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Piano 5 Elena Bashkirova Mittwoch 19. Februar 2014 20:00

Elena Bashkirova - Kölner Philharmonie · Les Saisons op. 37 ... Carnaval Mars. Chant de l’alouette Avril. Perce-neige Mai. Les nuits de mai Juin. Barcarolle Juillet. Chant

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Piano 5

Elena BashkirovaMittwoch19. Februar 201420:00

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Wir bitten um Ihr Verständnis, dass Bild- und Tonaufnahmen aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet sind.

Wenn Sie einmal zu spät zum Konzert kommen sollten, bitten wir Sie um Verständnis, dass wir Sie nicht sofort einlassen können. Wir bemühen uns, Ihnen so schnell wie möglich Zugang zum Konzertsaal zu gewähren. Ihre Plätze können Sie spätestens in der Pause einnehmen.

Bitte warten Sie den Schlussapplaus ab, bevor Sie den Konzertsaal verlassen. Es ist eine schöne und respektvolle Geste gegenüber den Künstlern und den anderen Gästen.

Mit dem Kauf der Eintrittskarte erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihr Bild möglicherweise im Fernsehen oder in anderen Medien ausgestrahlt oder veröffentlicht wird.

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Piano 5

Elena Bashkirova Klavier

Mittwoch 19. Februar 2014 20:00

Pause gegen 21:00 Ende gegen 22:10

19:00 Einführung in das Konzert durch Christoph Vratz

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PROGRAMM

Franz Liszt 1811 – 1886Vallée d’Obermann S 160,6(nach Étienne Pivert de Senancours Roman Obermann) aus: Années de pèlerinage. Suite de compositions. Première année, Suisse S 160 (1848 – 55)für Klavier

St. François d’Assise: la prédication aux oiseaux S 175,1aus: Deux Légendes S 175 (1862/63)für Klavier

Isaac Albéniz 1860 – 1909Chants d’Espagne (Cantos de España) (1891 – 94)für KlavierPréludeOrientaleSous le palmier (Danse espagnole)CórdobaSeguidillas

Pause

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Galina Ustwolskaja 1919 – 2006Sonate für Klavier Nr. 5 (1986)Sonate in zehn TeilenEspressivissimo: Achtel = 276Viertel = 72Espressivo: Viertel = 72Espressivo: Viertel = 60Espressivo: Viertel = 76Espressivo: Viertel = 69Viertel = 72A punto, aspro Viertel = 40Achtel = 60Espressivissimo: Achtel = 69

Peter Iljitsch Tschaikowsky 1840 – 1893Les Saisons op. 37bis (1875 – 76)für KlavierJanvier. Au coin du feuFévrier. CarnavalMars. Chant de l’alouetteAvril. Perce-neigeMai. Les nuits de maiJuin. BarcarolleJuillet. Chant du faucheurAoût. La moissonSeptembre. La chasseOctobre. Chant d’automneNovembre. TroïkaDécembre. Noël. Tempo di valse

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ZU DEN WERKEN

Franz Liszt»Was will ich? Was bin ich? Was verlange ich von der Natur? Jede Ursache ist verborgen, jedes Ende trügerisch; jede Form ist ver-änderlich, jede Dauer begrenzt … ich empfinde, ich existiere, um mich in unbezähmbaren Wünschen zu verzehren, um mich den Verführungen einer phantastischen Welt hinzugeben, um unter ihren sinnlich bezaubernden Irrtümern zusammenzubrechen.« Ist es die romantische Seele selbst, die hier zu uns spricht? Oder ist es das Alter Ego jenes romantischen Künstlers, der in seiner genialen Hybris nachgerade zu einer Personifikation der Faust-Figur wurde: Franz Liszt? Nicht die Worte stammen von ihm, doch reagierte Liszt in Tönen auf die eben zitierten Ausgießun-gen romantischen Geistes, in denen es an anderer Stelle heißt: »Unsagbare Empfindsamkeit, Wonne und Qual unserer törichten Jahre; volles Bewusstsein einer überwältigenden, unerforschli-chen Natur. Allumfassende Leidenschaft, Gleichgültigkeit, früh-zeitige Weisheit, wonnige Hingabe […], alles habe ich gefühlt …«.

Diese Zeilen entstammen einem Hauptwerk der französischen Frühromantik, dem 1804 erschienen Briefroman Obermann von Étienne Pivert de Senancour. Ohne stringente Handlung reflek-tiert das Buch die Reisen eines homo melancolicus und dessen Betrachtungen des eigenen Seelenlebens. Zugleich enthält es schwärmerische Darstellungen grandioser Natureindrücke. Liszt bezeichnete den Obermann als »jenes Buch, das stets mein Leid betäubt« und setzte ihm ein Denkmal in Vallée d’Obermann, einem großangelegten Klavierpoem, das er in den Zyklus Années de Pèlerinage integrierte. Wie fast alle Stücke dieses Zyklus existiert auch Vallée d’Obermann in einer Frühfassung, die im Album d’un voyageur 1842 veröffentlicht wurde. Jahre später, in seiner Wei-marer Zeit, verwandelte Liszt den ersten Teil des Albums – Impres-sions et poésies – in den ersten Teil der Années de pèlerinage, der den Untertitel Suisse trägt. Dieser bezieht sich auf die Schweiz-Reisen der Jahre 1835 bis 1837, die Liszt gemeinsam mit der Gräfin Marie d’Agoult unternahm – Jahre einer »wilden Ehe«, der unter anderem Cosima, Richard Wagners spätere Ehefrau, entstammte.

Neueren Forschungen zufolge entstand die erste Version von Vallée d’Obermann erst 1840. Verglichen mit deren »Wildwuchs«

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präsentiert sich die revidierte Fassung als formal ebenso kom-plexe wie stringente Fantasie-Sonate, in der wir Beethovenschen Themendualismus vergeblich suchen. Vielmehr liegt dem Werk ein Urmotiv zugrunde, das durch die einzelnen Abschnitte – oder auch: Gemütsstadien – hindurch präsent bleibt, gleich einer »Idée fixe« à la Berlioz. Das einleitende Lento assai gemahnt in seinem harmonischen Reichtum an die Idee einer »ordre omnito-nique« des Komponisten Fétis, dessen Vorlesungen Liszt 1832 in Paris hörte. Fétis’ Vorstellung, alle Tonarten mittels der Enharmo-nie miteinander verbinden zu können, hat Liszt nachhaltig beein-flusst. Nach einer »lunga pausa« erklingt das Urmotiv in C-Dur im zartesten Diskant-Register, bald jedoch strebt die Musik in zunehmender Chromatisierung einem dramatischen Rezitativ entgegen, das sich schließlich tempestuoso entlädt. Dem unaus-weichlichen Zusammenbruch folgt – um mit Dante zu spre-chen – das »Purgatorio«: Die finale Tonart E-Dur ist erreicht, das Hauptthema wird in einer langen Steigerung aus dem Zustand sanfter Poesie zu einer triumphalen Apotheose geführt. Umso bemerkenswerter die beiden letzten Takte des Stücks: »Wonne und Qual« – um Senancours Worte zu zitieren – erklingen hier zugleich!

Wenn es in Liszts Leben ein Leitmotiv gab, das alle anderen übertönte, dann war es ohne Zweifel seine Gottsuche. Schon der Jugendliche verspürte den Drang, sich in klösterliche Abge-schiedenheit zu begeben, und in gewisser Weise hat er dieses Vorhaben in den 1860er Jahren durch den Rückzug in seine karge römische Klause verwirklicht. In dieser Periode entstan-den diverse religiös inspirierte Werke, darunter die Deux Légen-des, deren erste sich dem heiligen Franziskus von Assisi zuwen-det. In zarten, bisweilen impressionistisch anmutenden Klängen evoziert Liszt die Atmosphäre der berühmten Vogelpredigt – La prédication aux oiseaux – und berührt hierbei Saiten seiner Kunst, die allzu oft hinter der Fassade gleißender Virtuosität übersehen werden.

Zeitlebens verehrte Liszt seine beiden Namenspatrone, den Grün-der des Franziskanerordens sowie den heiligen Franziskus von Paola, dem die zweite Legende gewidmet ist. 1858 empfing Liszt die Weihen als ›confrater‹ bei den Franziskanern in Pest (Budapest).

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In seiner Bibliothek fanden sich zahlreiche Abhandlungen über beide Heilige, darunter auch Les petites fleurs de Saint Francois d’Assise, ein Buch, dessen Duktus heutigen Lesern naiv, ja: nach-gerade süßlich erscheinen mag. Dem großen Franz Liszt, dem Hexenmeister der Tasten und Weltvirtuosen, vermochte diese Lektüre indes Töne von zartester Poesie zu entlocken. Gewiss fühlte sich Liszt an seine Jugendtage erinnert: Seinen Wunsch, die geistliche Laufbahn einzuschlagen, missachtete Vater Adam – der selbst franziskanischer Novize gewesen, aufgrund seines »unbeständigen Geistes« aber des Klosters verwiesen worden war – ganz bewusst, da er die Talente des Sohnes erkannte und von ihnen zu profitieren hoffte. Man könnte, ein wenig überspitzt, Liszts Prédication aux oiseaux als gelungene Symbiose aus kind-licher Gläubigkeit und ästhetischem Raffinement bezeichnen. Übrigens: Als Papst Pius IX. am 11. Juli 1863 den weltberühmten Komponisten (des »Mephisto«-Walzers!) in dessen Domizil im Kloster Madonna des Rosario besuchte, spielte Liszt ihm beide Franziskus-Legenden vor.

Isaac AlbénizVon einem bewegten Leben gilt es zu berichten: Schon als Zehn-jähriger büxte er zum ersten Mal aus, reiste durchs Land, gab Konzerte und wurde von Banditen beraubt. Zwölfjährig lief er wie-derum von zu Hause weg und schiffte sich in Cadiz als blinder Passagier ein. Erst ein Jahr später – nach abenteuerlicher Reise, die ihn kreuz und quer durch Südamerika und schließlich bis nach San Francisco geführt hatte – landete er wieder in der spa-nischen Heimat. Doch Vorsicht: Offenbar sind im Zusammenhang mit Isaac Albéniz Legenden unterwegs, die genauerer Wahrheits-prüfung nicht standhalten. Andere Quellen berichten davon, dass sein Vater ihn häufig begleitet hat und er mithin bei seinen Welt-erkundungen doch behüteter war, als häufig angenommen.

Unruhig verliefen die Jugendjahre des hochtalentierten Musikers allemal: Systematischen Karriereschritten – etwa Studienauf-enthalten in Leipzig; Madrid und Brüssel, einem Ersten Preis am dortigen Konservatorium und einem denkwürdigen Treffen mit

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Franz Liszt am 18. August 1880 – standen immer neue Ausbruchs-versuche nach Nord- und Südamerika entgegen, und erst 1883 wurde Albeniz häuslicher: Er ließ sich in Barcelona nieder, grün-dete eine Familie und begann – angeregt durch die Begegnung mit Felipe Pedrell, dem Vater der spanischen Nationalmusik –, Musik zu schreiben, die sich abhob vom gängigen Salon- und Virtuosengenre, das Albéniz in seinen frühen Kompositionen bedient hatte. Fortan spürte er den Wurzeln der spanischen Volksmusik nach und entwickelte ein Idiom, das uns dank der Musik eines Granados, de Falla, Turina und vieler »Wahl-Spanier« à la Ravel so vertraut ist, dass wir uns kaum Gedanken über ihre Ursprünge machen. Sie liegen im Schaffen von Isaac Albéniz. Nachdem er bereits um 1890 seine Konzertkarriere beendet hatte, lebte er zunächst in London und ab 1893 in Paris, wo er enge Ver-bindungen zu d’Indy, Fauré, Debussy und Dukas unterhielt. Sein Kompositionsstil und seine Pianistik übten großen Einfluss auf den etwas jüngeren Debussy aus … nicht etwa umgekehrt, will sagen: Wenn wir Musik von Albéniz hören, die für unsere Ohren »nach Debussy« klingt, gilt es, anhand der Chronologie die Frage nach »Henne und Ei« sorgfältig zu überprüfen!

Nach kurzem Intermezzo in Barcelona kehrte Albeniz 1902 nach Paris zurück und verbrachte seine letzten Lebensjahre in Frank-reich, wo der Rastlos-Produktive an seinem Hauptwerk feilte: der vierteiligen Suite Iberia. Dem Jahr 1896 entstammen die Chants d’Espagne (Cantos de España), ein fünfteiliger Zyklus, dessen Pré-lude unter dem Titel Asturias auch separat veröffentlicht wurde und in der Bearbeitung von Francisco Tárrega früh zu einem Highlight der Gitarrenliteratur wurde. Hierauf folgen zwei Tänze: Melodischer Duktus und ostinate Harmonik von Oriental gemahnen von ferne an den Fandango, Bajo el palmeral (»Unter der Palme«) hingegen repräsentiert eindeutig den Typus der Habanera. Als tiefgründigstes Stück des gesamten Zyklus evoziert Córdoba die dunkle und doch friedvolle Atmosphäre der bedeutenden alten Stadt, die Landschaft Andalusiens und zugleich – hervorgerufen durch choralartige Har-monien vor und nach der großen Steigerung des Mittelteils – die tiefen Schichten der Historie bis zurück ins frühe Mittelalter. Den Abschluss bildet mit Seguidillas ein schwungvoller Tanz, der als Castilla ebenfalls separat veröffentlicht wurde und eine der belieb-testen Tanzformen Kastiliens aufgreift: die Seguidilla.

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Galina Ustwolskaja»Es ist schwierig, über die eigene Musik zu reden, ich wollte Ihnen aufrichtig helfen, aber meine Fähigkeit zu schaffen stimmt mit der Fähigkeit, über dieses Schaffen zu schreiben, leider nicht überein«. Sätze wie dieser haben dazu beigetragen, dass Werk und Person von Galina Ustwolskaja von einer Aura der Verrät-selung, des Geheimnisvollen, ja: latenter Esoterik umgeben sind. Erst seit Beginn der 1990er Jahre gelangte die Musik der russischen Komponistin allmählich in westliche Konzertsäle. In Zürich, Heidelberg, beim Holland Festival und vor allem bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik fanden Aufführungen ihrer Werke statt, und sogleich stieß die karge, kompromisslose, stilistisch völlig eigenständige Musik dieser Einzelgängerin auf größtes Interesse. Die Tatsache, dass Galina Ustwolskaja auch in dieser Zeit, wie schon Jahrzehnte zuvor, völlig zurückgezogen in St. Petersburg lebte – es gibt offensichtlich nicht einmal ein Foto, das sie als ältere Dame zeigt – und dass sich zugleich eine Gemeinde bewundernder »Ustwolskajaner« formierte, verstärkte gewiss die Neugier, mehr über ihre Musik zu erfahren. Die Wiss-begierigen indes sahen sich alsbald mit einer quasi-religiösen Kultsituation konfrontiert. Der Musikwissenschaftler Stefan Weiss fasst in einem 2009 veröffentlichten Ustwolskaja-Aufsatz einige ›Gebote‹ der Gemeinde zusammen – »Du sollst meine Werke nicht analysieren«, »Du sollst keine Fotografien von mir machen«, »Du sollst mich nicht interviewen«, »Du sollst meine Werke nicht auf Frauenmusikfestivals spielen« – und folgert zugespitzt, wer an Erkenntnissen über das musikalische Denken eines Kompo-nisten interessiert sei, könne »einen naheliegenden Grund für das Verbot darin vermuten, dass es […] bei dieser Komponistin eben nichts zu entdecken gibt. War Ustwolskaja eine Sphinx ohne Geheimnis? Komponierte sie rein intuitiv, ohne nennens-werte rationale Kontrolle?«.

Wie viele andere Künstler der Sowjetzeit führte auch Ustwolskaja ein Doppelleben: Neben ihrem Brotberuf als Musiktheorielehrerin am Konservatorium von Leningrad/St. Petersburg komponierte die Schostakowitsch-Schülerin eine Reihe erbaulicher, politisch konformer Werke, die durchaus positiv aufgenommen wurden. Daneben entstanden im Zeitraum zwischen 1946 und 1990 etwa

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25 Werke, die die Komponistin als gültig ansah. Nach 1970 wei-sen die meisten dieser Werke religiöse Bezüge auf, sie seien, so Ustwolskaja, »zwar nicht religiös im liturgischen Sinne, aber von einem religiösen Geist erfüllt«. Offensichtlich empfing sie – nicht anders als Arvo Pärt, Alfred Schnittke und andere Komponisten dieser Zeit, die in einer Art innerer Emigration lebten – starke Impulse aus Nikolaj Uspenskijs 1965 erschienener Studie über altrussische Kirchengesänge. Hier fand sie modale und penta-tonische Modelle, die eine ersehnte Alternative darstellten zur ideologisch missbrauchten, desavouierten Dur-Moll-Tonalität.

Einiges deutet darauf hin, dass es in der Musik Ustwolskajas diesbezüglich einiges zu entdecken gibt und dass sich ihr Kom-ponieren durchaus nicht ›rein intuitiv‹ abspielte. Entsprechende Analysen befinden sich allerdings noch in den Anfängen. Viel-leicht liegt auch der 1986 – im Jahr der Tschernobyl-Katastro-phe – entstandenen 5. Klaviersonate eine alte Vokalmelodie zu Grunde, eine Urzelle, die horizontal wie vertikal – in die zahlrei-chen dissonanten Akkorde und Cluster hinein – die Struktur der Musik bestimmt? Wir wissen es (noch) nicht. Was wir zweifels-frei hören können, ist die prägende Wirkung eines einzelnen, geradezu zwanghaft repetierten Tones: des eingestrichenen Des. In der Mitte der Klaviatur gelegen, verbindet dieser Ton hohes und tiefes Register und zugleich auf der Zeitschiene alle zehn Abschnitte der einsätzigen Sonate. Hier wurde keineswegs ›ohne nennenswerte rationale Kontrolle‹ komponiert! Doch wofür steht die Note Des? Eine Chiffre? Verbergen sich in ihr die Initialen ihres Lehrers Dmitrij Schostakowitsch? Vorsicht, wir bewegen uns auf spekulativem Terrain! Hier und heute Abend ist etwas anderes viel wichtiger: Öffnen wir unsere Ohren für die radikal-faszinierende Kunst von Galina Ustwolskaja!

Peter Iljitsch Tschaikowsky»Es ist Zeit für die Sendung nach Petersburg«, rief im Jahr 1876 allmonatlich ein Diener seinem Dienstherrn zu. Und Letzterer – Peter Iljitsch Tschaikowsky – »setzte sich hin, schrieb das Stück in einem Zuge und sandte es ab. Ungeachtet dieser offensichtlichen

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Oberflächlichkeit bei der Komposition gelang der Zyklus von Klavierkompositionen ausgezeichnet«. In seinem Buch Meine Erinnerungen an Peter Tschaikowsky (1896) schildert Nikolai Kash-kin die Entstehungsumstände von Les Saisons op.  37 bis, eines zwölfteiligen Zyklus, der korrekterweise ›Die Monate des Jahres‹ heißen müsste: Im November 1875 bat der Herausgeber und Ver-leger Nikolaj Marvejevitsch Bernard den Komponisten, für die zwölf Ausgaben seiner Monatszeitschrift Le Nouvelliste im fol-genden Jahr jeweils ein Klavierstück zu komponieren, das die Charakteristik des betreffenden Monats musikalisch nachemp-finden sollte. Jedem der Stücke wurde ein Epigramm eines rus-sischen Dichters beigegeben, die Auswahl der Texte geht wohl auch auf Bernard zurück. »Tschaikowsky«, so berichtet Kashkin weiter, »nahm den Auftrag an und führte ihn mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit aus. Er selbst empfand diese Arbeit als sehr leicht, unbedeutend, und damit er den vereinbarten Termin für die Abgabe der Stücke nicht versäumt, erteilte er seinem Diener den Auftrag…« … das Ende der Geschichte hörten wir bereits!

Seinen Abonnenten bot der Verleger nach Ablauf des Jahres 1876 einen Sammeldruck als Treueprämie an. Dieser Band enthielt nochmals alle zwölf Kompositionen Tschaikowskys. Eigenmäch-tig versah Bernard die Edition mit dem Titel Die Jahreszeiten und mit der Opuszahl 37. Erst 1885 erwarb Tschaikowskys Hauptverle-ger Peter Iwanowitsch Jurgenson die Rechte an dem Klavierzyk-lus, veröffentlichte ihn ebenfalls unter dem »Jahreszeiten«-Titel und korrigierte die Opuszahl zu 37bis, da in Jurgensons Zählung die Klaviersonate G-Dur mittlerweile die Opuszahl 37 erhalten hatte.

Uns, die wir mit Tschaikowskys Orchester- und Ballettmusiken und vielleicht mit der einen oder anderen seiner Opernarien ver-traut sind, eröffnet sich ein ungewohntes Bild: das eines Meisters der »Pièces charactéristiques«. Melodischer Charme und eine der kleinen Form völlig angemessene Erfindungsgabe sprechen aus allen zwölf Stücken, mögen sie nun – der Jahreszeit entspre-chend – eher fröhlich oder melancholisch gestimmt sein. Dass diese Charakterstücke nicht mitteleuropäischer Provenienz ent-stammen, spüren wir übrigens deutlich, denn so mancher die-ser zwölf russischen Monate ist von Stimmungen und Bildern

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durchzogen, die uns entweder gar nicht oder – aus klimatischen Gründen – zeitversetzt in den Sinn kommen mögen:

Im Kaminidyll des Januar und in der fröhlichen Karnevalspolka des Februar finden wir uns noch wieder, doch schon der fol-gende traurige Gesang der Lerche entspricht nicht unbedingt unseren März-Gefühlen. Und dann? … g-Moll, ein einsames Schneeglöckchen, das Gedicht spricht von »letzten Tränen« – ein sehr russischer April! Auch vom Heineschen Wonnemonat Mai ist bei Tschaikowsky wenig zu spüren. Vielmehr bahnt sich hier die »Maienkühle, die nun aus Eis und Wintersturm entstand« all-mählich ihren Weg. Der Juni erscheint in Form einer wehmütigen Barkarole, in dessen Mitte kurz einmal einige Sonnenstrahlen aufscheinen. Sommerliche Empfindungen kommen erst auf im Lied des Schnitters, der unter der Juli-Sonne seine Arbeit ver-richtet. Und schon im August wird die Ernte eingebracht – wirk-lich fröhlich klingt dieses h-Moll-Scherzo nicht! Der Septem-ber ist die Zeit der Jagd. Dem Schmettern der Hörner folgt im Oktober ein Klang-Bild, das ohne weiteres auf den rheinischen November übertragbar wäre: ein Andante doloroso überschrie-bener trüb-elegischer Gesang in d-Moll, der am Ende (Vortrags-bezeichnung pppp!) ins Nichts zergeht. In Tolstois Epigramm heißt es: »Unserm Garten raubt der Herbst gold’ner Blätter Zier«. Danach scheint in Russland Schluss zu sein mit Traurigkeit, denn der November wartet auf mit einer gemütlichen Troika-Fahrt (im Schnee, wie wir vermuten dürfen), und der Dezember lässt nicht etwa weihnachtliche Glocken erschallen (das orthodoxe Weih-nachtsfest findet eh erst im Januar statt, und der Originaltitel des Stücks, Swjatki, bedeutet mitnichten Dezember, sondern Weih-nachtszeit). Vielmehr präsentiert er sich als »évocation de ballet« im Walzertakt. Im Gedicht wird erinnert an den Brauch der Mäd-chen, in dieser vorweihnachtlichen Zeit den linken Schuh über das Zauntor zu werfen. Zeigte die Schuhspitze dann in Richtung Tor, blieb das Mädchen noch ein weiteres Jahr zu Hause, andern-falls stand baldige Heirat auf dem Programm!

Gerhard Anders

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WEITERHÖREN

Einsamkeit des Rhapsoden – Diskographische Anmerkungen

zu Liszts Klavierwerken

An Liszt scheiden sich die Geister. Die Einen rühmen seine Fülle an Kniffligkeiten, seinen Hang zum Überbordenden, die Ande-ren warnen vor seiner Sentimentalität, vor falscher Monumen-talität. Es gibt Pianisten, die Liszts Musik kategorisch meiden, und solche, die behaupten: Wer Liszt nicht im Repertoire habe, sei kein rechter Pianist. Oft wird Liszt auf seine Attacken, seinen Schwung, seine reißerischen Effekte reduziert. Doch es gibt auch den anderen Liszt, den zurückgenommenen, vorsichtigen, kar-gen – nicht erst im Spätwerk mit entsagenden und zugleich vor-impressionistischen Werken wie Nuages gris oder Trauergondel.

Den Spagat zwischen musikalischer Erzählung und religiöser Berufung hat Liszt in nur wenigen Kompositionen festgehalten, vor allem in seinem Christus-Oratorium und der Bénédiction de Dieu dans la solitude, aber auch in den beiden Franziskus-Legen-den. Während die zweite, Franz von Paola gewidmet, mit Mar-chant sur les flots betitelt ist, schildet das von Franz von Assisi inspirierte Werk dessen berühmte Vogel-Predigt, kein Werk für Klavier-Donnerer, eher für Poeten. Wilhelm Kempff, wahr-lich nicht des Titanismus verdächtig, hat eine vergleichsweise schmale Liszt-Diskographie hinterlassen, darunter aber befin-den sich diese beiden Legenden (DG). Das Problem des Assisi-Stückes sind die vielen Triller und Tremoli, bei denen jeder Pia-nist Gefahr läuft, dass sie schematisch klingen. Doch Liszt gibt immer wieder Spielanweisungen wie »dolce graziosamente«. Diese Art von Grazie bringt Kempff mit, teilweise an der Grenze zum Zerbrechlich-Scheinenden. Er versucht diese Musik von jedem Verdacht des Geschmäcklerischen zu befreien. Wenn das Choral-artige, Parsifal-vorwegnehmende Thema im Mittelteil erklingt, deutet er das geheimnisvoll und doch mit der nötigen Entschlossenheit.

Es gibt, verglichen mit anderen Liszt-Werken, nicht viele Pia-nisten, die sich dieser Musik angenommen haben. Pierre-Lau-rent Aimard (DG) und Arcadi Volodos (Sony) haben in jüngster

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Vergangenheit zwei fabelhafte Einspielungen vorgelegt, Aimard mit einer Mischung aus Diskretion und Transparenz, Volodos mehr auf farblichen Zauber setzend. Beide Pianisten haben (auf dem jeweils selben Album) auch das Vallée d’Obermann aus dem ersten Band der Années de pèlerinage festgehalten. Aimard lässt sich hier auffallend mehr Zeit als Volodos, der jedoch um einiges zarter, leiser beginnt, versunken aus einer anderen Welt grüßend, um kurz vor Ende in eine horowitzartige Elektrisiertheit zu fallen: So eruptiv hat man den Schluss wohl nie gehört. Bei Aimard ent-stehen Geheimnisse erst auf der Basis von Klarheit und Direkt-heit im Klang, bei Volodos bilden sie das Fundament.

Gerade rund um das Liszt-Jahr 2011 sind mehrere Neu-Aufnah-men der Années de pèlerinage erschienen, u. a. mit Louis Lortie (Chandos), der das Vallée im rüstigen Schritt durcheilt (er ist um fast drei Minuten eher am Ziel als Aimard) und mit Ragna Schir-mer (Berlin classics), die im Vorfeld dieser Aufnahme Liszts ehe-maliger Wanderroute in Richtung Italien gefolgt ist: »Ich sitze in den Alpen und schaue«, erzählt sie im Beiheft. »Jedes Tal erzählt mir eine Geschichte. Es sind ja gerade die Täler, die Tiefen, die der Musik ihren Ausdruck geben.« Wobei die Inspiration für die-ses Stück ein Buch war: Senancours Roman Obermann, in der Schweiz vollendet – für Liszt der Band, der »stets mein Leid betäubt«. Von der Sinnsuche, die im ersten vorangestellten Motto angedeutet wird, enthält Liszts Musik einiges: Rezitativisches, pralle Akkordfolgen, orchestrale Anlage, Einsamkeitstöne.

Michael Korstick hat das 2008 in seiner Einspielung auf sehr plastische Weise und mit einer ungeheuren dynamischen Spannkraft eingefangen (cpo). Das Resignative der Romanvor-lage, die geballten emotionalen Kontraste und Schwankungen, der Umgang mit der ›idée fixe‹ – bei Korstick hat dieses Stück nichts Äußerliches, keine Dekoration, nur Essenz.

Einen markant eigenen Weg in seinen Liszt-Deutungen wählte der kubanisch-amerikanische Pianist Jorge Bolet, dessen Geburtstag sich im kommenden November zum hundertsten Mal jährt. Auf dem im Diskant wunderbar singenden Bechstein-Flügel hat er in den 80er Jahren die Années aufgenommen (Decca), ohne jeden Anspruch auf vordergründige Virtuosität.

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Bolets Liszt-Spiel mag vielleicht für Freunde des Impulsiven und alles Feuerkopfartigen als betulich gelten, doch sein singender Ansatz, seine diskrete Intensität, die Überlegenheit der Gestal-tung und die natürliche Einbindung des Rhapsodischen machen diese Aufnahme nicht nur für Liebhaber wertvoll.

Alfred Brendel und Lazar Berman, Stephen Hough und Nicho-las Angelich, Gerome Rose und Jenö Jando, außerdem weniger bekannte Pianisten wie Dratva, Gorous oder Sheppard haben die Années de pèlerinage komplett aufgenommen und damit auch das Obermann-Stück. Vladimir Horowitz hat es einzeln 1966 in der Carnegie Hall festgehalten (Sony), ebenso wie Claudio Arrau (Decca) und der hierzulande wenig bekannte Roger Muraro 2010 (Decca). Die Bearbeitung für Klaviertrio ist u. a. in einer muster-gültigen Einspielung mit dem Trio Wanderer erhältlich (harmonia mundi).

Christoph Vratz

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BIOGRAPHIE

Elena BashkirovaDie Pianistin Elena Bashkirova wurde in Moskau geboren und studierte am Tschaikowsky-Konservatorium in der Meisterklasse ihres Vaters, des berühm-ten Pianisten und Musikpädagogen Dimitrij Bashkirov.

Elena Bashkirova setzt sich mit dem klassisch-romantischen Repertoire eben so wie mit der Musik des 20. Jahr-hunderts auseinander und ist regelmä-ßig zu Gast bei namenhaften Orchestern wie den Hamburger Philharmonikern, dem Sinfonieorchester des NDR, dem Gürze-nich-Orchester Köln, dem Deutschen Sinfonie-Orchester Berlin und dem Konzerthausorchester Berlin, dem Orchestre de Paris, dem Mozarteum Orchester Salzburg, dem Spanischen National-orchester, dem Gulbenkian Foundation Orchestra und dem Chi-cago Symphony Orchestra. Ihre Partner am Dirigentenpult waren u. a. Sergiu Celibidache, Pierre Boulez, Rafael Frühbeck de Bur-gos, Semyon Bychkov, Michael Gielen, Christoph Eschenbach, Christoph von Dohnányi und Ivor Bolton. Zudem ist Elena Bash-kirova ein gern gesehener und regelmäßiger Gast bei internati-onalen Festivals, wie beispielsweise beim Klavier-Festival Ruhr und beim Verbier Festival.

Eine besonders wichtige Rolle in ihrem künstlerischen Schaf-fen spielt die Kammermusik. So konzertiert sie in verschiedenen Kammermusikformationen und ist in den führenden Konzert-häusern zu hören. Als Liedbegleiterin arbeitet Elena Bashkirova u. a. mit Partnern wie Anna Netrebko und Robert Holl zusammen. 1998 hat Elena Bashkirova das International Jerusalem Chamber Music Festival ins Leben gerufen. Als künsterische Leiterin gestal-tet sie ein alljährlich im September stattfindendes Kammermu-sikereignis mit international bekannten Künstlern. Nach über zehn Jahren seines Bestehens hat sich dieses Festival zu einem festen Bestandteil des kulturellen Lebens in Israel entwickelt. Seit 2012 findet alljährlich im April auch im jüdischen Museum Ber-lin ein »Schwesterfestival« statt, welches mit großem Zuspruch

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und Begeisterung angenommen wurde. Durch Gastspiele des Jerusalem Chamber Music Festival Ensembles bei renommier-ten Kammermusikreihen u. a. in Berlin, Paris, London, Salzburg, Wien, Luxemburg, Lissabon, Budapest, New York und Chicago sowie bei internationalen Sommerfestivals wie dem Lucerne Fes-tival, dem Rheingau Musik Festival, dem Kissinger Sommer, dem Stresa Festival, dem George Enescu Festival in Bukarest, dem Beethovenfest Bonn und dem Schleswig-Holstein Musik Festival wurde das Festival auch über die Grenzen Israels hinaus bekannt.

In der Kölner Philharmonie war Elena Bashkirova zuletzt im März vergangenen Jahres zu Gast.

Montag07.04.2014

20:00

Foto

: Kl

aus

Rudo

lph

koelner-philharmonie.de 0221 280 280

Grigory Sokolov

spielt Chopin

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KÖlNMUsIK-VORscHAU

Februar

DO 2020:00

Midori Violine

Radio Filharmonisch OrkestPeter Eötvös Dirigent

Zoltán KodályTänze aus Galánta

Peter EötvösDoReMi Konzert für Violine und Orchester Nr. 2

György LigetiMelodien für Orchester

Béla BartókKonzert für Orchester Sz 116

extra mit Deutschlandfunk 3 Philharmonie für Einsteiger 4

SO 2311:00

für Kinder ab 6

Mitglieder der Kammerakademie PotsdamPeter Rainer Leitung, Moderation

Richard Strauss / Brett DeanTill Eulenspiegels lustige Streiche op.28 TrV 171

Gefördert durch das Kuratorium KölnMusik e. V.

Kinder-Abo 3

Mi05März20:00

Leif Ove Andsnes Klavier

Ludwig van Beethoven Sonate für Klavier Nr. 11 B-Dur op. 22 (1799/1800)

Sonate für Klavier Nr. 28 A-Dur op. 101 (1815 – 1816/17)

6 Variationen F-Dur über ein eigenes Thema op. 34 (1802) für Klavier

Sonate für Klavier Nr. 23 f-Moll op. 57 (1804 – 05) »Appassionata«

19:00 Einführung in das Konzert

Piano 6

IHR NäcHsTEs ABONNEMENT-KONZERT

Es gilt als Ehre, zumindest als Gastdirigent einmal am Pult des 120 Musiker zählenden Königlichen Concertgebouworchester Amsterdam zu stehen, das trotz seiner Größe einen fast kammermusikalischen Klang erzeugen kann. Der vielseitige, als Dirigent preisgekrönte und von UNICEF für sein ökologisches und humanitäres Engagement zum »Goodwill Ambassador« ernannte Myung-Whun Chung kommt nach 2008 zum zweiten Mal mit den ausdrucksstarken Niederländern nach Köln.

Samstag 8. März 2014

20:00

Ludwig van BeethovenSinfonie Nr. 2 D-Dur op. 36

Hector BerliozSymphonie fantastique op. 14

Episoden aus dem Leben eines Künstlers

Königliches Concertgebouworchester AmsterdamMyung-Whun Chung

Dirigent

Foto: Jean-François Leclercq

Redaktion: Sebastian LoelgenCorporate Design: hauser lacour kommunikationsgestaltung GmbHTextnachweis: Die Texte vonGerhard Anders und Christoph Vratzsind Original beiträge für dieses Heft.Fotonachweise: Monika Rittershaus S. 16

Gesamtherstellung: adHOC Printproduktion GmbH

Kulturpartner der Kölner Philharmonie

Philharmonie-Hotline 0221 280 280 koelner- philharmonie.deInformationen & Tickets zu allen Konzerten in der Kölner Philharmonie!

Herausgeber: KölnMusik GmbHLouwrens LangevoortIntendant der Kölner Philharmonie und Geschäftsführer der KölnMusik GmbHPostfach 102163, 50461 Köln koelner- philharmonie.de

Mittwoch05.03.2014

20:0019:00 Einführung in das Konzert

durch Christoph Vratz

Foto

: Özg

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19:00 Einführung

koelner-philharmonie.de 0221 280 280

Leif Ove Andsnes

spielt Beethoven