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Elemente der Algebra Dr. Theo Overhagen Fakult¨ at IV Dep. Mathematik Universit¨ at Siegen

Elemente der Algebra - Uni Siegen

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Page 1: Elemente der Algebra - Uni Siegen

Elemente der Algebra

Dr. Theo Overhagen

Fakultat IV Dep. Mathematik

Universitat Siegen

Page 2: Elemente der Algebra - Uni Siegen

I

Vorbemerkung

In der folgenden Vorlesung werden zunachst die Mengenoperationen und die grundlegenden aussagen-logischen Operationen sowie die verschiedenen grundlegenden Beweismethoden in der Mathematik be-handelt.

Im nachsten Abschnitt betrachten wir algebraische Gleichungen - lineare (und Systeme), quadratischeund hoheren Grades und - damit zusammenhangend - Nullstellen von Polynomen.

Ausgehend von den als bekannt vorausgesetzten Mengen der naturlichen, ganzen, rationalen und reellenZahlen werden im 3. Abschnitt die algebraischen Grundstrukturen

”Ring“,

”Korper“ und

”Gruppe“

eingefuhrt und ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten an Beispielen verdeutlicht. Dabei fuhren wirden Korper der komplexen Zahlen ein.

Literatur

J.Beetz: Algebra fur Hohlenmenschen und andere Anfanger. Springer essentials 2014.

J.Beetz: 1+1=10. Mathematik fur Hohlenmenschen. Springer 2013.

A.Beutelspacher:”In Mathe war ich immer schlecht ...‘“. Vieweg 1996.

H.Dittmann: Algebraische Strukturen und Gleichungen. Bayer.Schulbuchverlag, Munchen 1972.

A.Kirsch: Mathematik wirklich verstehen. Aulis 1987/1994.

H.Schichl-R.Steinbauer: Einfuhrung in das mathematische Arbeiten. Springer 2009.

Page 3: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1

1 Mengen, Aussagen, Beweise

1.1 Der Mengenbegriff, Schreibweisen, Spezielle Mengen

In der Mathematik hat sich eine eigene Sprache entwickelt, die dazu hilft, die zu betrachtenden Objekteund ihre Eigenschaften genauer und unmißverstandlicher zu beschreiben, als es die ubliche Umgangs-sprache vermag.Ein wesentliches Element dieser Sprache ist der Begriff der Menge (Georg Cantor,1845-1918):

Definition 1.1.1 (a) Die Zusammenfassung bestimmter wohlunterschiedener Objekte heißt Menge,die Objekte Elemente der Menge.Will man ausdrucken, dass ein Objekt x Element einer Menge M ist, dann schreibt man x ∈ M .Ist x nicht Element von M , dann schreibt man x 6∈ M .

(b) Zwei Mengen M , N heißen gleich (in Zeichen M = N), wenn sie dieselben Elemente haben.

Man muß sorgfaltig zwischen den Objekten, also den Elementen, und dem neuen Ganzen, der Menge,unterscheiden. Weiter muß von jedem - wie auch gearteten - Objekt (unserer Umgebung oder unseresDenkens) feststehen, ob es zu dieser Menge gehort oder nicht.

Wir haben ein naturliches, intuitiv richtiges Verstandnis fur Mengen. Unsere Definition fuhrt jedoch zulogischen Widerspruchen, wie die Russellsche Antinomie zeigt:Betrachtet man die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten, dann kann mannicht entscheiden, ob diese Menge sich selbst enthalt oder nicht, denn beide Situationen fuhren auf einenWiderspruch.

Dies war Ausgangspunkt zur Aufspaltung der Mengenlehre in die sog.”naive Mengenlehre“ und die

”axiomatische Mengenlehre“.In der axiomatischen Mengenlehre werden Kalkule entwickelt, die ein Auftreten solcher Antinomien aus-schließen, wahrend die naive Mengenlehre im wesentlichen als Grundlage der mathematischen Sprech-weise dient.

Endliche Mengen konnen (insbesondere wenn sie relativ wenig Elemente haben) durch Aufzahlen ihrerElemente dargestellt werden:

M = {blau, gelb, rot} oder M = {Max,Moritz,WitweBolte}.

Dabei kommt es vereinbarungsgemaß nicht auf eine Reihenfolge an oder darauf, ob ein Element mehrals einmal genannt wird. Die Mengen

{blau, rot, gelb}, {blau, gelb, rot}, {blau, blau, gelb, rot}

werden als gleich angesehen.

Mengen mit sehr vielen oder sogar unendlich vielen Elementen beschreibt man durch die Eigenschaften,die die Elemente dieser Menge charakterisieren, d.h. alle Elemente dieser Menge haben diese Eigenschaf-ten und kein anderes Objekt:

{x|x ist Einwohner Chinas} oder {x|x ist Vielfaches von 3 und kleiner als 1000}.

Page 4: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 2

Fur Mengen wie aus dem letzten Beispiel benutzt man auch die aufzahlende Schreibweise mit Auslas-sungspunkten

{3, 6, 9, 12, . . . , 996, 999},aber nur, wenn das Bildungsgesetz aus den angefuhrten Beispielen oder aus dem Zusammenhang klarersichtlich ist.

Entsprechend soll {1, 12,1

3,1

4, . . .} die Menge der Stammbruche darstellen.

Im Zusammenhang mit Zahlen benutzt man oft eine Grundmenge und schrankt diese durch weitereEigenschaften ein.

Beispiele 1.1.2 Mit der Grundmenge IN = {1, 2, 3, 4, 5, 6, . . .} der naturlichen Zahlen ergeben sich z.B.die Mengen

(1) M1 = {x ∈ IN |x ist prim} = {2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, . . .},

(2) M2 = {x ∈ IN |x ist großer als 10} = {x ∈ IN |x > 10} = {11, 12, 13, 14, 15, . . .},

(3) M3 = {x ∈ IN |x ist Teiler von 30} = {1, 2, 3, 5, 6, 10, 15, 30}.

Definition 1.1.3”Die“ Menge, die gar keine Elemente hat, heißt leere Menge. Schreibweise: ∅.

Manche (nicht alle) Mengen kann man untereinander vergleichen:

Definition 1.1.4 Es seien M und N Mengen.

(a) Ist jedes Element x ∈ M von M auch Element der Menge N , dann heißt M Teilmenge von Nund umgekehrt heißt N Obermenge von M .Schreibweise: M j N .

(b) M heißt echte Teilmenge von N (bzw. N echte Obermenge von M), wenn M Teilmenge vonN ist, aber von N verschieden. Jedes Element von M ist also auch Element von N , aber es gibt(mindestens) ein Element in N , das nicht in M enthalten ist.Schreibweise: M $ N .

Beispiele 1.1.5

(1) Die Teilmengen der Menge M = {0, 1, 2} sind die Mengen

∅, {0}, {1}, {2}, {0, 1}, {0, 2}, {1, 2}, {0, 1, 2}.

(2) Die echten Teilmengen der Menge M = {0, 1, 2} sind die Mengen aus Beispiel (1) außer M ={0, 1, 2}.

(3) Jede Menge M ist Teilmenge von sich selbst, und die leere Menge ist Teilmenge jeder Menge, d.h.es gilt

M j M, ∅ j M.

Page 5: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 3

Die Teilmengen einer festen Menge kann man wieder als Objekte auffassen und zu einer neuen Mengezusammenfassen:

Definition 1.1.6 Sei M eine beliebige Menge. Die Menge, deren Elemente die Teilmengen von M sind,heißt Potenzmenge von M . Schreibweise: P(M).

Bemerkungen und Beispiele 1.1.7

(1) Die Potenzmenge von M enthalt immer die leere Menge und die Menge M.

(2) Fur M = {0, 1, 2} ist

P(M) = {∅, {0}, {1}, {2}, {0, 1}, {0, 2}, {1, 2}, {0, 1, 2}}.

(3) Speziell istP(∅) = {∅},

also eine einelementige Menge.Die Potenzmenge einer einelementigen Menge {x} ist

P({x}) = {∅, {x}},

enthalt also zwei Elemente.Allgemein gilt: Besitzt M genau n Elemente, so hat P(M) 2n Elemente.

Aus bekannten Mengen kann man durch”Mengenoperationen“ neue Mengen bilden:

Definition 1.1.8 (a) Die Vereinigung der Mengen M und N ist die Menge

M ∪N := {x| x ∈ M oder x ∈ N}.

(b) Der Durchschnitt der Mengen M und N ist die Menge

M ∩N := {x| x ∈ M und x ∈ N}.

(c) Mehrere Mengen ohne gemeinsame Elemente heißen elementfremd oder disjunkt. Ihr Durch-schnitt ist die leere Menge.

(d) Mehrere Mengen heißen paarweise elementfremd oder paarweise disjunkt, wenn je zwei derMengen disjunkt sind.

Bemerkungen und Beispiele 1.1.9

(1) Die Vereinigungs- und Durchschnittsbildung kann auch auf beliebig viele Mengen ausgedehntwerden.Fur Mengen M1,M2, . . . ,Mn schreibt man Vereinigung und Durchschnitt kurz

n⋃

i=1

Mi := M1 ∪M2 ∪ . . . ∪Mn,

n⋂

i=1

Mi := M1 ∩M2 ∩ . . . ∩Mn.

Page 6: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 4

(2) Fur die MengenM1 := {1, 2}, M2 := {2, 3}, M3 := {1, 3}

giltM1 ∪M2 = M1 ∪M3 = M2 ∪M3 = M1 ∪M2 ∪M3 = {1, 2, 3},

M1 ∩M2 = {2}, M1 ∩M3 = {1}, M2 ∩M3 = {3}, M1 ∩M2 ∩M3 = ∅,die Mengen sind also disjunkt, aber nicht paarweise disjunkt.

(3) Ist M1 Teilmenge von M2, d.h. gilt M1 j M2, dann gilt

M1 ∪M2 = M2, M1 ∩M2 = M1.

Speziell gilt fur jede Menge M

M ∪ ∅ = M, M ∩ ∅ = ∅.

Eine Moglichkeit, Beziehungen zwischen Mengen grafisch darzustellen, sind Venn-Diagramme. Dabeiwerden Mengen z.B. durch Kreise dargestellt. Die Punkte innerhalb der Kreise werden als Elemente derMengen aufgefasst.Da durch solche Skizzen nicht alle Situationen dargestellt werden konnen, sind Venn-Diagramme nurzur Veranschaulichung geeignet, Beweise kann man mit ihnen im allgemeinen nicht fuhren.

Fur die Teilmengenbeziehung, den Durchschnitt und die Vereinigung zweier Mengen erhalt man folgendeDarstellungen:

M

N

M $ N

X

M N

M ∩N

X

M N

M ∪N

In gewisser Weise das Gegenstuck zu der Vereinigung ist die mengentheoretische Differenz:

Definition 1.1.10 Seien M1 und M2 Mengen. Dann heißt

M1 \M2 := {x| x ∈ M1 und x 6∈ M2}.

(mengentheoretische) Differenz der Mengen M1 und M2.

Bemerkungen und Beispiele 1.1.11

(1) Fur M1 = {1, 2, 3, 4, 5}, M2 = {3, 4, 5, 6, 7} ist

M1 \M2 = {1, 2}, M2 \M1 = {6, 7}.

Bei der Bildung der Differenz werden aus M1 nur die Elemente von M2 entfernt, die auch Elementin M1 sind. M2 kann weitere Elemente enthalten, die aber keine Rolle spielen.Es gilt

M1 \M2 = M1 \ (M1 ∩M2).

Page 7: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 5

(2) Ist M j N , dann nennt man die Differenz N \M auch Komplement von M in N .Dieser Begriff wird vor allem dann verwendet, wenn N eine Grundmenge ist, die Obermenge allerin einer bestimmten Untersuchung in Frage stehenden Mengen ist. N \M heißt dann einfach dasKomplement von M .Ubliche Schreibweise: M oder ∁M .Ist ZZ die Menge der ganzen Zahlen, U der ungeraden und G der geraden ganzen Zahlen, dann gilt

G = ZZ \G = U.

Naturlich gilt N = ∅ und ∅ = N .

(3) Mit Venn-Diagrammen stellen sich Mengendifferenz und Komplement folgendermaßen dar:

X

M N

M \N

s

s M

M

M

M

M

Eine weitere Mengenoperation ist das Bilden von Paaren, Tripeln bzw. n-Tupeln aus Elementen ver-schiedener Mengen, wie man sie von Koordinatensystemen kennt:

Definition 1.1.12 Sind M1 und M2 zwei Mengen, dann heißt

M1 ×M2 := {(x, y)| x ∈ M1 und y ∈ M2}.

(kartesisches) Produkt der Mengen M1 und M2.

Bemerkungen und Beispiele 1.1.13

(1) Das kartesische Produkt M1 ×M2 hat eine andere Gestalt als die Grundmengen M1 und M2. Esbesteht aus geordneten Paaren.Speziell ist die Reihenfolge der Objekte in (x, y) zu beachten, d.h. in IN× IN gilt z.B. (1|2) 6= (2|1).

(2) Zieht jede der Personen Albert, Maria und Uwe genau eine Karte aus einem Stapel Karten mitNummern 1, 2 oder 3, dann ergeben sich als mogliche Konstellationen

(Albert, 1), (Albert, 2), (Albert, 3), (Maria, 1), (Maria, 2), (Maria, 3), (Uwe, 1), (Uwe, 2), (Uwe, 3).

Die angezeigten Paare bilden das kartesische Produkt M1 ×M2 der MengenM1 = {Albert,Maria, Uwe} und M2 = {1, 2, 3}.

(3) Fur endlich viele Mengen M1,M2, . . . ,Mn lasst sich das kartesische Produkt definieren durch

M1 ×M2 × . . .×Mn := {(x1, x2, . . . , xn)| xi ∈ Mi, 1 ≤ i ≤ n}.

Page 8: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 6

(4) Im Fall M1 = M2 = . . . = Mn =: M setzt man analog zur Abkurzung der mehrfachen Multiplika-tion einer Zahl mit sich

Mn := M ×M × . . .×M︸ ︷︷ ︸

n−mal

.

Beispiele sind die (reelle) Ebene IR2 und der Raum IR3.Fur M = {1, 2, 3} ist

M2 = {(1, 1), (1, 2), (1.3), (2, 1), (2, 2), (2, 3), (3, 1), (3, 2), (3, 3)}.

1.2 Schaltalgebra

Elektrische und elektronische Schaltungen bestehen aus Leitungen und Schaltern. In jeder Leitung kannStrom fließen oder nicht, d.h. wir unterscheiden zwei Zustande. Entsprechend sind bei einem Schalterdie beiden Stellungen

”Ein“ und

”Aus“ moglich.

In der Mathematik beschreibt man den Zustand einer Leitung bzw. die Stellung eines Schalters mitHilfe einer (binaren) Variablen, die die zwei Werte 0 oder 1 annehmen kann.

Mit Schaltern kann man steuern, ob Strom durch eine bestimmte Leitung fließt oder nicht, d.h. dieSchalterzustande steuern die Zustande von Leitungen.

Bei einer komplizierten Schaltung aus mehreren Schaltern, die durch Leitungen verbunden sind, ist oftauf den ersten Blick nicht zu erkennen, welche Leitungen bei welchen Schalterstellungen Strom fuhrenund welche nicht. Man erhalt einen Uberblick uber die Situation in den Leitungen durch Schaltwert-tabellen.

Beispiele 1.2.1

(1) Bei einer Serienschaltung mit einer Stromquelle ✉ ✉ , einer Lampe ✖✕✗✔

und zwei hinterein-

anderliegenden Schaltern a und b fließt dann und nur dann Strom, wenn beide Schalter auf”Ein“

stehen. In der Mathematik spricht man von der”und“-Verknupfung a ∧ b.

✉ ✉ ✖✕✗✔

rrSchalter a Schalter b

Serienschaltung

Die zugehorige Schaltwerttabelle ist

a 0 1 0 1

b 0 0 1 1

a ∧ b 0 0 0 1

Page 9: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 7

(2) Bei einer Parallelschaltung von zwei Schaltern a und b reicht es aus, Schalter a oder Schalter beinzuschalten. In der Mathematik spricht man von der

”oder“-Verknupfung a ∨ b.

ACHTUNG: Beachten Sie, dass das bedeutet, dass a oder b oder beide eingeschaltet sind. DieSituation a oder b, aber nicht beide, druckt man durch

”entweder ... oder“ aus.

✉ ✉ ✖✕✗✔

r

rSchalter a

Schalter b

Parallelschaltung

Die zugehorige Schaltwerttabelle ist

a 0 1 0 1

b 0 0 1 1

a ∨ b 0 1 1 1

(3) Beschriftet man einen Schalter a”verkehrt“, dann ergibt sich die Negation ¬ mit der Schaltwert-

tabelle

a 0 1

¬a 1 0

1.3 Aussagen, Boolesche Algebra

Zu Beginn der Entwicklung einer mathematischen Theorie (wie der Analysis, Geometrie, Algebra) stehtimmer eine Reihe von Aussagen, die als wahr angenommen werden. Sie heißen Axiome. Von diesenwerden durch logische Schlusse weitere wahre Aussagen abgeleitet, aus diesen weitere usw. Die dazunotwendigen logischen Umformungsschritte nennt man einen mathematischen Beweis.

Dabei gilt ein wesentliches Grundprinzip:

Eine Aussage ist entweder wahr oder falsch (Tertium non datur).

Beispiele fur Aussagen sind:

- 3 ist großer als 1.

- Es gibt 9 Millionen Fahrrader in Peking.

- Jede Schwedin hat blonde Haare.

Keine Aussagen in diesem Sinn sind

- Wer hat heute Geburtstag?

- 7− 8 + 5.

- Diese Aussage ist nicht wahr.

Page 10: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 8

Wir bezeichnen im folgenden Aussagen durch große Buchstaben. Weiter bezeichnen wir mit 1 eineAussage, die immer wahr ist, und mit 0 eine Aussage, die immer falsch ist.

Aus mehreren Aussagen kann man eine komplexere Aussage bilden. Da Aussagen zwei mogliche Werte(namlich

”wahr“ oder

”falsch“) annehmen konnen, geht das entsprechend zu den Verbindungen von

Schalterzustanden in der Schaltalgebra. An Stelle der Schalter treten die Aussagen,”wahr“ kann man

durch die Zahl 1 und”falsch“ durch die Zahl 0 darstellen, und die Schaltwerttabelle nennen wir Wahr-

heitstafel.

Definition 1.3.1 Gegeben seien zwei beliebige Aussagen A und B. Durch die folgende Wahrheitstafelwerden Operationen definiert, die A und B neue Aussagen zuordnen, die

• Negation (Schreibw. ¬),

• die Konjunktion (Schreibw. ∧)

• und die Disjunktion (Schreibw. ∨):

A B ¬A A ∧B A ∨B

w w f w w

w f f f w

f w w f w

f f w f f

Die Symbole ¬, ∧ und ∨ heißen Junktoren, das Ergebnis der Operation”verneinte Aussage“,

”Und-

Aussage“ und”Oder-Aussage“.

So werden aus den Aussagen

A :=”Herbert studiert Mathematik“ , B :=

”Herbert ist 24 Jahre alt“

die Aussagen

- A ∧B = “Herbert studiert Mathematik und er ist 24 Jahre alt“,

- A ∨B = “Herbert studiert Mathematik oder er ist 24 Jahre alt“,

- ¬B = “Herbert ist nicht 24 Jahre alt“.

Die Aussage “Herbert ist 22 Jahre alt“ ist nicht die Negation von B.

Wie in der Umgangssprache wird das starre System, das”nicht“ vor die Aussage zu stellen, oft aufge-

hoben. Man sagt z.B.”es regnet nicht“ statt

”nicht es regnet“ oder x 6=

√2 statt ¬(x =

√2).

Page 11: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 9

Stellt man aus mehreren Aussagen durch Benutzung aller dieser Verknupfungen eine Aussage zusammen,dann gelten folgende Rechenregeln fur die Verknupfungen:

Satz 1.3.2 (Rechenregeln fur logische Operatoren) Fur die Operationen ∧, ∨ und ¬ gelten diefolgenden Rechenregeln:

(a) A ∧B = B ∧A, A ∨B = B ∨A. Kommutativitat

(b) A ∧ (B ∧ C) = (A ∧B) ∧C, A ∨ (B ∨ C) = (A ∨B) ∨ C Assoziativitat

(c) A ∧ (B ∨ C) = (A ∧B) ∨ (A ∧ C), A ∨ (B ∧ C) = (A ∨B) ∧ (A ∨ C), Distributivitat

(d) A ∧ (B ∨A) = A, A ∨ (B ∧A) = A, Verschmelzung

(e) A ∧A = A, A ∨A = A, Idempotenz

(f) A ∧ 1 = A, A ∨ 0 = A, Neutralitat

(g) A ∨ 1 = 1, A ∧ 0 = 0, Absorption

(h) A ∨ ¬A = 1, A ∧ ¬A = 0, Komplementar

(i) ¬0 = 1, ¬1 = 0, ¬(¬A) = A Doppelte Negation

(j) ¬(A ∨B) = (¬A) ∧ (¬B), ¬(A ∧B) = (¬A) ∨ (¬B), DeMorgan

Bemerkungen und Beispiele 1.3.3

(1) Doppelte Verneinungen fallen also weg.

(2) FurA :=

”Herbert studiert Mathematik“, B :=

”Herbert ist 24 Jahre alt“

gilt

¬(A ∧B) =”Herbert studiert nicht Mathematik oder er ist nicht 24 Jahre alt“

¬(A ∨B) =”Herbert studiert nicht Mathematik und er ist nicht 24 Jahre alt“

.

(3) Gerade fur Widerspruchsbeweise helfen die DeMorgansche Regeln, die zeigen, wie man eine Be-hauptung, die aus mehreren Aussagen zusammengesetzt ist, verneint.

(4) Eine Menge, fur deren Elemente drei Operationen ∧, ∨ und ¬ definiert sind, und fur die die Re-chenregeln aus Satz 1.3.2 gelten, heißt Boolesche Algebra.

In der Mathematik, speziell der Algebra, betrachtet man oft sogenannte mathematische Struktu-ren, die fur ganz verschiedene Mengen oder Situationen gleichartige Eigenschaften zusammenfas-sen. Damit kann man aus den Eigenschaften einer solchen Struktur einmalig Folgerungen ziehen,und muss das nicht fur jede einzelne Menge bzw. Situation durchfuhren.

Satz 1.3.4 Sei M eine nichtleere Menge. Die Potenzmenge P(M) von M ist mit den Verknupfungen∩, ∪ und ∁ eine Boolesche Algebra.

Page 12: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 10

1.4 Aussageformen, All- und Existenzquantor

Wir haben zum Beispiel die Mengen

M1 = {x;x ist Einwohner Chinas} oder M2 = {x;x ist Vielfaches von 3 und kleiner als 1000}.

durch die besondere Eigenschaft beschrieben, die die Elemente der Mengen charakterisiert. Die in derDefinition auftretenden Aussagen sind von einer Variablen abhangig und wahr fur die Elemente derMenge, falsch fur die anderen.Setzt man statt dieser Variablen also ein bestimmtes Element der Grundmenge ein (die Grundmengeist bei M1 die Menge der Menschen, bei M2 die der naturlichen Zahlen), dann erkennt man, ob dieEigenschaft fur dieses Element der Grundmenge erfullt ist oder nicht.

Definition 1.4.1 Die Zusammenfassung von gleichartigen Aussagen fur Elemente einer Grundmengeheißt Aussageform.

Zum Beispiel ist

”x ist eine Primzahl“

eine Aussageform auf der Grundmenge der naturlichen Zahlen.

”3 ist eine Primzahl“ oder

”16 ist eine Primzahl“ sind entsprechende Aussagen, die entstehen, wenn

man fur die Variable x bestimmte Elemente der Grundmenge einsetzt. Wie das Beispiel zeigt, kanndie entstehende Aussage fur bestimmte Variablenwerte wahr und fur andere falsch sein.

Wir bezeichnen im folgenden Aussageformen durch A(x).

Mit Hilfe von Aussageformen A(x) lassen sich nun Teilmengen einer Grundmenge G in der Form

M = {x ∈ G |A(x)}

beschreiben. M heißt dann Erfullungsmenge der Aussageform A(x) uber der Grundmenge G.

Ist z.B. IQ die Grundmenge, A(x) die Aussageform 4x = 5, dann ist die zugehorige Erfullungsmenge

M = {x ∈ IQ |A(x)} ={5

4

}

und die Aussage A(5

4

)

ist wahr, die Aussage A(27) ist falsch.

Bemerkungen und Beispiele 1.4.2

(1) Das Symbol A(x) soll keinen Funktionswert wie f(x) darstellen. Man kann naturlich jede Aussa-geform auch als Funktion auf der vorgegebenen Grundmenge und mit Wertebereich {wahr, falsch}auffassen.

(2) Dieselbe Aussageform beschreibt i.a. bei verschiedenen Grundmengen auch verschiedene Erful-lungsmengen.

Zum Beispiel gilt fur A(x) = (−2 < x < 1) und die Erfullungsmengen M1, M2, M3 und M4

bezuglich der Grundmengen IR, IQ, ZZ bzw. IN

M4 = ∅ & M3 = {−1, 0} $ M2 $ M1.

M1 ist das offene Intervall (−2|1).

Page 13: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 11

(3) Ausdrucke wie {x ∈ IR | 1

x2≥ 1} sind problematisch, da nicht entschieden werden kann, ob A(0)

wahr oder falsch ist. Daher muss die Grundmenge auf IR \ {0} eingeschrankt werden.

(4) Man kann endliche Zahlenmengen mit Hilfe von Aussageformen darstellen.Zum Beispiel ist

M = {3, 5, 6, 9} = {x ∈ IR |x = 3 ∨ x = 5 ∨ x = 6 ∨ x = 9}= {x ∈ IR | (x− 3) · (x− 5) · (x− 6) · (x− 9) = 0}.

(5) Zur Beschreibung von Mengen in der Ebene oder im Raum verwendet man Aussageformen mit2 bzw. 3 Variablen, allgemein endlich vielen Variablen. Die Grundmenge ist dann entsprechendIR2 = IR × IR, IR3 = IR× IR× IR bzw. IRn.Zum Beispiel beschreibt

{(x, y) ∈ IR2 | y = 2x+ 5} eine Gerade in der Ebene,

{(x, y) ∈ IR2 |x2 + y2 ≤ 4} eine Kreisscheibe in der Ebene,

{(x, y) ∈ IR2 |x2 + y2 = 0} die einpunktige Menge {(0, 0)} in der Ebene,

{(x, y) ∈ IR2 | y ≤ x} eine Halbebene,

{(x, y) ∈ IR2 | 2y + x = x+ 2y} die ganze Ebene,

{(x, y) ∈ IR2 | |x− 3| ≤ 1

2} einen Streifen parallel zur y–Achse in der Ebene,

{(x, y, z) ∈ IR3 | y = 2x+ 5} eine Ebene im Raum.

Verschiedene Aussageformen konnen dieselbe (Erfullungs-)Menge beschreiben. Es gilt z.B.

{x ∈ IR |x2 ≤ 4} = {x ∈ IR |x ≥ − 2 ∧ x ≤ 2}.

Definition 1.4.3 Sei G eine Grundmenge. Die Aussageformen A(x) und B(x) heißen aquivalent,wenn gilt

{x ∈ G |A(x)} = {x ∈ G |B(x)}.Schreibweise: A(x) ⇔ B(x).

Bemerkungen 1.4.4

(1)”A(x) ⇔ B(x)“ ist eine Aussage, die feststellt, ob die entsprechenden Aussageformen aquivalentsind oder nicht.

(2) Die Queen ist im Buckingham-Palast anwesend genau dann, wenn dort die englische Fahne gehisstist.

(3) Gleichungen und Ungleichungen sind spezielle Aussageformen. Ihre Erfullungsmengen heißen Lo-sungsmengen. Zum Beispiel ist die Losungsmenge der reellen Gleichung

3x− 2 = 10

die MengeL1 = {x ∈ IR| 3x− 2 = 10}.

Page 14: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 12

Durch Umformen der Gleichung erhalt man eine Beschreibung von L durch eine aquivalente, abereinfachere Aussageform

L1 = {x ∈ IR|x = 4}.Analog kann man die Losungsmenge der reellen Ungleichung

5(4x − 2) < 15x− 2(x− 16),

d.h. die MengeL2 = {x ∈ IR | 5(4x − 2) < 15x− 2(x− 16)}.

durch Umformen der Ungleichung durch eine aquivalente, aber einfachere Aussageform darstellen:

L2 = {x ∈ IR |x < 6}.

Erlaubt sind dabei naturlich nur Umformungen, die die Losungsmenge nicht verandern, d.h Aqui-valenzumformungen.

Definition 1.4.5 Ist bei einer Aussageform A(x) die Erfullungsmenge gleich der Grundmenge, d.h.A(x0) ist fur jedes Element x0 ∈ G wahr, dann heißt A(x) allgemeingultig.

Beispiele und Bemerkungen 1.4.6

(1) Die Aussageform

”wenn x < 3, dann x < 5“

wird sicher intuitiv in der Grundmenge IR als allgemeingultig erkannt.Das beinhaltet auch wahre Aussagen der Form

”4 < 3 ⇒ 4 < 5“ oder

”6 < 3 ⇒ 6 < 5“.

(2) Die Aussageform

”x < 3 ⇒ x2 < 10“

ist in IR nicht allgemeingultig, wie man durch Einsetzen von x = −4 erkennt. Sie hat aber einenichtleere Erfullungsmenge.

(3) Die Aussageformx+ 2 < 5 ⇔ x < 3

ist allgemeingultig in IR, denn die Falle

(x+ 2 6< 5) ∧ (x < 3) und (x+ 2 < 5) ∧ (x 6< 3)

konnen wegen der Monotonieeigenschaft der Addition in IR nicht auftreten.

(4) Die Aussageformx < 5 ⇔ x < 3

ist nicht allgemeingultig in IR, denn z.B. fur x = 4 ist die zweite Aussage falsch und die erste wahr.

(5) Die AussageformenA(x) = (x2 ≥ 0)

undB(x) = (1 + 0 · x = 1)

sind in der Grundmenge IR allgemeingultig.

Page 15: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 13

(6) Man kann die Allgemeingultigkeit durch den Allquantor ausdrucken:

Die Aussage{x ∈ G |A(x)} = G

ist gleichbedeutend mit

”Fur alle x ∈ G gilt A(x)“ bzw.

x∈G

A(x) bzw. ∀x ∈ G : A(x).

(7) Die Allaussage”

x∈IR

x2 ≥ 0“ ist wahr, die Allaussage”

x∈IR

x2 ≥ 1“ ist falsch.

(8) Ublicherweise schreibt man etwas schlampig z.B.:

Man zeige die Gultigkeit von (a+ b)2 = a2 + 2ab+ b2 in IR.

Eine Aussageform (hier in den Variablen a und b) kann aber nicht gultig oder ungultig sein.Genauer ist damit gemeint, daß man die Gultigkeit der Allaussage

a,b∈IR

(a+ b)2 = a2 + 2ab+ b2

zeigen soll.

Bei manchen Aussageformen ist die Erfullungsmenge leer, z.B. bei A(x) = (x2 = −1) uber der Grund-menge IR.

Definition 1.4.7 Ist bei einer Aussageform A(x) die Erfullungsmenge gleich der leeren Menge, d.h.A(x0) ist fur jedes Element x0 ∈ G falsch, dann heißt A(x) unerfullbar, sonst heißt sie erfullbar.

Man ist i.a. an erfullbaren Aussageformen bzw. losbaren Gleichungen und Ungleichungen interessiert.Die zugehorige Erfullungs- oder Losungsmenge muß also mindestens ein Element enthalten.

Beispiele und Bemerkungen 1.4.8

(1) Man kann die Erfullbarkeit einer Aussageform durch den Existenzquantor ausdrucken:Die Aussage

{x ∈ G |A(x)} 6= ∅ist gleichbedeutend mit

”Es gibt ein x ∈ G, fur das A(x) gilt“ bzw.

x∈G

A(x) bzw. ∃x ∈ G : A(x).

(2) Die Existenzaussage”

x∈IR

x2 = 2“ ist wahr, die Existenzaussage”

x∈IR

x2 = −1“ ist falsch.

Page 16: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 14

(3) Durch Quantifizierung, d.h. durch Voransetzen eines Quantors vor eine einstellige Aussageformentsteht eine Aussage. Fur zweistellige Aussageformen kann man die Variablen unabhangig quan-tifizieren:

(i) Die Aussage∧

x∈IR

y∈IR

x+y = 0 ist wahr, die Aussage∨

x∈IR

y∈IR

x+y = 0 ist ebenfalls wahr.

(ii) Die Aussage∨

y∈IR

x∈IR

x+ y = 0 ist falsch, die Aussage∧

y∈IR

x∈IR

x+ y = 0 ebenfalls.

(iii) Die Aussage∨

y∈IR

x∈IR

x · y = 0 ist wahr, die Aussage∧

y∈IR

x∈IR

x · y = 0 ist falsch.

(4) An den ersten beiden vorigen Beispielen erkennt man, daß man die Quantoren∧

x∈IR

und∨

y∈IR

i.a.

nicht vertauschen darf. Dagegen sind die Quantoren∧

x∈IR

und∧

y∈IR

sowie die Quantoren∨

x∈IR

und

y∈IR

jeweils vertauschbar und das Ergebnis wird auch kurz mit∧

x,y∈IR

bzw.∨

x,y∈IR

bezeichnet.

Man kann auch Aussageformen negieren. Die Negation wirkt sich dann bei Einsetzen der speziellenElemente aus, die die Aussageform zu einer Aussage machen.

Will man eine Allaussage negieren, dann darf man nicht einfach die entsprechende Aussageform negieren:Die Verneinung von

”Alle Schuler sind fleißig“ ist nicht

”Alle Schuler sind nicht fleißig“, sondern

”Es

gibt (mindestens) einen Schuler, der nicht fleißig ist“.

Entsprechendes gilt fur die Verneinung von Existenzaussagen. Allgemein gilt:

Satz 1.4.9 Sei A(x) eine Aussageform (mit Grundmenge G). Dann gilt:

(a) Negieren einer Allaussage ergibt eine Existenzaussage mit der negierten Aussageform, d.h.

¬( ∧

x∈G

A(x))

ist aquivalent zu∨

x∈G

(¬A(x)

).

(b) Negieren einer Existenzaussage ergibt eine Allaussage mit der negierten Aussageform, d.h.

¬( ∨

x∈G

A(x))

ist aquivalent zu∧

x∈G

(¬A(x)

).

Page 17: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 15

1.5 Implikation

In der Mathematik werden neue Aussagen aus bereits bekannten, als wahr angenommenen oder bestatigtenAussagen abgeleitet. Die generelle Ausdrucksform ist der mathematische Satz in der Form

Satz ...: Aus den Voraussetzungen folgt die Behauptung

oder kurz

Satz ...: Voraussetzungen ⇒ Behauptung .

Ein solcher mathematischer Satz stellt fur sich als Ganzes wieder eine Aussage dar, die immer wahr ist.

Um erkennen zu konnen, was mit ⇒ gemeint ist, betrachten wir folgende Aussage:

S :=”Es regnet, und daraus folgt: Die Straße ist nass“.

Die Aussage S ist aus den Aussagen

A :=”Es regnet“ und B :=

”Die Straße ist nass“

zusammengesetzt.

S ist offensichtlich wahr, wenn A und B beide wahr oder beide falsch sind.Ist A wahr und B falsch, d.h. es regnet, aber die Straße ist nicht nass, dann ist die Aussage S falsch.Ist A falsch und B wahr, dann ist das aber kein Widerspruch zu S, denn die Straße konnte aus anderenGrunden nass sein. S ist also in diesem Fall auch wahr.

Definition 1.5.1 Gegeben seien zwei beliebige Aussagen A und B. Durch die folgende Wahrheitstafelwird als Operation die Implikation ⇒ definiert, die A und B eine neue Aussage zuordnet.

A B A ⇒ B ¬A ¬A ∨B ¬B ¬B ⇒ ¬A

w w w f w f w

w f f f f w f

f w w w w f w

f f w w w w w

Bemerkungen 1.5.2

(1) Vergleich mit den Werten der Aussage ¬A∨B zeigt, dass dieser Ausdruck gleichwertig zur Impli-kation A ⇒ B ist.

(2) Wichtig ist die Feststellung, daß die Implikation A ⇒ B nur dann falsch ist, wenn A wahr und Bfalsch ist.Wenn also A falsch ist, dann kann B wahr oder falsch sein. In beiden Fallen ist die Implikationwahr.Beweistechnisch bedeutet das, daß man mit Hilfe einer falschen Voraussetzung alles beweisen kann.

Page 18: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 16

(3) Die Implikation A ⇒ B wird auch folgendermaßen ausgedruckt:

• Aus A folgt B.

• Wenn A, dann B.

• A ist hinreichend fur B.

• B ist notwendig fur A.

Man bezeichnet i.a. A als Voraussetzung, B als Behauptung, wobei eigentlich die Gultigkeit dergesamten Implikation die Behauptung ist.

(4) Die Implikation ist nicht symmetrisch, d.h. A ⇒ B ist i.a. nicht aquivalent zu B ⇒ A. Die zweiteImplikation heißt auch Umkehrung der ersten.Zum Beispiel gilt

( ∧

p,q∈IR

(q ≤ 0) ⇒ (die Gleichung x2 + px+ q = 0 ist in IR losbar))

,

aber nicht die Umkehrung.

(5) Naturlich kann der Junktor ⇒ auch auf Aussageformen angewendet werden. Dadurch entstehteine neue Aussageform A(x) ⇒ B(x), die nach Einsetzen genau der Werte x falsch wird, fur dieA(x) wahr und B(x) falsch ist.Allgemein interessiert man sich bei Implikationen von Aussageformen nicht fur die zugehorigeErfullungsmenge, sondern dafur, ob die Aussageform allgemeingultig ist, d.h. ob die Aussage

x∈G

(A(x) ⇒ B(x)

)

wahr ist.

(6) Betrachtet man zu zwei Aussageformen A(x) und B(x) die Erfullungsmengen MA und MB , dannentspricht der Implikation

A(x) ⇒ B(x)

die Mengen-InklusionMA ⊆ MB ,

d.h. es gilt die Inklusion genau dann, wenn

x∈G

x ∈ MA ⇒ x ∈ MB .

(7) Fur die Negation der Aussage∧

x∈G

(A(x) ⇒ B(x)

)

ergibt sich

¬( ∧

x∈G

(A(x) ⇒ B(x)

))

=∨

x∈G

¬(A(x) ⇒ B(x)

)=

x∈G

¬(¬A(x) ∨B(x)

)=

x∈G

(A(x) ∧ ¬B(x)

)

und damit die logische Grundlage des Verfahrens zur Widerlegung einer Behauptung durch Auf-finden eines Gegenbeispiels.

Page 19: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 17

Nach Definition 1.4.3 sind zwei Aussageformen A(x) undB(x) (mit derselben GrundmengeG) aquivalent,wenn sie dieselbe Erfullungsmenge MA = MB haben.

Wir wahlen ein beliebiges x0 ∈ G und betrachten die Wahrheitstafel fur folgende Aussagen

A(x0) B(x0) A(x0) ⇔ B(x0) A(x0) ⇒ B(x0) B(x0) ⇒ A(x0) (A(x0) ⇒ B(x0)) ∧ (B(x0) ⇒ A(x0))

w w w w w w

w f f f w f

f w f w f f

f f w w w w.

Offensichtlich ist x0 Element der Erfullungsmenge der Aussageform”A(x) ⇔ B(x)“ genau dann, wenn

x0 Element der Erfullungsmenge der Aussageform”(A(x) ⇒ B(x)) ∧ (B(x) ⇒ A(x))“ ist, d.h. die

entsprechenden Aussageformen sind aquivalent.

Satz 1.5.3 Fur zwei Aussageformen A(x) und B(x) gilt

A(x) ⇔ B(x) ⇐⇒ (A(x) ⇒ B(x)) ∧ (B(x) ⇒ A(x)).

Bemerkungen und Beispiele 1.5.4

(1) Die Aquivalenz der Aussagen A(x) und B(x) fur ein festes x0 ∈ G wird auch folgendermaßenausgedruckt:

• Es gilt A(x0) genau dann, wenn B(x0) gilt.

• Es gilt A(x0) dann und nur dann, wenn B(x0) gilt.

• A(x0) ist notwendig und hinreichend fur B(x0).

(2) Man fuhrt den Nachweis der Aquivalenz zweier Aussageformen oft, indem man die beiden Impli-kationen A(x) ⇒ B(x) und B(x) ⇒ A(x) zeigt.

(3)∧

n∈IN

(

(n ist teilbar durch 3) ⇔ (die Quersumme von n ist teilbar durch 3))

.

(4)∧

a,b∈IR

(

(a = 0 ∧ b = 0) ⇔ (a2 + b2 = 0))

.

(5)∧

p,q∈IR

(

(p2 ≥ 4q) ⇔ ( die Gleichung x2 + px+ q = 0 ist in IR losbar ))

.

Page 20: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 18

1.6 Beweisverfahren

In einer mathematischen Theorie werden aus Aussagen, die als wahr angenommen oder erkannt sind,durch Beweise neue wahre Aussagen hergeleitet.

Dabei sollte ein Beweis drei Forderungen erfullen:

• Ein Beweis sollte dazu dienen, dass Sie sich selbst von der Wahrheit der Behauptung uberzeugen.Ihre Uberzeugung muss unbezweifelbar sein, d.h. insbesondere nicht nur auf Intuition beruhen.Formulierungen wie etwas sei

”offensichtlich“,

”klar“,

”unmittelbar einsichtig“ usw. sollten Sie

misstrauen.

• Ein Beweis sollte jeden anderen von der Gultigkeit der Behauptung uberzeugen.Er muss daher einerseits nachvollziehbar sein, d.h. das rechte Maß an Argumentation und an De-tails enthalten, so dass der Leser sich von der Richtigkeit der einzelnen Beweisschritte uberzeugenkann, aber nicht in Details erstickt. Andererseits muss ein Beweis lesbar sein und nicht durchubertriebene Verwendung von Symbolen oder Formalismen unverstandlich werden.

• Ein Beweis sollte drittens Einsicht darin vermitteln, warum die zu beweisende Aussage stimmt,vielleicht sogar, wie man auf eine solche Aussage gekommen ist.Dadurch wird der Leser des Beweises (und naturlich auch der Verfasser), in die Lage versetzt, einegewisse mathematische Intuition aufzubauen.

Die bezuglich der Beweisstruktur verstandlichste Beweisform ist der direkte Beweis in der Form

Voraussetzung(en) ⇒ Behauptung.

Bemerkung und Beispiel 1.6.1

Im allgemeinen besteht die Implikation aus mehreren einzelnen Schritten. Oft wird die Voraussetzungin eine aquivalente Aussage uberfuhrt und daraus die Behauptung gefolgert.

Wir zeigen:∧

n∈IN

(n gerade ⇒ n2 gerade

).

Beweis: Sei n ∈ IN beliebig.

Es gilt: n ist gerade ⇔ k :=n

2∈ IN ⇒ n2 = 4k2 = 2 · (2k2) ist gerade.

Grundlage des indirekten Beweises ist die Aquivalenz (siehe Wahrheitstafel aus Definition 1.5.1)

(

A(x) ⇒ B(x))

⇔(

¬B(x) ⇒ ¬A(x))

.

Beispiel 1.6.2

Wir zeigen:∧

n∈IN

(n2 gerade ⇒ n gerade

).

Beweis: Wir beweisen die Behauptung indirekt: Quadrate ungerader Zahlen sind ungerade.

Sei n nicht gerade, also ungerade, d.h. es gibt eine Zahl k ∈ IN0 mit n = 2k + 1. Dann ist

n2 = (2k + 1)2 = 4k2 + 4k + 1 = 2 · (2k2 + 2k) + 1

ungerade, also ist n2 nicht gerade.

Page 21: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 19

Bei einem Widerspruchsbeweis zeigt man, dass die Aussage A(x) ∧(¬B(x)

)fur kein x ∈ G erfullt

wird. Wegen der Aquivalenz

(

A(x) ⇒ B(x))

⇔ ¬(

¬(A(x) ⇒ B(x)

))

⇔ ¬(

A(x) ∧ ¬B(x))

heißt das, dass die Aussage A(x) ⇒ B(x) fur alle x ∈ G wahr ist.

Bemerkung und Beispiel 1.6.3

(1) Der Vorteil bei einem Widerspruchsbeweis ist, dass man zusatzlich zu A(x) noch die Voraussetzung¬B(x) nutzen kann. Psychologisch vorteilhaft ist, dass man einen Anfang hat fur den Beweis inder Form

”Angenommen, es gilt die Voraussetzung und nicht die Behauptung, d.h. es gilt A(x) ∧ ¬B(x).“

(2) Wir zeigen: Es gibt unendlich viele Primzahlen.

Beweis: Angenommen, es gibt nur endlich viele Primzahlen, die wir mit p1, p2, . . . , pn bezeichnenwollen. Es gibt also nach Widerspruchsannahme keine weitere Primzahl.Dann ist keine dieser Primzahlen Teiler der Zahl

m := p1 · p2 · . . . · pn + 1.

Daraus folgt, dass m selbst eine Primzahl ist oder eine weitere Primzahl als Teiler hat, und wirhaben doch eine weitere Primzahl gefunden, d.h. die Widerspruchsannahme war falsch.

Bei der vollstandigen Induktion hat man es mit einer Aussageform A(n) uber der GrundmengeG = IN (oder G = {n ∈ ZZ|n ≥ n0}) zu tun, und es soll die Allgemeingultigkeit gezeigt werden.Dabei zerfallt der Beweis in zwei Teile, den

• Induktionsanfang, bei dem die Gultigkeit der Aussage A(1) (bzw. A(n0)) gezeigt wird, und den

• Induktionsschluß, bei dem die Gultigkeit der Aussage∧

n∈G

(A(n) ⇒ A(n+1)

)gezeigt wird.

——————————————————————————————–Insgesamt ergibt sich

n∈IN

A(n) (bzw.∧

n∈ZZ,n≥n0

A(n)).

Bemerkungen und Beispiel 1.6.4

(1) Durch den Induktionsschluß wird die Richtigkeit von A(n + 1) nur fur solche n gesichert, fur dieA(n) wahr ist, – sonst kann man uber A(n + 1) keine Aussagen machen.Dadurch wird deutlich, daß beide Teile – sowohl Induktionsanfang als auch Induktionsschluß –wesentlich fur die korrekte Durchfuhrung des Verfahrens sind.

Naturlich ist beim Induktionsschluß darauf zu achten, daß man kein n auslaßt, d.h. daß dieErfullungsmenge ganz IN (bzw. G) ist.

Page 22: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 20

(2) Wahrend beim Beweisprinzip des Widerspruchbeweises keine Einschrankung fur die Grundmengeder Aussageformen gilt, ist das Beweisprinzip der vollstandigen Induktion fest mit der ZahlenmengeIN verbunden.

Das Induktionsaxiom

”Ist X ⊆ IN, 1 ∈ X und

( ∧

n∈IN

n ∈ X ⇒ n+ 1 ∈ X), dann ist X = IN“

ist ein wesentlicher Teil der Definition der Menge der naturlichen Zahlen mit Hilfe der Peano-Axiome und direkte Grundlage fur die Durchfuhrbarkeit des Beweisprinzips.

(3) Wir zeigen: Die Summe der ersten n ungeraden Zahlen ergibt genau das Quadrat von n.

Beweis mit vollstandiger Induktion nach n:

Induktionsanfang n = 1: Die”Summe“ der ersten ungeraden Zahl 1 ist 1, und das Quadrat von 1

ist auch 1, also ist der Induktionsanfang wahr.

Induktionsschluß: Wir betrachten ein n ∈ IN, fur das A(n) wahr ist, d.h. es gilt

n∑

k=1

(2k − 1) = 1 + 3 + 5 + . . .+ (2n− 1) = n2.

Dann ist

n+1∑

k=1

(2k − 1) = 1 + 3 + 5 + . . .+ (2n − 1)︸ ︷︷ ︸

n2

+(2n+ 1) =

= n2 + (2n+ 1) = (n+ 1)2,

d.h. A(n+ 1) ist wahr.

1.7 Der binomischer Lehrsatz

Die binomischen Formeln

(a+ b)2 = a2 + 2ab+ b2

(a− b)2 = a2 − 2ab+ b2

(a+ b)(a− b) = a2 − b2

spielen in der Mittelstufenmathematik und bei der Umformung algebraischer Ausdrucke eine große Rolle.Sie sind naturlich nur Zusammenfassungen der Ergebnisse, die beim Ausmultiplizieren entstehen, undgelten fur alle reellen a, b. Dabei ist die zweite Gleichung nur eine Abwandlung der ersten.

Wir betrachten nun hohere Potenzen. Multipliziert man z.B. (a + b)5 aus, dann entstehen Ausdruckeder Form aibj, 0 ≤ i ≤ 5, j = 5− i, die zusammengefasst werden, also

(a+ b)5 = a0b5 + 5ab4 + 10a2b3 + 10a3b2 + 5a4b+ a5b0.

Die entstehenden Koeffizienten der Ausdrucke aibj geben an, wie oft der entsprechende Ausdruck vor-kommt. Sie sind also naturliche Zahlen.

Page 23: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 21

Definition 1.7.1 Sei n ∈ IN. Die Koeffizienten der Ausdrucke ajbi, 0 ≤ i ≤ n, j = n − i, in der

ausmultiplizierten Potenz (a+ b)n heißen Binomialkoeffizienten. Bezeichnung

(n

i

)

.

Bemerkungen und Beispiele 1.7.2

(1) Es gilt(1

0

)

=

(1

1

)

= 1,

(2

0

)

= 1,

(2

1

)

= 2,

(2

2

)

= 1,

(3

0

)

= 1,

(3

1

)

= 3,

(3

2

)

= 3,

(3

3

)

= 1.

(2) Fur alle n ∈ IN0 gilt(n

0

)

=

(n

n

)

= 1.

(3) Die Binomialkoeffizienten sind symmetrisch, d.h. fur festes n ∈ IN und alle 0 ≤ i ≤ n gilt

(n

i

)

=

(n

n− i

)

.

(4) Binomialkoeffizienten spielen in der Kombinatorik und damit in der diskreten Wahrscheinlichkeits-theorie eine große Rolle. Betrachtet man speziell

(1 + x)n = 1 +

(n

1

)

x+

(n

2

)

x2 + . . . +

(n

n− 1

)

xn−1 + xn =

n∑

i=0

(n

i

)

xi,

dann entsteht eine Potenz xi, wenn i Klammern ausgewahlt werden, aus denen der Summand xmultipliziert wird. Aus den restlichen n− i Klammern wird der Summand 1 multipliziert.(n

i

)

gibt also an, wie oft man aus n Objekten (hier Klammern) i Objekte auswahlen kann. Zum

Beispiel beschreibt

(49

6

)

die Anzahl der moglichen Lottotips, namlich die Anzahl der Moglichkeiten,

6 Zahlen aus 49 Zahlen auszuwahlen.

Kennt man die Koeffizienten zu (a+ b)n, dann kann man die Koeffizienten zu (a+ b)n+1 berechnen:

Satz 1.7.3 Fur n ∈ IN und 1 ≤ k ≤ n gilt

(n+ 1

k

)

=

(n

k − 1

)

+

(n

k

)

.

Page 24: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 22

Man kann die Binomialkoeffizienten in Dreiecksform, dem Pascalschen Dreieck, darstellen:

(0

0

)

(1

0

) (1

1

)

(2

0

) (2

1

) (2

2

)

(3

0

) (3

1

) (3

2

) (3

3

)

(4

0

) (4

1

) (4

2

) (4

3

) (4

4

)

(5

0

) (5

1

) (5

2

) (5

3

) (5

4

) (5

5

)

...

Mit Bemerkung 1.7.2 (2) und der Additionsformel aus Satz 1.7.3 ergibt sich

1

1 1

1 2 1

1 3 3 1

1 4 6 4 1

1 5 10 10 5 1

...

In vielen Situationen (auch im Falle des Binomischen Lehrsatzes) ist die rekursive Definition der Bino-mialkoeffizienten etwas unhandlich.Wir suchen daher nach einer geschlossenen Darstellung derselben.Dazu wollen wir zunachst eine Bezeichnung fur das Produkt aller naturlichen Zahlen von 1 bis neinfuhren:

Definition 1.7.4 Fur n ∈ IN heißt 1 · 2 · 3 · . . . (n− 1) · n Fakultat von n. Bezeichnung: n!.Weiter setzen wir 0! := 1.

Bemerkungen und Beispiele 1.7.5

(1) Es ist 1! = 1, 2! = 2, 3! = 6, 4! = 24.

(2) Fur alle n ∈ IN0 gilt (n+ 1)! = (n+ 1) · (n!).

(3) Um moglichst wenig Klammern setzen zu mussen, legen wir fest, dass Fakultatsbildung n! starkersein soll als die Multiplikation, d.h.

(n+ 1)! = (n + 1) · n!.

Page 25: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 23

Wir betrachten nun die aus Fakultaten zusammengesetzten Ausdrucke

b(n; k) :=n!

k! · (n− k)!.

Beispiele 1.7.6 Es gilt

b(0; 0) = 1, b(1; 0) = b(1; 1) = 1, b(2; 0) = 1, b(2; 1) = 2, b(2; 2) = 1,

b(3; 0) = 1, b(3; 1) = 3, b(3; 2) = 3, b(3; 3) = 1.

Die Werte von

(n

k

)

und b(n; k) stimmen fur 0 ≤ n ≤ 3 und jeweils 0 ≤ k ≤ n uberein. Es gilt allgemein

Satz 1.7.7 Fur alle n ∈ IN und 1 ≤ k ≤ n gilt

(a) b(n+ 1; k) = b(n; k − 1) + b(n; k).

(b)

(n

k

)

= b(n; k).

1.8 Kleiner Exkurs: Was ist Mathematik?

Als zukunftiger Mathematiklehrer sollte man auf die Frage vorbereitet sein, was die Mathematik alsWissenschaft und auch als Schulfach ausmacht.

Im Gegensatz zur oft geaußerten Meinung gehort Mathematik nicht zu den Naturwissenschaften wiePhysik, Chemie, Biologie:Sie beschaftigt sich nicht mit realen Objekten und Vorgangen, sondern mit geistigen Gegenstanden wieZahlen, Punkten, Geraden.Methodisch betrachtet sie ihre Aussagen nicht als gultig auf Grund hinreichend vieler Beobachtungen,sondern leitet sie aus anderen (als gultig erwiesenen oder angenommenen) Aussagen ab.

Andererseits unterscheidet sich die Mathematik von den (anderen) Geisteswissenschaften dadurch, dassman nicht uber die Gultigkeit der Aussagen diskutieren kann (Gedichtinterpretation, historischer Wahr-heitswert der Bibel).

In seinem Buch”In Mathe war ich immer schlecht ...“ gibt Beutelspacher vier Sichtweisen der Mathe-

matik als Wissenschaft an, die unterschiedliche Aspekte betonen und sich gegenseitig erganzen.

1. Mathematik ist der Versuch, logische Strukturen zu erkennen

Ziel der Mathematik ist, logische Abhangigkeiten zwischen Aussagen zu erkennen.

Eine Aussage B wird also auf eine Aussage A zuruckgefuhrt, d.h. man beweist die Implikation

A ⇒ B.

Dieser Ansatz fuhrt dazu, daß man versucht, die ganze Mathematik oder Teilgebiete auf wenige Grund-aussagen, die Axiome, zuruckzufuhren.

Page 26: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 24

Euklid (ca. 300 v.Chr.) versuchte als erster, in seinen”Elementen“ die Aussagen der

”euklidischen“

Geometrie auf wenige Axiome zuruckzufuhren. Vollendet hat das David Hilbert 1899 in seinem Buch

”Grundlagen der Geometrie“.Ein weiteres Beispiel sind die Zahlbereiche IN, IQ, IR, IC, die aus den Peano-Axiomen entwickelt werden.

Der Nachweis der Implikationen kann prinzipiell mit Hilfe von Wahrheitstafeln gefuhrt werden, d.h.Mathematik wird sehr formalistisch verstanden.

Ebenfalls untersucht man Abhangigkeiten zwischen Begriffen, z.B. in der Geometrie (”Jedes Quadrat

ist ein Rechteck“) oder der Analysis (”Jede differenzierbare Funktion ist stetig“).

Mathematik ist eine Sammlung von Ideen

Theoretisch ist Schach ein langweiliges, weil vorhersehbares Spiel:Die Anzahl aller moglichen Partien ist endlich, d.h. wenn beide Spieler alle diese Moglichkeiten kennen,konnen sie (ohne zu spielen) vorhersagen, ob der Spieler mit weißen Figuren gewinnt, verliert, es einRemis oder ein Patt gibt.Andererseits ist diese Anzahl so groß, daß niemand alle Spielzuge kennt und praktisch der Spielausgangoffen ist. Gute Schachspieler ersetzen diese fehlende Kenntnis durch Strategien.

Analog ist es beim Beweis mathematischer Satze: Theoretisch bedeutet ein Beweis, die entsprechendeImplikation mit Hilfe einer Wahrheitstafel nachzuprufen oder eine Abfolge logischer Schlußregeln zufinden, mit deren Hilfe aus der Voraussetzung A die Behauptung B folgt.

Praktisch funktioniert das nur bei wenigen Satzen. Im allgemeinen braucht man zu dem Beweis eineoder mehrere (manchmal auch viele) Ideen.Man kann aus der Behauptung nicht unbedingt erkennen, ob man zu dem Beweis viele solcher Ideenbenotigt, d.h. ob der Beweis

”schwer“ ist oder

”leicht“.

Ein Beispiel ist der sogenannte “große Satz von Fermat“ (1601-1665), der aussagt, daß fur alle naturlichenZahlen n ≥ 3 die Gleichung

xn + yn = zn

keine Losung mit naturlichen Zahlen x, y, z hat.Fermat stellte diese Behauptung 1637 auf, der Beweis gelang aber erst 1994 Andrew Wiles (Princeton)und er umfaßt mehrere hundert Seiten schwierigster Mathematik.

Naturlich versucht man, Ideen, die bei bestimmten Problemen zum Erfolg gefuhrt haben, auch beiBeweisversuchen anderer Behauptungen zu verwenden. Beispiele sind die Beweismethoden des Wider-spruchsbeweises oder der vollstandigen Induktion.

Eine weitere nutzliche Idee vor allem bei kombinatorischen Problemen ist das Schubfachprinzip, dasaussagt, daß bei Aufteilung von n Elementen einer Menge in k < n Teilmengen eine dieser Teilmengenmindestens 2 Elemente enthalt.

Page 27: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 25

Beispiele 1.8.1

(1) Die Behauptung”Es gibt keine rationale Zahl x ∈ IQ, die Losung der Gleichung x2 = 2 ist“, kann

man mit Hilfe eines Widerspruchsbeweises zeigen. Als weitere Idee benotigt man die Tatsache,daß das Quadrat einer naturlichen Zahl genau dann gerade ist, wenn die Zahl selbst gerade ist.

(2) Formeln fur Summen naturlicher Zahlen wie

n∑

k=1

k := 1 + 2 + 3 + . . . + (n − 1) + n =n(n+ 1)

2,

n∑

k=1

k2 := 1 + 4 + 9 + . . .+ (n− 1)2 + n2 =n(n+ 1)(2n + 1)

6,

n∑

k=1

k3 := 1 + 8 + 27 + . . .+ (n− 1)3 + n3 = (1 + 2 + 3 + . . .+ n)2 =n2(n+ 1)2

4

beweist man mit Hilfe der vollstandigen Induktion.

Dieses Beweisprinzip ist auch auf andere Problemstellungen anwendbar:Zerlegt man die Zeichenebene durch n Geraden in verschiedene Gebiete (

”Lander“), dann laßt sich

die entstehende Landkarte mit zwei Farben so farben, daß Lander mit einer gemeinsamen Grenze(die nicht nur aus einem Punkt besteht) verschiedene Farben haben.

(3) Mit dem Schubfachprinzip beweist man z.B.:

(a) In jeder Gruppe von mindestens 2 Personen gibt es zwei, die die gleiche Anzahl von Bekann-ten innerhalb dieser Gruppe haben:Wir betrachten als Teilmengen die Menge aller Personen, die dieselbe Anzahl Personen ken-nen, d.h.K0 enthalt alle Einsiedler undKn−1 alle der n Personen, die jede andere der Personenkennen. Als Zusatzidee benotigt man die Tatsache, daß eine der beiden Mengen K0 und Kn−1

gleich der leeren Menge ist.

(b) Unter je sechs naturlichen Zahlen gibt es stets zwei, deren Differenz durch 5 teilbar ist:Hier teilt man die Menge IN der naturlichen Zahlen so in 5 Teilmengen auf, daß zwei Elementederselben Teilmenge bei Division durch 5 jeweils den gleichen Rest haben.

(c) Unter je 5 Punkten, die in einem Quadrat der Seitenlange 2 liegen, gibt es immer 2, derenAbstand ≤

√2 ist:

Hier teilt man das Quadrat in 4 Teilquadrate der Seitenlange 1 auf.

Mathematik ist ein Werkzeug, die Welt zu beschreiben

Ein wesentlicher Grund fur die zentrale Stellung der Mathematik in den Natur- und Ingenieurwissen-schaften, aber in neuerer Zeit auch in den Sozialwissenschaften ist, dass sie eine Sprache ist, um dieauftretenden Phanomene und Probleme zu formulieren. Im Idealfall ergeben sich aus der Beschreibungauch Ansatze fur Losungen.

Naturlich kann man nicht erwarten, daß die Mathematik alle Facetten des zu beschreibenden Vorgangswiederspiegelt - man erhalt i.a. ein mathematisches Modell des realen Problems.

Ein Beispiel ist die Darstellung von Musik (oder Texten, Bildern) durch Zahlen in der Kommunikati-onsindustrie. Naturlich ist ein Ton etwas anderes als eine Folge von Nullen und Einsen und wird nurunvollstandig dadurch reprasentiert. Gleichwohl ergeben sich aus der digitalen Codierung hervorragendeMoglichkeiten, Musik zu speichern oder uber Datenkanale verlustfrei zu ubermitteln.

Page 28: Elemente der Algebra - Uni Siegen

1. Mengen, Aussagen, Beweise 26

Mathematik ist eine Weise, die Welt zu erfahren

Durch Beschreibung der Welt durch mathematische Begriffe bringen wir nicht nur eine Struktur in unsereBeobachtungen, sondern wir scharfen unser Wahrnehmungsvermogen fur bestimmte Phanomene.

• Macht man sich den Symmetriebegriff bewußt, dann erkennt man viel mehr symmetrische (undasymmetrische) Objekte als zuvor. Man kann z.B. auch schlussig erklaren, warum wir mit Begriffenwie

”oben - unten“ und

”vorn - hinten“ weniger Schwierigkeiten haben als mit

”links - rechts“.

• Das Studium der Stetigkeit von Funktionen scharft das Bewusstsein fur stetige und unstetigeProzesse in der Umwelt.

• Die Beschaftigung mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung lasst uns abschatzen, wie groß ein even-tuelles Bedrohungspotential (Unfallgefahr bei Reisen mit Auto, Bahn, Flugzeug) ist.

Page 29: Elemente der Algebra - Uni Siegen

27

2 Losungen algebraischer Gleichungen

2.1 Gleichungen

Bei vielen mit Mathematik zu losenden Problemen entstehen nach Umwandlung in mathematischeFormulierungen (Modellierung) eine oder mehrere Gleichungen oder Ungleichungen, die die Beziehungenzwischen den zu betrachtenden Großen ausdrucken.

Beispiel 2.1.1

Eine Gruppe von Mannern und Frauen umfasst 36 Personen. Die Zahl der Frauen ist um 2 großer alsdie Zahl der Manner. Wie viele Manner und wie viele Frauen sind in der Gruppe?

Wir bezeichnen zuerst die Anzahl der Manner mit x, die der Frauen mit y.Dann ergeben sich folgende Gleichungen

x+ y = 36

y = x+ 2

Jede der beiden Gleichungen stellt offensichtlich eine Aussageform uber der Grundmenge IN20 dar, und

gesucht sind die Paare (x|y), fur die beide Aussageformen wahr sind.

Bemerkungen 2.1.2

(1) Nach der Umwandlung des Problems in z.B. ein System von Gleichungen muss naturlich klar sein,welche Bedeutung die Unbekannten x, y usw. haben, denn nach Losen der mathematischen Auf-gabe muss die Losung entsprechend interpretiert werden konnen.

Welche Probleme dabei auftreten konnen zeigt folgendes Beispiel(Quelle: Von der propadeutischen Algebra zur elementaren Algebra, Publikation zu einem Workshop der Fortbil-

dungsveranstaltung zum BLK-Programm SSteigerung der Effizienz im mathematisch-naturwissenschaftlichen Un-

terricht”vom 27.5.2002 in Ludwigsfelde, Gregor Wieland, Freiburg/Schweiz)

Beispiel: I Interviewer, H Helga (29, Akademikerin), Aufgabe:

In einem Saal sind x Manner und y Frauen. Was bedeutet die Formel

y = x+ 2?

H : (schweigt minutenlang)I: Vielleicht ist die Aufgabe leichter, wenn wir die Anzahl der Manner mit M und die Anzahl der Frauenmit F bezeichnen. Dann lautet die Formel

F = M + 2.

Was bedeutet das?

H : (spontan) Die Frau hat einen Mann und zwei Kinder.

I: Muss denn diese 2 unbedingt 2 Kinder bedeuten. Konnen es nicht zwei Manner oder zwei Frauen sein?

H : Nein, denn sonst musste ja hier stehen: F = M + 2M . Oder: F = M + 2F .

I: Wenn es zwei Kinder sind, dann musste ja eigentlich F = M + 2K hier stehen.

H : Ja .... richtig.

(2) Eine Gleichung oder ein System von Gleichungen muss nicht unbedingt eine Losung haben.

Ware die Gesamtzahl der Personen in der Gruppe namlich z.B. 37, dann gabe es keine Losung inder Grundmenge IN2

0.In der Grundmenge IR2 hat das Gleichungssystem eine Losung, namlich (17, 5|19, 5). Die Frageder Losbarkeit und die Anzahl der Losungen hangt also von der betrachteten Grundmenge ab.

Page 30: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 28

(3) Algebraische Losungsverfahren beruhen darauf, zu den zu den Gleichungen bzw. Ungleichungenzugehorigen Aussageformen aquivalente zu finden, aus denen die Losungen leichter abzulesen sind.

In Beispiel 2.1.1 sind das die vier folgenden Gleichungssysteme

x+ y = 36 2x+ 2 = 36 2x = 34 x = 17

y = x+ 2 y = x+ 2 y = x+ 2 y = 19

und aus dem letzten ergibt sich, dass (x|y) = (17|19) die einzige Losung ist.

Wichtig ist aber, dass man Aquivalenzumformungen benutzt, d.h. Umformungen, die die Losungsmengenicht verandern.

Beispiel 1:

x = y | · xx2 = xy |+ x2

2x2 = x2 + xy | − 2xy

2x2 − 2xy = x2 − xy

2 (x2 − xy) = x2 − xy | : (x2 − xy)

2 = 1

Wahrend offensichtlich die erste Gleichung Losungen in IR2 hat, namlich z.B. (1|1), ist die letzteGleichung fur kein Paar (x|y) ∈ IR2 wahr. Die beiden Gleichungen konnen also nicht aquivalentsein. Naturlich ist die Division durch x2 − xy keine Aquivalenzumformung, denn gerade fur dieLosungen der ersten Gleichung dividiert man dann durch Null.

Beispiel 2:

xy = xy | · (−1)

−xy = −xy |+ 0 = x2 − x2 = y2 − y2

x2 − x2 − xy = y2 − y2 − xy |+ (x+ y

2)2

x2 − x2 − xy + (x+ y

2)2 = y2 − y2 − xy + (

x+ y

2)2

(x− x+ y

2

)2=

(y − x+ y

2

)2 |Wurzelziehen

x− x+ y

2= y − x+ y

2|+ x+ y

2x = y

Die erste Gleichung gilt fur alle (x|y) ∈ IR2, die letzte Gleichung nur fur spezielle Paare. Auchdiese beiden Gleichungen sind also nicht aquivalent. Hier ist die Umformung

”Wurzelziehen“ keine

Aquivalenzumformung.

(4) Ein analytisches Losungsverfahren ware die Betrachtung der Funktionen

f1(x, y) = x+ y − 36,

f2(x, y) = y − x− 2

und Bestimmung des Durchschnitts der Nullstellenmenge von f1 und f2.

Page 31: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 29

(5) Es ist sehr sinnvoll, moglichst vor Anwendung von Losungsverfahren sich Gedanken zu machen,ob das Problem uberhaupt losbar ist, und wenn, wie viele Losungen es geben kann.

Z.B. ist es nutzlich, die Losungsmengen - wenn moglich - grafisch darzustellen.

Beispiel: Das Gleichungssystem

x2 + 4y2 = 1,

2x+ 3y = 6

hat in IR2 als Losungsmenge den Durchschnitt der Losungsmengen der beiden Gleichungen.

Die Losungsmenge der ersten Gleichung kann man als Punkte einer Ellipse, die der zweiten Glei-chung als Punkte einer Geraden darstellen.Da eine Gerade eine Ellipse in 0, 1 oder 2 Punkten schneidet, kann es insgesamt hochstens zweiLosungen (x|y) geben.

Wir betrachten im Folgenden nur algebraische Gleichungen:

Definition 2.1.3 (a) Eine algebraische Gleichung in den Unbekannten x1, x2, . . . , xn ist eine Glei-chung, in der nur Summen von Produkten von Potenzen der Unbekannten mit naturlichen Expo-nenten und Zahlen auftreten.

(b) Die maximale Summe der Exponenten der Unbekannten in den einzelnen Produkten heißt Gradder Gleichung.

Ist der Grad 1, dann heißt die Gleichung linear.

Ist der Grad 2, dann heißt die Gleichung quadratisch.

Ist der Grad 3, dann heißt die Gleichung kubisch.

Beispiele und Bemerkungen 2.1.4

(1) Die Gleichungen in den Beispielen 2.1.1 und 2.1.2 (5) sind algebraisch in den beiden Unbekanntenx und y und sie haben Grad 1 oder 2.

(2) Keine der Gleichungen

sinx+ x2 = e2x,

3x√

y3 = 5x2,

x3 +2

x= 25

ist algebraisch, aber die Gleichung

√5xy3 + e2 z3 =

π

3

ist algebraisch in den Unbekannten x, y, z und hat Grad 4.

(3) Die Losungsmenge einer algebraischen Gleichung in den Unbekannten x1, x2, . . . , xn mit Grad mstimmt uberein mit der Nullstellenmenge eines entsprechenden Polynoms mit den Variablenx1, x2, . . . , xn und Grad m.

Page 32: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 30

2.2 Lineare Gleichungen

Eine lineare Gleichung mit einer Unbekannten kann man mit elementaren Operationen (Addition, Sub-traktion, Division (außer durch Null)) losen.

Satz 2.2.1 Wir betrachten als Grundmenge M = IQ oder M = IR. Dann hat die Gleichung

a1x+ b1 = a2x+ b2 mit a1, a2, b1, b2 ∈ M

(a) im Fall a1 6= a2 die eindeutige Losung x =b2 − b1a1 − a2

∈ M ,

(b) im Fall a1 = a2 und b1 6= b2 keine Losung und

(c) im Fall a1 = a2 und b1 = b2 unendlich viele Losungen (namlich jedes x ∈ M).

Beispiel 2.2.2

Die lineare Gleichung mit zwei Unbekannten in IR

2x+ 3y = 5

kann man entsprechend in die aquivalente Gleichung

y =5− 2x

3

uberfuhren.Betrachtet man die Losungen (x|y) ∈ IR2 als Koordinaten von Punkten einer Ebene (mit einemkartesischen Koordinatensystem), dann bilden die den Losungen entsprechenden Punkte die Gerade

{(x, y) | y =5− 2x

3, x ∈ IR}.

Jede lineare Gleichung mit zwei Unbekannten laßt sich durch geeignete Addition und Subtraktion ineine aquivalente Gleichung in Normalform

ax+ by + c = 0

uberfuhren. Dann gilt

Satz 2.2.3 Die lineare Gleichung

ax+ by + c = 0 mit a, b, c ∈ IR, a2 + b2 6= 0,

hat unendlich viele Losungen (x|y) ∈ IR2. Die ihnen zugeordneten Punkte einer Ebene mit kartesischemKoordinatensystem bilden eine Gerade.

(a) Im Fall a = 0 ist das die zur x-Achse parallele Gerade mit der Gleichung

y = −c

b, x ∈ IR,

(b) im Fall b = 0 ist das die zur y-Achse parallele Gerade mit der Gleichung

x = − c

a, y ∈ IR,

Page 33: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 31

(c) im Fall a 6= 0, b 6= 0 ist das die Gerade mit der Gleichung

y = −a

bx− c

b, x ∈ IR,

und Steigung −a

b.

Bemerkungen 2.2.4

(1) Die zu den Gleichungen

ax+ by + c1 = 0, ax+ by + c2 = 0, c1 6= c2,

gehorenden Geraden sind zueinander parallel.Dasselbe gilt fur zwei Gleichungen der Form

ax+ by + c1 = 0, (ka)x + (kb)y + c2 = 0, kc1 6= c2,

(2) Ist c = 0, dann ist die zugehorige Gerade eine Ursprungsgerade durch den Nullpunkt. Diezugehorige Gleichung heißt dann homogen. Fur c 6= 0 heißt die Gleichung inhomogen.

(3) Sucht man Losungen in Teilmengen von IR, also z.B. in IQ oder IN, dann entsprechen ihnen diePunkte der angegebenen Geraden, deren Koordinaten beide rationale bzw. naturliche Zahlen sind.Zum Beispiel sind die ganzzahligen Losungen der Gleichung aus Beispiel 2.2.2 die

”Gitterpunkte“

(Punkte mit ganzzahligen Koordinaten) auf der Geraden, namlich

(xk|yk) ∈ ZZ mit xk = −2 + 3k, yk = 3− 2k, k ∈ ZZ.

Beispiel 2.2.5

Fur die lineare Gleichung mit drei Unbekannten

2x+ 3y + z = 5

erhalt man die unendlich vielen reellen Losungen

{(x, y, z) | z = 5− 2x− 3y, x, y ∈ IR}.

Betrachtet man wieder die Tripel als Koordinaten in einem kartesischen Koordinatensystem desRaums, dann bilden die entsprechenden Punkte der Losungsmenge eine Ebene.

Satz 2.2.6 Die lineare Gleichung

ax+ by + cz + d = 0 mit a, b, c, d ∈ IR, a2 + b2 + c2 6= 0,

hat unendlich viele Losungen (x|y|z) ∈ IR3. Die ihnen zugeordneten Punkte des Raums mit kartesischemKoordinatensystem bilden eine Ebene.

(a) Im Fall a = b = 0 ist das die zur (x, y)-Ebene parallele Ebene mit der Gleichung

z = −d

c, x, y ∈ IR.

Page 34: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 32

(b) Im Fall c = 0 ist das die zur (x, y)-Ebene senkrechte Ebene durch die Gerade mit der Gleichungax+ by + d = 0.

(c) Die Ursprungsgerade durch den Punkt (a|b|c) ist senkrecht zu der Ebene.

Bemerkungen 2.2.7

(1) Fur b = c = 0 bzw. a = c = 0 erhalt man analoge Aussagen zu Satz 2.2.6 (a), fur a = 0 bzw. b = 0analoge Aussagen zu Satz 2.2.6 (b).

(2) Die zu den Gleichungen

ax+ by + cz + d1 = 0, ax+ by + cx+ d2 = 0, d1 6= d2,

gehorenden Ebenen sind zueinander parallel.Dasselbe gilt fur zwei Gleichungen der Form

ax+ by + cz + d1 = 0, (ka)x+ (kb)y + (kc)z + d2 = 0, kd1 6= d2,

(3) Ist d = 0, dann ist die zugehorige Ebene eine Ursprungsebene durch den Nullpunkt. Die zu-gehorige Gleichung heißt dann homogen. Fur d 6= 0 heißt die Gleichung inhomogen.

Allgemein gilt:

Bemerkungen 2.2.8

(1) Eine lineare Gleichung mit mehreren Unbekannten

a1x1 + a2x2 + . . .+ akxk = b

hat unendlich viele Losungen in dem entsprechenden Koeffizientenkorper.Die Losungs-k-Tupel bilden eine (k − 1)-dimensionale Hyperebene in einem k-dimensionalen (ra-tionalen bzw. reellen bzw. komplexen) Vektorraum.

(2) Ein wichtiger Spezialfall sind die homogenen linearen Gleichungen mit b = 0. (Die Gleichungenmit b 6= 0 nennt man inhomogen.)Ihre Losungs-k-Tupel liegen in einer Hyperebene durch den Nullpunkt des Koordinatensystems,also in einem (k − 1)-dimensionalen Untervektorraum.

(3) Bei verschiedenen Gleichungen mit denselben Koeffizienten a1, . . . , ak und unterschiedlichen b’ssind die zugehorigen Hyperebenen zueinander parallel.Der Vektor (a1, a2, . . . , ak) steht senkrecht auf allen diesen Hyperebenen (Hesse’sche Normalform).

Page 35: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 33

2.3 Lineare Gleichungssysteme

Die Losungsmenge eines linearen Gleichungssystems ist der Durchschnitt der Losungsmengen dereinzelnen Gleichungen.

Beispiele 2.3.1

(1) Das lineare Gleichungssystem

5x+ 3y = 3

10x+ 7y = 12

mit zwei Unbekannten und zwei Gleichungen hat offensichtlich die Losung (−3|6) (Probe durchEinsetzen).Die einzelnen Gleichungen entsprechen verschiedenen, nicht parallelen Geraden in der Ebene.Da zwei solche Geraden sich in genau einem Punkt schneiden, ist die angegebene Losung dieeinzige, d.h. das Gleichungssystem ist eindeutig losbar.

(2) Das lineare Gleichungssystem

5x+ 3y = 3

10x+ 6y = 5

mit zwei Unbekannten und zwei Gleichungen hat offensichtlich keine Losung, denn aus der Existenzeiner Losung wurde 6 = 5 folgen.Die einzelnen Gleichungen entsprechen verschiedenen parallelen Geraden in der Ebene, die sichnicht schneiden, also keinen Punkt gemeinsam haben.

(3) Bei dem linearen Gleichungssystem

5x+ 3y = 3

10x+ 6y = 6

mit zwei Unbekannten und zwei Gleichungen sind beide Gleichungen aquivalent, haben also die-selbe Losungsmenge, d.h. das Gleichungssystem hat im IR2 die unendliche Losungsmenge

L = {(x|y)| y = −5

3x+ 1, x ∈ IR}.

Die einzelnen Gleichungen entsprechen derselben Geraden in der Ebene.

Aus der Schule sind die drei Losungsmoglichkeiten fur lineare Gleichungssysteme bekannt,

• das Gleichsetzungsverfahren,

• das Einsetzungsverfahren und

• das Additionsverfahren.

Page 36: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 34

Beispiele 2.3.2 Wir betrachten das lineare Gleichungssystem

5x+ 3y = 3

10x+ 7y = 12.

(1) Gleichsetzungsverfahren: Das Gleichungssystem ist aquivalent zu

y = −5

3x+ 1

y = −10

7x+

12

7.

Man setzt nun beide rechte Seiten gleich und behalt zusatzlich eine der ursprunglichen Gleichungen.Damit erhalt man als neues aquivalentes Gleichungssystem

−5

3x+ 1 = −10

7x+

12

7

y = −10

7x+

12

7

und

x = −3

y = 6.

(2) Einsetzungsverfahren: Wie beim Gleichsetzungsverfahren wird eine Gleichung nach einer Un-bekannten aufgelost und der entsprechende Ausdruck an Stelle der Unbekannten in die zweiteGleichung eingesetzt, die dann nur noch die andere Unbekannte enthalt und gelost werden kann.Man erhalt

y = −5

3x+ 1

10x + 7y = 12,

nach Einsetzen

y = −5

3x+ 1

10x+ 7(−5

3x+ 1) = 12,

nach Losen der zweiten Gleichung

y = −5

3x+ 1

x = −3

und damit die Losung (−3|6).

Page 37: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 35

(3) Additionsverfahren: Ziel ist, durch aquivalente Umformungen ein Gleichungssystem zu gewin-nen, bei dem die zweite (und weitere) Gleichungen eine Unbekannte weniger enthalt.Praktischerweise stellt man die Gleichungen so um, dass die Unbekannten jeweils auf einer Seitestehen. Naturlich kann man jede der Gleichungen mit einem Faktor ungleich Null multiplizieren,ohne die Losungsmenge des Gleichungssystems zu verandern. Und auch das Addieren oder Sub-trahieren einer Gleichung zu bzw. von der anderen verandert die Losungsmenge nicht.Multiplikation der 1. Gleichung mit 7 und der 2. mit 3 ergibt

35x+ 21y = 21

30x+ 21y = 36.

Subtrahieren der 1. Gleichung von der 2. ergibt als neue 2. Gleichung

35x+ 21y = 21

−5x = 15

bzw. das i.a. einfachere System

5x+ 3y = 3

−5x = 15.

Durch Losen der 2. Gleichung und Einsetzen des Ergebnis fur x in die 1. Gleichung erhalt maneine Gleichung mit der einzigen Unbekannten y, die man entsprechend lost.

Bemerkungen 2.3.3

(1) Beim Gleichsetzungsverfahren muss man zuerst die Gleichungen nach derselben Unbekanntenauflosen, bevor man die rechten Seiten gleichsetzt. Wenn man zum Beispiel fur das Gleichungssy-stem

5x+ 3y − 3 = 0

10x+ 7y − 12 = 0.

die beiden linken Seiten gleichsetzt, ist das nicht falsch, ergibt aber wieder eine Gleichung mitzwei Unbekannten.

(2) Beim Einsetzungsverfahren sollte man den Ausdruck, den man in der zweiten Gleichung fur dieUnbekannte (beim Beispiel fur y) einsetzt, jeweils in Klammern schreiben.

(3) Das Gleichsetzungsverfahren ist ein Spezialfall des Einsetzungsverfahrens.

(4) Bei dem Additionsverfahren hatte man bei dem speziellen Beispiel auch von der 2. Gleichungdas doppelte der 1. Gleichung abziehen und damit die Unbekannte x in der neuen Gleichungeliminieren konnen.

(5) Oft lasst man bei der Auflosung der neuen Gleichung, in der nur eine Unbekannte vorkommt, dieandere Gleichung weg. Aber nur das Gleichungssystem mit beiden Gleichungen ist aquivalent zudem Ausgangsproblem, hat also dieselbe Losungsmenge.

(6) Alle Losungsverfahren sind auch fur lineare Gleichungssystem mit k ≥ 2 Unbekannten und n ≥ 2Gleichungen anwendbar. Man erhalt in der 1. Stufe ein aquivalentes Gleichungssystem, bei dem inder ersten Gleichung alle Unbekannten und in den anderen Gleichungen eine Unbekannte wenigerauftreten.

Page 38: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 36

Naturlich andert sich die Losungsmenge eines linearen Gleichungssystems nicht, wenn man die Reihen-folge der Gleichungen vertauscht. Kombination mit dem Additionsverfahren ergibt als standardisiertesRechenverfahren fur beliebige lineare Gleichungssysteme das Gaußsche Eliminationsverfahren.

Die wesentlichen Informationen des Gleichungssystems

a11x1 + a12x2 + . . .+ a1kxk = b1

a21x1 + a22x2 + . . .+ a2kxk = b2...

an1x1 + an2x2 + . . .+ ankxk = bn

stecken in den Koeffizienten aij und den Konstanten bi. Wir fassen diese Zahlen in Schemata zusammen,der sogenannten Koeffizientenmatrix

A :=

a11 a12 . . . a1ka21 a22 . . . a2k...

......

an1 an2 . . . ank

und der erweiterten Koeffizientenmatrix

(A, b) :=

a11 a12 . . . a1k b1a21 a22 . . . a2k b2...

......

an1 an2 . . . ank bn

.

Beispiel 2.3.4

Zum Gleichungssystem5x2 + x3 = 0

−x1 + 8x2 + 3x3 = 22x1 + 4x2 − x3 = 1

−3x1 + 9x2 + 5x3 = 2

gehort die Koeffizientenmatrix A =

0 5 1−1 8 32 4 −1−3 9 5

und (A, b) =

0 5 1 0−1 8 3 22 4 −1 1−3 9 5 2

.

Den Aquivalenzumformungen des Gleichungssystems entsprechen die elementaren Zeilenumformun-gen der erweiterten Koeffizientenmatrix, namlich

• Vertauschung zweier Zeilen,

• Multiplikation einer Zeile mit einer Zahl ungleich 0,

• Addition einer Zeile zu einer anderen Zeile.

Page 39: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 37

Ziel des Algorithmus ist es zunachst, die erweiterte Koeffizientenmatrix (A, b) mit elementaren Zeilenum-formungen so zu einer Matrix (A′, b′) umzuformen, dass die Koeffizientenmatrix A′ Zeilenstufenformhat: Dabei soll gelten:

• a11 6= 0, ai1 = 0, 2 ≤ i ≤ n.

• Sind in einer Zeile die ersten j Koeffizienten Null, dann sind in allen Zeilen darunter die erstenj + 1 Koeffizienten Null.

Beispiele 2.3.5 A =

1 2 30 0 40 0 0

und B =

2 0 −1 40 1 1 00 0 0 20 0 0 0

haben Zeilenstufenform.

C =

1 0 0 00 1 0 00 1 1 10 0 0 1

hat keine Zeilenstufenform.

Satz 2.3.6 Jede Matrix A kann durch elementare Zeilenumformungen in eine Matrix A′ in Zeilenstu-fenform uberfuhrt werden.

Beispiele 2.3.7

(1) Fur das Gleichungssystem aus Beispiel 2.3.4 erhalt man

0 5 1 0−1 8 3 22 4 −1 1−3 9 5 2

Vertauschung−−−−−−−−→1. und 2.Zeile

−1 8 3 20 5 1 02 4 −1 1−3 9 5 2

Addition Vielfaches−−−−−−−−−−−−→der 1.Zeile

−1 8 3 20 5 1 00 20 5 50 −15 −4 −4

Addition Vielfaches−−−−−−−−−−−−→der 2.Zeile

−1 8 3 20 5 1 00 0 1 50 0 −1 −4

Addition Vielfaches−−−−−−−−−−−−→der 3.Zeile

−1 8 3 20 5 1 00 0 1 50 0 0 1

.

(2) Fur das Gleichungssystem5x2 + x3 = 0

−x1 + 8x2 + 3x3 = 22x1 + 4x2 − x3 = 1

−3x1 + 9x2 + 5x3 = 1

erhalt man

0 5 1 0−1 8 3 22 4 −1 1−3 9 5 1

Vertauschung−−−−−−−−→1. und 2.Zeile

−1 8 3 20 5 1 02 4 −1 1−3 9 5 1

Addition Vielfaches−−−−−−−−−−−−→der 1.Zeile

−1 8 3 20 5 1 00 20 5 50 −15 −4 −5

Addition Vielfaches−−−−−−−−−−−−→der 2.Zeile

−1 8 3 20 5 1 00 0 1 50 0 −1 −5

Addition Vielfaches−−−−−−−−−−−−→der 3.Zeile

−1 8 3 20 5 1 00 0 1 50 0 0 0

.

Page 40: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 38

(3) Fur das Gleichungssystem5x2 + x3 = 2

−x1 + 8x2 + 3x3 = 22x1 + 4x2 − 2x3 = 4

−3x1 + 9x2 + 6x3 = 0

erhalt man

0 5 1 2−1 8 3 22 4 −2 4−3 9 6 0

Vertauschung−−−−−−−−→1. und 2.Zeile

−1 8 3 20 5 1 22 4 −2 4−3 9 6 0

Addition Vielfaches−−−−−−−−−−−−→der 1.Zeile

−1 8 3 20 5 1 20 20 4 80 −15 −3 −6

Addition Vielfaches−−−−−−−−−−−−→der 2.Zeile

−1 8 3 20 5 1 20 0 0 00 0 0 0

.

Es gilt

Satz 2.3.8 Ist (A, b) erweiterte Koeffizientenmatrix eines linearen Gleichungssystems und entsteht (A′, b′)aus (A, b) durch elementare Zeilenumformungen, dann hat das zu (A′, b′) gehorende lineare Gleichungs-system dieselbe Losungsmenge wie das Ausgangssystem.

Hat A′ in (A′, b′) Zeilenstufenform, dann erkennt man, ob das Ausgangssystem uberhaupt losbar ist undkann in diesem Fall schrittweise von unten nach oben die Losung bzw. die Losungen berechnen.

Dazu ist es sinnvoll, die Matrizendarstellung zuruck in die Gleichungsdarstellung zu uberfuhren.

Beispiele 2.3.9

(1) Fur das Beispiel 2.3.7 (1) erhalt man das Gleichungssystem

−x1 + 8x2 + 3x3 = 25x2 + x3 = 0

x3 = 50 = 1

.

Da die 4. Gleichung fur kein Tripel (x1|x2|x3) ∈ IR3 wahr ist, hat dieses Gleichungssystem unddamit auch das Ausgangs-Gleichungssystem keine Losung.

(2) Fur das Beispiel 2.3.7 (2) erhalt man das Gleichungssystem

−x1 + 8x2 + 3x3 = 25x2 + x3 = 0

x3 = 50 = 0

.

Aus der 3. Gleichung ergibt sich x3 = 5. Einsetzen diese Wertes in die 2. Gleichung ergibt x2 = −1,und Einsetzen der Werte von x2 und x3 in die 1. Gleichung ergibt x1 = 5, also ist das Gleichungs-system und damit auch das Ausgangs-Gleichungssystem eindeutig losbar mit der Losung (5|−1|5).

Page 41: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 39

(3) Fur das Beispiel 2.3.7 (3) erhalt man das Gleichungssystem

−x1 + 8x2 + 3x3 = 25x2 + x3 = 2

0 = 00 = 0

.

Fur beliebiges x3 ∈ IR ergibt sich aus der 2. Gleichung

x2 = −1

5x3 +

2

5,

und Einsetzen von x2 in die 1. Gleichung ergibt

x1 =7

5x3 +

6

5,

also ist das Gleichungssystem und damit auch das Ausgangs-Gleichungssystem losbar mit denunendlich vielen Losungen

(x1|x2|x3) =(7

5a+

6

5

∣∣∣− 1

5a+

2

5

∣∣∣a)

, a ∈ IR beliebig wahlbar.

Es gilt allgemein

Satz 2.3.10 (a) Ein lineares Gleichungssystem

a11x1 + a12x2 + . . .+ a1kxk = b1

a21x1 + a22x2 + . . .+ a2kxk = b2...

an1x1 + an2x2 + . . .+ ankxk = bn

hat keine, genau eine oder unendlich viele Losungen (x1, x2, . . . , xk) ∈ IRk.

(b) Ist (A′, b′) mit A′ in Zeilenstufenform durch elementare Zeilenumformungen aus der erweitertenKoeffizientenmatrix hervorgegangen, dann gilt

(i) Gibt es eine Zeile mit aij = 0 fur alle 1 ≤ j ≤ k und bi 6= 0, dann ist das Gleichungssystemnicht losbar.

(ii) Ist k ≤ n, sind die”Diagonalelemente“ aii 6= 0, und stehen in den Zeilen darunter nur

Nullen, dann ist das Gleichungssystem eindeutig losbar.Die Losung erhalt man durch schrittweises Auflosen der k-ten Gleichung nach xk, Einsetzenvon xk in die k − 1-te Gleichung und Bestimmung von xk−1 usw.

(iii) Sonst gibt es unendlich viele Losungen. Stehen in der l+1-ten bis zur n-ten Zeile nur Nullen,dann konnen die Unbekannten xl+1, xl+2, . . . , xk beliebige reelle Werte annehmen. Die Werteder anderen Unbekannten ergeben sich aus den ersten l Gleichungen.

Page 42: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 40

2.4 Quadratische Gleichungen

Eine quadratische Gleichung mit einer Unbekannten kann man immer in eine quadratische Gleichungin Normalform umformen:

x2 + px+ q = 0.

Die Losungen stimmen mit den Nullstellen der Funktion

f(x) = x2 + px+ q

uberein. Da das Bild dieser Funktion eine Parabel mit Achse parallel zur y-Achse ist und eine Parabeldie x-Achse in zwei Punkten, einem Punkt oder gar nicht schneidet, ist anschaulich klar, dass einequadratische Gleichung mit einer Unbekannten zwei, eine oder keine Losung besitzt.

Die Betrachtung der binomischen Formel

(x+ a)2 = x2 + 2ax+ a2 mit a ∈ IR

fuhrt zur Idee der quadratischen Erganzung:

Man wahlt a so, dass der Ausdruck px in der algebraischen Gleichung mit dem gemischten Produkt 2axubereinstimmt, d.h. dass gilt

a :=p

2.

Addiert man(p

2

)2 − q auf beiden Seiten der quadratischen Gleichung, erhalt man die aquivalente Glei-

chung

x2 + px+(p

2

)2=

(p

2

)2 − q

bzw.(x+

p

2

)2=

(p

2

)2 − q.

x ist genau dann Losung, wenn gilt

x+p

2=

√(p

2

)2 − q oder x+p

2= −

√(p

2

)2 − q

bzw.

x = −p

2+

√(p

2

)2 − q oder x = −p

2−

√(p

2

)2 − q.

Das fuhrt zu der pq-Formel

x1,2 = −p

√(p

2

)2 − q.

Bemerkungen und Beispiele 2.4.1

(1) D :=(p

2

)2 − q heißt Diskriminante.

• Fur D > 0 hat die quadratische Gleichung die beiden reellen Losungen x1,2 = −p

√D ,

• fur D = 0 eine reelle Losung, namlich x = −p

2,

• fur D < 0 keine reelle Losung.

Page 43: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 41

Die quadratische Gleichung x2 + 6x + 5 = 0 hat Diskriminante D = 4 und die beiden Losungenx1 = −1 und x2 = −5.

Die quadratische Gleichung x2 + 6x+ 9 = 0 hat Diskriminante D = 0 und die eindeutige Losungx = −3.

Die quadratische Gleichung x2 + 6x+ 13 = 0 hat Diskriminante D = −4 und keine reelle Losung.

(2) Um Gleichungen wiex2 + 1 = 0

auch Losungen zuzuordnen, erweitert man die Menge IR der reellen Zahlen um die”Zahl“

i :=√−1 (imaginare Einheit)

und die komplexen Zahlena+ b · i, a, b,∈ IR.

Die Gleichungx2 + 1 = 0

hat dann die beiden komplexen Losungen x1 = i und x2 = −i und die Gleichung

x2 + 6x+ 13 = 0

die beiden komplexen Losungen

x1 = −3 + 2i und x2 = −3− 2i.

Komplexe Losungen treten genau dann auf, wenn die zur Gleichung zugehorige Parabel keineNullstellen hat, - sie sind also in der grafischen Darstellung nicht sichtbar.

(3) Eine quadratische Gleichung in der Form

ax2 + bx+ c = 0, a 6= 0

laßt sich leicht durch Division durch a in die aquivalente Normalform

x2 +b

ax+

c

a= 0

uberfuhren. Nach quadratischer Erganzung ergibt sich als direkte Losungsformel der 1. Gleichung

x1,2 = − b

2a± 1

2a

b2 − 4ac.

Will man eine der beiden Formeln direkt zur Bestimmung der Losungen nutzen, muss man sichdavon uberzeugen, dass die quadratische Gleichung in der entsprechenden Ausgangsform vorliegt.

(4) Als Beispiele fur quadratische Gleichungen in der Schule sind Gleichungen mit ganzzahligen Ko-effizienten p und q interessant.

Aus der Teilbarkeitslehre folgt, dass die reellen Losungen einer solchen Gleichung ganzzahlig oder

irrational sind, also eine rationale Losung wie x =2

3nicht auftreten kann.

Aus der pq-Formel folgt fur die beiden Losungen x1 und x2 der Koeffizientensatz von Vieta

x1 + x2 = −p und x1 · x2 = q,

d.h., dass die ganzzahligen Losungen Teiler von q sein mussen.

Page 44: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 42

(5) Man kann die Beziehung des Vietaschen Koeffizientensatz

x1 + x2 = −p und x1 · x2 = q,

auch zur Probe verwenden.

Zum Beispiel hat die Gleichung x2 − 2x + 5 = 0 die Losungen x1,2 = 1 ± 2i, und die Probeergibt

x1 + x2 = 2 = −p, x1 · x2 = 5 = q.

Eine quadratische Gleichung mit zwei Unbekannten

au2 + bv2 + eu+ fv + guv + h = 0

kann man mit quadratischer Erganzung in die aquivalente Gleichung

a′x2 + b′y2 + cy + d = 0, a′, b′, c, d ∈ IR, a′ > 0,

umformen.

Wir betrachtenax2 + by2 + cy + d = 0, a, b, c, d ∈ IR, a > 0.

Fur die verschiedenen Werte bzw. Vorzeichen von b, c, d ergeben sich folgende reelle Losungsmengen:

• Die leere Menge ∅, wenn b ≥ 0, c = 0, d > 0.

• Nur der Nullpunkt (0|0), wenn b > 0, c = d = 0.

• Alle Punkte der y-Achse, d.h. {(0|y); y ∈ IR}, wenn b = c = d = 0.

• Alle Punkte der beiden zur y-Achse parallelen Geraden x = ±√

−d

a, wenn b = c = 0, d < 0.

• Die Vereinigung der Punkte der beiden sich im Nullpunkt schneidenden Geraden y = ±√

a

−bx,

wenn b < 0, c = d = 0.

• Die zur y-Achse symmetrische Parabel y = −a

cx2 − d

c, wenn b = 0, c 6= 0.

• Die achsenparallele Ellipse mit Mittelpunkt (0|0) und Scheitelpunkten in(√

−d

a|0)und

(0|√

−d

b

),

wenn b > 0, c = 0, d < 0.

• Die achsensymmetrische Hyperbel mit Mittelpunkt (0|0), Scheitelpunkten in(0| ±

d

−b

)und

Asymptoten y = ±√

a

−bx, wenn b < 0, c = 0, d > 0.

• Die achsensymmetrische Hyperbel mit Mittelpunkt (0|0), Scheitelpunkten in(±

−d

a|0)und

Asymptoten y = ±√

a

−bx, wenn b < 0, c = 0, d < 0.

Page 45: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 43

Bemerkung 2.4.2

Auch quadratische Gleichungen mit drei Unbekannten mussen nicht losbar sein, konnen eindeutiglosbar sein oder unendlich viele reelle Losungen haben. Die Losungsmengen konnen im Raum dar-stellbar sein als

• Punkt,

• eine Gerade,

• eine Ebene,

• die Vereinigung zweier parallelen Ebenen oder zweier sich schneidenden Ebenen,

• ein elliptischer, parabolischer oder hyperbolischer Zylinder,

• ein elliptisches oder hyperbolisches Paraboloid,

• ein Kegel, Ellipsoid (speziell Kugel) oder ein- oder zweischaliges Hyperboloid.

2.5 Polynome

Wir betrachten im folgenden reelle algebraische Gleichungen mit einer Unbekannten x.

Jede solche algebraische Gleichung lasst sich in der Form

pn(x) = 0

darstellen, wobei

p(x) = a0 + a1x+ a2x2 + a3x

3 + . . . + anxn =

n∑

k=0

akxk mit n ∈ IN0, a0, . . . , an ∈ IR

ein Polynom ist.x heißt Unbestimmte, die Zahlen ak, 0 ≤ k ≤ n Koeffizienten des Polynoms.

Zwei Polynome betrachten wir als gleich, wenn sie - abgesehen von Summanden mit Koeffizienten 0 -dieselben Summanden haben. Zum Beispiel sind

p1(x) = 3 + 7x2 + 25x4 und p2(x) = 3 + 0x+ 7x2 + 0x3 + 25x4 + 0x8

verschiedene Darstellungen desselben Polynoms.

Der großte vorkommende Exponent von x, dessen zugehoriger Koeffizient ungleich Null ist, heißt Graddes Polynoms. Das obige Polynom hat also Grad 4.

Polynome der Form p(x) = a0, a0 6= 0, haben Grad 0.

Dem Nullpolynom p(x) = 0 ordnen wir keinen Grad zu.

Die Menge der Polynome mit einer Unbestimmten x und Koeffizientenbereich ZZ (bzw. IQ oder IR) nennenwir ZZ[x] (bzw. IQ[x] oder IR[x]).

Polynome (mit Koeffizienten aus demselben Zahlenbereich) sind nicht nur Funktionen mit speziellenFunktionsvorschriften, man kann auch mit ihnen rechnen ahnlich wie mit Zahlen, d.h. sie sind selbstalgebraische Objekte.

Page 46: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 44

Definition 2.5.1 Fur die Polynome

Am(x) = amxm + am−1xm−1 + . . . + a1x+ a0, Bn(x) = bnx

n + bn−1xn−1 + . . .+ b1x+ b0

mit m ≥ n, am 6= 0, bn 6= 0, und c aus dem zugrundeliegenden Zahlbereich heißt

(a) Cm(x) := amxm + . . .+ an+1xn+1 + (an + bn)x

n + . . . + (a1 + b1)x+ a0 + b0

Summe Am(x) +Bn(x) von Am(x) und Bn(x),

(b) Dm(x) := c · amxm + c · am−1xm−1 + . . .+ c · a1x+ c · a0

Skalarprodukt c · Am(x) von Am(x) und c,

(c) Em+n(x) :=(amxm + am−1x

m−1 + . . . + a1x+ a0)·(bnx

n + bn−1xn−1 + . . .+ b1x+ b0

)

Produkt Am(x) ·Bn(x) von Am(x) und Bn(x).

Bemerkungen und Beispiele 2.5.2

(1) Fur die Addition werden bei dem Polynom mit kleinerem Grad die”fehlenden“ Koeffizienten mit

0 aufgefullt.Die Multiplikation entspricht dem Ausmultiplizieren der endlichen Summen (die die speziellenPolynome darstellen,) und anschließendem Zusammenfassen gleicher Potenzen.

(2) Fur A4(x) = 3x4 + 2x3 − 2x+ 5 und B2(x) = 3x2 + 3x− 2 ergibt sich

A4(x) +B2(x) = 3x4 + 2x3 + 3x2 + x+ 3

3 ·A4(x) = 9x4 + 6x3 − 6x+ 15

A4(x) · B2(x) =(3x4 + 2x3 − 2x+ 5

)·(3x2 + 3x− 2

)= 9x6 + 15x5 − 10x3 + 9x2 + 19x− 10

(3) In ZZ[x], IQ[x] bzw. IR[x] gelten fur die Addition und Multiplikation dieselben Rechenregeln wie inZZ. Speziell gelten fur Addition und Multiplikation jeweils das Assoziativgesetz, das Kommutativ-gesetz, das Nullpolynom p0(x) = 0 ist das neutrale Element bezuglich der Addition und dasEinspolynom pe(x) = 1 das neutrale Element bezuglich der Multiplikation.

(4) Sind weder p1(x), p2(x) noch p1(x) + p2(x) gleich dem Nullpolynom, dann gilt

Grad(p1(x) + p2(x)

)≤ max

(Grad p1(x),Grad p2(x)

)und

Grad(p1(x) · p2(x)

)= Grad p1(x) + Grad p2(x).

Wir betrachten nun die Menge der Polynome mit Koeffizientenbereich IQ oder IR.

Wie in ZZ gibt es eine Division mit Rest, die Polynomdivision:

Satz 2.5.3 Ist g(x) ein beliebiges festes Polynom, aber nicht das Nullpolynom, dann gibt es zu jedemPolynom f(x) eindeutig bestimmte Polynome q(x) und r(x) mit

f(x) = q(x) · g(x) + r(x) und r(x) ist das Nullpolynom oder hat einen kleineren Grad als g(x).

Page 47: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 45

Bemerkungen und Beispiele 2.5.4

(1) Ist das Restpolynom r(x) gleich dem Nullpolynom, dann nennt man g(x) Teilerpolynom vonf(x).

(2) Im Fall Grad f(x) < Grad g(x) muss r(x) = f(x) und q(x) das Nullpolynom sein.

(3) Sonst sortiert man sowohl bei f(x) als auch bei g(x) die Summanden absteigend nach der Hohedes Exponenten von x und dividiert den 1. Summanden von f(x) durch den 1. Summanden vong(x). Kommt eine Potenz, z.B. x4, in einem der Polynome nicht vor, dann ist es nutzlich, an ihreStelle z.B. den Ausdruck 0 · x4 zu setzen.

(4) Fur f(x) = 18x4 + 15x3 − 2x+ 1, g(x) = 3x2 + x− 1 erhalt man mit

(18x4 + 15x3 + 0x2 − 2x + 1) : (3x2 + x− 1) = 6x2 + 3x+ 118x4 + 6x3 − 6x2

9x3 + 6x2 − 2x + 19x3 + 3x2 − 3x

3x2 + x + 13x2 + x − 1

2

q(x) = 6x2 + 3x+ 1 und r(x) = 2.

Uns interessieren die Losungen einer algebraischen Gleichung, also die Nullstellen des zugehorigen Po-lynoms.

Wie das Beispiel der Gleichungx2 + 1 = 0

zeigt, hat nicht jede algebraische Gleichung eine reelle Losung bzw. nicht jedes Polynom mit reellenKoeffizienten eine reelle Nullstelle.

Fur Gleichungen mit ungeradem Grad liefert aber der Nullstellensatz der Analysis

Satz 2.5.5 Jedes Polynom mit reellen Koeffizienten und ungeradem Grad hat mindestens eine reelleNullstelle.

Kennt man nun schon eine Nullstelle des Polynoms, dann kann man das Ausgangsproblem mit Hilfe derPolynom-Division vereinfachen:

Satz 2.5.6 Ist p(x) eine Polynom n-ten Grades und x1 eine Nullstelle von p(x), dann gibt es einPolynom q(x) vom Grad n− 1 mit

p(x) = (x− x1) · q(x).

Page 48: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 46

Bemerkungen 2.5.7

(1) Ist p(x) ein Polynom vom Grad n mit reellen Koeffizienten und hat die k ≤ n (nicht notwendigverschiedenen) Nullstellen x1, . . . , xk, dann gibt es Polynom q(x) vom Grad n − k mit reellenKoeffizienten und

p(x) = (x− x1) · (x− x2) · . . . · (x− xk) · q(x),d.h. das Polynom ist darstellbar als Produkt von k Linearfaktoren (x − xi) und dem Polynomq(x).

(2) Ein Polynom vom Grad n hat also hochstens n Nullstellen.

Erfolgreiches Erraten einer Nullstelle vereinfacht also das Problem der Bestimmung aller Nullstellen.Im Fall von normierten Polynomen (d.h. an = 1) und mit ganzzahligen Koeffizienten gilt analog zuBemerkung 2.4.1 (4):

Satz 2.5.8 Bei einem normierten Polynom

p(x) = xn + an−1xn−1 + an−2x

n−2 + . . .+ a1x+ a0

mit ganzzahligen Koeffizienten ak ∈ ZZ, 0 ≤ k ≤ n, ist jede rationale Nullstelle ganzzahlig und Teiler vona0.

Bemerkung und Beispiel 2.5.9

(1) Der Satz behauptet nicht, daß jedes normierte Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten ganzzah-lige Nullstellen besitzt, sondern nur, daß eine etwaige reelle Nullstelle entweder ganzzahlig oderirrational ist.

(2) Das Polynomp(x) = x3 + 5x2 + 11x+ 15

hat Grad 3, also mindestens eine reelle Nullstelle x1. Wenn x1 rational ist, dann ist x1 ganzzahligund Teiler von a0 = 15, also

x1 ∈ {±1,±3,±5,±15}.Das Polynom p(x) kann keine positive Nullstelle haben, und durch Testen der negativen Teilervon 15 erhalt man in der Tat eine Nullstelle x1 = −3. Polynom-Division ergibt

x3 + 5x2 + 11x+ 15 = (x+ 3)(x2 + 2x+ 5).

Das verbleibende Polynom 2. Grades q(x) = x2+2x+5 hat keine reellen Nullstellen, sondern nurdie komplexen Nullstellen

x2,3 = −1± 2i.

(3) Ein nicht normiertes Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten kann ganzzahlige Nullstellen haben,aber auch echt rationale Nullstellen.Zum Beispiel hat

p1(x) = 3x3 + 5x2 − 4x− 4

die Nullstellen 1, −2 und −2

3, und das Polynom

p2(x) = 18x3 + 3x2 − 4x− 1

die echt rationalen Nullstellen1

2und −1

3.

Page 49: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 47

2.6 Algebraische Gleichungen hoherer Ordnung

Aus dem vorigem Abschnitt folgt

Satz 2.6.1 (a) Die algebraische Gleichung

an(x− x1) · (x− x2) · . . . · (x− xn) = 0

hat die n Losungen x1, x2, . . . , xn.

(b) Hat eine algebraische Gleichung vom Grad n genau n (nicht notwendig verschiedene) Losungenx1, x2, . . . , xn, dann kann man sie in der Form

an(x− x1) · (x− x2) · . . . · (x− xn) = 0

darstellen.

(c) (Koeffizientensatz von Vieta) Hat eine normierte algebraische Gleichung vom Grad n

xn + an−1xn−1 + an−2x

n−2 + . . .+ a1x+ a0 = 0

genau n (nicht notwendig verschiedene) Losungen x1, x2, . . . , xn, dann gilt

an−1 = −(x1 + x2 + . . .+ xn)

an−2 = x1 · x2 + x1 · x3 + . . .+ xn−1 · xnan−3 = −(x1x2x3 + x1x2x4 + . . .+ xn−2xn−1xn)

...

a0 = (−1)nx1x2x3 · · · xn.

Wie schon erwahnt, hat zwar jede algebraische Gleichung mit reellen Koeffizienten und mit ungerademGrad mindestens eine reelle Losung, aber fur geraden Grad muß das nicht gelten. Um auch fur dieseGleichungen Losungen zu beschreiben, wurden die komplexen Zahlen eingefuhrt.

Es gilt nun sogar, daß auch jedes Polynom mit komplexen Koeffizienten vom Grad n genau n Nullstellenin IC besitzt:

Satz 2.6.2 (Fundamentalsatz der Algebra) Sei

p(x) = anxn + an−1x

n−1 + . . . + a1x+ a0

ein beliebiges Polynom mit reellen oder komplexen Koeffizienten und Grad n.

(a) p(x) laßt sich in Linearfaktoren zerlegen, d.h. es gibt x1, x2, . . . , xn ∈ IC mit

p(x) = an(x− x1)(x− x2) · . . . · (x− xn).

(b) p(x) hat in IC genau die n (nicht notwendig verschiedenen) Nullstellen x1, x2, . . . , xn.

Page 50: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 48

(c) Faßt man in der Linearfaktor-Zerlegung gleiche Faktoren zusammen, dann ergibt sich

p(x) = an(x− y1)α1(x− y2)

α2 · . . . · (x− yk)αk .

Die verschiedenen yj, 1 ≤ j ≤ k, heißen Nullstellen von p(x) der Ordnung αj .

Bemerkung 2.6.3

Gibt man umgekehrt n (komplexe) Zahlen x1, x2, . . . , xn vor, dann stimmt jedes Polynom p(x) mitGrad p(x) = n, das genau diese Zahlen als Nullstellen hat, mit dem Polynom

p(x) = an(x− x1)(x− x2) · . . . · (x− xn)

bis auf den Faktor an uberein, ist also ein (skalares) Vielfaches von p(x).

Die komplexen, nicht reellen Nullstellen eines Polynoms mit reellen Koeffizienten sind nicht vollstandigvon einander unabhangig:

Satz 2.6.4 Ist p(x) ein Polynom mit reellen Koeffizienten vom Grad n und z1 = x1+ iy1 eine komplexeNullstelle von p(x), dann ist auch z = x1 − iy1 eine Nullstelle von p(x).

Beispiel 2.6.5

Das Polynomp(x) = x4 − 2x3 + 3x2 − 2x+ 2 = 0

hat die komplexe Nullstelle x1 = i und damit die weitere komplexe Nullstelle x2 = −i.Es hat damit den Teiler

q(x) = (x− i)(x+ i) = x2 + 1.

Polynomdivision ergibt

x4 − 2x3 + 3x2 − 2x+ 2 = (x2 + 1) · (x2 − 2x+ 2)

und das zweite Polynom hat die Nullstellen x3 = 1 + i und x4 = 1− i.

Fur lineare und quadratische Gleichungen kann man die Losungen direkt berechnen.

Eine Gleichung 3. Gradesx3 + ax2 + bx+ c = 0

laßt sich durch kubische Erganzung (bzw. durch die Substitution z := x+1

3a) auf die etwas einfachere

Formz3 + 3p z + 2q = 0

(ohne quadratisches Glied) bringen. Die Nullstellen des neuen Polynoms werden durch die Cardano-schen Formeln(1545) beschrieben:

Eine Losung ist z.B.

x1 =3

−q +√

q2 + p3 +3

−q −√

q2 + p3.

Auch fur eine Gleichung 4. Grades lassen sich Formeln fur die Losungen aufstellen, allerdings sind sienoch komplizierter und damit ohne praktische Bedeutung.

Page 51: Elemente der Algebra - Uni Siegen

2. Losungen algebraischer Gleichungen 49

Naturlich lassen sich spezielle algebraische Gleichungen oft einfach losen, z.B. Gleichungen wie

(x− a)n = 0

oder biquadratische Gleichungenx4 + 2ax2 + a2 = 0.

Gunstig ist es auch, wenn man die linke Seite als Produkt schreiben kann. Zum Beispiel ist die Losungsmengevon

x3 − 7x2 + 10x = x · (x2 − 7x+ 10) = 0

die Vereinigung der Losungsmengen der beiden Gleichungen

x = 0 und x2 − 7x+ 10 = 0

und die Losungsmenge von

x4 + 2x3 − 3x2 − 8x− 4 = (x2 − 4) · (x2 + 2x+ 1) = 0

die Vereinigung der Losungsmengen der beiden Gleichungen

x2 − 4 = 0 und x2 + 2x+ 1 = 0.

Die Bestimmung der Losungen einer beliebigen algebraischen Gleichung nur mit Hilfe der algebraischenOperationen Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division sowie des Wurzelziehens nennt manAuflosbarkeit der Gleichung durch Radikale.

Gleichungen vom Grad 5 oder hoher lassen sich, wie Abel 1820 zeigte, nicht mehr allgemein durch Ra-dikale auflosen.

Auf Galois (1811-1832) geht die Charakterisierung der algebraischen Gleichungen zuruck, die durchRadikale auflosbar sind. Dabei werden Korpererweiterungen und spezielle Gruppen betrachtet.

Page 52: Elemente der Algebra - Uni Siegen

50

3 Algebraische Strukturen

3.1 Ringe

3.1.1 Der Ring der ganzen Zahlen

Bei der Erweiterung der Menge IN der naturlichen Zahlen zur Menge ZZ der ganzen Zahlen fordert mandas Permanenzprinzip:

Die Grundgesetze des Rechnens sollen auch in dem erweiterten Zahlbereich Gultigkeithaben.

Diese Grundgesetze sind:

(1) Axiom der Verknupfung: Fur beliebige a, b ∈ ZZ gibt es eindeutig bestimmte c, d ∈ ZZ mit

a+ b = c (Summe) und a · b = d (Produkt).

(2) Axiom der Kommutativitat: Fur beliebige a, b ∈ ZZ gilt

a+ b = b+ a und a · b = b · a

(3) Axiom der Assoziativitat: Fur beliebige a, b, c ∈ ZZ gilt

(a+ b) + c = a+ (b+ c) und (a · b) · c = a · (b · c)

(4) Axiom der Existenz des Einselements: Es gibt in ZZ genau eine bezuglich der Multiplikationneutrale Zahl e, so daß fur alle a ∈ ZZ gilt a · e = a. Bezeichnung fur e: 1.

(5) Axiom der Distributivitat: Fur beliebige a, b, c ∈ ZZ gilt

a · (b+ c) = a · b+ a · c.

(6) Axiom der Losbarkeit der Subtraktionsaufgabe: Fur beliebige a, b ∈ ZZ ist die Gleichunga+ x = b in ZZ eindeutig losbar.

Bemerkung 3.1.1 Die ersten funf Rechenregeln gelten auch schon in IN, das letzte ist i.a. falsch.

Diese Grundgesetze legen schon das Addieren und Multiplizieren in ZZ vollstandig fest. Die meistenanderen Rechenregeln lassen sich daraus herleiten, z.B. die folgenden Regeln fur das Rechnen mit der(in den Axiomen nicht besonders hervorgehobenen) Zahl 0:

Satz 3.1.2 (a) Es gibt in ZZ genau eine neutrale Zahl e′, so daß fur alle a ∈ ZZ gilt

a+ e′ = a.

Bezeichnung fur e′: Nullelement 0.

Page 53: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 51

(b) Zu jeder Zahl a ∈ ZZ gibt es eine eindeutig bestimmte Gegenzahl (−a) ∈ ZZ, so daß gilt

a+ (−a) = 0.

(c) Fur alle a ∈ ZZ gilt−(−a) = a,

d.h. die Gegenzahl der Gegenzahl ist die ursprungliche Zahl.

(d) Fur beliebige a, b ∈ ZZ erhalt man die Losung der Subtraktionsaufgabe

a+ x = b

als Summe von b und der Gegenzahl (−a) von a.

(e) Fur alle a ∈ ZZ gilta · 0 = 0.

3.1.2 Der allgemeine Ringbegriff

Im vorigen Abschnitt zeigte sich, daß nur wenige Axiome ausreichten, um die Rechenregeln bezuglichAddition und Multiplikation in ZZ (fast) vollstandig als Folgerungen der Gultigkeit dieser Axiome her-zuleiten. Dabei spielte die genaue Additions- und Multiplikationsvorschrift bei den Folgerungen keineRolle.

Das bedeutet, daß diese Folgerungen fur jede Menge mit zwei Verknupfungen gelten, fur die die Axiomegultig sind. Man kann daher das vertraute Rechnen mit ganzen Zahlen in gewisser Weise auf allgemeinereMengen ubertragen.

Definition 3.1.3 Sei R eine beliebige nichtleere Menge und f1, f2 : R × R → R zwei Verknupfungen.Gelten dann fur (R, f1, f2) die Axiome des vorigen Abschnittes, dann heißt (R, f1, f2) kommutativerRing mit Addition f1, Multiplikation f2 und Einselement e.

Bemerkungen 3.1.4

(1) Die Addition im allgemeinen Ring wird i.a. wie in ZZ mit + und die Multiplikation mit · bezeichnet.Die Rechenvorschriften mussen aber (außer der Gultigkeit der Axiome) nichts mit der gewohntenAddition bzw. Multiplikation in ZZ zu tun haben.

(2) Wir legen wieder wie in ZZ fest, daß”Punktrechnung vor Strichrechnung“ durchzufuhren ist. Das

spart das Setzen von Klammern (z.B. im Vergleich zu dem Rechnen in der Mengenalgebra mitDurchschnitt und Vereinigung).

(3) Gilt fur die Multiplikation f2 nicht das Kommutativgesetz, dann nennt man (R, f1, f2) Ring mitEinselement. Allerdings muß man – da die Reihenfolge bei der Multiplikation jetzt eine Rollespielt – das Distributivaxiom ersetzen durch dieAxiome der Distributivitat: Fur beliebige a, b, c ∈ ZZ gilt

a · (b+ c) = a · b+ a · c und (b+ c) · a = b · a+ c · a.

(4) Gilt außerdem nicht das Axiom der Existenz des neutralen Elements bezuglich der Multiplikation,dann nennt man R einfach Ring.

Page 54: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 52

Beispiele 3.1.5

(1) Die Menge IG := {. . . ,−4,−2, 0, 2, 4, . . .} der geraden ganzen Zahlen ist mit der ublichenAddition und Multiplikation ein kommutativer Ring (ohne Einselement).

(2) Die Menge der ungeraden Zahlen {. . . ,−5,−3,−1, 1, 3, 5, . . .} ist mit der ublichen Addition undMultiplikation kein Ring.

(3) Sei G eine nichtleere Menge. Die Potenzmenge P(G) := {X |X j G} erfullt mit Vereinigungs-und Durchschnittsbildung alle Axiome bis auf das Subtraktionsaxiom, ist also kein Ring.

(4) Aus Bemerkung 2.5.2 (3) und Satz 2.5.3 folgt

(a) ZZ[x], IQ[x] und IR[x] sind kommutative Ringe mit Einselement und heißen Polynomringuber ZZ bzw. IQ bzw. IR.

(b) In IQ[x] und IR[x] existiert wie in ZZ eine Division mit Rest.

3.1.3 Der Restklassenring ZZ/m

Wir betrachten die Menge M := {0, 1, 2, . . . , 11}. Um ahnlich wie in ZZ eine Addition und Multiplikationzu definieren, ordnen wir die Elemente (statt auf der Zahlengeraden) auf einem Kreis an:

01

2

3

4

56

7

8

9

10

11

Die Summe s := a+ b werde folgendermaßen errechnet:Man geht, ausgehend von a, b Schritte in Pfeilrichtung und liest an der Stelle, an der man ankommt,die Summe s ab.

Das Produkt p := a · b werde (analog zum Produkt in IN auf dem Zahlenstrahl) folgendermaßenbestimmt:Man geht, ausgehend von 0, a Schritte in Pfeilrichtung der Schrittlange b und liest an der Stelle, an derman ankommt, das Produkt p ab.

Naturlich kann man dieselbe Konstruktion fur jede Menge mit m > 1 Elementen durchfuhren, d.h. mankann zu beliebigen endlichen Mengen mit mindestens 2 Elementen eine entsprechende

”Addition“ und

eine”Multiplikation“ definieren. Im obigen Beispiel wurde m = 12 in Anlehnung der Darstellung der

Tageszeit durch analoge Uhren gewahlt.

Grundsatzlich kann man Verknupfungen auf endlichen Mengen {a0, . . . , am−1} auch durch Verknup-fungstafeln mit m Zeilen und m Spalten beschreiben, bei denen an der Kreuzungsstelle der i-ten Zeileund der j-ten Spalte das Ergebnis der Verknupfung von ai−1 und bj−1 steht.

Page 55: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 53

Fur die oben definierte Addition und Multiplikation ergibt sich zum Beispiel

fur m = 4 + 0 1 2 3

0 0 1 2 3

1 1 2 3 0

2 2 3 0 1

3 3 0 1 2

und · 0 1 2 3

0 0 0 0 0

1 0 1 2 3

2 0 2 0 2

3 0 3 2 1

und fur m = 5 + 0 1 2 3 4

0 0 1 2 3 4

1 1 2 3 4 0

2 2 3 4 0 1

3 3 4 0 1 2

4 4 0 1 2 3

und · 0 1 2 3 4

0 0 0 0 0 0

1 0 1 2 3 4

2 0 2 4 1 3

3 0 3 1 4 2

4 0 4 3 2 1

.

Wir betrachten nun die Division der ganzen Zahlen durch m mit Rest. Es treten nach Definition genaudie m Reste {0, 1, 2, . . . ,m− 1} auf. Durch

a ≃ b :⇔ bei Division von a bzw. b durch m ergibt sich derselbe Rest r

wird auf ZZ eine Aquivalenzrelation definiert, die ZZ in m Restklassen zerlegt.

Jeder der Reste liegt in genau einer Restklasse, d.h. man kann die Restklassen durch die Reste eindeutigbeschreiben. Es sei nun

a := {x ∈ ZZ |x dividiert durch m ergibt Rest a}.

Auf der Menge der Restklassen definieren wir eine Addition und eine Multiplikation:

Definition 3.1.6 Sei m ∈ IN, m > 1, und ZZ/m := {0, 1, . . . ,m− 1} die Menge der Restklassen in ZZ

bezuglich m.Fur a ∈ a1, b ∈ b1 sei

s := a+ b, p := a · b, s1 der Rest von s, p1 der Rest von p

bei Division durch m. Dann heißt

s1 := a+ b Summe und p1 := a · b Produkt

von a und b.

Fur diese beiden Rechenvorschriften gelten die Ring-Axiome, d.h.

Satz 3.1.7 Mit den beiden Rechenvorschriften aus der vorigen Definition ist (ZZ/m,+, ·) ein kommu-tativer Ring mit Einselement 1. Man nennt ihn den Restklassenring nach dem Modul m.

Page 56: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 54

Bemerkungen 3.1.8

(1) Zwei ganze Zahlen a und b liegen genau dann in derselben Restklasse, wenn a− b durch m teilbarist. Zwei derartige Zahlen nennt man auch kongruent modulo m.In der Restklasse 0 liegen genau die Vielfachen von m.

(2) Das Beispiel m = 4 zeigt, daß nicht alle Rechenregeln in ZZ aus den Axiomen des kommutativenRings mit Einselements hergeleitet werden konnen.In ZZ gilt die Nullteilerfreiheit, d.h. aus a · b = 0 folgt a = 0 oder b = 0.In ZZ/4 gilt das nicht, denn 2 · 2 = 0, aber 2 6= 0.

Man zeigt leicht:In ZZ/m gilt die Nullteilerfreiheit genau dann, wenn m eine Primzahl ist.

3.2 Korper

3.2.1 Der allgemeine Korperbegriff

In der Menge der ganzen Zahlen kann man nicht dividieren - deshalb erweitert man sie zur Menge derrationalen Zahlen unter Beibehaltung der Regeln fur die Addition, Multiplikation und fur das Rechnenmit Ungleichungen. Verallgemeinernd erhalt man

Definition 3.2.1 Sei K eine beliebige Menge mit mindestens zwei Elementen, f1, f2 : K×K → K zweiVerknupfungen und (K, f1, f2) ein kommutativer Ring mit Einselement 1 und Nullelement 0. Zusatzlichgelte

(7) Axiom der Losbarkeit der Divisionsaufgabe: Fur beliebige a, b ∈ K mit a 6= 0 ist dieGleichung

a · x := f2(a, x) = b

in K eindeutig losbar.

Dann heißt (K, f1, f2) Korper mit Addition f1 und Multiplikation f2.

Beispiele 3.2.2

(1) IQ und IR sind Korper.

(2) Streicht man in der Multiplikationstafel von ZZ/5 die 0-Zeile und die 0-Spalte, dann steht in jederZeile und in jeder Spalte eine Permutation der Restklassen 1, 2, 3 und 4, d.h. das Axiom derLosbarkeit der Divisionsaufgabe ist erfullt, ZZ/5 ist also ein Korper.Genauso erkennt man aus der entsprechenden Multiplikationstafel, daß ZZ/4 kein Korper ist.

(3) Fur die Menge IQ[√2] := {a1 + a2

√2 | a1, a2 ∈ IQ} werde durch

(a1 + a2√2) + (b1 + b2

√2) := (a1 + b1) + (a2 + b2)

√2,

(a1 + a2√2) · (b1 + b2

√2) := (a1b1 + 2a2b2) + (a1b2 + a2b2)

√2

eine Addition und eine Multiplikation definiert. Dann ist IQ[√2] ein Korper.

Fur einen Korper muß man das Axiom der Existenz des Einselements nicht voraussetzen, denn wie imRing die Existenz des Nullelements aus der Losbarkeit der Subtraktionsaufgabe folgt, gilt dies analogfur das Einselement und die Losbarkeit der Divisionsaufgabe.

Page 57: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 55

Satz 3.2.3 (a) Es gibt in K genau eine neutrale Zahl e′ bezuglich der Multiplikation, so daß fur allea ∈ K gilt a · e′ = a.Bezeichnung fur e′: Einselement 1.

(b) Zu jeder Zahl a ∈ K, a 6= 0, gibt es eine eindeutig bestimmte Gegenzahl a−1 ∈ K, so daß gilta · a−1 = 1.Bezeichnung: inverses Element.

(c) Fur alle a ∈ K, a 6= 0, gilt (a−1)−1 = a, d.h. die Gegenzahl der Gegenzahl ist die ursprunglicheZahl.

(d) Fur beliebige a, b ∈ K, a 6= 0, erhalt man die Losung der Divisionsaufgabe a·x = b als Produktvon b und der Gegenzahl a−1 von a.

(e) K ist nullteilerfrei, d.h. fur alle a, b ∈ K folgt aus a · b = 0, daß einer der beiden Faktoren 0ist.

Analog zur Konstruktion von IQ aus ZZ kann man allgemeine nullteilerfreie kommutative Ringe zu einemKorper erweitern:

Satz 3.2.4 Sei R ein nullteilerfreier kommutativer Ring mit mindestens 2 Elementen.In R× (R \ {0}) betrachten wir die Aquivalenzrelation

(a, b) ≃ (c, d) :⇔ ad = bc.

Dann bilden die Aquivalenzklassena

bmit Addition und Multiplikation

a

b+

c

d:=

ad+ bc

bd,

a

b· cd:=

ac

bd

einen Korper.

Beispiel 3.2.5 Zu dem Polynomring ZZ[x] erhalt man den Korper der (gebrochen) rationalen Funktionen

{p(x)q(x)

| p(x), q(x) ∈ ZZ[x], q(x) 6= 0}.

3.2.2 Der Korper der komplexen Zahlen

Da Quadrate reeller Zahlen stets nichtnegativ sind, hat die Gleichung x2 = −1 keine (reelle) Losung.Es besteht also eine ahnliche Situation wie bei der Losbarkeit der Gleichung 3x = 7 innerhalb ZZ.

Fur die Losbarkeit der letzten Gleichung fuhrte man die rationalen Zahlen ein. Analog erweitert manIR:

Definition 3.2.6 (a) i :=√−1, d.h. die

”Zahl“ i mit i2 = −1, heißt imaginare Einheit.

(b) Die Menge IC := {z = a+ bi | a, b ∈ IR} heißt Menge der komplexen Zahlen.Re z := a heißt Realteil, Im z := b Imaginarteil von z = a+ bi.

Zwei komplexe Zahlen z1 = a1 + b1i und z2 := a2 + b2i heißen gleich, wenn a1 = a2 und b1 = b2,d.h. wenn sie in Real- und Imaginarteil ubereinstimmen.

Eine Zahl der Form bi (mit b ∈ IR) heißt Imaginarzahl.

Page 58: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 56

(c) In IC seien folgendermaßen Addition und Multiplikation definiert:

z1 + z2 = (a1 + b1i) + (a2 + b2i) := (a1 + a2) + (b1 + b2)i

z1 · z2 = (a1 + b1i) · (a2 + b2i) := (a1 · a2 − b1 · b2) + (a1 · b2 + a2 · b1)i.

Bemerkungen 3.2.7

(1) Man rechnet also in IC, als ob i eine durch einen Buchstaben vertretene reelle Zahl sei, und ersetztjeweils i2 durch −1.

(2) Die Nichtlosbarkeit der Gleichung x2 = −1 in IR wird einfach durch Definition neuer Symbolebehoben. Allerdings ware es moglich, daß eine solche Losung grundsatzlich nicht existiert bzw. zunicht auflosbaren Widerspruchen fuhrt. Schließlich kann man die Gleichung 0 · x = 1 auch nichtlosen und die Einfuhrung eines Reziproken j := 0−1 von 0 fuhrt bei Anwendung des Distributiv-gesetzes zu

1 = 0 · j = (0 + 0) · j = 0 · j + 0 · j = 1 + 1 = 2.

Fur die Definition von IC konnte man die Menge

IR2 := IR× IR := {(a, b) | a, b ∈ IR}

betrachten mit folgender Addition und Multiplikation

(a1, b1) + (a2, b2) := (a1 + a2, b1 + b2)

(a1, b1) · (a2, b2) := (a1 · a2 − b1 · b2, a1 · b2 + a2 · b1).

Identifiziert man jetzt ein Zahlenpaar (a, 0) mit der reellen Zahl a, dann hat man ohne Definitioneines neuen Symbols eine Menge eingefuhrt, die genau dieselben algebraischen Eigenschaften hatwie IC, also als andere Darstellung derselben Menge aufgefaßt werden kann. (Addition und Multipli-kation sind naturlich so definiert, daß sie genau der Addition und Multiplikation in IC entsprechen.Das Paar (0, 1) entspricht der imaginaren Einheit.)IC kann man als 2-dimensionalen reellen Vektorraum auffassen.

(3) Mit Einfuhrung der Imaginarzahlen werden alle in IR nicht losbaren reinquadratischen Gleichungen

x2 = −a mit a ∈ IR, a > 0,

losbar. Die Losungen sind namlich x1,2 = ±√a i.

Zu in IR nicht losbaren gemischtquadratischen Gleichungen der Form

x2 + bx+ c = 0, b, c ∈ IR, b2 − 4c < 0,

erhalt man mit quadratischer Erganzung die Losungen x1,2 = − b

2± i

2

4c− b2.

Satz 3.2.8 Die Menge IC bildet mit der Addition und Multiplikation aus der vorigen Definition einenKorper.

Page 59: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 57

Bemerkung 3.2.9

Bei dem Nachweis der Losbarkeit der Divisionsaufgabe zeigt man, daß das Reziproke einer komplexenZahl z = a+ bi 6= 0 gleich

z−1 =a

a2 + b2− b

a2 + b2i

ist. Dabei wird die 3. binomische Formel

(a+ bi) · (a− bi) = a2 − b2i2 = a2 + b2

benutzt. Die beiden Faktoren nennt man (zueinander) konjugiert komplexe Zahlen.Ist z = a+ bi, dann bezeichnet man die dazu konjugierte Zahl mit z, d.h. es gilt z = a− bi.Es gilt z = z genau dann, wenn z ∈ IR, und z = −z genau dann, wenn z imaginar.

3.2.3 Darstellung der komplexen Zahlen in der Zahlenebene

Die reellen Zahlen und die Rechenoperationen konnten sehr anschaulich auf der Zahlengeraden dar-gestellt werden. Verwendet man ein rechtwinkliges (kartesisches) Koordinatensystem, dann kann manjeder komplexen Zahl z = a+ bi umkehrbar eindeutig den Punkt der Ebene mit den Koordinaten (a, b)zuordnen.Die reellen Zahlen entsprechen den Punkten der x-Achse (auch reelle Achse genannt), die imaginarenZahlen der y-Achse (imaginare Achse genannt).Die den Zahlen z und −z entsprechenden Punkte liegen symmetrisch bezuglich des Nullpunkts, die denkonjugierten Zahlen z und z entsprechenden Punkte symmetrisch bezuglich der reellen Achse.

Stellt man die Punkte der komplexen Zahlenebene durch Ortsvektoren dar, d.h. durch Pfeile−−→OP vom

Nullpunkt O zu dem entsprechenden Punkt P , dann laßt sich die Summe zweier komplexer Zahlen

durch Vektoraddition der zugehorigen Ortsvektoren darstellen, d.h. der Ortsvektor−−→OP zu der Summe

von−−→OP1 und

−−→OP2 ist die Diagonale des Parallelogramms OP1P2P .

x

y

O

✁✁✁✁✁✁✕

P1

✘✘✘✘✘✘✘✘✘✘✘✘✿ P2

✸P

Im z2

Im z1

Im (z1 + z2)

Re z1 Re z2 Re (z1 + z2)

z1

z2

z1 + z2

Der Ortsvektor, der in der komplexen Zahlenebene die komplexe Zahl z = a + bi beschreibt, ist durchdie kartesischen Koordinaten eindeutig bestimmt.

Page 60: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 58

Man kann ihn aber auch mit Hilfe der Polarkoordinaten festlegen: Dabei sei ϕ der Winkel zwischen derpositiven reellen Achse und dem Ortsvektor und r = |z| die Lange des Ortsvektors. ϕ heißt Argumentund |z| Betrag der komplexen Zahl z.

x

y

O✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✟✯

Pb = Im z

a = Re z

▼ϕ

z

Aus dem Satz des Pythagoras und der Trigonometrie folgt der Zusammenhang zwischen kartesischenund Polar-Koordinaten

a = r cosϕ = |z| cosϕ, b = r sinϕ = |z| sinϕ

bzw.

|z| =√

a2 + b2, ϕ =

arctanb

afur a > 0

π

2fur a = 0, b > 0

arctanb

a+ π fur a < 0

−π

2fur a = 0, b < 0

.

Aus den Additionstheoremen der trigonometrischen Funktionen folgt

z1 · z2 =(|z1|(cosϕ1 + i sinϕ1)

)·(|z2|(cosϕ2 + i sinϕ2)

)

= |z1| |z2|(cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

).

Bei der Multiplikation zweier komplexer Zahlen multiplizieren also sich die Betrage und addieren sichdie Argumente. Damit ergibt sich eine geometrische Konstruktion des Produktes:

x

y

0 1✑✑✑✑✑✑✑✑✑✸

z1

❑������✒

z2

✗z = z1 · z2

ϕ2

ϕ1

ϕ1

Man verbinde z1 mit dem Punkt 1 (auf der reellen Achse) und konstruiere den Punkt z so, daß dieDreiecke 01z1 und 0z2z ahnlich sind.

Page 61: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 59

3.2.4 Moivre-Formeln und Kreisteilungsgleichung

Als Verallgemeinerung der Multiplikationsformel zweier komplexer Zahlen in Polarform

z1 · z2 = |z1| |z2|(cos(ϕ1 + ϕ2) + i sin(ϕ1 + ϕ2)

)

ergibt sich fur die n-te Potenz einer komplexen Zahl

Satz 3.2.10 (Moivre-Formel) Fur n ∈ IN, z = r(cosϕ+ i sinϕ) gilt

zn =[r(cosϕ+ i sinϕ)

]n= rn

(cos(nϕ) + i sin(nϕ)

).

Die n-te Potenz einer komplexen Zahl mit Betrag r und Argument ϕ hat also das n-fache Argument nϕund als Betrag rn.

Fur die Umkehrung der Potenzierung, d.h. das Bestimmen der n-ten Wurzel einer komplexen ZahlZ := R(cosα+ i sinα) nutzen wir diese Formel aus.

In IR hat eine Gleichung der Form xn = a keine, eine oder zwei Losungen. In IC gilt

Satz 3.2.11 Sei n ∈ IN, Z = R(cosα+ i sinα) ∈ IC. Dann hat die Gleichung

zn = Z

genau n komplexe Losungen, namlich

zk =n√R(cosϕk + i sinϕk) mit ϕk =

α

n+ k

360o

n, 0 ≤ k ≤ n− 1.

Bemerkungen 3.2.12

(1) Man erhalt alle Losungen der Gleichung in der komplexen Zahlenebene, indem man um den Null-

punkt einen Kreis mit Radiusn√R zeichnet und darauf den Punkt z0 mit Argument

α

nbestimmt.

Die weiteren Losungen sind die Punkte, die entstehen, wenn man, ausgehend von z0, den Kreis inn gleiche Teile teilt.

(2) Die Gleichung zn = a hat genau n komplexe Losungen. Da der Kreis um den Nullpunkt mitRadius n

|a| die reelle Zahlengerade (d.h. die reelle Achse) in genau zwei Punkten schneidet,konnen hochstens zwei der komplexen Losungen reell sein.

(3) Bei der Gleichungzn = 1

ist die erste Losung immer z0 = 1. Die n Losungen heißen n-te Einheitswurzeln.

(4) Aus der Moivre-Formel folgt, daß sich bei Potenzierung einer komplexen Zahl mit Betrag 1 dasArgument ver-n-facht, d.h. es gilt ein entsprechendes Verhalten wie beim Exponenten einer Potenz.Man kurzt daher die Polarform einer komplexen Zahl mit Betrag 1 oft durch eiϕ ab, also

eiϕ := cosϕ+ i sinϕ. (Euler-Formel)

Es gilt dann

z = r(cosϕ+ i sinϕ) = reiϕ, zn = rneinϕ

e2πi = 1, e−iϕ = cosϕ− i sinϕ,

cosϕ =1

2(eiϕ + e−iϕ), sinϕ =

1

2i(eiϕ − e−iϕ).

Page 62: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 60

3.3 Gruppen

3.3.1 Der allgemeine Gruppenbegriff

Bisher haben wir (bei den Ringen und Korpern) Mengen betrachtet, fur die zwei verschiedene Ver-knupfungen gegeben waren. Beschrankt man sich auf die Betrachtung einer Verknupfung, und geltendie entsprechenden Axiome, dann nennt man die Menge Gruppe bezuglich dieser Verknupfung.

Definition 3.3.1 Sei M eine nichtleere Menge, ◦ eine Abbildung auf M ×M . Gelten das

(1) Axiom der Verknupfung: Fur beliebige a, b ∈ M gibt es ein eindeutig bestimmtes c ∈ M mita ◦ b = c,

(2) Axiom der Assoziativitat: Fur beliebige a, b, c ∈ M gilt (a ◦ b) ◦ c = a ◦ (b ◦ c),

(3) Axiom der Losbarkeit der Aufgabe der Umkehrverknupfung: Fur beliebige a, b ∈ M sinddie Gleichungen a ◦ x = b und y ◦ a = b in M eindeutig losbar,

dann heißt (M, ◦) Gruppe. Gilt zusatzlich das

(4) Axiom der Kommutativitat: Fur beliebige a, b ∈ M gilt a ◦ b = b ◦ a,

dann heißt die Gruppe kommutativ (oder abelsch).

Beispiele 3.3.2

(1) Naturlich ist jeder Ring und jeder Korper kommutative Gruppe bezuglich der Addition, speziellz.B. (ZZ,+), (IQ,+), (IR,+), (IC,+). Weiter ist fur jeden Korper K mit Nullelement 0 die Menge(K \ {0}, ·) kommutative Gruppe bezuglich der Multiplikation, speziell z.B. ({x ∈ IR|x 6= 0}, ·).

(2) Die 6. Einheitswurzeln

ǫ0 = 1, ǫ1 =1

2(1 + i

√3), ǫ2 = −1

2(1− i

√3), ǫ3 = −1, ǫ4 = −1

2(1+ i

√3), ǫ5 =

1

2(1− i

√3)

bilden bezuglich der Multiplikation (in IC) eine kommutative Gruppe.

(3) Die Funktionen fn : IR \ {0, 1} → IR \ {0, 1}, 1 ≤ n ≤ 6, mit

f1(x) = x, f2 =1

x, f3(x) = 1− x, f4(x) =

x

x− 1, f5(x) =

x− 1

x, f6(x) =

1

1− x

bilden eine Gruppe bezuglich der Hintereinanderausfuhrung von Funktionen, d.h. bezuglich derVerknupfung

(fi ◦ fj)(x) := fi(fj(x)

).

Die Gruppe ist nicht kommutativ.

(4) Sei m ∈ IN, m > 1. Im Restklassenring ZZ/m heißt eine Restklasse a prim, wenn a und mteilerfremd sind, d.h. 1 der großte gemeinsame ganzzahlige Teiler ist.Es gilt dann namlich, dass jedes Element b ∈ a zu m teilerfremd ist.

Die primen Restklassen in ZZ/m bilden bezuglich der Multiplikation in ZZ/m eine kommutativeGruppe.

Ist speziell m eine Primzahl, dann besteht diese Gruppe aus den Restklassen 1, 2, . . . , p − 1.

Page 63: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 61

(5) Die Bewegungen der Ebene, die eine vorgegebene Figur in der Ebene auf sich abbilden, heißenDeckbewegungen der Figur.

Fur ein gleichseitiges Dreieck sind das die 3 Geradenspiegelungen an den Mittelsenkrechten desDreiecks, die 2 Drehungen um den Mittelpunkt (Umkreismittelpunkt, Schwerpunkt) des Dreiecksum 1200 bzw. 2400 gegen den Uhrzeigersinn und die identische Abbildung.

Die Abbildungen kann man untereinander durch die Bilder der Dreiecksecken unterscheiden:Sind die Dreiecksecken durch 1, 2 bzw. 3 bezeichnet, und kennzeichnet man durch (a b c) (mita, b, c ∈ {1, 2, 3}) die Deckbewegung, die die Ecke 1 auf die Ecke a, 2 auf b und 3 auf c abbildet,dann werden die obigen Abbildungen in der angegebenen Reihenfolge beschrieben durch

b1 = (2 1 3), b2 = (3 2 1), b3 = (1 3 2), b4 = (2 3 1), b5 = (3 1 2), b6 = (1 2 3).

Die Deckbewegungen des gleichseitigen Dreiecks bilden eine nichtkommutative Gruppe.

Bemerkungen 3.3.3

(1) Sei (G, ◦) eine Gruppe, a ∈ G.Eine Losung der Gleichung a ◦ x = a heißt rechtsneutrales Element, eine Losung derGleichung x ◦ a = a linksneutrales Element.

Wie beim Nullelement bzw. Einselement in Ringen und Korpern kann man zeigen:Es gibt genau ein e ∈ G, so daß fur alle a ∈ G gilt a ◦ e = a und e ◦ a = a. e heißt neutralesElement.

Es gilt weiter: Ist fur ein a ∈ G das Element e′ linksneutral oder rechtsneutral, dann ist e′ dasneutrale Element von G.

(2) Die Losung der Gleichung a◦y = e heißt zu a rechtsinverses Element, die Losung von x◦a = elinksinverses Element.

Es gilt wieder: Ist x ∈ G zu a ∈ G rechtsinvers, dann ist x zu a auch linksinvers und umgekehrt.x heißt inverses Element. Bezeichnung: a−1.

Wie bei Ringen und Korpern gilt:(a−1

)−1= a.

(3) Das zu dem”Produkt“ a ◦ b inverse Element ist b−1 ◦ a−1, und allgemein erhalt man das Inverse

zu einem Produkt von n Elementen in G, indem man die Inversen der einzelnen Elemente inumgekehrter Reihenfolge miteinander verknupft.

Die Gruppen aus Beispiel (3) und (5) unterscheiden sich in ihren Elementen.Ersetzt man allerdings formal in der Verknupfungstafel von Beispiel (5) die Deckabbildung bj durchfj+1, 0 ≤ j ≤ 5, dann stimmt die Tafel mit der Verknupfungstafel von Beispiel (3) uberein. Zwischenden beiden Gruppen gibt es also eine Zuordnung, die jedem Element der einen Gruppe genau einElement der anderen Gruppe zuordnet und umgekehrt (d.h. eine bijektive Abbildung), und die mit denGruppenverknupfungen vertraglich ist, d.h. es ist im Ergebnis gleichgultig, ob man zuerst in der erstenGruppe zwei Elemente miteinander verknupft und das Produkt in die andere Gruppe abbildet, oderob man zuerst die beiden Elemente in die andere Gruppe abbildet und dann die Bilder miteinanderverknupft.

Definition 3.3.4 Seien (G1, ◦) und (G2, •) Gruppen. Eine bijektive Abbildung f : G1 → G2 heißtIsomorphismus, wenn fur alle a, b ∈ G1 gilt f(a◦b) = f(a)•f(b). Die Gruppen heißen zueinanderisomorph.

Page 64: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 62

Bemerkungen 3.3.5

(1) Da in der Gruppentheorie die spezielle Gestalt der Gruppenelemente keine Rolle spielt, sondernnur die Eigenschaften der Verknupfung, kann man also zueinander isomorphe Gruppen mit Mittelnder Gruppentheorie nicht voneinander unterscheiden. Das erklart die Bezeichnung (isomorph =von gleicher Gestalt, griech.).

(2)”Isomorphismus“ bedeutet in den verschiedenen mathematischen Teildisziplinen nicht genau das-selbe. Es bezeichnet aber immer eine bijektive Abbildung zwischen zwei Mengen, die mit den furdie Teildisziplin wesentlichen Eigenschaften der Mengen vertraglich ist.

Zum Beispiel ist in der Korpertheorie ein Isomorphismus eine bijektive Abbildung

f : K1 → K2 mit f(a+ b) = f(a)⊕ f(b) und f(a · b) = f(a)⊙ f(b),

in der reellen Vektorraumtheorie (Linearen Algebra) eine bijektive lineare Abbildung

f : V1 → V2 mit f(a+ b) = f(a)⊕ f(b) und f(αa) = α f(a), α ∈ IR,

und in der Analysis eine bijektive stetige Abbildung, deren Umkehrabbildung auch stetig ist.

(3) Zwei endliche Gruppen (d.h. mit endlich vielen Elementen) konnen nur dann zueinander isomorphsein, wenn sie gleich viele Elemente haben. Fur unendliche Gruppen mussen ihre Kardinalzahlenubereinstimmen.Die Anzahl der Elemente einer Gruppe nennt man Ordnung der Gruppe.

(4) Eine nichtkommutative Gruppe kann nie zu einer kommutativen Gruppe isomorph sein. Die Grup-pen aus den Beispielen (2) und (3) sind also nicht zueinander isomorph.

(5) Ist e das neutrale Element in G1, e′ das neutrale Element in G2, a ∈ G1 beliebig und sind G1 und

G2 isomorph (mit Isomorphie f : G1 → G2), dann gilt

f(e) = e′ und f(a−1) =(f(a)

)−1.

(6) Alle Gruppen der Ordnung 2 sind zueinander isomorph, und desgleichen alle Gruppen der Ord-nung 3. Weiter gibt es zwei Isomorphieklassen von Gruppen der Ordnung 4, und jede Gruppe derOrdnung 4 liegt in einer der beiden Klassen.

Beispiel 3.3.6

Die Menge M := {10n|n ∈ ZZ} ist bezuglich der Multiplikation eine Gruppe, die isomorph zur Grup-pe (ZZ,+) ist. Die zugehorige bijektive Abbildung ist f : ZZ → M mit f(n) := 10n, und es giltf(m+n) = 10m+n = 10m ·10n. Analog ist die Gruppe (IR,+) isomorph zur Gruppe

({x ∈ IR |x > 0}, ·

)

mit z.B. der zugehorigen Abbildung f(x) = ex.(IQ,+) und (IR,+) sind nicht isomorph, denn die Mengen haben verschiedene Kardinalzahlen.Die Gruppe der 6. ten Einheitswurzeln aus Beispiel 3.3.2 (2) ist isomorph zu der Gruppe der Dre-hungen der Ebene, die ein regelmaßiges Sechseck auf sich abbilden, und zu der Restklassen-Gruppe(ZZ/6,+).

3.3.2 Die Untergruppe

Hat eine Menge eine besondere Eigenschaft (Struktur), dann untersucht man Teilmengen, die dieselbeEigenschaft haben. Fur Gruppen heißt das:

Definition 3.3.7 Sei (G, ◦) eine Gruppe, U ⊂ G eine Teilmenge. U heißt Untergruppe von G, wenn(U, ◦) Gruppe ist.

Page 65: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 63

Beispiele 3.3.8

(1) Jede Gruppe (und damit auch Untergruppe) enthalt das neutrale Element e, ist also nichtleer.{e} ist die kleinstmogliche Untergruppe jeder Gruppe.G ist ebenfalls Untergruppe und naturlich die großtmogliche Untergruppe von G.

(2) ZZ ist Untergruppe von (IQ,+), (IR,+) und (IC,+).IQ \ {0} ist Untergruppe von {x ∈ IR|x 6= 0}, ·) und {x ∈ IC|x 6= 0}, ·).

(3) Die 3. Einheitswurzeln {ǫ0, ǫ2, ǫ4} bilden eine Untergruppe der Gruppe der 6. Einheitswurzeln.

(4) Die Teilmenge der Drehungen {b6, b4, b5} ist Untergruppe der Deckabbildungen des gleichseitigenDreiecks.

Bemerkung 3.3.9

Eine Teilmenge U ist Untergruppe der Gruppe (G, ◦) genau dann, wenn die Teilmenge gegenuber derVerknupfung und der Inversenbildung abgeschlossen ist, d.h. wenn fur alle a, b ∈ U gilt

a ◦ b ∈ U und b−1 ∈ U.

Beide Bedingungen kann man auch zusammenfassen zu:

Fur alle a, b ∈ U ist a ◦ b−1 ∈ U .

Wichtige und einfache Beispiele fur Untergruppen sind die zyklischen Gruppen:

Satz 3.3.10 Sei (G, ◦) eine Gruppe, a ∈ G ein festes Element,

a0 = e, an := a ◦ . . . ◦ a︸ ︷︷ ︸

n

, a−n := a−1 ◦ . . . ◦ a−1︸ ︷︷ ︸

n

fur n ∈ IN.

Dann istU := {an|n ∈ ZZ}

eine kommutative Untergruppe von G.Sie heißt die von a erzeugte zyklische Gruppe.Ist U endlich, dann heißt die Ordnung von U Ordnung des Elements a.

Beispiele 3.3.11

(1) (ZZ,+) ist eine von dem Element 1 erzeugte unendliche zyklische Gruppe.

(2)({ǫ0, ǫ2, ǫ4}, ·

)ist eine von ǫ2 erzeugte zyklische Gruppe. ǫ2 hat Ordnung 3.

(3) Ist (G, ◦) eine endliche Gruppe, a ∈ G, dann bildet schon die Menge {an|n ∈ IN} der Potenzenvon a mit positivem Exponenten die von a erzeugte zyklische Untergruppe.Sie ist endlich, d.h. es gibt mindestens zwei Potenzen mit am = an und 0 < m < n.Es gibt weiter ein n ∈ IN mit an = e, und der kleinste dieser Exponenten ist gleich der Ordnungvon a.

Page 66: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 64

Wir betrachten nun eine Gruppe (G, ◦) und eine Untergruppe U . Sei a ∈ G ein beliebiges festes Element.Dann ist die Menge der Produkte

a ◦ U := {a ◦ b| b ∈ U}eine Teilmenge von G.a ◦ U heißt die (Links-)Nebenklasse von a bezuglich U .

Beispiel 3.3.12

Sei U = {b6, b4, b5} die Untergruppe der Drehungen in der Gruppe der Deckabbildungen des gleich-seitigen Dreiecks. Dann ergeben sich die Nebenklassen

b6 ◦ U = {b6, b4, b5}, b1 ◦ U = {b1, b2, b3},b2 ◦ U = {b1, b2, b3}, b3 ◦ U = {b1, b2, b3},b4 ◦ U = {b6, b4, b5}, b5 ◦ U = {b6, b4, b5}.

Die Nebenklassen in Beispiel 3.3.12 sind entweder identisch oder disjunkt, und ihre Vereinigung ist ganzG, d.h. sie haben dieselben Eigenschaften wie Aquivalenzklassen. In der Tat lassen sie sich auch durcheine Aquivalenzrelation erzeugen:

Satz 3.3.13 Sei (G, ◦) eine Gruppe, U eine Untergruppe von G. Weiter gelte

a ∼ b ⇔ a−1 ◦ b ∈ U.

Dann ist ∼ eine Aquivalenzrelation auf G und die zugehorigen Aquivalenzklassen sind die Nebenklassenbezuglich U .

Bemerkungen 3.3.14

(1) Zwei Nebenklassen sind also gleich oder disjunkt. Ist a ∈ U , dann ist a ◦ U = U .

(2) Durchf : a ◦ U → b ◦ U mit f(x) := b ◦ a−1 ◦ x

wird eine bijektive Abbildung zwischen a ◦ U und b ◦ U definiert.Zwei verschiedene Nebenklassen bezuglich U sind also gleichmachtig und haben dieselbe Kardi-nalzahl wie U .Hat U n Elemente, dann haben alle Nebenklassen n Elemente.

Satz 3.3.15 (a) Ist (G, ◦) eine endliche Gruppe mit Ordnung n, hat U die Ordnung m und gibt es kverschiedene Nebenklassen bezuglich U , dann gilt

n = km,

die Ordnung der Untergruppe U ist also Teiler der Ordnung von G.

(b) Die Ordnung jedes Elements a einer endlichen Gruppe G ist Teiler der Ordnung von G.

(c) In einer Gruppe mit n Elementen gilt an = e fur jedes Element a ∈ G.

Page 67: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 65

3.3.3 Symmetriegruppen

Wir haben schon die Gruppe der Deckabbildungen eines gleichseitigen Dreiecks kennengelernt.

Ist statt des Dreiecks eine beliebige Figur (in der Ebene oder im Raum) gegeben, dann ist immer dieidentische Abbildung (der Ebene oder des Raums) eine Abbildung, die die Figur (sogar punktweise)auf sich abbildet. Es kann andere solcher Abbildungen geben, und die Menge der Abbildungen bildetimmer eine Gruppe bezuglich der Hintereinanderausfuhrung. Diese Gruppe heißt Symmetriegruppeder entsprechenden Figur.

Fur ein regelmaßiges Funfeck enthalt die zugehorige Symmetriegruppe T10• die identische Abbildung id der Ebene,

• die Drehungen d1, d2, d3, d4 um den Umkreismittelpunkt um 720, 1440, 2160 und 2880

• sowie die 5 Spiegelungen s1, s2, s3, s4 und s5.

Fur die Verknupfungstafel ergibt sich

id d1 d2 d3 d4 s1 s2 s3 s4 s5id id d1 d2 d3 d4 s1 s2 s3 s4 s5d1 d1 d2 d3 d4 id s4 s5 s1 s2 s3d2 d2 d3 d4 id d1 s2 s3 s4 s5 s1d3 d3 d4 id d1 d2 s5 s1 s2 s3 s4d4 d4 id d1 d2 d3 s3 s4 s5 s1 s2s1 s1 s3 s5 s2 s4 id d3 d1 d4 d2s2 s2 s4 s1 s3 s5 d2 id d3 d1 d4s3 s3 s5 s2 s4 s1 d4 d2 id d3 d1s4 s4 s1 s3 s5 s2 d1 d4 d2 id d3s5 s5 s2 s4 s1 s3 d3 d1 d4 d2 id

s1

s3s4

s2s5

Außer der trivialen Untergruppe {id} enthalt T10 die Drehgruppe D5 := {id, d1, d2, d3, d4} sowie die 5von je einer Spiegelung erzeugten Untergruppen Sk := {id, sk}, 1 ≤ k ≤ 5. Weitere Untergruppen gibtes nicht.

Jede der Untergruppen kann wieder als Symmetriegruppe einer ebenen Figur aufgefaßt werden. DieseFiguren weisen weniger Symmetrien als das regelmaßige Funfeck auf. Mogliche zugehorige Figuren zuD5 und S1 sind

s1

Page 68: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 66

Zur trivialen Untergruppe gehort schließlich eine unsymmetrische Figur.

Die Symmetriegruppe T12 eines regelmaßigen Sechsecks hat analog Ordnung 12 und besteht

• aus der identischen Abbildung id der Ebene,

• den Drehungen d1, . . . , d5 um den Sechseckmittelpunkt um 600, 1200, 1800, 2400 und 3000,

• sowie den Spiegelungen s1, . . . , s6 an den 3 Diagonalen und den 3 Mittelsenkrechten der Seiten.

Sie hat als Untergruppen

• die triviale Untergruppe,

• 3 Untergruppen, die nur aus Drehungen bestehen, namlich die volle Drehgruppe D6, die Dreiecks-drehgruppe D3 = {id, d2, d4} und die Rechtecksdrehgruppe D2 = {id, d3}.

• Weiter gibt es wieder die Untergruppen Sk, die aus der Identitat und der Spiegelung sk bestehen(mit 1 ≤ k ≤ 6).

• Je 2 Spiegelungen an zueinander senkrechten Achsen bilden zusammen mit der Identitat und derDrehung um 1800 jeweils eine Gruppe, namlich V4 = {id, s1, s4, d3}, V ′

4 = {id, s2, s5, d3} undV ′′4 = {id, s3, s6, d3}.

Jede dieser Untergruppen ist isomorph zu der Symmetriegruppe eines allgemeinen Rechtecks.

• Schließlich gibt es 2 Untergruppen der Ordnung 6 mit jeweils 3 Spiegelungen an den Diagonalenbzw. an den Mittelsenkrechten, der Identitat und den Drehungen um 1200 und 2400, namlichT6 = {id, d2, d4, s1, s3, s5} und T ′

6 = {id, d2, d4, s2, s4, s6}.Die letzten beiden Untergruppen sind isomorph zu der Symmetriegruppe des gleichseitigen Drei-ecks.

Page 69: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 67

3.4 Anhang

Verknupfungstafeln zu Beispiel 3.3.2

(2) ǫi, 0 ≤ i ≤ 5, seien die 6-ten Einheitswurzeln, d.h. die komplexen Losungen der Gleichung z6 = 1,also

ǫ0 = 1, ǫ1 =1

2(1+i

√3), ǫ2 =

1

2(−1+i

√3), ǫ3 = −1, ǫ4 = −1

2(1+i

√3), ǫ5 =

1

2(1−i

√3).

Die Verknupfung ist die Multiplikation · in IC.

· ǫ0 ǫ1 ǫ2 ǫ3 ǫ4 ǫ5ǫ0 ǫ0 ǫ1 ǫ2 ǫ3 ǫ4 ǫ5ǫ1 ǫ1 ǫ2 ǫ3 ǫ4 ǫ5 ǫ0ǫ2 ǫ2 ǫ3 ǫ4 ǫ5 ǫ0 ǫ1ǫ3 ǫ3 ǫ4 ǫ5 ǫ0 ǫ1 ǫ2ǫ4 ǫ4 ǫ5 ǫ0 ǫ1 ǫ2 ǫ3ǫ5 ǫ5 ǫ0 ǫ1 ǫ2 ǫ3 ǫ4

(3) fi, 1 ≤ i ≤ 6, seien die Funktionen fi : IR \ {0, 1} → IR \ {0, 1} , 1 ≤ n ≤ 6, mit

f1(x) = x, f2 =1

x, f3(x) = 1− x, f4(x) =

x

x− 1, f5(x) =

x− 1

x, f6(x) =

1

1− x.

Die Verknupfung ist die Hintereinanderausfuhrung ◦.

◦ f1 f2 f3 f4 f5 f6f1 f1 f2 f3 f4 f5 f6f2 f2 f1 f6 f5 f4 f3f3 f3 f5 f1 f6 f2 f4f4 f4 f6 f5 f1 f3 f2f5 f5 f3 f4 f2 f6 f1f6 f6 f4 f2 f3 f1 f5

(5) bi, 1 ≤ i ≤ 6, seien Deckbewegungen eines gleichseitigen Dreiecks in der Ebene mit den Ecken 1,2, 3, mit

b1 = (2 1 3), b2 = (3 2 1), b3 = (1 3 2), b4 = (2 3 1), b5 = (3 1 2), b6 = (1 2 3).

Die Verknupfung ist die Hintereinanderausfuhrung ◦.

◦ b6 b1 b2 b3 b4 b5b6 b6 b1 b2 b3 b4 b5b1 b1 b6 b5 b4 b3 b2b2 b2 b4 b6 b5 b1 b3b3 b3 b5 b4 b6 b2 b1b4 b4 b2 b3 b1 b5 b6b5 b5 b3 b1 b2 b6 b4

Isomorphie:

F (f1) = b6, F (f2) = b1, F (f3) = b2, F (f4) = b3, F (f5) = b4, F (f6) = b5.

Page 70: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 68

Weiteres Beispiel fur”Ring“:

Sei D ∈ ZZ fest mit D 6= 0, D 6= 1, und ZZ[√D] := {a+ b

√D; a, b,∈ ZZ},

(a1 + b1√D) + (a2 + b2

√D) := (a1 + a2) + (b1 + b2)

√D),

(a1 + b1√D) · (a2 + b2

√D) := (a1a2 + b1b2D) + (a2b1 + a1b2)

√D).

ZZ[√D] ist kommutativer nullteilerfreier Ring mit Einselement (innere Verknupfungen klar, Einselement

1 = 1 + 0 ·√D, Rechenregeln gelten, da ZZ[

√D] Teilmenge von IR.

Die Teiler des Einselements in einem Ring heißen”Einheit“.

ZZ hat genau die Einheiten ±1, IQ hat jedes Element ungleich Null als Einheit.ZZ[

√2] hat die unendlich vielen Einheiten (1 +

√2)n, n ∈ ZZ: Zum Beispiel gilt

1

1 +√2=

1−√2

(1 +√2)(1−

√2)

= −1 +√2.

{(1 +√2)n; n ∈ IN} bildet eine streng monoton wachsende Folge von Einheiten in ZZ[

√2].

Welche Einheiten gibt es in ZZ[√D]?

Dazu Definition der”Norm“: N(a+ b

√D) := a2 −D b2.

Es gilt immer N(1) = 1 und N(a+ b√D) ∈ ZZ.

N ist multiplikativ, d.h. es gilt

N((a1 + b1√D) · (a2 + b2

√D) = N((a1a2 + b1b2D) + (a2b1 + a1b2)

√D) = (a1a2 + b1b2D)2 −D(a2b1 + a1b2)

2 =

= (a21 −D b21) · (a22 −D b22) = N(a1 + b1√D) ·N(a2 + b2

√D).

a1 + b1√D ∈ ZZ[

√D] ist Einheit genau dann, wenn es ein a2 + b2

√D ∈ ZZ[

√D] gibt mit (a1 + b1

√D) ·

(a2 + b2√D) = 1. Dann gilt

N(a1 + b1√D) ·N(a2 + b2

√D) = 1 ⇒ N(a1 + b1

√D) = ±1 ⇒ a21 − db21 = ±1.

Sei ab jetzt D < 0, d.h. fur alle a+ b√D gilt N(a+ b

√D) = a2 −Db2 = a2 + |D|b2 ≥ 0.

a+ b√D ist also nur Einheit, wenn a2 + |D|b2 = 1, und das gilt nur, wenn a = ±1, b = 0 oder a = 0,

b = ±1, D = −1.Der Ring ZZ[

√D] hat also (da D < 0) nur endlich viele Einheiten, und zwar furD < −1 nur die Einheiten

±1 (wie in) und fur D = −1 nur die Einheiten ±1 und ±

√−1 = ±i.

Veallgemeinerung der Definition”Primzahl“ auf ZZ[

√D]: x ∈ ZZ[

√D] heißt Primzahl in ZZ[

√D], wenn x

als Teiler nur Einheiten oder Produkte von x mit Einheiten hat.Beispiel: In ZZ sind die bekannten Primzahlen 2, 3, 5, 7, 11, 13, . . . und ihre Gegenzahlen −2,−3,−5,−7,−11, . . .Primzahlen. Zum Beispiel hat die Primzahl −3 in ZZ als Teiler die Zahlen ±1, −3 = 1 · (−3), 3 =(−1) · (−3).

Betrachte speziell ZZ[√−5]: Wegen a2 + 5b2 ∈ {0, 1, 4, 5, 6, 9, . . .} gibt es keine Zahl x ∈ ZZ[

√−5] mit

N(x) = 2 oder N(x) = 3.Es gilt N(2) = 4. Annahme: x ist keine Primzahl, d.h. es gibt y, z ∈ ZZ[

√−5], y, z 6= ±1, mit x = y · z,

d.h N(y) = N(z) = 2. Widerspruch. Also ist x Primzahl, und genauso folgt, dass die Zahlen 3, 1±√−5

Page 71: Elemente der Algebra - Uni Siegen

3. Algebraische Strukturen 69

Primzahlen in ZZ[√−5] sind.

Wegen6 = 2 · 3 = (1 +

√−5) · (1−

√−5)

lasst sich die Zahl 6 in ZZ[√−5] auf zwei wesentlich verschiedene Arten als Primzahlprodukt schreiben,

d.h. in diesem Ring gilt der Satz von der eindeutigen Primfaktorzerlegung nicht.

Page 72: Elemente der Algebra - Uni Siegen

70

Inhaltsverzeichnis

1 Mengen, Aussagen, Beweise 11.1 Der Mengenbegriff, Schreibweisen, Spezielle Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Schaltalgebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.3 Aussagen, Boolesche Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71.4 Aussageformen, All- und Existenzquantor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.5 Implikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151.6 Beweisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181.7 Der binomischer Lehrsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201.8 Kleiner Exkurs: Was ist Mathematik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

2 Losungen algebraischer Gleichungen 272.1 Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272.2 Lineare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302.3 Lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332.4 Quadratische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402.5 Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432.6 Algebraische Gleichungen hoherer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

3 Algebraische Strukturen 503.1 Ringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

3.1.1 Der Ring der ganzen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503.1.2 Der allgemeine Ringbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513.1.3 Der Restklassenring ZZ/m . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

3.2 Korper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543.2.1 Der allgemeine Korperbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543.2.2 Der Korper der komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553.2.3 Darstellung der komplexen Zahlen in der Zahlenebene . . . . . . . . . . . . . . . 573.2.4 Moivre-Formeln und Kreisteilungsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

3.3 Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603.3.1 Der allgemeine Gruppenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603.3.2 Die Untergruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623.3.3 Symmetriegruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

3.4 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Page 73: Elemente der Algebra - Uni Siegen

Index

∈, 16∈, 1∅, 26j, 2j, 2$, 2P(M), 3∪, 3⋃, 3

∩, 3⋂, 3

\, 4×, 5M , 5∧, 6, 8∧, 13

∀, 13∨, 7, 8∨, 13

∃, 13¬, 7, 8i, 41Aquivalenzrelation, 53

Abel, 49Absorption, 9Addition, 50–54, 56Additionsverfahren, 33Allaussage, 13Allquantor, 13Argument, 58assoziativ, 9, 50, 60Aussage, 7

Oder-, 8Und-, 8verneinte, 8

Aussageform, 10aquivalente, 11allgemeingultige, 12erfullbare, 13unerfullbare, 13

Betrag, 58Beweis

direkter, 18durch Widerspruch, 19indirekter, 18

vollstandige Induktion, 19Binomialkoeffizient, 21binomische Formel, 40binomische Formeln, 20biquadratisch, 49Boolesche Algebra, 9

Cantor, 1Cardanosche Formeln, 48

Deckbewegung, 61deMorgan, 9Differenz von Mengen, 4disjunkt, 3

paarweise, 3Disjunktion, 8Diskriminante, 40distributiv, 9, 50, 51Durchschnitt, 3

Einheitswurzel, 59Einselement, 50, 51, 55Einsetzungsverfahren, 33Einspolynom, 44Element, 1

inverses, 61linksinverses, 61linksneutrales, 61neutrales, 61Ordnung, 63rechtsinverses, 61rechtsneutrales, 61

elementfremd, 3paarweise, 3

Erfullungsmenge, 10Euklid, 24Euler-Formel, 59Existenzquantor, 13

Fakultat, 22Fermat, 24Fundamentalsatz der Algebra, 47

Galois, 49Gauß’sches Eliminationsverfahren, 36Gleichsetzungsverfahren, 33Gleichung

algebraische, 29

71

Page 74: Elemente der Algebra - Uni Siegen

INDEX 72

inhomogene lineare, 32kubische, 29lineare, 29lineare homogene, 32normierte, 46quadratische, 29

Gleichungssystemlineares, 33

Grad, 43einer algebraischen Gleichung, 29

Gruppe, 60abelsche, 60kommutative, 60Ordnung, 62zyklische, 63

Gruppenisomorphismus, 61

Hilbert, 24homogene lineare Gleichung, 31, 32

Idempotenz, 9imaginare Achse, 57imaginare Einheit, 41, 55Imaginarteil, 55Imaginarzahl, 55Implikation, 15Induktion

vollstandige, 19Induktionsanfang, 19Induktionsaxiom, 20Induktionsschluß, 19inhomogene lineare Gleichung, 31, 32Inklusion, 2invers, 61inverses Element, 55isomorph, 61

Junktor, 8

Korper, 54Korperisomorphismus, 62kartesisches Produkt, 5Koeffizient, 43Koeffizientenmatrix, 36

erweiterte, 36kommutativ, 9, 50, 60Komplement, 5komplementar, 9komplexe Zahl, 41kongruent, 54

konjugiert komplex, 57Konjunktion, 8

lineare Abbildung, 62Linearfaktor, 46, 47linksinvers, 61linksneutral, 61

Menge, 1leere, 2

Mengendifferenz, 4Mengenlehre

axiomatische, 1naive, 1

Modul, 53Moivre-Formel, 59Multiplikation, 50–54, 56

Nebenklasse, 64Negation, 8neutral, 9, 61Nicht, 7nicht, 8Normalform

einer linearen Gleichung, 30quadratische Gleichung, 40

Nullelement, 50, 54Nullpolynom, 43, 44Nullstelle

Ordnung einer, 47nullteilerfrei, 54

Obermenge, 2echte, 2

oder, 7, 8Oder-Aussage, 8Ordnung, 47, 62, 63

paarweise disjunkt, 3paarweise elementfremd, 3Pascalsches Dreieck, 22Peano-Axiome, 20, 24Permanenzprinzip, 50Polarkoordinaten, 58Polynom, 43

Teiler-, 45Zerlegung in Linearfaktoren, 44

Polynomdivision, 44Polynomring, 52Potenzmenge, 3, 52

Page 75: Elemente der Algebra - Uni Siegen

INDEX 73

pq-Formel, 40Produkt, 50–53, 56

von Polynomen, 44

quadratische Erganzung, 40Quantor, 13

Radikale, 49Realteil, 55rechtsinvers, 61rechtsneutral, 61reelle Achse, 57Restklasse, 53

prim, 60Restklassenring, 53Ring, 51

kommutativer, 51mit Einselement, 51

Russellsche Antinomie, 1

Skalarproduktvon Polynomen, 44

Subtraktion, 50Summe, 50–53, 56

von Polynomen, 44Symmetriegruppe, 65

Teilerpolynom, 45Teilmenge, 2

echte, 2

Unbestimmte, 43und, 6, 8Und-Aussage, 8Untergruppe, 62Ursprungsebene, 32Ursprungsgerade, 31

Vektorraumisomorphismus, 62Venn-Diagramm, 4Vereinigung, 3Verknupfungstafel, 53Verschmelzung, 9Vietascher Koeffizientensatz, 41, 47vollstandige Induktion, 19

Wahrheitstafel, 8

Zahlkomplex, 55

Zeilenstufenform, 37

Zeilenumformungenelementare, 36

Zerlegung in Linearfaktoren, 47zyklisch, 63