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CERN-OPEN-2017-014 09/02/2017 Elektromagneten der Teilchenphysik hands-on – das ATLAS-Magnetsystem A. Feistmantl u. J. Woithe 1 Motivation Der Large Hadron Collider (LHC) ist der größte Teilchenbeschleuniger der Welt. Im LHC werden Protonen auf extrem hohe Energien beschleunigt und anschließend zur Kollision gebracht. Riesige Teilchende- tektoren wie zum Beispiel ATLAS oder CMS zeichnen diese Kollisionen auf. Die For- schung am LHC fasziniert nicht nur Physi- kerinnen und Physiker aus aller Welt, son- dern ist auch für Schülerinnen und Schü- ler ein spannendes Thema. Verschiedene Projekte wie zum Beispiel CERN@school oder S'Cool LAB versuchen Aspekte der Forschung und Technologie am CERN für den Physikunterricht aufzubereiten [1]. Im Folgenden wird ein Vorschlag für eine hands-on-Lernaktivität im Themenbereich Magnetfelder vorgestellt. Im Rahmen der Lehrerfortbildungen am CERN berichten Lehrerinnen und Leh- rer oft, dass für moderne Physik wie zum Abb. 1: Kompasse zeigen das Donut-förmige (toroidale) Magnetfeld im Selbstbaumodell des ATLAS- Magnetsystems HEFT 1 / 66. JAHRGANG / 2017 ELEMENTARTEILCHENPHYSIK / PdN PHYSIK in der Schule 21

Elektromagneten der Teilchenphysik hands-on – das ATLAS ... · Artikel eine neue Idee zum Experimentie-ren im Klassenzimmer vorstellen. Im Folgenden stellen wir ein Selbstbau-

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Page 1: Elektromagneten der Teilchenphysik hands-on – das ATLAS ... · Artikel eine neue Idee zum Experimentie-ren im Klassenzimmer vorstellen. Im Folgenden stellen wir ein Selbstbau-

CER

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Elektromagneten der Teilchenphysikhands-on – das ATLAS-MagnetsystemA. Feistmantl u. J. Woithe

1 MotivationDer Large Hadron Collider (LHC) ist dergrößte Teilchenbeschleuniger der Welt. ImLHC werden Protonen auf extrem hoheEnergien beschleunigt und anschließendzur Kollision gebracht. Riesige Teilchende-tektoren wie zum Beispiel ATLAS oder CMSzeichnen diese Kollisionen auf. Die For-schung am LHC fasziniert nicht nur Physi-kerinnen und Physiker aus aller Welt, son-dern ist auch für Schülerinnen und Schü-ler ein spannendes Thema. VerschiedeneProjekte wie zum Beispiel CERN@schooloder S'Cool LAB versuchen Aspekte derForschung und Technologie am CERN fürden Physikunterricht aufzubereiten [1]. ImFolgenden wird ein Vorschlag für einehands-on-Lernaktivität im ThemenbereichMagnetfelder vorgestellt.

Im Rahmen der Lehrerfortbildungenam CERN berichten Lehrerinnen und Leh-rer oft, dass für moderne Physik wie zum

Abb. 1: Kompasse zeigen das Donut-förmige (toroidale) Magnetfeld im Selbstbaumodell des ATLAS-Magnetsystems

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Myonenkammern Hadronisches Kalorimeter Elektromagnetisches Kalorimeter

Übergangs-

Supraleitende Halbleiter- Pixel- strahlungs

Ringspulen Magneten detektoren detektoren detektor

Abb. 2: Schematische Darstellung des ATLAS-Detektors und seiner Subsysteme. © 2008 CERN

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Abb. 3: Interaktive ATLAS-Simulation [7]. Im Bild links sieht man die Signatur eines Myons in der Längsschnittansicht des ATLAS-Detektors. Die Spur wirddurch das toroidale Magnetfeld in den Myonenkammern nach unten abgelenkt. In der Simulation stehen sowohl eine Längsschnittansicht (a) als auch eineQuerschnittsansicht (b) zur Verfügung. Die Ablenkung von Myonen aufgrund des toroidalen Magnetfeldes sieht man aufgrund dessen Orientierung jedochnur in der Längsschnittansicht.

a) b)

Beispiel Teilchenphysik nur wenig oder garkeine Zeit im Unterricht vorgesehen ist,u. a. weil der jeweilige Lehrplan dieses The-mengebiet nicht einschließt. Das Team desTeilchenphysik-Schülerlabors S’Cool LABam CERN hat sich zur Aufgabe gemacht,Schülerinnen und Schüler in Kontakt mitmoderner Physik zu bringen. Mithilfe vonhands-on-Workshops können Schülerin-nen und Schüler verschiedene Aspekte derTeilchenphysik selbstständig erforschen,wenn sie das CERN in Genf besuchen. Für

Schulklassen ohne Möglichkeit einer Ex-kursion nach Genf möchten wir in diesemArtikel eine neue Idee zum Experimentie-ren im Klassenzimmer vorstellen.

Im Folgenden stellen wir ein Selbstbau-Modell des Magnetsystems des ATLAS-Detektors am CERN vor (Abb. 1). Mit die-sem Modell kann man Aspekte der Teil-chenphysik in den Unterricht einbinden,indem man ausgehend vom Themenge-biet „Felder“ einen Abstecher in die mo-derne Physik macht. Das Themengebiet

„Felder“ ist ein wesentlicher Bestandteilim Lehrplan für allgemeinbildende höhe-re Schulen aller deutschen Bundesländersowie in Österreich. Im Zusammenhangmit Teilchenbeschleunigern wie dem LHCam CERN wird oft von starken Magnetfel-dern berichtet, die die beschleunigtenTeilchen auf der 27 km langen Kreisbahnhalten. Weniger bekannt ist, dass auch inden Detektoren am LHC extrem starke (su-praleitende) Elektromagnete verbautsind, ohne die eine detaillierte Analyse

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Abb. 4: Frontalansicht des toroidalen Magnetsystems des ATLAS-Detektors. © 2005–2016 CERN

Abb. 5: Übersicht über die vier Magnetsubsysteme des ATLAS-Detektors aus [8]

Parameter Barrel Zentraler End-Cap Toroid Solenoid Toroid

Tab. 1: Kennwerte der Toroiden und des Solenoiden im ATLAS-Magnetsystem [8]

der Teilchenkollisionen nicht möglichwäre. Mithilfe der Anleitung in diesem Ar-tikel können Jugendliche ein Modell desMagnetsystems des ATLAS-Detektorsselbst nachbauen und erforschen.

Im nächsten Abschnitt wird zunächstein Einblick in die Funktionsweise des ATLAS-Detektors am CERN gegeben. Da-nach wird eine Materialliste für das Modelldes Magnetsystems präsentiert. Ein wichti-ger Aspekt dabei ist, dass kostengünstigeund leicht zugängliche Materialen beim Baudes Modells verwendet werden. Im darauf-folgenden Abschnitt wird gezeigt, welcheMessungen am Modell durchgeführt wer-den können und wie es in den Unterrichteingebunden werden kann. Am Schlussverweisen wir auf alternative Bauweisenu. a. bei Verfügbarkeit eines 3D-Druckers.

2 Der ATLAS-DetektorATLAS – A Toroidal LHC ApparatuS – ist dergrößte der vier Teilchendetektoren amLHC, die gebaut wurden, um Kollisionenvon Protonen aufzuzeichnen. Mit einerLänge von 46 m und einem Durchmesservon 25 m wurde dieser Detektor wie ein„Schiff in der Flasche“ unterirdisch amCERN in 100 m Tiefe zusammengebaut [2].Pakete von jeweils ca. 100 Milliarden Proto-nen werden im LHC auf derzeit 6,5 TeV proProton gegenläufig beschleunigt und anvier Stellen im LHC zur Kollision gebrachtu. a. im Zentrum des ATLAS-Detektors. ATLAS ist ein Vielzweckdetektor, sein phy-sikalisches Forschungsprogramm umfasstverschiedenste Themen, unter anderemdunkle Materie, Materie-Antimaterie-Asymmetrie, Extradimensionen undmikroskopische schwarze Löcher sowieSupersymmetrie und die Suche nach wei-teren Higgs-Bosonen [3].

Der ATLAS-Detektor wurde zwiebel-schalenartig um den Kollisionspunkt he-rum konstruiert, um alle Teilchen, die ausder Energie der Kollision entstehen, genauzu vermessen. Verschiedene Subdetekto-ren sind jeweils auf das Vermessen von be-stimmten Teilcheneigenschaften oder Teil-chensorten spezialisiert (Abb. 2): • Die innerste Komponente bilden die

Spurdetektoren, die elektrisch geladeneTeilchen nachweisen. Über mehrere Po-sitionsmessungen kann die Spur derTeilchen rekonstruiert werden. Das ho-mogene Magnetfeld eines supraleiten-den Elektromagneten (Solenoid) durch-setzt die Spurdetektoren parallel zumStrahlrohr. Durch die Krümmung derSpuren im Magnetfeld können so zusätz-lich der Impuls der Teilchen sowie derenelektrische Ladung bestimmt werden.

Dimensionenund Masseder Magnet-Systeme

Kennwerte derSpulen

InnendurchmesserAußendurchmesserLängeMasse

Anzahl an SpulenKabelmaterialKabellängeBetriebstemperaturWindungszahlBetriebsstromstärkeSpannungGesamtwiderstandFeldstärke zwischenden Spulen

9,4 m20,1 m25,3 m830 t

8NbTi56 km4,5 K12020,5 kA16 V0,160 mΩ0,2–2,5 T

2,5 m2,6 m5,8 m5,7 t

1NbTi10 km4,5 K11548 kA8 V0,413 mΩ0,9– 2,0 T

1,7 m10,7 m5,0 m2 x 239 t

2 x 8NbTi2 x 13 km4,5 K11620,5 kA16 V0,244 Ω0,2– 3,5 T

HadronischesKalorimeter als

Rückflussjoch

ZentralerSelenoid

Toroid imZentralbereich(barrel toroid)

Toroid imEndkappenbereich(end-cap toroid)

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Dimensionenund Masseder Magnet-Systeme

Kennwerte derSpulen

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• Das elektromagnetische Kalorimeterweist elektromagnetisch wechselwir-kende Teilchen nach. Elektronen, Posi-tronen und Photonen werden in dieserSchicht des ATLAS-Detektors vollstän-dig absorbiert, dabei wird über Ionisa-tionsprozesse die ursprüngliche Energiedieser Teilchen bestimmt.

• Im hadronischen Kalorimeter werdenalle Hadronen, also zum Beispiel Proto-nen und Neutronen, absorbiert. Dabeiwird durch die Auswertung von Szintil-lationslicht die ursprüngliche Energiedieser Teilchensysteme bestimmt.

• Die Myonenkammern bilden die äuße-ren Schichten des ATLAS-Detektors undweisen in mehreren Lagen Myonen undAnti-Myonen nach. Auch die Myonen-kammern sind von einem starken Mag-netfeld durchsetzt, um über die Krüm-mung im Magnetfeld die elektrische La-dung und den Impuls der (Anti-)Myonennoch genauer als im Spurdetektor zu be-stimmen. Dieses Magnetfeld wird durchacht Spulen erzeugt, die symmetrischum den Zentralbereich des Detektors an-geordnet sind und somit ein Donut-för-miges (toroidales) Magnetfeld erzeugen.

Das Video „Das ATLAS-Experiment: eineneue Hoffnung (Episode I)“ [4] bietet ei-nen ersten Eindruck in den Aufbau des AT-LAS-Detektors. Unterrichtsmaterialien fürein Gruppenpuzzle zur Funktionsweiseder verschiedenen Detektorkomponentenbasierend auf dem Video „ATLAS EpisodeII – die Teilchen schlagen zurück“ [5] wur-den vom Netzwerk Teilchenwelt erarbeitetund sind online zu finden [6]. Eine inter-aktive Simulation [7] bietet Lernenden zu-sätzlich die Möglichkeit, die Signaturenvon verschiedenen Teilchen im ATLAS-De-tektor zu erforschen. Auch die energieab-hängige Krümmung der Spuren in denMagnetfeldern wird hier berücksichtigt(Abb. 3).

Oft sprechen Teilchenphysikerinnenund -physiker statt vom ATLAS-Detektorauch vom ATLAS-Experiment oder der ATLAS-Kollaboration, dies kann zu Verwir-rung führen. Tatsächlich bezeichnet derName ATLAS sowohl den Detektor als auchdie rund 3000 Personen starke internatio-nale Kollaboration aus Wissenschaftlerin-nen und Wissenschaftlern, die zusammenden Detektor betreiben und dessen Datenauswerten – also zusammen ein Experi-ment am LHC durchführen.

Der gesamte ATLAS-Detektor ist eineder wohl komplexesten Maschinen auf derWelt. Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler der ATLAS-Kollaboration sind da-her meist nur auf eine ganz bestimmteKomponente des Detektors bzw. der Phy-sik-Analyse spezialisiert. Im Folgenden be-schränken wir uns auf die Beschreibung ei-ner der wichtigsten Komponenten des ATLAS-Detektors: seinem Magnetsystem(Abb. 4).

3 Das Magnetsystem von ATLASDas Magnetsystem des ATLAS-Detektorsbesteht aus vier Subsystemen (Abb. 5).Den inneren Detektor mit den Spurdetek-toren umgibt ein Solenoidmagnet. Durchihn werden alle elektrisch geladenen Teil-chen durch die auf sie wirkende Lorentz-kraft abgelenkt, sodass über die Spurkrüm-mung deren Impuls berechnet werdenkann. Zwischen den Myonenkammern be-finden sich das zentrale Toroid-System(barrel toroid) und zwei Endkappen-Toro-id-Systeme (end-cap toroids), die speziellzur Messgenauigkeit bei der Impulsmes-sung von (Anti-)Myonen beitragen. DasDesign der einzelnen Systeme unterschei-det sich voneinander, aber alle beruhen aufsupraleitenden Niob-Titan/Kupfer-Kabelnstabilisiert mit Aluminium, die mit flüssi-gem Helium auf wenige Kelvin gekühltwerden. Zusammen speichern die vier Sys-

Parameter Barrel Modell Toroid Toroid

InnendurchmesserAußendurchmesserLängeMasse

Anzahl an SpulenKabelmaterialBetriebstemperaturWindungszahlBetriebsstromstärkeSpannungGesamtwiderstandDurchschnittliche Feldstärkezwischen den Spulen

9,4 m20,1 m25,3 m830 t

8Niob-Titan4,5 K120 pro Spule20,5 kA16 V0,160 mΩ0,5 T

10 cm20 cm24 cm200 g

8KupferRaumtemperatur7 pro Spule1 A1 V1 Ω0,2 mT

Tab. 2: Vergleich zwischen Magnetsystem des ATLAS-Detektors und Modell des Toroidmagneten

Abb. 6: Benötigte Materialien für den Bau des Modells

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teme eine Energie von 1600 MJ und sorgenauf einem Volumen von 12000 m3 für einMagnetfeld zwischen 50 mT und 4,1 T [8].In Tab. 1 sind die Kennwerte der Magnet-systeme gelistet.

Der Solenoid-Elektromagnet wurde sogeplant, dass die Teilchen wenig Energieverlieren, wenn sie durch das Spulenmate-rial fliegen, aber dennoch ein starkes Mag-netfeld für eine messbare Krümmung derBahnen der elektrisch geladenen Teilchensorgt. Das Solenoid-Magnetfeld spielt aberlediglich innerhalb des hadronischen Ka-lorimeters eine Rolle, außerhalb wird esvernachlässigbar klein. Der Grund dafür istder Stahl, der im hadronischen Kalorime-ter verbaut ist. Er dient als Rückflussjochfür das Solenoid-Magnetfeld und schirmtsomit den äußeren Detektor mit den Myo-nenkammern von dem Magnetfeld im in-neren Detektor ab (Abb. 5).

Namensgebend für ATLAS ist sein ring-förmiges (toroidales) Magnetfeld, das imZentralbereich (Barrel) durch acht 25 m lan-ge supraleitende Spulen erzeugt wird, diezylinderförmig um das Strahlrohr ange-ordnet sind. Eines der bekanntesten Bildervom Zusammenbau des ATLAS-Detektorszeigt das toroidale Magnetsystem (Abb. 4).Die Magnetfelder der einzelnen Spulensummieren sich zu einem ringförmigenMagnetfeld zwischen den Spulen.

Im Bereich der Endkappen (end-caps)sorgen zwei weitere toroidale Spulensyste-me für das dortige Magnetfeld, sodass auch

(Anti-)Myonen, die unter einem kleinenWinkel zum Strahlrohr emittiert werden,im Magnetfeld abgelenkt werden. Die Toro-iden der Endkappen sind um 22,5 ° gegenü-ber dem Toroiden im Zentralbereich ver-dreht, um die Ablenkung der (Anti-)Myo-nen im Übergangsbereich zu optimieren.

Da die exakte Berechnung des summier-ten Magnetfeldes aus den einzelnen Sub-systemen sehr kompliziert ist (u. a. weilauch magnetisierbare oder ferromagneti-sche Materialien im Detektor das Feld be-einflussen), wurden 1730 dreidimensiona-le Hall-Sonden genutzt, um das Magnet-

feld im Bereich der Myonenkammern ge-nau zu vermessen. Nur bei genauer Kennt-nis des Magnetfeldes können so die Impul-se der Teilchen mit der notwendigen Präzi-sion berechnet werden.

4 Vom realen ATLAS-Detektor zum Mo-dell des toroidalen MagnetsystemsUm Aspekte des ATLAS-Detektors für Ju-gendliche verständlich zu machen, wurdeim CERN S’Cool LAB im Rahmen des Inter-nationalen Lehrerprogrammes 2014 ein er-stes Modell des toroidalen Magnetsystemsdes ATLAS-Detektors gebaut. Überraschen-

Abb. 7: Mögliche Messgeräte für die Erforschung des Modells

Abb. 8: Erforschen des Magnetfeldes mithilfe eines Magnetfeldprobers

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derweise lässt sich aus Kupferlackdrahtund gewissen mechanischen Stützelemen-ten relativ einfach ein solches Modell ferti-gen und im Anschluss mit Kompassen,Hall-Sonden oder Smartphone-Apps ver-messen. Der Bau und die Vermessung ei-nes solchen Modells bietet eine einmaligeGelegenheit, Wissen über das Magnetfeldvon Spulen im Kontext Teilchenphysik zurAnwendung zu bringen. Überlegungen zurLorentzkraft auf elektrisch geladene Teil-chen am Modell im Vergleich mit Simula-tionen ergänzen die Verwendbarkeit imUnterricht.

Das Modell, das wir vorschlagen, stelltdas Magnetsystem des ATLAS-Detektorsetwa im Größenverhältnis 1 :100 dar, Kenn-werte des Modells im Vergleich zum realenMagnetsystem sind in Tab. 2 gelistet. Stattsupraleitenden NbTi-Kabeln verwendenwir Kupferlackdraht. Damit erhöht sich derelektrische Widerstand unseres Modellsauf 1 Ω, das 6250-Fache des echten Magnet-systems, dafür entfällt die aufwendige He-liumkühlung. Eine Spannung von 1 V ge-nügt, um mithilfe des Modells Kompass-nadeln bei etwa 0,2 mT auszurichten. Imechten Detektor reichen aufgrund der su-praleitenden Materialien bereits 16 V, umein Magnetfeld von bis zu 4 T zu erzeugen.Um den Bau zu vereinfachen, reduzierenwir die Windungszahl der Spulen von 120(real) auf 7 (Modell).

Im Unterricht können und solltenUnterschiede und Gemeinsamkeiten zwi-schen Realität und Modell ausführlich dis-kutiert werden, es bietet sich auch eine all-gemeine Diskussion zur Verwendung vonModellen in der Physik an. Falls Zeit dafür

vorhanden ist, können die Jugendlichenselbstständig die Kennwerte des Magnet-systems des ATLAS-Detektors recherchie-ren (z. B. mithilfe von [8]), sowie das Mo-dell selbstständig vermessen und damitTab. 2 ausfüllen und interpretieren.

5 Bauanleitung für das Modell des ATLAS-MagnetsystemsViele Materialien, die man für das ATLAS-Modell benötigt, sind an Schulen vorhan-den (Abb. 6). Ein Überblick, was für denBau und auch für das spätere Messen be-nötigt wird, bietet die folgende Liste.

Benötigte Materialien• Strohhalme (Ø 8 mm, 22 cm lang)• Kupferlackdraht (Ø 1 mm, 30 m lang)• Karton (ca. 25 cm x 50 cm)• Cutter, Drahtschere und Lineal• Feuerzeug und Sandpapier• Klebeband, Klebstoff sowie zwei blaue

und eine rote Vorlage(n) [9]• Eventuell Drucker, der A3 drucken kann• Netzgerat (12 V DC), Laborkabel, Multi-

meter• Kompasse, Magnetfeldprober [10], Hall-

sonde oder 3D-Kompass-App [11] (Abb. 7)

Für den Bau des Modells werden zu-nächst acht einzelne Spulen gewickelt, in-dem zwei Strohhalme an einem Abstand-halter aus Karton befestigt werden undman 7 Wicklungen des Kupferlackdrahtsdurch die Strohhalme führt. Im Folgendenwerden die Spulen schrittweise in eineStützstruktur aus Karton eingegliedertund miteinander elektrisch leitend ver-bunden. Druckvorlagen sowie eine schritt-

weise Bauanleitung und ein Arbeitsblattstehen online zur Verfügung [9].

6 MessmöglichkeitenBevor das Netzgerät angeschlossen wird,sollte überprüft werden, ob alle Kontakteelektrisch leitend sind. Dafür misst manam besten den elektrischen Widerstandmit einem Multimeter. Es ist möglich, dasseinige Verdrillungen des Kupferdrahtsnicht fest genug sind oder die isolierendeLackierung des Drahtes nicht sorgfältig ge-nug entfernt wurde. Nach der Überprüfungkann das Netzgerät angeschlossen werden.Die Richtung des erzeugten Magnetfeldeskann zum Beispiel mit Kompassen gemes-sen werden. Dabei lohnt es sich, einenMagnetfeldprober zu verwenden: Damitkann das Magnetfeld überall innerhalbund außerhalb des Modells vermessenwerden, ohne das Modell jeweils zu verkip-pen (Abb. 8). Eine weitere Möglichkeit, dasMagnetfeld zu vermessen, bietet eine Hall-sonde. Somit kann auch die Stärke desMagnetfeldes gemessen werden. Für dieSchule ebenfalls gut geeignet ist die Mess-möglichkeit mit einer 3D-Kompass-Appam Smartphone. Schülerinnen und Schü-ler können dabei Richtung und Stärke desFeldes messen.

7 Empfehlung für den UnterrichtFür den Bau und die Erforschung des Mo-dells im Unterricht bietet sich die Arbeit inKleingruppen an. Jede der Kleingruppenbaut ein eigenes ATLAS-Modell. Schülerin-nen und Schüler fertigen alleine oder zuzweit eine Spule an, messen deren Magnet-feld und fertigen eine Skizze des Magnet-feldverlaufs an. Diese Skizzen werdendann in den Gruppen verglichen. Im Weite-ren werden nach und nach die Spulen zu-sammengefügt. Dabei kann nach jeder neuhinzugefügten Spule das Feld visualisiertwerden. Es wird zudem diskutiert, wie sichdie Felder der einzelnen Spulen gegensei-tig beeinflussen. Zur Vermessung des Mag-netfeldes können, wie im vorigen Ab-schnitt gezeigt, verschiedenen Messgeräteverwendet werden. Natürlich können miteinzelnen Spulen viele verschiedene Mes-sungen durchgeführt werden. Beispiels-weise kann das Magnetfeld zweier gegen-überliegenden Spulen in verschiedenenAbständen vermessen werde.

Idealerweise wird nicht nur das Magnet-feld an sich im Unterricht diskutiert, son-dern auch, wozu Magnetfelder in Teilchen-detektoren genutzt werden. Leider ist dasMagnetfeld unseres Modell etwas zuschwach, um darin die Ablenkung einesElektronenstrahls (ca. 250 eV) zu zeigen,Abb. 9: Modell aus Akrylglas

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Bauanleitung – siehe [9]

Schritt 1Ein Stück Karton kann als Platzhalter zwischen zwei Stroh-halmen verwendet werden. Die rote Vorlage sollte dazu aus-gedruckt und auf Karton geklebt werden. Danach befestigtman an beiden langen Seiten einen Strohhalm mit Klebe-band.

Schritt 2Mit einen Kupferlackdraht (insgesamt ca. 30 m) kann mannun die Spulen wickeln. Für 7 Windungen benötigt man ca.3,5 m Kupferdraht, zusätzlich sollte ca. 20 cm Rest an bei-den Enden eingerechnet werden. Nachdem die Spule fertigist, kann der Platzhalter entfernt werden.

Schritt 1 und 2 werden acht Mal wiederholt.

Schritt 3Mithilfe der blauen Vorlage wird nun die Halterung für dieacht Spulen gefertigt. Dafür wird das Papier wieder ausge-druckt und auf einen Karton geklebt. Danach werden alleweißen Stellen mit einem Cutter entfernt.

Schritt 3 wird zwei Mal wiederholt.

Schritt 4Die Spulen werden nun in die dafür vorgesehenen Schlitzegesteckt. Dabei muss beachtet werden, dass alle offenenSpulenenden an derselben Seite sind. Wenn der Kartonleicht knickt, empfiehlt es sich, Schritt 3 viermal zu wieder-holen und jeweils zwei ausgeschnittene Teile auf einanderzu kleben.

Schritt 5Mithilfe eines Feuerzeugs und/oder Sandpapiers kann nundie Isolierung an den Enden des Kupferdrahts entfernt wer-den. Anschließend wird das äußere Drahtende einer Spulemit dem inneren Drahtende der benachbarten Spule ver-dreht. Am Ende sollten noch zwei Drahtenden unverdrehtbleiben, um diese mit der Spannungsversorgung zu verbin-den.

Kasten 1: Bauanleitung

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und die Geometrie des Modell erschwert ei-nen geeigneten Versuchsaufbau. Falls vor-handen, bietet sich hier aber ein vergleich-bares Experiment zur Lorentzkraft an. Alter-nativ können Jugendliche ihr erworbenesWissen nutzen, um Vorhersagen zur Ablen-kung von elektrisch geladenen Teilchen zutreffen. Mithilfe der ATLAS-Simulation [7]oder durch eine Gruppendiskussion kön-nen die Vorhersagen überprüft bzw. disku-tiert werden. Nebenbei können Rechenfer-tigkeiten geübt werden, unter anderemzum ohm'schen Widerstand oder zur Be-rechnung des elektrischen Widerstands ausdem spezifischen Widerstand und weiterenKennwerten des Leiters. Bei der Findungweiterer Mess- und Experimentierideensind der Phantasie keine Grenzen gesetzt,die Autorinnen freuen sich über weiterekreative Vorschläge.

8 Weitere Ideen und DanksagungDas Modell aus Karton und Strohhalmenhat einige Vorteile, zum Beispiel sind dieMaterialien günstig und Schülerinnen undSchüler können es problemlos selbststän-dig bauen. Leider ist es aber nicht allzu sta-bil. Für ein stabileres Modell kann anstattStrohhalmen und Karton auch Akrylglasverwendet werden (Abb. 9). Ein solchesModell wurde im Rahmen des internatio-nalen Lehrerprogrammes am CERN im S’Cool LAB entwickelt und erforscht.

Bei Zugang zu einem 3D-Drucker kannein noch wahrheitsgetreueres Modell des

Magnetsystems gebaut werden. Als Som-merstudent am CERN hat Tiago Goncalvesim S’Cool LAB an einem solchen Modellgearbeitet [12]. Auf diesem Wege möchtensich die Autorinnen bei Tiago Goncalves undden S’Cool LAB Arbeitsgruppen der Inter-nationalen Lehrerprogramme 2014 und2015 am CERN bedanken, die zur Idee die-ses Artikels beigetragen haben. Außerdemdanken wir allen, die uns bei der Entwick-lung des Modells in kognitiver oder prakti-scher Weise unterstützt haben. ■

Literatur[1] Whyntie, T., Bithray, H., Cook, J., Coupe, A.,Eddy, D., Fickling, R. L., McKenna, J., Parker, B.,Paul, A., & Shearer, N. (2015). CERN@ school:demonstrating physics with the Timepix detector. Contemporary Physics, 56(4),451 – 467. Bzw. S'Cool LAB Websitehttp://cern.ch/s-cool-lab[2] ATLAS OUTREACH (2012): Video vom Zu-sammenbau des ATLAS-Detektors (in Englisch)CERN-MOVIE-2012-151-001https://cds.cern.ch/record/1483758 [3] ATLAS-Experiment http://atlas.cern/ [4] Video „Das ATLAS Experiment : eine neueHoffnung (Episode I)“, CERN-MOVIE-2006-054-001 http://cds.cern.ch/record/1458003 [5] Video „ATLAS Episode II – die Teilchenschlagen zurück“, CERN-MOVIE-2006-051-001http://cds.cern.ch/record/1457384 [6] Kobel, M. (Hrsg.), Trefzger, T. (Hrsg.) (2013):Der ATLAS-Detektor. Ein Teilchendetektor amCERN. http://www.teilchenwelt.de/material/

materialien-fuer-lehrkraefte/der-atlas-detektor/ [7] Hermann, T., Jeřábek, O., Jende, K, Kobel, M.(2012): Interaktive Simulation des ATLAS-Detektors: http://atlas.physicsmasterclasses.org/de/wpath_teilchenid1.htm. [8] ATLAS Collaboration (2008): The ATLAS Ex-periment at the CERN Large Hadron Collider In:J. Instrum. 3 (2008) S08003https://cdsweb.cern.ch/record/1129811 und TheATLAS Experiment © 2011 CERN (2011): ATLASFact Sheet.https://cds.cern.ch/record/1457044/files/ATLAS%20fact%20sheet.pdf[9] Druckvorlagen sowie ein Arbeitsblatt inklu-sive Bauanleitung sind online erhältlich unterhttp://cern.ch/s-cool-lab/content/downloads[10] Magnetfelderprober, S’Cool LAB 3D Designfür 3D Druckerhttps://www.thingiverse.com/thing:1722286 [11] Magnetmeter Apphttps://www.plaincode.com/products/magnetmeter/ (kostenfrei für Android, $ 1,99 für iOS) [12] ATLAS barrel toroid model, Design für 3DDruckerhttps://www.thingiverse.com/thing:1722230

Anschriften der VerfasserinnenAlexandra Feistmantl, Teacher and StudentProgrammes Section, CERN, Genève 23,SchweizE-Mail: [email protected] Woithe, Teacher and Student ProgrammesSection, CERN, Genève 23, SchweizE-Mail: [email protected]

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