2
Schwerpunkt 31 A m Anfang war das Feuer. Seit der Mensch gelernt hat, Energiequellen zu nutzen, gab es für die Entwicklung der Menschheit kein Halten mehr. Doch erst mit der Dampfmaschine ließ sich mechanische Energie na- hezu unabhängig von Ort und Zeit bereitstellen. Sie markiert daher den Beginn der industriellen Revo- lution und gleichzeitig den Beginn eines ständig steigenden Energie- bedarfs des Menschen. Heute gehört die Energieversor- gung zu den zentralen Infrastruk- turaufgaben eines Landes – ohne Energie gibt es keine Industrie- produktion, Energie verleiht Mobi- lität und erleichtert das Leben. In Deutschland verbrauchen wir heute pro Kopf nahezu das 50fache des menschlichen Eigenbedarfs (2500 kcal = 10 467 kJ = 2,908 kWh) an Primärenergie, US-Amerikaner - sogar etwa das 100fache. Mit dem Aufbau einer stabilen und leistungsfähigen Energieversor- gung haben die Industrienationen die Basis für ihren hohen Lebens- standard geschaffen. Doch vor al- lem das Verbrennen der fossilen Brennstoffe Öl, Kohle und Gas ließ die CO 2 -Konzentration in der At- mosphäre von 1750 bis heute um 31 % ansteigen. Inzwischen ist die Konzentration der so genannten Treibhausgase wie CO 2 in der At- mosphäre so hoch, dass sich die Erde dadurch – nach vorherrschen- der wissenschaftlicher Meinung – bereits erwärmt hat. Zugleich sind die Vorräte an fossilen Brennstoffen endlich und gehen irgendwann zu Neige. Wie lässt sich unter diesen Randbedingungen der zukünftige Energiebedarf der Menschheit sinn- voll decken? Diese Frage wendet sich auch und besonders an Physiker, die in mehrfacher Hinsicht zu ihrer Be- antwortung beitragen können: Ers- tens gilt es Energie zu sparen, vor allem im Wohn- und Gebäudebe- reich sowie bei industriellen Pro- zessen. Zweitens muss die Effizienz gesteigert werden, hauptsächlich bei Energie-Umwandlungstechni- ken. Und drittens sind neue Ener- gietechnologien zu entwickeln. Die Experten sind sich darin einig, dass wir derzeit auf keine der Optionen verzichten können und dass sowohl fossile und erneuerbare Energien als auch Kern- und Fusionsenergie weiterentwickelt werden müssen. Das vorliegende Schwerpunkt- heft „Energie“ beleuchtet die Ener- giefrage aus Sicht der Physik und spannt den Bogen von der Kern- energie über Photovoltaik, Gebäu- detechnologien, Kernfusion und Kraft-Wärme-Kopplung bis hin zur CO 2 -Reduktion. Angesichts des komplexen Themas und seiner zahlreichen unterschiedlichen As- pekte war eine Auswahl unumgäng- lich. Themen wie Windenergie oder Brennstoffzellen, zu denen Physiker ebenfalls wichtige Beiträge leisten, konnten daher nicht aufgegriffen werden. Energie für die Zukunft Physiker sind maßgeblich daran beteiligt, neue Technologien zur Energieversorgung und zur Energieeffizienz zu entwickeln Physikalische Blätter 57 (2001) Nr. 11 0031-9279/01/1111-31 $17.50+50/0 © WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 2001 Nach Einschätzungen der Shell-Studie wird der Weltenergiebedarf in den näch- sten 50 Jahren auf das Dreifache an- wachsen und der Anteil der fossilen Brennstoffe bis über das Jahr 2020 hin- aus weiter ansteigen. Mit zunehmender Wirtschaftlichkeit werden jedoch er- neuerbare Energien weltweit eine immer wichtigere Rolle spielen. (1 Exajoule = 10 18 J; Quelle: Deutsche Shell AG)

Energie für die Zukunft: Physiker sind maßgeblich daran beteiligt, neue Technologien zur Energieversorgung und zur Energieeffizienz zu entwickeln

  • Upload
    die

  • View
    212

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Energie für die Zukunft: Physiker sind maßgeblich daran beteiligt, neue Technologien zur Energieversorgung und zur Energieeffizienz zu entwickeln

Schwerpunkt

31

Am Anfang war das Feuer. Seit der Mensch gelernt hat,Energiequellen zu nutzen,

gab es für die Entwicklung derMenschheit kein Halten mehr.Doch erst mit der Dampfmaschineließ sich mechanische Energie na-hezu unabhängig von Ort und Zeitbereitstellen. Sie markiert daherden Beginn der industriellen Revo-lution und gleichzeitig den Beginneines ständig steigenden Energie-bedarfs des Menschen.

Heute gehört die Energieversor-gung zu den zentralen Infrastruk-turaufgaben eines Landes – ohneEnergie gibt es keine Industrie-produktion, Energie verleiht Mobi-lität und erleichtert das Leben. InDeutschland verbrauchen wir heutepro Kopf nahezu das 50fache desmenschlichen Eigenbedarfs (2500kcal = 10 467 kJ = 2,908 kWh) anPrimärenergie, US-Amerikaner -sogar etwa das 100fache.

Mit dem Aufbau einer stabilenund leistungsfähigen Energieversor-gung haben die Industrienationendie Basis für ihren hohen Lebens-standard geschaffen. Doch vor al-lem das Verbrennen der fossilenBrennstoffe Öl, Kohle und Gas ließdie CO2-Konzentration in der At-mosphäre von 1750 bis heute um

31 % ansteigen. Inzwischen ist dieKonzentration der so genanntenTreibhausgase wie CO2 in der At-mosphäre so hoch, dass sich dieErde dadurch – nach vorherrschen-der wissenschaftlicher Meinung –bereits erwärmt hat. Zugleich sinddie Vorräte an fossilen Brennstoffenendlich und gehen irgendwann zuNeige. Wie lässt sich unter diesenRandbedingungen der zukünftigeEnergiebedarf der Menschheit sinn-voll decken?

Diese Frage wendet sich auchund besonders an Physiker, die inmehrfacher Hinsicht zu ihrer Be-antwortung beitragen können: Ers-tens gilt es Energie zu sparen, vorallem im Wohn- und Gebäudebe-reich sowie bei industriellen Pro-zessen. Zweitens muss die Effizienzgesteigert werden, hauptsächlichbei Energie-Umwandlungstechni-ken. Und drittens sind neue Ener-gietechnologien zu entwickeln. DieExperten sind sich darin einig, dasswir derzeit auf keine der Optionenverzichten können und dass sowohlfossile und erneuerbare Energienals auch Kern- und Fusionsenergieweiterentwickelt werden müssen.

Das vorliegende Schwerpunkt-heft „Energie“ beleuchtet die Ener-giefrage aus Sicht der Physik und

spannt den Bogen von der Kern-energie über Photovoltaik, Gebäu-detechnologien, Kernfusion undKraft-Wärme-Kopplung bis hin zurCO2-Reduktion. Angesichts deskomplexen Themas und seinerzahlreichen unterschiedlichen As-pekte war eine Auswahl unumgäng-lich. Themen wie Windenergie oderBrennstoffzellen, zu denen Physikerebenfalls wichtige Beiträge leisten,konnten daher nicht aufgegriffenwerden.

Energie für die ZukunftPhysiker sind maßgeblich daran beteiligt, neue Technologien zur Energieversorgungund zur Energieeffizienz zu entwickeln

Physikalische Blätter57 (2001) Nr. 110031-9279/01/1111-31$17.50+50/0© WILEY-VCH Verlag GmbH,D-69451 Weinheim, 2001

Nach Einschätzungen der Shell-Studiewird der Weltenergiebedarf in den näch-sten 50 Jahren auf das Dreifache an-wachsen und der Anteil der fossilenBrennstoffe bis über das Jahr 2020 hin-aus weiter ansteigen. Mit zunehmenderWirtschaftlichkeit werden jedoch er-neuerbare Energien weltweit eine immerwichtigere Rolle spielen. (1 Exajoule =1018 J; Quelle: Deutsche Shell AG)

Page 2: Energie für die Zukunft: Physiker sind maßgeblich daran beteiligt, neue Technologien zur Energieversorgung und zur Energieeffizienz zu entwickeln

Physikalische Blätter57 (2001) Nr. 1132

Schwerpunkt

Noch Anfang der 70er Jahre ver-brauchte die Industrie in Deutsch-land rund 40 % der Energie. Heutedagegen macht ihr Anteil nur noch26 % aus. Doch das Potenzial istnoch nicht ausgeschöpft. Im Mei-nungsbeitrag auf Seite drei ruftEberhard Jochem die Natur- undIngenieurwissenschaften auf, dieEffizienz der Energie- und Mate-rialnutzung weiter zu steigern.

Die Bundesregierung hat denAtomausstieg Deutschlands bis2020 beschlossen. Trotzdem odergerade deswegen stellt Kurt Kugelerdie Frage: „Gibt es den katastro-phenfreien Kernreaktor?“ Kugelerist sich sicher, dass die Bedeutungder Kernenergie weltweit wiederzunehmen wird, wenn die CO2-Emissionen ernsthaft reduziertwerden sollen und die langfristig zu erwartende Verteuerung undErschöpfung der fossilen Rohstoffebedacht wird. Er stellt einen Hoch-temperaturreaktor mit kugelförmi-gen graphitischen Brennelementenvor, bei dem eine Kernschmelze in-härent ausgeschlossen ist.

Eine noch relativ junge Energie-quelle ist die Photovoltaik – dieUmwandlung der Sonnenenergie inelektrischen Strom. Erst mit denÖlkrisen der 70er Jahre begann dieintensive Verbesserung des Kosten/Nutzen-Verhältnisses. Seither istdie weltweite Jahresproduktion umdas hundertfache gestiegen und diePreise sind um einen Faktor drei bisvier gefallen, wie Martha Lux-Stei-ner und Gerhard Willeke in ihremBeitrag zur Photovoltaik ausführen.

Dass man Wohn- und Büroge-bäude äußerst intelligent mit Ener-gie versorgen kann, vor allem durchSonnenenergie, zeigen Joachim Lu-ther, Volker Wittwer und KarstenVoss. Sinnvolle Energiestrategienmüssen vor allem die Gebäude be-rücksichtigen, so die Aussage derAutoren. 30 Prozent unseres derzei-tigen Energiebedarfs entsteht dort,und zwar hauptsächlich in den pri-vaten Haushalten. Schon heute gibtes „Nullemissionshäuser“, die aufsJahr gerechnet mehr Energie produ-zieren als verbrauchen.

Hans-Stephan Bosch und Alex-ander Bradshaw diskutieren inihrem Artikel die Kernfusion alsEnergiequelle der Zukunft. Ähnlichdem Prozess in der Sonne soll ineinem Fusionsreaktor durch dieVerschmelzung von leichten Atom-kernen Energie gewonnen werden.Wenn das geplante GroßexperimentITER die prinzipielle Eignung der

Fusion als Energiequelle bewiesenhat, könnte in rund 25 Jahren mitdem Bau eines Prototyp-Kraftwerksbegonnen werden. Die Vorteile ei-nes Fusionsreaktors wären seinehohe Sicherheit, die fast grenzenlo-sen Brennstoffvorräte, keine Emis-sionen und wenig radioaktiverAbfall.

Welche Vorteile bietet die Kraft-Wärme-Kopplung im Vergleich zurkonventionell getrennten Bereit-stellung von Strom- und Wärme-energie? Alfred Voß erläutert dieTechnik, die Potenziale und dieUmweltwirkungen. Seit einigenMonaten steht die Kraft-Wärme-Kopplung im Zentrum der energie-politischen Diskussion: Die Strom-preise sind spürbar gesunken undgefährden heute schon den wirt-schaftlichen Betrieb einiger Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Dürfenniedrigen Strompreise eine höhereEnergieeffizienz und die Reduktionder CO2-Emissionen verhindern?Hier, meint Voß, sei die Politik ge-fragt.

Peter Markewitz, Dag Martinsenund Gotthard Stein sind auf der Su-che nach effizienten Ansätzen füreine Reduktion der CO2-Emission.Die Autoren zeigen, dass Wissen-schaftler mit Modellen und Daten-banken konsistente Szenariensimulieren können, die der Politikeffiziente Strategien zur CO2-Re-duktion aufzeigen. Die Suche kon-zentriert sich dabei auf Strategien,die ökologische und ökonomischeAnforderungen besonders gut aufeinen Nenner bringen.

Das zuletzt Gesagte gilt für alleAspekte der Energieversorgung: Die Wissenschaft und mit ihr diePhysik kann „nur“ Lösungswegeanbieten. Am Ende wird es stets diePolitik sein, die zunächst über dieForschungspolitik und später direktüber die Energiepolitik die Weichenfür das Energiesystem der Zukunftstellt. Gesellschaft, Gesetze undSteuern bilden Rahmenbedingun-gen, auf die Physiker im Allgemei-nen nur indirekt Einfluss nehmenkönnen.

Die Redaktion