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ERSTE STAATSPRÜFUNG FÜR DAS LEHRAMT AN GRUND‐ UND HAUPTSCHULEN
‐Wissenschaftliche Hausarbeit‐
Thema: Demokratiekompetenz.
Möglichkeiten und Grenzen politischen Lernens in der Grundschule.
Prüfungsfach: Politikwissenschaften
Vergabe des Themas: 17.07.2007
Vorgelegt von: Klein, Johannes
Matrikel‐Nummer: 1395562
1. Prüfer: Prof. Dr. Hans‐Werner Kuhn
2. Prüfer: Dr. Gabriele Metzler
2 0BInhalt
Inhalt
1. Vorwort ........................................................................................................................... 4
2. Begriffsannäherung und Legitimation ........................................................................... 6
2.1. Der mehrdimensionierte Demokratiebegriff ............................................................................. 6
2.2. Notwendigkeit von Demokratie‐Lernen in der Grundschule ................................................... 10
2.3. Anforderungen an Demokratiekompetenz in der Grundschule ............................................... 12
2.4. Konzeptionen, Vorschläge & Diskussionen .............................................................................. 16
2.4.1. Ansatz der Gruppe „Sozialwissenschaften“ ................................................................... 19
2.4.2. Konzept der GPJE (Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend‐ und Erwachsenenbildung) .................................................................................................................. 20
2.4.3. Konzept des Demokratie‐Lernens (Gerhard Himmelmann) ........................................... 23
2.4.4. Ansatz im baden‐württembergischen Bildungsplan für die Grundschule ...................... 24
3. Unterrichtskonzept – „Taschengeld – für alle Eltern Pflicht?“ ................................... 26
3.1. Politische Strukturierung .......................................................................................................... 29
3.2. Didaktische Strukturierung ....................................................................................................... 31
3.3. Methodische Strukturierung .................................................................................................... 34
3.4. Das Demokratiekompetenz‐Modell der GPJE – Begründung zur Auswahl .............................. 35
3 0BInhalt
4. Auswertung der Unterrichtsreihe ................................................................................ 37
4.1. Transkription – Szene 1 „Gruppendiskussion“ (DVD: Kapitel 2) .............................................. 38
4.1.1. Interpretation und Beobachtung ...................................................................................... 47
4.1.2. Konsequenz für das Modell der GPJE ............................................................................... 50
4.2. Transkription ‐ Szene 2 „Vorbesprechung des Interviews“ (DVD: Kapitel 3) ........................... 51
4.2.1. Interpretation und Beobachtung ...................................................................................... 53
4.2.2. Konsequenz für das Modell der GPJE ............................................................................... 54
4.3. Transkription ‐ Szene 3 „Nachbesprechung des Interviews“ (DVD: Kapitel 4) .......................... 55
4.3.1. Interpretation und Beobachtung ...................................................................................... 59
4.3.2. Konsequenz für das Modell der GPJE ............................................................................... 60
4.4. Fazit ........................................................................................................................................... 61
5. Ausblick ......................................................................................................................... 62
6. Literatur‐ und Quellangabe .......................................................................................... 64
7. Anhang .......................................................................................................................... 67
4 1BVorwort
1. Vorwort Ich frage mich immer wieder, ob wir genügend dafür tun, dass junge Menschen die demokratische Lebensform lernen können, damit sie Gelegenheit haben, eigene Erfahrungen zu machen.1
JOHANNES RAU hat 2000 in seiner Rede auf dem Jahresforum des Vereins "Gegen Vergessen ‐ Für Demokratie e.V." in Berlin bereits das kritisch hinterfragt, was heute (noch immer) in der Gesellschaft defizitär ist: die politische Bildung an Schulen. Dabei kann entsprechendes Demokratie‐Lernen schon im Kindergarten und in der Grundschule einsetzen. Empirische Befunde belegen, dass auch schon Kinder dieser Altersgruppe kooperativ handeln und mit Politik mehr oder weniger unbewusst konfrontiert sind2; und zwar tagtäglich. Natürlich darf politische Bildung dabei nicht einseitig geschehen. GROHE3 hat dafür bereits eine entscheidende Dimensionierung vorgenommen und unterteilt den Politikbegriff funktional in polity, policy und politics. HIMMELMANN4 praktiziert ähnliches mit dem Demokratie‐Begriff und unterscheidet zwischen einer Demokratie als Lebens‐, Gesellschafts‐ und Herrschaftsform. RAU spricht hier gezielt die Demokratie als Lebensform an, die laut HIMMELMANN vor allem an Grundschulen schwerpunktmäßig angelegt sein sollte. HIMMELMANN fordert diesen fachdidaktischen Schwerpunkt ein, der aber nicht isoliert vom Begriffskomplex der Demokratie Einzug in den Unterricht finden soll. Demokratie muss also immer unter Einbezug aller drei Formen gelehrt werden und die Gewichtung der jeweiligen Demokratie‐Form auf die entsprechenden Schulstufen erfolgen. Politische Bildung in der Grundschule ist in jedem Fall möglich und notwendig. DAGMAR RICHTER liefert vielfältige didaktisch‐methodische Ansätze und Zugänge zur politischen Bildung im Primarbereich und zementiert die „poltische Bildung von Anfang an“5. Daraus ergeben sich eine Reihe offene Fragen: wie ist politische Bildung weiterhin als nur durch ein komplexes Demokratie‐ und Politikverständnis legitimierbar? Oder auch anders gefragt: wo bestehen Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildung in der Grundschule? Inwiefern wird Demokratiekompetenz empirisch nachweisbar bei Grundschülerinnen und ‐schülern ausgebildet, wenn der Unterricht nach Prinzipien der aktuellen politikdidaktischen Diskussion durchgeführt wird? Genau dieser Herausforderung möchte sich diese wissenschaftliche Hausarbeit stellen, und überprüfen, wie erfolgreich politikdidaktische (Kompetenz‐)Modelle in der schulischen Praxis eingesetzt werden können, und wo evtl. Defizite bestehen.
1 Siehe Rau, Johannes: „Die Zukunft unserer Demokratie“ http://www.bundespraesident.de (15.08.2007) 2 Sturzbrecher, Dietmar; Langner, Winfried; Waltz, Christine: Wieviel Autonomie besitzen Kinder? Ein Vergleich der Perspektiven von Kindern und ihren Erziehungspersonen. In: Kuhn, Hans‐Peter; Uhlendorff, Harald; Krappmann, Lothar (Hrsg.): Sozialisation zur Mitbürgerlichkeit. Opladen 2000: Leske & Budrich. S. 197‐217 3 Rohe, Karl: Politik. Begriffe und Wirklichkeiten. Stuttgart, 2.Aufl.; 1994: Kohlhammer Verlag. S.61 4 Himmelmann, Gerhard: Demokratie Lernen als Lebens‐, Gesellschafts‐ und Herrschaftsform. Ein Lehr‐ und Studienbuch. Schwalbach/Ts. 2001: Wochenschau Verlag. S.37 5 Richter, Dagmar (Hrsg.): Politische Bildung von Anfang an. Demokratie‐Lernen in der Grundschule. Bonn 2007: Bundeszentrale für politische Bildung.
5 1BVorwort
Zunächst soll geklärt werden, was Demokratiekompetenz ausmacht, und welche speziellen Anforderungen an die Grundschule bzw. an die zukünftigen Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer geknüpft sind. Im weiteren Schritt werde ich analytisch verfahren und zunächst einige Modelle beleuchten, die auf konzeptioneller Basis eine Demokratiekompetenz ausbilden sollen. HIMMELMANN, die GPJE, die Gruppe „Sozialwissenschaften“ und das baden‐württembergische Kultusministerium stellen dabei das Angebot von Demokratiekompetenz‐Modellen. In einem zweiten schulpraktischen Teil möchte ich eine Unterrichtskonzeption vorstellen, die direkt an einer Grundschule Anwendung gefunden hat, und sich auf das Modell der GPJE in begründeter Weise stützt. Die Auswertung dieses Unterrichtsversuchs soll dann Aufschluss über die Frage geben, inwiefern die Grundschülerinnen und Grundschüler (Demokratie‐)Kompetenzen ausgeformt haben. Das entsprechende Modell soll dabei den Referenzrahmen der Auswertung darstellen, und für das Aufzeigen von Grenzen und Möglichkeiten poltischer Bildung in der Grundschule herangezogen werden. Im Ausblick wird versucht, den weiteren Forschungsbedarf der Politikdidaktik im Primarbereich anhand des zu Grunde liegenden GPJE‐Modells zu bestimmen.
6 2BBegriffsannäherung und Legitimation
2. Begriffsannäherung und Legitimation
2.1. Der mehrdimensionierte Demokratiebegriff
Zunächst gilt es grundlegende Überlegungen zum Begriff der Demokratie, und unmittelbar zusammenhängend, dem Begriff der Politik anzustrengen. Wie bereits im Vorwort ersichtlich wurde ist der Demokratiebegriff ein komplexes Gefüge; ebenso der der Politik. Die Definition von Demokratie ist ohne weiteres nicht zu meistern. Im Gegenteil: versucht man über Lexika, Handbücher oder sonstige Quellen einen Eindruck darüber zu gewinnen, was Demokratie ist, so stößt man auf eine unüberschaubare Menge von Definitionen, Ansätzen und Theorien6. Der Konsens über ein theoretisches Verständnis von Demokratie existiert nicht, ebenso eine einheitliche Lehrmeinung. Das schafft nicht nur Orientierungsprobleme innerhalb der Fachwissenschaft und der Fachdidaktik, sondern auch explizit bei Lehrerinnen und Lehrern, die die Demokratie im Unterricht vermitteln sollen. Dementsprechend entblättert sich das Spektrum des Verständnisses über Demokratie sehr weitläufig:
‐„repräsentative“ Demokratie
‐„parlamentarische“ Demokratie
‐„direkte“ Demokratie
‐ als „Herrschaftsform“
‐ als „Kultur“
‐ als „Lebensform“7
Gerade aus der Komplexität, der Wandlungsfähigkeit und der Bedeutungsvielfalt des Demokratie‐Begriffs ergibt sich für die Schule eine besondere Herausforderung: „Sie muss die Komplexität reduzieren und eigene Akzente […] in der Schule setzen“.8 Die Aufgabe der Schule ist also nicht die der Fachwissenschaft, die sich viel intensiver mit dem Demokratiebegriff bzw. Demokratietheorien beschäftigt. Sie darf und soll aber die Fachwissenschaft als Erfahrungs‐Katalog bzw. als Fundus nutzen, um für die Schule fruchtbare und bereits erarbeitete Ideen und Theorien ggf. erneut aufzugreifen. Zusätzlich ist der Begriff der Demokratie nicht nur sehr verschränkt und schwer greifbar, sondern auch den Prozessen der Zivilisation und der Gesellschaft unterworfen.9 Die Konsequenz daraus ergibt sich in einem stetig aktualisierten Demokratie‐Verständnis, so dass die Demokratie und „der Prozess der Zivilisation […] fast tagtäglich im Prozess von Bildung und Erziehung mit den Kindern und Jugendlichen neu nachvollzogen bzw. in Erinnerung gebracht werden muss.“10
6 Himmelmann, Gerhard: Demokratie Lernen als Lebens‐, Gesellschafts‐ und Herrschaftsform. Ein Lehr‐ und Studienbuch. Schwalbach/Ts. 2001: Wochenschau Verlag. S.33 7Vgl. Ebd. S.34 8 Ebd. S.35 9 Vgl. Ebd. S. 36 10 Ebd. S.36
7 3BDer mehrdimensionierte Demokratiebegriff
Um diesen Forderungen gerecht zu werden muss der Demokratiebegriff für die Schule neu durchdacht und konzipiert werden, und es muss erarbeitet werden, welcher Ansatz für eine schulische Praxis adäquat ist. HIMMELMANN möchte dabei „einen fachwissenschaftlichen und zugleich fachdidaktischen Beitrag“ zur Erarbeitung eines Konzepts von „Demokratie‐Lehren“ und „Demokratie‐Lernen“ innerhalb von politischer Bildung leisten. Er definiert die Demokratie wie folgt:
1. Demokratie als Lebensform
2. Demokratie als Gesellschaftsform und
3. Demokratie als Herrschaftsform11
Es zeichnet sich also ein Wandel von Demokratie ab, der den zivilgesellschaftlichen Prozessen mehr Aufmerksamkeit zukommen lässt, so „dass Demokratie nicht nur […] als ein Verhältnis der Menschen/Bürger zum Staat“ sondern auch „als Verhältnis der politisch‐gesellschaftlichen Kräfte und der Menschen/Bürger untereinander“ verstanden werden kann.12 Der Begriffskomplex nach HIMMELMANN ermöglicht, dass sich Demokratie nicht in einem verengten fachwissenschaftlichen Theorie‐Raum absondert, sondern dass die dadurch gewonnene „historische Tiefe“, die „gehaltvolle empirische Fundierung“ und „hinreichende Komplexität“ „Demokratie‐Lehren“ und „Demokratie‐Lernen“ im Sinne von „Demokratie‐Erleben“ auch an (Grund‐)Schulen umsetzbar wird. JOHN DEWEY lieferte bereits zum Ansatz der Demokratie als Lebensform entsprechende Anregungen und Ideen:
Beide Elemente unseres Kriteriums verweisen uns auf die Demokratie. Das erste bedeutet […][,dass] das wechselseitige Interesse als Faktor in der Regierung sozialer Beziehungen anerkannt wird. Das zweite bedeutet [...] dauernde Umgestaltung des sozialen Verhaltens, seine beständige Neuanpassung an […] neuen Sachlagen.13
DEWEY kristallisiert hier die Wandlungsfähigkeit einer demokratischen Gesellschaft; er untermauert den Ansatz HIMMELSMANNS, dass die Demokratie immer wieder neu vergegenwärtigt werden muss. Die Demokratie ist schließlich mehr als nur „„Belehrung“, sondern […] die Ermöglichung der Sammlung von konkreten „Erfahrungen“ mit Demokratie in der vielfältigsten Form“14.
11 Himmelmann, Gerhard: Demokratie Lernen als Lebens‐, Gesellschafts‐ und Herrschaftsform. Ein Lehr‐ und Studienbuch. Schwalbach/Ts. 2001: Wochenschau Verlag. S.37 12 Vgl. S.37 13 Dewey, John: Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik (1916). Aus dem Amerikanischen von Erich Hylla. Herausgegeben von Jürgen Oelkers. Mit einer Auswahlbibliographie. Weinheim und Basel 2004.S.120
14 Himmelmann, Gerhard: Demokratie‐Lernen als Lebens‐, Gesellschafts‐ und Herrschaftsform. In: Breit, Gotthard; Schiele Siegfried (Hrsg.): Demokratie‐Lernen – als Aufgabe der politischen Bildung. Schwalbach/Ts. 2002: Wochenschau Verlag. S.29
8 3BDer mehrdimensionierte Demokratiebegriff
DEWEY betrachtet die Demokratie ebenfalls nicht nur als „Regierungsform“, sondern als „eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfahrung.“15 Demokratie als Lebensform kann also hinsichtlich des Erziehungsauftrags maßgebend dazu beitragen, „dass die Demokratie in ihrer Ganzheit wirklich gelebt und dauerhaft stabil bleiben kann.“16
Demokratie ist in jedem Fall kein einfach gefasster Begriff, sondern ist, als Voraussetzung für ein ganzheitliches Verständnis, als mehrdimensionaler Begriff zu erfassen. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Politik. Da bei der Ausbildung von Demokratiekompetenz auch das Politische mit einfließt, ist es notwendig den ebenfalls komplexen Begriff der Politik nachvollziehen zu können. KARL ROHE hat hier entscheidend zur Begriffsdifferenzierung beigetragen. Er knüpft in gewisser Weise an die gesellschafts‐politische Verortung von Demokratie, in Form eines horizontalen Verständnisses von Politik, an:
Das Politische ist uns also gleichsam in vierfacher Gestalt begegnet: als politisches Handeln, als politische Institution, politisch‐ideelles Handeln und politische Idee sowie als politisch gesetzte und aufrechterhaltene Rechtsordnung einer Gesellschaft. […] Interpendenz besteht nicht nur zwischen den politischen Teilantworten, sondern auch zwischen Politischem und Gesellschaftlichem17
Politik ist also nicht nur ein durch Institutionen repräsentierte Begriff, wie es im alltäglichen Verständnis oftmals verankert ist, sondern entfaltet sich in mehrere Dimensionen. ROHE stellt sich der Frage, wie „sich am besten eine vernünftige Vorstellung von der komplexen Wirklichkeit des Politischen gewinnen“18 lässt, und kommt zu einer Dreiteilung des Politikbegriffs:
1. policy
2. politics
3. polity
Mit policy meint ROHE die „inhaltliche Dimension“ der Politik, wie beispielsweise Wahlprogramme, Wahlversprechen und Regierungsprogramme. Es geht also darum inwiefern die Interessen der Gesellschaft in der Politik repräsentiert werden, und „was dabei für wen herauskommt“.19
15 Dewey, John: Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik (1916). Aus dem Amerikanischen von Erich Hylla. Herausgegeben von Jürgen Oelkers. Mit einer Auswahlbibliographie. Weinheim und Basel 2004.S.121 16 Himmelmann, Gerhard: Demokratie‐Lernen als Lebens‐, Gesellschafts‐ und Herrschaftsform. In: Breit, Gotthard; Schiele Siegfried (Hrsg.): Demokratie‐Lernen – als Aufgabe der politischen Bildung. Schwalbach/Ts. 2002: Wochenschau Verlag. S.29 17 Rohe, Karl: Politik. Begriffe und Wirklichkeiten. 2.Aufl.; Stuttgart, 1994: Kohlhammer Verlag. S.60 18 Ebd. S.61
19 Ebd. S.62
9 3BDer mehrdimensionierte Demokratiebegriff
Policy setzt wiederum voraus, dass die politischen Akteure die Fähigkeit besitzen Interessen zu formulieren und entsprechende Prozesse in Gang zu setzen, „um die Sammlung und Besorgung von noch fehlernder Zustimmung und Einwilligung zu Handlungsprogrammen“20 zu realisieren. ROHE spricht in diesem Fall auch von einer „Regierungskunst“ und definiert damit politics.21 Ohne Gesetze, Rechtsordnungen und entsprechenden gesellschaftlichen „grundlegenden Organisationsformen und Organisationsnormen“22 können politische Akteure ihre politischen Ziele nicht angemessen vollführen. Politisches Handeln geschieht in einem „Handlungsrahmen“, den ROHE als polity definiert. „Mit „polity“ ist darum stets der Begriff einer Abgrenzung verbunden“.23 Ähnlich wie der dreigliedrige Begriffskomplex der Demokratie von HIMMELMANN ist auch der Begriffskomplex der Politik innerlich miteinander verschränkt und nicht jede einzelne Dimension dieses Komplexes isoliert zu betrachten. Es lassen sich bei policy und politics unterscheidbare Dimensionen politischen Handelns erkennen, jedoch muss das aber nicht bedeuten, „daß sie in der konkreten politischen Wirklichkeit sachlich und zeitlich sauber voneinander getrennt existieren.“24
Wenn politische Bildung, mit dem Ergebnis einer ausgeprägten Demokratiekompetenz, an Schulen Einzug finden soll, und damit auch Demokratie‐ und Politik‐Lernen verbunden ist, müssen die beiden Begriffskomplexe „Demokratie“ und „Politik“ in ihrer vollen Entfaltung gleichfalls von Lehrerinnen und Lehrern als auch von Schülerinnen und Schülern erfahren und erfasst werden. Vor allem die frühe politische Bildung an Kindergärten und Grundschulen kann davon profitieren, wenn Demokratie‐Lernen bzw. ‐Lehren nicht einseitig geschieht und gesellschafts‐politische Bezugspunkte zur Lebenswelt der Kinder hergestellt werden:
Auf die politische Bildung heißt dies, dass sie nicht nur etatistisch‐institutionell und nicht nur problemorientiert auf die „hohe“ Politik ausgerichtet sein, sondern auch gesellschaftliches Lernen“ (Joachim Detjen in diesem Band) umfassen sollte, damit die Kinder und Jugendlichen erkennen lernen, in welcher Gesellschaft sie aufwachsen bzw. in welche Gesellschaft sie hineinwachsen.25
20 Rohe, Karl: Politik. Begriffe und Wirklichkeiten. 2.Aufl.; Stuttgart, 1994: Kohlhammer Verlag. S.62‐63 21 Vgl. Ebd. S.62 22 Ebd. S.65
23 Ebd. S.66
24 Vgl. Ebd. S.64
25 Himmelmann, Gerhard: Demokratie‐Lernen als Lebens‐, Gesellschafts‐ und Herrschaftsform. In: Breit, Gotthard; Schiele Siegfried (Hrsg.): Demokratie‐Lernen – als Aufgabe der politischen Bildung. Schwalbach/Ts. 2002: Wochenschau Verlag. S.27
10 4BNotwendigkeit von Demokratie‐Lernen in der Grundschule
2.2. Notwendigkeit von DemokratieLernen in der Grundschule
Erst in den letzten Jahren ist politische Bildung in der Grundschule wieder Thema konzeptioneller fachdidaktischer Überlegungen geworden26
Wie das Zitat von MASSING schon deutlich macht, ist politische Bildung in der Grundschule wieder ein aktuelles Thema, das bereits schon Anfang der 1970er Jahre seinen Höhenflug hatte. Die bildungspolitische Situation der damaligen Zeit fokussierten „Mündigkeit, Selbstbestimmung und Emanzipation als Zielperspektiven der politischen Bildung auch für die Grundschule“27. Leider hatte dieser Höhenflug ein rasches Ende gefunden und scheiterte u.a. am Ende der bildungspolitischen Reformära, sowie dem Fokussieren von Politikunterricht an weiterführenden Schulen.28 Warum ist „die politische Bildung von Anfang an“ erneut ins Blickfeld fachdidaktischer Diskussionen gerückt? Und daraus resultierend: Welche Notwendigkeit besteht für ein Demokratie‐Lernen in der Grundschule? VON HENTIG formuliert bereits im Vorwort zum baden‐württembergischen Bildungsplan „ein Bewusstsein von „politischer“ Bildung, die die öffentliche Schule dem Staatswesen und den jungen Bürgerinnen und Bürgern schuldet“29. HIMMELMANN fordert ein Demokratie‐Lernen im Primarbereich, wobei er vor allem eine Notwendigkeit darin sieht, dass „auf der Eingangsstufe der Schule mit dem „Kleinen“, aber dem dennoch so „Wichtigen“, der Einübung von Demokratie als Lebensform“ begonnen wird30. Für das Ausformen einer entsprechend fundierten Demokratiekompetenz in den weiterführenden Schulstufen ist dies eine entscheidende Komponente. Allerdings heißt es dann nicht, dass Schülerinnen und Schüler die „Demokratie als sozial‐kooperative, d.h. Verantwortungseinübende sowie auf Gewaltverzicht und Toleranz beruhende Lebensform“ nur in der Grundschule lernen sollen, sondern dieses Verständnis von Demokratie später immer wieder neu aufgefrischt werden muss.
26 Massing, Peter: Politische Bildung in der Grundschule. Überblick, Kritik, Perspektiven. In: Richter, Dagmar (Hrsg.): Politische Bildung von Anfang an. Demokratie‐Lernen in der Grundschule. Bonn 2007: Bundeszentrale für politische Bildung. S.19
27 Ebd.
28 Vgl. Ebd.
29 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden‐Württemberg: Bildungsplan für die Grundschule. Villingen‐Schwenningen 2004: Neckar‐Verlag. S.9 (Vorwort von Prof. Dr. Hartmut von Hentig)
30 Himmelmann, Gerhard: Demokratie‐Lernen als Lebens‐, Gesellschafts‐ und Herrschaftsform. In: Breit, Gotthard; Schiele Siegfried (Hrsg.): Demokratie‐Lernen – als Aufgabe der politischen Bildung. Schwalbach/Ts. 2002: Wochenschau Verlag. S.32
11 4BNotwendigkeit von Demokratie‐Lernen in der Grundschule
PROTE31 unterstützt HIMMELMANNs Ansatz einer frühen politischen Bildung und dem Einsatz von Demokratie‐Lernen als Lebensform im Primarbereich. Sie zeigt anhand einiger Fallbeispiele sehr deutlich, dass die Schülerinnen und Schüler in der Grundschule Vorstellungen und Konzeptionen über demokratische Elemente, wie etwa Gleichheit besitzen; vorausgesetzt sie sind direkt davon betroffen.
PROTE geht noch einen Schritt weiter und sieht ein Gefahrenpotential in „undemokratischen Einstellungen und Verhaltensweisen“32, mit denen Grundschüler bereits konfrontiert werden. Diese bleiben jedoch meist unbewusst und unreflektiert haften und sind für die Grundschülerinnen und ‐schüler daher ein oftmals akzeptierter Teil ihres Handlungs‐, Entscheidungs‐, und Verhaltensrepertoires. HAFNER33 hat in einer stichprobenartigen Studie zu Interessen, Einstellungen und Wissen von Kindern über Politik empirisch verdichtet, dass „Kinder des vierten und siebten Schuljahres […] bereits mit Politischem konfrontiert“34 werden. Die Wege der Konfrontation sind dabei vielfältiger Natur, wobei Massenmedien, das Elternhaus und schließlich die Schule eine entscheidende Rolle spielen. Auch was den Primarbereich anbelangt stimmt HAFNER mit der Meinung der hier genannten Autoren überein, und setzt sich für die ernsthafte Auseinandersetzung mit politischer Bildung in der Grundschule ein:
Auch bezüglich der Grundschule sollte man nicht weiterhin davon ausgehen, dass ihre Unterrichtsinhalte allenfalls vorpolitischer Art sein können. Denn damit bleibt die Tatsache ignoriert, dass manifeste politische Sozialisation und damit der Erwerb politischen Wissens und politischer Einstellungen schon längst begonnen haben.35
Demokratie‐Lernen kann hier ansetzen, um den Schülerinnen und Schülern die notwendige Unterstützung zu liefern mit der politischen Umwelt adäquat umzugehen, um die darin enthaltenen undemokratische Elemente zu enttarnen, und daraus deduktiv „demokratische Problemlösungen“36 erarbeiten zu können.
Hieraus ergibt sich für mich nicht nur die Möglichkeit des Demokratie‐Lernens mit Grundschulkindern, sondern deren Notwendigkeit37
31 Prote, Ingrid: Für eine veränderte Grundschule : Identitätsförderung ‐ soziales Lernen ‐ politisches Lernen. Schwalbach/Ts. 2000: Wochenschau Verlag. S.159‐162
32 Ebd. S.161
33 Hafner, Verena: Politik aus Kindersicht. Eine Studie über Interesse, Wissen und Einstellungen von Kindern. Stuttgart 2006: ibidem‐Verlag.
34 Ebd. S.139
35 Ebd. S.141
36 Ebd.
37 Ebd.
12 5BAnforderungen an Demokratiekompetenz in der Grundschule
2.3. Anforderungen an Demokratiekompetenz in der Grundschule
Wenn wir uns der Frage annähern möchten inwiefern Grundschülerinnen und –schüler Politik und Demokratie lernen können, muss zunächst aufgearbeitet werden, welche Kompetenzen bei Grundschülerinnen und –schülern ausgeformt werden sollen, und vor allem welche Anforderungen an Demokratiekompetenz in der Grundschule bestehen. In der Forschung ist man dabei noch nicht übereingekommen welche Kompetenzen konkret und sinnvoll für die Politikdidaktik sind.38 WEINERT39 erfasst dabei den modernen Kompetenzbegriff als ein Begriff der das Wissen, Können, Verstehen, Handeln und die Motivation beinhaltet. Hierbei ergibt sich die Schwierigkeit, dass politische Kompetenzen, wie etwa das Wählen, oftmals mit sozialen vermengt werden.40 Die Kognitionspsychologie ist aber zum Schluss gekommen, dass zunächst domänenspezifisches Wissen aufgebaut werden muss, bevor fächerübergreifendes Wissen rezipiert werden kann.41 Das Vermengen von politischen und sozialen Kompetenzen kann demgegenüber im Weg stehen. Damit die Schülerinnen und Schüler domänenspezifisches Wissen zunächst als Basis aufbauen können, muss im Vorfeld geklärt werden, was politische Bildung ausmacht und was nicht. Oftmals erfolgt eine Vermischung von Sozialem und Politischem und im weitersten Sinne Gesellschaftlichem, obwohl beispielsweise „das Gesellschaftslernen etwas ganz anderes ist als das soziale Lernen“42. Die Vermischung von sozialem und politischem Lernen führt zu fehlerhaften Verständnissen über Politik; die Schülerinnen und Schüler entwickeln „misconceptions“.43 Die Zuordnung, was nun politisches Lernen ist und was nicht, wird hierdurch für den Lerner schwer nachvollziehbar. Die Didaktik fordert daher eine strikte Trennung beider Bereiche, um Orientierungssicherheiten für den Lerner gewährleisten zu können.
38Vgl. Richter, Dagmar: Welche politischen Kompetenzen sollen Grundschülerinnen und –schüler erwerben? In: Richter, Dagmar (Hrsg.): Politische Bildung von Anfang an. Demokratie‐Lernen in der Grundschule. Bonn 2007: Bundeszentrale für politische Bildung. S.36. 39 Weinert, Franz E.: Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In: ders. (Hrsg.): Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim/Basel 2001, S.27.
40 Ebd. 41 Vgl. Ebd. S.37 42 Detjen, Joachim: Die gesellschaftliche Infrastruktur der Demokratie kennen und sich gesellschaftlich beteiligen – Gesellschaftslernen im Rahmen des Demokratie‐Lernens. In: Breit, Gotthard; Schiele Siegfried (Hrsg.): Demokratie‐Lernen – als Aufgabe der politischen Bildung. Schwalbach/Ts. 2002: Wochenschau Verlag. S.72 43 Vgl. Richter, Dagmar: Welche politischen Kompetenzen sollen Grundschülerinnen und –schüler erwerben? In: Richter, Dagmar (Hrsg.): Politische Bildung von Anfang an. Demokratie‐Lernen in der Grundschule. Bonn 2007: Bundeszentrale für politische Bildung. S.37
13 5BAnforderungen an Demokratiekompetenz in der Grundschule
Ein gewisser Zusammenhang zwischen sozialen und politischen Lernen besteht dennoch, denn soziales Lernen kann für Demokratie‐Lernen eine „tragfähige Basis“44 sein. Trotzdem ist noch relativ unklar inwiefern soziales Lernen als Vorläufer für politisches Lernen fungiert bzw. fungieren kann. Schließlich ist darauf zu achten, dass soziales Lernen und politisches Lernen nicht gänzlich miteinander gleichgesetzt werden, denn die Voraussetzungen, in der sich eine politische Sozialisation vollzieht, sind andere: während soziales Lernen in einer gesellschaftlich „umfassenden Einheit“ agiert, geschieht politische Sozialisation und somit politisches Lernen in Ausschnitten der Gesellschaft: „Familie, Schule, Beruf, Freizeit und eben auch Politik.“45 Mit dieser Differenzierung formuliert sich auch eine weitere Anforderung an Demokratiekompetenz; auch für die Grundschule: „Da also Politik ein „eigener Handlungsbereich“ geworden ist, hat politische Bildung das Ziel, die Heranwachsenden über dessen Strukturen, Funktionen usw. aufzuklären“46. Politische Bildung ist mehr als nur das „Erlernen und Verstehen der Funktions‐ und Entscheidungslogik von „Poltik““47 HIMMELMANN48 wertet den Begriff der „politischen Bildung“ im Sinne einer Demokratieerziehung und im Auftrag einer Begriffsannäherung an Demokratiekompetenz aus, und fordert eine stärkere zivilgesellschaftliche Verankerung dessen. Er stellt einen mangelhaften Sprachgebrauch im Begriff „politische Bildung“ fest, der sich international nicht mit Begriffen wie „civic education“ (USA), „citizenship education“ (Europäische Kommission/England) bzw. „education for democratic citizenship“ (Europarat) messen kann. International wird der Begriff „politische Bildung“ als „far academic and abstract“ kritisiert, was ein problembehaftetes Verständnis auf beiden Seiten nach sich zieht. Es geht dabei nicht darum international anschlussfähig zu bleiben, sondern die damit verbundenen Inhaltsauffassungen, Assoziationen und Mentalitäten kritisch zu prüfen.49 Nun stellt sich daraus die Frage, wie die Auffassung von Politik bzw. politischer Bildung bei Kindern einer Grundschule verläuft. Welche kognitiven Potentiale und Strukturen besitzen Grundschülerinnen und Grundschüler, wenn es um das Unterrichten von politischer Bildung bzw. das Ausbilden einer Demokratiekompetenz in der Grundschule geht?
44 Prote, Ingrid: Für eine veränderte Grundschule : Identitätsförderung ‐ soziales Lernen ‐ politisches Lernen. Schwalbach/Ts. 2000: Wochenschau Verlag. S.159
45 Krappmann, Lothar: Politische Sozialisation in Kindheit und Jugend durch Partizipation an alltäglichen Entscheidungen – ein Forschungskonzept. In: Kuhn, Hans‐Peter; Uhlendorff, Harald; Krappmann, Lothar (Hrsg.). Sozialisation zur Mitbürgerlichkeit. Opladen 2000: Leske & Budrich. S.77
46 Hans‐Werner Kuhn: Demokratie leben. Soziales Lernen im Politikunterricht. In: Breit, Gotthard; Schiele Siegfried (Hrsg.): Demokratie‐Lernen – als Aufgabe der politischen Bildung. Schwalbach/Ts. 2002: Wochenschau Verlag. S.56
47 Himmelmann, Gerhard: Leitbild Demokratieerziehung : Vorläufer, Begleitstudien und internationale Ansätze zum Demokratie‐Lernen. Schwalbach/Ts. 2006: Wochenschau Verlag. S.128
48 Ebd. S.128‐130
49 Vgl. Ebd. S.129
14 5BAnforderungen an Demokratiekompetenz in der Grundschule
Inhaltliches Fachwissen strukturiert sich zunächst in einem Netzwerk von „modellhaften Konzepten“; ähnlich verhält es sich bei Grundschülerinnen und Grundschülern, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie Netzwerke von Konzepten aufbauen50. Daraus kann man schließen, dass die in Domänen angelegten Wissensbestände durch Konzepte der Adressaten (und damit auch die der Grundschülerinnen und Grundschüler) verknüpfbar sind.51 Die Lebenswelt der Kinder bietet demnach eine Möglichkeit einen Zugang zum Politischen bzw. Demokratischen zu schaffen. Allerdings sollte der analogiebildende Lernprozess zwischen Lebenswelt und Politikwelt nicht unreflektiert geschehen, da es ansonsten zu einer „Parallelisierungsfalle“52 kommen kann, die „ „demokratisches“ Handeln in der Lebenswelt Schule“ fast gleichberechtigt neben „demokratischem Handeln in der Politik“ sieht53. RICHTER54 stellt die hierdurch resultierende Frage: „Wie kann es politischem Lernen in der Grundschule gelingen, Schüler/innen zu befähigen, die Differenz beider Bereiche zu kennen, auseinander zu halten und die jeweiligen Gegenstände in integrierender Perspektive zu betrachten?“ Hier muss grundlegende Wissensvermittlung (z.B. pol. Institutionen und Organisationen) über Politik betrieben werden, damit diese Differenzierung in einem weiteren Schritt für Grundschülerinnen und –schüler überhaupt möglich wird. Trotzdem bleibt die Frage nach konzeptionellen Wissensbeständen von Grundschülerinnen und Grundschülern weitgehend unbeantwortet. GÖTZMANN55 zeigt indessen anhand mehrerer Studien zum Wissen über Politik von Grundschülerinnen und ‐schülern, dass diese „bereits über Wissen und Konzepte zu verschiedenen Bereichen von Politik“56 verfügen und durchaus in der Lage sind „politische Sachverhalte in einem gewissen Umfang wahrzunehmen und zu verstehen“57.
50 Vgl. Wellmann, Henry M.; Gelman, Susan A.: Cognitive development: Foundational theories of core domains. In: Annual Review of Psychology 43/1992, S.337‐75
51 Vgl. Richter, Dagmar: Welche politischen Kompetenzen sollen Grundschülerinnen und –schüler erwerben? In: Richter, Dagmar (Hrsg.): Politische Bildung von Anfang an. Demokratie‐Lernen in der Grundschule. Bonn 2007: Bundeszentrale für politische Bildung. S.37 52 Vgl. Massing Peter: Politische Bildung in der Grundschule – Überblick, Kritik, Perspektiven. In: Richter, Dagmar (Hrsg.): Politische Bildung von Anfang an. Demokratie‐Lernen in der Grundschule. Bonn 2007: Bundeszentrale für politische Bildung. S.29 53 Ebd.
54 Richter, Dagmar: Probleme der Vermittlung von wissenschaftlichen und lebensweltlichen Erkenntnisweisen. In: Claußen, Bernhard; Gagel, Walter; Neumann, Franz (Hrsg.): Herausforderungen – Antworten. Politische Bildung in den neunziger Jahren. Opladen 1991: Leske & Budrich. S.251‐263
55 Götzmann, Anke: Naive Theorien zur Politik – Lernpsychologische Forschungen zum Wissen von Grundschülerinnen und –schülern. In: Richter, Dagmar (Hrsg.): Politische Bildung von Anfang an. Demokratie‐Lernen in der Grundschule. Bonn 2007: Bundeszentrale für politische Bildung. S.37 56 Ebd. S.87
57 Ebd.
15 5BAnforderungen an Demokratiekompetenz in der Grundschule
Die bei Grundschülerinnen und –schülern ausgeprägten Konzepte über Politik sind natürlich nicht in dem Maße elaboriert wie bei Erwachsenen, und das Erklären der politischen Welt führt öfter, wie RICHTER bereits warnt, zu „Misskonzepten“58. Diese wirken aber nicht grundsätzlich destruktiv dem politischen Lernprozess entgegen, „weisen bereits logische Denkstrukturen auf“ und können „zu einem elaborierten politischen Konzept“59 der Lerner führen.
Fassen wir also nochmal zusammen, welche Anforderungen für eine Demokratiekompetenz an Grundschulen bestehen:
• Abgrenzung zwischen sozialen und poltischen Lernen
• Vergleichen und Optimieren des Begriffs „politische Bildung“
• Zivilgesellschaftliche Verankerung
• Komplexer Demokratie‐ und Politikbegriff
• Reflektierter Brückenschlag zwischen Lebenswelt der Lerner und der Politik
• Einbezug vorhandener Wissens‐ und Konzeptionsbestände über Politik
Dieser Anforderungsrahmen ist sicherlich noch nicht umfassend, strukturiert und konkret genug für ein in der Grundschule didaktisch‐methodisch ausgereiftes Unterrichtskonzept politischer Bildung. Es stellt sich für die Ausformung einer Demokratiekompetenz zusätzlich die Anforderung „empirisch überprüfbar […] in Leistungstests gemessen“60 werden zu können. Erst dadurch können qualitative Aussagen über eine angemessene Demokratiekompetenz gemacht werden. Kompetenzen müssen also auch nachvollziehbar genug sein, um überprüft werden zu können. Bildungsstandars sollen eine exakte Bestimmung vorformulierter Kompetenzen liefern; leider nicht für eine im Sachunterricht der Grundschule angesiedelte politische Bildung, sondern nur in Hauptfächern wie Mathematik und Deutsch61:
Es gibt für die politische Bildung in der Grundschule weder Kompetenzstrukturmodelle noch geklärte Kompetenzdimensionen oder –niveaus.62
58 Götzmann, Anke: Naive Theorien zur Politik – Lernpsychologische Forschungen zum Wissen von Grundschülerinnen und –schülern. In: Richter, Dagmar (Hrsg.): Politische Bildung von Anfang an. Demokratie‐Lernen in der Grundschule. Bonn 2007: Bundeszentrale für politische Bildung. S.87
59 Ebd.
60 Richter, Dagmar: Welche politischen Kompetenzen sollen Grundschülerinnen und –schüler erwerben? In: Richter, Dagmar (Hrsg.): Politische Bildung von Anfang an. Demokratie‐Lernen in der Grundschule. Bonn 2007: Bundeszentrale für politische Bildung. S.37 61 Vgl. Ebd. S.38 62 Ebd. S.38
16 6BKonzeptionen, Vorschläge & Diskussionen
2.4. Konzeptionen, Vorschläge & Diskussionen
Wie aus dem vorherigen Kapitel hervorgegangen ist, sind die Diskussion und die Bestimmung über ein einheitliches Demokratiekompetenz‐Modell noch nicht abgeschlossen. Trotzdem gibt es einige Vorschläge seitens der Forschung, wie ein Modell aussehen könnte. Dieses Kapitel soll entsprechende Modelle der GPJE, des baden‐württembergischen Kultusministeriums, der Gruppe „Sozialwissenschaften“ und von GERHARD HIMMELMANN darstellen und die fachdidaktische Diskussion und Kritik über die dargestellten Modelle erläutern.
Zunächst gilt es grundlegende fachwissenschaftliche Annäherungen an ein Konzept von Demokratiekompetenz zu referieren, um den aktuellen Diskussionsstand der Fachdidaktik aufzuzeigen. Das zentrale Ziel der „politischen“ Mündigkeit, der „politischen“ Urteilsfähigkeit und der „politischen“ Selbstbestimmung fundiert auf der Annahme, dass eine „demokratiekompetente Bürgerschaftlichkeit“ nicht existiert63:
Empirische Untersuchungen weisen sowohl bei den Jugendlichen wie bei den Erwachsenen auf erhebliche Wissenslücken und Fehlverständnisse hin64
Der Bürger bzw. Schüler wird in diesem Fall zunächst eher als undemokratisches Individuum dargestellt und die „Demokratie ergibt sich nicht als naturwüchsig“65. Auf Basis dieser Erkenntnisse müssen die Kompetenzdefizite bewältigt und konkrete erstrebenswerte Kompetenzen definiert werden. Aus dem mehrdimensionierten Begriffsverständnis von Demokratie, nicht nur als „Systembegriff“ (Regierungsform), entspringt eine Ansammlung breitgefächerte „Bürgerkompetenzen“. Eine Auswahl davon definiert sich wie folgt:
• Toleranz (Anerkennung des Gegners)
• Empathie, Solidarität
• Denk‐ und Urteilsfähigkeit (Sachkompetenz)
• Konfliktfähigkeit
• Usw.66
63 Himmelmann, Gerhard: Leitbild Demokratieerziehung : Vorläufer, Begleitstudien und internationale Ansätze zum Demokratie‐Lernen. Schwalbach/Ts. 2006: Wochenschau Verlag. S.130
64 Ebd. S.130
65 Habermas, Jürgen: Was macht eine Lebensform rational? In: Habermas, Jürgen: Erläuterungen zur Diskursethik. Frankfurt/M., 2. Aufl. 1992, S.31‐48 66 Himmelmann, Gerhard: Leitbild Demokratieerziehung : Vorläufer, Begleitstudien und internationale Ansätze zum Demokratie‐Lernen. Schwalbach/Ts. 2006: Wochenschau Verlag. S.131‐132
17 6BKonzeptionen, Vorschläge & Diskussionen
Desweiteren gibt es eine Vielzahl solcher „Tableaus“, die zur Bestimmung einer Demokratiekompetenz herangezogen werden. Praktikabel sind diese aber bei weitem nicht, denn es fehlt eine „Systematisierung“ und Strukturierung:
Die vorangestellten Tableaus zu den fachwissenschaftlich erörterten Bürgerkompetenzen zeigen, wie „uferlos“ die Begriffe „mündiger Bürger“ und „politische Mündigkeit“ werden können, wenn man versucht, sie konkreter auszudifferenzieren.67
Wie sind Kompetenzen aber generell definiert bzw. systematisiert? Die KLIEME‐Expertise68 hat im Rahmen der Pisa‐Ergebnisse einen dreigliedrig definierten Kompetenzbegriff ausgemacht, der den Lerner auf mehreren Lernebenen69 ansprechen soll:
Die Lernebenen der:
• Kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten
• Motivationalen und sozialen Bereitschaften und der
• Nutzanwendung (Handlungskompetenz)
Diese Dreiteilung hat sich bereits 1995 in der fachdidaktische Diskussion um eine Bestimmung von Kompetenzbereichen in der politischen Bildung vorgezeichnet. So stützte sich ein Entwurf des „Darmstädter Appell“70, der eine Gruppe von Fachdidaktikern und Fachwissenschaftlern umschließt, auf diese:
• Wissen über das Gesellschafts‐ und dabei insbesondere das politische System und seine Institutionen, über den Ablauf politischer Prozesse und die dabei geltenden Regeln und über die Alltagswirklichkeit von Politik mit ihren Spannungen zu den Verfassungsnormen;
• Einstellungen wie die Bereitschaft, Meinungsvielfalt und Meinungskonkurrenz in einer pluralistischen Gesellschaft auszuhalten, sich an der Austragung von Konflikten zu beteiligen und Kompromisse zu ertragen;
• Fähigkeiten wie die Handlungs‐ und Gestaltungskompetenz zur Nutzung von Partizipationschancen sowie Entscheidungs‐ und Problemlösungsfähigkeit
67 Himmelmann, Gerhard: Leitbild Demokratieerziehung : Vorläufer, Begleitstudien und internationale Ansätze zum Demokratie‐Lernen. Schwalbach/Ts. 2006: Wochenschau Verlag. S.132
68 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandars. Bonn 2003: BMBF.
69 Vgl. Himmelmann, Gerhard: Leitbild Demokratieerziehung : Vorläufer, Begleitstudien und internationale Ansätze zum Demokratie‐Lernen. Schwalbach/Ts. 2006: Wochenschau Verlag. S.125
70 Darmstädter Appell: Aufruf zur Reform der „Politischen Bildung“ in der Schule. In: Politische Bildung, Jg.28/1995, Heft 4, S.139‐143.
18
Die Aufteilung in Wissen, Einstellungen und Fähigkeiten weist in jedem Fall Parallelitäten zum grundlegenden Kompetenzbegriff der KLIEME‐Expertise auf. Wichtig dabei ist, dass nicht nur „kognitive Merkmale“ im Vordergrund stehen, sondern auch „motivationale und handlungsbezogene Merkmale“ zum Kompetenzbegriff dazugehören.71 Es besteht Zweifel daran, ob dies wirklich befolgt wird, denn „vor allem die kognitiv ausgerichteten und eher überprüfbaren Standards“ können die „sozialen und kommunikativen Fähigkeiten sowie die praktisch‐instrumentellen Fertigkeiten“ verdrängen. Diese Zweifel bestehen auch bei soft‐skills der „Demokratiekompetenz“.72 Im Folgenden sind Konzepte dargestellt, die versuchen den Anforderungen des Kompetenzbegriffs gerecht zu werden und gleichzeitig anwendungstauglich für die politische Bildung an Schulen zu sein. Im Rahmen dieser wissenschaftlichen Hausarbeit soll weiterhin überprüft werden, inwiefern die Konzepte Bezüge zur Grundschule herstellen.
71 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandars. Bonn 2003: BMBF. S.72
72 Vgl. Himmelmann, Gerhard: Leitbild Demokratieerziehung : Vorläufer, Begleitstudien und internationale Ansätze zum Demokratie‐Lernen. Schwalbach/Ts. 2006: Wochenschau Verlag. S.127
19 7BAnsatz der Gruppe „Sozialwissenschaften“
2.4.1. Ansatz der Gruppe „Sozialwissenschaften“
Diese Expertise soll ein Kerncurriculum für Politikunterricht darstellen, wobei der Fokus bewusst nicht nur auf die „Politik als Kern“73 gelegt werden soll. Die Autoren wenden in diesem Zusammenhang auch den Begriff „Demokratie‐Lernen“ an. Das Modell versucht Demokratiekompetenz durch fünf untergliederte „Demokratie‐Kompetenzen“74 zu umranden:
• Perspektivenübernahme (Rollenübernahme)
• Konfliktfähigkeit
• Sozialwissenschaftliches Denken,
• politisch‐moralische Urteilsfähigkeit und
• Partizipation
Diese Kompetenzen sind jedoch nicht voneinander isoliert sondern miteinander vernetzt zu betrachten. Trotzdem stehen sie durch ihr „allgemeines Selbstverständnis und der Forschungstradition des Faches“ abseits der Grundschule; sie sind lediglich für die gymnasiale Oberstufe konzipiert. Die genauere Kompatibilität der Kompetenzen mit den jeweiligen Schulstufen wird generell nicht untersucht. Zusätzlich vermisst man bei diesem Modell eine gewisse Struktur und die „Dreiteilung des Lernens“75, so dass die Kompetenzen „besonders aus internationaler Sicht […] eher „gegriffen““76 erscheinen.
73 Vgl. Massing, Peter; Weißeno, Georg (Hrsg.): Politik als Kern der politischen Bildung. Wege zur Überwindung unpolitischen Unterrichts. Opladen 1996: Leske & Budrich.
74 Vgl. Himmelmann, Gerhard: Leitbild Demokratieerziehung : Vorläufer, Begleitstudien und internationale Ansätze zum Demokratie‐Lernen. Schwalbach/Ts. 2006: Wochenschau Verlag. S.133‐135
75 Vgl. Ebd. S.135
76 Ebd. S.135
20 8BKonzept der GPJE (Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend‐ und
Erwachsenenb g)
2.4.2. Konzept der GPJE (Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend‐ und Erwachsenenbildung)
ildun
Die GPJE77 sieht in ihrem Entwurf den primären Bildungsauftrag der „Entwicklung politischer Mündigkeit“ und der Befähigung für „eine erfolgreiche Partizipation“ vor.78 Insbesondere fordert er eine „fächerübergreifende Kooperation“, wodurch die politischen Inhalte der Fächer gebündelt, systematisiert, stimuliert und weitergeführt werden sollen. Die konzeptionelle Basis des Entwurfs fußt auf einem „umfassenden Politikbegriff, der sich auf die Regelung von grundlegenden Fragen und Problemen des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens bezieht.“79 Er umfasst zusätzlich zum Politikbegriff im engeren Sinne wirtschaftliche, gesellschaftliche und rechtliche Fragen und Probleme. Die Themen sind nicht voneinander getrennt, sondern können genutzt werden, um Wechselwirkungen und Zusammenhänge aufzuzeigen. Desweiteren spricht sich die GPJE für eine „einheitliche Fachbezeichnung“ aus; in der Grundschule für „Sachunterricht“ und in der Sekundarstufe I und II für „Politische Bildung“. Die konkreten Kompetenzbereiche werden aufbauend darauf, dass „Politikunterricht […] nicht an einem Nullpunkt, sondern auf bereits vorhandene Einstellungen und Deutungen sowie vorhandenes Wissen bei Schülerinnen und Schülern“ beginnt, in ein grafisch dargestelltes „konzeptuelles Deutungswissen“ eingebettet:
Abbildung 1 aus Sander In: Redaktion politische Bildung & kursiv –Journal für politische Bildung S.47
77 GPJE: Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf. 2.Auflage, Schwalbach/Ts., 2004: Wochenschau Verlag.
78 Ebd. S.9
79 Ebd. S.10
21 8BKonzept der GPJE (Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend‐ und
Erwachsenenbildung)
Die Aufteilung der Kompetenzbereiche in „politische Urteilsfähigkeit, politische Handlungsfähigkeit und methodische Fähigkeiten“ stellen untereinander Bezüge her, und müssen daher auch in „ihren wechselseitigen Zusammenhängen gesehen werden.“80 Im Gegensatz zum Entwurf der Gruppe der Sozialwissenschaften liefert der Entwurf der GPJE, basierend auf den drei bestimmten Kompetenzbereichen, ausformulierte Bildungsstandards für die Grundschule am Ende der Klasse vier81:
Politische Urteilsfähigkeit:
Die Schülerinnen und Schüler können
• An Beispielen Aufgaben ausgewählter öffentlicher Institutionen auf verschiedenen politischen Ebenen erklären;
• Die Bedeutung von Regeln und Gesetzen für das Zusammenleben erklären;
• Usw.
Politische Handlungsfähigkeit
Die Schülerinnen und Schüler können
• Eigene Urteile zu fachlichen Fragen formulieren und begründen sowie andere Positionen tolerieren
• Mit (kulturellen, sozialen, politische, geschlechtsspezifischen usw.) Differenzen umgehen, eine eigne Sichtweise entwickeln und Kompromisse schließen;
• Usw.
Methodische Fähigkeiten
Die Schülerinnen und Schüler können
• Eine soziale Situation gezielt beobachten und über die Beobachtung berichten
• Eine fachrelevante soziale Situation spielerisch simulieren
• Usw.
80 Vgl. GPJE: Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf. 2.Aufl.; Schwalbach/Ts., 2004: Wochenschau Verlag. S.13
81 Vgl. Ebd. S.19‐20
22 8BKonzept der GPJE (Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend‐ und
Erwachsenenbildung)
Bei kritischer Betrachtung des Ansatzes wird deutlich, dass die „empirischen und normativen Bezüge“ nicht deutlich genug sind. Der Ansatz wirkt zudem recht provisorisch und in ähnlicher Weise wie beim Entwurf der Gruppe „Sozialwissenschaften“ fehlt die Begründung für die Auslegung der Kompetenzbereiche. Schließlich fehlen Vergleiche mit internationalen Ansätzen, so dass der Anschluss an die „Debatte etwa um „Civic Education“, „Education for Democracy“ oder „Education for Democratic Citizenship““ nicht gesucht wird. 82
Insgesamt sollten sowohl das Gutachten der Gruppe Sozialwissenschaften und der Vorschlag der GPJE als domänenspezifische Formulierungen von Kompetenzen und Bildungsstandards kritisch geprüft und mit anderen, vor allem fächerübergreifenden, schulkulturellen und internationalen Entwürfen verglichen werden, um bei der Formulierung von Demokratiekompetenz Berücksichtigung zu finden.83
82 Vgl. Himmelmann, Gerhard: Leitbild Demokratieerziehung : Vorläufer, Begleitstudien und internationale Ansätze zum Demokratie‐Lernen. Schwalbach/Ts. 2006: Wochenschau Verlag. S.138‐139
83 Ebd. S.139
23 9BKonzept des Demokratie‐Lernens (Gerhard Himmelmann)
2.4.3. Konzept des DemokratieLernens (Gerhard Himmelmann)
Das Bemühen HIMMELMANNs84 zielt auf eine „Schwerpunktverlagerung in der politischen Bildung von Politik‐Lernen hin zum Demokratie‐Lernen“ ab. Das Mauerwerk des Konzepts bildet der Demokratie‐Begriffskomplex unter Federführung des Autors (hier in der Arbeit erläutert) und ein „fachliches Kernkonzept“ in der KLIEME‐Expertise85. Die Ausformulierung und Systematisierung der Bildungsstandards erfolg anhand dreier Lernebenen, die jeweils durch „acht Eckpunkte“ flankiert werden. Sie sind im Folgenden mit jeweils einem „Eckpunkt“ exemplarisch dargestellt:
• Affektiv‐moralische Einstellungen („commitments“, „attitudes“, „dispositions“)
o Anerkennung der Prinzipien der Universalität, Interpendenz und Unteilbarkeit der Grundrechte und Gesundfreiheiten
• Allgemeine kognitive Fähigkeiten („knowledge“, „understanding“)
o Erkennen (wiedergeben und beschreiben) eines Sachverhalts, einer Aussage, eines Problems, einer Situation, eines Konflikts (Sachkenntnis)
• Praktisch‐instrumentelle Fertigkeiten („skills“, „strategies“)
o Meinungen und Argumente anderer erfassen und ernst nehmen, andere Meinungsträger als Person anerkennen, sich in die Lage anderer versetzen, Kritik ertragen, zuhören (Dialog, Empathie)
HIMMELMANN stuft die „Förderung von Einstellungen, Bereitschaften und Haltungen zu demokratischen Prinzipien“, also die affektiv‐moralische Lernebene, als besonders wichtig ein und ordnet diese an erster Stelle vor den restlichen Lernebenen ein. Selbstkritisch spricht der Autor von „vielen Überschneidungen zu den […] bisher erörterten Kompetenzmodellen“ und vom Bedürfnis „weiterer Bearbeitung und Diskussion“. Auf der anderen Seite sieht HIMMELMANN in seinem Ansatz für eine „demokratie‐kompetente Bürgerschaftlichkeit […] den Anspruch, weiter und tiefer zu greifen als die Modelle der Gruppe Sozialwissenschaften oder der GPJE“.86
84 Vgl. Himmelmann, Gerhard: Leitbild Demokratieerziehung : Vorläufer, Begleitstudien und internationale Ansätze zum Demokratie‐Lernen. Schwalbach/Ts. 2006: Wochenschau Verlag. S.139‐142
85 Siehe unter : Bundesministerium für Bildung und Forschung: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandars. Bonn 2003: BMBF.
86 Himmelmann, Gerhard: Leitbild Demokratieerziehung : Vorläufer, Begleitstudien und internationale Ansätze zum Demokratie‐Lernen. Schwalbach/Ts. 2006: Wochenschau Verlag. S.142
24 10BAnsatz im baden‐württembergischen Bildungsplan für die Grundschule
2.4.4. Ansatz im badenwürttembergischen Bildungsplan für die Grundschule
Der baden‐württembergische Bildungsplan liefert ebenfalls konzeptionelle Grundlagen für eine politische Bildung. VON HENTIG87 schreibt bereits im Vorwort von „Mitspracherechte[n]“, „Mitsprachepflicht“ und „Redefähigkeit […] im Zeitalter von Mitsprache und Demokratie“. Auf der Grundlage der KLIEME‐Expertise gliedert er die zu erreichenden Lernziele in Einstellungen, Fähigkeiten und Kenntnisse. Im weiteren Verlauf formuliert VON HENTIG Leitfragen88, die zur Konkretisierung der vorformulierten eher weittragenden Kompetenzbereiche beitragen sollen. Für den Bereich „Demokratie lernen“ sind dies folgende:
• Welche Formen der Mitsprache und Mitgestaltung gibt es auf der Ebene der Klasse und der Schule?
• Wie fördern wir die Übernahme von Verantwortung und die Sprachfähigkeit so, dass Schülerinnen und Schüler der Ordnung der gemeinsamen Angelegenheiten mitwirken können und wollen?
• Welche Unterstützung erhält die Schülermitverantwortung?
• Welche Anschauung geben wir von der politischen Demokratie „draußen“?
Für das Land Baden‐Württemberg übernimmt der Fächerverbund Mensch, Natur und Kultur die Bereiche „In Gemeinschaft leben“ und „Demokratie leben“ und dadurch auch die Ausbildung einer entsprechenden Demokratiekompetenz. Auch hier werden die Kompetenzen nicht streng von einander abgekoppelt, sondern „können […] auch durch Inhalte anderer Kompetenzfelder erreicht werden.“89 Die Kompetenzfelder reißen Demokratie‐Lernen jedoch nur ansatzweise an. So heißt es beispielsweise im Kompetenzfeld für die vierte Klasse der Grundschule „Ich – Du – Wir: Zusammen leben, miteinander gestalten, voneinander lernen“90:
87 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden‐Württemberg: Bildungsplan für die Grundschule. Villingen‐Schwenningen 2004: Neckar‐Verlag. S.7‐19
88 Ebd. S.18
89 Ebd. S.97
90 Ebd. S.104
25 10BAnsatz im baden‐württembergischen Bildungsplan für die Grundschule
Die Schülerinnen und Schüler können:
• Bewusst Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei ihren Mitmenschen wahrnehmen und die Merkmale des Gegenübers mitteilen
• Einander zuhören, Erfahrungen und Meinungen anderer abwägen sowie ihre eigene Meinung begründen
• Gegenüber anderen Menschen in ihrer Verschiedenartigkeit Verständnis und Toleranz entwickeln
Aufgrund von fehlenden wissenschaftlichen Referenzmaterials zum baden‐württembergischen Bildungsplan, sind die folgenden Aussagen wissenschaftlich nicht evident. Sie dienen lediglich als erster Ansatz für weiterführende Diskussionen und stützen sich vorwiegend auf Aussagen von HIMMELMANN91 zu vorhergehenden Kompetenzmodellen:
Auch hier sucht man eine Begründung für die hier ausgewählten Kompetenzen. Die Abgrenzung gegenüber zu anderen „unpolitischen“ Kompetenzen ist hier nicht gegeben. Die einzelnen für politische Bildung relevanten Kompetenzen sind hier in ein sehr breit gefächertes nicht trennscharfes Kompetenz‐Konglomerat eingebunden, was zwar im Sinne eines fächerübergreifenden Ansatzes grundsätzlich zu befürworten ist, aber Demokratie‐Lernen gleichzeitig als unbewusstes, schwebend wirksames Lernziel erscheinen lässt. Die Vermittlung domänenspezifischen Wissens um „Demokratie ‐Lernen“ ist durch die ungenügende Dominanz und Exponiertheit innerhalb dieses Ansatzes nicht gewährleistet. Der Trennung zwischen politischer Bildung und sozialen Lernen kann dieser Ansatz daher auch nicht gerecht werden.
91 Vgl. Himmelmann, Gerhard: Leitbild Demokratieerziehung : Vorläufer, Begleitstudien und internationale Ansätze zum Demokratie‐Lernen. Schwalbach/Ts. 2006: Wochenschau Verlag. S.139‐142
26 11BUnterrichtskonzept – „Taschengeld – für alle Eltern Pflicht?“
3. Unterrichtskonzept – „Taschengeld – für alle Eltern Pflicht?“
Das folgende Unterrichtskonzept soll als Analyseinstrument dienen, um eines der dargestellten Demokratiekompetenz‐Modelle hinsichtlich Grenzen und Möglichkeiten politischen Lernens in der Grundschule zu überprüfen. Zunächst werden die dazu nötigen Planungsschritte des Unterrichtskonzepts in Anlehnung an VOLKER und LANGE92 veranschaulicht. Anschließend folgt eine konkrete Erarbeitung der didaktisch‐methodischen Verlaufsstruktur. Schließlich wird das entsprechende Kompetenz‐Modell ausgewählt und die Auswahl mit Blick auf das bereits vorgestellte Unterrichtskonzept begründet.
Das Unterrichtskonzept für eine Grundschule kann natürlich nicht ohne eine exakte Planung der einzelnen methodischen Schritte geschehen. Es gilt genaue Überlegungen darüber anzustrengen, um beispielsweise den Kenntnisstand der Schüler, das Thema und die damit zu erwartenden Reaktionen der Schüler abzuwägen. LANGNER93 stellt ein Planungs‐ und Analysemodell (siehe Abb. 2) für den politischen Unterricht vor, in dem sich politische, didaktische und methodische Strukturelemente entfalten. Die politische Dimension wird im Vorfeld vor der eigentlichen didaktisch‐methodischen Unterrichtsplanung gesehen und zugleich wird auf die „wechselseitig[e] Verflechtung“94 innerhalb der Strukturelemente hingewiesen. Daraus ergibt sich dann die idealtypische Vorgehensweise, in der zunächst das Politische im Unterricht ausgearbeitet wird, und darauf basierend, die didaktischen Überlegungen und die konkreten methodischen Schritte ausformuliert werden.
92 Vgl. Reinhardt, Volker; Lange, Dirk (Hrsg.): Planung Politischer Bildung. Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht. Baltmannsweiler 2007: Schneider Verlag Hohengehren.
93 Langner, Frank: Planungs‐ und Analysemodell für den politischen Unterricht . In: Reinhardt, Volker; Lange, Dirk (Hrsg.): Planung Politischer Bildung. Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht. Baltmannsweiler 2007: Schneider Verlag Hohengehren. S.12‐22
94 Ebd. S.12
27 11BUnterrichtskonzept – „Taschengeld – für alle Eltern Pflicht?“
Abbildung 2 aus Langner In: Reinhardt u.a. S.13
Die folgende Unterrichtskonzeption liegt dem Planungs‐ und Analysemodell zu Grunde. Die exakte Ausformulierung der politischen und didaktischen Strukturelemente würde den Rahmen bezüglich einer grundschulgemäßen politischen Bildung sprengen und überschneiden sich mit vorhergehenden Kapiteln (s. „Begriffsannäherung und Legitimation“). Ich möchte mich daher primär auf die methodische Strukturierung fixieren. Die methodische Struktur geht davon aus, dass der in der didaktischen Struktur erfasste Unterrichtsinhalt vom Lerner erarbeitet und das Erarbeiten „unterrichtlich inszeniert“ wird. 95 Unter Erarbeitung versteht Langner „Handlungsmuster“, die einen produktiven Umgang mit dem Unterrichtsinhalt verfolgen. Sie sind im Folgenden aufgelistet:
• Strukturierung
• Zuordnen
• Vergleichen
• Anwenden
• Ergänzen
• Entwickeln
• Schwerpunkte bilden96
95 Vgl. Langner, Frank: Planungs‐ und Analysemodell für den politischen Unterricht . In: Reinhardt, Volker; Lange, Dirk (Hrsg.): Planung Politischer Bildung. Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht. Baltmannsweiler 2007: Schneider Verlag Hohengehren. S.17
96 Vgl. Ebd. S.18‐19
28 11BUnterrichtskonzept – „Taschengeld – für alle Eltern Pflicht?“
Der Handlungsrahmen für die Erarbeitung sind „die Entscheidungsfelder der Inszenierung“97, die festlegen wie die Erarbeitung inszeniert wird. Die Inszenierung umfasst folgende Punkte: Dramaturgie, Kommunikation, Interaktion, Verlauf und Raum.98
Keineswegs müssen dabei alle genannten Punkte zur methodischen Strukturierung akribisch durchgenommen werden, sondern das Konzept soll lediglich ein möglicher Wegweiser zu einer modernen Unterrichtsinszenierung politischer Bildung darstellen. Unmittelbar und zur „abschließenden Prüfung einer Unterrichtsplanung“ sind potentielle „Lernfallen“ ins Bewusstsein zu rufen, die dazu führen können, dass politisches Lernen unzureichend oder gar nicht stattfinden kann. Exemplarisch und mit Schwerpunktsetzung auf die Grundschule möchte ich folgende Lernfallen hervorheben: Die Wissensfalle, die Meinungsfalle und die Programmfalle. Die Wissensfalle tritt dann ein, wenn zu viele Einzelinformationen den eigentlichen Lerngegenstand, nämlich das Politische, verdrängen. Die Meinungsfalle meint die Reduktion des Unterrichts auf unproduktiven Meinungsaustausch und die Programmfalle macht schließlich auf eine mögliche Engführung des Unterrichts aufmerksam, die „zu wenig Raum und Zeit für die moralischen, ästhetisch‐kreativen, hermeneutischen und diskursiven Dimensionen Poltischer Bildung lässt“.99
97 Vgl. Langner, Frank: Planungs‐ und Analysemodell für den politischen Unterricht . In: Reinhardt, Volker; Lange, Dirk (Hrsg.): Planung Politischer Bildung. Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht. Baltmannsweiler 2007: Schneider Verlag Hohengehren. S.19
98 Vgl. Ebd. S.20
99 Ebd. S.21
29 12BPolitische Strukturierung
3.1. Politische Strukturierung
Das Themenfeld „Taschengeld – Für alle Eltern Pflicht?“ beinhaltet vielfältige politische Themen: von Partizipation bis hin zur medienkritischer Diskussion. Die Erarbeitung der politischen Strukturierung erfolgt entlang des komplexen Politikbegriffs: der „Unterrichtsinhalt lässt sich daraufhin befragen, welche Aspekte politischer Form (polity), politischen Inhalts (policy) und politischer Prozesse (politics) er repräsentiert.“ Da es hier aber nicht nur um politischer Bildung im Sinne von „Politikunterricht“, sondern um „Demokratie‐Lernen“ geht, und die Auswertung des Unterrichtsversuchs auf Basis eines Demokratiekompetenz‐Modells geschehen soll, möchte ich auch Bezug zum dreigliedrigen Demokratiebegriff und dessen Stufenmodell in Anlehnung an HIMMELMANN nehmen. HIMMELMANN liefert hier einen Ansatz, der für jede Schulstufe wirksam werden kann. Die Grafik (s. Abb. 3) zeigt, dass der dreigeteilte Demokratie‐Begriff einen spezifischen Schwerpunkt für jede Schulstufe determiniert:
Abbildung 3 aus Himmelmann In: Breit u.a. S.35
Der Schwerpunkt für eine politische Bildung in der Grundschule liegt offensichtlich in der Demokratie als Lebensform mit der Zielsetzung soziale, moralische und personale Voraussetzungen für das spätere Demokratie‐Lernen bzw. für den späteren Politikunterricht zu erlangen. Partizipation und Diskussion rund ums Thema „Taschengeld – Für alle Eltern Pflicht?“ bieten hier Anknüpfungspunkte für den gesamt‐gesellschaftlichen Demokratiebegriff sowie für den Politikbegriff als Prozess.
30 12BPolitische Strukturierung
Partizipation kann zum einen zeigen, welche moralisch‐affektiven Voraussetzungen notwendig sind, um überhaupt Stellung beziehen und seine Meinung veräußern zu können, um erfolgreich an einer Wahl teilzunehmen. Desweiteren zeigen diese Methoden über welche „Regierungskünste“100 Politiker verfügen müssen, um beispielsweise eine konsensfähige Meinung innerhalb einer meinungsdivergierenden Diskussion auszuhandeln. Der Politikbegriff greift hier auf der Ebene von politics; der Ebene von politischen Prozessen. Taschengeld tangiert zudem die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler einer vierten Grundschulklasse, wodurch das Nachvollziehen und Erleben von Demokratie bzw. Politik intensiviert wird. Das Thema „Taschengeld – Für alle Eltern Pflicht?“ wird durch ein Interview mit Finanzminister Peer Steinbrück unterfüttert, das im Rahmen der Kinder‐Nachrichten „Logo!“ im ZDF101 geführt worden ist. Der kritische Umgang mit Medien kann als tragfähiges Instrument für politische Bildung auch in der Grundschule fungieren: „Medien gelten als Agenturen der politischen Sozialisation, erste politische Orientierungen werden erworben“102. Finanzminister Steinbrück impliziert in erster Linie unter dem Aspekt von polity Wissen über politische Ordnungsrahmen und Hierarchien. Demokratie findet diesbezüglich unter dem Aspekt der Herrschaftsform an Gewichtung. Desweiteren lassen sich im Interview Begriffe wie Parlament, Bundestag und die Bundesregierung identifizieren, die sich ebenfalls auf der Ebene von Politik als polity zuordnen lassen. Es sind aber nicht nur politische Elemente vertreten, die sich ausschließlich auf das prototypische Verständnis von Politik als das Handeln und Entscheiden durch Politiker beziehen. Das Thema „Taschengeld“ selbst eröffnet „in einem erweiterten Staatsverständnis […] diejenigen alltäglichen Handlungsformen […], die (…) am Prozess der Herstellung allgemeiner Verbindlichkeit beteiligt sind“.103 Die Grundschülerinnen und Grundschüler erfahren im Interview entsprechende Anreize für Diskussionen: Finanzminister Steinbrück berichtet aus eigener Erfahrung als Erziehungsberechtigter davon, dass seine Kinder früher Taschengeld bekommen hätten, wenn sie dafür auch eine Gegenleistung erbracht hätten. Taschengeld kann trotz seines eher alltäglichen Charakters als ein demokratischer bzw. politischer Aushandlungsprozess in einer eher undemokratischen Lebensform (Familie) verstanden werden. Dabei entfaltet das Thema „Taschengeld“ nicht nur politische Inhalte, sondern wirft auch unter ökonomischen, rechtlichen und soziologischen Gesichtspunkte Fragen auf, die bereits im Interview angesprochen werden: Kann man ein Taschengeld verpflichtend für alle Eltern einführen? Können Politiker darüber entscheiden, ob Taschengeld an Kinder zu entrichten ist? Wie viel Taschengeld müssen die Eltern zahlen? Was ist mit den Eltern, denen es nicht so gut geht, und die evtl. gar kein Taschengeld bezahlen können?
100 Vgl. Rohe, Karl: Politik. Begriffe und Wirklichkeiten. 2.Aufl.; Stuttgart, 1994: Kohlhammer Verlag.
101 Für mehr Informationen ZDF: Kindernachrichten „logo!“http://www.tivi.de/fernsehen/logo/start/index.html (12.09.2007)
102 Kuhn, Hans‐Werner: Medien – politische Medienkompetenzen fördern. In: Richter, Dagmar (Hrsg.): Politische Bildung von Anfang an. Demokratie‐Lernen in der Grundschule. Bonn 2007: Bundeszentrale für politische Bildung. S.294
103 Lange, Dirk: Alltagsorientierte politische Bildung. Vom politikfernen Alltag zur Alltagspolitik. In: Kursiv – Journal für politische Bildung 1/2004, S.36‐43
31 13BDidaktische Strukturierung
3.2. Didaktische Strukturierung
Die zugrunde liegende politische Strukturierung dient nun zur Basis für die weitere Unterrichtsplanung. In der didaktischen Strukturierung geht es in erster Linie darum, „das aus politikdidaktischem Blickwinkel unterrichtlich Wünschenswerte und Mögliche festzulegen“104 und entsprechende Ziele für den durchzuführenden Unterricht zu formulieren. Ein entsprechender Katalog an Kompetenzen muss abgeprüft werden, entlang diesem auch später eine qualitative Aussage über den Unterricht getroffen werden kann. Für diesen Zweck sind bereits im Kapitel „Konzeptionen, Vorschläge und Diskussionen“ mögliche Modelle dargestellt worden, die eine Demokratiekompetenz umschreiben sollen. Mit Hinblick auf die Grundschule und der zentralen Fragestellung, inwiefern die Konzeption einer Demokratiekompetenz dort umsetzbar ist, möchte ich für diesen Unterrichtsversuch das Kompetenzmodell der GPJE105 sowohl als Grundlage für die videographische Auswertung im Anschluss dieses Kapitels als auch für die Ausarbeitung der didaktischen Struktur des Unterrichtskonzepts heranziehen. Die Begründung für diese Auswahl wird im folgenden Abschnitt detailliert ausgeführt. Das Kompetenz‐Modell der GJPE sieht drei Kompetenzbereiche, die unter der Leitvorstellung eines mündigen Bürgers106 angestrebt werden sollen: politische Urteilsfähigkeit, politische Handlungsfähigkeit und methodische Fähigkeiten. Daraus ergeben sich für das Thema „Taschengeld – für alle Eltern Pflicht?“, bezüglich der Urteilsbildung, Handlungsfähigkeit und methodischen Fähigkeiten, verschiedene Anknüpfungspunkte, die ich anhand von mehreren Fragen hervorheben möchte:
• Welche politischen Informationen finden sich überhaupt im gezeigten Interview? (methodische Fähigkeiten)
• Welche Stellung nimmt der Finanzminister zum Thema „Taschengeld?“ (methodische Fähigkeiten u. politische Urteilsfähigkeit)
• Was hältst du von der Meinung des Finanzministers zum Thema „Taschengeld?“ (politische Urteilsfähigkeit)
• Welche Argumente fallen dir für und gegen ein verpflichtendes Taschengeld für alle Eltern ein? (politische Urteilsfähigkeit u. politische Handlungsfähigkeit)
• Wenn du zur Wahl gehen könntest, würdest du für oder gegen ein verpflichtendes Taschengeld stimmen? Begründe deine Entscheidung! (politische Handlungsfähigkeit)
104 Langner, Frank: Planungs‐ und Analysemodell für den politischen Unterricht . In: Reinhardt, Volker; Lange, Dirk (Hrsg.): Planung Politischer Bildung. Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht. Baltmannsweiler 2007: Schneider Verlag Hohengehren. S.14
105 Zur genauen Erläuterung des GPJE‐Konzepts siehe Kapitel „ Konzeptionen, Vorschläge und Diskussionen“
106 Vgl. Ebd. S.15
32 13BDidaktische Strukturierung
Die Fragen sind ebenso wie die Kompetenzbereiche des GPJE‐Modells, auf dem sie beruhen, nicht voneinander getrennt zu betrachten, sondern interagieren miteinander, überschneiden sich und setzen zusammenhängende Fragen voraus. Beispielsweise kann noch keine Meinung über die Stellung des Finanzministers zum Thema „Taschengeld – Für alle Eltern Pflicht?“ gebildet werden, wenn die Haltung des Finanzministers vorher nicht identifiziert wurde. Für eine vierte Grundschulklasse, an der dieser Unterricht durchgeführt wird, müssen entsprechende Niveauangleichungen berücksichtigt werden. Das Thema „Taschengeld – Für alle Eltern Pflicht?“ stellt in jedem Fall Bezüge zur Lebenswelt der Kinder dar; es kann davon ausgegangen werden, dass die meisten Eltern in Deutschland ihren Kindern Taschengeld zahlen. Problematisch sind politische Informationen, die hauptsächlich auf die Regierungsform in Deutschland abzielen und domänenspezifisches Wissen über Politik darstellen. Begriffe wie Bundeshaushalt, Bundesregierung, Parlament und Sozialpolitik müssen erwartungsgemäß im Vorfeld oder während der Nachbesprechung des gezeigten Interviews geklärt und im besten Fall visualisiert werden. Ein unreflektierter Umgang könnte falsche Konzeptionen über das aufgenommene „Politische“ hinterlassen. Im Zuge einer Ergebnissicherung sollten diese Begriffe daher in jedem Fall Erwähnung finden. Für die Reflexion des Interviews besteht die Gefahr, dass die Gespräche sehr gestreut verlaufen und auf deskriptiver Ebene verharren. Um dies zu vermeiden wird ein Aufgabenblatt mit Fragen ausgeteilt, das die Sichtung des Interviews auf Themenrelevantes fokussiert, und die Nachbesprechung des Interviews sinnvoll unterstützt. Für den weiteren „didaktischen Zuschnitts des Lerninhalts“107 wird der Lerngegenstand entlang vier Prinzipien108 strukturiert: Adressatenorientierung, exemplarisches Lernen, Problemorientierung und Kontroversität. Das Thema „Taschengeld – Für alle Eltern Pflicht?“ entspricht der Lebenswelt der Lerner, und die Erfahrungen und Meinungen hierzu werden in einer Diskussion eingeholt (Adressatenorientierung). Taschengeld ist ein Thema, das im Rahmen einer Familie demokratisch ausgehandelt werden kann, obwohl die dort vorherrschenden Strukturen tendenziell undemokratisch sind. Dennoch kann damit exemplarisch veranschaulicht werden, welche Möglichkeiten vorhanden sind um Interessen und Meinungen zu veräußern, und welche Schwierigkeiten sich ergeben, wenn es darum gehen soll konsensfähige Lösungen anzustreben (exemplarisches Lernen). Diese Aushandlungsprozesse sind mit denen aus der „realen“ Politik vergleichbar; beispielsweise wenn es um die Diskussion über ein neues Gesetz geht, das im Bundestag verabschiedet werden soll. Der Zusatz „Für alle Eltern Pflicht?“ ist provokativ und zeigt zudem den „Problemgehalt des Politischen“109, denn ein solches „Taschengeldgesetz“ fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der Politiker, obwohl es höchstwahrscheinlich den Interessen einiger Jugendlichen und Kinder entsprechen würde (Problemorientierung). Außerdem kollidiert dieses Gesetz mit den Entscheidungs‐ und Handlungsfreiheiten der Eltern als Erziehungsberechtigte, die dadurch beschnitten werden würden.
107 Langner, Frank: Planungs‐ und Analysemodell für den politischen Unterricht . In: Reinhardt, Volker; Lange, Dirk (Hrsg.): Planung Politischer Bildung. Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht. Baltmannsweiler 2007: Schneider Verlag Hohengehren. S.16
108 Vgl. Ebd. S.16
109 Ebd.
33 13BDidaktische Strukturierung
Zur zusätzlichen Erleichterung stehen drei politikdidaktische Figuren110 zur Auswahl, die die Einhaltung der bereits erwähnten Prinzipien untermauern soll: Der Fall, die Situation und das Problem. Im hier beleuchteten Unterrichtskonzept soll vorwiegend auf die politikdidaktischen Figuren „Fall und Problem“ zugegriffen werden. Ein Taschengeldgesetz ist aus Sicht der Kinder wünschenswert, aber nicht umsetzbar. Dies soll anhand eines Falls für die Schülerinnen und Schüler nachvollziehbar werden. Durch den Fall werden einseitige Perspektiven der Schülerinnen und Schüler ausgeweitet und provoziert: warum kann es so etwas wie ein „Taschengeldgesetz“ nicht geben? Dabei kann erwartet werden, dass manche Schülerinnen und Schüler schon sehr gut nachvollziehen können, warum es solch ein Gesetz nicht geben kann. Hier soll vor allem Antwort zum Warum gegeben werden – wenn dies überhaupt möglich ist.
110 Vgl. Langner, Frank: Planungs‐ und Analysemodell für den politischen Unterricht . In: Reinhardt, Volker; Lange, Dirk (Hrsg.): Planung Politischer Bildung. Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht. Baltmannsweiler 2007: Schneider Verlag Hohengehren. S.17
34 14BMethodische Strukturierung
3.3. Methodische Strukturierung
Im Folgenden soll die genaue Verlaufsstruktur des Unterrichts dargestellt werden, der auf Grundlage von Erarbeitung und Inszenierung111 strukturiert werden soll. Zunächst versammeln sich die Grundschülerinnen und –schüler im Klassenzimmer, um von der Lehrperson begrüßt zu werden. Die Kinder werden danach in den Stuhlkreis gebeten. Um evtl. Aufregungen seitens der Schülerinnen und Schüler zu drosseln, werden Regeln aufgestellt, die dafür sorgen, dass die Kamera nicht zum Stolperstein für den Unterricht wird. Die Regeln werden laut vorgelesen und bleiben während des gesamten Unterrichts gut sichtbar an der Tafel haften. Anschließend wird die Überschrift „Taschengeld“ in den Stuhlkreis eingeworfen. Die Überschrift soll Impuls für den Erfahrungstausch und erste Annäherung an das Thema „Taschengeld“ sein. Nachdem herausgearbeitet wurde, ob Taschengeld nicht Pflicht für alle Eltern sein müsse, wird die Überschrift um den Zusatz „Für alle Eltern Pflicht?“ ergänzt. Es wird erneut Raum für Diskussion über diese provokante Ergänzung gegeben. Das nachfolgende Interview soll dazu Stellung beziehen. Für die konstruktive Verwertung des Interviews wird ein Aufgabenblatt112 mit Fragen zum Interview herangezogen. Dieses wird vor der Sichtung via Tageslichtprojektor besprochen, um den Kindern klar zu machen, wie das Aufgabenblatt funktioniert. Nun werden die Schülerinnen und Schüler dazu aufgefordert sich in Zweiergruppen zu organisieren, um schließlich in den Medienraum zu gehen. Dort angekommen sollen die Schülerinnen und Schüler einen Kinositz einnehmen, damit sie das zu zeigende Interview gut aufnehmen können. Damit die Kinder das nachfolgende Interview im Gesamtzusammenhang verstehen zu können, wird im Vorfeld der Begriff „Finanzminister“ erklärt. Anschließend wird das Interview angeschaut. Nach der Sichtung begeben sich die Schülerinnen und Schüler wieder in das Klassenzimmer. Dort wird das Aufgabenblatt ausgeteilt, das sie nun auf Basis des gesichteten Interviews beantworten können. Dies dient zur Fokussierung politischer abstrakter Phänomene im Interview und gleichzeitig zur anschließenden Reflexion dessen. Das Aufgabenblatt wird gemeinsam besprochen und parallel dazu abstrakte politische Begriffe geklärt. Die Kinder werden im direkten Anschluss an die Pause in drei Vierer‐Gruppen eingeteilt. Die Lehrperson stellt den Arbeitsauftrag113 für die Schüler am Tageslichtprojektor vor: sie sollen sich für die kommende Entscheidung über ein „Taschengeldgesetz“ der Kinderpartei „DPK“ Argumente überlegen, die dafür und dagegen sprechen. Jede Gruppe bekommt jeweils ein rotes und grünes Plakat. Auf dem grünen Plakat werden Argumente für und auf dem roten Plakat Argumente gegen das „Taschengeldgesetz“ geschrieben. Die farbliche Kodierung macht die Unterscheidung zwischen Argumenten dafür bzw. dagegen zugänglicher. Im Anschluss daran präsentieren die Gruppen ihre Plakate und hängen diese an die Tafel. Abschließend bedankt sich die Lehrperson bei den Schülerinnen und Schülern und entlässt diese aus dem Unterricht. Der im Anhang befindliche Verlaufsplan114 stellt die Mikrostruktur115 des Unterrichts dar.
111 Zur genauen Erläuterung s. Langner, Frank: Planungs‐ und Analysemodell für den politischen Unterricht . In: Reinhardt, Volker; Lange, Dirk (Hrsg.): Planung Politischer Bildung. Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht. Baltmannsweiler 2007: Schneider Verlag Hohengehren. S.14‐19
112 Siehe Anhang
113 Siehe Anhang
114 Siehe Anhang
35 15BDas Demokratiekompetenz‐Modell der GPJE – Begründung zur Auswahl
3.4. Das DemokratiekompetenzModell der GPJE – Begründung zur Auswahl
Dieser Abschnitt soll Antwort auf die Frage geben, wieso für das bisher erläuterte Unterrichtskonzept gerade das Kompetenzmodell der GPJE die entsprechende Ausgangsbasis für eine spätere Auswertung sein soll. Das Modell der GPJE ist zunächst nicht nur für eine Schulart ausgelegt, sondern schulartübergreifend. Folglich kann das Modell als Messinstrument für die politische Bildung in der Grundschule eingesetzt werden. Gemäß der Anforderung der KLIEME‐Expertise sollen Kompetenzmodelle fachspezifisch konstituiert werden. Das Modell der GPJE beinhaltet „inhaltliche Zielvorstellungen [,die] in der Politikdidaktik im Kern unumstritten sind“.116 Das Modell sieht sich mit Blick auf die fachspezifischen Inhalte fundierter als beispielsweise Entwürfe von DAGMAR RICHTER117 und PETER HENKENBORG118, die tendenziell zu sehr auf normativen Aspekten innerhalb ihrer Kompetenzmodelle verharren. Die im Modell der GPJE genannte Urteilskompetenz erhält von einem Großteil der Politikdidaktiker Zuspruch und wird als „zentrales Ziel des Politikunterrichts“119 deklariert. Die Methodenkompetenz trägt einen großen Teil dazu bei, dass der Umgang mit neuen Medien geschult und mit sozialwissenschaftlichen Methoden verknüpft wird.120 Der hier dargelegte Unterrichtsentwurf hat den Anspruch mit Medien selbständig und zweckorientiert umzugehen. Wenn es beispielsweise heißt bestimmte Informationen innerhalb eines Interviews zu entnehmen und hierdurch seinen Standpunkt neu auszudifferenzieren, dann kann das Dimensionsfeld „Methodenkompetenz“ (und „Urteilsfähigkeit“) als wertvolles Analyse‐ und Messinstrument für diesen Unterricht fungieren. Zum anderen zielt der Entwurf der GPJE auf einen weitgehend abgeschlossenen Kompetenzgewinn bis zur Sekundarstufe I ab; das wertet den (Bildungs‐)Auftrag politischer Bildung in der Primarstufe auf. Die Grundschule wird also insgesamt als ernsthafte Station für die (frühe) politische Bildung eingestuft.
115 Vgl. Langner, Frank: Planungs‐ und Analysemodell für den politischen Unterricht . In: Reinhardt, Volker; Lange, Dirk (Hrsg.): Planung Politischer Bildung. Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht. Baltmannsweiler 2007: Schneider Verlag Hohengehren. S.18
116Sander, Wolfgang: Die Bildungsstandards vor dem Hintergrund der politikdidaktischen Diskussion. In: Redaktion Politische Bildung & kursiv – Journal für politische Bildung (Hrsg.): Bildungsstandards – Evaluation in der politischen Bildung. Für Schule, Jugend‐ und Erwachsenenbildung. Schwalbach/Ts. 2005: Wochenschau Verlag. S.48
117 Richter, Dagmar: Sachunterricht – Ziele und Inhalte. Ein Lehr‐ und Studienbuch zur Didaktik. Hohengehren: 2002: Schneider Verlag.
118 Henkenborg, Perter: Politische Bildung als Kultur der Anerkennung: Skizzen zu einer kritischen Politikdidaktik. In: kursiv – Journal für politische Bildung, 2/2002
119 Siehe Umfrage mit führenden Wissenschaftlern in Pohl, Kerstin: Positionen der politischen Bildung Bd.1 . Ein Interviewbuch zur Politikdidaktik. Schwalbach/Ts. 2004: Wochenschau Verlag.
120 Vgl. Sander, Wolfgang: Die Bildungsstandards vor dem Hintergrund der politikdidaktischen Diskussion. In: Redaktion Politische Bildung & kursiv – Journal für politische Bildung (Hrsg.): Bildungsstandards – Evaluation in der politischen Bildung. Für Schule, Jugend‐ und Erwachsenenbildung. Schwalbach/Ts. 2005: Wochenschau Verlag. S.49
36 15BDas Demokratiekompetenz‐Modell der GPJE – Begründung zur Auswahl
Als Konsequenz für den GPJE‐Entwurf wird deshalb bewusst darauf verwiesen, dass politische Bildung keine „Spezialfähigkeiten“, sondern die „Teilnahme am öffentlichen Leben“ anstrebt.121 Das Thema „Taschengeld – Für alle Eltern Pflicht?“ fällt genau in dieses Verständnis. Andererseits wirken engdefinierte Standards einer Beliebigkeit des Bildungsauftrags entgegen und minimieren die Anhäufung von „totem Wissen“.122 Dabei berücksichtigt das Modell der GPJE das (Vor‐)Wissen der Schülerinnen und Schüler auf besondere Art und Weise, denn die gesamten Kompetenzen werden in Verknüpfung mit „konzeptuellem Deutungswissen“ betrachtet. Die Einbettung in konzeptuelles Deutungswissen meint hier nicht die reine Vermittlung von deklarativem Lerninhalten, sondern auch das Verständnis und die Deutung über Politik:
Politische Bildung will vielmehr die Ebene der Deutungen erreichen, mit denen die Schülerinnen und Schüler politische Phänomene wahrnehmen, selektieren, interpretieren und bewerten123
Das zentrale Thema des Unterrichtsentwurfs lässt sich multiperspektivisch beleuchten und die Schülerinnen und Schüler sind gefordert das Phänomen „Geld“ induktiv anhand von „Taschengeld“ unter politischen Gesichtspunkten zu deuten. Dadurch wird es notwendig an bereits ausgeformte Verständnisse der Zielgruppe anzuknüpfen, und den Unterricht entlang dieser auszurichten. Das Modell der GPJE macht diese Anforderung durch das Hinzuziehen des konzeptuellen Deutungswissens explizit Die Verschränkung der Kompetenzen mit konzeptuellem Deutungswissen ist gerade im alltagsbezogenen (Demokratie‐)Lernen der Grundschule eine schwierige, aber wichtige Komponente für adressatenorientiertes politisches Lernen. Schließlich bleibt zu sagen, dass das Kompetenzmodell der GPJE ein konsensfähiges, und im Bezug auf eine frühe politische Bildung in der Grundschule, zukunftsfähiges Modell ist: der Entwurf ist keine „Einheitsdidaktik“, die für Lehrerinnen und Lehrer oder Wissenschaftler als Anlass für die Ausarbeitung eines eigenständigen Konzepts gelten soll. „Sie [die Bildungsstandards] lassen zahlreiche Streitfragen in der Politikdidaktik offen, unternehmen aber bei anderen Kontroversen […] den Versuch, konsensfähige Lösungsperspektiven zu entwickeln.“124 Rein aus diesem Grunde kann angenommen werden, dass sich keine schulartspezifische Absonderung anbahnt, sondern dass die Standards im Zuge eines „common sense“ des Faches125 weiterentwickelt werden.
121 Vgl. Sander, Wolfgang: Die Bildungsstandards vor dem Hintergrund der politikdidaktischen Diskussion. In: Redaktion Politische Bildung & kursiv – Journal für politische Bildung (Hrsg.): Bildungsstandards – Evaluation in der politischen Bildung. Für Schule, Jugend‐ und Erwachsenenbildung. Schwalbach/Ts. 2005: Wochenschau Verlag. S.49
122 Vgl. Massing, Peter: Die bildungspolitische und pädagogische Debatte. In: Redaktion Politische Bildung & kursiv – Journal für politische Bildung (Hrsg.): Bildungsstandards – Evaluation in der politischen Bildung. Für Schule, Jugend‐ und Erwachsenenbildung. Schwalbach/Ts. 2005: Wochenschau Verlag. S.21
123 Sander, Wolfgang: Die Bildungsstandards vor dem Hintergrund der politikdidaktischen Diskussion. In: Redaktion Politische Bildung & kursiv – Journal für politische Bildung (Hrsg.): Bildungsstandards – Evaluation in der politischen Bildung. Für Schule, Jugend‐ und Erwachsenenbildung. Schwalbach/Ts. 2005: Wochenschau Verlag. S.50
124 Ebd. S.40
125 Vgl. Ebd.
37 16BAuswertung der Unterrichtsreihe
4. Auswertung der Unterrichtsreihe
Dieses Kapitel dient zur Auswertung des durchgeführten Unterrichtsversuchs in einer vierten Grundschulklasse und zur Erarbeitung der Konsequenzen für das Kompetenzmodell der GPJE. Die Auswertung geschieht auf der Grundlage der videographierten Unterrichtsstunden (DVD im Anhang) und Transkriptionen wesentlicher Inhalte dieser Stunde. Für diesen Zweck habe ich mich für die Datenerhebungsmethodik einer Arbeitsgruppe der Pädagogischen Hochschule Freiburg entschieden. QUASUS126, das Internetportal zur Einführung in Methoden der qualitativen Sozial‐, Unterrichts‐ und Schulforschung, beschäftigt sich explizit mit der sozialwissenschaftlichen Unterrichtspraxis und der politischen Bildung. Aufgrund dieser sozialwissenschaftlichen Spezifikation ist QUASUS für den hier durchgeführten Unterricht ein geeignetes Instrumentarium. Es kann entsprechend qualifizierte Auswertungs‐ und Erhebungsmethoden für den in dieser wissenschaftlichen Hausarbeit zentralen Untersuchungsgegenstand liefern. Zudem bündelt QUASUS relevante Informationen zum Thema Videographie; die hier primär angewendete Datenerhebungsmethode. Für die Transkription der videographierten Inhalte fungieren die in QUASUS formulierten Transkriptionsregeln127 als Ordnungsrahmen. Dort wird zwischen wörtlicher und kommentierter Transkription unterschieden; jedoch immer unter Vorbehalt zu entscheiden, welche Elemente dieser beiden Transkriptionsarten sinnvoll für die jeweilige Situation sind. In diesem Fall wähle ich eine Mischung aus kommentierter und wörtlicher Transkription. Zum einen ist das Ziel der Transkription nicht die genaue Untersuchung von Sprachphänomenen, zum anderen können Denkpausen oder verbalisierte Denkprozesse Einsicht in Lernschwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler geben. Denkpausen in Form von „ähms“ werden daher in die Transkription übernommen. Die Transformation von Dialekt in Hochdeutsch wurde nicht durchgeführt, um die Verfremdung der transkribierten Unterrichtsgespräche herabzusetzen. Die Trankskripte sollen für eine kritische Reflexion genügend Distanz bewahren und gleichzeitig keine unrealistischen Eindrücke über die Schulpraxis vermitteln. Mit der Setzung ins Hochdeutsche werden viele sprachliche, kognitive Ausdrucksschwierigkeiten nicht transparent genug und „die authentische Wiedergabe mündlicher Äußerungen im Rahmen institutioneller Aktivitäten als Ausdruck real existierender sozialer und Statusrollen“128 wäre gefährdet. Den raschen Überblick über transkribierte Inhalte liefern „Postskripts“, die an jeder Szene angehängt wurden, und Eckdaten der jeweiligen Transkription beinhalten. Die Auswertung beinhaltet drei transkribierte Szenen, die in zwei Schritten analysiert und ausgewertet werden sollen: zunächst werden auf deskriptiver Ebene didaktisch‐methodische Kompetenzen, die im GPJE Modell vorformuliert sind, erfasst, interpretiert und anhand konkreter Gesprächspassagen belegt. Im zweiten Schritt werden mögliche Konsequenzen für das GPJE‐Modell gedeutet, die für die Bestimmung des Forschungsbedarfs im abschließenden Kapitel entsprechende Impulse geben sollen.
126 Vgl. Internetportal zur Einführung in Methoden der qualitativen Sozial‐, Unterrichts‐ und Schulforschung: http://www.ph‐freiburg.de/quasus.html (27.09.2007)
127 Siehe ebd.: http://www.ph‐freiburg.de/quasus/einstiegstexte‐in‐methoden‐der‐qualitativen‐sozial‐unterrichts‐und‐schulforschung/datenauswertung/transkriptionsregeln.html (27.09.2007)
128 Dittmar, Norbert: Transkription. Ein Leitfaden mit Aufgaben für Studenten, Forscher und Laien. 2. Aufl.; Wiesbaden 2004: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S.15
38 17BTranskription – Szene 1 „Gruppendiskussion“ (DVD: Kapitel 2)
4.1. Transkription – Szene 1 „Gruppendiskussion“ (DVD: Kapitel 2)
Lehrer: Wie is des denn, habt ihr euch. (..) Ähm findet ihr euer Taschengeld denn gerecht. (..) Also (..) Findet ihr es gerecht, so wie es ist? Jim.
Jim: Ich find es gerecht.
Lehrer: Kannst du (..) auch noch begründen? (..) Warum findest dus gerecht?
Jim: (…)
Lehrer: Dann komm mar nachhert nomal auf dich zurück, ja? Vielleicht fällts dir nochmal später ein. Thomas?
Thomas: Also ich finds fast gerecht. Also ähm (..) Eigentlich hab (1SEK UNV.) Also eigentlich wollt ich das so: in der ersten Klasse fünfzig Cent pro Woche. Ja? In der zweiten Klasse (..) ähm (..) jetzt ein Euro. In der dritten Klasse ein Euro fünfzig und in der vierten Klasse zwei Euro (3SEK UNV.) und ähm ja, und jetzt hab ich halt immer noch ein Euro fünfzig, aber hoffentlich wird sich des noch ändern.
Lehrer: Mhm. Ok. Also du sagst schonmal.
Thomas: Fast gerecht.
Lehrer: Fast gerecht. Du würdest auch schonmal. Ähm (..) Also wenn ich des jetzt richtig verstanden hab bei dir Thomas. Du würdst auch schonnoch en bisschen mehr dann später haben.
Thomas: Ja. (1SEK UNV.)
Lehrer: Mhm. Ok. Wie is des bei dir? (..)
Ulrike: Ähm.
Lehrer: Ulrike.
Ulrike: Also ähm in der ersten Klasse krieg ich zwei (..) ein Euro. In der zweiten krieg ich zwei Euro. In der dritten krieg ich ähm vier Euro. Und in der ähm (..) in der vierten krieg ich sechs Euro.
Lehrer: Mhm.
Ulrike: Und des gibt halt immer zwei Euro mehr.
Lehrer: Und is des ok für dich?
Ulrike: Ja.
39 17BTranskription – Szene 1 „Gruppendiskussion“ (DVD: Kapitel 2)
Lehrer: Ok du findst gerecht. Jemand dabei der sacht, also ich hab mich bei meim Taschengeld schon ganz schön gestritten, mit meinen Eltern. (..) War hat des schon mal miterlebt? (..) Nora?
Nora: Ähm Einmal hat haben hab ich (..) an dem Tag kein Taschengeld gekriegt. Und da hab ich immer so nen kleines Spardose, die stell ich dann immer ins Wohnzimmer und der Papa soll mir immer dann ein Euro reinwerfen. Am am Sonntag krieg ich auch nämlich immer ein Euro. Ähm. Einmal hat der Papa des drei Wochen lang vergessen und dann hab ich gesagt: „Papa du hast drei Wochen lang kein ein Euro reingeschmissen, hat der gesagt, doch ich habs reingeschmissen, aber (1SEK UNV.)“ nein ich kanns ja nich sehen, was der Papa reinschmeißt. Ja? Und dann hat der gesagt, ab jetzt an leg ich dann des ein Euro vor die (Spardose).
Lehrer: Mhm. Ok. Also ihr habt euch auf was geeinigt wies ähm weiterhin ablaufen soll, so dass dus auch mitbekommst. Ok? Thomas wie du woll, du hast bei dir war auch mal was? Hast du grad vorhin (dich auch gemeldet?). Wer hat denn noch, ähm Sarah? Bitte lass das. (..) Wer hat denn noch von Euch ähm mit euren Eltern über Taschengeld gestritten? (..) Keiner? (..) Gar nicht. Ok. Ähm. (..) Was sagen denn eure Eltern denn dazu? Also. (..) Habt ihr euch schonmal drüber unterhalten über Taschengeld mit euren Eltern? (..) Zum Beispiel, wenns darum geht, ja was soll ich denn damit machen? Oder ähm (..) zu was brauch ich das überhaupt oder wie auch immer? Habt ihr euch schonmal drüber unterhalten, was eure Eltern dazu sagen? Sarah?
Sarah: Die Charlotte sagt immer, dass sie ein Pferd haben will. Und dann sagt die Mama: „Dafür kannst du dir doch mal ähm was anderes schönes kaufen.“ Und sie sagt immer, dass sie sich ein Pferd kaufen will und so.
Lehrer: Mhm. Ok. Noch jemand (..) der auch so ne Erfahrung gemacht hat. Ne andere. (..) Thomas?
Thomas: Ähm (2SEK UNV.) da war auf halt jeden Fall so en tolles Autöchen. Und das wollt ich unbedingt haben. Ja?
Lehrer: Mhm.
Thomas: Und dann (..) hat die Mama gesagt, gut das kriegst du auch. War eigentlich schon so, jetzt musst du noch ein bisschen sparen, aber das kriegt du auch von deim Taschengeld. Aber dafür sparst du dann mal bis Weihnachten. Dann hast du achtzig Euro gespart und dann schenkt mir mein Opa mir noch zwanzig, und dann hab ich, und dann hab ich hundert, und dann mach damit ein Konto auf.
Lehrer: Ok. (..) Was denkt ihr denn dazu, ähm müssen Eltern Taschengeld bezahlen? (…) Beate.
Beate: Nein müssen sie nicht.
Lehrer: Und warum nicht? (…) Thomas?
40 17BTranskription – Szene 1 „Gruppendiskussion“ (DVD: Kapitel 2)
Thomas: Weil die kein Geld haben. (..) Zum Beispiel? Wenn sies nicht bezahlen können in so armen Ländern, wie in Afrika.
Lehrern: Des istn ganz wichtiger Punkt, ja? Also zum Beispiel in Afrika. Wie sollen die Eltern denn da Taschengeld bezahlen können, wenn sie selbst kein Geld haben oder ganz wenig, so dass es nur fürs Essen reicht? Aber jetzt bleibn wir mal in Deutschland. Also (..) müssen Eltern in Deutschland, und in Deutschland is es ja (..) sind die Menschen ja reicher als in Afrika. Müssen Eltern in Deutschland denn Taschengeld bezahlen? (..) Die Ulrike.
Ulrike: Ähm (..) ne sie müssen nich sie könnens uns geben.
Lehrer: Ok. Also es is nicht. Es ist ne freiwillige Sache. (..) Ja soll denn nich jedes Kind Taschengeld bekommen? (..) Soll des nicht jedes Kind bekommen? (…) Was denkst du drüber Verena?
Verena: Mhm. (…)
Lehrer: Ok. Thomas nochmal.
Thomas: Ähm. Also. Eigentlich schon, sonst lachen die (1SEK UNV.), weil die meisten Kinder kriegen ja Taschengeld und dann lachen die anderen dich aus. Klar is schon gemein. Aber ähm manche Eltern wollen des halt nicht. (..) Mein die (..) ähm es gibt so Eltern, die des nich machen.
Lehrern: Ok, du hast gesagt, manche Eltern wollen des nich. Ähm. Könnt ihr euch vorstellen, warum Eltern des nich wollen? Also nehmn mar mal an es gibt Eltern, die zahlen kein Geld den Kindern. Welche Gründe könnten die denn haben? Warum könnten die denn sagen, ne ich zahl euch kein Taschengeld.(..) Nora?
Nora: Zum Beispiel ähm wenn man arbeitslos ist, dann hat man nicht so viel Geld (..) und des Geld braucht man halt selber zum Klamotten kaufen und sowas. (..)
Lehrer: Ok, also Arbeitslosigkeit. Was könnte noch dahinter stecken? (..) Ich bin mir sicher, dass euch noch was dazu einfällt. Denkt mal nach. Versetzt euch mal in die Lage euer Eltern. (..) Warum könnten die sagen, ne ich zahl euch, (..) (MIT NACHDRUCK) ich zahl euch kein Taschengeld. Jim.
Jim: Weil du zu mir frech warsch.
Lehrer: Mhm. Also, wenn ihr euch nicht gut versteht mit euren Eltern. Ja wieso machen ses also (..) warum zahlen sie dann kein Taschengeld weil du frech warst? (…) Wenn ich jetzt zu dir frech bin, und dann etzt hinterher sag, ich will da jetzt Geld dafür. Ich will trotzdem mein Geld. Was würdest du dazu sagen? (..) Sarah?
Sarah: Ich würd sagen, ähm hol dir des Geld doch von jemand anderen, der dich (dafür gut findet.)
41 17BTranskription – Szene 1 „Gruppendiskussion“ (DVD: Kapitel 2)
Lehrer: Ok. Also des is auf jeden Fall nich also, man möchte den irgendwie auch bestrafen, dafür dass er frech war, (..) und als Eltern muss man, ähm überlegt man sich ja, dass, dass man auch irgendwie die Kinder dafür bestraft, wenn se frech sind. Mann will ja keine freche Kinder haben. Das wisst ihr ja. Habt ihr bestimmt schon oft genug von euern Eltern gehört. (..) Es melden sich immer dieselben. Ich bin mir sicher, ihr alle anderen könnt da auch noch was zu sagen. (..) Antonia, wie siehts bei dir aus? (..)
Antonia: Mhm. (..)
Lehrer: Was du denkst du sagten eure, wenn du, was könnten die Eltern denn denken, wenn sie sagen ich geb dir kein Taschengeld? Oder was für ein Grund könnte dahinterstecken? (..)
Antonia: Dass die einen, dass die einen bestrafen, weil der hat, weil der frech zu den Eltern war.
Lehrer: Bestrafen des hatten wir schon auch. Ok. Jetzt mal, geh mar mal auf die andre Seite. Ähm. Was denkt ihr, was, was denkt ihr, geht in so nem Kopf von nem Kind vor, wenn ähm es kein Taschengeld bekommt, und alle andern bekommen Taschengeld? Außer es selbst nicht? (..) Sarah jetzt?
Sarah: Meine Eltern mögen mich nicht und geben mir deswegen nichts.
Lehrer: Mhm. Und was. Wie findest du des selbst? Also. (..) Was denkst du darüber? Findest du des so ok?
Sarah: In manchen Fall haben die Eltern einfach kein Geld dafür, des zu bezahlen, irgendwie.
Lehrer: Ok. Was könnt denn noch so im Kopf vorgehen. Also natürlich kann das Kind auch Verständnis haben und sagen: ok meine Eltern haben kein Geld. Was könnte aber auch sein, dass, was könnte des Kind auch denken? (..) Thomas?
Thomas: Dass die Eltern des Kind zu dumm halten. Dass die denken, ähm ich ähm, du kannst doch noch nicht mit Geld umgehen und ähm aber es, aber es dem Kind nicht sagen wollen, weil (es sonst beleidigt ist.)
Lehrer: Mhm. Also die halten des Kind einfach, es ähm, es gibt ja nur für Süßigkeiten des Geld aus. Du kannst des Geld nicht sparen. Du kannst damit nicht umgehen, und ich möchte ja, dass du damit umgehen kannst, deswegen geb ich dir kein Geld. Nora?
Nora: Zum Beispiel die Eltern haben doch ähm bestimmt Erfahrung gemacht, wenn en Kind Taschengeld hat, dann wills sichs unbedingt des kaufen, aber des nützt nichts, weil des nur son Stück Pappe is, und damit kann man nix anfangn, und deswegen kann man auch Geld sparen, für Schulsachen zum Beispiel kaufen (..) Viele Eltern geben auch kein Taschengeld, weil sie wissen, dass die Kinder da was nich Gescheites kaufen. (..)
Lehrer: Ok. (LEGT WORTKARTE „FÜR ALLE ELTERN PFLICHT?“ IN DIE MITTE DES STUHLKREISES) (..) Verena?
42 17BTranskription – Szene 1 „Gruppendiskussion“ (DVD: Kapitel 2)
Verena: Da steht für alle Eltern Pflicht. (..)
Lehrer: Thomas?
Thomas: Ähm Taschengeld für alle Eltern Pflicht, ob die des alle machen müssen (1SEK UNV.) Und da würd ich nein sagen.
Lehrer: Du würdest nein sagen?
Thomas: Ja.
Lehrer: Was sagen die andern? (..) Jim, du wolltest?
Jim: Ähm (..) sie müss, sie müssen nich. (..)
Lehrer: Ok, sie müssen nich. Du sagst auch nein. Was noch ganz toll wär, wenn ihr immer sagt nein oder ja, dass ihr euch nochmal überlegt en Grund, warum denn eigentlich? Warum ja und warum nein. Des wär echt toll! (..) Die Ulrike.
Ulrike: Ähm sie müssen nicht weil, des is ja kein Pflicht. Die können freiwillig (..) und es gibt ja gar kein Recht dafür.(..) Niemand kann über sie bestimmen, weil sie ja die Eltern sind.
Lehrer: Ok. Also mim Recht meinst du auch es gibt kein Gesetz?
Ulrike: Ja.
Lehrer: Für sowas. Noch jemand? Agata was denkst du.
Agata: Ne. Nein. Weil, ich wollt eigentlich auch sagen, was die Ulrike gesagt hat. Weil des des steht ja nirgends, das des man machen müssen. Des sagt ja niemand.
Lehrer: Noch jemand ein der anderer Meinung is? (..) Beziehungsweise ich frag mal anders: (..) wenn jemand ja sagt, welches, welche Gründe könnte er dafür nennen? (..) Thomas?
Thomas: Also erstens müssen ses nich weil, weils ja kein Gesetz. Aber zweitens find ich ähm sollten ses eigentlich, dass des Kind lernt mit Geld umzugehen.
Lehrer: Aha. Also en ganz wichtiger Punkt. Die Kinder sollen lernen mit Geld umzugehen und eigentlich, wenn man es richtig macht, könnte des nützlich sein. Des könnte ein Grund, ein Argument dafür sein, warum man des verpflichtend für alle Eltern machen könnte. (..) Gut, des is echt en guter Punkt, schreibe ich mir auch auf. Ähm. (SCHREIBT AUF) Noch ein Grund dafür?! Sarah.
Sarah: Wenn des Kind frech ist, wieso sollten die Eltern es dann belohnen, dann würden die, würden die Kinder doch alle, ähm so ich bin frech und jetzt hab ich ne Belohnung gekriegt, dann bin ich jetzt weiter frech.
43 17BTranskription – Szene 1 „Gruppendiskussion“ (DVD: Kapitel 2)
Lehrer: Des is auch en interessanter Gedanke, ja. (..) Also, des wär auch eher au nochn Grund, ähm nein zu sagen. Also, ich möchte das Gesetz nicht oder ich möchte nicht, dass die ähm Eltern zahlen müssen. Ja? Des wär auch en Grund dagegen. (..) Hat jemand nochn Grund dafür, des wär echt gut. (..) Versucht euch mal ein Kind vorzustellen, des einfach wahnsinnig gern ähm Süßigkeiten isst. Zum Beispiel. Und des kanns nie kaufen, weil es em die Eltern immer verbieten und es möchte es einfach gerne machen. Was könnte des Kind sagen zu dieser, zu diesem Gesetz oder zu dem (..), ja müssen denn alle Eltern Taschengeld bezahlen. Was könnte des Kind dazu sagen? Stellt euch mal es vor! (..) Beate.
Beate: Des Kind findet es dann gemein, das des das nix kaufen darf.
Lehrer: Und was könntes dann dazu sagen für alle, Taschengeld für alle Eltern Pflicht? (..) Was denkst du, was würde es dazu sagen? Wenn man fragen würd, was denkst du denn darüber nach Taschengeld für alle Eltern Pflicht? Findes, würdest du ja, würde es ja oder nein sagen?
Beate: Würde auch nein sagen.
Lehrer: Wieso?
Beate: Ja des steht halt des steht halt nirgends, und man darf, die Kinder dürfen die Eltern nich dazu zwingen.
Lehrer: Die Kinder dürfen die Eltern nich dazu zwingen. Is auch en wichtiger Punkt, ja? Thomas?
Thomas: Sie dür, sie sie dürfen schonmal, dagegen spricht auch wieder kein Gesetz, aber sie können nich. (..) Und es steht auch nirgendswo, und es gibt auch kein Gesetz, dass alle Eltern Taschengeld geben müssen.
Lehrer: Das is richtig, ja. (..) Und trotzdem nochmal, was könnte des Kind sagen? Mit den Süßigkeiten. Es will unbedingt diese Süßigkeiten kaufen. Es fehlt ihm das Geld. Was würdes denn dazu sagen, nehm mar an des Taschengeldgesetz (..) würde, würde zur Debatte, also es wird diskutiert. Man würde überlegen, ja kann man des jetzt machen oder nich. Was würde des Kind sagen, wenn man es befragen würde. Stellt euch, versetzt euch mal in die Lage des Kindes. Nora.
Nora: Wenn der unbedingt diese Süßigkeiten haben will, dann ded er sagen, ja die Eltern müssen ähm Taschengeld bezahlen.
Lehrer: Mhm. Und wa.
Nora: Weil er des ja unbedingt will.
44 17BTranskription – Szene 1 „Gruppendiskussion“ (DVD: Kapitel 2)
Lehrer: Weil er des will. Also er möchte das Geld haben, weil er damit ähm sein Wunsch erfüllen kann Süßigkeiten zu essen. Also wir haben zum einen die El ähm auf der anderen Seite nein. Also man darf, die Kinder dürfen die Eltern nich dazu zwingen. Wenn man arbeitslos ist kann man Taschengeld nicht zahlen, und wenn ähm ja also man kann ja nich einfach so für andere mitbestimmen. Das sind schonmal drei Gründe dagegen. Drei Argumente gegen das Gesetz. Des Gesetz dafür wär zum Beispiel, ja also (..) dann kann ich ja mit dem Geld machen, was ich will. Ich könnte Süßigkeiten, ich könnte endlich diese Süßigkeiten oder immer schon kaufen, was ich schon lange gewünscht hab, zum Beispiel en Ponny. Des is natürlich jetzt übertrieben, des is sehr teuer, aber man könnte natürlich verstehen und zu dem Kind sagen, ja ok, wenn des dein Wunsch is, dann is des dein Grund zu sagen, ok ich sage ja. (..) Sarah?
Sarah: Wenn des Kind aber dann dauernd Geld hätte und sich davon dauernd Süßigkeiten kaufen würde, dann würd ich auch die Eltern verstehen, wenn sie sagen, ich geb dir kein Taschengeld, weil du sons schlechte Zähne kriegst.
Lehrer: Ok, also Gesundheit, wenn man wenn, wenn die Eltern könnten natürlich auch wieder dagegen sagen, ja du hast dann schlechte Zähne. Des isn guter interessanter Punkt Sarah, ja? Thomas?
Thomas: Die Eltern könnten ja auch so nur so viel Taschengeld geben, dass es, dass es für, dass es pro Woche bloß für einundzwanzig für eine Gummibärchen, also für einundzwanzig Sachen.
Lehrer: Mhm.
Thomas: Er braucht ja nur.
Sarah: Einundzwanzig Sachen.(SKEPTISCH)
Thomas: Ja, einundzwanzig Sachen!
Lehrer: Ok, also ihr habt. Ein. Also du hast vorgeschlagen, man müsst halt enfach irgendwie überlegen, wie kann mans machen, dass man ähm für die Eltern recht macht und für die Schüler, also ähm für die Kinder recht macht. Thomas, ja?
Thomas: Oder die Eltern könnten ja mal Sachen von den Süßigkeiten geben, ja? Und dann würden se sagen, so, das hast du jetzt alles und mehr kriegst du nicht in der Woche. Als dann geben se dem schon viel, und das is jetz dein ganzer Gehalt für die ganze Woche. Und wenn es dann halt am ersten Tag alles auffuttert, dann hats halt die letzte Woche, die ganze Woche nich, na? (..)
Lehrer: Also man könnte sichs überlegen wie mans macht, dass des Kind trotzdem dazu kommt. Aber, trotzdem wenn du ihm nur Süßigkeiten gibst, dann kanns nicht aussuchen, was es kaufen möchte. Was könnte des Kind, das Kind, was könnte dann des Kind sagen? Sarah?
Sarah: Schmeckt mir nich. (MURMELT)
45 17BTranskription – Szene 1 „Gruppendiskussion“ (DVD: Kapitel 2)
Lehrer: Bitte?
Sarah: Des schmeckt mir nich.
Lehrer: Zum Beispiel! Also es könnte sagen es schmeckt mir nich, und ich möchte das Geld weil ich mit dem Geld kann ich dann entscheiden was ich mach; dann kann ich des entscheiden und nicht ihr. Wenn ähm ich des Geld nich bekomme, des is auch wieder en weiterer Grund. Wenn ich kein Taschengeld bekomme, kann ich nicht frei entscheiden, was ich möchte. (..) Thomas.
Thomas: Se könnten aber auch sagen, hier ich geb dir jetzt des Taschengeld, aber du darfst dir nur ne bestimmte Anzahl Süßigkeiten kaufen halt. Pro Woche.
Lehrer: Mhm.
Thomas: Und den Rest kannst du für was anderes verwenden.
Lehrer: Ok. Also man muss dann schon überlegen, wie mans genau machen kann, so dass es für beide ok is. Also dass der, dass des Kind sacht: ok ja, also so könnte ich mir des vorstellen und die Eltern sagen: ja ähm so klappt des. Also wenn man beide Seiten sozusagen berücksichtigt, die Kinder und die Eltern, und versucht ähm irgend ne gemeinsame Lösung zu finden, dann ähm könnte des klappen. Die Sarah noch, und dann mach mar was anderes.
Sarah: Wenn man dem Kind dann einfach Geld mitgeben würde, und es sagen würde, ja du darfs jetzt so und soviel kaufen. Würde sich des Kind auch daran halten? Des glaub ich nicht. Des würde einfach, wenns Rückgeld geben würde dafür auch nochmal was kaufen.
Lehrer: Mhm. Aha also es is schwer des zu kontrollieren. Wie würd man des machen, ja? Muss man sich auch noch Gedanken dazu machen ähm, wie man des kontrolliert.
46 17BTranskription – Szene 1 „Gruppendiskussion“ (DVD: Kapitel 2)
Postskript zu Szene 1 „Gruppendiskussion“
Anzahl der GesprächspartnerInnen 4 Jungen, 7 Mädchen
Ort Grundschule Eschbach‐Stegen
Interviewtag u. –zeitraum 21.09.2007 / 9.15 Uhr – 9.30 Uhr
Audioaufnahme Ja
Länge des Gesprächs Ca. 15 Min.
Inhalte der Gespräche vor und nach dem Einschalten des Aufnahmegeräts
Begrüßung / Erfahrungsaustausch über Taschengeld
Interviewort Klassenzimmer
Nonverbale Reaktionen Nach untern schauen, Stuhl umklammern, Stirn runzeln
Prägnante Charakterzüge ‐
Störungen des Gesprächs ‐
Anwesenheit Dritter Klassenlehrer, Kameramann
Gesprächsverlauf 1) Erfahrungsaustauch über Taschengeld
2) Diskussion über Taschengeld als Pflicht für Eltern
3) Abwägen u. Sammeln von Argumenten
4) Lösungsvorschläge diskutieren u. Problemhaftigkeit thematisieren
Sonstiges ‐
47 18BInterpretation und Beobachtung
4.1.1. Interpretation und Beobachtung
Die Gruppendiskussion über „Taschengeld – Pflicht für alle Eltern?“ verlief intensiv und beanspruchte einen Großteil der Doppelstunde. Dieser gegebene zeitliche Freiraum wurde von den Schülerinnen und Schülern auch genutzt und verwertet. Die erste Annäherung an das Thema belief sich auf reinen Erfahrungsaustausch, der durch die eingeworfene Wortkarte „Taschengeld“ eingeleitet wurde. Dabei tauchten Fragen auf, wie viel Taschengeld denn jeder bekomme, was er dafür tun müsse und in welchen zeitlichen Abständen das Taschengeld gezahlt werde. Der erste Anstoß in Richtung politischer Bildung und Demokratie‐Lernen wurde mit der Frage gegeben, ob die Schülerinnen und Schüler es für gerecht empfinden, wie sie das Taschengeld bekommen und welchen Betrag sie bezahlt bekommen. Dabei ist es jedem Schüler und jeder Schülerinnen möglich gewesen Stellung zu dieser Frage zu nehmen; allerdings traten Schwierigkeiten bei der Begründung ihrer Positionen auf. Jim kann auf die Frage „Warum findest dus gerecht?“ beispielsweise keine Antwort geben (S.1). Die Dimension der politischen Handlungsfähigkeit listet für Schülerinnen und Schüler die Kompetenz auf „eigene Urteile zu fachlichen Fragen formulieren und begründen sowie andere Positionen tolerieren“129 zu können. Diese Kompetenz ist hier nur partiell erfüllt. Mit der Zuspitzung der Erlebnisse auf Konflikte mit den Eltern aufgrund von Taschengeld, regt die Lehrperson das Gespür für unterschiedliche Machtverhältnisse innerhalb der Familien bei den Schülerinnen und Schülern an, und macht diese bewusster. Nora berichtet von ihrem Erlebnis mit der Spardose und ihrem Vater, der vergessen hat ihr das wöchentliche Taschengeld zu bezahlen (S.2). Da sie nicht sehen konnte wie ihr Vater das Geld in die Spardose hineinwirft beschwerte sie sich bei ihm, worauf dieser ihr von nun an das Geld vor das Sparschwein legte. Durch das Verbalisieren ihres Interesses wurden die Machtstrukturen transparenter und für beide Seiten, Eltern und Kind, bewusster. Ein demokratischer Aushandlungsprozess setzt eine gewisse Grundlage an Interessenstransparenz voraus; gerade wenn es sich um eher undemokratische Felder, wie die der Familie handelt. Sarahs und Thomas Erlebnisse spiegeln diese undemokratischen Strukturen wieder: Charlotte (vermutlich Sarahs Schwester) bekommt ihr gewünschtes Pferd nicht von ihrer Mutter und wird stattdessen dazu angehalten „was anderes schönes [zu] kaufen“ (S. 2). Thomas erzählt von seinem Wunsch‐Modellauto, das er bekommt, wenn er den Rat seiner Mutter befolgt zu sparen bis er genügend Geld dafür hat. Beide Erfahrungsberichte implizieren Verhaltensmuster, die pädagogisch inszeniert sind, um vom Zögling übernommen zu werden. Es gehen keine Diskussionen über verschiedene Lösungsmöglichkeiten hervor, sondern die Eltern setzen sich über diesen demokratischen Prozess hinweg oder umgehen ihn. Der provokative Charakter der Diskussion wird mit der Frage initiiert, „ob Eltern denn Taschengeld bezahlen müssen?“. Hier lässt sich eine einheitliche Meinung der Schülerinnen und Schüler beobachten: alle verstehen, dass Eltern kein Taschengeld bezahlen müssen. Die Begründung dieser Positionierung fällt den Schülerinnen und Schülern im Gegensatz zur Frage nach einem „gerechten“ Taschengeld leichter.
129 GPJE: Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf. 2.Aufl.; Schwalbach/Ts., 2004: Wochenschau Verlag. S.19
48 18BInterpretation und Beobachtung
Thomas führt als Argument an, dass es manche Eltern wie beispielsweise in Afrika gibt, die kein oder nicht genug Geld für Taschengeld besitzen. (S.3) Nora spricht die Arbeitslosigkeit an und begründet damit ihre Meinung. (S.3) Politische Handlungsfähigkeit ergänzt sich hier mit politischer Urteilsfähigkeit: „die Schülerinnen und Schüler können den Zusammenhang zwischen der Lebenssituation von Menschen und unterschiedlichen Sichtweisen […] verstehen.“130 Arbeitslosigkeit ist demnach ein Begriff, der für Kinder präsent ist und dessen Auswirkungen mit der Verknüpfung an das Thema „Taschengeld – Pflicht für alle Eltern?“ nachvollziehbar werden. Multiperspektivisches Denkvermögen scheint sich abzuzeichnen. Die Lehrperson lenkt aufgrund dieser Lernchance weiter in diese Richtung und erhöht die Intensität empathischer Fragen: „Könnt ihr euch vorstellen, warum die Eltern nich wollen?“, „Versetzt euch mal in die Lage euer Eltern. (..) Warum könnten die sagen, ne ich zahl euch […] kein Taschengeld.“ (S.3) Die Adressaten sind in der Lage die Perspektive der Eltern nachzuempfinden und mit Nachhilfe der Lehrperson zu begründen; Jim gibt dazu den Impuls, den Antonia weiterführt: „Weil du zu mir frech warsch.“ (Jim, S.3), „Dass die einen, dass die einen bestrafen, weil der hat, weil der frech zu den Eltern war.“ (Antonia, S.4) Thomas knüpft eigenständig daran an und geht noch einen Schritt weiter als Antonia: „Dass die Eltern des Kind zu dumm halten. Dass die denken, ähm ich ähm, du kannst doch noch nicht mit Geld umgehen.“ (S.4) Hier lässt sich die Kompetenz ableiten, dass die Schülerinnen und Schüler ihre eigene Position „als Konsument[en] wahrnehmen“ können.131 Sie sind also nicht nur in der Lage eine isolierte Perspektive einzunehmen, sondern können mehrere Perspektiven einnehmen; das untermauert und bestätigt das anfangs angenommene multiperspektivische Denkvermögen der Schülerinnen und Schüler. Noras Aussage verleiht Thomas Aussage Nachdruck, denn sie misst Eltern die Fähigkeit bei, genau zu wissen, „dass die Kinder da was nich Gescheites kaufen.“ (S.4) Die nächste Phase der Diskussion fixiert den anfangs nur verbalisierten provokativen Zusatz „Pflicht für alle Eltern?“ schriftlich in Form einer weiteren Wortkarte, die mitten in den Stuhlkreis gelegt wird. Dieser weitere stumme Impuls verstärkt das Verlangen der Schülerinnen und Schüler Stellung zu dieser Frage zu nehmen: „Und da würd ich nein sagen.“ (Thomas, S.5), „Ähm (…) sie müss, sie müssen nich.“ (Jim, S.5). Die Lehrperson fordert erneut eine Begründung dieser veräußerten Meinungen ein, denn zur politischen Handlungsfähigkeit gehört nicht nur die Formulierung von Urteilen, sondern auch deren Begründung.132 Ulrike gibt mit ihrem Beitrag bzw. ihrer Antwort darauf der Diskussion eine neue Richtung: „Ähm sie müssen nicht weil, des is kein Pflicht. Die können freiwillig (…) und es gibt ja gar kein Recht dafür. (..) Niemand kann über sie bestimmen, weil sie ja die Eltern sind.“ (S.5) Die Diskussion weitet sich an diesem Punkt weiter aus. Sie ergänzt sich um einen partizipativen Aspekt, nämlich den der Entscheidungsfreiheit und der Problematik, wenn Freiheiten durch Machtausübung unterdrückt werden. Die Schülerinnen und Schüler abstrahieren hier ein gewisses Regelverständnis; sie können „die Bedeutung von Regeln und Gesetzen für das Zusammenleben [zumindest] beurteilen.“133 Desweiteren impliziert sich durch diese Passage ein Gerechtigkeitsbewusstsein, das die Freiheit eines Individuums respektiert.
130 GPJE: Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf. 2.Aufl.; Schwalbach/Ts., 2004: Wochenschau Verlag. S.19
131 Vgl. Ebd.
132 Vgl. Ebd.
133 Vgl. Ebd.
49 18BInterpretation und Beobachtung
Dieses von Ulrike formulierte Argument können alle Mitschülerinnen und Mitschüler nachvollziehen: die Klasse ist sich einig, dass Eltern nicht dazu gezwungen werden können Taschengeld zu bezahlen. Um die Sinne der Schülerinnen und Schüler für Pluralismus zu schärfen, der ein wichtiger Bestandteil demokratischer Urteilsbildung darstellt, fokussiert die Lehrperson das Gespräch auf evtl. Gründe, die für „Taschengeld – Pflicht für alle Eltern?“ sprechen könnten: „wenn jemand ja sagt, welches, welche Gründe könnte er dafür nennen?“ (S.5) Thomas reagiert daraufhin mit einer differenzierter Aussage, denn er deutet an, dass ein eindeutiges Urteil bei dieser Fachfrage nicht unbedingt vollkommen klar ist: „Also erstens müssen ses nich weil, weils ja kein Gesetz. Aber zweitens find ich ähm sollten ses eigentlich, dass des Kind lernt mit Geld umzugehen.“ Hier werden die Argumente beider Parteien sozusagen gegenübergestellt und relativiert. Eine genauere Abwägung der vorhandenen Argumente drängt sich auf; die Urteils‐ bzw. Handlungsfähigkeit tritt für den Lerner als komplexes Konstrukt in Erscheinung. Das Heraustreten aus dem Perspektivrahmen wird notwendig und ein Blick von „oben“, eine Meta‐Ebene muss eingenommen werden. Da bisher sehr viele Argumente gegen das verpflichtende Taschengeld genannt wurden, konzentriert die Lehrperson das Gespräch weiterhin auf Pro‐Argumente. Der Urteilsprozess soll nicht vereinfacht und einseitig vermittelt werden, sondern als diffiziler Aushandlungsprozess erfasst werden. Zu diesem Zweck nutzt die Lehrperson einen konkreten Fall: ein Kind wünscht sich unbedingt Süßigkeiten, die von den Eltern aber verboten werden. (S.6) Dieser Fall transferiert auf der einen Seite das Verständnis, das Eltern nun einmal hierarchisch ihren Kindern übergeordnet sind, und auf der anderen Seite, dass das Kind auch zu seinem Recht kommen sollte. Die Zusammenführung dieser beiden Verständnisse mündet in einen Kompromiss, in einen konsensorientierten Problemlöseprozess, den die Schülerinnen und Schüler sukzessive während der Gesprächsrunde erarbeiten. Zunächst werden einzelne Meinungen ausgetauscht: „Weil er des ja unbedingt will.“ (Nora, S.6), „Wenn des Kind aber dann dauernd Geld hätte und sich davon dauernd Süßigkeiten kaufen würde, dann würd ich auch die Eltern verstehen, wenn sie sagen, ich geb dir kein Taschengeld, weil du sons schlechte Zähne kriegst.“ (Sarah, S.7) Schließlich liefert Thomas einen ersten konsensfähigen Ansatz; die Eltern beschränken das Taschengeld in dem Maße, dass das Kind damit nur eine bestimmte Menge Süßigkeiten kaufen kann. (S.7) Es werden beide Parteien berücksichtigt und auf der Grundlage der bisherigen Meinungen Entscheidungen gefällt. An dieser Stelle manifestiert sich die politische Handlungsfähigkeit am deutlichsten, denn es wird gelernt mit „Differenzen […] um[zu]gehen, eine eigene Sichtweise [zu] entwickeln und Kompromisse [zu] schließen.“134 Der erste Ansatz von Thomas bleibt jedoch nicht unreflektiert und unkommentiert. Sarah äußert sich skeptisch zum Vorschlag das Limit an Süßigkeiten auf 21 zu beschränken. Die Lehrperson potenziert diesen Kritikpunkt mit der fehlenden Entscheidungsfreiheit des Kindes. Der Ansatz muss neu geprüft, verändert und ggf. Alternativen vorgeschlagen werden; die Komplexität des demokratischen Entscheidungsprozesses wird hervorgehoben und dadurch transparenter. Diese Erfahrung kann die entsprechende Ausgangsbasis sein, um damit verknüpfte Kompetenzen im Katalog der Bildungsstandards der GPJE, insbesondere die der politischen Handlungsfähigkeit, in ihrer Entwicklung zu unterstützen: demokratische Entscheidungen des Klassenrates werden als komplex empfunden und können als solche auch nachvollzogen und verstanden werden. 135
134 GPJE: Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf. 2. Aufl.; Schwalbach/Ts., 2004: Wochenschau Verlag. S.19
135 Vgl. Ebd. S.20
50 19BKonsequenz für das Modell der GPJE
Die Diskussion endet schließlich mit einem Problem: wie kann kontrolliert werden, dass sich das Kind auch wirklich an die Vereinbarung hält? (S.8) Sarah veranschaulicht dieses Problem anhand der Möglichkeit, dass das Kind mit Hilfe des Rückgelds weitere (verbotene) Dinge kaufen könnte. (S.8) Die Problematik bleibt; sie untermauert den insgesamt komplexen Charakter der Gruppendiskussion und hinterlässt einen dementsprechend kritischen Blick auf das Themenfeld „Taschengeld – Für alle Eltern Pflicht?“.
4.1.2. Konsequenz für das Modell der GPJE
Aus den bisherigen Beobachtungen und formulierten Interpretationen der ersten Szene lässt sich bereits eine entscheidende Konsequenz für das Modell der GPJE ableiten. Zunächst veranschaulicht die Gruppendiskussion der durchgeführten Doppelstunde, dass didaktisch‐methodische Kompetenzen für eine politische Bildung in der Grundschule prinzipiell ablesbar sind und diese teilweise auch zur Leistungsbewertung bzw. als Maßstab für Demokratie‐Lernen herangezogen werden können. Genau hier liegt die Schwierigkeit: das Modell der GPJE erfasst griffige, überprüfbare Kompetenzen und lässt eher divergierende und schwer eingrenzbare Kompetenzen aus; unter anderem aufgrund der engen Verwandtschaft mit sozialen Lernen. So geschieht es hier in der Gruppendiskussion, dass das angesprochene Gerechtigkeitsbewusstsein, das eng mit Empathie einhergeht, nicht deutlich genug im Katalog der GPJE verankert ist. Man spricht mehrmals von erklären, verstehen, respektieren und urteilen aber nicht von der allgemeinen Fähigkeit, sich in die Lage anderer versetzen zu können. Die Diskussion hat gezeigt, dass empathisches Vorgehen notwendig wird, wenn man erreichen möchte, dass die Schülerinnen und Schüler Entscheidungen, Handlungen und Sichtweisen nachvollziehen, verstehen, erklären und beurteilen sollen. Die enge Beziehung empathischer Fähigkeiten mit politischem Lernen kann natürlich genauso mehr für Verwirrung als für Klarheit sorgen. Dennoch sollte Empathie im Kompetenzmodell eingebunden werden, da sie für politische Kompetenzen und Demokratie‐Lernen insgesamt elementar, wenn nicht gar Voraussetzung ist; beispielsweise als Rahmen, als „Teppich“ für das gesamte Modell, um die Eignung des Kompetenz‐Modells als Messinstrument weiterhin zu gewährleisten. Für die Zielgruppe, nämlich die der Grundschullehrerinnen und –lehrer, muss ersichtlich sein, dass soziales Lernen in Wechselwirkung mit politischer Bildung steht und Empathie eine Grundlage für pluralistisches Denkvermögen, für politische Urteils‐ und Handlungsfähigkeit, für Demokratie‐Lernen überhaupt darstellt. Das Modell lässt sich unter dem Aspekt empathische Fähigkeiten erfassen zu können nur eingeschränkt für die politische Bildung in einer Grundschule einsetzen, obwohl solche, wie die Gruppendiskussion beweist, durchaus beobachtbar sind und zur Erreichung bzw. Entwicklung der formulierten Standards beisteuern.
51 20BTranskription ‐ Szene 2 „Vorbesprechung des Interviews“ (DVD: Kapitel 3)
4.2. Transkription Szene 2 „Vorbesprechung des Interviews“ (DVD: Kapitel 3)
Lehrer: Noch eine Frage vorweg. Ähm. Finanzminister was is des denn überhaupt? Nora.
Nora: Stellt der Geld her?
Lehrer: Des macht die Presse. Des macht bei uns die Presse, die Geldpresse. (..) Zunächst mal, was is denn en Minister? (..) Des weiß niemand von euch? Sarah?
Sarah: Des muss mit dem Wort „mister“ zusammenhängen. Lehrer: Mister. (MURMELT)
Sarah: Wie im Englischen.
Lehrer: Aha. Mit „mister“ im Englischen. Des is ne interessante Idee! Kann ich dir nich sagen, ob des wirklich stimmt. Des weiß ich selber gar nicht. Aber so ein Minister, der gehört zur Regierung. Des ist ein Mann, der für ein Bereich zuständig ist. Da gibt’s zum Beispiel für die Familie. Dann gibt’s für ähm. Ähm wie ähm es gibt en Außenminister, der is dann zuständig, zum Beispiel dass wir uns mit England gut verstehen. Also zwischen den Beziehungen, zwischen den Staaten, und dann gibt’s noch den Finanzminister und was könnte jetzt der Finanzminister für, für welchen Bereich könnte der denn zuständig sein?
Nora: Taschengeld.
Lehrer: Aha. Unter anderem ja also, es steckt des Wort Geld drin.
Ulrike: Politik?
Lehrer: Politik is er verantwortlich, ja.
Nora: Ähm. Bank?
Lehrer: Wie könnten wir des zusammenfassen?
Ulrike: Geld.
Lehrer: (SCHAUT ULRIKE AN) Die Regel haben wir jetzt leider nich hier. Aber sons wär des en Regelbruch. (..) Nora?
Nora: Der stellt zum Beispiel Geld für die Bank. Oder der zählt des Geld und macht des dann in die Bank und gibt des dann dem Chef von der Bank, was er dann für Geld (er dann auch hat).
Lehrer: Also, Nora hat des nochmal veranschaulicht. Es geht ums Geld, ja?
52 20BTranskription ‐ Szene 2 „Vorbesprechung des Interviews“ (DVD: Kapitel 3)
Postskript zu Szene 2 „Vorbesprechung des Interviews“
Anzahl der GesprächspartnerInnen 4 Jungen, 7 Mädchen
Ort Grundschule Eschbach‐Stegen
Interviewtag u. –zeitraum 21.09.2007 / 9.40 Uhr – 9.50 Uhr
Audioaufnahme Ja
Länge des Gesprächs Ca. 5 Min.
Inhalte der Gespräche vor und nach dem Einschalten des Aufnahmegeräts
Diskussion über Taschengeld / Vorbesprechung des zu zeigenden Interviews
Interviewort Medienraum
Nonverbale Reaktionen Nachdenklich die Augen verdrehen
Prägnante Charakterzüge ‐
Störungen des Gesprächs Ein Beitrag ohne Anmeldung
Anwesenheit Dritter Kameramann
Gesprächsverlauf 5) Vorlesen der Fragen des Aufgabenblatts
6) Klärung des Begriffs Finanzminister
7) Erläutern von Funktion und Definition eines Ministers
8) Zusammenfassung: „Was ist ein Finanzminister?“
Sonstiges Ortswechsel in den Medienraum
53 21BInterpretation und Beobachtung
4.2.1. Interpretation und Beobachtung
Um das nachfolgende Interview für die Schülerinnen und Schüler verständlich zu machen, wurde vorab eine Begriffsannäherung an „Finanzminister“ unternommen. Gleichzeitig diente dieses Gespräch zur Überprüfung von Vorwissen bzw. „konzeptuellen Deutungswissens“136 über Politik. Dabei zeigte sich, dass bei den Kinder bereits Konzepte und Vorstellung ausgeformt sind: „Der stellt zum Beispiel Geld für die Bank. Oder der zählt das Geld und macht des dann in die Bank und gibt des dann dem Chef von der Bank, was er dann für Geld (er dann auch hat).“ (Nora) Der Kern der Funktion eines Finanzministers wurde hier von Nora konzeptuell veranschaulicht, auch wenn diese Definition keiner fachwissenschaftlichen Definition Stand halten kann. Diese Konzepte veräußern sich jedoch nur durch entsprechende Impulse, die in diesem Beispiel durch die Lehrperson vorgenommen wurden. Die Lehrperson gibt eine Struktur vor, die von den Adressaten ergänzt wird: „[…] Des ist ein Mann, der für ein Bereich zuständig ist. Da gibt’s zum Beispiel für die Familie. […] was könnte jetzt der Finanzminister für, für welchen Bereich könnte der denn zuständig sein?“ Interessant ist dann auch die direkte Antwort darauf, die eine Verknüpfung zum Unterrichtsthema „Taschengeld“ herstellt. Aber auch schon vor der Setzung des Impulses lässt sich eine Konzeption des Begriffs „Finanzminister“ entdecken: Nora reduziert den Begriff auf dessen Funktion; sie hat den instrumentalen Charakter dieses Amtes in ihrem individuellen Konzept verankert bzw. aus ihrem Vorwissen abgerufen. Durch die Funktion kann der Begriff deduktiv relativ rasch geklärt werden, wie sich dann im weiteren Verlauf des Gesprächs zeigt. Das Wort selbst erleichtert das Abrufen vorhandener Konzeptionen; „Finanz“ in Finanzminister ist assoziativ mit Geld verknüpft. Hingegen ist das Wort „Minister“ aus diesem Begriffskomplex bei den Schülerinnen und Schülern nicht mit (richtigem) Vorwissen verknüpft, denn bei der Frage, was denn eigentlich ein Minister sei, wird vermutet, dass das Wort aus dem Englischen von „mister“ kommt. (Sarah) Der Grund dafür könnte der hohe Abstraktionsgrad dieses fachspezifischen Fachterminus sein, der angeblich noch nicht vorab vermittelt wurde. Bemerkenswert ist der etymologische Erklärungsansatz, der ein Ausweichen in ein anderes Fach, in das Fach Englisch, impliziert; der Wissensfundus ist offenbar nicht mehr im Fach „Sachunterricht“ aufzufinden. Dies unterstützt die Annahme, dass dieses Wissen mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nie bzw. mit ungenügender Redundanz vermittelt worden ist. Es ist zu keiner Etablierung im Wissensnetz der Adressaten gekommen.
136 Vgl. GPJE: Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf. 2.Aufl.; Schwalbach/Ts., 2004: Wochenschau Verlag. S.14
54 22BKonsequenz für das Modell der GPJE
4.2.2. Konsequenz für das Modell der GPJE
Die Szene verdeutlicht, welche Relevanz konzeptuelles Deutungswissen für politische Bildung in der Grundschule hat. Die vorgebildeten Konzepte über „Finanzminister“ können zur Klärung dieses Fachterminus gewinnbringend eingesetzt werden. Konzeptuelles Deutungswissen hat den Anspruch „nicht in erster Linie Kenntnisse über Einzelaspekte des politischen“, sondern „den Sinngehalt und die innere Logik von Institutionen, Ordnungsmodellen und Denkweisen der Sozialwissenschaften“ zu sein.137 Die Frage ist, ob solche kognitiven Leistungen bereits von einer vierten Grundschulklasse erwartet werden können. Das transkribierte Gespräch liefert lediglich für das Vorwissen, für Konzepte und Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler über Politik Belege, allerdings keine für die Deutung dieses Wissens. Für eine lehrtypische Frage nach dem „was“ muss erwartungsgemäß damit gerechnet werden, dass die Adressaten entsprechend deklarativ antworten. Trotzdem kann aus den gegebenen Antworten abgeleitet werden, dass den Schülerinnen und Schülern die Begriffsannäherung an „Finanzminister“ bereits auf deskriptiver Ebene schwer fällt. Für die Deutung dieses Wissens fehlt das notwendige Vorwissen; dieses muss offensichtlich abrufbar sein, um anschließend selbst entsprechend gedeutet werden zu können. Im Modell werden unterschiedliche Strukturen des Wissens jedoch nicht transparent; stattdessen verschmelzen beide „Wissens‐Stufen“ und können folglich in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit nicht mehr wahrgenommen werden. Mit Blick auf die Unterrichtsplanung kann dies für die Lehrperson didaktische‐methodische Schwierigkeiten erzeugen: welches Wissen wird benötigt, damit die Deutung des eigentlichen Wissens möglich wird? Besteht die Gefahr, dass die Schülerinnen und Schüler überfordert sind, wenn Wissensvermittlung und –Deutung parallel geschehen? Für diese Herausforderung ist das Modell noch nicht ausreichend komplex; die Anknüpfung an Konzeptionen der Schülerinnen und Schüler eröffnet jedoch potentielle Lernwege, vor allem wenn es um politische Bildung in der Grundschule gehen soll, in der die Schülerinnen und Schüler relativ wenig fachbezogenes (Vor‐)Wissen über Politik besitzen. Konzeptionen sind in jedem Fall vorhanden und unterstützen das effektive Ausformen von Demokratiekompetenz.
137 GPJE: Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf. 2.Aufl.; Schwalbach/Ts., 2004: Wochenschau Verlag. S.14
55 23BTranskription ‐ Szene 3 „Nachbesprechung des Interviews“ (DVD: Kapitel 4)
4.3. Transkription Szene 3 „Nachbesprechung des Interviews“ (DVD: Kapitel 4)
Lehrer: Und jetzt machn wir des Aufgabenblatt. Ähm, wir fangen an mit der Aufgabe eins. Wer liest die nochmal kurz vor? (..) (SCHALTET TAGESLICHTPROJEKTOR EIN UND LEGT FOLIE AUF) Kleinen Moment ich muss hier noch en bissl verschiebn und machen.
Nora: S kann man nich gut sehen.
Lehrer: Kann man nich so gut lesen, na? S‘echt schwer hier.
Ulrike: Wir hamms doch aufm Blatt!
Lehrer: Ihr habts aufm Blatt ja?! Ähm (..)
Ulrike: Die Nora!
Lehrer: Wer liests vor? Die erste Aufgabe! Agata. Und laut für alle!
Agata: Welche politischen Begriffe werden im Interview genannt?
Lehrer: Ok (..) geh mar mal die Reihe durch. Beziehungsweise wer hat ne Lösung dafür. (..) Des habt ihr ja. Jim. Was hast du angekreuzt?
Jim: Parlament.
Lehrer: Parlament hast du angekreuzt!?
Jim: Jo. (LEISE)
Lehrer: Wer hat des alles auch? (ALLE STRECKEN) Jawohl, is richtig! Parlament is richtig! Des wurde im Interview genannt. Ähm (..) Des nächste? Nora?
Nora: Ähm. Medien.
Lehrer: Medien wurde genannt. Des hab ich schon angekreuzt und des is auch richtig, ja? Ähm jetz nochmal, was sin überhaupt Medien? (..) Was könnten Medien sein? Ne Vermutung hat auch niemand? Also Medien sind so Sachen wie. Thomas? Nich nochmal bitte!
Thomas: Hm?
Lehrer: Die Grimasse, die du gerade gemacht hast. (SCHAUT IHN AN)
Thomas: Mhm.
Lehrer: Ok? (..)
Thomas: Mhm! (NÖRRISCH)
56 23BTranskription ‐ Szene 3 „Nachbesprechung des Interviews“ (DVD: Kapitel 4)
Lehrer: Ok. Also Medien sind zum Beispiel so Sachen wie des Interview, des Internet, kennt ihr auch. Zeitungen. Auch das hier is schon en Medium (ZEIGT AUF FOLIE). Also das hier sind auch schon Medien, diese Blätter, die ihr da habt. Also alles, was irgend ne Information (..) transportiert kann man dazu sagen oder vermittelt, sind Medien. Ähm was is s’Parlament? Was könnte des sein? (..) Des is jetzt sehr schwer! Also wenn ihr des nicht wisst, des is nich schlimm, aber wenn ihr Vermutung habt, dürft gern was dazu sagen. (..) Ähm Sarah?
Sarah: Ne Regierung.
Lehrer: Mhm. Regierung is nomal was anderes, aber es geht in die richtige Richtung. Ich hab hier son tolles Kinderlexikon, ähm von der Bundeszentrale für politische Bildung, ähm da sind ganz viele Begriffe erklärt, und zwar so erklärt, das des auch ähm jüngere Kinder auch ihr verstehen könnt. Ähm. Ich les einfach mal zu vor, was im Parlament steht und des könnt ihr ja dann, ähm. Ja genau ich les einfach mal vor! Parlament. Das Wort Parlament kommt aus dem Französischen Wort „parler“. Ihr habt doch Französisch oder? (ALLE STIMMEN ZU) Auf Deutsch Sprechen und bedeutet Volksvertretung. Im Parlament sitzen die Abgeordneten, Volksvertreter in Klammer, im Parlament werden neue Gesetze diskutiert und beschlossen. Deshalb wird die, wird das Parlament Legislative, Gewaltenteilung, gesetzgebende Versammlung genannt. Das kommt vom Lateinischen legislatio. Das bedeutet Gesetzgebung. Die Volksvertretung kontrolliert die Regierung, wenn zum Beispiel die Regierung vorschlägt Soldaten in ein Kriegsgebiet zu schicken, oder die Steuern zu erhöhen. Ja? In Deutschland gibt es Parlamente in den Gemeinden, in den Städten, in den Bundesländern und eines für das ganze Land. Das ist der deutsche Bundestag. Des hatten wir ja schon am Mittwoch (..) Ok? Ähm wer kanns nochmal in seinen eigenen Worten formulieren, was es jetzt, was des Parlament is? Des wär echt super, wenn des jemand hinkriegt. Is jetzt ein bisschen viel Information auf die Schnelle. Christoph? Wills dus mal probieren? (..) Probiers einfach mal in deinen eigenen Worten.
Christoph: Des kommt ausm Französischen.
Lehrer: Mhm des Wort, ja.
Christoph: (…)
Lehrer: Und, was wirdn dadurch gemacht? Nora?
Nora: Also aus dem. Des. Des Wort kommt aus dem Französischen und wird „parler“ genannt. Und ähm (..) des hat irgendwas mit Bundeskanzler oder sowas zu tun.
Lehrer: Mhm. Bundeskanzler is nochmal was anderes. Ja, Ulrike?
Ulrike: Ähm des wird ähm Bundestag ähm, ähm diskutiert oder so.
57 23BTranskription ‐ Szene 3 „Nachbesprechung des Interviews“ (DVD: Kapitel 4)
Lehrer: Aha, ok. Also der Bundestag, des is schonmal des richtige Stichwort. Das, es gibt Parlamente auf, in, auf Gemeinde, des sin dann die Gemeinderäte, dann gibt es die im Land, des sin dann die Landtage und dann gibt es noch, des hatn wir am Mittwoch schon besprochen, für de ganze, die ganzen Länder sin ja in einem Bund zusammengefasst. Der Thomas hat ja damals gesagt, die sind verbündet. Und dort werden dann im Bundestag diskutiert und Entscheidungen gefällt. Ähm des ganze kann man zusammenfassen als Volksvertretung. Also wichtig, Parlament ist Volksvertretung, ja? Des is des wichtige, was er euch da merken solltet, wenn jetzt jemand mal fragt, was des jetzt genau is. Ok etz mach mar aber weiter. Ähm wir haben Medien, Parlament; da waren auch noch andere. Jupp.
58 23BTranskription ‐ Szene 3 „Nachbesprechung des Interviews“ (DVD: Kapitel 4)
Postskript zu Szene 3 „Nachbesprechung des Interviews“
Anzahl der GesprächspartnerInnen 4 Jungen, 7 Mädchen
Ort Grundschule Eschbach‐Stegen
Interviewtag u. –zeitraum 21.09.2007 / 9.50 Uhr – 10.00 Uhr
Audioaufnahme Ja
Länge des Gesprächs Ca. 6 Min.
Inhalte der Gespräche vor und nach dem Einschalten des Aufnahmegeräts
Sichtung des Interviews mit Finanzminister Peer Steinbrück / Nachbesprechung des Interviews
Interviewort Klassenzimmer
Nonverbale Reaktionen Stirn runzeln, am Mund herumspielen
Prägnante Charakterzüge ‐
Störungen des Gesprächs Grimasse während eines Gesprächs
Anwesenheit Dritter Klassenlehrer, Kameramann
Gesprächsverlauf 9) Vorlesen der Fragen auf dem Aufgabenblatt
10) Besprechung der erarbeiteten Ergebnisse
11) Erarbeitung abstrakter politischer Begriffe auf dem Aufgabenblatt
12) Erklärung der politischen Begriffe
Sonstiges ‐
59 24BInterpretation und Beobachtung
4.3.1. Interpretation und Beobachtung
Die Nachbesprechung des Interviews war ein Versuch für mehrere politische Informationen, die im Interview genannt wurden, Erklärungsansatze im gemeinsamen Lehrer‐Schüler‐Gespräch zu erarbeiten. Für die Erklärung des Begriffs „Parlament“ liefert ein Politiklexikon für Kinder138 eine grundschulgerechte Definition. Zuvor versucht die Lehrperson evtl. Vorwissen bzw. Konzeptionen über diesen Begriff abzurufen. Es melden sich nur weinige Schülerinnen und Schüler; die Antwort „Ne Regierung“ (Sarah, S.2) enthält „Politisches“ und spiegelt ansatzweise die Funktion eines Parlaments wieder, aber es fehlen die Spezifikation und die Abgrenzung zu anderen politischen Begriffen bzw. Institutionen. Die Lehrperson entschließt sich für das Vorlesen der Definition von „Parlament“ im Politiklexikon für Kinder. (S.2) Zur Kontrolle werden die Schülerinnen und Schülern anschließend angehalten das vermittelte Wissen zusammenzufassen. Dabei ergeben sich Antworten, die nur fragmenthaft den Inhalt wiedergeben: „Des kommt ausm Französischen.“ (Christoph, S.2); „Also dem. Des. Des Wort kommt aus dem Französischen und wird „parler“ genannt. Und ähm (..) des hat irgendwas mit Bundeskanzler oder sowas zu tun.“ (Nora, S.2); „Ähm des wird ähm Bundestag ähm, ähm diskutiert oder so.“ (Ulrike, S.2) Die Begründung dieser Schülerreaktionen liegt teilweise in der relativ großen Textmenge, die rezepiert werden musste; für die meisten Schülerinnen und Schüler eine kognitive Herausforderung. Eine andere Vermutung kann sein, dass die Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten hatten entsprechende politische Informationen, die für die Definition von „Parlament“ prägnant sind, aus konkurrierenden und weniger relevanten Informationen herauszufiltern. Für die erfolgreiche Verwertung dieses Textmaterials wäre Vorwissen nötig gewesen um logische Verknüpfungen, beispielsweise zwischen Parlament und Volksvertretung herzustellen; die Rezeption des Texts ist folglich eine Deutung dessen. Nur Ulrike kann ein unmittelbares Beispiel für Parlament aus dem Text entnehmen, das sie sinnvoll durch dessen Funktion veranschaulicht: der deutsche Bundestag. (Ulrike, S.2) Die Frage ist, ob Ulrike diese Antwort ohne die Vorbesprechung der Doppelstunde, die zwei Tage vor dem eigentlichen Unterricht statt gefunden hatte und in der u.a. auch Vorwissen der Schülerinnen und Schüler über Politik abgefragt und vermittelt wurde, geben hätte können. Mit Blick auf den Kompetenzbereich „Methodische Fähigkeiten“, kann an dieser Stelle nur bedingt davon gesprochen werden, dass die Schülerinnen und Schüler „Bücher […] für Informationen zu Themen des Unterrichts nutzen“:139 die Lehrkraft hat die größten Gesprächsanteile, in der sie wesentliche Informationen im Text zusammenfasst und für eine grundschul‐adäquate Definition zuschneidet: sie reduziert, wiederholt und veranschaulicht mit konkreten Beispielen. (S.3)
138 Schneider, Gerd; Toyka‐Seid, Christiane: Das junge Politik‐Lexikon. 2. Aufl.; Bonn / Frankfurt am Mein 2006: Bundeszentrale für politische Bildung / Campus Verlag.
139 GPJE: Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf. 2.Aufl.; Schwalbach/Ts., 2004: Wochenschau Verlag. S.20
60 25BKonsequenz für das Modell der GPJE
4.3.2. Konsequenz für das Modell der GPJE
Grundsätzlich unterstützen die Beobachtungen und deren Interpretation aus der dritten Szene die Annahme, dass politisches Vorwissen zunächst etabliert werden muss, um anschließend gedeutet werden zu können. In der zweiten Szene konnten Belege für diese Annahme innerhalb der beiden Kompetenzbereiche „politische Urteilsfähigkeit“ und „politische Handlungsfähigkeit“ gefunden werden. Nun weitet sich diese Annahme auf „methodische Fähigkeiten“ aus; dies spricht wiederum dafür, dass konzeptuelles Deutungswissen prinzipiell alle Kompetenzbereiche umspannt. Die Untergliederung in „Vorwissen“ und „Deutungswissen“ und die Abhängigkeit dieser Wissensarten untereinander sollten im Modell der GPJE zusätzlich grafisch modelliert werden. Inhaltlich macht der Entwurf der GPJE auf diese Abstufung nur tendenziell aufmerksam:
Neues Wissen muss deshalb in eine Beziehung zu den Vorverständnissen gesetzt werden, die Schülerinnen und Schüler von den Gegenständen des Faches bereits mitbringen, und geeignet sein, dieses Vorverständnisse qualitativ zu verbesser.140
Daraus kann man schließen, dass Wissen nicht nur eine Beziehung mit den Vorverständnissen, sondern auch mit Vorwissen in Form von politischem Vorwissen eingehen muss, wenn es darum gehen soll, dass nicht nur deklaratives, sondern weitergeführtes gedeutetes politisches Wissen Einzug in den Unterricht finden soll. Dieser Ansatz muss auch deshalb grafisch und somit zentral für alle Schulstufen veräußert werden, da sich dieses Prinzip innerhalb der Schulstufen nicht verändert, und das Wissen insgesamt lediglich abstrakter wird.
140 GPJE: Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf. 2.Auflage; Schwalbach/Ts., 2004: Wochenschau Verlag. S.14
61 26BFazit
4.4. Fazit
Für eine qualitative Aussage zum aktuellen Entwurf der GPJE ist das erbrachte Material sicher nicht repräsentativ genug. Vor allem ist eine Doppelstunde für die Komplexität dieses Themas zeitlich zu eng bemessen, wenn alle Kompetenzbereiche des GPJE‐Entwurfs berührt und evaluiert werden sollen. Dies wird an mehreren Stellen deutlich: für die Doppelstunde wurden (zu) viele Themen angesprochen (Taschengeld, Parlament, Medien usw.), was mit einer sehr vielfältigen zeitintensiven Methodik einherging (Diskussion, Interview, Gruppenarbeit, Präsentation). Trotzdem lässt sich mit dem videographierten Unterrichtsversuch ein erster Evaluationsansatz formulieren. Das Kompetenzmodell der GPJE ist in jedem Fall ein geeignetes Instrument für die Planung, Durchführung und Beurteilung von politischer Bildung in der Grundschule. Die Dimensionierung in drei übersichtliche und fassbare Kompetenzbereiche ist schlüssig und trägt zur Strukturierung der schwer fassbaren „Demokratiekompetenz“ bei; vor allem wenn „fachfremde“ Grundschullehrer und Grundschullehrerinnen davon betroffen sind. Die Umklammerung dieser Bereiche durch konzeptuelles Wissen veranschaulicht die Relevanz von Vorkenntnissen, Vorverständnissen, Konzeptionen und bereits etablierten Vorstellungen über Politik. Man vermisst formulierte empathische Demokratiekompetenzen und generell die Nähe zum eng verwandten sozialen Lernen. Zusätzlich verschwimmen Vorwissen und Deutungswissen unter dem Deckel des „konzeptuellen Deutungswissens“ und die Beziehungen dieser beiden Wissensarten untereinander können anhand der Grafik nicht nachvollzogen werden. Damit das Modell seine unterrichtstaugliche Reife erhält, sollten diese Bereiche mit Blick auf die Lehrerausbildung überarbeitet und erneut diskutiert werden.
62 27BAusblick
5. Ausblick
Die Diskussion über politische Bildung und deren Umsetzung in Grundschulen ist bestimmt noch nicht abgeschlossen. Es gibt genug Indizien, die für die frühe politische Bildung sprechen und auch genügend politikdidaktische Konzeptionen. Trotzdem ist die Ausbildung von Demokratiekompetenz nicht ohne Weiteres umsetzbar, denn vor allem in der Grundschule sind die Lehrkräfte mit der Komplexität und Tragweite dieses „Fachs“ überfordert. Der Anspruch der Fachwissenschaften ist zudem eine komplexere Wahrnehmung von Politik und Demokratie; bisher wurde nicht ausreichend von Demokratie‐Lernen gesprochen und Demokratie häufig mit dem „Politikunterricht“ unter einen Teppich gekehrt. Damit wurde politische Bildung vor allem für die Sekundarstufen ausgerichtet. HIMMELMANN sprengt das bisherige Verständnis von Demokratie und macht klar, dass Demokratie‐Lernen nicht nur Institutionskunde ist; Demokratielernen kann unter dem Aspekt der „Demokratie als Lebensform“ auch an Grundschulen umgesetzt werden. ROHE knüpft in ähnlicher Weise mit dem Politikbegriff an, und spricht sich gegen ein einseitiges Verständnis von Politik als Regierungsform aus. Doch diese Erkenntnisse sind keineswegs Produkte moderner fachdidaktischer Diskussionen, denn deren Wurzeln reichen bis zu DEWEY zurück. Ansätze für eine lebensnähere vielschichtige politische Bildung waren also bereits mehrere Jahrzehnte vorhanden, aber kaum berücksichtigt. Politische Bildung verweilt an Grundschulen als randständiges zu global gefasstes Lernziel in den Fächerverbünden. Schließlich ergibt sich aus diesem komplexen Begriffsverständnis für Lehrkräfte die Herausforderung beim Unterrichten zu berücksichtigen, welche Dimensionen des Demokratie‐Lernens bzw. der politischen Bildung für ihre Adressaten zutreffen und wie diese didaktisch‐methodisch zu verwerten sind. Inwiefern ist es einem Grundschullehrer oder einer Grundschullehrerin möglich diese Herausforderung zu meistern? Der Entwurf der GPJE möchte sich diesem Problem stellen, indem er messbare und vor allem realisierbare Bildungsstandards für die politische Bildung am Ende der vierten Klasse formuliert. Entlang dieses Entwurfs soll für Grundschullehrer und Grundschullehrerinnen eine Planung, Umsetzung und Auswertung von politischer Bildung besser gelingen und die Unsicherheit vor dem schwer fassbaren Bildungsauftrag, Schülerinnen und Schüler zu einem mündigen Staatsbürger zu erziehen, genommen werden. Der Entwurf definiert Demokratiekompetenz durch ein von drei Kompetenzbereichen umrandetes Modell: politische Urteilsfähigkeit, politische Handlungsfähigkeit und methodische Fähigkeiten. Die Einbettung in konzeptuelles Deutungswissen expliziert die Notwendigkeit an bereits vorhandene Konzeptionen der Schülerinnen und Schüler anzuknüpfen und Wissen in einem weiteren Schritt deutbar zu machen. Doch der Entwurf scheint noch Lücken aufzuweisen, die unter Umständen zusätzliche didaktische Herausforderungen für die Lehrkraft erzeugen können. Zunächst ist es schwierig das Zusammenspiel zwischen sozialen Lernen und Demokratie‐Lernen nachzuvollziehen; die Folge davon ist eine nicht trennscharfe Wahrnehmung von Demokratie‐Lernen und sozialen Lernen, obwohl dies von fachdidaktischer Seite eingefordert wird. Es fehlen Bezüge zu Kompetenzen des sozialen Lernens, die sich im hier durchgeführten Praxisbeispiel vermehrt durch Empathie offenbarten. Einerseits müssen also die Unterscheidung zwischen sozialen Lernen und Demokratie‐Lernen und andererseits die Interpendenz zwischen diesen beiden „Fächern“ transparent werden. Ein weiterer Missstand des GPJE‐Modells ist die unzureichende Strukturierung des „konzeptuellen Wissens“. Es wird im Entwurf erwähnt, dass bereits vorhandene Konzeptionen über Politik berücksichtigt werden müssen, um die Entwicklung der angestrebten Kompetenzen zu unterstützen.
63 27BAusblick
Allerdings fehlen Bezüge zwischen Vorwissen und Deutungswissen, die im Unterrichtsbeispiel deutlich wurden: für die Deutung von politischen bzw. domänenspezfischen Wissens muss dieses zunächst als Vorwissen vermittelt und konstituiert sein. Die Unterteilung und Abhängigkeit von Vorwissen und Deutungswissen wird im Entwurf weder graphisch noch inhaltlich ausreichend deutlich. Diese beschriebenen Defizite basieren auf keiner repräsentativen Studie, aber die videographierte Unterrichtsstunde liefert einen realistischen Einblick darüber, inwiefern das Modell der GPJE im Einzelfall an einer Grundschule umgesetzt werden kann, und welche Optimierungsmaßnahmen für dieses Modell in Erwägung gezogen werden sollten. Mit aller Nachdrücklichkeit sollte jedenfalls die frühe politische Bildung an Grundschulen und Vorschulen weiterhin erforscht und vorangetrieben werden. Ich möchte wiederum mit einem Zitat unseres jetzigen Staatsoberhauptes HORST KÖHLER schließen, der die aktuelle Notwendigkeit einer politischen Bildung insgesamt skizziert:
[…] Unsere freiheitliche Gesellschaft lebt davon, dass mündige Bürgerinnen und Bürger Verantwortung für sich und für das Gemeinwohl übernehmen. Eine Diktatur kann sich ungebildete Menschen leisten ‐ nein: sie wünscht sich die sogar.141
141 Köhler, Horst: Bildungsrede (Berliner Rede) vom 22.09.2006 http://www.archiv‐der‐zukunft.de/blog/?p=98 (10.10.2007)
64 28BLiteratur‐ und Quellangabe
6. Literatur und Quellangabe
Breit, Gotthard; Schiele Siegfried (Hrsg.): Demokratie‐Lernen – als Aufgabe der politischen Bildung. Schwalbach/Ts. 2002: Wochenschau Verlag.
Bundesministerium für Bildung und Forschung: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandars. Bonn 2003: BMBF.
Claußen, Bernhard; Gagel, Walter; Neumann, Franz (Hrsg.): Herausforderungen – Antworten. Politische Bildung in den neunziger Jahren. Opladen 1991: Leske & Budrich.
Darmstädter Appell: Aufruf zur Reform der „Politischen Bildung“ in der Schule. In: Politische Bildung, Jg.28/1995, Heft 4.
Dewey, John: Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik (1916). Aus dem Amerikanischen von Erich Hylla. Herausgegeben von Jürgen Oelkers. Mit einer Auswahlbibliographie. Weinheim und Basel 2004: Beltz Verlag.
Dittmar, Norbert: Transkription. Ein Leitfaden mit Aufgaben für Studenten, Forscher und Laien. 2. Aufl.; Wiesbaden 2004: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
GPJE: Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf. 2.Aufl.; Schwalbach/Ts., 2004: Wochenschau Verlag.
Habermas, Jürgen: Erläuterungen zur Diskursethik. 2. Aufl.; Frankfurt/M., 1992: Suhrkamp.
Hafner, Verena: Politik aus Kindersicht. Eine Studie über Interesse, Wissen und Einstellungen von Kindern. Stuttgart 2006: ibidem‐Verlag.
Henkenborg, Perter: Politische Bildung als Kultur der Anerkennung: Skizzen zu einer kritischen Politikdidaktik. In: kursiv – Journal für politische Bildung, 2/2002.
Himmelmann, Gerhard: Demokratie Lernen als Lebens‐, Gesellschafts‐ und Herrschaftsform. Ein Lehr‐ und Studienbuch. Schwalbach/Ts. 2001: Wochenschau Verlag.
Himmelmann, Gerhard: Leitbild Demokratieerziehung : Vorläufer, Begleitstudien und internationale Ansätze zum Demokratie‐Lernen. Schwalbach/Ts. 2006: Wochenschau Verlag
Internetportal zur Einführung in Methoden der qualitativen Sozial‐, Unterrichts‐ und Schulforschung: http://www.ph‐freiburg.de/quasus.html (27.09.2007)
Köhler, Horst: Bildungsrede (Berliner Rede) vom 22.09.2006 http://www.archiv‐der‐zukunft.de/blog/?p=98 (10.10.2007)
65 28BLiteratur‐ und Quellangabe
Kuhn, Hans‐Peter; Uhlendorff, Harald; Krappmann, Lothar (Hrsg.): Sozialisation zur Mitbürgerlichkeit. Opladen 2000: Leske & Budrich.
Lange, Dirk: Alltagsorientierte politische Bildung. Vom politikfernen Alltag zur Alltagspolitik. In: Kursiv – Journal für politische Bildung 1/2004.
Massing, Peter; Roy, Klaus‐Bernhard (Hrsg.): Politik. Politische Bildung. Demokratie. Schwalbach/Ts. 2005: Wochenschau Verlag.
Massing, Peter; Weißeno, Georg (Hrsg.): Politik als Kern der politischen Bildung. Wege zur Überwindung unpolitischen Unterrichts. Opladen 1996: Leske & Budrich.
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden‐Württemberg: Bildungsplan für die Grundschule. Villingen‐Schwenningen 2004: Neckar‐Verlag.
Pohl, Kerstin: Positionen der politischen Bildung Bd.1 . Ein Interviewbuch zur Politikdidaktik. Schwalbach/Ts. 2004: Wochenschau Verlag.
Prote, Ingrid: Für eine veränderte Grundschule : Identitätsförderung ‐ soziales Lernen ‐ politisches Lernen. Schwalbach/Ts. 2000: Wochenschau Verlag.
Rau, Johannes: „Die Zukunft unserer Demokratie“ http://www.bundespraesident.de (15.08.2007)
Redaktion Politische Bildung & kursiv – Journal für politische Bildung (Hrsg.): Bildungsstandards – Evaluation in der politischen Bildung. Für Schule, Jugend‐ und Erwachsenenbildung. Schwalbach/Ts. 2005: Wochenschau Verlag.
Reinhardt, Volker; Lange, Dirk (Hrsg.): Planung Politischer Bildung. Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht. Baltmannsweiler 2007: Schneider Verlag Hohengehren.
Richter, Dagmar (Hrsg.): Politische Bildung von Anfang an. Demokratie‐Lernen in der Grundschule. Bonn 2007: Bundeszentrale für politische Bildung.
Richter, Dagmar: Sachunterricht – Ziele und Inhalte. Ein Lehr‐ und Studienbuch zur Didaktik. Hohengehren: 2002: Schneider Verlag.
Rohe, Karl: Politik. Begriffe und Wirklichkeiten. 2. Aufl.; Stuttgart, 1994: Kohlhammer Verlag.
Schneider, Gerd; Toyka‐Seid, Christiane: Das junge Politik‐Lexikon. 2. Aufl.; Bonn / Frankfurt am Main 2006: Bundeszentrale für politische Bildung / Campus Verlag.
Schneider, Ilona Katharina: Politische Bildung in der Grundschule. Hohengehren 2007: Schneider Verlag.
Uhl, Katrin; Ulrich, Susanne; Wenzel, Florian M. (Hrsg.): Evaluation politischer Bildung. Ist Wirkung messbar? Gütersloh 2004: Bertelsmann Stiftung Verlag.
66 28BLiteratur‐ und Quellangabe
Weinert, Franz E.: Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In: ders. (Hrsg.): Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim/Basel 2001: Beltz Verlag.
Wellmann, Henry M.; Gelman, Susan A.: Cognitive development: Foundational theories of core domains. In: Annual Review of Psychology 43/1992.
ZDF: Kindernachrichten „logo!“ http://www.tivi.de/fernsehen/logo/start/index.html (12.09.2007)
67 29BAnhang
7. Anhang
„ Ich versichere, dass ich die Arbeit selbstständig und nur mit den
angegebenen Quellen und Hilfsmitteln angefertigt und dass ich alle
Stellen der Arbeit, die aus anderen Werken dem Wortlaut oder dem
Sinne nach entnommen sind, kenntlich gemacht habe.“
„Im Falle der Aufbewahrung meiner Arbeit im Staatsarchiv erkläre
ich mein Einverständnis, dass die Arbeit Benutzern zugänglich
gemacht wird.“
Freiburg, den 10.10.2007
…………………………………………………..
(Johannes Klein)
69 29BAnhang
Transkription – Szene 1 „Gruppendiskussion“
(DVD: Kapitel 2)
Lehrer: Wie is des denn, habt ihr euch. (..) Ähm findet ihr euer Taschengeld denn gerecht. (..) Also (..) Findet ihr es gerecht, so wie es ist? Jim.
Jim: Ich find es gerecht.
Lehrer: Kannst du (..) auch noch begründen? (..) Warum findest dus gerecht?
Jim: (…)
Lehrer: Dann komm mar nachhert nomal auf dich zurück, ja? Vielleicht fällts dir nochmal später ein. Thomas?
Thomas: Also ich finds fast gerecht. Also ähm (..) Eigentlich hab (1SEK UNV.) Also eigentlich wollt ich das so: in der ersten Klasse fünfzig Cent pro Woche. Ja? In der zweiten Klasse (..) ähm (..) jetzt ein Euro. In der dritten Klasse ein Euro fünfzig und in der vierten Klasse zwei Euro (3SEK UNV.) und ähm ja, und jetzt hab ich halt immer noch ein Euro fünfzig, aber hoffentlich wird sich des noch ändern.
Lehrer: Mhm. Ok. Also du sagst schonmal.
Thomas: Fast gerecht.
Lehrer: Fast gerecht. Du würdest auch schonmal. Ähm (..) Also wenn ich des jetzt richtig verstanden hab bei dir Thomas. Du würdst auch schonnoch en bisschen mehr dann später haben.
Thomas: Ja. (1SEK UNV.)
Lehrer: Mhm. Ok. Wie is des bei dir? (..)
Ulrike: Ähm.
Lehrer: Ulrike.
Ulrike: Also ähm in der ersten Klasse krieg ich zwei (..) ein Euro. In der zweiten krieg ich zwei Euro. In der dritten krieg ich ähm vier Euro. Und in der ähm (..) in der vierten krieg ich sechs Euro.
Lehrer: Mhm.
Ulrike: Und des gibt halt immer zwei Euro mehr.
Lehrer: Und is des ok für dich?
Ulrike: Ja.
70 29BAnhang
Lehrer: Ok du findst gerecht. Jemand dabei der sacht, also ich hab mich bei meim Taschengeld schon ganz schön gestritten, mit meinen Eltern. (..) War hat des schon mal miterlebt? (..) Nora?
Nora: Ähm Einmal hat haben hab ich (..) an dem Tag kein Taschengeld gekriegt. Und da hab ich immer so nen kleines Spardose, die stell ich dann immer ins Wohnzimmer und der Papa soll mir immer dann ein Euro reinwerfen. Am am Sonntag krieg ich auch nämlich immer ein Euro. Ähm. Einmal hat der Papa des drei Wochen lang vergessen und dann hab ich gesagt: „Papa du hast drei Wochen lang kein ein Euro reingeschmissen, hat der gesagt, doch ich habs reingeschmissen, aber (1SEK UNV.)“ nein ich kanns ja nich sehen, was der Papa reinschmeißt. Ja? Und dann hat der gesagt, ab jetzt an leg ich dann des ein Euro vor die (Spardose).
Lehrer: Mhm. Ok. Also ihr habt euch auf was geeinigt wies ähm weiterhin ablaufen soll, so dass dus auch mitbekommst. Ok? Thomas wie du woll, du hast bei dir war auch mal was? Hast du grad vorhin (dich auch gemeldet?). Wer hat denn noch, ähm Sarah? Bitte lass das. (..) Wer hat denn noch von Euch ähm mit euren Eltern über Taschengeld gestritten? (..) Keiner? (..) Gar nicht. Ok. Ähm. (..) Was sagen denn eure Eltern denn dazu? Also. (..) Habt ihr euch schonmal drüber unterhalten über Taschengeld mit euren Eltern? (..) Zum Beispiel, wenns darum geht, ja was soll ich denn damit machen? Oder ähm (..) zu was brauch ich das überhaupt oder wie auch immer? Habt ihr euch schonmal drüber unterhalten, was eure Eltern dazu sagen? Sarah?
Sarah: Die Charlotte sagt immer, dass sie ein Pferd haben will. Und dann sagt die Mama: „Dafür kannst du dir doch mal ähm was anderes schönes kaufen.“ Und sie sagt immer, dass sie sich ein Pferd kaufen will und so.
Lehrer: Mhm. Ok. Noch jemand (..) der auch so ne Erfahrung gemacht hat. Ne andere. (..) Thomas?
Thomas: Ähm (2SEK UNV.) da war auf halt jeden Fall so en tolles Autöchen. Und das wollt ich unbedingt haben. Ja?
Lehrer: Mhm.
Thomas: Und dann (..) hat die Mama gesagt, gut das kriegst du auch. War eigentlich schon so, jetzt musst du noch ein bisschen sparen, aber das kriegt du auch von deim Taschengeld. Aber dafür sparst du dann mal bis Weihnachten. Dann hast du achtzig Euro gespart und dann schenkt mir mein Opa mir noch zwanzig, und dann hab ich, und dann hab ich hundert, und dann mach damit ein Konto auf.
Lehrer: Ok. (..) Was denkt ihr denn dazu, ähm müssen Eltern Taschengeld bezahlen? (…) Beate.
Beate: Nein müssen sie nicht.
Lehrer: Und warum nicht? (…) Thomas?
71 29BAnhang
Thomas: Weil die kein Geld haben. (..) Zum Beispiel? Wenn sies nicht bezahlen können in so armen Ländern, wie in Afrika.
Lehrern: Des istn ganz wichtiger Punkt, ja? Also zum Beispiel in Afrika. Wie sollen die Eltern denn da Taschengeld bezahlen können, wenn sie selbst kein Geld haben oder ganz wenig, so dass es nur fürs Essen reicht? Aber jetzt bleibn wir mal in Deutschland. Also (..) müssen Eltern in Deutschland, und in Deutschland is es ja (..) sind die Menschen ja reicher als in Afrika. Müssen Eltern in Deutschland denn Taschengeld bezahlen? (..) Die Ulrike.
Ulrike: Ähm (..) ne sie müssen nich sie könnens uns geben.
Lehrer: Ok. Also es is nicht. Es ist ne freiwillige Sache. (..) Ja soll denn nich jedes Kind Taschengeld bekommen? (..) Soll des nicht jedes Kind bekommen? (…) Was denkst du drüber Verena?
Verena: Mhm. (…)
Lehrer: Ok. Thomas nochmal.
Thomas: Ähm. Also. Eigentlich schon, sonst lachen die (1SEK UNV.), weil die meisten Kinder kriegen ja Taschengeld und dann lachen die anderen dich aus. Klar is schon gemein. Aber ähm manche Eltern wollen des halt nicht. (..) Mein die (..) ähm es gibt so Eltern, die des nich machen.
Lehrern: Ok, du hast gesagt, manche Eltern wollen des nich. Ähm. Könnt ihr euch vorstellen, warum Eltern des nich wollen? Also nehmn mar mal an es gibt Eltern, die zahlen kein Geld den Kindern. Welche Gründe könnten die denn haben? Warum könnten die denn sagen, ne ich zahl euch kein Taschengeld.(..) Nora?
Nora: Zum Beispiel ähm wenn man arbeitslos ist, dann hat man nicht so viel Geld (..) und des Geld braucht man halt selber zum Klamotten kaufen und sowas. (..)
Lehrer: Ok, also Arbeitslosigkeit. Was könnte noch dahinter stecken? (..) Ich bin mir sicher, dass euch noch was dazu einfällt. Denkt mal nach. Versetzt euch mal in die Lage euer Eltern. (..) Warum könnten die sagen, ne ich zahl euch, (..) (MIT NACHDRUCK) ich zahl euch kein Taschengeld. Jim.
Jim: Weil du zu mir frech warsch.
Lehrer: Mhm. Also, wenn ihr euch nicht gut versteht mit euren Eltern. Ja wieso machen ses also (..) warum zahlen sie dann kein Taschengeld weil du frech warst? (…) Wenn ich jetzt zu dir frech bin, und dann etzt hinterher sag, ich will da jetzt Geld dafür. Ich will trotzdem mein Geld. Was würdest du dazu sagen? (..) Sarah?
Sarah: Ich würd sagen, ähm hol dir des Geld doch von jemand anderen, der sich (der sich für dafür gut findet.)
72 29BAnhang
Lehrer: Ok. Also des is auf jeden Fall nich also, man möchte den irgendwie auch bestrafen, dafür dass er frech war, (..) und als Eltern muss man, ähm überlegt man sich ja, dass, dass man auch irgendwie die Kinder dafür bestraft, wenn se frech sind. Mann will ja keine freche Kinder haben. Das wisst ihr ja. Habt ihr bestimmt schon oft genug von euern Eltern gehört. (..) Es melden sich immer dieselben. Ich bin mir sicher, ihr alle anderen könnt da auch noch was zu sagen. (..) Antonia, wie siehts bei dir aus? (..)
Antonia: Mhm. (..)
Lehrer: Was du denkst du sagten eure, wenn du, was könnten die Eltern denn denken, wenn sie sagen ich geb dir kein Taschengeld? Oder was für ein Grund könnte dahinterstecken? (..)
Antonia: Dass die einen, dass die einen bestrafen, weil der hat, weil der frech zu den Eltern war.
Lehrer: Bestrafen des hatten wir schon auch. Ok. Jetzt mal, geh mar mal auf die andre Seite. Ähm. Was denkt ihr, was, was denkt ihr, geht in so nem Kopf von nem Kind vor, wenn ähm es kein Taschengeld bekommt, und alle andern bekommen Taschengeld? Außer es selbst nicht? (..) Sarah jetzt?
Sarah: Meine Eltern mögen mich nicht und geben mir deswegen nichts.
Lehrer: Mhm. Und was. Wie findest du des selbst? Also. (..) Was denkst du darüber? Findest du des so ok?
Sarah: In manchen Fall haben die Eltern einfach kein Geld dafür, des zu bezahlen, irgendwie.
Lehrer: Ok. Was könnt denn noch so im Kopf vorgehen. Also natürlich kann das Kind auch Verständnis haben und sagen: ok meine Eltern haben kein Geld. Was könnte aber auch sein, dass, was könnte des Kind auch denken? (..) Thomas?
Thomas: Dass die Eltern des Kind zu dumm halten. Dass die denken, ähm ich ähm, du kannst doch noch nicht mit Geld umgehen und ähm aber es, aber es dem Kind nicht sagen wollen, weil (es sonst beleidigt ist.)
Lehrer: Mhm. Also die halten des Kind einfach, es ähm, es gibt ja nur für Süßigkeiten des Geld aus. Du kannst des Geld nicht sparen. Du kannst damit nicht umgehen, und ich möchte ja, dass du damit umgehen kannst, deswegen geb ich dir kein Geld. Nora?
Nora: Zum Beispiel die Eltern haben doch ähm bestimmt Erfahrung gemacht, wenn en Kind Taschengeld hat, dann wills sichs unbedingt des kaufen, aber des nützt nichts, weil des nur son Stück Pappe is, und damit kann man nix anfangn, und deswegen kann man auch Geld sparen, für Schulsachen zum Beispiel kaufen (..) Viele Eltern geben auch kein Taschengeld, weil sie wissen, dass die Kinder da was nich Gescheites kaufen. (..)
Lehrer: Ok. (LEGT WORTKARTE „ ‐ FÜR ALLE ELTERN PFLICHT?“ IN DIE MITTE DES STUHLKREISES) (..) Verena?
73 29BAnhang
Verena: Da steht für alle Eltern Pflicht. (..)
Lehrer: Thomas?
Thomas: Ähm Taschengeld für alle Eltern Pflicht, ob die des alle machen müssen (1SEK UNV.) Und da würd ich nein sagen.
Lehrer: Du würdest nein sagen?
Thomas: Ja.
Lehrer: Was sagen die andern? (..) Jim, du wolltest?
Jim: Ähm (..) sie müss, sie müssen nich. (..)
Lehrer: Ok, sie müssen nich. Du sagst auch nein. Was noch ganz toll wär, wenn ihr immer sagt nein oder ja, dass ihr euch nochmal überlegt en Grund, warum denn eigentlich? Warum ja und warum nein. Des wär echt toll! (..) Die Ulrike.
Ulrike: Ähm sie müssen nicht weil, des is ja kein Pflicht. Die können freiwillig (..) und es gibt ja gar kein Recht dafür.(..) Niemand kann über sie bestimmen, weil sie ja die Eltern sind.
Lehrer: Ok. Also mim Recht meinst du auch es gibt kein Gesetz?
Ulrike: Ja.
Lehrer: Für sowas. Noch jemand? Agata was denkst du.
Agata: Ne. Nein. Weil, ich wollt eigentlich auch sagen, was die Ulrike gesagt hat. Weil des des steht ja nirgends, das des man machen müssen. Des sagt ja niemand.
Lehrer: Noch jemand ein der anderer Meinung is? (..) Beziehungsweise ich frag mal anders: (..) wenn jemand ja sagt, welches, welche Gründe könnte er dafür nennen? (..) Thomas?
Thomas: Also erstens müssen ses nich weil, weils ja kein Gesetz. Aber zweitens find ich ähm sollten ses eigentlich, dass des Kind lernt mit Geld umzugehen.
Lehrer: Aha. Also en ganz wichtiger Punkt. Die Kinder sollen lernen mit Geld umzugehen und eigentlich, wenn man es richtig macht, könnte des nützlich sein. Des könnte ein Grund, ein Argument dafür sein, warum man des verpflichtend für alle Eltern machen könnte. (..) Gut, des is echt en guter Punkt, schreibe ich mir auch auf. Ähm. (SCHREIBT AUF) Noch ein Grund dafür?! Sarah.
Sarah: Wenn des Kind frech ist, wieso sollten die Eltern es dann belohnen, dann würden die, würden die Kinder doch alle, ähm so ich bin frech und jetzt hab ich ne Belohnung gekriegt, dann bin ich jetzt weiter frech.
74 29BAnhang
Lehrer: Des is auch en interessanter Gedanke, ja. (..) Also, des wär auch eher au nochn Grund, ähm nein zu sagen. Also, ich möchte das Gesetz nicht oder ich möchte nicht, dass die ähm Eltern zahlen müssen. Ja? Des wär auch en Grund dagegen. (..) Hat jemand nochn Grund dafür, des wär echt gut. (..) Versucht euch mal ein Kind vorzustellen, des einfach wahnsinnig gern ähm Süßigkeiten isst. Zum Beispiel. Und des kanns nie kaufen, weil es em die Eltern immer verbieten und es möchte es einfach gerne machen. Was könnte des Kind sagen zu dieser, zu diesem Gesetz oder zu dem (..), ja müssen denn alle Eltern Taschengeld bezahlen. Was könnte des Kind dazu sagen? Stellt euch mal es vor! (..) Beate.
Beate: Des Kind findet es dann gemein, das des das nix kaufen darf.
Lehrer: Und was könntes dann dazu sagen für alle, Taschengeld für alle Eltern Pflicht? (..) Was denkst du, was würde es dazu sagen? Wenn man fragen würd, was denkst du denn darüber nach Taschengeld für alle Eltern Pflicht? Findes, würdest du ja, würde es ja oder nein sagen?
Beate: Würde auch nein sagen.
Lehrer: Wieso?
Beate: Ja des steht halt des steht halt nirgends, und man darf, die Kinder dürfen die Eltern nich dazu zwingen.
Lehrer: Die Kinder dürfen die Eltern nich dazu zwingen. Is auch en wichtiger Punkt, ja? Thomas?
Thomas: Sie dür, sie sie dürfen schonmal, dagegen spricht auch wieder kein Gesetz, aber sie können nich. (..) Und es steht auch nirgendswo, und es gibt auch kein Gesetz, dass alle Eltern Taschengeld geben müssen.
Lehrer: Das is richtig, ja. (..) Und trotzdem nochmal, was könnte des Kind sagen? Mit den Süßigkeiten. Es will unbedingt diese Süßigkeiten kaufen. Es fehlt ihm das Geld. Was würdes denn dazu sagen, nehm mar an des Taschengeldgesetz (..) würde, würde zur Debatte, also es wird diskutiert. Man würde überlegen, ja kann man des jetzt machen oder nich. Was würde des Kind sagen, wenn man es befragen würde. Stellt euch, versetzt euch mal in die Lage des Kindes. Nora.
Nora: Wenn der unbedingt diese Süßigkeiten haben will, dann ded er sagen, ja die Eltern müssen ähm Taschengeld bezahlen.
Lehrer: Mhm. Und wa.
Nora: Weil er des ja unbedingt will.
75 29BAnhang
Lehrer: Weil er des will. Also er möchte das Geld haben, weil er damit ähm sein Wunsch erfüllen kann Süßigkeiten zu essen. Also wir haben zum einen die El ähm auf der anderen Seite nein. Also man darf, die Kinder dürfen die Eltern nich dazu zwingen. Wenn man arbeitslos ist kann man Taschengeld nicht zahlen, und wenn ähm ja also man kann ja nich einfach so für andere mitbestimmen. Das sind schonmal drei Gründe dagegen. Drei Argumente gegen das Gesetz. Des Gesetz dafür wär zum Beispiel, ja also (..) dann kann ich ja mit dem Geld machen, was ich will. Ich könnte Süßigkeiten, ich könnte endlich diese Süßigkeiten oder immer schon kaufen, was ich schon lange gewünscht hab, zum Beispiel en Ponny. Des is natürlich jetzt übertrieben, des is sehr teuer, aber man könnte natürlich verstehen und zu dem Kind sagen, ja ok, wenn des dein Wunsch is, dann is des dein Grund zu sagen, ok ich sage ja. (..) Sarah?
Sarah: Wenn des Kind aber dann dauernd Geld hätte und sich davon dauernd Süßigkeiten kaufen würde, dann würd ich auch die Eltern verstehen, wenn sie sagen, ich geb dir kein Taschengeld, weil du sons schlechte Zähne kriegst.
Lehrer: Ok, also Gesundheit, wenn man wenn, wenn die Eltern könnten natürlich auch wieder dagegen sagen, ja du hast dann schlechte Zähne. Des isn guter interessanter Punkt Sarah, ja? Thomas?
Thomas: Die Eltern könnten ja auch so nur so viel Taschengeld geben, dass es, dass es für, dass es pro Woche bloß für einundzwanzig für eine Gummibärchen, also für einundzwanzig Sachen.
Lehrer: Mhm.
Thomas: Er braucht ja nur.
Sarah: Einundzwanzig Sachen.(SKEPTISCH)
Thomas: Ja, einundzwanzig Sachen!
Lehrer: Ok, also ihr habt. Ein. Also du hast vorgeschlagen, man müsst halt enfach irgendwie überlegen, wie kann mans machen, dass man ähm für die Eltern recht macht und für die Schüler, also ähm für die Kinder recht macht. Thomas, ja?
Thomas: Oder die Eltern könnten ja mal Sachen von den Süßigkeiten geben, ja? Und dann würden se sagen, so, das hast du jetzt alles und mehr kriegst du nicht in der Woche. Als dann geben se dem schon viel, und das is jetz dein ganzer Gehalt für die ganze Woche. Und wenn es dann halt am ersten Tag alles auffuttert, dann hats halt die letzte Woche, die ganze Woche nich, na? (..)
Lehrer: Also man könnte sichs überlegen wie mans macht, dass des Kind trotzdem dazu kommt. Aber, trotzdem wenn du ihm nur Süßigkeiten gibst, dann kanns nicht aussuchen, was es kaufen möchte. Was könnte des Kind, das Kind, was könnte dann des Kind sagen? Sarah?
Sarah: Schmeckt mir nich. (MURMELT)
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Lehrer: Bitte?
Sarah: Des schmeckt mir nich.
Lehrer: Zum Beispiel! Also es könnte sagen es schmeckt mir nich, und ich möchte das Geld weil ich mit dem Geld kann ich dann entscheiden was ich mach; dann kann ich des entscheiden und nicht ihr. Wenn ähm ich des Geld nich bekomme, des is auch wieder en weiterer Grund. Wenn ich kein Taschengeld bekomme, kann ich nicht frei entscheiden, was ich möchte. (..) Thomas.
Thomas: Se könnten aber auch sagen, hier ich geb dir jetzt des Taschengeld, aber du darfst dir nur ne bestimmte Anzahl Süßigkeiten kaufen halt. Pro Woche.
Lehrer: Mhm.
Thomas: Und den Rest kannst du für was anderes verwenden.
Lehrer: Ok. Also man muss dann schon überlegen, wie mans genau machen kann, so dass es für beide ok is. Also dass der, dass des Kind sacht: ok ja, also so könnte ich mir des vorstellen und die Eltern sagen: ja ähm so klappt des. Also wenn man beide Seiten sozusagen berücksichtigt, die Kinder und die Eltern, und versucht ähm irgend ne gemeinsame Lösung zu finden, dann ähm könnte des klappen. Die Sarah noch, und dann mach mar was anderes.
Sarah: Wenn man dem Kind dann einfach Geld mitgeben würde, und es sagen würde, ja du darfs jetzt so und soviel kaufen. Würde sich des Kind auch daran halten? Des glaub ich nicht. Des würde einfach, wenns Rückgeld geben würde dafür auch nochmal was kaufen.
Lehrer: Mhm. Aha also es is schwer des zu kontrollieren. Wie würd man des machen, ja? Muss man sich auch noch Gedanken dazu machen ähm, wie man des kontrolliert.
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Postskript zu Szene 1 „Gruppendiskussion“
Anzahl der GesprächspartnerInnen 4 Jungen, 7 Mädchen
Ort Grundschule Eschbach‐Stegen
Interviewtag u. –zeitraum 21.09.2007 / 9.15 Uhr – 9.30 Uhr
Audioaufnahme Ja
Länge des Gesprächs Ca. 15 Min.
Inhalte der Gespräche vor und nach dem Einschalten des Aufnahmegeräts
Begrüßung / Erfahrungsaustausch über Taschengeld
Interviewort Klassenzimmer
Nonverbale Reaktionen Nach untern schauen, Stuhl umklammern, Stirn runzeln
Prägnante Charakterzüge ‐
Störungen des Gesprächs ‐
Anwesenheit Dritter Klassenlehrer, Kameramann
Gesprächsverlauf 13) Erfahrungsaustauch über Taschengeld
14) Diskussion über Taschengeld als Pflicht für Eltern
15) Abwägen u. Sammeln von Argumenten
16) Lösungsvorschläge diskutieren u. Problemhaftigkeit thematisieren
Sonstiges ‐
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Transkription Szene 2 – „Vorbesprechung des Interviews“
(DVD: Kapitel 3)
Lehrer: Noch eine Frage vorweg. Ähm. Finanzminister was is des denn überhaupt? Nora.
Nora: Stellt der Geld her?
Lehrer: Des macht die Presse. Des macht bei uns die Presse, die Geldpresse. (..) Zunächst mal, was is denn en Minister? (..) Des weiß niemand von euch? Sarah?
Sarah: Des muss mit dem Wort „mister“ zusammenhängen. Lehrer: Mister. (MURMELT)
Sarah: Wie im Englischen.
Lehrer: Aha. Mit „mister“ im Englischen. Des is ne interessante Idee! Kann ich dir nich sagen, ob des wirklich stimmt. Des weiß ich selber gar nicht. Aber so ein Minister, der gehört zur Regierung. Des ist ein Mann, der für ein Bereich zuständig ist. Da gibt’s zum Beispiel für die Familie. Dann gibt’s für ähm. Ähm wie ähm es gibt en Außenminister, der is dann zuständig, zum Beispiel dass wir uns mit England gut verstehen. Also zwischen den Beziehungen, zwischen den Staaten, und dann gibt’s noch den Finanzminister und was könnte jetzt der Finanzminister für, für welchen Bereich könnte der denn zuständig sein?
Nora: Taschengeld.
Lehrer: Aha. Unter anderem ja also, es steckt des Wort Geld drin.
Ulrike: Politik?
Lehrer: Politik is er verantwortlich, ja.
Nora: Ähm. Bank?
Lehrer: Wie könnten wir des zusammenfassen?
Ulrike: Geld.
Lehrer: (SCHAUT ULRIKE AN) Die Regel haben wir jetzt leider nich hier. Aber sons wär des en Regelbruch. (..) Nora?
Nora: Der stellt zum Beispiel Geld für die Bank. Oder der zählt des Geld und macht des dann in die Bank und gibt des dann dem Chef von der Bank, was er dann für Geld (er dann auch hat).
Lehrer: Also, Nora hat des nochmal veranschaulicht. Es geht ums Geld, ja?
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Postskript zu Szene 2 „Vorbesprechung des Interviews“
Anzahl der GesprächspartnerInnen 4 Jungen, 7 Mädchen
Ort Grundschule Eschbach‐Stegen
Interviewtag u. –zeitraum 21.09.2007 / 9.40 Uhr – 9.50 Uhr
Audioaufnahme Ja
Länge des Gesprächs Ca. 5 Min.
Inhalte der Gespräche vor und nach dem Einschalten des Aufnahmegeräts
Diskussion über Taschengeld / Vorbesprechung des zu zeigenden Interviews
Interviewort Medienraum
Nonverbale Reaktionen Nachdenklich die Augen verdrehen
Prägnante Charakterzüge ‐
Störungen des Gesprächs Ein Beitrag ohne Anmeldung
Anwesenheit Dritter Kameramann
Gesprächsverlauf 17) Vorlesen der Fragen des Aufgabenblatts
18) Klärung des Begriffs Finanzminister
19) Erläutern von Funktion und Definition eines Ministers
20) Zusammenfassung: „Was ist ein Finanzminister?“
Sonstiges Ortswechsel in den Medienraum
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Transkription ‐ Szene 3 „Nachbesprechung des Interviews“
(DVD: Kapitel 4)
Lehrer: Und jetzt machn wir des Aufgabenblatt. Ähm, wir fangen an mit der Aufgabe eins. Wer liest die nochmal kurz vor? (..) (SCHALTET TAGESLICHTPROJEKTOR EIN UND LEGT FOLIE AUF) Kleinen Moment ich muss hier noch en bissl verschiebn und machen.
Nora: S kann man nich gut sehen.
Lehrer: Kann man nich so gut lesen, na? S‘echt schwer hier.
Ulrike: Wir hamms doch aufm Blatt!
Lehrer: Ihr habts aufm Blatt ja?! Ähm (..)
Ulrike: Die Nora!
Lehrer: Wer liests vor? Die erste Aufgabe! Agata. Und laut für alle!
Agata: Welche politischen Begriffe werden im Interview genannt?
Lehrer: Ok (..) geh mar mal die Reihe durch. Beziehungsweise wer hat ne Lösung dafür. (..) Des habt ihr ja. Jim. Was hast du angekreuzt?
Jim: Parlament.
Lehrer: Parlament hast du angekreuzt!?
Jim: Jo. (LEISE)
Lehrer: Wer hat des alles auch? (ALLE STRECKEN) Jawohl, is richtig! Parlament is richtig! Des wurde im Interview genannt. Ähm (..) Des nächste? Nora?
Nora: Ähm. Medien.
Lehrer: Medien wurde genannt. Des hab ich schon angekreuzt und des is auch richtig, ja? Ähm jetz nochmal, was sin überhaupt Medien? (..) Was könnten Medien sein? Ne Vermutung hat auch niemand? Also Medien sind so Sachen wie. Thomas? Nich nochmal bitte!
Thomas: Hm?
Lehrer: Die Grimasse, die du gerade gemacht hast. (SCHAUT IHN AN)
Thomas: Mhm.
Lehrer: Ok? (..)
Thomas: Mhm! (NÖRRISCH)
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Lehrer: Ok. Also Medien sind zum Beispiel so Sachen wie des Interview, des Internet, kennt ihr auch. Zeitungen. Auch das hier is schon en Medium (ZEIGT AUF FOLIE). Also das hier sind auch schon Medien, diese Blätter, die ihr da habt. Also alles, was irgend ne Information (..) transportiert kann man dazu sagen oder vermittelt, sind Medien. Ähm was is s’Parlament? Was könnte des sein? (..) Des is jetzt sehr schwer! Also wenn ihr des nicht wisst, des is nich schlimm, aber wenn ihr Vermutung habt, dürft gern was dazu sagen. (..) Ähm Sarah?
Sarah: Ne Regierung.
Lehrer: Mhm. Regierung is nomal was anderes, aber es geht in die richtige Richtung. Ich hab hier son tolles Kinderlexikon, ähm von der Bundeszentrale für politische Bildung, ähm da sind ganz viele Begriffe erklärt, und zwar so erklärt, das des auch ähm jüngere Kinder auch ihr verstehen könnt. Ähm. Ich les einfach mal zu vor, was im Parlament steht und des könnt ihr ja dann, ähm. Ja genau ich les einfach mal vor! Parlament. Das Wort Parlament kommt aus dem Französischen Wort „parler“. Ihr habt doch Französisch oder? (ALLE STIMMEN ZU) Auf Deutsch Sprechen und bedeutet Volksvertretung. Im Parlament sitzen die Abgeordneten, Volksvertreter in Klammer, im Parlament werden neue Gesetze diskutiert und beschlossen. Deshalb wird die, wird das Parlament Legislative, Gewaltenteilung, gesetzgebende Versammlung genannt. Das kommt vom Lateinischen legislatio. Das bedeutet Gesetzgebung. Die Volksvertretung kontrolliert die Regierung, wenn zum Beispiel die Regierung vorschlägt Soldaten in ein Kriegsgebiet zu schicken, oder die Steuern zu erhöhen. Ja? In Deutschland gibt es Parlamente in den Gemeinden, in den Städten, in den Bundesländern und eines für das ganze Land. Das ist der deutsche Bundestag. Des hatten wir ja schon am Mittwoch (..) Ok? Ähm wer kanns nochmal in seinen eigenen Worten formulieren, was es jetzt, was des Parlament is? Des wär echt super, wenn des jemand hinkriegt. Is jetzt ein bisschen viel Information auf die Schnelle. Christoph? Wills dus mal probieren? (..) Probiers einfach mal in deinen eigenen Worten.
Christoph: Des kommt ausm Französischen.
Lehrer: Mhm des Wort, ja.
Christoph: (…)
Lehrer: Und, was wirdn dadurch gemacht? Nora?
Nora: Also aus dem. Des. Des Wort kommt aus dem Französischen und wird „parler“ genannt. Und ähm (..) des hat irgendwas mit Bundeskanzler oder sowas zu tun.
Lehrer: Mhm. Bundeskanzler is nochmal was anderes. Ja, Ulrike?
Ulrike: Ähm des wird ähm Bundestag ähm, ähm diskutiert oder so.
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Lehrer: Aha, ok. Also der Bundestag, des is schonmal des richtige Stichwort. Das, es gibt Parlamente auf, in, auf Gemeinde, des sin dann die Gemeinderäte, dann gibt es die im Land, des sin dann die Landtage und dann gibt es noch, des hatn wir am Mittwoch schon besprochen, für de ganze, die ganzen Länder sin ja in einem Bund zusammengefasst. Der Thomas hat ja damals gesagt, die sind verbündet. Und dort werden dann im Bundestag diskutiert und Entscheidungen gefällt. Ähm des ganze kann man zusammenfassen als Volksvertretung. Also wichtig, Parlament ist Volksvertretung, ja? Des is des wichtige, was er euch da merken solltet, wenn jetzt jemand mal fragt, was des jetzt genau is. Ok etz mach mar aber weiter. Ähm wir haben Medien, Parlament; da waren auch noch andere. Jupp.
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Postskript zu Szene 3 „Nachbesprechung des Interviews“
Anzahl der GesprächspartnerInnen 4 Jungen, 7 Mädchen
Ort Grundschule Eschbach‐Stegen
Interviewtag u. –zeitraum 21.09.2007 / 9.50 Uhr – 10.00 Uhr
Audioaufnahme Ja
Länge des Gesprächs Ca. 6 Min.
Inhalte der Gespräche vor und nach dem Einschalten des Aufnahmegeräts
Sichtung des Interviews mit Finanzminister Peer Steinbrück / Nachbesprechung des Interviews
Interviewort Klassenzimmer
Nonverbale Reaktionen Stirn runzeln, am Mund herumspielen
Prägnante Charakterzüge ‐
Störungen des Gesprächs Grimasse während eines Gesprächs
Anwesenheit Dritter Klassenlehrer, Kameramann
Gesprächsverlauf 21) Vorlesen der Fragen auf dem Aufgabenblatt
22) Besprechung der erarbeiteten Ergebnisse
23) Erarbeitung abstrakter politischer Begriffe auf dem Aufgabenblatt
24) Erklärung der politischen Begriffe
Sonstiges ‐
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DidaktischMethodische Verlaufsstruktur
Zeit Phase Methodische Schritte
Erarbeitungsform Inszenierung
8.50 Uhr Einstiegsphase Lehrperson begrüßt die Schülerinnen und Schüler. Es werden der Ablauf des Unterrichts und die Regeln für die Kamera erläutert und besprochen.
‐ Am Platz, dann im Sitzkreis. Vom Lehrer geleitetes Schüler‐Lehrer‐Gespräch. Medien: Regelplakat an der Tafel.
9.00 Uhr Einstiegsphase Lehrperson wirft Überschrift „Taschengeld“ in den Stuhlkreis. Die Schülerinnen und Schüler tauschen ihre Erfahrungen und Meinungen darüber aus. Anschließend wird die Überschrift mit dem Zusatz „Pflicht für alle Eltern?“ ergänzt. Erneut wird diskutiert.
Ergänzen, Anwenden, Entwickeln
Sitzkreis. Offene Diskussion, die teilweise von der Lehrperson gelenkt wird. Medien: Überschrift.
9.30 Uhr Einstiegsphase Schülerinnen und Schüler werden gebeten sich in Zweier‐Reihen aufzustellen, um anschließend in den Medienraum zu gehen.
‐ Zweier‐Reihen Gruppierung.
9.35 Uhr Eröffnungsphase Die Schülerinnen und Schüler bilden einen Kinositz. Die Fragen des Aufgabenblatts werden besprochen. Der Begriff „Finanzminister“ wird geklärt. Es folgt die Sichtung des Interviews.
Ergänzen, Zuordnen, Vergleichen
Kinositz im Medienraum. Medien: TV‐Gerät, Aufgabenblatt mit Fragen zum Interview.
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9.45 Uhr Erarbeitungsphase Die Schülerinnen und Schüler begeben sich in den Klassenraum zurück.
‐ Am Platz. Im Klassenzimmer.
9.50 Uhr Erarbeitungsphase Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten das Aufgabenblatt zum Interview. Es folgt eine Nachbesprechung des Interviews und die Besprechung der Ergebnisse.
Ergänzen, Zuordnen, Vergleichen
Am Platz. LSG. Stillarbeit. Medien: OHP, Folie, Aufgabenblatt.
10.00 Uhr PAUSE ‐ ‐ ‐ 10.15 Uhr Erarbeitungsphase In einer stillen
Gruppenarbeit, sammeln die Schülerinnen und Schüler Argumente für und gegen das Taschengeldgesetz.
Entwickeln, Anwenden Am Platz in Gruppen. Stillarbeit. Medien: OHP, Folie, Plakate für Argumente.
10.30 Uhr Festigung Die Gruppen präsentieren ihre Argumente an der Tafel und erläutern diese bei Bedarf.
Anwenden, Strukturieren
Vor der Tafel, in Gruppen. Präsentation. Medien: Plakate, Tafel.
10.40 Uhr Abschluss Lehrperson bedankt u. verabschiedet sich.
‐ Am Platz.
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Das „Taschengeldgesetz“ Die DPK (Demokratische Partei für Kinder) möchte im Bundestag das neue Taschengeldgesetz einführen.
Das Gesetz soll die Eltern dazu verpflichten, ihren Kindern mindestens zehn Euro Taschengeld pro Monat zu bezahlen. Der Bundestag möchte, dass du Argumente (Gründe) sammelst, die für und gegen das Taschengeldgesetz sprechen.
Arbeitsanweisungen:
1) Schreibt eure Namen (nur Vorname) auf das grüne und das rote Plakat!
2) Überlegt euch Argumente (Gründe) für und gegen das Taschengeldgesetz!
3) Schreibt Argumente (Gründe), die für das Taschengeldgesetz sprechen auf dem grünen Plakat auf!
4) Schreibt Argumente (Gründe), die gegen das Taschengeldgesetz sprechen auf dem roten Plakat auf!
5) Präsentiert eure Argumente vor der Klasse.
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Fragen zum Interview mit Peer Steinbrück (Finanzminister)
1) Welche „politischen“ Begriffe werden im Interview genannt? o Medien o Gemeinde o Polizei o Sozialpolitik o Bundesregierung o Parlament o Präsident o Bundesrechnungshof
2) Wie viel Geld hat ganz Deutschland? o 2.500 Milliarden Euro o 1000 Euro o 260 Milliarden Euro
3) Warum braucht der Finanzminister keinen „Schatzturm“? o Weil wir kein Geld haben, um einen Turm zu bauen. o Weil das Geld nicht reinpassen würde. o Weil Deutschland mehr Geld ausgibt, als einnimmt. Es gibt kein Geld,
das man „parken“ könnte!
4) Welche Meinung hat der Finanzminister Peer Steinbrück zum Thema „Taschengeld“?