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Extrausgabe über Kapellbrücke Brand in Luzern vom 18. August 1993. Luzern verliert sein Wahrzeichen.

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AZ 6002 Luzern Gesamtauflage: 103000 Exemplare Donnerstag, 19. August 1993 Nr. 191

Anwohner Brückenstadt Für die Gäste

Kritik an Lösch- arbeiten

Luzern The Chapel verliert Bridge Wahrzeichen 4 t burned 4

u.

Traurigkeit

Alle sind bestürzt

Die.

Luzernen Urner Zeitung • Schwyzer Zeitung • Nidwaldner Zeitung • Zuger Zeitung

Eine Brücke, die das Gesicht der Stadt geprägt hat Luzern ist von einem gros- sen Verlust betroffen. Ein historisches Baudenkmal, Zeuge einer vergangenen Baukultur ist innert einer Stunde zum Raub der Flammen geworden und nun zerstört. Der Verlust dieses Baudenkmals und des einzigartigen Bilderzy- klus schmerzt Luzernerin- nen und Luzerner und weit darüber hinaus viele auswärtige Gäste dieser Stadt ausserordentlich.

Natürlich kann die Brük- ke in ihren vertrauten Massen, mit ihren lauschi-

gen Winkeln, mit den zum Verweilen einladenden Ausblicken gegen den See hin und dem Lauf der Reuss entlang rekonstru- iert werden. Und es ist wohltuend, die offenkun- dig einhellige Überzeu- gung zu spüren, dass die- ses für das Gesicht der Stadt Luzern so prägende Bauwerk möglichst bald wiederhergestellt werden soll. Dennoch bleibt zu bedenken, dass hier histo- rische Substanz unwieder- bringlich verloren ist. Dar- über hilft keine Rekon- struktion hinweg.

Noch im vergangenen Jahrhundert sind in Lu- zern die Hofbrücke und Teile der Kapellbrücke ab- gebrochen worden. Ein deutliches Zeichen dafür, wie sich die Einstellung der Menschen zu Zeugnis- sen ihrer Vergangenheit wandeln kann. Zum Glück für uns und unsere Nach- kommen werden die Schätze der Vergangenheit heutzutage, wieder mit mehr Bedacht umsorgt und betreut - manchmal ja bis hin zur sterilen Kon- servierung. Der Brand der Kapellbrücke muss uns neu bewusst machen, dass

Schätze der Vergangenheit aktiv geschützt werden müssen, dass zu ihnen Sorge getragen werden muss. Dass es absoluten Schutz nicht gibt, liegt auf der Hand.

Absoluten Schutz gibt es nicht - weder für Bauten noch für Bilder oder ande- re historische Zeugen. Auch das ist mit ein Grund, warum sich kultu- relle und historische Iden- tität, menschliche Erinne- rung an einen Ort, an eine Gegend sich nicht aus- schliesslich an sieht- und

greifbaren Zeugnissen der Vergangenheit festklam- mern kann und darf. Es muss Ebenen des Sicherin- nerns geben, die über die Fixierung auf ein einzelnes Bauwerk hinausreichen.

Luzern hat durch den Brand der Kapellbrücke einen schweren Verlust er- litten. Wir alle wollen hof- fen, dass es dieser Stadt und ihren Behörden ge- lingt, möglichst bald die Schritte zu einer Wieder- herstellung zu tun. Es wä- re uns allen zu gönnen.

Klaus Röllin

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2 Luzern Spezial Luzerner Zeitung Urner Zeitung Schwyzer Zeitung Nidwaldner Zeitung Zuger Zeitung Donnerstag, 19. August 1993 Nr. 191

Konsternation beim Stadtrat gestern morgen an der Brandkonferenz, von links: Franz Möller, Werner Schnieper, Franz Kurzmeyer, Paul Baumann und Robert Schiltknecht. Bilder Klaus Lepuschitz

Sie hatten eine anstrengende Nacht hinter sich und informierten gestern über den Verlauf des Brandes der Kapellbrücke: Luzerns Feuerwehrkommandant Peter Frey (links stehend) und Einsatzleiter Ruedi Distel.

Das dürre Holz der Kapellbrücke brannte im Nu lichterloh

Rund 150 Feuerwehrleute kämpften gegen das Flammenmeer auf der Kapellbrücke an

Eines stand gestern Mittwoch mor- gen nach dem verheerenden, zerstö- rerischen Brand der Luzerner Ka- pellbrücke fest (die LZ berichtete gestern in einem Teil der Auflage): Der Stadtrat ist gewillt, das weitge- hend abgebrannte Luzerner Wahr- zeichen wieder aufzubauen. Wie der Brand entstand, ist immer noch Ur- sache von Ermittlungen; fest steht, dass das Feuer in einem unter der Brücke vertäuten Boot ausgebro- chen ist, weitere Boote erfasste und auf die Holzbrücke übersprang. Feu- erwehrkommandant Peter Frey in- formierte gestern an einer Medien- konferenz, dass die Feuerwehr mit rund 150 Mann im Einsatz gestanden sei.

• Von Werner R Wyler

Noch rätselt man in Luzern, wie der Brand der alten, hölzernen Kapell- brücke entstehen konnte. Amtsstatt- halterin Verena Lais, die die Untersu- chung leitet, hat gestern an einer Medienkonferenz aufgekommene Ge- rüchte dementiert, dass noch während der Brandnacht zwei verdächtige Ju- gendliche von der Polizei festgenom- men worden seien. Es habe sich lediglich um eine Kontrollbefragung gehandelt; die beiden seien stark alkoholisiert gewesen.

Brandstiftung nicht ausgeschlossen Anton Widmer, der Kommandant

der Kantonspolizei Luzern, hat den Wissenschaftlichen Dienst eingesetzt, der nun nach der Brandursache forscht. Brandstiftung werde nicht ausgeschlossen, sagte er. Ebenso müssten aber auch ein technischer

Defekt auf dem Boot, auf dem das Feuer ausgebrochen war, oder ver- schiedene Arten von Fahrlässigkeiten für den Ausbruch des Feuers in Betracht gezogen werden. Zu den unter der Kapellbrücke vertäuten Booten haben in der Regel nur deren Besitzer mit einem speziellen, nur ihnen ausgehändigten Schlüssel Zu- gang. Konkrete Resultate sind bis gestern Mittwoch abend noch keine vorgelegen.

Alarm um 00.51 Uhr Der Brandalarm wurde in der Nacht

vom Dienstag zum Mittwoch bei der Stadtpolizei von einer Anruferin um 00.51 Uhr ausgelöst. Innert Minuten- frist folgten weitere Anrufe.

Das nach Aussage von Stadtpolizei- leutnant Josef Schuler rund zwei Minuten nach dem Alarm bei der Brücke eingetroffene Polizeilöschpi- kett stellte zwei brennende Schiffe unter der Brücke fest. «Das Feuer», erläuterte Josef Schuler «hatte zu diesem Zeitpunkt bereits auf die Brücke übergegriffen. Die Brandge- schwindigkeit sei so gross gewesen, dass man «dem Feuer förmlich hätte nachlaufen können». Das Polizeilösch- pikett habe schliesslich sofort die Feuerwehr aufgeboten, betonte Josef Schuler.

70 Meter im Vollbrand Von der Feuerwehr wurden vorerst

zwei Alarmgruppen mit insgesamt rund 50 Mann alarmiert. Ihm sei gemeldet worden, erörterte Einsatzlei- ter Hauptmann Ruedi Distel, dass die Brücke auf einer Länge von rund zehn Metern brenne. «Das Feuer muss sich rasend schnell vorwärts gefressen ha- ben.» Als die Alarmgruppen eintra- fen, loderten die Flammen lichterloh

auf einer Länge von bereits etwa 70 Metern. «Eine wahre Feuerwalze be- wegte sich vorwärts» schilderte Ruedi Distel die Situation, die Hitze sei «enorm» gewesen. Der Wasserturm war zu diesem Zeitpunkt bereits vom Feuer eingehüllt. Der Einsatzleiter signalisierte «grösste Übergriffsge- fahr» der Flammen auf den markan- ten Turm mit dem hölzernen Dach.

Der Einsatzleiter bot schliesslich weitere Feuerwehrabteilungen auf; insgesamt standen an die 150 Mann im Löscheinsatz, darunter die kantonale und städtische Wasserpolizei, die Öl- wehr und Teile der Feuerwehr Hoch- dorf.

Enorm dürres Holz Es loderte und es knisterte gewaltig

und gespenstig. Weit über die Stadt Luzern hinweg war der rote Feuer- schein zu sehen. Balken krachten im tosenden Feuer auseinander, Brücken- teile stürzten ein und fielen zischend und rauchend in die Reuss. Das Feuer frass sich vorwärts und breitete sich weiter aus. Begünstigt wurde diese feurig-fatale Entwicklung durch die vielen Spinnennetze an und in der Brücke, durch die Staubablage und durch einen leichten Wind. Der Hitze- stau entfachte zudem vom Feuer noch nicht entfachtes, enorm dürres Holz, das im Nu hell loderte.

Rasante Ausbreitung Er sei von der rasanten Ausbreitung

und der Intensität des Feuers «sehr überrascht gewesen», meinte der kan- tonale Feuerwehrinspektor Hans Rüt- timann aus Rain, der auf dem Brand- platz neben Stadtrat Werner Schnie- per und Statthalterin Verena Lais ebenfalls zugegen war. Er attestierte der Feuerwehr, die Mittel «zweckmäs-

sig» eingesetzt zu haben. Der Feuerwehr ging es nach Erläu-

terungen von Ruedi Distel in erster Linie darum, zu sichern, was noch nicht brannte. Mit Wasserrohren sei man von der Theaterseite und vom Kapellplatz her in der Brücke selbst gegen das Feuer vorgegangen, um ein Weiterfressen des Feuers in die beiden Brückenköpfe zu verhindern. Das sei gelungen, es seien dadurch immerhin Teile der Brücke vom Feuer verschont geblieben, sagte Ruedi Distel. «Etwa zwölf Minuten nach unserm Einsatz hatten wir das Feuer im Griff.» Die Brücke wurde auf einer Länge von etwa 120 Metern zerstört.

Wie geht es weiter? Gestern morgen wurde bereits mit den Aufräumarbei- ten begonnen. Mit grossen Kranen wurden durch eine Spezialfirma die schwarzen, verkohlten Teile der Brük- ke Stück um Stück abgebrochen. Nach Aussage von Stadtpräsident Franz Kurzmeyer erfolgt nun eine Zustands- analyse zusammen mit dem Denkmal- pfleger, die über das genaue Schaden- ausmass Auskunft geben soll. Der Wiederaufbau soll danach rasch erfol- gen. «Im Frühjahr 1994 soll die Kapellbrücke wieder existieren» meinte Franz Kurzmeyer.

Entsetzen und Tränen

Das traurige nächtliche Feuerspek- takel wurde von zahlreichen Zuschau- ern verfolgt. Entsetzen hatte sich in ihren Gesichtern festgesetzt, viele weinten. Man stand in Distanz zum knisternd-unheimlichen Feuer dem Geschehen machtlos gegenüber. Zwi- schendurch brausten immer wieder mit ihren Sirenen und mit blinkendem Blaulicht Feuerwehrautos an; die Sze- nerie war gespenstisch und traurig- niederschmetternd zugleich.

Die Einsätze im Zeitraffer

wepe. Bereits in der Brandnacht tauchten bei Passanten angesichts der lichterloh lodernden Kapell- brücke Fragezeichen zum Lösch- einsatz auf (siehe Separatbericht auf gegenüberliegender Seite). Heftige Vorwürfe ertönten, es sei nicht effizient und schnell genug gegen den Brand vorgegangen worden. Feuerwehrkommandant Peter Frey widerspricht dem und verweist auf das Funkprotokoll, das aus der Sicht der Feuerwehr die zeitliche Präsenz der Feuer- wehr dokumentiert:

00.50 Uhr und 50 Sekunden: Bei der Polizei wird Alarm ausgelöst. Ein Schiff brennt bei der Kapell- brücke, die Brücke fängt auch Feuer. Der Feuerwehr-Pikettoffi- zier wird per Funk orientiert.

00.51 Unrund 30 Sekunden: Der Pikettoffizier der Feuerwehr bietet zwei Alarmgruppen mit 50 Mann auf.

00.53 Uhr und 50 Sekunden: Eine Polizei-Patrouille meldet, dass die Kapellbrücke auf einer Länge von zehn Metern brennt.

00.54 Uhr: Der Pikettoffizier verlangt per Funk, dass die Kom- panie 2 mit weiteren 100 Feuer- wehrleuten aufgeboten wird.

00.56 Uhr und 20 Sekunden: Der Pikettoffizier meldet, dass man von der Seite Theater her nicht mehr zum Turm vordringen kann; die Brücke brennt dort ebenfalls.

00.57 Uhr und 40 Sekunden: Kommandant Peter Frey stellt beim Brückenkopf Kapellplatz fest, dass sich das Feuer im Bereich zwischen Turm und Kapellplatz bis in die Mitte dieses Brückenteil- stückes vorgefressen hat und sich rasend weiter vorwärtsbewegt.

01.03 Uhn Auf der Seite Kapell- platz steht die Feuerwehr mit einem Tanklöschfahrzeug nun im Einsatz mit einem Rohr; das Feuer kann aufgehalten werden. Auf der Seite Bahnhofstrasse wird massiv eine Wasserkanone eingesetzt, um den Turm permanent zu kühlen. Damit soll ein Übergreifen des Feuers auf dessen Dachstock ver- hindert werden.

Branddrohung vor zwei Jahren

wepe. Vor zwei Jahren sind im Stadthaus Brandstiftungsdrohun- gen gegen die Kapellbrücke von (noch immer) Unbekannt einge- gangen. Unter dem Eindruck die- ser Branddrohungen sei vorsorgli- cherweise eine Dokumentation über die Kapellbrückenbilder er- stellt worden, erklärte gestern auf Anfrage Rosie Bitterli vom Stadt- präsidium Luzern.

Auf diese Dokumentation kann man nun zur Rekonstruktion der vielen verbrannten Original-Brük- kenbilder zurückgreifen.

Erschütterter Stadtrat und weltweites Interesse

Die Telefone in Luzern liefen heiss

wepe. «Der Stadtrat von Luzern ist über den Brand und die fast vollständige Zerstörung der Kapell- brücke tief erschüttert»; auf diese Weise hat gestern Stadtpräsident Franz Kurzmeyer die Stimmung im Stadthaus nach der Brandnacht bezeichnet. Das Wahrzeichen Lu- zerns und ein Kunstdenkmal von nationaler Bedeutung sei innert weniger Minuten ein Raub der Flammen geworden.

Der Brand der berühmten Kapell- brücke hat weltweites Echo ausge- löst. Bei Verkehrsdirektor Kurt Illi im Verkehrsbüro liefen gestern den ganzen Tag die Telefone heiss. Unzählige Radiostationen aus der ganzen Welt, die per Presseagentu-

ren auf den Brand aufmerksam gemacht worden sind, forderten telefonisch zusätzliche Informatio- nen und Interviews an.

Von London bis Tokio Das Spektrum der telefonieren-

den Radiostationen reichte von der BBC in London bis zum Sender ABC in Tokio. France Inter rief an ebenso wie Radio Deutschland, das österreichische Radio, Radio Dubai, Radio Hongkong, Radio Johannes- burg und ABC New York. Aber auch rund 20 private Radiostationen wollten beim Verkehrsverein Lu- zern mehr über den fatalen Brand der berühmten Luzerner Brücke wissen.

Spreuerbrücke wird bewacht wepe. Was in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch unfassbar mit der Luzerner Kapellbrücke geschah, soll sich bei der ebenfalls gedeckten höl- zernen Spreuerbrücke mit dem be- rühmten Totentanzbilder-Zyklus von Kaspar Meglinger nicht wiederholen.

Bereits gestern Mittwoch morgen hat der Stadtrat in einer Sondersit- zung aussergewöhnliche Massnahmen zum Schutz der Spreuerbrücke und der dort plazierten Brückenbilder beschlossen.

Die Bilder wurden gestern durch Mitarbeiter des Zimmerwerkes alle- samt demontiert, «man weiss ja nicht, was in gewissen Köpfen vor sich geht», betont dazu Stadtpräsident Franz Kurzmeyer. Es werden sofort Duplikate dieser Bilder angefertigt, die fortan in der Spreuerbrücke pran- gen werden.

Ergänzend zu dieser Massnahme wird die Spreuerbrücke ab sofort rund um die Uhr bewacht.

Gestern nachmittag wurden die Sicherheitsgründen demontiert.

Totentanzbilder auf der Spreuerbrücke aus Bild Klaus Lepuschitz

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Noch steht ein Teil der Kapell- brücke nach dieser schrecklichen

Brandnacht, und der Wiederaufbau ist eine beschlossene Sache.

Trotzdem: Wehmut beschleicht viele Menschen beim Anblick der Ver- wüstung. Erinnerungen werden wach, in denen das Luzerner Wahrzeichen eine Rolle gespielt hat, sei es in der Jugendzeit oder in späteren Jahren.

Denn die Kapellbrücke ist weit mehr als nur eine Touristenattraktion - sie ist Ausdruck einer lebendigen

Geschichte der Stadt Luzern. Und zu dieser Geschichte gehören die Men- schen. Diese Menschen wiederum kön- nen Erinnerungen an die Kapellbrücke erzählen. Schreiben Sie deshalb Ihre Erinnerung nieder. Oder vielleicht be- sitzen Sie eine besondere Aufnahme (wenn möglich schwarzweiss) von der Kapellbrücke.

Von den Bildern und den Texten möchten wir in dieser Zeitung (je nach Eingang) eine Auswahl veröffentli- chen, für unsere Leserinnen und Leser

zur Erinnerung an die alte Kapell- brücke, an die Kapellbrücke vor dem verhängnisvollen 18. August 1993.

Der Einfachheit halber können Sie für Ihre kurze Erinnerung gleich den unteren Teil dieser Seite verwenden.

Mit freundlichen Grüssen Ihre

Luzerner Zeitung

PS. Den Abschnitt können Sie auch zur Bestellung von Zusatzexemplaren dieser Sonderausgabe benützen.

f~" - hier abtrennen - -|

Meine Erinnerung an die Kapellbrücke:

Name/Vorname Strasse: PLZ/Ort:

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Senden Sie mir bitte gratis Exemplar(e) der LZ-Spezialausgabe über den Brand der Luzerner Kapellbrücke.

Einsenden an: Luzerner Zeitung, «Kapellbrücke», Postfach, 6002 Luzern L. .J

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4 Luzern Spezial Luzerner Zeitung Urner Zeitung Schwyzer Zeitung Nidwaldner Zeitung Zuger Zeitung Donnerstag, 19. August 1993 Nr. 191

Luzerns Wahrzeichen - unverwechselbar Die Brückenstadt hat ein Stück Identität verloren

Von Nikiaus Oberholzer

Die Kapellbrücke ist Luzerns Wahr- zeichen: Nicht erst seit gestern früh, als ganz Luzern entsetzt gewahr wurde, was sich da mitten in der Stadt vor ihren Augen abspielte, ist das jedermann bewusst. Kapellbrücke und Wasserturm sind das Kennzeichen der Stadt, millionenfach festgehalten im Bild und als Ansichtskarte verschickt in alle Welt.

Was macht denn das Wahrzeichen aus? Das ist nicht eine Frage der Ästhetik oder des Wertes, auch nicht der wirtschaftlichen, technischen oder verkehrspolitischen Bedeutung. Um all das geht es auch, aber zusätzlich viel allgemeiner - und eben nicht näher erklärbar, weil da Emotionales mitspielt - um die Unverwechselbar- keit und Einzigartigkeit. Man kann ohne Übertreibung vom Wahrzeichen sagen: Wer es gesehen hat, wird es nicht wieder vergessen. Ist es zerstört, sind für sehr viele Menschen, denen dieses Wahrzeichen viel bedeutet, Erinnerungen unwiederbringlich zer- stört - Erinnerungen an ihre Kindheit, an die Vergangenheit, an lichte und dunkle Stunden: eine Katastrophe.

Auch die Kapellbrücke ist in diesem Sinn ein Wahrzeichen, auch wenn die Luzerner - oder auch Japaner, Ameri- kaner, Deutsche, Franzosen - sie heute ganz anders erleben als die Menschen früher - nämlich losgelöst von ihren ursprünglichen Bedeutun- gen und Funktionen und vielleicht in erster Linie als ein bizarres, allenfalls auch kurioses, schönes, altertümliches, in seinem Blumenschmuck farben- prächtiges, auf jeden Fall aber stim- mungsvolles Bauwerk von ausseror- dentlicher atmosphärischer Ausstrah- lung.

Von ihren alten Funktionen und Bedeutungen ist eigentlich nurmehr eine geblieben - jene der Promenade: Schon seit dem 16. Jahrhundert ist überliefert, dass die Luzerner - und seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert die Touristen - die Holzbrücken, neben der Kapellbrücke auch die Mitte des 19. Jahrhunderts abgerisse- ne Hofbrücke (vom Kapellplatz zur Hofkirche) und die Spreuerbrücke, eifrig als Spazierweg nutzten, waren sie doch frei von Karren und Wagen und boten schöne Ausblicke und Schutz vor Regenwetter. Trotz dieses Schutzes aber holte sich der «Schwei- zer König» Ludwig Pfyffer auf dem Spaziergang mit dem savoyischen Ge- sandten auf der Hofbrücke jene Er- kältung, die 1594 zu seinem Tode führte.

Die andern, sich zum Teil überlap- penden Funktionen nicht nur der Kapellbrücke, sondern des ganzen Luzerner Brückensystems, sind heute kaum mehr nachvollzieh- oder ables- bar. Ans Spazieren dachten die Men- schen des mittleren 14. Jahrhunderts ja kaum. Wichtig aber waren die Verbindungen zwischen den Stadttei- len - zwischen rechtem und linkem

Die Luzerner Kapeiibrücke aus der Vogelschau. Sie verbindet die «Grossstadt» (oben) mit der «Kleinstadt» (unten).

Reussufer und damit zwischen Gross- und Kleinstadt und zwischen der Grossstadt und dem Hofbezirk. Ne- ben der schon 1168 genannten und befahrbaren «Pons Lucernensis», für deren Schutz die Stadt Luzern zu sorgen hatte, gab es im 14. Jahrhun- dert bereits drei lange, gedeckte Holzbrücken. Die Hofbrücke mass 385 Meter, die Kapellbrücke 285 Meter (vor den Kürzungen im 19. Jahrhundert an beiden Enden wegen der neuen Ufergestaltungen) und die Spreuerbrücke 79 Meter.

Bedeutsam waren alle drei auch als Teil des Verteidigungssystems der Stadt am Ausfluss der Reuss aus dem See: Vor allem die breite Ausfluss- Partie, aber auch der Reussübergang am westlichen Ende der Stadt waren empfindliche Lücken im Gürtel der Befestigungsmauern. Die sich wegen ihrer Dachkonstruktionen, ihrem Ge- ranienschmuck und ihrem von der Sonne dunkel gefärbten Holz wie hübsche Schweizer Chalets präsentie- renden Brücken waren im Mittelalter eigentliche Wehrgänge, auf denen sich Soldaten postieren konnten, um Ein- dringlinge, die auf Schiffen in die Stadt gelangen wollten, abzuwehren. Die Brücken erfüllten damit genau die Funktion jener Wehrgänge., welche auch heute noch zum Beispiel die Stadtmauern Murtens bekrönen.

Im 16. und 17. Jahrhundert gesellte sich den bereits genannten Funktio- nen eine weitere hinzu, und sie nun machte das Luzerner Brückensystem wirklich weltweit einzigartig, weil es - so der Kunsthistoriker Adolf Reinle in seinem Buch «Zeichensprache der

Architektur» - weder Vorläufer noch Nachfolger gibt: Die Zyklen von dreieckigen Bildern, die in den Dach- stühlen aller Brücken angebracht wur- den, machten die Brücken zu eigentli- chen Bildergalerien.

Dabei ging es nicht nur um Schmuck und Schauvergnügen, son- dern um ganz präzise überdachte inhaltliche Bezüge zum Standort der einzelnen Brücken. In der Hofbrücke hingen Darstellungen von Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, denn die Brücke von der Stadt zum Hofbezirk spielte die Rolle einer «Via Sacra», einer heiligen Pilgerstrasse.

Für die Kapellbrücke malte Hans Heinrich Wägmann nach 1611 gemäss dem vom Renward Cysat entworfenen Programm die Bilderchronik Luzerns und der Eidgenossen sowie die Ge- schichten der Stadtheiligen Leodegar und Mauritius: Da geht es also demonstrativ um die politische Selbst- darstellung der Stadt, die ihren eige- nen Leuten und den Fremden ein- drücklich darlegen will, wie es um ihre Stärken bestellt ist. Dass ein Grossteil dieses einzigartigen Zyklus mit dem Brand zerstört wurde, ist ein beson- ders schmerzlicher Aspekt der Feuer- katastrophe. In der Spreuerbrücke schliesslich mahnt der Totentanz Kas- par Meglingers die Passanten an die letzten Dinge.

Wahrzeichen gibt es überall. Die Menschen brauchen sie, denn sie helfen, sich zurechtzufinden und sich zu erinnern. Sie bieten Identifikations- möglichkeiten und tragen zur Unver-

wechselbarkeit und Eigenständigkeit einer Stadt bei, obwohl sie, da sie fast durchwegs aus früheren Zeiten stam- men, ihren ursprünglichen Sinn und Zweck verloren haben.

Ihr neuer Sinn liegt denn auch im Emotionalen, das den Umgang mit diesen Wahrzeichen prägt, sie in den Mittelpunkt rückt, ihnen oft eine ganz besondere gesellschaftliche Relevanz oder gar Brisanz gibt und sie auch zum Spielball aller möglichen und unmöglichen Interessen werden lassen kann.

Die Beliers hätten die Justitia in Berns Hauptgasse niemals gesprengt, wenn die Brunnenfigur nicht zum Wahrzeichen geworden wäre. Vom Monument auf Les Rangiers und seinem Fall gar nicht zu reden. Niemand hätte Rembrandts «Nacht- wache» zerstören wollen, wenn dieses Bild nicht eben mehr wäre als «ein Rembrandt», nämlich ein nationales Symbol. Wer hätte die Idee haben können, im Namen des «Sauglattis- mus» heutiger Werbemanager dem Luzerner Wasserturm eine Krawatte zu verpassen, wenn er nicht eben ein Wahrzeichen wäre? Wenn der Brand der Kapellbrücke gestern kurz nach Mitternacht wirklich Brandstiftung war: Wer hätte sie verübt, wenn es sich um irgendeine Brücke gehandelt hät- te?

Unabhängig davon und unabhängig von aller Kommerzialisierung und touristischer Vermarktung des Wahr- zeichens: Bestürzung und Trauer der Luzerner Bevölkerung, die gestern zum Ausdruck kamen, machen deut- lich wie nichts sonst, wo der eigentli- che Sinn des unwechselbaren Wahr- zeichens liegt.

Stichwort Kapellbrücke LZ. Über die Entstehung der Ka- pellbrücke vermeldet die Literatur unterschiedliche zeitliche Angaben. Das oft genannte Jahr 1333 als Entstehungsjahr dürfte mythologi- schen Ursprungs sein.

Schutz gegen Überfälle Kapellbrücke und Wasserturm

sind zweifellos gleichzeitig entstan- den - wohl um das Jahr 1300. Der Turm wurde erstmals in Ratsbüchern in den Jahren 1300 bis 1310 genannt, die Brücke indirekt 1347, direkt 1367. Der Bau erklärt sich aus dem vermehrten Sicherheitsbedürfnis in der unruhigen Epoche vor der Gründung der Eidgenossenschaft, der Luzern erst 1332 beitrat. Der Schutz gegen Überfälle von Seiten der Urkantone vom See her war darum um 1300 noch erwünscht.

Die Kapellbrücke galt bis zum Brand als älteste noch bestehende Holzbrücke Europas. Allerdings ist

sie materiell in grösseren und kleine- ren Partien immer wieder erneuert worden. Schwerwiegende Eingriffe erfolgten im 19. Jahrhundert, als die Brücke auf beiden Seiten verkürzt und damit die organische Verbin- dung zu den beiden alten Stadtteilen unterbrochen wurde. 1833 bis 1838 wurde das südliche, in die Arkaden des ehemaligen Freihofes mündende Stück abgebrochen, 1899 das nördli- che, an die Peterskapelle stossende Ende. Dabei verkürzte sich die Länge der Brücke von 285 auf 200 Meter.

Zyklus von 158 Tafeln Der Bilderzyklus der Kapellbrük-

ke umfasste ursprünglich 158 Tafeln, 147 blieben erhalten, 111 befanden sich noch auf der Brücke. Hans Heinrich Wägmann, der die Bilder mit der Geschichte Luzerns und der Eidgenossenschaft im 17. Jahrhun- dert malte, stammte aus Zürich.

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Chapel Bridge burned

vJne of the most distinctive Sym- bols of the city of Lucerne and one of the most valuable constructed monuments of Switzerland burned down nearly completely during the night of the 17th to the 18th of August. Only the bridgeheads and the stony watertower remained.

As the Commander of the Lucer- ne firebrigade, Peter Frey, said, the fire started at nearly one o'clock. It broke out fifteen to twenty meters away from the Reuss riverside of the newer part of the town and spread out with enormous speed towards the other side of the bridge skipping the watertower.

Up to now they still do not know how this destructive fire of the Chapel Bridge broke out. The investigating judge of the case, Verena Lais, said at the press Conference on Wednesday mor- ning, that there could be other possibilities besides arson. She denied that people have been arrested. It is for sure, that the fire started on a boat under the bridge and then spread towards some other boats near by.

The investigation, supported by the city police of Zürich, supposes it could have been a technical arson, carelessness - for example by throwing away a cigarette - or arson.

The Lucerne fire-brigade, consi- sting of around hundred people, tried to save Lucerne's distinctive sign, but they could only save the watertower.

So now about four fifth or five sixth of the bridge are destroyed. The fire-brigade used mainly wa- ter-guns, parts of that from along the water. Because the water was too high they could not use their Special fire-fighting equipment from their ship.

The Chapel Bridge is crossing the Reuss river a little bit further down of the lakebridge. The woo- den bridge was built 1333 as a part of the city's System of fortifications. The gables are decorated by early seventeenth-century paintings by Heinrich Wägmann, depicting inci- dents of the History of the town and their saintly men - Leodegar and Mauritius. Next to the bridge is the watertower with octagonal structure, which served as defense tower, prison, treasure-vault and archives.

The Chapel Bridge is one of the most populär motives taken pictu- res of in Lucerne and is known as one of the distinctive signs of the «city of lights». The Lucerne ex- ecutive decided already yesterday that the destroyed bridge will be reconstructed as soon as possible. As the Major of the city, Franz Kurzmeyer, said in front of the press, the bridge is supposed to be rebuilt in spring 1994 the latest in accordance to the original. Thirty to forty pictures out of 111 in the gables seemed not to be destroyed and the others are going to be reconstructed.

Für unsere Gäste aus dem Ausland: eine englische und eine japanische Übersetzung der wichtigsten Meldungen des Tages.

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Donnerstag, 19. August 1993 Nr. 191 Luzerner Zeitung Urner Zeitung Schwyzer Zeitung Nidwaldner Zeitung Zuger Zeitung Luzern Spezial 3

Heftige Kritik der Anwohner an Löscharbeiten Diskutiert wird über den Zeitpunkt des Eingreifens, die Art des Einsatzes und die vorhandenen Mittel

Im Gegensatz zu den Aussagen der Luzerner Polizei und Feuerwehr äusserten gestern viele Zeugen des Brandfalls und Anwohner heftige Kritik an den Löscharbeiten. Die Vorwürfe: Zu spätes Eintreffen der Löschmittel und zuwenig beherztes Vorgehen der Mannschaften. Weiter wurde kritisiert, dass Löschfahrzeu- ge und Boote ineffizient eingesetzt worden seien.

• Von Werner Steinmann

Polizei und Feuerwehr erläuterten gestern vor den Medien ihre Vorge- hensweise bei den Löscharbeiten: Sie wiesen dabei darauf hin, dass sofort nach Eintreffen der Brandmeldung die nötigen Schritte unternommen worden seien und legten auch dar, wann welche Löschtrupps am Ort des Geschehens eingetroffen sind (siehe dazu Berichte in dieser Ausgabe).

Anderer Blickwinkel Entgegen diesen Schilderungen

zeigten sich gestern viele Anwohne- rinnen und Anwohner gegenüber den Löscharbeiten sehr kritisch. Zur LZ sagten sie, sie seien der Meinung, der riesige Schaden hätte bei zweck- mässigerem Eingreifen verhindert werden können. Susanna vom Hoe- vel-Schmid, die als Anwohnerin ver- mutlich die erste war, welche die Polizei telefonisch über den Brand- ausbruch auf einem Boot unter der Kapellbrücke informierte, sagte ge- stern, sie sei sicher, dass es länger gegangen sei als von der Polizei angegeben, bis die Löschtrupps am Ort des Geschehens eingetroffen seien. Sie habe auch den Eindruck erhalten, der diensthabende Beamte, der den Anruf entgegennahm, habe die Meldung zunächst nicht ernstge- nommen. Deshalb habe wenig später nochmals ihr Gatte, Manfred vom

Spendenaufruf LZ. Der Stadtrat von Luzern zeigt sich beeindruckt von den zahlrei- chen Reaktonen, welche nach dem Brand der Kapellbrücke aus der Öffentlichkeit eingegangen sind. Die Brücke selber und die Bilder sind zwar versichert, doch mit der Rekonstruktion der Brücke wird wahrscheinlich ein ungedeckter Schaden von zwei bis drei Millio- nen Franken entstehen. Von ver- schiedenster Seite sind bei der Stadt Anrufe mit Spenden und Hilfsangeboten eingegangen. So hat der Hotelier-Verein Luzern spontan 50 000 Franken für den Wiederaufbau bereitgestellt. Jea- nette Küng, Inhaberin eines Coif- feurgeschäftes in Ebikon verdop- pelt jeden Franken, den Kunden in eine bereitgestellte Box werfen, zugunsten der Brücke. Der Stadtrat hat ein Konto eingerichtet, auf das Spenden einbezahlt werden kön- nen. Gleichzeitig wurde ein Tele- fondienst eingerichtet. Die Anrufe werden über die Telefonzentrale weitergeleitet. Der Stadtrat dankt allen Personen, die den Wiederauf- bau der Kapellbrücke unterstützen. • Die Telefonnummer lautet: 041-218111 • Für Spenden steht folgendes Konto zur Verfügung: Luzerner Kantonalbank Luzern PC 60-41-2 z. G. Stadt Luzern Renovation Kapellbrücke Konto 01-00-163841-02

LZ-Spezial An der vorliegenden LZ-Spezial- Beilage haben mitgearbeitet: Klaus Röllin, Werner P. Wyler, Nikiaus Oberholzer, Hans Moos, Werner Steinmann, Ruedi Hagmann, Arno Renggli, Sabine Windlin, Gabriele Weiherich, Patrick Zoll.

Die Bilder stammen von Lorenz Fischer, Klaus Lepuschitz, Werner Schelbert, Lorenz A. Fischer, Sigi und Ruth Tischler.

Produktion: Bereich Technik der Luzerner Zeitung AG.

Das leere Brückengerippe zeugt vom erbarmungslosen Frass des Feuers.

Hoevel, angerufen. Im übrigen habe man sie zunächst nach den genauen Personalien gefragt, statt gleich Alarm auszulösen.

Weiter kritisieren Manfred und Su- sanna vom Hoevel, die Löschtrupps hätten zuwenig beherzt eingegriffen: Das Boot habe nämlich relativ lange gebrannt, bevor das Feuer auf die Brücke übergegriffen habe. Wenn es zu diesem frühen Zeitpunkt gelungen wäre, das Boot zu lösen und die Reuss

hinunter treiben zu lassen, hätte die Kapellbrücke vielleicht gerettet wer- den können, meinten sie. Mindestens 15 Minuten habe zuerst eines und dann mehrere Boote gebrannt, bevor auch die Brücke selber Feuer fing. Ebenso habe das Polizeilöschpikett nicht sofort von der Brücke aus die Brandbekämpfung vorgenommen. All dies habe auf sie als Anwohner und Zeugen des Brandfalls einen «Ein- druck der Ohnmacht» hinterlassen.

Bild Lorenz A. Fischer

Walter Schmid bestätigte die Aussa- gen seiner Tochter Susanna vom Hoevel, wonach es viel zu lange gedauert habe, bis die Löscharbeiten effektiv aufgenommen worden seien. Der erste Löschversuch sei mit einem «besseren Gartenschlauch» vorge- nommen worden. Und Manfred vom Hoevel doppelte enttäuscht nach: «Der erste Einsatz war nicht besser, als wenn irgendwo ein Marronistand gebrannt hätte.»

Familienunternehmen in Flammen Ladenbesitzer Josef Schnarrwyler ist vom Brand besonders betroffen Von Sabine Windlin

Wo bis vor kurzem noch zahlreiche Touristen Souvenirs und Postkarten gekauft hatten, ist jetzt ein schwarzes Loch. Josef Schnarrwyler, seit mehr als 25 Jahren Besitzer des Souvenir- Shops auf der Kapellbrücke über der Reuss, konnte in der Nacht auf Dienstag von weitem nur noch zu- schauen, wie sein Geschäft nieder- brannte. Zwar ist er versichert, aber die limitierten Kunsthandwerke lassen sich nicht wieder herstellen.

Im rund 40 Quadratmeter grossen Shop wurde mehr angeboten als an den üblichen Souvenirständen: Kein billiger Ramsch oder bloss schöne Postkarten. Die zahlreichen Kristall- und Holzfiguren waren echtes Kunst- handwerk und zum Teil in limitierter Auflage auf dem Markt. Musikdreh- dosen, Krippenfiguren und geschnitzte Taufszenen, wie wir sie von Jeremias Gotthelf her kennen, waren beliebte Sammlerobjekte und wurden im La- den auch zu Liebhaberpreisen ge- kauft.

«Für ein reliefartiges Löwendenk- mal aus Kirschbaumholz offerierte mir ein Kunde 5000 Franken. Ich verkauf- te das von meiner Grossmutter ererb- te Stück aber nicht», erzählte Schnarr- wyler. Nun ist es sowieso weg. Die Beziehung zu einem tradierten Ge- genstand lässt sich ohnehin nicht in simplen Zahlen ausdrücken. Der Schock sitzt noch tief. Um ein Uhr morgens rief eine Bekannte den Ladenbesitzer an und erzählte vom Brand. Er sei sofort vor Ort gegangen und habe von weitem tatenlos zu- schauen können, wie der Shop ver- schwand. Dabei hatte der Ladenbesit- zer kürzlich in Bern noch Waren fürs Weihnachtsgeschäft eingekauft und sich auf die Geschäftsübergabe an seine Tochter gefreut.

Zudem hätte Josef Schnarrwyler

Vom beliebten Souvenir-Shop beim Wasserturm ist nichts mehr übriggeblieben. Bild Werner Schelbert

nächsten September das 100-Jahr-Ju- biläum seines Ladens feiern können. Seit 1893 wird das Familienunterneh- men erfolgreich betrieben. Er über- nahm es von seiner Grossmutter, die sich genauso für kunsthandwerkliche Souvenirs interessierte, wie es ihr Enkel heute tut. Die Touristen aller- dings seien nicht mehr die gleichen wie vor dreissig Jahren: «Zudem haben wir die Rezession stark zu spüren bekommen. Zwar kaufen die Japaner und Amerikaner noch eifrig ein, aber es kommen insgesamt weni- ger nach Luzern.»

Und was geschieht jetzt? Josef Schnarrwyler wurde geraten, vorüber- gehend einen Containershop zu er- richten und den Laden mit Hilfe des Hauptlagers im Zurgilgenhaus weiter- zuführen. Die Verhandlungen mit der Stadt laufen noch: «Auf jeden Fall sind wir an der Zukunft des Ladens interessiert», bekräftigt Josef Schnarr- wyler. Sollte, wie der Stadtrat am Tage danach beschloss, im Frühjahr 1994 tatsächlich die neue alte Kapellbrücke wieder stehen, steht auch der Wieder- eröffnung des Souvenir-Shops nichts im Wege.

Nur ins Wasser gespritzt? Ein weiterer Zeuge in der Brand-

nacht war Beni Raeber: Er erläuterte der LZ, er habe den Eindruck bekom- men, die Feuerwehr sei für diesen Fall nur ungenügend vorbereitet gewesen. Man habe den Brand von aussen praktisch nur von der Theaterseite her effizient bekämpfen können. Von der anderen Seite her habe man bloss in die Luft gespritzt und das Brandob- jekt gar nicht erreicht. Er fragt sich, ob es nicht möglich gewesen wäre, eine Wasserleitung mit einem Boot nahe genug zum Brandherd zu führen, damit von dort aus die Brandbekämp- fung vorgenommen werden konnte. Das dafür nötige Material sei offenbar nicht vorhanden gewesen. Auch ande- re Passanten und Anwohner sagten gestern, sie hätten in der Brandnacht den Eindruck erhalten, die Feuerwehr habe nicht richtig reagiert und mit ihren Wasserleitungen die Brandherde nur ungenügend erreicht. Er hoffe nun, dass man die Dispositive für solche Fälle gründlich überdenke.

Die Feuerwehr weist solche Vorwür- fe allerdings zurück: Sie argumentiert, bei ihrem Eintreffen habe es nur noch darum gehen können, den Turm und die beiden Brückenköpfe zu halten. Dies sei glücklicherweise auch gelun- gen.

Angst der Bewohner Anwohnerinnen und Anwohner

stellten sich gestern auch die Frage nach der Sicherheit der Altstadt. «Sehr zu denken» gibt beispielsweise dem Schriftsteller Otto Marchi die Aussicht, was geschehen könnte, wenn es mitten in der Altstadt brennen könnte. Da gebe es viele Holzhäuser, die nur gerettet werden könnten, wenn die Feuerwehr rasch am Ort sei. Und Beni Raeber gibt zu bedenken, dass die Gefahr besonders dann steige, wenn infolge von Grossanläs- sen (Altstadtfest, Fasnacht) die Zu- fahrten blockiert sind.

Brücke für 2,6 Millionen

versichert Verhandlung folgt

Die Kapellbrücke ist für insge- satm rund 2,6 Millionen Franken bei der kantonalen Gebäudever- sicherung versichert. Die Bilder fallen unter eine Gesamtpolice, welche die Stadt bei der Schwei- zerischen Mobiliar abgeschlossen.

are. Laut Angaben des städtischen Finanzdirektors beträgt die Versi- cherungssumme für die Kapell- brücke rund 2,6 Millionen Fran- ken. Davon entfallen 1,371 Millio- nen auf den eigentlichen Brücken- bau, 1,14 Millionen auf den Was- serturm und 228 000 Franken auf den in die Brücke integrierten Kiosk. Versicherungspartner der Stadt ist die kantonale Gebäude- versicherung.

Die in der Brücke aufgehängten Bilder sind bei der Schweizerischen Mobiliar versichert. Ihr Versiche- rungswert ist zur Zeit noch unge- klärt, weil sie Teil einer Pauschal- versicherung der Stadt Luzern sind. Laut Angaben von Franz Müller beträgt die gesamte Versi- cherungssumme, unter die aber noch viele andere Kunstgegenstän- de der Stadt Luzern fallen, rund 65 Millionen Franken.

In den kommenden Tagen wird der Schadeninspektor der Schwei- zerischen Mobiliar den Ereignisort in Augenschein nehmen, wie der Schadenchef, Direktor Reif, mit- teilte. Danach werden Gespräche mit der Stadt Luzern stattfinden. Der Ersatzwert der Bilder wird schliesslich anhand des geschätzten Marktpreises festgelegt werden. Dazu werden kunsthistorische Ab- klärungen notwendig sein. Sollte es möglich sein, die Bilder aufgrund von Fotografien wiederherzustel- len, würde die Mobiliar Versiche- rung die entsprechenden Kosten tragen.

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Donnerstag, 19. August 1993 Nr. 191 Luzerner Zeitung Urner Zeitung Schwyzer Zeitung Nidwaldner Zeitung Zuger Zeitung Luzem Spezial 5

Bestaunt von Touristen, geliebt von Einheimischen: der Bilderzyklus von Heinrich Wägmann, der weitgehend zerstört wurde. Bild Archiv

Verkohlte Überreste, verzweifelte Feuerwehrmänner: So sah es am Mittwoch früh auf der niedergebrannten Kapellbrücke aus. Bild Werner P. Wyier

Die Bilder könnten neu gemalt werden Etliche «Reservegemälde» von Heinrich Wägmann sind in Luzem eingelagert

Die Kapellbrücke wird wieder aufge- baut: Das war dem Luzerner Stadtrat gestern rasch klar. Allerdings gibt es noch eine Reihe von Details zu klä- ren. Die Giebelgemälde von Hein- rich Wägmann beispielsweise: Sollen sie nachgemalt oder fotografisch re- konstruiert werden? Der kantonale Denkmalpfleger, Georg Carlen, will solche und andere Fragen in den nächsten Tagen prüfen. Entscheide sind darüber noch keine getroffen. Wegen der Verkürzung der Kapell- brücke und dem Abbruch der Hof- brücke sind übrigens «Reservege- mälde» vorhanden.

W.St. Der Bilderzyklus in der Kapell- brücke umfasste insgesamt 111 Bilder. Nach einer ersten Zählung von Denk- malpfleger Georg Carlen dürften rund 30 bis 40 davon unbeschädigt geblie- ben sein. Eine weitere noch unbe- kannte Anzahl ist noch soweit erhal- ten, dass sie restaurierbar ist. Fest steht damit aber auch, dass wohl 60 bis 70 der Giebelgemälde unwiederbring- lich zerstört wurden. Die Feuerwehr schätzte die Zahl der zerstörten Bilder gestern sogar noch höher ein.

Neu inventarisiert Der Schaden der Brandnacht ist

also auch kunsthistorisch ein mehrfa-

cher: Brücke und Gemälde sind zer- stört.

Die Bilder stammen aus dem 17. Jahrhundert und zeigen das Marty- rium der Stadtpatrone Leodegar und Mauritius. Glücklicherweise wurden alle Gemälde - ebenso die Konstrukti- on der Brücke - erst vor zwei Jahren noch neu und nach modernsten tech- nischen Methoden fotografisch aufge- nommen. Man habe sich seinerzeit zwar überlegt, ob man die Originale wirklich auf der Brücke lassen könne, habe sich dann dafür entschieden. «Offenbar muss man sich überlegen, ob man solche Dinge wirklich in der Öffentlichkeit original zeigen kann», fasste Franz Kurzmeyer die heutige Einstellung des Stadtrates zu dieser Frage zusammen. Die ausführliche und genaue Bilddokumentation er- möglicht nun die Rekonstruktion der zerstörten beziehungsweise die Re- stauration beschädigter Bildtafeln.

Bilder neu malen? An der Medienkonferenz nach der

Brandnacht konnte über die Art der Erneuerung der Giebelbilder noch nichts genaues gesagt werden: Denk- bar ist der Ersatz der gemalten Bilder durch fotografische Wiedergabe. An- derseits ist es auch möglich, die Gemälde durch Restauratoren nach- malen zu lassen. Solche Restauratoren sind in Luzern vorhanden: Uriel

Fassbender und Georges Eckert ha- ben in den vergangenen Jahren immer wieder Restaurationsarbeiten an die- sen Bildern ausgeführt und verfügen damit über die entsprechende Erfah- rung im Umgang mit diesen Werken.

Georg Carlen sagte der LZ, ihm sei ein Beispiel bekannt, wo man zum Entschluss gelangt sei, ähnliche Holz- tafelbilder nach einem Totalschaden neu malen zu lassen: Im Goldenen Saal des Rathauses von Augsburg wurden solche Bilder neu angefertigt und präsentieren sich heute wieder fast wie im ursprünglichen Zustand.

Zimmerleute gefragt Der Wiederaufbau, den der Stadtrat

beschloss, soll so rasch wie möglich an die Hand genommen werden. Die Brücke soll bereits im Frühjahr 1994 wieder stehen. Gefragt ist dabei auch fachkundiges Zimmermannshand- werk. Rein theoretisch wäre die Rekonstruktion in dieser Zeit mög- lich, sagte ein Fachmann des Holzbau- unternehmens Haupt AG in Ruswil auf Anfrage. Allerdings setze das eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Zimmereien voraus und auch ein besonderes Flair für Kunst seitens der Arbeiter müsse vorhanden sein. Die hier gefragten Holzverbindungen sind von höchster fachlicher Qualität.

Auch wenn jetzt ein grosser Teil der Giebelgemälde auf der Kapellbrücke

ein Raub der Flammen geworden ist, so sind doch noch mehr Bilder vorhanden als jene, die gestern auf der Brücke vom Brand verschont wurden.

«30 Reserven» Georg Carlen sagte auf Anfrage,

etwa 30 Bilder, allenfalls etwas mehr, seien in Luzern eingelagert. Sie wur- den von der Kapellbrücke gelöst, als die Brücke beidseitig verkürzt wurde um Raum für die Quais zu erhalten. Interessantes Detail: Seinerzeit erwog die Stadt, die «überzähligen» Bilder einem Genfer Auktionar zu verkau- fen, wie Georg Carlen sagte. Nach vehementer Opposition aus der Bür- gerschaft, welche diese «vaterländi- schen Altertümer» der Stadt Luzern erhalten wollte, habe man dann aber auf den Verkauf verzichtet. Heute könnte man nun froh um diese «Reserve» an Heinrich-Wägmann- Giebelbildern sein... Weitere ähnliche Bilder aus der ehemaligen Holbrücke sind ebenfalls noch vorhanden.

Wie geht es weiter? Da dem Stadtrat ein rascher Wie-

deraufbau der Kapellbrücke am Her- zen liegt, sollen nun bereits in den nächsten Tagen erste Vorentscheidun- gen getroffen werden. Geplant sind eingehende Zustandsanalysen, bereits für heute wurden Sitzungen über das weitere Vorgehen angesetzt.

Reaktionen «Die Zerstörung der Brücke ist für die Luzernerinnen und Luzerner besonders schmerz- haft, stellt aber auch für die übrige Schweiz einen Riesen- verlust dar.»

Ruth Dreifuss, Bundesrätin

«Wir können nicht alles Schüt- zenswerte in einen Tresor schliessen. Die Geschichte sollte erlebbar bleiben.»

Andre Meyer, Denkmalpfleger des Bundes

«Natürlich ist es schade, dass künftig nur noch eine Nachbil- dung der Brücke in der Reuss stehen wird. Die Kapellbrücke ist aber weltweit derart gut verankert, dass sie neben dem Matterhorn das Identifikati- onszeichen Nummer eins blei- ben wird.»

Kurt Uli, Verkehrsdirektor der Stadt Luzern

«Es drückt einem fast das Herz ab.»

Werner Schnieper, Baudirektor der Stadt Luzern

«Es ist wie ein Todesfall und eine eigentliche Katastrophe für die Stadt Luzern. Die Brücke wird selbstverständlich restauriert, jedoch trotzdem nie mehr die gleiche sein.»

Hans Erni, Kunstmaler

«Der Brand ist furchtbar, doch vielleicht auch eine Art Sym- bol für einen Neuanfang..»

Emil Steinberger, Kabarettist

«Meine Frau hat geweint, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.»

Alt Bundesrat Alphons Egli

«Die Reaktionen der Bevölke- rung zeigen deutlich, dass die Luzernerinnen und Luzerner eine tiefe emotionale Bindung zu ihrer Stadt haben.»

Franz Kurzmeyer, Stadtpräsident

Kaspar Villiger «Die Meldung vom Brand der Kapellbrücke traf mich wie einen Schlag. Die Brücke war ein Wahr- zeichen, ein Symbol auch für Verbindungen: von einem Ufer zum anderen, vom Mittelalter in die Moderne, von Zweck und Ausstrahlung. Ein Denkmal, das jetzt verbrannt ist. Und ein zerstör- tes Denkmal ist allemal ein Anlass zum Nachdenken. Luzern hat mehr verloren als ein Stück Geschichte.»

Die Landesregierung ist «tief bestürzt» Der Bundesrat hat seine Hilfe beim "Wiederaufbau der Kapellbrücke zugesagt

Der Bundesrat befasste sich gestern Mittwoch an seiner ersten Sitzung nach den Sommerferien auch mit dem Brand der Kapellbrücke. In ei- nem Communique, das im Anschluss an diese Sitzung von Vizekanzler Achille Casanova verlesen wurde, zeigte sich die Landesregierung tief bestürzt. Der Bundesrat versprach, «alles in seinen Kräften stehende zu unternehmen, um den Wiederaufbau der Kapellbrücke zu unterstützen».

hag. Über die Art und Höhe der Hilfe des Bundes konnte oder wollte Casa- nova noch nichts sagen. Dafür sei es zu früh, erklärte der Sprecher des Bundesrates an einer Pressekonfe- renz.

Erklärung des Bundesrates

Die Erklärung der Landesregierung hat folgenden Wortlaut: «Der Bundes- rat hat mit tiefer Bestürzung vom Brand der Kapellbrücke in Luzern

Kenntnis genommen. Mit dem Brand ist nicht nur ein Identitätsmerkmal der Stadt und der Bevölkerung von Lu- zern ein Raub der Flammen gewor- den, sondern ein Stück schweizeri- scher Kulturgeschichte zerstört wor- den.

Die Kapellbrücke als Wahrzeichen Luzerns, als Ausflugsziel zahlreicher Reisenden aus dem In- und nicht zuletzt aus dem Ausland hat das Bild der Leuchtenstadt, ja der ganzen Innerschweiz nachhaltig mitgeprägt. Der von den Luzerner Behörden in Aussicht gestellte Wiederaufbau der Kapellbrücke gibt Anlass zu Hoff- nung, auch wenn der Schmerz über den kulturellen Verlust dadurch nicht kleiner wird.

Der Bundesrat ist dem Stadtrat von Luzern dankbar für diesen raschen Entschluss und unterstreicht seine Solidarität mit der Luzerner Bevölke- rung. Der Bundesrat wird alles in seinen Kräften stehende unterneh- men, um den Wiederaufbau der Ka- pellbrücke zu unterstützen».

Zuständig für die Hilfe des Bundes, die in der Denkmalpflege Subventio- nen und die Offerierung von Sach- kompetenz (u. a. Fachleute) beinhal- ten kann, ist das Bundesamt für Kultur. Dessen interimistischer Leiter, Hans Rudolf Dörig, wurde im übrigen im Anschluss an ein IMF-Konzert in der Nacht auf Mittwoch Augenzeuge des Brückenbrandes. Martin Stan- kowski, wissenschaftlicher Adjunkt in der Sektion Denkmalpflege im Bun- desamt für Kultur, erklärte auf Anfra- ge, dass die Hilfe des Bundes sicher «rasch und unbürokratisch» geleistet werde. Ansprechpartner für den Bund sei dabei der Kanton Luzern.

Hilfe in mehreren Phasen

In der ersten Phase, die aus der Schadensaufnahme bestehen wird, werde der Bund aber kaum schon gebraucht. Erst in der zweiten Phase, in der Konzept- und Projekterstellung für den Wiederaufbau, werde mögli- cherweise der vom Bund offerierte

Sachverstand in Anspruch genommen. In der dritten Phase gehe es um die Finanzierung des Wiederaufbaus. Auch hier setze aber die Hilfe des Bundes subsidiär ein, sagte Stankow- ski. Der Bund werde sich auf der Grundlage des Bundesbeschlusses zur Denkmalpflege an der von den Versi- cherungen nicht gedeckten Restsum- me beteiligen. Für die Höhe der zu leistenden Bundeshilfe gebe es dabei Richtlinien.

Für Kulturgüter von nationaler Be- deutung, wie die Kapellbrücke eines ist, könne der Bund 34 Prozent der subventionierbaren Kosten überneh- men. Im Einzelfall könne dieser Satz aber auch überschritten werden. Für die Offerierung von Fachleuten wie für die Finanzhilfe lässt sich das Bundesamt für Kultur von der Eidge- nössischen Kommission für Denkmal- pflege beraten. Präsident dieses Bera- tungsorgans ist ein Mann, der die Kapellbrücke bestens kennt: es ist der alt Denkmalpfleger des Kantons Lu- zern, Andre Meyer.

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Donnerstag, 19. August 1993 Nr. 191 Luzerner Zeitung Urner Zeitung Schwyzer Zeitung Nidwaldner Zeitung Zuger Zeitung Luzern Spezial 7

Gisela Rath, Kriens, Hausfrau

JVLeine erste Reaktion war folgende: Nun haben sich die Aggressionen, welche in Luzern mehr und mehr herrschen, Luft verschafft. Ich emp- fand sogar ein gewisses Verständnis dafür. Jetzt, wo ich vor Ort die zerstörte Brücke sehe, tut es aber doch sehr weh. Es ist jammerschade und dennoch für mich auch eine Art Hoffnungszeichen. Im Moment ist die Stimmung derart angeheizt und explo- siv. Vieles gärt in den Köpfen der Menschen. Vielleicht wird durch den Anschlag auf die Brücke endlich Energie frei für die längst fälligen gesellschaftlichen Veränderungen.

Moshe Shorer, Israel, Advokat

Auch in Israel ist die Luzerner Kapellbrücke ein Begriff, und sie wurde uns im Vorfeld der Reise als besondere Attraktion angekündet. Heute morgen sind wir in Luzern angekommen und treffen nun auf diese Havarie. Es ist schrecklich schade um dieses historische Bauwerk und um die wertvollen Bilder. Die Anwesenheit von so vielen erschütter- ten Menschen zeigt, wie sehr die Luzernerinnen und Luzerner ihre berühmte Brücke lieben. Gerade für die Einheimischen hoffe ich, dass die Brücke möglichst originalgetreu wie- deraufgebaut werden kann.

Andy Feer, Schüler, Emmen

Jüline Sauerei ist das! Die Kapellbrük- ke ist das Wahrzeichen der Stadt Luzern, sie ist unersetzlich. Man sieht den Leuten an, was der Verlust für sie bedeutet. Viele Menschen weinten. Den Anschlag hat wohl jemand ver- übt, der Luzern aus tiefstem Herzen hasst. Ich könnte mir vorstellen, dass es sich um einen Racheakt handelt. Vielleicht hat sich jemand aus der Drogenszene auf diese Weise für die vermehrte Polizeipräsenz revanchiert. Ich hoffe, dass nun nicht plötzlich weniger Touristen kommen. Dies wäre für die Stadt Luzern wahrscheinlich sehr schlimm.

Andy Dossenbach, Luzern, Musiker

JNiemals hätte ich gedacht, dass mir so etwas derart einfährt. Ich bin überrascht über mich selbst. Aber ich bin mit dieser Brücke aufgewachsen und habe mich an ihren Anblick gewöhnt. Wenigstens ist ein Teil der Brücke unversehrt geblieben. Dieser Teil wird uns daran erinnern, wie es früher einmal war. Tröstlich ist auch, dass die Aufräumarbeiten anschei- nend sehr kompetent vollzogen wer- den. Dies lässt hoffen, dass die Brücke bald wieder steht. Wie früher wird sie allerdings wohl nie mehr sein. Mir tun auch die vielen Spinnen leid, die beim Brand umgekommen sind.

Thea Urfer, Kriens, Spitex-Helferin

Uas ist ein überaus trauriger An- blick, der mich sehr schmerzt. Heute morgen habe ich einer geistig behin- derten Patientin vom Brand erzählt. Sie wusste sofort, wovon ich sprach, und war ebenfalls sehr traurig. Ich komme viel mit dem Velo in die Stadt, und die Brücke gehört einfach zum vertrauten Bild. Ich hoffe, dass es gelingt, sie möglichst original wieder aufzubauen. Wie wichtig die Brücke ist, sieht man an den vielen Menschen, die heute gekommen sind. Doch eigentlich habe ich die Leute kaum registriert. Ich habe genug mit meinen eigenen Gefühlen zu tun.

«So wie früher wird sie wohl nie mehr sein» Im Umkreis der abgebrannten Kapellbrücke wimmelte es gestern von bestürzten Menschen

are. Die Szenerie war unendlich traurig. Selbst Petrus hatte Mitleid mit den Luzernerinnen und Luzernern, Hess die Sonne hinter den Wolken und beleuchtete die Stadt mit wohltuender Zurückhaltung. Herrlicher Sonnen- schein über der verbrannten Kapell- brücke wäre den Anwesenden wohl wie der reinste Hohn vorgekommen.

Und es waren zahllose Leute er- schienen. Rathausquai, Reussbrücke, Bahnhofstrasse und Seebrücke waren während des ganzen Tages mit dichten Menschenreihen besetzt. Die Menge erinnerte an die Fasnacht, an das Altstadtfest, doch die Gesichter der Leute liessen einen solchen Vergleich absurd erscheinen. Trauer herrschte und Fassungslosigkeit. Einige Leute diskutierten, doch das Schweigen herrschte vor. Viele Luzernerinnen und Luzerner hatten sich bereits derart an ihre Brücke gewöhnt, dass sie sie oft nicht mehr bewusst regi- strierten. Viele waren nun wohl über- rascht, welche Gefühle der Anblick des verbrannten Wahrzeichens in ih- nen auslöste. Die LZ hat mit Einhei- mischen und Gästen gesprochen. Während des ganzen gestrigen Tages standen die Menschen in dichten Reihen, um die Kapellbrücke zu betrauern. Bild Werner Scheiben

Mary Gilmoure, Irland, Hausfrau

Cis ist eine Tragödie. Bereits vor zwei Jahren verbrachte ich meine Ferien in Luzern, und die prachtvolle Kapell- brücke ist mir in Erinnerung geblie- ben. Sie stellte wirklich das Prunk- stück Luzerns dar. Heute bin ich in Luzern angekommen, um meine Fe- rien wiederum hier zu verbringen. Und wie traurig war ich, als ich die verbrannte Brücke sah. Anscheinend leben wir in einer Zeit, in welcher die Leute vor nichts mehr zurückschrek- ken. Zwar bin ich sicher, dass die Brücke wieder aufgebaut werden kann. Doch wird es wohl nicht mehr dieselbe sein wie früher.

Franz Kurzmeyer, Stadtpräsident Luzern Zuerst konnte ich die Nachricht fast nicht glauben. Dann folgte das Entset- zen. Die Kapellbrücke ist das Wahr- zeichen unserer Stadt, der Brand stellt für die Luzernerinnen und Luzerner einen enormen Verlust dar. Wir wer- den die Brücke so schnell wie möglich wieder aufbauen. Aber es zeigte sich in schrecklicher Deutlichkeit, dass weder die Menschen noch die Behör- den sich gegen alles absichern können. Wir werden uns inskünftig bei einigen Sehenswürdigkeiten und Kunstschät- zen fragen müssen, ob wir verantwor- ten können, sie noch derart offen und schutzlos zu präsentieren.

Max Büchler, Luzern, Architekt

W ir dürfen den Kopf nicht verlieren. Der seinerzeitige Brand des Bahnho- fes war viel tragischer und bescherte uns während zwanzig Jahren eine Baustelle. Holz und Sandsteinjoche der Brücke wurden schon früher erneuert, und die zerstörten Bilder hatten, verglichen mit denjenigen der Spreuerbrücke, keinen überragenden kunsthistorischen Wert. Das grösste Problem wird wohl sein, die alten Biberschwanzziegel zu ersetzen und in der ursprünglichen lebendigen Art anzuordnen. Ich bin überzeugt, dass wir im nächsten Frühling unsere Kapellbrücke wieder begehen können.

Urs Grossenbacher, Luzern, Stadtpolizist

Ich konnte es zunächst fast nicht glauben, als ich vom Brand hörte. Meine Reaktion war grosse Betroffen- heit, und ich denke, dass es fast allen Luzernerinnen und Luzernern so er- ging. Für Luzern ist dieser Verlust eine Tragödie, und zwar nicht primär aus touristischen Gründen. Die Brük- ke gehört zu dieser Stadt, sie ist ihr Wahrzeichen, und die Leute haben eine enge Beziehung zu ihr. Um so tragischer ist das Ereignis. Dennoch bin ich eigentlich optimistisch und hoffe, dass die Brücke gerettet werden kann. Ich meine, was wäre Luzern ohne Kapellbrücke?

Cynthia Hug, Luzern, Hausfrau

Ich stamme aus Singapur, lebe jedoch seit fünfzehn Jahren in Luzern. Des- halb ist mir die Kapellbrücke wie allen Einheimischen ans Herz gewachsen. Sie ist ein Stück Luzern, und der Verlust ist riesengross. Mich beein- druckt auch, wie viele Leute erschie- nen sind. Die Trauer ist deutlich spürbar und zeigt, wie die Menschen am Wahrzeichen ihrer Stadt hängen. Natürlich kann die Brücke wieder aufgebaut werden, doch wird sie danach nicht mehr dieselbe sein wie früher. Die alte Brücke mit ihrem Flair und ihrem Anblick ist wohl endgültig verloren.

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Bilder Ruth Tischler/Lorenz Fischer

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