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211 Erfassung früher Erzähl- und Lesekompetenzen Empirische Sonderpädagogik, 2014, Nr. 3, S. 211-226 Erfassung der frühen Erzähl- und Lesekompetenzen im Vorschulalter zur primären Prävention von Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb Marlene Meindl & Tanja Jungmann Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation (ISER), Universität Rostock Zusammenfassung Ursachen für Probleme im Schriftspracherwerb sind nicht erst im Anfangsunterricht zu suchen, son- dern bereits in familiären Illiteralitätserfahrungen. Insbesondere das Wissen über Schrift und die Er- zählfähigkeit sind als Prädiktoren des späteren Schriftspracherwerbs gut belegt. Ein geeignetes Ver- fahren zu deren reliabler und valider Erfassung fehlt aber im deutschen Sprachraum. Diese Lücke soll mit dem Verfahren EuLe 3-5 (Meindl & Jungmann, in Vorb.) geschlossen werden, dessen Kon- zeption theoriebasiert und orientiert an anerkannten Verfahren aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum erfolgte. Zur Überprüfung seiner Einsetzbarkeit und Güte wurde eine Stichprobe von insgesamt N=658 Kindern aus Kindertageseinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin untersucht. In Teilstichproben kamen zur Ermittlung der Konstruktvalidität das SSV bzw. der SETK 3-5 sowie die nonverbalen Skalen der K-ABC zum Einsatz. Die Itemkennwerte (r it = .40 - .61) belegen ebenso wie die Befunde zu den Hauptgütekriterien Objektivität (ICC unjust, einfakt = .96), Re- liabilität (Cronbachs a Gesamttest = .91) und Validität die Eignung des EuLe 3-5 für präventive Förder- entscheidungen im Vorschulalter. Weitere Studien zur inkrementellen und prognostischen Validität des Verfahrens sind notwendig und laufen derzeit. Schlüsselwörter: Frühdiagnose, Erzählfähigkeit, Early Literacy, Frühprävention von Lese-Recht- schreib-Schwierigkeiten Assessing early literacy skills to prevent problems in reading and writing Abstract Problems in reading and writing acquisition are not rooted in elementary school instruction but of- ten in lacking literacy experiences in the family of origin. Although knowledge of print and narra- tive skills are well-documented predictors of later literacy acquisition in school, reliable und valid diagnostic instruments are missing in Germany. The EuLe 3-5 (Meindl & Jungmann, in prep.) is sup- posed to fill this gap. Its conception is grounded in theory and based on established Anglo-Ameri- can tests. We tested its applicability and quality on a construction sample of N = 658 preschool children in Mecklenburg-West Pomerania and Berlin. To determine construct validity, we adminis- tered the SSV or the SETK 3-5 and the nonverbal scales of the K-ABC additionally in subsamples. Item analysis (r it = .40 - .61) and results on objectivity (ICC one-way, random = .96), reliability (Cronbachs a total test = .91) and validity prove the adequacy of the EuLe 3-5 for intervention decisions at pre- school age. Further studies concerning the incremental and predictive validity are necessary and run currently. Key words: early diagnosis, narrative skills, early prevention of problems in reading and writing

Erfassung der frühen Erzähl- und Lesekompetenzen im ... · Erfassung früher Erzähl- und Lesekompetenzen 211 Empirische Sonderpädagogik, 2014, Nr. 3 , S. 211-226 Erfassung der

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211Erfassung früher Erzähl- und Lesekompetenzen

Empirische Sonderpädagogik, 2014, Nr. 3, S. 211-226

Erfassung der frühen Erzähl- und Lesekompetenzenim Vorschulalter zur primären Prävention vonSchwierigkeiten im Schriftspracherwerb

Marlene Meindl & Tanja JungmannInstitut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation (ISER), Universität Rostock

ZusammenfassungUrsachen für Probleme im Schriftspracherwerb sind nicht erst im Anfangsunterricht zu suchen, son-dern bereits in familiären Illiteralitätserfahrungen. Insbesondere das Wissen über Schrift und die Er-zählfähigkeit sind als Prädiktoren des späteren Schriftspracherwerbs gut belegt. Ein geeignetes Ver-fahren zu deren reliabler und valider Erfassung fehlt aber im deutschen Sprachraum. Diese Lückesoll mit dem Verfahren EuLe 3-5 (Meindl & Jungmann, in Vorb.) geschlossen werden, dessen Kon-zeption theoriebasiert und orientiert an anerkannten Verfahren aus dem anglo-amerikanischenSprachraum erfolgte. Zur Überprüfung seiner Einsetzbarkeit und Güte wurde eine Stichprobe voninsgesamt N=658 Kindern aus Kindertageseinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlinuntersucht. In Teilstichproben kamen zur Ermittlung der Konstruktvalidität das SSV bzw. der SETK 3-5 sowie die nonverbalen Skalen der K-ABC zum Einsatz. Die Itemkennwerte (rit= .40 - .61)belegen ebenso wie die Befunde zu den Hauptgütekriterien Objektivität (ICCunjust, einfakt = .96), Re-liabilität (Cronbachs aGesamttest= .91) und Validität die Eignung des EuLe 3-5 für präventive Förder-entscheidungen im Vorschulalter. Weitere Studien zur inkrementellen und prognostischen Validitätdes Verfahrens sind notwendig und laufen derzeit.

Schlüsselwörter: Frühdiagnose, Erzählfähigkeit, Early Literacy, Frühprävention von Lese-Recht-schreib-Schwierigkeiten

Assessing early literacy skills to prevent problems in reading and writing

AbstractProblems in reading and writing acquisition are not rooted in elementary school instruction but of-ten in lacking literacy experiences in the family of origin. Although knowledge of print and narra-tive skills are well-documented predictors of later literacy acquisition in school, reliable und validdiagnostic instruments are missing in Germany. The EuLe 3-5 (Meindl & Jungmann, in prep.) is sup-posed to fill this gap. Its conception is grounded in theory and based on established Anglo-Ameri-can tests. We tested its applicability and quality on a construction sample of N = 658 preschoolchildren in Mecklenburg-West Pomerania and Berlin. To determine construct validity, we adminis-tered the SSV or the SETK 3-5 and the nonverbal scales of the K-ABC additionally in subsamples.Item analysis (rit= .40 - .61) and results on objectivity (ICCone-way, random = .96), reliability (Cronbachsatotal test = .91) and validity prove the adequacy of the EuLe 3-5 for intervention decisions at pre-school age. Further studies concerning the incremental and predictive validity are necessary and runcurrently.

Key words: early diagnosis, narrative skills, early prevention of problems in reading and writing

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212 Marlene Meindl & Tanja Jungmann

In den letzten Jahrzehnten wurde in der inter-nationalen Forschungsliteratur das Konzeptder Early Literacy geprägt, das auch inDeutschland immer mehr an Bedeutung ge-wonnen hat. Wörtlich übersetzt bedeutet Li-teracy Lese- und Schreibkompetenz. In derElementarpädagogik wird der Begriff aller-dings im weiteren Sinn verwendet und die Er-fahrungen mit und die Teilhabe an der jewei-ligen Erzähl-, Buch- und Schriftkultur einbe-zogen (Nickel, 2005). Mit Early oder Emer-gent Literacy werden demnach die frühen Fä-higkeiten, das Wissen und die Einstellungen,die der eigentlichen Instruktion im Lesen undSchreiben vorausgehen, bezeichnet. DerSchriftspracherwerb und damit auch der Er-werb der Lesekompetenz werden als ein Ent-wicklungskontinuum betrachtet, dessen Ur-

sprünge in der frühen kindlichen Entwick-lung liegen.

Whitehurst und Lonigan (1998, 2001) un-terscheiden in ihrem Modell, das von Spee-ce, Ritchey, Cooper, Roth und Schatschnei-der (2004) empirisch bestätigt wurde, die frü-hen schriftsprachlichen Kompetenzen nachInside-out und Outside-in Skills (siehe Abbil-dung 1).

Als Inside-out Skills werden sprachanaly-tische Fähigkeiten bezeichnet, die notwendigfür die Lesefertigkeit sind, also für das phono-logische Rekodieren sprachlichen Materials.Die Informationen zur Übersetzung der Gra-pheme in Phoneme und umgekehrt befindensich „innerhalb“ des Wortes und setzen pho-nologische Bewusstheit und Buchstaben-kenntnis voraus. Folglich sind diese Fähigkei-

Abbildung 1: Übersicht über die Emergent Literacy-Komponenten und weitere Faktoren (nach Whitehurst& Lonigan, 1998)

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213Erfassung früher Erzähl- und Lesekompetenzen

ten besonders in den frühen Phasen des Lese-erwerbs bedeutsam.

Als Outside-in Skills werden dagegen Fä-higkeiten bezeichnet, die das Kind für das Le-severständnis benötigt und die somit wichtigsind, um den Wortkontext zu verstehen. Da-zu zählt die Größe des kindlichen Wortschat-zes oder das Wissen über Erzählschemata.Diese Kompetenzen sind vor allem in späte-ren Phasen des Schriftspracherwerbs von Be-deutung.

Beide Domänen sind nicht unabhängigvoneinander zu betrachten, vielmehr führtz.B. eine automatisierte Dekodierfähigkeit zueinem besseren Leseverständnis und dieKenntnis der semantischen Bedeutung vonWörtern verbessert deren korrekte Wiederga-be. Bei kompetenten Lesern greifen diese Fer-tigkeiten im Leseprozess ineinander.

Die phonologische Bewusstheit ist als gu-ter Prädiktor des Schriftspracherwerbs in deralphabetischen Phase vielfach belegt und inder Diagnose und Förderung im Vorschulal-ter auch in Deutschland bereits sehr gut etab-liert (Jansen, Mannhaupt, Marx & Skowro-nek, 2002; Schneider, Roth & Küspert, 1999).Verfahren zur Diagnose und Förderung fürdie frühen Lese- und Erzählkompetenzen lie-gen in Deutschland hingegen noch nicht vor,wenngleich internationale Forschungsbefun-de zeigen, dass die vorschulische Erfahrungmit Schrift (Piasta, Justice, McGinty & Kadera-vek, 2012; Storch & Whitehurst, 2002) sowiedie Erzählfähigkeit im Vorschulalter (Quast-hoff et al., 2011; Tunmer, Herriman & Nesda-le, 1988) gute Prädiktoren späterer schrift-sprachlicher Kompetenzen sind. Die Buch-stabenkenntnis vor Schuleintritt hat sich so-gar als der stärkste Prädiktor für einen gelin-genden Schriftspracherwerbsprozess erwie-sen, da diese Fähigkeit in direktem Bezug zurLese- und Schreibkompetenz im engeren Sin-ne steht (Storch & Whitehurst, 2002). Darausergibt sich die Notwendigkeit die frühen Er-zähl- und Lesekompetenzen sowie insbeson-dere die Buchstabenkenntnis in der Prädik-tion des Lese- und Rechtschreiberwerbs stär-ker als bisher zu berücksichtigen. Dies machtdie Entwicklung eines reliablen und validen

Verfahrens zur frühzeitigen Erfassung sprach-und schriftsprachbezogener Fähigkeiten undzur primären Prävention von Schwierigkeitenbeim Schriftspracherwerb erforderlich.

Konzeptuelles Vorgehen bei derKonstruktion des Verfahrens EuLe 3-5

Mit dem Verfahren Erzähl- und Lesekompe-tenzen erfassen bei 3- bis 5-jährigen Kindern(EuLe 3-5; Meindl & Jungmann, in Vorb.)wird ein breites Spektrum der frühen Early Li-teracy-Fähigkeiten erhoben. Seine Konstruk-tion basiert auf dem in Abbildung 1 darge-stellten Komponentenmodell von Whitehurstund Lonigan (1998, 2001). Entsprechendwerden für beide Bereiche (Outside-in undInside-out Skills) bedeutsame Fähigkeiten be-rücksichtigt. Ausnahmen stellen die Anfängedes Lesens (im Sinne des logographischen Le-sens) und des Schreibens dar, da sie sichnicht als Prädiktoren des weiteren Leseer-werbs erwiesen haben. Die Erfassung der An-fänge des Schreibens ist zudem von der Test-anlage her nicht intendiert. Daraus resultie-ren insgesamt fünf Skalen, deren Konstruk-tion sich zum Teil an bereits bewährten Diag-noseinstrumenten aus dem anglo-amerikani-schen Sprachraum orientiert (vgl. Tabelle 1).

Skala 1: Erzählkompetenzen

Zur Einschätzung der diskursiv-narrativen Fähigkeiten unter Berücksichtigung dersprachlichen Kompetenzen (Wortschatz,Aussprache) von Vorschulkindern wurde dieBildergeschichte „Teddy Theo“ von den Au-torinnen selbst entwickelt, deren Inhalte undIllustrationen bereits Kinder im Alter von dreiJahren zum Erzählen anregen.

Mit der Erfassung der Erzählkompetenzkönnen Aussagen über verschiedene Aspektedes Sprechens und der Sprache, wie z.B.Grammatik, Aussprache oder Sprechpausengemacht werden. Die Fähigkeit zum mündli-chen Sprachhandeln und zur Dekontextuali-sierung von Sprache ist in der Schule vonzentraler Bedeutung. Die Fähigkeit, Sprachelosgelöst vom Kontext zu verstehen und

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214 Marlene Meindl & Tanja Jungmann

Skala Aufgabenstellung Beispielitems

Erzähl-Kompetenzen(7 Items, max. 21 Pkt.)

Versprachlichung eines bildlichvorgegebenen Szenariums.

Auszug aus der Bildergeschichte:

Beurteilung u.a. des Umgangs mit der Rei-henfolge der Bilder, der Thematisierung dereinzelnen Szenen, der Initiative währenddes Gesprächs.

Schriftwissen(10 Items, max. 12 Pkt.)

1) Erfassung der bisherigen Er-fahrung mit der Buchkultur.

2) Überprüfung der Kenntnisvon Schriftkonventionen imDeutschen.

„Zeige mir die Vorderseite des Buches.“„Zeige mir den Namen des Buches.“„Welche Seite muss ich zuerst lesen?“ „In welche Richtung muss ich lesen?“

Büchlein zur Elizitation

Wort-bewusstheit(8 Items, max. 8 Pkt.)

Überprüfung des metalinguisti-schen Wort-Konzeptes.

„Zeige mir ein Wort auf dieser Seite.“„Zeige mir die Lücke zwischen zwei Wör-tern.“ (Material siehe Skala Schriftwissen.)

Schrift-bewusstheit(12 Items, max. 12 Pkt.)

Unterscheidung zwischen: 1) Wörtern und Bildern,2) Buchstaben und anderen

Zeichen,3) Buchstaben und Zahlen,4) Entdecken von Schrift auf

Bildern.

Buchstaben-kenntnis(21 Items, max. 21 Pkt.)

1) Der genannte Buchstabe istaus vier Möglichkeiten aus-zuwählen.

2) Benennen von Buchstaben.

Instruktion: „Zeige mir das M.“

Instruktion: „Wie heißt dieser Buchstabe?“

Tabelle 1: Skalen des Verfahrens EuLe 3-5 mit Beispielitems

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215Erfassung früher Erzähl- und Lesekompetenzen

selbst zu verwenden, entwickelt sich im vier-ten Lebensjahr in Abhängigkeit von Erzähl-kompetenzen und Rollenspiel (Andresen,2011). Die Kompetenzen der Kinder werdenmit sieben Items auf einer Skala von 0 bis 3Punkten eingeschätzt, wobei Operationalisie-rungen zur Auswertung und Punktevergabevorliegen. So werden z.B. bei der Frage, obdas Kind die einzelnen Szenen der Bilderge-schichte thematisiert, 3 Punkte für die sprach-lich genaue und zusammenhängende Dar-stellung der Geschichte mit Nebensätzen ver-geben, 2 Punkte für die Darstellung wesentli-cher Aspekte in einfacher Weise, 1 Punkt füreinzelne Nennungen der Geschehnisse und0 Punkte, wenn sich das Kind nicht zur Ge-schichte äußert. Insgesamt können 21 Roh-wertpunkte in dieser Skala erreicht werden.

Für die Skalen Schriftwissen und Wortbe-wusstheit liegt die Bildergeschichte „TeddyTheo“ in Buchform vor. Die zehn Items derSkala Schriftwissen und die acht Items derSkala Wortbewusstheit wurden aus dem Pre-school Word and Print Awareness Assess-ment (PWPA; Justice & Ezell, 2001), der diefür den vorschulischen Bereich adaptierteVersion des Concepts about Print Test(C.A.P.; Clay, 2005) darstellt, übernommenund an das Alter der Kinder angepasst. Clay(2005) ermittelte für die prädiktive Validitätdes C.A.P. Tests an einer Stichprobe vonN =  38 sechsjährigen, englischsprachigenKindern Werte von r = .69 und r = .73 fürdie Lesefähigkeit im Alter von 7 bzw. vonr = .64 und r = .70 für die Lesefertigkeit imAlter von 8 Jahren.

Skala 2: Schriftwissen

Schriftwissen beinhaltet u.a. sich entwickeln-des Wissen über spezifische Formen undFunktionen von geschriebener Sprache undRegeln bezüglich der Schriftkonventionen,z.B. Lese- und Schreibrichtung von linksnach rechts im Deutschen. Dieses Wissen be-ruht auf Erfahrungen mit der jeweiligen Buch-und Schriftkultur und schließt auch dieKenntnis über Charakteristika von Büchernund das Lesen dieser mit ein (Piasta et al.,

2012). Kinder, die über Schriftwissen verfü-gen, können Fragen, wie z.B. „Wo befindetsich die Vorderseite eines Buches? Wo ist derTitel des Buches? In welche Richtung wirdgelesen?“, korrekt beantworten. Die Itemsdieser Skala werden überwiegend mit 1 (kor-rekte Antwort) oder 0 (nicht korrekte Ant-wort) Punkten bewertet. Bei zwei Items gibtes eine Abstufung in der Bewertung von 0 bis2 Punkten, so z.B. bei der Frage: „Kannst Dumir zeigen, wo ich anfangen muss zu lesen?“.Hier gibt es 2 Punkte, wenn das Kind auf daserste Wort oder die erste Zeile zeigt und 1Punkt, wenn es irgendwo auf Schrift zeigt.Maximal können 12 Rohwertpunkte in dieserSkala erreicht werden.

Skala 3: Wortbewusstheit

Wortbewusstheit meint neben der Vertraut-heit mit dem Konzept „Wort“ auch die Ein-sicht, dass Wörter als Elemente der Sprachebedeutungsunabhängige Eigenschaften ha-ben. Dies beinhaltet z.B. das Wissen, dassSätze aus Wörtern bestehen, die Fähigkeitzur Zerlegung eines Satzes in seine Wörteroder die Fähigkeit, einzelne Wörter im Satzgegen semantisch oder phonologisch ähn-liche Wörter auszutauschen. Des Weiterenmüssen Kinder einen Abstraktionsprozessdurchlaufen haben, der es ihnen ermöglicht,von der Bedeutung des Bezeichneten abzuse-hen, und sich der Struktur des Wortes zuzu-wenden (Niebuhr & Ritterfeld, 2003). Korrek-te Antworten werden mit 1 Punkt, inkorrektemit 0 Punkten bewertet. Daraus ergeben sichmaximal 8 erreichbare Rohwertpunkte in die-ser Skala.

Die Items der Skalen Schriftbewusstheitund Buchstabenkenntnis wurden in Anleh-nung an den Untertest Print Knowledge desTOPEL-Tests (Lonigan, Wagner, Torgesen &Rashotte, 2007) konstruiert und das Bildmate-rial zur Elizitation der Antworten in überarbei-teter Version übernommen. Die interne Kon-sistenz des Untertests in der Originalversionwird mit a = .95 angegeben, die Test-Retest-Reliabilität liegt bei r = .89 und die Interrater-Reliabilität bei r = .96 (Lonigan et al., 2007).

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216 Marlene Meindl & Tanja Jungmann

Skala 4: Schriftbewusstheit

Die Entwicklung eines Bewusstseins fürSchrift und Schriftlichkeit ist für die Literacy-Entwicklung von großer Bedeutung. Im Alltagbegegnet Kindern Schrift auf vielfältige Wei-se, sie können ihr anfangs aber noch keineBedeutung zuordnen, weil sie (noch) keineentsprechenden kognitiven Schemata ausge-bildet haben. Im Laufe ihrer Entwicklung be-greifen sie, dass Schrift ein Bedeutungsträgerist und dass sie sich strukturell von anderenZeichensystemen (z.B. Zahlen) unterscheidet(Nickel, 2007). Auch bei dieser Skala findeteine Bewertung der 12 Items auf der Grund-lage korrekter Antworten (1 Punkt) versus in-korrekter Antworten (0 Punkte) statt. Somitsind insgesamt maximal 12 Rohwertpunkteerreichbar.

Skala 5: Buchstabenkenntnis

Von zahlreichen Autoren wird die vorschuli-sche Buchstabenkenntnis als einer der bestenPrädiktoren für spätere Schriftleistungen be-trachtet (Diamond, Gerde & Powell, 2008;Storch & Whitehurst, 2002), was darauf zu-rückzuführen ist, dass die Kenntnis der Buch-staben und der Graphem-Phonem-Korres-pondenz unmittelbar im Zusammenhang mitden Anforderungen im Erstleseunterrichtsteht. Ein wichtiger Beitrag des Buchstaben-wissens besteht darin, dass das Kind seineAufmerksamkeit auf „abstrakt-symbolischeElemente der Schriftsprache sowie derenKonzepte lenken kann, auch wenn es dieFunktionsweise der Schrift noch nicht im Ein-zelnen versteht“ (Liebers, 2010, S. 16). Beider Skala Buchstabenkenntnis, die aus 21Items besteht, werden die Leistungen desKindes entweder als korrekt (1 Punkt) oder in-korrekt (0 Punkte) bewertet. Daraus resultiertein maximaler Rohwertpunkt von 21.

Zusammenfassend sind die Skalen Erzähl-fähigkeit, Schriftwissen und Schriftbewusst-heit den Outside-in Skills und die Skalen

Wortbewusstheit und Buchstabenkenntnisden Inside-out Skills zuzuordnen. Die Durch-führungsdauer des Verfahrens beträgt ca. 10Minuten, die Auswertung nimmt ca. 5 Minu-ten in Anspruch. Zur Erleichterung einer ob-jektiven Durchführung liegt ein Manual mitwortwörtlichen Anleitungen vor. Die Aus-wertung der Skalen ist einfach zu handhabenund erfolgt größtenteils durch Ankreuzen mitanschließender Summation der Rohwert-punkte, die dann anhand der Normtabellenin T-Werte und Prozentränge transformiertwerden.

Methode

Stichprobe

Die Daten zur Einsetzbarkeit und zur Gütedes EuLe 3-5 wurden an einer Stichprobe voninsgesamt N = 658 Kindern im Alter von 3;0bis 5;5 Jahren aus den Bundesländern Meck-lenburg-Vorpommern und Berlin erhoben.Ein Großteil der Kinder (n = 402) stammt ausder wissenschaftlichen Begleitforschung desKOMPASS-Projektes1 (Jungmann et al.,2013). An diesem Projekt nehmen insgesamt21 Kindertageseinrichtungen aus Mecklen-burg-Vorpommern teil.

Das Verfahren EuLe 3-5 wurde an einerStichprobe von n = 66 Kindern im Alter von3;0 bis 5;11 Jahren im Rahmen einer Exa-mensarbeit unmittelbar vor seinem Einsatzim KOMPASS-Projekt pilotiert. Da die Befun-de bereits für eine Erfüllung der Gütekriteriensprachen, gingen die Daten der Kinder im Al-ter zwischen 3;0 und 5;5 Jahren (n = 50) indie hier dargestellten Berechnungen ein. ImRahmen einer weiteren Examensarbeit wur-den n = 37 untersucht. Insgesamt wurden so-mit n = 87 Kinder im Rahmen von Qualifika-tionsarbeiten an der Universität Rostock un-tersucht. Für eine Masterarbeit wurden zu-sätzlich n = 169 Kinder in Berlin-Lichtenbergmit dem EuLe 3-5 getestet. Die Eltern der teil-

1 Das Projekt wird durch die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, vertreten durch das Ministeri-um für Bildung, Wissenschaft und Kultur gefördert.

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217Erfassung früher Erzähl- und Lesekompetenzen

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KOMPASS-Projekt

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Staatsexamensarbeiten

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Masterarbeit in Berlin-

Lichtenberg (n = 169)Statistische Kennwerte

Alter (in Monaten)

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218 Marlene Meindl & Tanja Jungmann

nehmenden Kinder wurden jeweils durch El-ternanschreiben über die Studien informiertund alle Kinder getestet, deren Eltern schrift-lich ihr Einverständnis erklärt hatten. Teilwei-se liegt zusätzlich eine Erlaubnis zur Auf-zeichnung der Testsituation auf Video vor.

Während 37% der Kinder aus dem KOM-PASS-Projekt Kindertageseinrichtungen inländlichen und 63% in städtischen Regionenbesuchen, wurden die Daten für die Qualifi-kationsarbeiten ausschließlich in städtischenEinrichtungen erhoben.

Tabelle 2 gibt eine Übersicht der Zusam-mensetzung der Substichproben nach Alter,Geschlecht, dem mütterlichen Bildungsab-schluss als Indikator des sozioökonomischenStatus, der Häufigkeit des Vorlesens als Indi-kator der häuslichen Leseumgebung (HomeLiteracy Environment, HLE) sowie den Anteilan Kindern aus Familien mit Migrationshin-tergrund. Die genannten Indikatoren für densozioökonomischen Status und die häuslicheLeseumgebung (HLE) wurden ebenso wiedie Mehrsprachigkeit der Familie als Indika-tor für das Vorliegen eines Migrationshinter-grundes mit einem Elternfragebogen erho-ben.

Während sich die Substichproben nichtsignifikant hinsichtlich ihrer Zusammenset-zung nach Geschlecht und lediglich tenden-ziell in der Häufigkeit des Vorlesens unter-scheiden, ergaben sich signifikante Unter-schiede im mittleren Alter der Kinder sowiein der Verteilung der Ausbildungsabschlüsseder Mütter zwischen den Substichproben. Inder KOMPASS-Stichprobe ist der häufigsteBerufsabschluss die Ausbildung, dagegen ha-ben die Mütter aus den Rostocker Stichpro-ben zum großen Teil einen Fachschul- oder

(Fach-) Hochschulabschluss. In der BerlinerStichprobe sind die beiden genannten Ausbil-dungsabschlüsse zu gleichen Teilen vertre-ten, allerdings ist der Anteil der Mütter ohneeine Ausbildung mit 15% vergleichsweisehoch. Weiterhin fällt der Anteil der Kindermit Migrationshintergrund in der BerlinerSubstichprobe signifikant höher aus als inden mecklenburgischen Stichproben.

Informationen zur Verteilung der Kinderin der Stichprobe nach Geschlecht auf die Al-tersgruppen sind Tabelle 3 zu entnehmen.

Zusammengenommen waren die Kinderzwischen 3;0 und 5;5 Jahre alt (M = 4;2 Jah-re; SD = 8 Monate). Sie verteilen sich annä-hernd gleichmäßig über die Altersgruppen inHalbjahresschritten, mit Ausnahme der Al-tersgruppe 5;0 bis 5;5 Jahren, die derzeitnoch unterbesetzt ist.

Durchführung der Testungen

Die Untersuchungen im Rahmen des KOM-PASS-Projektes wurden in den HansestädtenRostock und Stralsund sowie den Landkrei-sen Rostock und Vorpommern-Rügen von ge-schulten studentischen Hilfskräften durchge-führt. Für die n = 402 Kinder liegen zusätz-lich zum EuLe 3-5 Daten zu ihrem nonverba-len Intelligenzniveau (Kaufman AssessmentBattery for Children, K-ABC; Melchers &Preuß, 2009) und ihren Sprachverarbeitungs-fähigkeiten (Sprachscreening für das Vor-schulalter, SSV; Grimm, Aktas & Kießig,2003) vor.

Für die n = 169 Kinder, die von einer ge-schulten wissenschaftlichen Hilfskraft imRahmen ihrer Masterarbeit in Berliner Kin-dertageseinrichtungen getestet wurden, lie-

Geschlecht Altersgruppen Gesamtzahl

3;0 - 3;5 3;6 - 3;11 4;0 - 4;5 4;6 - 4;11 5;0 - 5;5

weiblich 69 65 82 78 35 329

männlich 56 81 73 86 33 329

Gesamtzahl 125 146 155 164 68 658

Tabelle 3: Verteilung der Kinder in der Stichprobe nach Geschlecht auf die Altersgruppen

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219Erfassung früher Erzähl- und Lesekompetenzen

gen zusätzlich Daten zu den rezeptiven, pro-duktiven und Sprachgedächtnisleistungender Kinder vor, die mit dem Sprachentwick-lungstest für drei- bis fünfjährige Kinder(SETK 3-5; Grimm, Aktas & Frevert, 2010) er-hoben wurden. Im Rahmen der beidenStaatsexamensarbeiten wurden die Erzähl-und Lesekompetenzen von n = 50 bzw. n =37 Kindern erfasst. Allerdings liegen nur beiletzterer zusätzliche Informationen zumSprachstand der Kinder (SETK 3-5) sowie zuderen sozioökonomischem Hintergrund (El-ternfragebogen) vor. Während alle Skalendes EuLe 3-5 mit allen Kindern durchgeführtwurden, um deren Einsatzbarkeit im gesam-ten Altersbereich 3;0 bis 5;11 Jahre zu über-prüfen, kamen die Untertests des SSV, desSETK 3-5 und die nonverbalen Untertests derK-ABC entsprechend der Vorgaben in denManualen in unterschiedlichen Altersgrup-pen zum Einsatz. Bei den dreijährigen Kin-dern wurden die Untertests MorphologischeRegelbildung (MR) und Phonologisches Ar-beitsgedächtnis für Nichtwörter (PGN) durch-geführt, bei den Kindern im Alter von 4;0 bis5;11 Jahre wurde der Untertest MR durchden Untertest Satzgedächtnis (SG) ersetzt.Die nonverbalen Untertests der K-ABC sinderst ab einem Alter von 4;0 Jahren durchführ-bar. Daher variieren die Stichprobengrößenentsprechend bei den Betrachtungen der Kor-relationen zur Bestimmung der Konstruktvali-dität. Alle Einzeltestungen fanden währenddes normalen Ablaufs des Kindergartenalltagsin einem separaten Raum der Kindertagesstät-ten statt.

Itementwicklung und -selektion

Es wurden Items z.T. aus den genannten Ver-fahren PWPA und TOPEL übernommen undfür das Deutsche adaptiert. Da es sich beimTOPEL um ein bereits standardisiertes Ver-fahren handelt, erfolgte zunächst keine Aus-wahl der Items. Beim PWPA, der auch bei äl-teren Kindern einsetzbar ist, wurden für denAltersbereich 3;0 bis 5;11 Jahre zu schwieri-ge Items eliminiert. Die Skala Erzählkompe-tenzen wurde eigens konstruiert. Die Aus-

wahl der endgültigen Items orientierte sichan deren Schwierigkeit und Trennschärfe.

Statistische Auswertung

Die dargestellten Berechnungen erfolgten mitdem Statistikprogramm SPSS mit Ausnahmeder konfirmatorischen Faktorenanalysen(CFA), die mit dem Programm Mplus gerech-net wurden. Ziel einer CFA ist die Überprü-fung der Passung von theoretisch abgeleite-ten Skalen des Verfahrens EuLe 3-5 zu denempirisch erhobenen Daten. Die Fit-Indizesder CFA sollten nach Byrne (2005) die fol-genden Werte annehmen: CFI >  .930 undRMSEA ≤ .050, allerdings gelten in zahlrei-chen Anwendungsstudien ein CFI  >  .900und RMSEA < .080 ebenfalls als noch aus-reichend gute Passung (Keller, Hautzinger &Kühner, 2008).

Ergebnisse

Itemkennwerte

Für alle Items wurden Mittelwerte und Stan-dardabweichungen sowie Itemschwierigkei-ten (P) und Trennschärfen (rit) berechnet. WieTabelle 4 zeigt, streuen die Schwierigkeitenbreit (P = .01 – .72). Die Trennschärfe derItems innerhalb einzelner Skalen reichte vonrit = .12 -.76, wobei die Skala Erzählkompe-tenzen die höchste mittlere Trennschärfe mitrit= .61 aufweist.

Gütekriterien des EuLe 3-5

Objektivität

Die Interrater-Reliabilität wurde über den In-traklassenkorrelationskoeffizienten (ICC) aneiner Substichprobe von 48 Kindern (21 Jun-gen, 27 Mädchen, Alter: M = 4;3 Jahre, SD = 9 Monate, Range: 3;0 - 5;9 Jahre) ermit-telt, deren Testungen im Rahmen der beidenStaatsexamensarbeiten auf Video aufgezeich-net wurden. Es wurden alle Kinder getestet,für die eine Einverständniserklärung der El-

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220 Marlene Meindl & Tanja Jungmann

tern vorlag. Bei drei Kindern waren die Vi-deoaufzeichnungen aufgrund der Kameraein-stellung nicht auswertbar. Die Leistungen je-des Kindes wurden von drei unabhängigenBeurteilern eingeschätzt. Bei Skala 1 musstedie Leistung beim Erzählen der Bilderge-schichte auf einer Skala von 0 bis 3 einge-schätzt werden, bei den weiteren Skalen fin-det eine Einschätzung in korrekt vs. nicht kor-rekt statt. Bei Skala 2 wird die Leistung zwei-er Items in Punktwerten von 0 bis 2 differen-ziert. Da nicht alle Kinder von denselben Ra-tern eingeschätzt worden sind (insgesamt wa-ren vier Beurteiler einschließlich der Testau-torin als Eichgutachterin beteiligt) werdeneinfaktorielle unjustierte Intraklassenkorrela-tionen berechnet (Wirtz & Caspar, 2002). DieBerechnung des ICC setzt weiterhin die Nor-malverteilung der Daten voraus, was in derSubstichprobe lediglich für den Gesamtroh-wert gegeben ist. Für diesen liegen die Wer-te bei r = .96 für einzelne Maße und r = .99für durchschnittliche Maße (p <  0.001 beieiner Teilstichprobe von n = 48 beim einfa-chen zufälligen Modell).

Reliabilität

Als Reliabilitätsmaße wurden die internenKonsistenzen der einzelnen Skalen und desgesamten Verfahrens bestimmt (CronbachsAlpha). Auf Skalenebene sind diese als zufrie-denstellend (Skala Schriftwissen a = .75 und

Wortbewusstheit a =  .74) bis gut (SkalaBuchstabenkenntnis a =  .85, Erzählkompe-tenz a =  .85, Skala Schriftbewusstheita = .86) zu bezeichnen. Für den Gesamttestist der Wert mit a = .91 sehr gut (siehe Ta-belle 4).

Validität

Konfirmatorische Faktorenanalyse (CFA). DieGüte der Repräsentation der theoretisch kon-struierten Skalen des Verfahrens EuLe 3-5 inden vorliegenden Daten (n = 658), wurdemit einer konfirmatorischen Faktorenanalyse(CFA) überprüft. In die Analysen gingen nurItems ein, deren Schwierigkeit einen Wertvon P >.10 aufweisen. Das bedeutet, dassbei Skala 5 (Buchstabenkenntnis) 13 Itemsaus den Analysen ausgeschlossen werdenmussten.

In die CFA 1. Ordnung (Modell 1) gehendie fünf EuLe 3-5 Skalen als latente Faktorenein, auf die die jeweiligen Items laden unddie alle miteinander korrelieren. In die CFA2. Ordnung (Modell 2) wird die Ladung derfünf Skalen auf das übergeordnete Konstrukt„Literacy“ geprüft. Bei dem Modell 3 handeltes sich ebenfalls um eine CFA 2. Ordnung,bei der die Ladungen der Skalen 3 und 5 aufdas Konstrukt Inside-out Skills sowie die derSkalen 1, 2 und 4 auf das Konstrukt Outside-in Skills überprüft werden. Hierbei korrelie-ren die latenten Konstrukte Outside-in und

Skalen EuLe 3-5 Items M (SD) Cronbachs a P rit

M (Min-Max) M (Min-Max)

Erzählkompetenz 7 10.07 (4.28) .85 .48 (.12 - .59) .61 (.26 - .76)

Schriftwissen 10 4.39 (2.90) .75 .39 (.21 - .62) .41 (.25 - .49)

Wortbewusstheit 8 1.09 (1.60) .74 .12 (.04 - .27) .41 (.24 - .59)

Schriftbewusstheit 12 4.02 (3.23) .86 .33 (.14 - .72) .54 (.29 - .76)

Buchstabenkenntnis 21 1.49 (2.20) .85 .07 (.01 - .32) .40 (.12 - .55)

Gesamttest 58 21.05 (10.26) .91 .28 (.01 - .72) .47 (.12 - .76)

Tabelle 4: Kennwerte für die Skalen des EuLe 3-5 (N = 658)

Anmerkung. P = Itemschwierigkeit; rit= Trennschärfe; Klassifikation der Trennschärfe nach Fisseni (2004): <.30= niedrig, .30 - .50 = mittel, >.50 hoch.

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221Erfassung früher Erzähl- und Lesekompetenzen

Inside-out Skills mit r = .927 hoch miteinan-der. Mit dem vierten Modell (CFA 1. Ord-nung) wird zusätzlich geprüft, ob eine einfak-torielle Struktur vorliegt, indem alle Items desTests auf das übergeordnete Konstrukt „Lite-racy“ laden. Abschließend wurde eine weite-re CFA 1. Ordnung gerechnet, in der dieItems jeweils auf die beiden latenten Kon-strukte Outside-in und Inside-out laden (Mo-dell 5). Die Anpassungsgüte der fünf Model-le in der CFA fasst Tabelle 5 zusammen.

Beide Kennwerte des Model-Fit, der RootMean Square Error of Approximation(RMSEA) und der Comparative Fit Index(CFI), bestätigten eine sehr gute Passung desModells 1, 2 und 3. Das Modell 4, das eineeinfaktorielle Lösung überprüft, und das Mo-dell 5, bei dem die Items auf die zwei laten-ten Konstrukte Outside-in und Inside-out la-den, weisen dagegen die schlechteste Pas-sung auf. Sowohl der CFI als auch der RMSEAliegen in einem Bereich, der nahe legt, dasses sich bei dem Konstrukt „Literacy“ tatsäch-

lich um ein mehrdimensionales Konstrukthandelt, was die Konstruktion einzelner Ska-len im EuLe 3-5 rechtfertigt.

Interkorrelationen der Skalen. Wie Tabelle 6zeigt, korrelieren die fünf EuLe-Skalen inmittlerer Höhe. Das spricht dafür, dass durchdie Skalen hinreichend unterschiedliche Kon-strukte erfasst werden. Aufgrund der Größeder Stichprobe werden alle Interkorrelatio-nen hoch signifikant.

Konvergente und diskriminante Validität. DieEntwicklung von frühen Erzähl- und Lese-kompetenzen ist ein Prozess, der sowohl aufkognitiven als auch sprachlichen Erfahrungenaufbaut und eng im Zusammenhang mit spä-teren schriftsprachlichen Fähigkeiten steht.Um die Konstruktvalidität des Verfahrens zuüberprüfen, wurden die Zusammenhängezwischen dem EuLe 3-5 und dem SSV so-wie der nonverbalen Skala der K-ABC be-rechnet.

Modell c2 (df) CFI RMSEA (90%-CI)

Richtwerte für gute Passung: - >.930 ≤ .050

Modell 1 1647.84 (935) .959 .034 (.031 - .037)

Modell 2 1655.33 (940) .959 .034 (.031 - .037)

Modell 3 1660.80 (939) .959 .034 (.031 - .037)

Modell 4 4254.03 (945) .810 .073 (.071 - .075)

Modell 5 3562.73 (944) .850 .065 (.063 - .067)

Tabelle 5: Anpassungsgüte verschiedener Modelle in der konfirmatorischen Faktorenanalyse

Anmerkung. Richtwerte für eine gute Passung nach Byrne (2005), CFI = Comparative Fit Index, RMSEA = RootMean Square Error of Approximation

Skalen EuLe 3-5 Erzähl-kompetenz

Schriftwissen Wort-bewusstheit

Schrift-bewusstheit

Schriftwissen .587*** - - -

Wortbewusstheit .362*** .555*** - -

Schriftbewusstheit .432*** .461*** .390*** -

Buchstabenkenntnis .245*** .307*** .331*** .286***

Anmerkung. Produkt-Moment-Korrelationen nach Pearson; *** p < 0.001

Tabelle 6: Interkorrelation der Untertests für die Gesamtstichprobe (N = 658)

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222 Marlene Meindl & Tanja Jungmann

Wie die Ergebnisse in Tabelle 7 zeigen,korreliert die Skala Erzählkompetenz hochmit den morphologischen Fähigkeiten bzw.Sprachgedächtnisleistungen der Kinder imSSV im Altersbereich von 3;0 bis 3;11 Jahren.Dagegen ergeben sich nur mittlere Zusam-menhänge mit der Skala Schriftwissen sowieschwache bzw. keine signifikanten Korrela-tionen zwischen den übrigen Skalen des EuLe 3-5 und den Untertests des SSV. Dieskönnte auf Bodeneffekte und damit eine ein-geschränkte Varianz in den Skalen Wortbe-wusstheit und Buchstabenkenntnis bei Kin-dern dieser Altersgruppe zurückführbar sein.In den Altersgruppen 4;0 bis 4;11 und 5;0 bis5;5 Jahren korrelieren die Skalen Erzählkom-petenz und Schriftwissen des EuLe 3-5 hochmit dem Untertest Satzgedächtnis (SG). Le-

diglich in der Altersgruppe 5;0 bis 5;5 Jahrekorreliert die Skala 1 ebenfalls hoch mit demUntertest Phonologisches Arbeitsgedächtnisfür Nichtwörter (PGN), die Skala Wortbe-wusstheit mit dem Satzgedächtnis (SG) unddie Skala Schriftbewusstheit mit dem Unter-test PGN.

Die Erzählkompetenzen korrelieren nichtbzw. nur gering mit den nonverbalen Unter-tests der K-ABC (Dreiecke, Handbewegungenund Wiedererkennen von Gesichtern) (r = .243 für die Teilstichprobe der Vierjähri-gen), dagegen hängen die Untertests Schrift-wissen, Wort- und Schriftbewusstheit in mitt-lerer Höhe mit den nonverbalen Skalen derK-ABC bei den vierjährigen Kindern zusam-men (Werte zwischen r =  .304 und .490, p < .001), wie Tabelle 8 zeigt.

Skalen EuLe 3-5 3;0 – 3;11 4;0 – 4;11 5;0 – 5;5

MR (N = 246)

PGN (N = 244)

PGN (N = 293)

SG (N = 287)

PGN (N = 63)

SG (N = 63)

Erzählkompetenz .585*** .495*** .395*** .586*** .497*** .499***

Schriftwissen .432*** .319*** .442*** .584*** .411** .571***

Wortbewusstheit .185** .071n.s. .365*** .413*** .400** .546***

Schriftbewusstheit .243*** .181** .250** .259*** .508*** .362**

Buchstabenkenntnis .144n.s. .115n.s. .159*** .040n.s. .432*** .143n.s.

Gesamttest .560*** .443*** .479*** .577*** .663*** .599***Anmerkung. Korrelation nach Pearson; * p < 0.05, ** p < 0.01, *** p < 0.001, n.s. = nicht signifikant; MR = Morphologische Regelbildung, PGN = Phonologisches Gedächtnis für Nichtwörter, SG = Satzgedächt-nis

Tabelle 7: Korrelationen zwischen den Rohwerten des EuLe 3-5 und des SSV nach Altersgruppen

Skalen EuLe 3-5 Nonverbale Untertests der K-ABC nonverbaleSkala Wiedererkennen

von GesichternHand-

bewegungenDreiecke

Erzählkompetenz .173* .107n.s. .214** .243**

Schriftwissen .391*** .238** .382*** .490***

Wortbewusstheit .284*** .214** .240** .304***

Schriftbewusstheit .272*** .124n.s. .369*** .396***

Buchstabenkenntnis .088n.s. .067n.s. .260*** .203**

Gesamttest .375*** .226** .460*** .514***Anmerkung. Korrelation nach Pearson; * p < 0.05, ** p < 0.01, *** p < 0.001, n.s. = nicht signifikant

Tabelle 8: Korrelationen zwischen dem EuLe 3-5 und der K-ABC (nonverbal) in einer Teilstichprobe vonKindern im Alter 4;0 - 4;11 (n = 188)

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223Erfassung früher Erzähl- und Lesekompetenzen

Alterssensitivität. Da der EuLe 3-5 ein Ent-wicklungstest ist, sollte er die Veränderungender kindlichen Kompetenzen über die Zeitabbilden. Dies wurde in univariaten Varian-zanalysen bestätigt, deren Ergebnisse Tabelle9 zusammenfasst. Demnach ergibt sich einsignifikanter Haupteffekt „Altersgruppe“, derauf die Unterschiede in den Skalenrohwertenzwischen nahezu allen Altersgruppen imPost-Hoc-Test (Kontrast mit Bonferroni) zu-rückgeht.

Diese Ergebnisse sprechen für die Not-wendigkeit getrennter Normen in den Alters-gruppen.

Diskussion

Zusammengenommen deuten die dargestell-ten Befunde zu den Hauptgütekriterien da-rauf hin, dass es sich beim EuLe 3-5 um einreliables und valides Verfahren zur Erfassungder frühen Erzähl- und Lesekompetenzen zuhandeln scheint. Dafür spricht, dass das Ver-fahren gut im gesamten Leistungsbereich dif-ferenziert. Konfirmatorische Faktorenanaly-sen bestätigen zudem einen sehr guten Mo-dell-Fit für das Modell 1, d.h. die Items ladenauf die fünf Skalen, für die sie konstruiertwurden. Darüber hinaus fallen die internenKonsistenzen aller Skalen gut aus. In den ver-schiedenen Altersgruppen sind diese jedochsehr unterschiedlich und bewegen sich zwi-schen a = .59 und a = .85. Für die Kinderim Alter von 3;0 bis 3;11 Jahre ist zu konsta-tieren, dass besonders die Skalen Wortbe-wusstheit und Buchstabenkenntnis noch zuschwierig sind. Dies ist dadurch erklärbar,dass metalinguistische Fähigkeiten erst spätererworben werden. Aus diesen Gründen soll-te von einem Einsatz des Verfahrens bzw. zu-mindest dieser beiden Subskalen in der Al-tersgruppe der 3;0 bis 3;11-jährigen Kinderabgesehen werden.

Die Retest-Reliabilität wurde nicht ermit-telt, da es sich von der Konstruktion und An-lage des Verfahrens um einen Entwicklungs-test handelt, d.h. mit zunehmendem Altersollten auch die Rohwerte ansteigen. Diese EuLe 3-5

Altersgruppen

F-Wert

3;0

- 3;5

(n

= 1

24)

M (S

D)

3;6

- 3;1

1 (n

= 1

46)

M (S

D)

4;0

- 4;5

(n

= 1

55)

M (S

D)

4;6

- 4;1

1 (n

= 1

64)

M (S

D)

5;0

- 5;5

(n

= 6

8)

M (S

D)

Erzä

hlko

mpe

tenz

(21

Pkt.)

7.37

(3.6

9)9.

35 (

3.61

)10

.15

(4.2

4)11

.52

(4.2

7)12

.78

(3.8

2)F (

4,64

7)=

29.

03**

*

Schr

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38 (

1.90

)3.

60 (

2.24

)4.

39 (

2.79

) 5.

77 (2

.82)

6.46

(3.1

4)F (

4,64

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kt.)

0.56

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5)1.

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6)2.

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224 Marlene Meindl & Tanja Jungmann

Annahme wird durch Analysen zur Überprü-fung der Alterssensitivität des Verfahrens be-stätigt. Die Ergebnisse sprechen dafür, dasssich die Kompetenzveränderungen der Kin-der in allen Skalen des EuLe 3-5 mit zuneh-mendem Alter valide abbilden lassen. Wei-terhin handelt es sich derzeit noch um quer-schnittliche Betrachtungen. Sobald die Datendes zweiten Messzeitpunktes im Rahmen desKOMPASS-Projektes vorliegen und die Stan-dardwerte in Halbjahresschritten ermitteltwurden, können auch erste Ergebnisse zurRetest-Reliabilität des Verfahrens vorgelegtwerden.

Die gefundenen Korrelationen der Skalendes EuLe 3-5 mit dem SSV und der K-ABCsind im Rahmen des Arbeitsgedächtnismo-dells von Gathercole und Baddeley (1993) in-terpretierbar. Neben der zentralen Exekutivewird von zwei modalitätsspezifischen Hilfs-bzw. Subsystemen ausgegangen: zum einender phonologische Schleife, die der Aufrech-terhaltung und Verarbeitung sprachbasierterInformation dient, zum anderen dem visuell-räumlichen Notizblock, der der Aufrechter-haltung und Verarbeitung visueller undräumlicher Information dient. Vor dem Hin-tergrund des Arbeitsgedächtnismodells ist zuerwarten, dass die Erzählkompetenz, ebensowie die morphologischen und Sprachge-dächtnisleistungen stärker mit Verarbeitungs-prozessen in der phonologischen Schleife as-soziiert sind. Beim Unterscheiden zwischenSchrift und Bild bzw. zwischen Buchstabenund Objekten ebenso wie beim Erkennenvon Gesichtern, dem Nachahmen von Hand-bewegungen und dem Nachbauen von Drei-ecken sollte dagegen der visuell-räumlicheNotizblock aktiv sein.

Eine Einschränkung der Aussagen zurKonstruktvalidität ergibt sich allerdings da-durch, dass bei dem überwiegenden Anteilder Kinder die sprachlichen Kompetenzen le-diglich mit dem Sprachscreening für das Vor-schulalter und nicht mit dem Sprachentwick-lungstest für drei- bis fünfjährige Kinder er-fasst wurden.

Kritisch ist weiterhin anzumerken, dassdie Subgruppe der Kinder im Alter von 5;0

bis 5;5 Jahre mit n = 68 vergleichsweiseklein ausfällt und für eine Normierung desVerfahrens bisher zu gering ist.

Im Vergleich zu anderen deutschsprachi-gen Verfahren, die insbesondere die Erzähl-kompetenz von Kindern im Vorschulalter er-fassen (z.B. Do-BINE; Quasthoff et al., 2011),liegt das Alleinstellungsmerkmal des EuLe 3-5 in der Erfassung weiterer Early LiteracyKompetenzen. Diese sind sowohl für die al-phabetische Phase des Lese- und Rechtschrei-bens (wie z.B. Buchstabenkenntnis), aber vorallem in den späteren Phasen von Bedeu-tung. Durch das frühe Erfassen literaler Kom-petenzen ist es möglich, diese ggf. schon prä-ventiv beispielsweise durch dialogisches Bil-derbuchlesen zu fördern, so dass Lese- undRechtschreibschwierigkeiten frühzeitig ent-gegengewirkt werden kann.

Limitationen der vorliegenden Studie unddamit auch der dargestellten Ergebnisse erge-ben sich aus der eingeschränkten Repräsenta-tivität der Stichprobe. Da die Stichprobeüberwiegend aus Kindertageseinrichtungenin städtischen Regionen stammt, müssen inweiteren Studien noch mehr Kinder aus länd-lichen Regionen untersucht werden. Weiter-hin sind die einzelnen Substichproben nichtvergleichbar. Die gefundenen Unterschiedewaren aber zum Teil intendiert. So war dieAkquisestrategie der Examensarbeiten undder Masterarbeit darauf ausgerichtet, die ge-ringe Stichprobe im Altersbereich 5;0 bis 5;5Jahre aufzufüllen. Die Notwendigkeit dazuergab sich daraus, dass im längsschnittlichangelegten KOMPASS-Projekt vor allem Kin-der zwischen 3;0 und 4;11 Jahren untersuchtwurden, um deren Entwicklung über einenmöglichst langen Zeitraum in der Kinderta-geseinrichtung alltagsintegriert zu fördern.Um die Einsetzbarkeit des Verfahrens auchbei Kindern mit Migrationshintergrund zuüberprüfen, wurde eine Teilstichprobe in ei-nem Stadtteil Berlins mit hohem Migranten-anteil akquiriert. Dies diente dem Ausgleichdes geringen Anteils an Familien mit Migra-tionshintergrund in Mecklenburg-Vorpom-mern. Die Unterschiede im Ausbildungsab-schluss deuten allerdings auf deutlichere

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225Erfassung früher Erzähl- und Lesekompetenzen

Selbstselektionsprozesse in den Examensar-beiten im Vergleich zum KOMPASS-Projekthin. Unterschiede in der Verteilung ergebensich vermutlich aber auch dadurch, dass diegewonnenen Stichproben in den Qualifika-tionsarbeiten deutlich kleiner und somit an-fälliger für Verzerrungseffekte sind als diegrößere KOMPASS-Stichprobe.

Weitere Analysen zur Validitätsbestim-mung sind notwendig und laufen derzeit. Bei-spielsweise wird die Einsetzbarkeit des Ver-fahrens EuLe 3-5 zur primären Prävention vonSchwierigkeiten im Schriftspracherwerb in ei-ner längsschnittlich angelegten Studie ab demSchuljahr 2014/2015 im Rahmen des KOM-PASS-Projektes überprüft, so dass die Bestim-mung der prädiktiven Validität des EuLe 3-5und eine Risikoeinschätzung für Schwierig-keiten im Schriftspracherwerb und die Ablei-tung von Implikationen für die förderdiagnos-tische Praxis ermöglicht wird. Ebenso findetdie Prüfung der inkrementellen Validitätdurch die zusätzliche Testung der Kinder mitdem Bielefelder Screening zur Früherkennungvon Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (BISC;Jansen et al., 2002) statt.

Literaturverzeichnis

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Prof. Dr. Tanja JungmannUniversität RostockInstitut für SonderpädagogischeEntwicklungsförderung und Rehabilitation(ISER)Lehrstuhl für SonderpädagogischeFrühförderung undSprachbehindertenpädagogikAugust-Bebel-Str. 2818051 [email protected]