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15 ELIZABETH WILSON Gigant des Cellos Slawa im Cellokasten seines Vaters, 1927

eliZaBeth wilson Gigant - konzerthaus.de · 16 17 EIn junGEr Mann, dEr wEnIG SChläFt mstislaw „slawa“ rostropowitsch wurde am 27. märz 1927 in Baku in eine musikerfamilie geboren

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e l i Z a B e t h w i l s o n

Gigant des

Cellos

slawa im cellokasten seines Vaters, 1927

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EIn junGEr Mann, dEr wEnIG SChläFt

mstislaw „slawa“ rostropowitsch wurde am 27. märz 1927 in Baku in eine musikerfamilie geboren. die mutter, sofia nikolajewna, war pianistin und begleitete oft Vater leo-pold, der nicht nur ein bekannter cellist, sondern darüber hinaus Komponist sowie selbst ein ausgezeichneter pianist war. 1931 zog die Familie nach moskau, damit slawa und seine ältere schwester Veronika eine ordentliche musi-kalische ausbildung erhielten. der Junge war acht Jahre alt, als sein Vater mit dem Unterricht begann. eigentlich ein später anfang, aber er machte rasch Fortschritte und führte 13-jährig bereits saint-saëns’ a-moll-Konzert mit orchester auf. Zu Kriegsbeginn wurde die Familie aus moskau evakuiert. im Juli 1942 erschütterte der plötzliche tod des Vaters die Familie, und der 15-jährige slawa übernahm die finanzielle Verantwortung für mutter und schwester, indem er unter anderem dessen stelle als cellolehrer ausfüllte. im Früh-

jahr 1943 kehrte slawa nach moskau zurück und schrieb sich am Konservatorium für cello und Komposition ein. der nach seinem Vater zweite (und letzte) cellolehrer seines lebens wurde sein onkel semyon Kozolupov, einer der besten professoren des landes.

Von besonders prägendem einfluss waren aber der Kom-positionsunterricht wissarion schebalins und die Klasse in orchestrierung bei dmitri schostakowitsch. ein paar Jahre

später sollte er auch in engem Kontakt zu sergej prokof-jew stehen, den er als musikalischen Vater und lehrer betrachtet hat. dieser direkte austausch mit bedeutenden Komponisten prägte ihn sehr und trug stark dazu bei, seinen geschmack und sein Verständnis für musik heraus-zubilden.

Um so viel lernpensum und parties wie möglich in be-grenzter Zeit unterzubringen, bildete bereits der student slawa die lebenslange angewohnheit heraus, jede nacht nur zwischen drei und vier stunden zu schlafen. „warum schlafen“, meinte er. „es wird in der nächsten welt mehr als genug Zeit sein, sich auszuruhen“. „sonnenblume“ nannten ihn so seine studienfreunde, wegen seiner strah-lenden persönlichkeit und der Vorliebe für alles Unerwar-tete und Komische. statt in fünf beendete er sein studium in drei Jahren und gewann 1945 im alter von 18 Jahren den höchst prestigeträchtigen allunions-wettbewerb. schon hier zeigte er sein Faible für Zeitgenössisches: Für das Finale hatte er ein gerade erst fertiggestelltes werk von nikolai mjaskowski gewählt. die Jury war nicht begeis-tert, mitstreiter meinten, das unbekannte werk würde „das gehirn der Jurymitglieder benebeln“. in der Finalrunde manipulierte angeblich sogar jemand die noten des diri-genten, das orchester musste im chaos beinahe aufhören zu spielen. es war der Juryvorsitzende schostakowitsch, der sich mit ganzer autorität für den sieg des überragen-den Kandidaten einsetzte.

EInE KarrIErE nIMMt Fahrt auF

schon als ganz junger mann stürzte sich rostropowitsch also auf werke neuer musik. 1946 sprang er für den ur-sprünglichen widmungsträger des langen, vielschichtigen cellokonzertes reinhold glières im Uraufführungskonzert ein. er erarbeitete das werk in kürzester Zeit und beein-

druckte den selbst am pult stehenden Komponisten so sehr, dass er seine widmung zugunsten slawas änderte. es sollten noch weit über 100 Zueignungen neu kompo-nierter cello-werke folgen. slawa hob so bald die ihm gewidmete sonate von mjaskowski 1949 aus der taufe, die von prokofjew im Jahr 1950. es war auch prokofjew, der dem jungen cellisten vorschlug, diese Uraufführung doch mit dem jungen pianisten swjatoslaw richter zu spielen, eine Zusammenarbeit, die oft wiederholt werden sollte. schlichtweg legendär wurde das Klaviertrio mit leonid Kogan und emil gilels, das mehr als ein Jahrzehnt im in- und ausland konzertierte.

slawas Karriere nahm also rasch Fahrt auf. es war üblich, dass russische delegationen handverlesener Künstler ins sozialistische ausland reisten – 1950 reiste slawa erstmals in die ddr, um an den Feierlichkeiten rund um den 200. geburtstag Johann sebastian Bachs teilzunehmen. er führte die Bach-suiten in leipzig und später in potsdam auf. auch reisen ins kapitalistische ausland waren in sol-chen delegationen selten, aber doch möglich. 1949 lernte

sonate für Violoncello und Klavier nr. 2 op. 81 von nikolai mjaskowski, widmung des Komponisten: „dem teuren slawa rostropowitsch, einem ausgezeichneten interpreten dieser seiner nicht ganz würdigen musik.“

slawa mit seinen eltern sofia und leopold und seiner schwester Veronika, 1929

die Klasse von semyon Kozolupov in moskau, slawa am cello, 1945

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er so in helsinki Jean sibelius kennen und spielte, nur zwei stunden nachdem er die noten zum ersten mal gesehen hatte, dessen canzonetta auswendig und in anwesenheit des Komponisten im Konzert.

nach stalins tod herrschte vorsichtiges politisches tau-wetter, reisen in den westen wurden plötzlich einfacher möglich und rostropowitsch lernte rasch, raffiniert und geschickt mit dem sowjetischen system der Kulturpolitik umzugehen. 1956 spielte er so das dvořàk-Konzert zum ersten mal in london, er unternahm Konzertreisen durch Frankreich und die Usa, im Jahr darauf folgten tourneen durch australien, Japan und südamerika. wo immer er in den nächsten Jahren auftrat, wurde er gefeiert. nach seinem west-Berlin-debüt 1964 entstand eine lebens- lange Freundschaft mit dem damaligen regierenden Bürgermeister willy Brandt, und es etablierte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit mit herbert von Karajan und den Berliner philharmonikern.

PrIVat und auF dEM PodIuM

EIn Paar

in einem restaurant in prag trafen sich 1955 rostropo-witsch und die sopranistin des Bolschoi-theaters galina wischnewskaja. nur vier tage danach heirateten sie. ihre ehe sollte 52 glückliche Jahre dauern, die töchter olga (*1956) und elena (*1958) hervorbringen und erst mit slawas tod enden. Zum Zeitpunkt der hochzeit hatten sie sich beide noch nicht auf der Bühne erlebt – doch auch beruflich entwickelte sich rasch eine enge partnerschaft: als erstklassiger pianist begleitete slawa ihre liederaben-de und als dirigent teilte er mit ihr sternstunden der opern-geschichte, darunter 1979 ihre maßgebliche interpretation von schostakowitschs „lady macbeth von mzensk“.

ProFESSor roStroPowItSCh

Früh erwarb sich rostropowitsch den ruf eines inspirie-renden, originellen lehrers. ihn interessierte vor allem die künstlerische herangehensweise, ohne natürlich die tech-nik zu vernachlässigen. ganz plötzlich konnte er einen schüler unterbrechen und von ihm verlangen, tonleitern und akkordbrechungen mit ungeheuer komplizierten strichkombinationen zu spielen. normalerweise kam er ohne cello und erklärte alles vom Klavier aus, weil er nicht „papageienhaft“ kopiert werden wollte. außerdem sollte man schließlich das gesamte werk und nicht nur den cellopart verinnerlicht haben. seine studenten lernten, dass es bei ihrer Übezeit auf Qualität, nicht Quantität an-kam, sie sollten sich eine reihe konkreter Ziele setzen, um voranzukommen, oft musste man über nacht vollkommen neues repertoire lernen. er erwartete von seinen studen-ten schlichtweg das, was er selbst tagtäglich praktizierte.

1961 erreichte er als dekan der „Fakultät für Violoncel-lo und Kontrabass“ des moskauer Konservatoriums die oberste sprosse der akademischen Karriereleiter. diese position nützte er, um Unterricht wie studienrepertoire zu modernisieren, er erdachte neue Konzepte wie cello-ensembles und auch den „cello-club“, ein Format, das er aus den Usa in die sowjetunion übertrug. ich erinnere mich an ein spektakuläres Konzert in leningrad 1966, bei dem slawa im prächtigen saal der leningrader philhar-monie 100 celli dirigierte – Jacqueline du pré teilte er während der probe eines neuen werks von salmanow für cello-orchester und schlagwerk die pauke zu!

er sorgte dafür, dass die bei der ersten ausrichtung fehlende Kategorie cello beim zweiten tschaikowsky-wettbewerb 1962 eingeführt wurde. die gewinner des ersten preises kamen zunächst sämtlich aus seiner Klasse – natalia schakowskaja (1962), Karine georgian (1966) und david geringas (1970). nach Verlassen der sowjetunion 1974 nahm er nie wieder eine offizielle professur an, gab jedoch weltweit zahllose meisterkurse.

EIn nEuES ZEItaltEr Für daS CEllo

Zeitlebens war mstislaw rostropowitsch der ausbau des repertoires für sein instrument ungeheuer wichtig. ihm ist zu verdanken, dass sich sowohl die technischen als auch die ausdrucksmöglichkeiten des cellos stark erweiter-ten. in enger Zusammenarbeit mit Komponisten setzte er sich vehement für neue werke ein. angeregt von slawas spiel, begann prokofjew 1950, sein cellokonzert nr. 1 zu überarbeiten. während dieses mehrjährigen prozesses lebte rostropowitsch im sommer mit auf der datsche des Komponisten, bekam jeden neuen einfall umgehend gezeigt, wurde in technischen Fragen zu rate gezogen und sogar aufgefordert, selbst eine passage für den ers-ten satz zu schreiben: „als prokofjew die wenigen takte sah, die ich geschrieben hatte, radierte er nur eine oder

zwei noten weg und ersetzte sie. diese kleine änderung verlieh der passage erstaunliche Brillanz und ich fragte mich, warum ich nicht selbst auf diese Version gekommen war.“ prokofjews Überarbeitungen fielen schließlich derart fundamental aus, dass die neue Version in cellokonzert nr. 2 oder sinfonia concertante umbenannt und rostropo-witsch gewidmet wurde.

1957 begann slawa, mieczysław weinbergs schönes cel-lokonzert aufzuführen, das voller modulationen steckt, die ihren Ursprung in jüdischer musik haben. es folgten die neuen sonaten für cello und Klavier von Juri lewitin und Boris tschaikowsky sowie Juri schaporins serie fünf wir-kungsvoller stücke. Um diese Zeit trafen neue Kompositi-onen bereits regelmäßig und zahlreich bei rostropowitsch ein. im herbst 1961 konzipierte er in moskau eine Konzert-reihe, die komplett neuen werken sowjetischer Komponis-ten gewidmet war, darunter sonaten und stücke für cello und Klavier von weinberg, wissarion schebalin, nikolai rakow und lev Knipper. in den frühen 1960ern kamen sonaten von dmitri Kabalewski und aram chatschaturjan dazu. weitere wichtige werke für cello und orchester, die selbstverständlich alle slawa gewidmet waren, wurden im folgenden Jahrzehnt von Knipper, Jewgeni golubew, Boris tschaikowsky, arno Babadjanian, chatschaturjan und Boris tischtschenko geschrieben. sein lieblingsstück war wohl Boris tschaikowskys stilistisch sehr vielgestaltiges experimentelles Konzert, dessen glänzende theatralik ihm ausnehmend gut gefiel. slawa am Klavier, 1966

slawa und sergej prokofjew in prokofjews apartement in moskau, 1952

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Slawa VolKStüMlICh

die meisten slawa gewidmeten stücke waren weder unmittelbar zugänglich noch entsprachen sie dem ge-schmack großer publikumskreise. mit seinem stammpia-nisten alexander dedjukin entwickelte er auch Konzert-programme aus beliebten stücken und transkriptionen für cello. er ermutigte Komponisten nicht nur dazu, pointier-te, kurze werke zu schreiben, sondern transkribierte und bearbeitete zusätzlich selbst für sein instrument, darunter zum Beispiel prokofjews marsch aus der oper „die liebe zu den drei orangen“ und den walzer aus „cinderella“. Um das cello einem völlig neuen publikum vorzustellen, gründete slawa in den 1950er Jahren außerdem ein „meisterkünstler“-ensemble mit der Besetzung cello, akkordeon, gesang und einem schauspieler. die truppe unternahm tourneen durch die entlegensten gebiete der sowjetunion, schiffte sich auf dem Jenissei ein, um sibiri-en zu bereisen, spielte in Flugzeughangars, auf lastwagen in der altai-steppe, ja sogar auf einem eisbrecher in der arktis oder im sozialistischen Bruderland Kuba. man kann slawa also durchaus nachsagen, er habe die mahnung der Kommunistischen partei ernst genommen, „die Kunst zum Volk zu bringen“.

dEr IdEalE IntErPrEt.SChoStaKowItSCh

und BrIttEn

nicht jedes für rostropowitsch geschriebene werk fand dauerhaft den weg in sein repertoire. indem er jedoch im alleingang weltweit für prokofjews sinfonia concertante, die schostakowitsch-Konzerte, Brittens cello symphony oder witold lutosławskis Konzert warb, ist ihm zu verdan-ken, dass sie heute auf den Konzertbühnen fest etabliert sind.

slawa war der ideale interpret komplexer neuartiger werke. er lernte schnell – auch schnell auswendig – und verschrieb sich voll und ganz der Vision des Komponisten. prokofjew konstatierte bei ihm eine „tiefe identifikation mit dem Kern jedes stücks“ und schostakowitsch bezeich-nete ihn sogar als seinen „co-autor“. auf ein werk dieses Komponisten musste rostropowitsch allerdings viele Jahre warten. als er in der Zeitung „sowjetskaja Kultura“ las, schostakowitsch habe ein cellokonzert beendet, saß er wie auf glühenden Kohlen, bis dessen einladung eintraf, sich in leningrad die noten anzusehen. am 2. august 1959 bekamen sein pianist und er die partitur. rostropo-witsch übte drei tage lang acht bis zehn stunden, dann hatte er das werk gemeistert und spielte es auswendig für schostakowitsch und seine Familie auf deren datsche in Komarowo. der Komponist war überwältigt von slawas interpretation und dessen unmittelbarem tiefem Verständ-nis seiner musik.

nach der premiere in leningrad nahm er das werk be-geistert mit in die Vereinigten staaten. in london hörte ihn damit im Jahr darauf Benjamin Britten, mit dem er sich traf, um über die Komposition einer cellosonate zu sprechen. Britten schrieb dieses werk, sie wurde 1961 bei Brittens aldeburgh Festival uraufgeführt, mit dem Kom-ponisten selbst am Klavier. damit begannen eine wichtige künstlerische partnerschaft und eine enge Freundschaft, fünf wichtige werke sollte Benjamin Britten insgesamt für seinen Freund schreiben. Beide teilten einen schuljun-genhaften humor, kommuniziert wurde auf „aldeburgh-deutsch“, einer Kunstsprache, die für deutschsprachige fast unverständlich war.

slawa liebte jedenfalls alles am aldeburgh-Festival und wurde dadurch angeregt, in gorki (nichni nowgorod) das erste musikfestival der sowjetunion zu schaffen. nach Brittens tod kaufte er sogar ein haus in aldeburgh und wurde für einige Jahre teil der Künstlerischen leitung des Festivals. 1963 schrieb Britten für ihn seine cello sym-phony, außerdem zwischen 1966 und 1971 drei natürlich ebenfalls slawa gewidmete suiten für solo-cello. die entstehungsgeschichte dieser suiten zeugt vom humor und vom Verhandlungsgeschick des cellisten: Britten erwischte slawa bei seltsam anmutenden turnübungen. auf die Frage, was er hier mache, meinte slawa, er wolle beim 1964 anstehenden Besuch bei prinzessin mary, der tochter von König george V., auf die Knie fallen und ihr die hände zu küssen. dafür übte er. Britten gab sich ent-setzt und behauptete, dies werde einen diplomatischen skandal auslösen. rostropowitsch verhandelte schwer mit „Benusjenka“ und ließ sich, so behauptete er jedenfalls, nur mit einer besonderen gegenleistung von dem Vorha-ben abbringen. auf der rückseite einer speisekarte wurde also ein Vertrag auf „aldeburgh-deutsch“ aufgesetzt: „andstadt main Knixen, für princess mary, B.B, schreibt drei vershidene werke vor cello.” Britten hielt sein wort, auch wenn slawa später zugab, dass er, als er realisierte, was für eine würdevolle dame die prinzessin war, sowieso nie vor ihr „geknixt“ hätte.

dmitri schostakowitsch und mstislaw rostropowitsch in london, 1960

mstislaw rostropowitsch, galina wischnewskaja, peter pears und Benjamin Britten, aldeburgh 1961

dmitri schostakowitsch, cellokonzert nr. 1 es-dur op. 107: „gewidmet mstislaw leopoldowitsch rostropowitsch, Konzert für Violoncello und orchester“

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Zur gleichen Zeit komponierte schostakowitsch nun 1966 nicht nur das cellokonzert nr. 2, das sich so sehr von seinem Vorgängerkonzert unterscheidet, sondern auch werke für die liederabende, bei denen rostropowitsch seine Frau galina immer öfter als pianist begleitete.

im Jahr darauf entsprach der Komponist so mit den sie- ben romanzen nach gedichten von alexander Blok sla- was wunsch nach einigen Vokalisen für stimme und cello und widmete sie galina wischnewskaja, die natürlich die premiere sang.

Lutosławski und dutIllEux

1970 schrieben witold lutosławski und henri dutilleux zwei bedeutende, höchst eigenständige cellokonzerte, die die spielmöglichkeiten des instruments in ganz neue richtungen ausweiteten. lutosławski forderte viele neue techniken, darunter die Verwendung von Vierteltönen im grundlegenden themenmaterial, für deren Finger-satznotierung rostropowitsch ein genialisches system entwickelte, das heute noch in den ausgaben mit abge-druckt wird. in diesem Konzert erscheint der cellist wie die hauptfigur einer wilden, impulsiv vorangetriebenen abenteuergeschichte. das cello schlüpft in viele rollen, ist tiefgründig, edel oder ein verzogenes Kind, das aus Frust mit den Fäusten trommelt, verströmt pathos und seufzt dann wieder wehmütig. lutosławski verlangte für jede stimmung eine andere art des spiels – perkussiv,

aggressiv, humorvoll oder unisono wehklagend mit der gesamten cellogruppe. galina wischnewskaja las aus diesem werk die abenteuer eines don Quijote des späten 20. Jahrhunderts, während slawa es als erzählung seiner persönlichen Konfliktgeschichte mit der sowjetmacht betrachtete. lutosławski stand dieser deutung positiv gegenüber, erklärte aber, das Konzert nicht mit einem realistisch-bildlichen Konzept vor augen komponiert zu haben.

im gegensatz dazu war henri dutilleux’ Konzert „tout un monde lointain“ eine poetische Beschwörung unter-schiedlicher seelenzustände, die sich aus der verfeinerten Klangwelt der dichtung Baudelaires ableitete. die als titel der einzelnen sätze dienenden Verse sind der schlüssel zum werk, die rolle des cellos ist die eines in die wunder-volle Farbpalette des orchesters eingebetteten Klang-malers.

noCh MEhr nEuE CEllolItEratur

in der sowjetunion wurden neue werke vom staat in auftrag gegeben und bezahlt. aufträge an westliche Komponisten waren ausgeschlossen, da devisen viel zu wertvoll waren, um sie an die Kultur zu verschwenden. im westen dagegen zahlten meist die orchester selbst für Kompositionsaufträge. in absprache mit rostropowitsch vergab allein das london symphony orchestra etwa ein dutzend aufträge für cellokonzerte an Komponisten wie

alun hoddinott, James macmillan, colin matthews oder robert saxton. Zum 70. geburtstag von paul sacher im Jahr 1976 bat slawa die berühmtesten avantgarde-Kom-ponisten, werke für solo-cello unter Verwendung eines musikalischen monogramms des schweizer dirigenten zu schreiben. die Buchstaben <e>s – a – c – h – e – r<e> existierten praktischerweise alle als noten, entweder in der deutschen oder der solfeggio-notation. lutosławski, dutilleux, Krzysztof penderecki, heinz holliger, luciano Berio, Klaus huber, cristóbal halffter und alberto ginas-tera steuerten „sacher-Variationen“ bei. in ihrer großen stilistischen Vielfalt nutzen sie die ungeheuren möglich-keiten des cellos und sind heute fester Bestandteil von solo-Konzerten, werden jedoch nur selten gemeinsam aufgeführt. dutilleux erweiterte seinen Beitrag später zu „3 strophes sur le nom de sacher”, für die er eine interes-sante scordatura wählte, die herabstimmung der beiden tiefsten saiten des cellos um einen ganz- bzw. einen halbton.

erst nach Zusammenbruch der sowjetunion konnte ros-tropowitsch, der seit 1974 als staatenloser im westlichen exil leben sollte, wieder Kontakt zu den besten Komponis-ten seiner heimat aufnehmen. Bereits 1987 hatte er alfred schnittke geschrieben, dass er, gerade 60 geworden, nicht wisse, wie lange er noch in der Verfassung sei, cello zu spielen: „Bitte setze mich ganz oben auf deine liste.“ schnittke widmete ihm daraufhin mehrere werke, darun-ter sein cellokonzert nr. 2 sowie seine zweite sonate, mit der er angeblich ein musikalisches porträt slawas schuf, was dieser „mein streben nach licht“ nannte.

ich kann nicht alle nennen, möchte aber unbedingt noch einen ehemaligen cello-schüler rostropowitschs, den Komponisten alexander Knaifel erwähnen, der für ihn 1993 „Kapitel acht“ für chöre und Violoncello schrieb. das cello nimmt darin eine meditative haltung ein und singt eine himmlische melodie, die sich hoch über das sum-men der menschlichen stimmen emporschwingt. sofia gubaidulinas „sonnengesang“ für cello, schlagwerk und chor nach Versen des heiligen Franz von assisi mit seinen zahlreichen originellen Klangkombinationen fordert vom cellisten sogar die Beherrschung des perkussionsinstru-ments Flexaton. Und rodion schtschedrins cellokonzert „sotto Voce“ nutzte 1994 slawas so einzigartige Fähigkeit, auf dem cello zu flüstern – in vielen schattierungen von „piano“ bis zu vierfachem „pianissimo“ und noch weiter.

roStroPowItSCh In unGnadE

ab den späten 1960er Jahren wurde es für das sowjet-regime immer schwieriger, die an einfluss gewinnenden intellektuellen dissidenten zu ignorieren oder sie mundtot zu machen, indem es jene Freiheiten beschnitt, die ihnen während der tauwetterjahre zugestanden worden waren. in dieser atmosphäre war es unvermeidlich, dass rostro-powitschs politisches und soziales Bewusstsein wuchs. am 21. august 1968, als die westlichen abendnachrichten den sowjetischen einmarsch in die tschechoslowakei meldeten, spielte er mit einem russischen orchester bei den BBc proms. Vor und in der royal albert hall machten die demonstranten ihrem Unmut lautstark luft und verhin-derten beinahe das Konzert. rostropowitsch aber hätte das publikum selbst dann gewonnen, wenn er auf einem panzer in den saal gerollt wäre, mutmaßte ein Kritiker an-schließend. rostropowitsch spielte, tränen strömten über sein gesicht und es wurde eines der emotionalsten Kon-zerte seines lebens, auf das donnernder applaus folgte – die Kunst, nicht die politik hatte an diesem tag gewonnen. slawa jedoch erlebte das ganze als zutiefst erniedrigend, nicht zuletzt, weil die Ursache eine politische aktion war, die er stillschweigend dulden musste, da ihm als sowjet-bürger schlichtweg kein recht eingeräumt wurde, stel-lung zu beziehen. in Kombination mit den vielen kleineren schwierigkeiten, denen er als sowjetischer Künstler über die Jahre regelmäßig ausgesetzt war, sorgte dieser Vorfall dafür, dass er seine ansichten radikal änderte.

rostropowitsch hatte im selben Jahr den bekannten rus-sischen schriftsteller alexander solschenizyn kennenge-lernt. er war beim regime in Ungnade gefallen, jede mög-lichkeit, seinen lebensunterhalt zu verdienen, war ihm entzogen, er musste vollkommen mittellos und schwer erkrankt den winter in einer ungeheizten sommerdatsche verbringen. als slawa davon erfuhr, bot er ihm ohne zu zögern eine kleine wohnung in seiner eigenen datsche

der „Vertrag“ zwischen Benjamin Britten und mstislaw rostropowitsch, 1964

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als geeignetes winterquartier an. solschenizyn nahm dankbar an. Um seine Familie zu schützen, berichtete rostropowitsch seinen töchtern, dass „onkel sanya“ ein befreundeter mathematiklehrer wäre, der über den winter bei ihnen wohnen würde. noch heute erzählen die mäd-chen, wie sie schon befürchteten, mit mathematischen Übungen gequält zu werden. doch die lage war ernst. als die Kulturministerin von dem gast erfuhr, verlangte sie von slawa und galina, ihn sofort vor die türe zu setzen. slawa aber antwortete: „Finden sie ihm eine beheizbare Unterkunft in moskau, und er wird von selbst gehen. ein guter gastgeber würde bei diesem Frost keinen hund vor die tür jagen, ganz zu schweigen von einem menschen.“

1970 wurde dem schriftsteller der nobelpreis zugespro-chen. solschenizyn entschloss sich, ihn anzunehmen. aus angst, später nicht mehr ins land gelassen zu werden, reiste er nicht persönlich zur Verleihung nach schweden, sondern ließ seine rede dort verlesen – die angst war begründet, die sowjetpresse lancierte eine üble Kampag-ne gegen ihn. ausländische medien versuchten hingegen ständig, rostropowitsch zu solschenizyn zu befragen. als sowjetbürger war es ihm nicht gestattet, sich hierzu zu äußern, aber er realisierte, dass er nun nicht länger schweigen konnte. rostropowitsch schrieb, in absprache mit galina, einen offenen Brief an vier der wichtigsten sowjetischen Zeitungen, in dem er auf die Kampagne von 1948 gegen den Formalismus, auf die hetze der medien gegen prokofjew und schostakowitsch Bezug nahm. die Briefe blieben ohne jegliche rückmeldung. als er aller-dings kurz darauf auf Konzertreise im österreichischen Bregenz ankam, erwarteten ihn schon zahlreiche Journa-listen und Fernsehteams, der Brief war, wie es scheint, an die westpresse gespielt worden. damit konnte die sowje-tische obrigkeit slawa künftig weder ignorieren, noch ihm seine „provokationen“ verzeihen. die strafe würde folgen, soviel war sicher.

als er im dezember 1970 in die sowjetunion zurückkam, stand anlässlich von Beethovens 200. geburtstag das tripelkonzert mit oistrach und richter auf dem programm.

das regime fürchtete eine öffentliche Unterstützungs-welle für den Künstler und verlangte von den beiden triokollegen, slawa zu ersetzen und zu behaupten, dass er krankheitsbedingt nicht auftreten könne. Überflüssig zu sagen, dass sie ablehnten. ein Konzert wurde abgesagt, das zweite jedoch fand wie geplant mit ihm statt. ich war dabei und kann die außergewöhnliche atmosphäre, die enorme spannung und die unglaublichen ovationen am ende bezeugen, die diesmal nicht nur der musik, sondern auch rostropowitschs mutigem Verhalten galten.

während der nächsten dreieinhalb Jahre wurde sein leben zunehmend schwierig. ihm zu untersagen, Kon-zerte zu spielen, und ihn damit seiner künstlerischen ausdrucksmöglichkeiten zu berauben, war sadistisch und fraglos eine sehr viel effektivere strafe als das gefängnis. anfangs durfte er noch innerhalb der sowjetunion auftre-ten, doch bald wurde er auch von den Konzertbühnen der großen städte verbannt. auftritte und aufnahmen wurden willkürlich ohne erklärung abgesagt, zunehmend fand er sich als solist bei kleinen provinzorchestern wieder. galina behielt ihre stelle als primadonna am Bolschoi, doch sämtliche Konzerte und aufnahmen gemeinsam mit slawa wurden ebenfalls gestrichen.

als im april 1974 wieder eine gemeinsame aufnahme von puccinis „tosca“ mit ihm am pult einfach abgesagt wurde, reichte es beiden. sie beantragten bei Breschnew schrift-lich eine zweijährige Beurlaubung, um mit der Familie wie-der ins ausland reisen zu können. sie waren überrascht, dass die erlaubnis mit geradezu unanständiger geschwin-digkeit von höchster regierungsebene erteilt wurde. statt diesen genialen, wenn auch eindeutig schwierigen Künstler im land zu behalten, schienen die sowjetführer nur allzu froh, ihn loszuwerden!

nEuES lEBEn, nEuES CEllo,

nEuE ZIElE

im mai 1974 gab slawa ein letztes, höchst emotionales Konzert in moskau, er dirigierte ein studentenorchester, solist war sein schüler ivan monighetti, in den abschluss-jubel mischten sich rufe wie „geh nicht!“. aber noch im selben monat traf er mit zwei celli, nur einem Koffer und einem riesengroßen neufundländer in london ein. galina und die töchter folgten nach ende des schuljahrs. es war ein neuanfang, für den sich rostropowitsch eine reihe an Zielen setzte, die er mit aller Kraft verfolgte. enorm viel energie investierte er in seine dirigenten-laufbahn: „die vier saiten des cellos reichen mir nicht mehr, ich möchte ein instrument mit hunderten saiten!” genau das fand er in den vielen spitzenorchestern, die er im laufe seines lebens noch dirigieren sollte.

es war ihm aber ebenfalls außerordentlich wichtig, den Kanon seines instruments mit selbstgewählten orchestern und dirigenten auf seinem großartigen, gerade erwor-benen stradivari-cello „duport“ von 1711 aufzunehmen.

aristokratisch elegant und mit leuchtend rot-goldenem lack, in allen registern sehr ausgeglichen und mit einer wunderbar hell klingenden a-saite, schien es das ideale instrument für ihn. in seinem letzten lebensjahrzehnt sollte er jedoch zu seiner alten liebe zurückkehren, einem dunkler lackierten, weit tragenden instrument des cremo-neser meisters lorenzo storioni, das er bereits in den 1960er Jahre erworben hatte. was den beinahe ebenso wichtigen Bogen anging, so schätzte er schwere, gut ausbalancierte Bögen mit starker spitze. sein bevorzugter Bogenbauer war der russe nikolai Kittel (1805 – 1868).

slawa und galina glaubten, bald wieder in die sowjetuni-on zurückkehren zu können. als sie 1978 gerade ihre pässe verlängern lassen wollten, erfuhren sie allerdings aus dem Fernsehen von ihrer ausbürgerung. aus geplanten zwei Jahren des auslandsaufenthalts wurden also sechzehn Jahre des exils. erst jetzt kauften sie eine wohnung in pa-ris, außerdem hatten sie wohnsitze in london, lausanne, new York und Finnland. rostropowitschs Freundin Fürstin grace von monaco versorgte sie mit neuen reisedoku-menten, worin auf seinen wunsch als nationalität „unbe-stimmt“ angegeben war.

im exil fühlte sich rostropowitsch selbst immer enger der russischen Kultur verbunden. Unzählige aufführungen und aufnahmen russischen repertoires, von tschaikowsky über mussorgsky und prokofjew, zeugen davon. Bei seiner abreise hatte slawa schostakowitsch versprochen, nicht nur alle seine sinfonien, sondern auch die originalversion seiner oper „lady macbeth of mzensk“ von 1932 aufzu-nehmen. er hielt sein wort. 1977 wurde rostropowitsch chefdirigent des national symphony orchestra in wa-shington, eine position, die er bis 1994 innehatte. was für ein geheimer triumph, nun ausgerechnet am politischen gegenpol der welt zu moskau zu arbeiten!

im selben Jahr rief er den rostropowitsch-wettbewerb ins leben, der zuerst als wettbewerb für zeitgenössische musik in la rochelle begann. Unter den Komponisten, die für den wettbwerb schrieben, waren pierre Boulez („mes-

ankunft im exil, „daily mail“, 27. mai 1974

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sagesquises“ für 7 cellisten) und iannis Xenakis („Kottos“ für cello solo). seit 1981 wird der wettbewerb, nun offen für das gesamte repertoire, alle vier Jahre in paris ausge-tragen und zählt heute zu den wichtigsten wettbewerben für Violoncello. ein weiteres herzensprojekt war die auf-nahme aller sechs cello-suiten von Bach. wie zuvor pablo casals fühlte sich aber auch slawa erst mit über 60 Jahren bereit für diese aufgabe. Um seine künstlerische Unab-hängigkeit zu wahren und nicht dem geschmack einer produktionsfirma ausgeliefert zu sein, entschied er sich, das projekt 1991 selbst zu finanzieren. selbst wenn er die suiten in einem öffentlichen Konzert spielte, hatten sie für ihn den stellenwert einer persönlichen meditation, bei der das publikum ihn in seiner „künstlerischen einsamkeit belauschen“ konnte. als aufnahmeort wählte er also die grandiose Basilika ste. marie-madeleine in Véselay, heute existiert eine aufnahme der suiten, ergänzt durch seine gesprochenen Kommentare. Zwei Jahre später wurde er gründungsmitglied und aktiver schirmherr der bis heute blühenden Kronberg academy, die das hessische städtchen in seinen worten zur „welthauptstadt des cellos“ machte.

MauErFall und dIE trIuMPhalE rüCKKEhr naCh

ruSSland

schon 1987 lud michael gorbatschow rostropowitsch ein, nach russland zurückzukehren, doch der cellist bestand darauf, diesen Besuch in seiner eigenschaft als chefdi-rigent des national symphony orchestra zu machen. im Februar 1990 trat er also mit seinem nso und einem teils amerikanischen, teils russischen programm in moskau und st. petersburg auf – die beiden hälften seines lebens fanden endlich zusammen. diese erste russlandtournee war ein rauschender erfolg. galina und slawa wurden an Flughäfen von menschenmengen mit Blumen und will-kommensplakaten begrüßt, viele baten sie um Vergebung. die emotionale intensität seiner Konzerte mit dem nso ist unvergesslich, endlich konnte das russische publikum wieder seine einzigartige stimme hören.

wenige monate zuvor, im november 1989, hatte der Fall der mauer schon unglaubliche symbolische Kraft für slawa rostropowitsch. Kaum hatte er davon gehört, rief er aus einem impuls einen Freund mit privatflugzeug an und bat, samt cello von paris nach Berlin geflogen zu werden. nahe des checkpoint charlie setzte er sich also vor die mauer, eine micky maus lächelte aus einem der vielen graffitis auf ihn herab. slawa spielte aus den solo-suiten von Bach. Unter diesen kruden Umständen brachte er jene musik als privates dankesgebet zum Klingen, die er fast 40 Jahre zuvor auf dem höhepunkt des Kalten Krie-ges während seines ersten Besuchs in ostdeutschland gespielt hatte.

Von der Bedrohung der russischen demokratie durch den putsch 1991 erfuhr slawa in einem anruf. ohne seiner Fa-milie etwas zu sagen, ohne Visum oder einladung nahm er einfach den nächsten Flug nach moskau, schwadronierte sich durch die passkontrollen und begab sich sofort zum belagerten weißen haus, um Boris Jelzin seine Unter-stützung anzubieten. Um die welt ging ein Foto, auf dem er die waffe seines persönlichen wachmanns hält, eines jungen Kerls in trainingsanzug und turnschuhen, während der an seiner schulter ein nickerchen machte. später ge-stand slawa, dass weder er noch der wachmann wussten, wie man schießt. er kam als held nach paris zurück. dort musste er sich allerdings einer wütenden galina stellen, die ihm schlichtweg den Kopf abreißen wollte, weil er ohne absprache mit ihr ein solches risiko eingegangen war.

nach und nach begannen die beiden wieder mehr Zeit in russland zu verbringen, bezogen auch ihre alte wohnung und ihre datsche wieder. angesichts der schwierigen slawa in moskau, 21. august 1991

wirtschaftlichen lage des landes widmeten sie sich nun verstärkt humanitären Zielen. die 1991 gegründete wisch-newskaja-rostropowitsch-stiftung setzt sich bis heute für die gesundheitsversorgung von Kindern ein, beispielswei-se mit impfkampagnen gegen hepatitis oder masern. eine weitere stiftung sorgt sich um den musikalischen nach-wuchs, sie unterstützt junge musiker mit stipendien und auftrittsmöglichkeiten.

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sein leben lang hat rostropowitsch mit Begeisterung schöne dinge und antiquitäten gesammelt und sich Überraschungsgeschenke für seine geliebte galina ausge-dacht. seine meistgeschätzten Besitztümer jedoch waren notenmanuskripte, darunter prokofjews sinfonia concer-tante, schostakowitschs erstes cellokonzert und Brittens cellosonate. dieser sammlung fügte er weitere wertvolle handschriften von tschaikowsky, mussorgsky, schosta-kowitsch und anderen hinzu, die er hauptsächlich bei auktionen im exil ersteigerte. in st. petersburg gründete er 2002 sein persönliches archiv, das alles sammeln und dokumentieren sollte, was man mit seinen künstlerischen tätigkeiten verband.

Für seine musik, sein humanitäres engagement und sein lebenswerk wurde rostropowitsch zahllose male in aller welt mit den höchsten preisen, orden und ehrungen ausgezeichnet, darunter ehrendoktorwürden der Univer-sitäten cambridge und oxford, harvard, princeton, Yale und tübingen. er war unter anderem mitglied der ameri-can academy of arts and sciences, der royal academy of music in london, der Königlich schwedischen musik-akademie und der Bayerischen akademie der schönen Künste. als er unter die auf lebenszeit berufenen „Vierzig Unsterblichen“ der académie Française aufgenommen wurde, hielt er seine antrittsrede darüber, dass es auf Französisch männlich le violoncelle hieße. die russen hätten das instrument besser verstanden, meinte er, denn bei ihnen sei violonchel weiblich!

am 20. Juni 2005 spielte rostropowitsch 78-jährig in wien sein letztes Konzert als instrumentalist – natürlich musste neben dem dvořàk-Konzert eine Uraufführung auf dem programm stehen, nämlich das „largo“ für cello und orchester von penderecki. als dirigent trat er weiterhin auf. im Juni 2006 unterzog er sich in genf einer langen, schwierigen Krebsoperation, was ihn nicht davon abhielt, im september das Festkonzert zu schostakowitschs 100.

das nso und slawa auf dem roten platz in moskau, 26. september 1993

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Elizabeth Wilson, geboren in London, war von 1964 bis 1971 Schülerin von Mstislaw Rostropowitsch in Moskau. Sie tritt als Cellistin mit zahlreichen namhaf-ten Ensembles in der ganzen Welt auf, sie unterrichtet und präsentiert in Radiosendungen oder Konzerten von ihr zusammengestellte Programme mit russi-schen Werken. Neben der musikalischen Karriere widmet sie sich dem Schreiben. Sie verfasste eine vielbeachtete Biographie über Dmitri Schostakowitsch und ein Buch über Jacqueline du Pré. Ihr Buch „Mstislav Rostropovich: Cellist, Teacher, Legend“ erschien 2007 bei Faber. In der Hommage an „Slawa“ Rostropowitsch erinnert sich Elizabeth Wilson am 17. November 2017 in dem Vortrag „Der Lehrer Mstislaw Rostropowitsch“ an ihre Arbeit mit Slawa.

mstislaw rostropowitsch und elizabeth wilson nach ihrem debüt beim harrogate Festival, 1968

geburtstag in moskau zu dirigieren. anfang 2007 ging es ihm schlechter. einen monat nach seinem 80. geburtstag, der offiziell groß begangen wurde, starb er am 27. april friedlich in einer Klinik der russischen hauptstadt. sein grab auf dem dortigen nowedewitschy-Friedhof liegt zwischen zahlreichen berühmten Vorgängern, Freunden und Kollegen, darunter prokofjew, schostakowitsch und schnittke.

galina mit slawa im großen saal des moskauer Konservatoriums, 1962

slawa, galina und tochter olga zu hause in moskau, 1959

mstislaw rostropowitsch und dmitri schostakowitsch, 1968

slawa, emil gilels und leonid Kogan beim schachspiel, 1959

slawa spielt seiner Familie vor, 1959