine. Diese Medikamente knnen zwar zu krperlicher und psy-chischer Abhngigkeit fhren, bei Huntington-Patienten, die das Medikament einnehmen, ist mit der Entwicklung einer Sucht aber nicht zu rechnen.

    Hufiges Symptom der Huntington-Krankheit sind De-pressionen. Diese sind mitverantwortlich fr die hohen Selbstmordraten, vor allem zu Beginn der Erkrankung. Da gutes Zureden, beispielsweise dass der Betroffene sich zu-sammenreien soll, berhaupt nicht hilft, sollten Depressi-onen unbedingt medikaments behandelt werden. Dabei werden die so genannten klassischen Antidepressiva (z.B. Trizyklika) bei der Huntington-Krankheit nicht eingesetzt. Sie wirken zu unspezifisch, sind leider nicht so gut vertrg-lich und knnen Bewegungsstrungen verschlimmern. Bei Personen, die noch keine choreatischen Bewegungen auf-weisen, knnten diese sogar durch solche Medikamente ausgelst werden. Neue, moderne Medikamente, z.B. die

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    so genannten Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehem-mer, greifen gezielter in bestimmte Botenstoffsysteme ein und sind wesentlich besser vertrglich. Auch so genannte atypische Neuroleptika werden eingesetzt, weil sie die ty-pischen Nebenwirkungen der zugehrigen Arzneistoffe seltener aufweisen. Gleichzeitig knnen sie bestehende Bewegungsstrungen verbessern. Meist dauert es vier bis acht Wochen, bis die Medikamente wirken und eine Besse-rung der Depression tatschlich festzustellen ist.

    Bei Schlafstrungen knnen ebenfalls Benzodiazepine helfen. Werden diese allerdings schon am Tag gegen ngs-te gegeben, wird der Arzt andere Schlafmittel verschreiben. Hufig findet sich im Anfangsstadium der Erkrankung ein enthemmtes, impulsives und unbedachtes Verhalten ge-genber den Mitmenschen. Fhrt dieses Verhalten zu ag-gressiven Ausbrchen, knnen auch dagegen Medika-mente notwendig werden, die dieses Verhalten kontrollie-ren. Tipp: angesichts der Menge an Medikamenten, die manche Huntington-Patienten einnehmen mssen, sowie mgli-cherweise hufigem Arzneiwechsel, z.B. weil sie mit der Zeit ihre Wirkung verloren haben oder nicht akzeptable Nebenwirkungen zeigen, hat es sich in der Praxis bewhrt, ein Medikamenten-Tagebuch zu fhren. In einer einfa-chen Liste wird in vier Spalten die Bezeichnung der einge-nommenen Medikamente (inkl. Dosis), ihre Einnahmehu-figkeit (z.B. morgens, mittags, abends) und das Datum des Beginns der Einnahme erfasst. In einer vierten Spalte ver-zeichnet man Bemerkungen dazu, z.B. ber Wirkung, Ne-benwirkung, Grund eines Medikamentenwechsels und der-gleichen mehr. Eine solche Liste, die leicht ber Jahre ge-

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    fhrt werden kann, ist fr den behandelnden Arzt immer wieder ein hervorragendes Dokument, das Auswahl und Entscheidung ber die weitere Steuerung der medikamen-tsen Behandlung erleichtert. Nichtmedikamentse Therapien Medikamente allein gengen nicht. Neben der medikamen-tsen Therapie sind begleitend Physiotherapie, Logop-die, Ergotherapie und Hirnleistungstraining die zweite wichtige Sule der Behandlung. Diese Therapien werden individuell auf die Bedrfnisse des jeweiligen Patienten zugeschnitten und sollten frhzeitig begonnen werden. Dank Gentest und frhdiagnostischen Mglichkeiten ist heutzutage eine Behandlung bereits in der Frhphase der Erkrankung tatschlich mglich. Auerdem sind gerade in dieser Phase die benden Verfahren besonders wirksam und knnen ber ihre Stress reduzierende Wirkung nicht nur die Lebensqualitt der Betroffenen verbessern, sondern auch den Verlauf der Krankheit insgesamt. Darber hinaus sollte ein frher Therapiebeginn allein deswegen genutzt werden, weil zu diesem Zeitpunkt die Probleme noch ge-ring sind und die Patienten noch gut lernen und selbststn-dig ben knnen. Neben den oben genannten kann eine Psychotherapie erwogen werden, um die Krankheit besser zu meistern. Davon profitieren nicht nur die Betroffenen, sondern auch deren Familien. Viele Therapieformen kann man sich von einer Fachkraft zeigen lassen und daheim regelmig weiter ben.

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    So sollten Huntington-Patienten regelmig physiothera-peutische bungen machen. Ziel ist, Funktionsstrungen und Fehlentwicklungen des Krpers so weit wie mglich hinauszuzgern, beispielsweise die Fhigkeit, sich selbst-stndig fortbewegen zu knnen. Bei sturzgefhrdeten Pati-enten kommt ein Falltraining hinzu. Schwerpunkt ist Ver-besserung von Stand und Gang, der Krperhaltung und Regulation der Muskelspannung. Das geschieht durch akti-ve krperliche Bewegungsbungen sowie durch passive Manahmen wie Massagen oder Bder. Der Physiothera-peut stellt dazu ein speziell auf die Bedrfnisse des Patien-ten abgestelltes bungsprogramm zusammen. Diese bungen sollte man aber nicht nur beim Physiotherapeuten machen, sondern auch regelmig daheim, am besten ge-meinsam mit den Angehrigen. Eine kleine Auswahl geeig-neter bungen ist im nachfolgenden Abschnitt aufgefhrt. Die Huntington-Krankheit fhrt auch dazu, dass der Pati-ent beim Sprechen immer unverstndlicher wird. Diese unvermeidbar auftretenden Sprechschwierigkeiten lassen sich am Besten durch ein gezieltes logopdisches Trai-ning beeinflussen. Die Behandlung sollte schon bei leich-ten Sprechstrungen beginnen. Ziel der Therapie ist, die Verstndlichkeit des Patienten so lange wie mglich zu erhalten. Teile der Behandlung sind gezielte Artikulations-bungen, Optimierung des Gebrauchs von Atmung und Stimme sowie Korrigieren der Sprechgeschwindigkeit. Die Sprechtherapie wird von Sprachbungen begleitet. Diese sollen sowohl das Sprachverstndnis als auch den Sprach-gebrauch aktivieren. Da fr eine logopdische Therapie erfahrungsgem lange Wartezeiten in Kauf genommen werden mssen, sollte man sich frhzeitig um eine geeigne-te Behandlung bemhen.

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    Neben den Sprachbungen kann mit dem Logopden auch das richtige Schlucken gebt werden. Diese bungen sind fast noch wichtiger als das Sprechen, da Schluckstrungen fr den Patienten sehr gefhrlich werden knnen. Sie soll-ten daher unbedingt Teil der logopdischen Therapie sein. Jeder Mensch braucht eine sinnvolle Beschftigung. Muss der Huntington-Patient aus seinem bisherigen Arbeitsum-feld ausscheiden, sollte er mit seinen Angehrigen eine sinnvolle, Freude bereitende Beschftigung suchen. Hier kann die Ergotherapie wichtige Hilfe leisten. Schwer-punktmig werden Fhigkeiten wie Ausdauer, Konzentra-tion, Zeiteinteilung, Kooperation, Grob- und Feinmotorik (z.B. Schreiben) geschult. Auch einfache alltgliche Verrich-tungen wie Essen, Trinken, Waschen, An- und Ausziehen, den Tag planen oder Einkaufen knnen mit einem Ergo-therapeuten gebt werden. Zudem kann der Therapeut aufzeigen, wie und wo Hilfsmittel wie Rolatoren, Rollsthle oder Anziehhilfen sinnvoll eingesetzt werden. Mit solcher-art verbesserter Alltagskompetenz kann der Betroffene lnger selbststndig bleiben. Ein regelmiges Hirnleistungstraining hat sich bei der Huntington-Krankheit ebenfalls bewhrt. Das spezielle, individuell auf den Patienten abgestimmte Training ermg-licht eine gezielte Frderung und Verbesserung der geisti-gen Leistungsfhigkeit. Nach einer ausfhrlichen Diagnos-tik hinsichtlich vorhandener und beeintrchtigter Fhigkei-ten wird mit dem Patienten ein individueller Therapieplan aufgestellt. Dabei knnen sowohl Computergesttzte Trai-ningsverfahren als auch Arbeitsbltter eingesetzt werden. Das Programm sollte mit einem Ergotherapeuten oder Neuropsychologen zusammengestellt werden.

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    Die folgenden Bereiche knnen nach Bedarf gezielt gefr-dert werden: geistige Beweglichkeit, Verbesserung von Ori-entierung in Ort, Raum und Zeit, Aufmerksamkeit, Kon-zentration, Merkfhigkeit, Gedchtnis oder Lese-Sinnver-stndnis, Handlungsplanung, Reihenfolgenbildung sowie persnliche und husliche Selbststndigkeit. Zur begleitenden Therapie zhlen auch Entspannungstech-niken wie Autogenes Training oder Progressive Muskel-entspannung. Beim Autogenen Training handelt es sich um eine Selbstentspannung durch Autosuggestion, indem man sich Ruhe und Entspannung intensiv vorstellt. Das Trai-ning besteht aus vielerlei bungen. Autogenes Training sollte man unter fachmnnischer Anleitung erlernen. Viele Sportvereine oder die Volkshochschule bieten Kurse an. Bei der Progressiven Muskelentspannung werden ver-schiedene Muskelgruppen systematisch angespannt und entspannt. Die Progressive Muskelentspannung kann man sehr leicht erlernen. Im Handel gibt es Kassetten und CDs, welche die bungen genau vorgeben. Auch Atembungen sind hilfreich. Die meisten Menschen atmen in Stress-Situationen unzureichend und ungleichm-ig. Bei allen Entspannungstechniken spielt daher die At-mung eine groe Rolle, denn ruhige, bewusste Atmung wirkt beruhigend und trgt somit zu Ausgeglichenheit und innerer Ruhe bei. Auch Patienten im fortgeschrittenen Sta-dium knnen noch Atembungen machen. Dazu gibt es Atemtherapeuten, bei denen man spezielle Atemtechniken erlernen kann. Insgesamt sind Entspannungsbungen nicht nur fr Huntington-Patienten wichtig. Auch die meist ge-stressten Angehrigen profitieren ganz enorm davon.

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    Allen Betroffenen und ihren Angehrigen sei angeraten, regelmig so viel wie mglich der vorgenannten benden therapeutischen Manahmen durchzufhren, vorzugsweise in einer kompetenten Klinik (in Wien z.B. das Otto-Wagner-Spital) oder im Rahmen eines Reha-Programms. Allein ein dreiwchiges Programm jhrlich kann helfen, um fit zu bleiben. Aus der Huntington-Forschung wird berich-tet, dass eine solche regelmige Behandlung eine sprbare Verbesserung der motorischen Leistungsfhigkeit und der Aktivitten des tglichen Lebens ergab. Die Kosten dafr bernimmt in der Regel die Krankenkasse. Die Beratungs-zentren "Pflege und Betreuung zu Hause" des Fonds Sozia-les Wien bernehmen die Beratung. Bewegungsbungen Bewegung ist des Menschen wichtigste Medizin. Diese Erkenntnis der alten Griechen gilt heute mehr denn je, und sie gilt fr Huntington-Patienten wie fr ihre Be-treuer. Regelmiges Training der Muskeln regt den Kreis-lauf an, stimuliert die Atmung, erhlt und erweitert krper-liche Fhigkeiten, dient der Abwechslung, steigert den Ap-petit, wirkt therapeutisch und steigert insgesamt das Wohl-befinden. Tipp: nachstehend folgt beispielhaft eine kleine Auswahl einfacher bungen, welche helfen knnen, den Bewe-gungsapparat gelenkig und die Muskeln krftig zu halten. Teils knnen sie im Liegen (im Bett), teils auerhalb ausge-fhrt werden. Sie sind als Anregung gedacht und knnen beliebig an die Bedrfnisse oder die Fhigkeiten des Betrof-fenen angepasst werden. Schon wenige Minuten Bewegung tglich knnen die Lebensqualitt sprbar verbessern.

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    Gehen Regelmiges Gehen, auch mit Stcken (Nordic Walking), ist die einfachste und am wenigsten aufwendige bung berhaupt, um sich Beweglichkeit und Wohlbefinden zu erhalten. Es ist gut fr Herz, Kreislauf und den gesamten Bewegungsapparat. Sogar fr strker betroffene Kranke ist das Gehen - ggf. mit entsprechender Untersttzung, um Strze abzuwenden - eine hervorragende Therapie. Dar-ber hinaus dient es gerade bei Huntington-Patienten auch dazu, das Gleichgewicht zu trainieren und zu erhalten. Ent-fernung: so weit wie mglich, d.h. von wenigen Schritten im Zimmer bis hin zu mehreren Kilometern Spaziergang, je nach Kondition des Patienten. Achten sollte der Betreuer auf zweckmiges Schuhwerk mit festem Sitz, bequemem Fubett und griffiger Sohle. Gut geeignet sind z.B. Sport- oder Joggingschuhe. Stufen steigen Diese bung ist deutlich schwieriger und anstrengender als reines Gehen, aber ungleich wirkungsvoller fr den gan-zen Krper mit Blick auf Herz, Kreislauf, Muskeln und Gelenke, inklusive Gleichgewicht. Die Anzahl der Stufen oder die Dauer des Steigens richtet sich nach Kondition des Patienten. berlastung ist kaum mglich, wenn der Betreuer auf die Atemfrequenz achtet und die bung be-endet oder eine Pause einlegt, wenn der Patient zu schnau-fen beginnt. Oberstes Gebot beim Steigen ist natrlich die Sicherheit, denn ein Sturz von der Stiege kann fatale Folgen haben. Also: immer nur mit Partner gehen und immer ms-sen sich BEIDE am Gelnder festhalten, denn einen Stol-

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    pernden auf einer Stiege auffangen zu knnen, ohne selbst festen Halt zu haben, ist kaum mglich! ber Hindernis steigen Wenn es in Haus oder Wohnung keine Stufen gibt, kann man sich behelfsmig einen hnlichen Parcours aufbau-en. Man verteilt verschiedene Gegenstnde auf dem Boden und lsst den Betroffenen darber steigen. Dies krftigt die Beine und schult das Gleichgewicht. Auch hier gilt: ein Partner sollte zur Sicherheit Hilfestellung geben. Schwimmen Schwimmen trainiert den ganzen Krper, ohne dass man dabei sein Gewicht tragen muss, und ist deshalb eine weite-re hervorragende gesundheitsfrdernde und -erhaltende Manahme. Wer dies aus verstndlichen Grnden nicht in vollen Schwimmbdern ausben mchte, sollte sich im Schwimmbad nach besonderen Zeiten fr Behinderte er-kundigen, wie sie von manchen Gemeinden angeboten werden. Im frhen Stadium der Huntington-Erkrankung drfte das Schwimmen noch problemlos auszuben sein. Wenn nach und nach die Muskeln weniger gehorchen, sind Schwimmhilfen angesagt. Zu Beginn drften Schwimm-flgel ausreichen, die es auch in Erwachsenengren gibt und die dem Schwimmer die notwendige Sicherheit verlei-hen. Spter wird der Betroffene einen Schwimmreifen be-ntigen, der einen hheren Auftrieb besitzt als Flgel. Wichtig fr die Auswahl der Schwimmhilfen ist, dass der Patient mit ihrer Hilfe in eine stabile Schwimmlage kommt, d.h. dass auf jeden Fall der Kopf zuverlssig ber Wasser

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    gehalten wird. Und auch beim Schwimmen gilt: nie ohne erfahrene Begleitung ins Wasser. Einbeinstand Sollte es mit dem Gehen schon schwierig werden, knnte man es mit folgender bung versuchen. Auf ein Bein stel-len (ggf. an Tisch, Stuhl oder Schrank absttzen), Ober-krper aufgerichtet, Blick nach vorn (nicht nach unten), das zweite Bein vor und zurck bewegen, gewissermaen wie beim Gehen. Bei der Bewegung nach vorn mit der Ferse auf den Boden tippen, bei der Bewegung nach hinten mit der Fuspitze. Nach mehreren Wiederholungen das Bein wechseln. Diese Gewichtsverlagerung von einem Bein auf das Andere kann auch als eigenstndige bung durchge-fhrt werden. Insgesamt ist der Einbeinstand mit Bein-wechsel eine einfache bung, aber wirkungsvoll fr Gang und Gleichgewicht. Fahrrad fahren Wer vor Ausbruch der Krankheit gerne mit dem Fahrrad gefahren ist, mchte dies vielleicht so lange wie mglich fortsetzen. Durch die einsetzenden Balanceprobleme ist dem jedoch bald ein Ende gesetzt. Die Mglichkeit zum Radfahren lsst sich aber noch eine Weile aufrecht erhalten, wenn man auf ein Fahrrad mit doppeltem Hinterrad um-steigt, also vom Zweirad auf ein Dreirad. Solche Spezial-fahrrder gibt es im Fachhandel und in Sanittshusern.

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    bungen im Liegen Wenn das Stehen zunehmend Mhe bereitet oder nicht mehr mglich ist, lsst sich eine ganze Reihe von bungen auch im Liegen (auf einer Matte oder im Bett) durchfhren. Sollte der Patient nicht mehr in der Lage sein, dies aus ei-gener Kraft zu ben, so kann ein Helfer ihn entsprechend fhren und bewegen. Dabei Musik zu hren kann Rhyth-mus, Geschwindigkeit und die Stimmung positiv beeinflus-sen. Die folgenden bungen sind fr die Rckenlage ge-dacht:

    - Beine strecken und anwinkeln. Erst einzeln, dann beide;

    - Beine strecken und hoch in die Luft heben. Erst einzeln, dann beide;

    - Beine strecken und seitwrts grtschen. Erst ein-zeln, dann beide;

    - Beine anwinkeln und zur Brust heben, wieder stre-cken. Erst einzeln, dann beide;

    - Beine anwinkeln, Fe flach auf den Boden stellen, Ges vom Boden heben und wieder senken;

    - Gestreckte Arme seitlich heben und senken; - Gestreckte Arme vor dem Bauch heben und sen-

    ken; - mit gestreckten Armen Handflchen zusammen-

    pressen; - Schultern hochziehen und im / entgegen Uhrzei-

    gersinn rollen; - In gestreckter Armhaltung Finger abwechselnd

    krftig strecken und zur Faust ballen (strkt Greif-vermgen!).

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    bungen mehrfach wiederholen! Sie erhalten Beweglichkeit und krftigen Rumpf, Arme und Beine. Gesichtsgymnastik Gegen das weiter unten beschriebene Erstarren des Ge-sichtsausdrucks, zugleich zum Training der Mundmuskula-tur (kauen, schlucken, sprechen), helfen folgende bun-gen:

    - Mund weit ffnen und wieder schlieen; - Mund ffnen und einige Sekunden geffnet halten; - Lippen zum Kussmund formen, dann breites L-

    cheln; - alle Buchstaben des Alphabets oder eine Zahlenrei-

    he mit bertriebenen Mundbewegungen aufsagen; - Lippen zusammenpressen, dann Zhne zeigen; - Zunge herausstrecken und einziehen; - Zunge im / entgegen Uhrzeigersinn bewegen; - alle Arten von Grimassen schneiden (Stirn, Brauen,

    Nase, Mund, Wangen, Kinn bewegen). Mit Hilfe eines Handspiegels kann der Betroffene seine bungen selbst kontrollieren. Atembungen Wegen nachlassender Muskelleistung, mangelnder Bewe-gung oder schlechter Haltung lsst bei einem Huntington-Patienten in der Regel allmhlich die Atemleistung nach. So kann sich in den Bronchien leicht Schleim ansammeln, das Abhusten wird schwieriger, allgemein wird die Sauerstoff-

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    versorgung ungengend und die Gefahr ernsthafter Atemwegsentzndungen steigt. Atembungen sollten daher zum Pflichtprogramm eines jeden Betroffenen gehren. Es beginnt damit, dass man bei einem Kranken auf gute Hal-tung vor allem im Sitzen und Stehen achtet, denn ein ge-krmmt sitzender oder stehender Mensch kann seine Lun-gen nicht richtig mit Sauerstoff fllen. Zwei einfache bungen, die im Sitzen oder Liegen ausge-fhrt werden knnen, verbessern die Lungenfunktion: Spannungsatmung und Entspannungsatmung. Zur Erste-ren atmet man tief durch die Nase ein, danach mit gespitz-ten Lippen krftig durch den Mund aus, bis die Lunge leer ist. Die Strke des Atems kann man leicht kontrollieren, indem man gegen ein Tuch blst, welches in geeigneter Entfernung vor sich gehalten oder aufgehngt wird, sodass es sich bewegt. Zur Zweiten atmet man ebenfalls tief durch die Nase ein, diesmal jedoch langsam und ruhig durch den Mund wieder aus. Beide bungen sollte man ein paar Mal wiederholen, wenn ntig mehrmals am Tag. Wichtig ist, dass die Lunge immer ganz gefllt und ganz geleert wird. Letztere bung dient auch der Entspannung und Beruhi-gung, insbesondere, wenn man begleitend entsprechende Musik hrt. Zahnpflege Gute Zahnpflege ist fr Huntington-Patienten enorm wich-tig. Ein schlechter Zahnzustand ist nicht nur wegen der damit verbundenen mglichen Schmerzen unangenehm, sondern er erschwert wegen der Mhe beim Kauen und Schlucken die Nahrungsaufnahme und kann insofern mit-urschlich fr Gewichtsverlust sein. Trotzdem wird es mit

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    fortschreitender Krankheit fr die Betroffenen immer schwieriger, ihre Zhne sachgerecht zu pflegen, denn dazu ist eine feine, motorische Koordination vonnten. Stattdes-sen gehen Kraft zum Halten und Geschicklichkeit im Um-gang mit der Zahnbrste bald verloren. Viele Kranke ben-tigen daher bereits in einem frhen Stadium Hilfe. Eine diesbezgliche Hilfe wird jedoch auch fr eine Pflegeper-son zunehmend schwerer, weil der Betreffende z.B. den Kopf nicht ruhig halten oder den Mund nicht weit und lange genug ffnen kann. Vor dem gleichen Problem ste-hen natrlich der Zahnarzt und seine Assistentin. Wenn ein Patient stndig unkontrolliert und unvorhersehbar seinen Kopf bewegt, ist eine Untersuchung kaum, eine Behand-lung berhaupt nicht mglich. Viele Betroffene haben da-her, zumindest im spteren Krankheitsstadium, schlechte Zhne. Um dennoch den Zahnbestand weitgehend zu erhalten und die Gefahr einzudmmen, dass aufgrund kranker Zhne bestehende Krankheitsherde aus dem Mundbereich sich auf andere Stellen im Krper bertragen, kann von der Mglichkeit einer Zahnbehandlung unter Vollnarkose oder zumindest Sedierung (Dmmerschlaf) Gebrauch ge-macht werden. Diese Behandlungsmethode wird von Zahnkliniken oder entsprechend ausgersteten Spitlern zunehmend angeboten und angewandt. Durch die rasante Entwicklung des Faches Ansthesie und der Intensivmedi-zin gelten heutzutage Vollnarkosen bei Einhaltung der vor-geschriebenen Voruntersuchungen (u.a. Blutbild, EKG und Lungenrntgen) als sicher. Nhere Ausknfte erteilen Zahnrzte und Spitler bzw. finden sich unter den betref-fenden Stichworten im Internet.

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    Tipp: bezglich der Kostenbernahme empfiehlt es sich, vor Behandlungsbeginn unter Hinweis auf die Besonderhei-ten der Huntington-Erkrankung mit der Krankenkasse Verbindung aufzunehmen, denn die Kassen bernehmen blicherweise nur die Kosten einer lokalen Narkose (mit Spritze), nicht die der Vollnarkose. Der Unterschied kann leicht mehrere hundert Euro ausmachen. Das gilt vor allem bei Behandlung in Privatkliniken. ffentliche Spitler kn-nen die Kosten i.d.R. mit den Kassen verrechnen. Eine dazu geeignete Behinderten-Zahnambulanz gibt es z.B. im Krankenhaus Hietzing (zur Erreichbarkeit siehe Abschnitt Anschriften). Umgang mit Erkrankten Ein ehemals friedlicher und liebevoller Familienvater ist auf einmal cholerisch und aggressiv und kmmert sich nicht mehr um seine Kinder. Ein Anderer gibt alle Ttigkeiten auf und weigert sich, das Haus zu verlassen. Oder er stopft gierig Nahrung in sich hinein, obwohl er sich hufig ver-schluckt und dann Atemnot bekommt. Dieses an wenigen Beispielen beschriebene, berraschende und ungewohnte Verhalten kann nicht nur fr die Angehrigen sehr belas-tend sein, sondern auch fr die Betroffenen selbst. Jeden-falls zeigen sie, dass der Umgang mit Huntington-Kranken sehr schwierig sein und von der Familie das uerste ab-verlangen kann. Die Huntington-Krankheit wurde von einem amerikani-schen Huntington-Experten einmal gekennzeichnet als Triade klinischer Strungen. Die drei Elemente dieser Triade sind Bewegungs-, kognitive und emotionale Strun-gen. Besonders im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit

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    beeinflussen sich diese drei oft gegenseitig. Wenn man die-se Komplexitt versteht, erkennt man leichter, was in ei-nem Betroffenen vor sich geht und wie man als Betreuer mit geeigneten Manahmen darauf reagieren kann. Kognitive Strungen* Kognitive Strungen machen den Angehrigen hufig mehr zu schaffen, als z.B. die Bewegungsstrungen. Es gibt dazu mehrere Merkmale, deren Kenntnis und Beachtung Pflege und Betreuung wesentlich erleichtern knnen. Dies sind die Denkgeschwindigkeit, das Erinnerungsvermgen, die Konzentrationsfhigkeit, die gedankliche Organisation und die Ungeduld. Wie eingangs geschildert, werden durch die Krankheit be-stimmte Gehirnzellen zerstrt. Wenn nun weniger Gehirn-zellen richtig funktionieren, dann werden Informationen langsamer verarbeitet. Langsameres Denken wiederum erzeugt verzgerte Reaktionen. Daher sollte man einem Betroffenen beispielsweise nach einer Frage ausreichend Zeit zur Formulierung einer Antwort lassen. Dies kann eine Weile dauern: 5 Sekunden, 10 Sekunden. Einem Gesunden kommt das sehr lange vor, aber ein Betroffener bentigt diese Zeit, eben des langsameren Denkens wegen. Und wenn man aus Ungeduld die Frage wiederholt oder eine neue Frage stellt, dann dauert die Antwort noch lnger, weil der Betroffene seinen Gedankengang wieder von vorne beginnen muss. Man soll das Gesprchstempo also den Fhigkeiten des Gegenbers anpassen. * vom lateinischen cognoscere = wissen, erkennen. Im Zusammenhang dieses Textes bezieht sich der Begriff vereinfachend auf Strungen im Denkvermgen.

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    Auch das Erinnerungsvermgen der Huntington-Patien- ten lsst zunehmend nach. Einem Betroffenen fllt es da-her leichter, etwas Bekanntes wieder zu erkennen, als sich daran zu erinnern. Dies ist vom Denkvorgang her ein Unter- schied. Das ist bei einem Gesunden brigens nicht anders, aber eben nicht so ausgeprgt. Als Konsequenz fr einen Betreuer ergibt sich daraus, dass bei Fragen zweckmi-gerweise eine Auswahl an Antworten mitgegeben wird, hnlich einem Quiz. Statt also z.B. zu fragen: Was mch-test Du morgen essen? (auf diese Frage muss sich der Betreffende an alle Arten von Speisen erinnern), ist es Erfolg versprechender zu fragen: Mchtest Du morgen Hhn-chen essen, oder Fisch, oder Pizza? (bei dieser Frage kann er bekannte Speisen wieder erkennen). Dass bei letzterer Frage die Antwort leichter fllt, liegt auf der Hand. Allerdings muss er auch bei dieser Fragestellung eine Auswahl treffen, sich fr eine von mehreren Mglichkeiten bewusst ent-scheiden. Wenn auch dies mit der Zeit zu schwierig wird, kann es zweckmiger sein, die Problemstellung weiter zu vereinfachen und selbst eine Lsung anzubieten. Um beim Beispiel Essen zu bleiben knnte man sagen: Heute gibt es Hhnchen. Ist das Recht? Dann liefe es fr den Ge-fragten nur auf eine Ja - Nein - Antwort hinaus. Dies ist keine Bevormundung, sondern Hilfestellung fr ihn. Ein weiteres Strungsmerkmal ist die Schwierigkeit, mehre-re Dinge gleichzeitig oder im raschen Wechsel zu tun, weil Betroffene wegen eingeschrnkter Konzentrationsfhig-keit zunehmend schwerer in der Lage sind, ihre Aufmerk-samkeit zgig von einem Thema auf ein Anderes zu lenken. Stattdessen knnen sie sich in ein Thema fr lngere Zeit regelrecht verbeien. Das erkennt man daran, dass die Fra-ge oder der Gedanke, mit dem sie gerade beschftigt sind, stndig wiederholt werden. Der Betroffene merkt gar nicht,

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    dass er einen Satz bereits mehrfach gesagt hat. Angesichts des heutigen, in allen Lebenslagen hohen Tempos gleich-zeitig ablaufender Vorgnge ist es nicht einfach, dem Rechnung zu tragen, doch sollte man sich generell bem-hen, Parallelbeschftigungen zu vermeiden (z.B. Fernsehen beim Essen) und bei einer Ttigkeit bzw. bei einem Thema zu bleiben. Dies ist umso wichtiger, je langsamer Jemand denkt, weil der Betreffende dann noch anflliger gegenber ueren Strungen ist und Ablenkungen nicht, wie ein Ge-sunder, einfach ausblenden kann. Wenn jedoch ein Thema erschpft oder eine Ttigkeit beendet ist, sollte man lang-sam und mit deutlichen und konkreten Hinweisen auf das Nchste berleiten (z.B. bei einem Gesprch Wir haben jetzt ber die Weihnachtfeier gesprochen. Jetzt mchte ich erzhlen, wie es unserem Grovater geht. Oder bei der Krperpflege: Hier ist Deine Zahnbrste. Jetzt tue ich die Zahncreme darauf. Und jetzt putzen wir). Die Devise heit also: Eins nach dem Anderen. Wie bei der Beschreibung der Krankheit im Teil I dieses Buches angedeutet, wird es fr Huntington-Patienten schwerer und schwerer, ihre Gedanken zu ordnen und Handlungsablufe folgerichtig zu planen. Die schnelle ge-dankliche Organisation einer zu planenden Ttigkeit, die bei einem Gesunden mehr oder weniger automatisch, un-bewusst und zgig verluft, verlangt von einem Betroffe-nen bewusstes Nachdenken und anstrengende Gedanken-arbeit. Dies gilt selbst fr viele vermeintlich einfache Fra-gen und Aufgaben, wie sie im Verlauf eines Tages an Jeden herangetragen werden. Anders, als eine offensichtliche Be-wegungsstrung, ist die Schwierigkeit, geordnet und folge-richtig zu denken, nicht sogleich erkennbar. Ein ziemlich sicheres Anzeichen dafr ist fr einen Betreuer, wenn er wieder einmal auf einen Vorschlag hin ein impulsives, aber

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    unreflektiertes Nein zu hren bekommt. Obwohl die Sache, um die es geht, in seinem Interesse lge, reagiert der Betroffene mit einem spontanen Nein. Das kommt oft daher, dass er einen Zusammenhang nicht schnell genug durchschaut und die spontane Reaktion mit einem Nein ihm leichter fllt, als angestrengtes Nachdenken. Dazu msste er seine Gedanken ordnen, damit er das, was er sagen mchte, formulieren und aussprechen kann. Dass ein solches Nein nicht immer durchdacht ist, merkt man auch daran, dass manchmal gleich darauf ein korrigierendes Ja folgt. Natrlich hat jeder Betroffene das Recht, dass sein Wille akzeptiert wird. Aber nicht jedem Nein, nicht jeder Wei-gerung muss man stattgeben, zumindest dann nicht, wenn diese nicht offensichtlich in einer berlegung begrndet sind, sondern in der Krankheit. Da es fr den Kranken in diesem Zusammenhang nicht nur schwierig ist, Handlungen zu planen, sondern auch seine Ttigkeiten einzuteilen, zu ordnen und zu Ende zu bringen, kann es eine groe Hilfe sein, in mglichst vielen Ablufen des tglichen Lebens eine Struktur und eine ge-wisse Routine einzufhren und einzuhalten, um berra-schungen und Unterbrechungen zu vermeiden. Zu wissen, was als nchstes kommt, in der bekannten Weise, in dersel-ben Reihenfolge und zur gleichen Zeit, das alles ist fr Huntington-Patienten angenehm und beruhigend und er-leichtert ihnen sowie den Betreuern das Miteinander. Eine weitere Herausforderung fr Betreuer eines Hunting-ton-Patienten ist deren Anspruch, Wnsche sofort erledigt zu bekommen, auf etwas nicht warten zu knnen. Es ist daher wichtig zu wissen, dass diese scheinbare Ungeduld

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    auf einer beeintrchtigten Gehirnfunktion beruht und so-mit nicht die Person und ihr Charakter dafr verantwortlich sind, sondern die Krankheit. Das hngt mglicherweise auch damit zusammen, dass der Betroffene sich gerade auf den einen bestimmten Gedanken konzentriert, nmlich sei-nen Wunsch. Und um den dreht sich dann bei ihm alles. Wenn man diesen Hintergrund kennt, kann man dafr das ntige Verstndnis aufbringen und entsprechend angemes-sen reagieren, d.h. verlsslich und so bald wie mglich. Verstndigungsschwierigkeiten Kommunikation findet mit verbalen Mitteln (Sprache) und nonverbalen Mitteln (Gesten, Mimik) statt. Sie ist eine sehr komplexe, koordinierte Ttigkeit, welche aus denken, erinnern, hren, dem Gebrauch einer Vielzahl von Muskeln und der richtigen Atmung besteht. Im Sptstadium der Huntington-Krankheit wird ein Betroffener in aller Regel die Fhigkeit zu kommunizieren einben oder ganz verlie-ren. Das ist nicht die Folge eingeschrnkter Wahrneh-mungsfhigkeit, sondern Folge des Verlustes der Kontrolle ber seine Muskeln. In vielen Fllen wird es aber mglich sein, mittels Training und diverser Hilfsmittel diesen Pro-zess zumindest hinauszuzgern. Wer zur Erhaltung des Sprechvermgens etwas unternehmen will, muss frh damit beginnen. Dass die Sprache mit der Zeit undeutlich und schwer ver-stndlich wird, ist vielen Patienten sehr unangenehm, so dass sie insgesamt, vor allem Fremden gegenber, sehr we-nig sprechen. Dennoch darf man nicht vergessen, dass der Kranke geistig wach ist und alles versteht. Dennoch kann das Nachlassen der intellektuellen Fhigkeiten dazu fhren,

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    dass der Betroffene Wrter nicht oder nicht sofort findet und daher Umschreibungen gebraucht. Bei solchen Wort-findungsstrungen soll man jedoch nicht unverzglich ein-springen. Das empfinden einige Betroffene als krnkend. Man soll sich aber vergewissern, ob man den Inhalt richtig verstanden hat. Das kann Missverstndnissen vorbeugen, denn einige Konflikte entstehen tatschlich auch aus Miss-verstndnissen heraus. Ein groer Teil der Kommunikation verluft eben nicht nur ber das gesprochene Wort, son-dern darber, wie es gesprochen wird, also ber Ton, Gestik und Mimik. Motorische Strungen und unbeabsichtigte Grimassen knnen den Inhalt des Gesagten gewaltig beein-flussen und sogar ins Gegenteil verkehren. Der Betreuer muss daher lernen, ein guter Zuhrer zu werden, denn Kommunikation besteht aus sprechen und zuhren. Wenn man etwas nicht verstanden hat, kann man dies ruhig sagen und um Wiederholung bitten. Zweckmi-gerweise soll man selbst deutlich und langsam sprechen, einfache Stze bilden, welche jeweils nur eine Idee oder einen Gedanken vermitteln, Schachtelstze vermeiden und eine Pause nach jedem Satz machen. Eigene Mitteilungen kn-nen mit Mimik, Gestik und Krpersprache unterstrichen werden. Dem Gegenber muss man Zeit zum Nachden-ken, Formulieren der Gedanken und fr die Antwort ge-ben. Irgendwann wird jedoch die Sprache als Kommunikati-onsmittel unbrauchbar. Das bedeutet aber nicht gleichzeitig den Verlust der Kommunikationsfhigkeit insgesamt. Vielmehr mssen andere Kommunikationsmglichkeiten gefunden werden. Tatschlich gibt es auf dem Markt die verschiedensten Kommunikationshilfen, wobei einige von ihnen sich mit eigenen Mitteln leicht selbst herstellen

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    lassen. Zu Letzteren gehren z.B. Buchstaben- oder Wr-tertabellen. Bei den Buchstabentabellen ist das ganze Al-phabet aufgefhrt, und der Patient kann mit dem Finger die Buchstaben eines jeden Wortes der Reihe nach zeigen. Wrtertabellen dagegen enthalten einen kleineren Wort-schatz. Hier sind Schlsselwrter aufgefhrt wie Ja, Nein, Essen, Trinken, Rauchen, Schlafen, Bad, WC und derglei-chen mehr, auf welche der Kranke mit einer Handbewe-gung deuten kann. Zustzlich zum geschriebenen Wort - oder stattdessen - kann man den Gegenstand auch als Symbol darstellen. Dem gleichen Zweck dienen z.B. kleine-re Fotoalben mit Zeichnungen oder Fotografien, die der Betroffene durchblttern kann. Je nach Fingerfertigkeit mssen alle diese Hilfen eine entsprechende Mindestgre besitzen, damit das Hindeuten zweifelsfrei mglich ist. Das Problem mit diesen Hilfsmitteln wird aber sein, dass, wenn der Patient berhaupt nicht mehr sprechen oder auch sei-nen Blick nicht mehr fokussieren kann, er vermutlich auch nicht mehr die Fhigkeit zu einer gezielten Handbewegung besitzt. Trotzdem knnen diese Kommunikationshilfen aber in der Praxis zumindest fr eine Zeitlang sehr ntzlich sein. Insgesamt sollte man nicht vergessen, dass man es mit ei-nem Kranken zu tun hat, dass die Krankheit stetig fort-schreitet, und dass sie sich morgen anders auswirken kann, als heute. Vor allem sollte man bedenken, dass der Betrof-fene trotz der Verstndigungsprobleme kein Kind ist, sondern ein Erwachsener - wenngleich mit begrenzter Er-kenntnisfhigkeit. Er sollte daher stets mit Achtung behan-delt werden. Auch sollte in seiner Gegenwart nie so ge-sprochen werden, als ob er nicht anwesend wre, denn er bekommt es mit. Es ist wichtig, dem Kranken immer wie-der Zuwendung zu vermitteln, auch wenn die Kommunika-

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    tion nicht mehr so leicht ist. Man kann ihn berhren, ihn in den Arm nehmen, ihm in die Augen sehen, ihn streicheln und ihn anlcheln. Mimik Lieen sich im frhen Stadium der Erkrankung eines Hun-tington-Betroffenen seine Emotionen wie bei Gesunden auch im Gesicht ablesen, so lsst durch den Verlust der Muskelkontrolle auch die Mimik nach, einschlielich der Fhigkeit, den Blickkontakt oder ein Lcheln beizubehal-ten. Die fortschreitende Erkrankung lsst das Gesicht un-bewegt erscheinen. Jimmy Pollard, ein amerikanischer Hun-tington-Experte mit groer Erfahrung im Umgang mit die-sen Patienten, nennt dies Merkmal treffend die Hunting-ton-Maske. Ihretwegen wird es schwierig, zu erkennen, was der Betreffende tatschlich fhlt oder denkt. Er wirkt vielleicht geistesabwesend, gelangweilt, desinteressiert, gleichgltig, beleidigt, rgerlich oder ablehnend, man wei aber nicht, ob er es tatschlich ist. Man sieht nicht, was hinter der Maske vorgeht, man erkennt keine Stimmungen. Als Betreuer sollte man jedoch davon ausgehen, dass der Betroffene sich trotz kaum wahrnehmbarer oder gar feh-lender Mimik innerlich ber die gleichen Dinge freuen kann, wie frher. Nur kann er es nicht mehr ausdrcken. Schlafstrungen Krankheitsbedingte Schlafstrungen knnen oft so weit gehen, dass sich der Tag- / Nachtrhythmus vllig ver-dreht. Damit gert die innere Uhr des Betroffenen aus dem Takt, oder er verliert die Beziehung zu den ueren Zeitge-

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    bern wie dem Tageslicht oder der Uhr. Die Zeitverschie-bung fhrt dann dazu, dass der Patient tagsber schlft, nachts aber hellwach ist und beispielsweise unbedingt dann essen oder spazieren gehen mchte. Um dies zurck zu drehen kann man es zunchst mit Ein-schlafritualen versuchen. Dazu gehrt z.B., immer zur gleichen Zeit ins Bett zu gehen, eine bestimmte Musik zu hren, oder vorher stets die berhmte Tasse warme Milch mit Honig zu trinken. Auch sollte man versuchen, den Tag mglichst aktiv zu gestalten. Ein kleines Nickerchen nach dem Essen ist sehr wohltuend, zu viele Schlfchen tagsber knnen jedoch den Nachtschlaf verkrzen. Sind die Schlaf-strungen jedoch so hartnckig, dass man auch selbst nicht schlafen kann, sollte man mit dem behandelnden Arzt spre-chen. Vielleicht sind fr einige Zeit Schlaftabletten sinn-voll. Zu bedenken ist, dass auch der Betreuer seinen Schlaf dringend braucht. Manchmal ist deshalb sogar eine rumli-che Trennung in der Nacht sinnvoll. Selbstberschtzung Mit der Zeit entsteht zwischen der Selbsteinschtzung des Patienten und den wirklichen Verhltnissen eine immer grer werdende Diskrepanz. Die Betroffenen berscht-zen sich und fhlen sich leistungsfhiger, als sie sind. Diese Diskrepanz kann eine Ursache des aggressiven Verhaltens sein. Typischerweise fhlt sich der Betroffene durch ir-gendeine Handlung gekrnkt oder gedemtigt und setzt sich dagegen zur Wehr. Andere Anlsse sind Situationen der berforderung oder der Ausweglosigkeit. Und dann richtet sich die Wut meist gegen die Person, die beispiels-weise beim Essen oder Anziehen helfen will.

    http://www.huntington-hilfe.de/index.php?newwpID=24845&MttgSession=64a36d01b3c2779f7e801b717c659f8a
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    In diesen Fllen muss man sich klar machen, dass man zwar die Zielscheibe des Zorns ist, aber nicht die Ursache. Es ist eine Reaktion auf Unsicherheit, Angst und Verzweif-lung. Man darf sich also nicht gekrnkt fhlen, auch wenn es manchmal schwer fllt. Sehr wirkungsvoll sind manch-mal Ablenkungsversuche, z.B. den Fernseher einschalten oder die Musik aufdrehen, die der Betroffene gerne hrt. Mit Argumenten sollte man es nicht versuchen. Auch wenn man dabei Recht hat: sie ntzen nichts und heizen die Situ-ation nur weiter an. Es ntzt auch nichts, dem Patienten Vorhaltungen zu machen. Er versteht vermutlich gar nicht, warum sein Verhalten missbilligt wird. Nehmen jedoch die Wutausbrche und das aggressive Verhalten berhand, kann man mit dem Arzt darber sprechen. In einigen Fl-len knnen Medikamente helfen. Fehlleistungen Huntington-Patienten knnen ihre zunehmenden geistigen Defizite, aber auch ihre teils unangemessenen psychischen Reaktionen in den Anfngen der Erkrankung wahrnehmen. Die Reaktionen auf dieses Schicksal sind vielfltig. Sie rea-gieren mit Beschmung, Angst, Niedergeschlagenheit oder Wut. Es ist deshalb sehr verstndlich, wenn sie Fehlleistun-gen nur sehr ungern zugeben. Man soll deshalb nicht unntig mit dem Patienten diskutie-ren. Man kann ihn nicht zwingen, das zu sehen, was er nicht sehen will. Man soll ihm auch nicht seine Defizite aufzeigen. Das wird ihn krnken. Zudem wird mit der Zeit die Fhigkeit zur Einsicht ohnehin geringer. Wir alle brau-chen ein positives Selbstbild von uns. Daher gibt man dem Betroffenen besser das Gefhl, gebraucht zu wer