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Studie unter Praxisbedingungen Erkältung heilen: Auf dem Mond landen ist leichter - Der Mensch sei auf dem Mond gelandet, vermöge aber nicht, eine simple Erkältung zu heilen – diesen süffisanten Vorwurf hat sich wohl jeder Mediziner schon einmal an- hören müssen. Dass er auch 44 Jahre nach der ersten Mondfahrt nicht ganz unberech- tigt ist, haben britische Allgemeinmediziner um Paul Little nun mit Belegen unterfüttert. In einer Studie unter Bedingungen, wie sie in Hausarztpraxen herrschen, wiesen sie Probanden mit akuten Atemwegsinfekten verschiedenen Therapieregimen zu: Ein- nahme von Paracetamol, Ibuprofen oder beiden Substanzen, jeweils nach Bedarf oder regelmäßig, mit oder ohne Dampfin- halationen. 889 Patienten in 25 Allgemein- arztpraxen waren daran beteiligt. Laut den Resultaten bleibt die Mondlan- dung im Vergleich zur Heilung banaler In- fekte das leichter erreichbare Ziel. „Es zeigte sich kein Effekt irgendeiner Dosierungs- empfehlung auf die Schwere der Sympto- me“, konstatieren Little und Kollegen. Auch bei den Verordnungen von Antibiotika wa- ren keine Unterschiede zu verzeichnen. Als heiße Luft erwiesen sich inhalierte Dämpfe. Zu dieser Maßnahme sollten Ärzte ihren Patienten vermutlich nicht raten, mei- nen die britischen Mediziner. „Gegen die Be- schwerden bei akuten respiratorischen In- fekten hilft der Dampf nicht“, erläutern sie. Einige Patienten laufen sogar Gefahr, zu Schaden zu kommen: In der Studie hatten 2% der bedampften Probanden leichte Ver- brühungen davongetragen. Einen kleinen Vorteil brachte immerhin die Einnahme von Ibuprofen für Patienten mit tiefer reichenden Infekten und für Kin- der. Hier ging der Grad der Beschwerden bei jedem zweiten Probanden von mäßig auf leicht zurück. Erkauft wurde dieser Erfolg al- lerdings mit einer relativ hohen Rate erneu- ter Arztkonsultationen wegen neu aufgetre- tener oder persistierender Symptome (20%) sowie mit abdominalen Nebenwirkungen wie Bauchschmerzen (27%), Diarrhö (13%) und Erbrechen (11%). Auch waren Hautaus- schläge festzustellen (7%). Beachtliche 39% der Patienten gerieten unter Ibuprofen in eine Stenoseatmung; darin manifestierte sich ein bis dahin nicht bekanntes Asthma. Es sei unwahrscheinlich, dass der Rat zu routinemäßiger statt bedarfsgerechter An- algesie bei Patienten mit akuten Atemwegsin- fektionen eine Wirkung zeige, schreiben die Briten in ihrem Fazit. „Für die meisten Patien- ten bringt es auch nichts, Ibuprofen statt Pa- racetamol zu verordnen.“ Allenfalls sei Ibu- profen zu erwägen, wenn es sich um Infekti- onen des Respirationstraktes handle oder die Patienten jünger als 16 Jahre seien. rb Little P et al. Ibuprofen, paracetamol, and steam for patients with respiratory tract infections in primary care: pragmatic randomised factorial trial. BMJ 2013; 347: f6041; doi: 10.1136/bmj.f6041 Glosse Kein Stent für unbeliebte Politiker? Jetzt hat es ihn auch erwischt. Die Rede ist vom Ex-Präsidenten Bush, der kürzlich – obwohl vollkommen beschwerdefrei – einen Koronarstent erhielt. Und nun regt sich alle Welt darüber auf. Das sei doch gar nicht notwendig gewesen, das sei Medizin für Privilegierte, das habe er gar nicht verdient, so die offizielle Meinung der Kardiologenschaft. Da heute „nach dem Stent“ immer auch „vor dem Stent“, nämlich dem nächsten ist, muss man be- fürchten, dass Bushs Herz, von dem viele bisher meinten, es existiere gar nicht, zu einer „Dauerbaustelle“ werden könnte. Da wird es ihm bald so gehen wie seinem früheren Vize Cheney, der bekanntlich an einer schweren KHK leidet und zunächst Bypässe, Stents und einen ICD erhielt, bevor eine Herztransplantation durchge- führt wurde. Als Bush ihn vor vielen Jah- ren bat, in seiner Vertretung die Tagung der American Heart Association zu eröff- nen, hatte dieser abgelehnt mit der durchaus einleuchtenden Begründung, er könne im Moment keinen Kardiologen mehr sehen. Zurück zu Bush. Es überrascht schon, dass viele, sogar namhafte Kardiologen, die ansonsten eher einer Stentomanie verfallen sind, ihm keinen Stent gönnen, ja ihn am liebsten wieder herausreißen würden. Da drängt sich schon der Ver- dacht auf, dass dies politisch motiviert sein könnte. Man mag Bushs Politik gut- geheißen haben oder auch nicht, aber wo kämen wie denn hin, wenn medizini- sche Leistungen nach politischer Bewer- tung verteilt würden. Sollten wir etwa Politiker, die Wahlversprechen nicht ein- halten oder in der Euro-Krise gegenüber unseren südeuropäischen Nachbarn zu großzügig sind, grundsätzlich von Vorsorgeuntersuchungen ausschließen oder ihnen kleinere, nicht unbedingt notwendige Eingriffe oder bestimmte teure Medikamente vorenthalten? Keine Krampfaderoperation für Frau Merkel? Kein Stimmungsaufheller für Herrn Stein- brück? Nein, dies geht wirklich zu weit! Aber ein Medikament sollten wir allen Politikern auf jeden Fall gerade jetzt nach der Wahl verweigern, nämlich die Pille des seligen Vergessens. Peter Stiefelhagen Da lachen die Viren – heißer Dampf scheint gegen Erkältungen wirkungslos. © Susanne Güttler / fotolia.com 8 MMW-Fortschr. Med. 2013; 155 (Sonderheft 2) AKTUELL _ MAGAZIN

Erkältung heilen: Auf dem Mond landen ist leichter

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Studie unter Praxisbedingungen

Erkältung heilen: Auf dem Mond landen ist leichter

− Der Mensch sei auf dem Mond gelandet, vermöge aber nicht, eine simple Erkältung zu heilen – diesen sü�santen Vorwurf hat sich wohl jeder Mediziner schon einmal an-hören müssen. Dass er auch 44 Jahre nach der ersten Mondfahrt nicht ganz unberech-tigt ist, haben britische Allgemeinmediziner um Paul Little nun mit Belegen unterfüttert. In einer Studie unter Bedingungen, wie sie in Hausarztpraxen herrschen, wiesen sie Probanden mit akuten Atemwegsinfekten verschiedenen Therapieregimen zu: Ein-

nahme von Paracetamol, Ibuprofen oder beiden Substanzen, jeweils nach Bedarf oder regelmäßig, mit oder ohne Damp�n-halationen. 889 Patienten in 25 Allgemein-arztpraxen waren daran beteiligt.

Laut den Resultaten bleibt die Mondlan-dung im Vergleich zur Heilung banaler In-fekte das leichter erreichbare Ziel. „Es zeigte sich kein E�ekt irgendeiner Dosierungs-empfehlung auf die Schwere der Sympto-me“, konstatieren Little und Kollegen. Auch bei den Verordnungen von Antibiotika wa-ren keine Unterschiede zu verzeichnen.

Als heiße Luft erwiesen sich inhalierte Dämpfe. Zu dieser Maßnahme sollten Ärzte ihren Patienten vermutlich nicht raten, mei-nen die britischen Mediziner. „Gegen die Be-schwerden bei akuten respiratorischen In-fekten hilft der Dampf nicht“, erläutern sie. Einige Patienten laufen sogar Gefahr, zu Schaden zu kommen: In der Studie hatten 2% der bedampften Probanden leichte Ver-brühungen davongetragen.

Einen kleinen Vorteil brachte immerhin die Einnahme von Ibuprofen für Patienten mit tiefer reichenden Infekten und für Kin-der. Hier ging der Grad der Beschwerden bei jedem zweiten Probanden von mäßig auf leicht zurück. Erkauft wurde dieser Erfolg al-lerdings mit einer relativ hohen Rate erneu-ter Arztkonsultationen wegen neu aufgetre-tener oder persistierender Symptome (20%) sowie mit abdominalen Nebenwirkungen wie Bauchschmerzen (27%), Diarrhö (13%) und Erbrechen (11%). Auch waren Hautaus-schläge festzustellen (7%). Beachtliche 39% der Patienten gerieten unter Ibuprofen in eine Stenoseatmung; darin manifestierte sich ein bis dahin nicht bekanntes Asthma.

Es sei unwahrscheinlich, dass der Rat zu routinemäßiger statt bedarfsgerechter An-algesie bei Patienten mit akuten Atemwegsin-fektionen eine Wirkung zeige, schreiben die Briten in ihrem Fazit. „Für die meisten Patien-ten bringt es auch nichts, Ibuprofen statt Pa-racetamol zu verordnen.“ Allenfalls sei Ibu-profen zu erwägen, wenn es sich um Infekti-onen des Respirationstraktes handle oder die Patienten jünger als 16 Jahre seien. rb ■

■ Little P et al. Ibuprofen, paracetamol, and steam for patients with respiratory tract infections in primary care: pragmatic randomised factorial trial. BMJ 2013; 347: f6041; doi: 10.1136/bmj.f6041

Glosse

Kein Stent für unbeliebte Politiker?Jetzt hat es ihn auch erwischt. Die Rede ist vom Ex-Präsidenten Bush, der kürzlich – obwohl vollkommen beschwerdefrei –einen Koronarstent erhielt. Und nun regt sich alle Welt darüber auf. Das sei doch gar nicht notwendig gewesen, das sei Medizin für Privilegierte, das habe er gar nicht verdient, so die o�zielle Meinung der Kardiologenschaft. Da heute „nach dem Stent“ immer auch „vor dem Stent“, nämlich dem nächsten ist, muss man be-fürchten, dass Bushs Herz, von dem viele bisher meinten, es existiere gar nicht, zu einer „Dauerbaustelle“ werden könnte. Da wird es ihm bald so gehen wie seinem früheren Vize Cheney, der bekanntlich an einer schweren KHK leidet und zunächst Bypässe, Stents und einen ICD erhielt,

bevor eine Herztransplantation durchge-führt wurde. Als Bush ihn vor vielen Jah-ren bat, in seiner Vertretung die Tagung der American Heart Association zu erö�-nen, hatte dieser abgelehnt mit der durchaus einleuchtenden Begründung, er könne im Moment keinen Kardiologen mehr sehen.

Zurück zu Bush. Es überrascht schon, dass viele, sogar namhafte Kardiologen, die ansonsten eher einer Stentomanie verfallen sind, ihm keinen Stent gönnen, ja ihn am liebsten wieder herausreißen würden. Da drängt sich schon der Ver-dacht auf, dass dies politisch motiviert sein könnte. Man mag Bushs Politik gut-geheißen haben oder auch nicht, aber wo kämen wie denn hin, wenn medizini-

sche Leistungen nach politischer Bewer-tung verteilt würden. Sollten wir etwa Politiker, die Wahlversprechen nicht ein-halten oder in der Euro-Krise gegenüber unseren südeuropäischen Nachbarn zu großzügig sind, grundsätzlich von Vorsorgeuntersuchungen ausschließen oder ihnen kleinere, nicht unbedingt notwendige Eingri�e oder bestimmte teure Medikamente vorenthalten? Keine Krampfaderoperation für Frau Merkel? Kein Stimmungsaufheller für Herrn Stein-brück? Nein, dies geht wirklich zu weit! Aber ein Medikament sollten wir allen Politikern auf jeden Fall gerade jetzt nach der Wahl verweigern, nämlich die Pille des seligen Vergessens.

Peter Stiefelhagen ■

Da lachen die Viren – heißer Dampf scheint gegen Erkältungen wirkungslos.

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8 MMW-Fortschr. Med. 2013; 155 (Sonderheft 2)

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