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© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Bautechnik 91 (2014), Heft 8 561 DOI: 10.1002 / bate.201400042 AUFSATZ ARTICLE Eva Viefhues, Frank Wellershoff, Milad Mehdianpour AUFSATZ Energiedissipierende Fassadenverankerung mit Crashmaterial für explosionsbeanspruchte Gebäude 1 Einleitung Bei der Bestimmung der Beanspruchung explosionsbean- spruchter Bauwerke kommt der Fassadenkonstruktion eine große Bedeutung zu: Die außergewöhnlichen, hoch- dynamischen Stoßlasten infolge einer Explosionsdruck- welle treffen auf die Fassade und werden über die Fassa- denelemente in die Fassadenverankerung und weiter in die primäre Tragstruktur des Gebäudes geleitet. Energie- dissipierende Bauteile in den Verankerungspunkten der Fassade können das Schadensausmaß stark vermindern. Sie bauen die zusätzlichen Kräfte aus dem Stoß auf einem alternativen Lastabtragungspfad ab, indem sie die Explosionsenergie gezielt in andere Formen von Energie – zum Beispiel Reibungs- oder Verformungsenergie – um- wandeln. Dies schützt zum einen das primäre Tragwerk vor größeren Schäden. Zum anderen können so auch die Splitterbildung zerberstender Glasflächen und die Be- schleunigung dieser Splitter wesentlich verringert und da- durch Verletzungen von in der Nähe befindlichen Perso- nen reduziert werden. Aufgrund der gleichbleibenden Aktualität ist die Berech- nung explosionsbeanspruchter Bauwerke, insbesondere in Wechselwirkung mit ihren Fassaden, seit einiger Zeit Thema der Forschung. Rechnerische und experimentelle Untersuchungen zu diesem nichtlinearen Problem wer- den beispielsweise in [1 bis 5] besprochen. Die Verwen- dung energiedissipierender Fassadenverankerungen be- einflusst die Fassaden-Bauwerks-Interaktion maßgeblich. Jedoch liegen über das Tragverhalten solcher Schutzbau- teile bisher kaum Informationen vor. Die Erfahrungen be- züglich Konstruktions- und Wirkungsweise beschränken sich auf einige Einzelanwendungen, wie sie zum Beispiel in [5] beschriebenen werden. Die Entwicklung geeigneter Schutzbauteile und die Unter- suchung des Tragverhaltens konkreter Bauteillösungen sind Inhalt des Forschungsprojekts „Bauteile mit hohem Energiedissipationsvermögen als Tragelemente und Schutzvorrichtung bei stoßartiger Beanspruchung“ (BE- NEDISS). In diesem Aufsatz wird daraus eine Veranke- rungskonstruktion für vorgehängte Fassaden beschrieben, die Teile der Explosionsenergie über das Komprimieren eines Crashkörpers dissipiert. Anhand von Versuchen mit unterschiedlichen Crashkörperkonfigurationen werden grundlegende Erkenntnisse über das Kraft-Verformungs- Verhalten der Konstruktion gewonnen. Auf diesen Versu- chen basieren am Schluss des Beitrags vorgestellte Ansätze zur Vordimensionierung der Verankerungskonstruktion. Wenn repräsentative Bauwerke wie Botschaften und Flughä- fen außergewöhnlichen Lasten aus Explosion ausgesetzt sind, dann kann das Ausmaß des zu erwartenden Schadens aus einer solchen Belastung durch den Einsatz von energiedissi- pierenden Schutzbauteilen in der Fassadenverankerung be- grenzt werden. Bisher ist über das Tragverhalten solcher Schutzbauteile wenig bekannt. In diesem Aufsatz werden Kon- struktion und Wirkungsweise einer Verankerung für vorge- hängte Fassaden vorgestellt, die in der Lage sind, einen Teil der Stoßenergie über Verformung eines Crashmaterials zu dissipie- ren. Versuche an einer bauteilähnlichen Konstruktion liefern In- formationen über das Tragverhalten der Fassadenverankerung, insbesondere bei dynamischen Belastungen. Aus den Ergeb- nissen wird ein Konzept für die Vordimensionierung der vorge- stellten Schutzbauteile abgeleitet. Keywords Explosionsbeanspruchung; Energiedissipation; Fassadenverankerung; Schutzbauteil; Crashkörper; Bemessungskonzept Energy dissipating protective component for façade connectors of buildings under impulsive blast loads using crash material In the past few years public awareness of the need to protect structures against blast effects has risen. Blast wave energy is transmitted to the supporting structure by its façade connec- tors. Energy dissipating protective components placed at the connectors allow protecting people in the building as well as the primary building structure from damage. In this paper we present a protective component that dissipates blast energy by crash material. The report explores the system’s fundamentals of operation from an experimental point of view. The results of dynamic tests are the basis of a design concept for the protec- tive components. Keywords blast loads; energy dissipation; façade connector; crash-material; protective component; design guide *) Corresponding author: [email protected] Submitted for review: 21 May 2014 Revised: 20 June 2014 Accepted for publication: 23 June 2014

Energiedissipierende Fassadenverankerung mit Crashmaterial für explosionsbeanspruchte Gebäude

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Page 1: Energiedissipierende Fassadenverankerung mit Crashmaterial für explosionsbeanspruchte Gebäude

© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Bautechnik 91 (2014), Heft 8 561

DOI: 10.1002 / bate.201400042

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Eva Viefhues, Frank Wellershoff, Milad Mehdianpour AUFSATZ

Energiedissipierende Fassadenverankerungmit Crashmaterial für explosionsbeanspruchte Gebäude

1 Einleitung

Bei der Bestimmung der Beanspruchung explosionsbean-spruchter Bauwerke kommt der Fassadenkonstruktioneine große Bedeutung zu: Die außergewöhnlichen, hoch-dynamischen Stoßlasten infolge einer Explosionsdruck-welle treffen auf die Fassade und werden über die Fassa-denelemente in die Fassadenverankerung und weiter indie primäre Tragstruktur des Gebäudes geleitet. Energie-dissipierende Bauteile in den Verankerungspunkten derFassade können das Schadensausmaß stark vermindern.Sie bauen die zusätzlichen Kräfte aus dem Stoß aufeinem alternativen Lastabtragungspfad ab, indem sie dieExplosionsenergie gezielt in andere Formen von Energie– zum Beispiel Reibungs- oder Verformungsenergie – um-wandeln. Dies schützt zum einen das primäre Tragwerkvor größeren Schäden. Zum anderen können so auch dieSplitterbildung zerberstender Glasflächen und die Be-schleunigung dieser Splitter wesentlich verringert und da-durch Verletzungen von in der Nähe befindlichen Perso-nen reduziert werden.

Aufgrund der gleichbleibenden Aktualität ist die Berech-nung explosionsbeanspruchter Bauwerke, insbesonderein Wechselwirkung mit ihren Fassaden, seit einiger ZeitThema der Forschung. Rechnerische und experimentelleUntersuchungen zu diesem nichtlinearen Problem wer-den beispielsweise in [1 bis 5] besprochen. Die Verwen-dung energiedissipierender Fassadenverankerungen be-einflusst die Fassaden-Bauwerks-Interaktion maßgeblich.Jedoch liegen über das Tragverhalten solcher Schutzbau-teile bisher kaum Informationen vor. Die Erfahrungen be-züglich Konstruktions- und Wirkungsweise beschränkensich auf einige Einzelanwendungen, wie sie zum Beispielin [5] beschriebenen werden.

Die Entwicklung geeigneter Schutzbauteile und die Unter-suchung des Tragverhaltens konkreter Bauteillösungensind Inhalt des Forschungsprojekts „Bauteile mit hohemEnergiedissipationsvermögen als Tragelemente undSchutzvorrichtung bei stoßartiger Beanspruchung“ (BE-NEDISS). In diesem Aufsatz wird daraus eine Veranke-rungskonstruktion für vorgehängte Fassaden beschrieben,die Teile der Explosionsenergie über das Komprimiereneines Crashkörpers dissipiert. Anhand von Versuchen mitunterschiedlichen Crashkörperkonfigurationen werdengrundlegende Erkenntnisse über das Kraft-Verformungs-Verhalten der Konstruktion gewonnen. Auf diesen Versu-chen basieren am Schluss des Beitrags vorgestellte Ansätzezur Vordimensionierung der Verankerungskonstruktion.

Wenn repräsentative Bauwerke wie Botschaften und Flughä-fen außergewöhnlichen Lasten aus Explosion ausgesetzt sind,dann kann das Ausmaß des zu erwartenden Schadens auseiner solchen Belastung durch den Einsatz von energiedissi-pierenden Schutzbauteilen in der Fassadenverankerung be-grenzt werden. Bisher ist über das Tragverhalten solcherSchutzbauteile wenig bekannt. In diesem Aufsatz werden Kon-struktion und Wirkungsweise einer Verankerung für vorge-hängte Fassaden vorgestellt, die in der Lage sind, einen Teil derStoßenergie über Verformung eines Crashmaterials zu dissipie-ren. Versuche an einer bauteilähnlichen Konstruktion liefern In-formationen über das Tragverhalten der Fassadenverankerung,insbesondere bei dynamischen Belastungen. Aus den Ergeb-nissen wird ein Konzept für die Vordimensionierung der vorge-stellten Schutzbauteile abgeleitet.

Keywords Explosionsbeanspruchung; Energiedissipation;Fassadenverankerung; Schutzbauteil; Crashkörper; Bemessungskonzept

Energy dissipating protective component for façadeconnectors of buildings under impulsive blast loads usingcrash materialIn the past few years public awareness of the need to protectstructures against blast effects has risen. Blast wave energy istransmitted to the supporting structure by its façade connec-tors. Energy dissipating protective components placed at theconnectors allow protecting people in the building as well asthe primary building structure from damage. In this paper wepresent a protective component that dissipates blast energy bycrash material. The report explores the system’s fundamentalsof operation from an experimental point of view. The results ofdynamic tests are the basis of a design concept for the protec-tive components.

Keywords blast loads; energy dissipation; façade connector; crash-material;protective component; design guide

*) Corresponding author: [email protected] for review: 21 May 2014Revised: 20 June 2014Accepted for publication: 23 June 2014

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E. Viefhues, F. Wellershoff, M. Mehdianpour: Energiedissipierende Fassadenverankerung mit Crashmaterial für explosionsbeanspruchte Gebäude

2 Entwurf der Fassadenverankerung

2.1 Wirkungsprinzip des Schutzbauteils in der Fassade

Bei den neu entwickelten energiedissipierenden Veranke-rungskörpern für Fassadenelemente erfolgt die Energie-dissipation über Verformen und Zerstören einesCrashkörpers. Die Menge der dissipierten Energie ergibtsich als Produkt aus Verformungskraft und Verformungs-weg. Bild 1 zeigt einen möglichen schematischen Verlaufder Kraft in einer solchen Schutzkonstruktion: Nach demAuslösen einer konstruktiven Sicherung bleibt die Kraft,die erforderlich ist, um das Schutzbauteil weiter zu verfor-men, konstant. Der Spitzenwert der Reaktionskraft ausExplosion wirkt dadurch reduziert auf die primäre Trag-struktur ein und die Belastungsdauer verlängert sich ent-sprechend dem Verformungsvorgang. Wenn das Verfor-mungsvermögen des im Schutzbauteil befindlichenCrashkörpers aufgebraucht ist, steigt die Reaktionskraftin dem Maße, in dem Explosionsenergie noch nicht dissi-piert wurde. Da bei einer Explosion auf die Druck- eineSogwelle folgt, ist eine konstruktive Rückschlagsicherungerforderlich, die verhindert, dass sich das Fassadenbauteilnach außen löst. Die Eigengewichtskraft des Fassaden-bauteils muss während des gesamten Vorgangs kontrol-liert in die primäre Tragstruktur eingeleitet werden kön-nen.

Die Bestimmung der Crashkörpergeometrie und die Fest-legung des angestrebten Verformungsweges sind wesentli-che Aspekte der projektspezifischen Feinplanung der Ver-ankerungskörper.

2.2 Material des Crashkörpers

Für die Wahl des Crashmaterials einer energiedissipieren-den Fassadenverankerung ist dessen Plastizierungsgrenzeentscheidend. Sie muss in Abhängigkeit von den auf -tretenden Verankerungskräften und der möglichenCrashkörpergröße gewählt werden. An der HafenCityUniversität Hamburg wurden die zu erwartenden Veran-kerungskräfte in numerischen Berechnungen ermittelt.Die Berechnungen wurden stellvertretend für eine Fassa-de mit Fassadenelementflächen von etwa 5 bis 6 m2

durchgeführt. Die Elemente sind an zwei oberen Punkten

im Tragwerk aus Stahlbeton verankert und werden untenan die bereits verankerten Elemente angeschlossen. DieVerankerungskräfte liegen im Bereich von 60 bis 100 kN,wenn unter Berücksichtigung der Fassaden-Bauwerks-Interak tion eine bestmögliche Schutzfunktion erreichtwerden soll. Für die Berechnung wurden Druckzeitver-läufe angenommen, die aus kleinen Sprengstoffmassen inder Nahdistanz oder aus Autobomben in der Mitteldis-tanz resultieren – entsprechend den Klassen GSA-C/GSA-D oder EXV19/EXV25.

Vorgaben für die Crashkörpergeometrie können aus denPlatzverhältnissen um eine Fassadenverankerung herumabgeleitet werden. Die zulässige Bauteilhöhe orientiertsich mit 4 bis 5 cm am Deckenaufbau einer abgehängtenDecke, wie sie in den meisten Fällen in Verwaltungsge-bäuden ausgeführt ist. Berücksichtigt man, dass die Wir-kungsbreite des Schutzbauteils über den Lastausbrei-tungswinkel auf etwa 20 cm beschränkt ist, so ergibt sicheine angestrebte Plastizierungsgrenze des Crashmaterialsvon etwa 30 N/mm2.

Für die hier vorgestellte Fassadenverankerung wurde aufdas Crashmaterial M6 aus Untersuchungen der Bundes-anstalt für Materialforschung und -prüfung [6] zurückge-griffen. Dabei handelt es sich um ein Material, das spe-ziell für den Einsatz in energiedissipierenden Fassadenentwickelt wurde. Es weist angestrebte Druckfestigkeitauf und lässt sich vor allem kostengünstig herstellen. DasMaterial M6 ist ein gefügedichter Beton mit leichter Ge-steinskörnung, bei dem die Porösität der Matrix durchZugabe eines Gasbildners erhöht wurde.

2.3 Konstruktionsprinzip des Schutzbauteils

Die Untersuchungsergebnisse zum Trag- und Bruchver-halten des gewählten Crashmaterials in [6] definieren An-forderungen an den Entwurf der energiedissipierendenFassadenverankerung:

Der Crashkörper besteht bevorzugt aus mehreren, durchZwischenbleche voneinander getrennten Einzelcrashele-menten, da dies das Nachbruchverhalten des an sichspröden Werkstoffs positiv beeinflusst. Die Kraft fällt auf-grund der Bewehrungswirkung der Zwischenbleche nachErreichen eines Maximums nicht schlagartig ab, sondernkann über einen längeren Verformungsweg auf einemhohen Kraftniveau ohne größere Schwankungen gehal-ten werden.

Der Hauptanteil der Energiedissipation findet bei dem ge-wählten Material im plastischen Nachbruchbereich durchZerstören der Materialstruktur statt. Der elastische Anteilist vernachlässigbar. Es entstehen während des Verfor-mungsvorgangs Materialbruchstücke, die verdrängt wer-den müssen, um einen ausreichenden Stauchweg ohnemaßgebliche Kraftzunahme zu erzielen. Bei dem Bauteil -entwurf ist für die Verdrängung dieser Bruchstücke aus-reichend Platz vorzusehen.

E =

F · w

Verformungsweg wZeit t

Verformungsweg wZeit t

Verformungskra�

Auslösekra�

diss

ip. E

nerg

ie E

Kra�

F

Bild 1 Beispiel für ein idealisiertes Kraft-Verformungs-Verhalten einesSchutzbauteilsExample of idealized force-deflection behavior of the protectivecomponent

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Aus diesen Konstruktionsvorgaben wurde die in Bild 2dargestellte Fassadenverankerung für vorgehängte Fassa-den entwickelt. Der Crashkörper ist durch Stahlzwi-schenbleche in einzelne gedrungene Elemente in Pris-menform unterteilt. Es wird eine Gesamtbauteilhöhe von4 cm festgelegt, die sich aus der Höhe der Prismen undeinem Hohlraum zur Verdrängung von Materialbruchstü-cken des Crashkörpers zusammensetzt.

Soll das Schutzbauteil auch Energie aus der auf die Ex-plosionsdruckwelle folgenden Sogwelle dissipieren, sokönnen zu diesem Zweck in der Fassadenverankerungzwei gegenläufig wirkende Crashkörper vorgesehen wer-den. Da das gewählte Material insbesondere im Nach-bruchbereich Energie dissipiert, wird das Verformungs-vermögen des Materials verbraucht und kann nicht er-neut genutzt werden.

Die genaue Breite und Länge des Crashkörpers hängenvon den projektspezifischen Anforderungen ab. Die fol-genden experimentellen Untersuchungen liefern eineGrundlage, auf der diese Abmessungen in einem konkre-ten Projekt gewählt werden können.

3 Bauteilversuche

3.1 Allgemeines

In drei Versuchsreihen wurden Einflüsse aus Crashkör-pergeometrie (Versuchsreihe S01), Materialfestigkeit(Versuchsreihe S02) und Verformungsgeschwindigkeit(Versuchsreihe S03) auf das Tragverhalten des Schutzbau-teils untersucht. Bild 3 zeigt den Versuchsaufbau und dieAbmessungen der Probekörper. In der Referenzkonfigu-ration besteht der Crashkörper aus n = 5 Einzelprismenmit einer Länge l = 150 mm. Das Crashmaterial weist eineWürfeldruckfestigkeit von fck = 20 N/mm2 auf. Die Versu-che wurden weggeregelt mit einer Geschwindigkeit vonv = 1 m/s durchgeführt. Die Stahlzwischenbleche sind beiallen Versuchen 10 mm stark.

Zu jeder Versuchskonfiguration wurden drei Versuchedurchgeführt. Die Mittelwerte sind im Folgenden darge-stellt. Es wurde jeweils die Kraft über der prozentualen

Stauchung des Crashmaterials (d. h. Verformung/Beton-gesamthöhe) aufgetragen, da sich die Stahlbleche im Ver-gleich zum Crashmaterial starr verhalten und zur Kom-primierung des Crashkörpers nicht beitragen.

Für jede Konfiguration ergibt sich prinzipiell ein ähnli-cher Verlauf (s. Bilder 4, 5, 6): Auf einen Peak am Anfangder Kurve folgt ein mehr oder weniger starker Abfall unddann eine langsame Zunahme der Kraft. Für eine bessereVergleichbarkeit der einzelnen Konfigurationen wurdendie Regressionsgeraden der Versuchskurven vom Peak biszu einer Stauchung von 0,35, ab der in etwa die Kraftüberlinear zunimmt, ermittelt.

3.2 Einfluss der Crashkörpergeometrie – VersuchsreiheS01

In Versuchsreihe S01 wurde der Einfluss der Crashkör-pergeometrie auf das Tragverhalten des Schutzbauteilsuntersucht. Die Crashkörpergeometrie ist definiert durchdie Anzahl n der hintereinandergeschalteten Einzelpris-men und durch deren Länge l. Durch Variation dieser bei-den Parameter (Tab. 1) soll zum einen untersucht werden,ob bei einer großen Anzahl n hintereinandergeschalteterEinzelprismen die Randprismen stärker beansprucht wer-den und so das Kraft-Verformungs-Verhalten des Bauteilsverändert wird. Zum anderen soll durch Verwendung un-terschiedlich langer Einzelprismen (l) der Einfluss ausRandeffekten ermittelt werden.

Bild 4 zeigt die Kraft-Weg-Kurven bei einer Prüfgeschwin-digkeit von 1 m/s und für eine Würfeldruckfestigkeit vonfck = 20 N/mm2, getrennt nach den beiden Untersu-chungsparametern n und l. Ein Effekt aus der Anzahl hin-tereinandergeschalteter Einzelprismen n wird nicht deut-

Bauwerk

Fassade

Pressleiste

Auslösesicherung

Hohlraum

Zwischenblech

Einzelprismen

Bild 2 Schutzbauteil für vorgehängte FassadenProtective component for facades

P PPressleiste

Zwischenblechb x t = 40 x 10 mm

U240zusammengespannt

Lu�spalt, 10 mm

Einzelprismenb x h = 30 x 20 mm

Bild 3 Versuchsaufbau der Bauteilversuchsreihen S01, S02 und S03Test setup for test series S01, S02 and S03

Tab. 1 Parameter der Versuchsreihe S01 (fck = 20 N/mm2, v = 1 m/s)Parameters for test series S01

Parameter Abkür- Ein- Referenz Variantenzung heit wert

Anzahl Prismen n Stk. 5 3 / 8

Länge Prismen l mm 150 50 / 100

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E. Viefhues, F. Wellershoff, M. Mehdianpour: Energiedissipierende Fassadenverankerung mit Crashmaterial für explosionsbeanspruchte Gebäude

lich. Die Länge l der Einzelprismen dagegen beeinflusstdie Verformungskraft erwartungsgemäß sichtbar. DieRandeffekte der Einzelprismen verhindern eine klare Pro-portionalität zwischen Länge und Kraft-Weg-Kurve.

3.3 Einfluss der Materialdruckfestigkeit –Versuchsreihe S02

In Versuchsreihe S02 wurde der Einfluss der Material-druckfestigkeit auf das Gesamtbauteilverhalten unter-sucht. Bei der Herstellung des Materials zeigte sich, dasses auch bei prinzipiell gleicher Ausgangszusammenset-zung zu Abweichungen bei der Druckfestigkeit kommenkann, zum Beispiel bei Verwendung unterschiedlicher Fa-brikate der Zusätze. Wie groß diese Schwankungen seinkönnen, konnte im Zuge der hier vorgestellten Untersu-chungen nicht abschließend bestimmt werden. Stattdes-sen wurden Probekörper aus zwei Materialien mit einerDruckfestigkeit von 20 bzw. 40 N/mm2 hergestellt, dieAufschluss darüber geben sollen, inwieweit sich das Bauteilverhalten generell in Abhängigkeit von der Druck-festigkeit verändert. Die unterschiedlichen Druckfestig-keiten wurden durch Variation der Gasbildnerfabrikateerreicht. Eine klare Proportionalität zwischen Würfel -druckfestigkeit und Bauteilprüfkraft ist nicht zu erwarten,da sich der als Druckfestigkeit eines zementgebundenenMaterials definierte Wert auf den elastischen Bereich be-

zieht. Der Arbeitsbereich des Bauteils erstreckt sich aberweit in den plastischen Nachbruchbereich hinein.

Die Ergebnisse von Versuchen mit einer Versuchsge-schwindigkeit von 1 m/s (l = 150 mm, n = 5 Einzelpris-men) in Bild 5 zeigen, wie die Würfeldruckfestigkeit dieVerformungskraft des Bauteils beeinflusst. Die anfängli-chen Maximalkräfte unterscheiden sich um den gleichenFaktor wie die Druckfestigkeiten. Der weitere Verlauf derKraft-Weg-Kurve ist aber nicht mehr direkt proportionalzur Druckfestigkeit.

3.4 Einfluss der Verformungsgeschwindigkeit –Versuchsreihe S03

Inwiefern die Verformungsgeschwindigkeit Einfluss aufdas Kraft-Verformungs-Verhalten des neu entwickeltenBauteils hat, wurde in Anlehnung an [6] in einer weggere-gelten Versuchsreihe S03 bei unterschiedlichen Prüfge-schwindigkeiten (0,33 mm/s, 1 m/s und 2 m/s) an derKonfiguration l = 150 mm, n = 5 Einzelprismen, fck = 40N/mm2 untersucht. Diese Geschwindigkeiten nähernsich im versuchstechnisch möglichen Bereich der nach [5]definierten maßgeblichen Verformungsgeschwindigkeiteiner explosionsbeanspruchten Fassadenverankerung.

In den Ergebnissen in Bild 6 ist ein leicht versteifendesVerhalten des Bauteils in den dynamischen gegenüberden quasistatischen Versuchen erkennbar. Innerhalb desdynamischen Prüfbereichs (1 m/s und 2 m/s) ist der Ein-fluss aber praktisch nicht mehr messbar.

4 Konzept zur Vordimensionierung des Schutzbauteils

Aus den Kurven der Bauteilversuche wurde in Anleh-nung an das idealisierte Bauteilverhalten aus Bild 1 eineidealisierte Traglastkurve (Bild 7) abgeleitet. Diese wirddurch die Kennpunkte P0, Pmax, P1 und m charakterisiert,die über den bezogenen Stauchweg a = x/hBeton aufgetra-gen sind. Dabei ist x der Prüfkolbenweg bzw. der Verfor-mungsweg an der Fassade.

Die Kurve besteht aus zwei Abschnitten: Im ersten Ab-schnitt treten elastische Verformungen und, je nach Bau-teilkonfiguration, Schlupf auf. Eine genaue Festlegung

0.2

200

100

n = 5 (Ref)n = 8

300

n = 3

0

0.30.1 0.4

l = 150 (Ref)l = 100l = 50

00

200

100

300

Kra�

, kN

Stauchung, -

n = 5fck = 20 N/mm2

v = 1 m/s

l = 150 mmfck = 20 N/mm2

v = 1 m/s

Bild 4 Kraft-Weg-Kurven und Regressionsgerade Versuchsreihe S01, Ein-fluss der CrashkörpergeometrieForce-deflection behavior and regression curve of test series S01

200

100

00

2.0 3.01.0

fck = 20 (Ref)

0.4

fck = 40

Stauchung, -

Kra�

, kN

300

n = 5l = 150 mmv = 1 m/s

Bild 5 Kraft-Weg-Kurven und Regressionsgeraden der Versuchsreihe S02,Einfluss der DruckfestigkeitForce-deflection behavior and regression curve of test series S02

300

200

100

00

v = 0.33 mm/sv = 1000 m/sv = 2000 m/s

Stauchung, -

0.1 0.3

Kra�

, kN

0.2 0.4

n = 5l = 150 mmfck = 40 N/mm2

Bild 6 Kraft-Weg-Kurven und Regressionsgeraden der Versuchsreihe S03,Einfluss der VerformungsgeschwindigkeitForce-deflection behavior and regression curve of test series S03

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des Wertes a0 ist nicht von Bedeutung, da in diesem Be-reich kaum Energie dissipiert wird und der Wert durchdie jeweiligen Einbaubedingungen beeinflusst ist. Ab demWert P0 beginnt die Struktur des Crashkörpers zu versa-gen. Dieser Wert definiert, welche Kräfte aus dem Schutz-bauteil in die Tragstruktur des Gebäudes eingetragen wer-den, bevor die Schutzfunktion aktiviert wird.

Der zweite, lineare Abschnitt von a0 bis amax ist für dieErmittlung der Energiedissipation maßgebend. amax wirdmit 0,35 festgelegt, da frühestens nach 35 % Stauchungmit einem verfestigenden Verhalten zu rechnen ist. DieserGrenzwert wurde aus den Messdaten der Einzelversucheermittelt, aber auch die oben dargestellten gemitteltenVersuchskurven zeigen diese Tendenz. Die Energiedissi-pationsgerade ist durch den Startpunkt P1 und die Stei-gung m definiert.

Je nach gewählter Crashkörpergeometrie kann es dazukommen, dass die Maximalkraft P0 vor Erreichen vonamax noch einmal überschritten wird. Dies erfasst derKurvenparameter Pmax.

Die idealisierte Traglastkurve wird bei der Vorbemessungeines Schutzbauteils über einen Korrekturfaktor λj an dieprojektspezifischen Randbedingungen angepasst. λj er-fasst für jeden Kennpunkt j der Kurve (d.  h. P0, P1, m,Pmax) die Änderung gegenüber den Punkten der Referenz-konfiguration, wenn die einzelnen Parameter verändertwerden. Der Korrekturfaktor λj für jeden dieser Kenn-punkte berechnet sich nach Gl. (1) aus Teilfaktoren, überdie die Einflüsse aus Materialdruckfestigkeit fck undLänge l der Einzelprismen berücksichtigt werden kön-nen. Der Effekt aus der Anzahl n hintereinandergeschal-teter Einzelprismen eines Crashkörpers ist in Bezug aufdie prozentuale Stauchung des Gesamtcrashkörpers ver-nachlässigbar. Die Teilfaktoren werden aus den Diagram-men in Bild 8 abgelesen, die auf Grundlage der Bauteil-versuche entstanden sind.

Die Berechnung der neuen Kennpunkte erfolgt nach denGln. (2) bis (5). Die Referenzwerte wurden aus den Versu-chen mit der Referenzkonfiguration ermittelt. Sie ergebensich zu: P0,Ref = 125 kN; P1,Ref = 80 kN; Pmax,Ref = 220 kN;mRef = 2,7.

λj = λj,Länge · λj,Festigkeit (1)

P0 = P0,Ref · λP0 (2)

P1 = P1,Ref · λP1 (3)

Pmax = Pmax,Ref · λPmax (4)

m = mRef · λm (5)

Inwieweit sich die einzelnen Parameter eventuell auchgegenseitig beeinflussen, kann bisher nicht gesagt wer-den, da bei den Versuchen im Vergleich zur Referenzkon-figuration jeweils nur einer der Parameter geändertwurde. Für den hier vorgestellten Ansatz zur Vorbemes-sung wird davon ausgegangen, dass die Abhängigkeitenzwischen den Parametern vernachlässigbar sind. Ob sichbeispielsweise die Randeffekte in Abhängigkeit von derDruckfestigkeit des Crashmaterials verändern, müssenweiterführende Untersuchungen noch klären.

5 Zusammenfassung und Ausblick

In diesem Aufsatz wurden die Entwicklung einer energie-dissipierenden Fassadenverankerung mit zementgebunde-nem Crashmaterial und Untersuchungen zu deren Trag-verhalten vorgestellt. Versuche haben gezeigt, dass dieRandeffekte aus Geometrie und die Würfeldruckfestigkeitdes Materials einen sichtbaren Einfluss auf das Kraft-Ver-formungs-Verhalten des Bauteils haben, der aber nicht di-rekt proportional ist. Wie viele Einzelprismen in einemCrashkörper hintereinandergeschaltet werden, wirkt sichhingegen bezogen auf die Gesamthöhe des Crashkörpersnicht aus. Auf Grundlage der Bauteilversuche wurdenidealisierte Traglastkurven und dazugehörige Nomogram-me entwickelt, die erlauben, das Schutzbauteil an die pro-jektspezifischen Anforderungen anzupassen.

Weitere Untersuchungen müssen eine Grundlage für sta-tistische Auswertungen schaffen und genauere Informa-tionen über Abhängigkeiten zwischen den einzelnen un-tersuchten Bauteilparametern liefern.

Die Forschungsarbeiten, die zu den vorgestellten Ergeb-nissen geführt haben, wurden vom Bundesministeriumfür Wirtschaft und Energie gefördert.

P1

a0 amax a, -

Pmax

mP0

P, kN

Bild 7 Idealisierte Traglastkurve des Schutzbauteils als BemessungshilfeIdealized load-bearing graph of the protective component

1,2

0,9

50 100 200

0,6

0,3

00 150

2,5

2,0

1,0

0,5

1,5

0 15 30 45 60

Druckfes�gkeit fck, N/mm2

P0

lam

bda

j Ei

nflus

sfak

tor

Läng

e l

Länge l, mm

m

Ref

P1

Pmax

lam

bda

jEi

nflus

sfak

tor

Dru

ckfe

s�gk

eit f

ck

Ref

P0

P1

Pmax

m

Bild 8 Diagramme zur Ermittlung des Korrekturfaktors λDiagram for determination of λ

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E. Viefhues, F. Wellershoff, M. Mehdianpour: Energiedissipierende Fassadenverankerung mit Crashmaterial für explosionsbeanspruchte Gebäude

Literatur

[1] DUSENBERRY, D. E.: Handbook for Blast Resistant Designof Buildings. New Jersey: John Wiley & Sons, 2010.

[2] LARCHER, M.; GEBBEKEN, N.; TEICH, M.: Verbundsicher-heitsglas und Glasfassaden unter Explosionsbeanspru-chung – Glasbau 2012. Berlin: Ernst & Sohn, 2012.

[3] MÜLLER, R.; WAGNER, M.: Berechnung sprengwirkungs-hemmender Fenster- und Fassadenkonstruktionen. Bauin-genieur 81 (2006), S. 475–487.

[4] TEICH, M.: Interaktion von Explosionen mit flexiblen Struk-turen. München: Universität der Bundeswehr München,2012.

[5] WELLERSHOFF, F.; TEICH, M.; NEHRING, G.; GEBBEKEN,N.: Konstruktion und Berechnung von explosionshemmen-den Seilnetzfassaden. Stahlbau 81 (2012), H. 1, S. 13–25.

[6] VIEFHUES, E.; ÜNAL, M.; HÜSKEN, G.; WELLERSHOFF, F.;MEHDIANPOUR, M.: Zementgebundenes Crashmaterial fürSchutzbauteile in explosionsbeanspruchten Fassaden. Bau-technik 91 (2014), H. 8, S. 567–571.

AutorenDipl.-Ing. Eva ViefhuesBundesanstalt für Materialforschung und -prüfungAbteilung Bauwerkssicherheit – FB IngenieurbauUnter den Eichen 8712205 [email protected]

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Frank WellershoffHafenCity Universität HamburgFacade Systems and Building EnvelopesÜberseeallee 1620457 [email protected]

Dr.-Ing. Milad MehdianpourBundesanstalt für Materialforschung und -prüfungAbteilung Bauwerkssicherheit – FB IngenieurbauUnter den Eichen 8712205 [email protected]